Laissez-faire

13 02 2023

„Wir verlangen gar nicht viel von Ihnen, und Sie sind ja auch schon etwas länger in der Politik, darum sollten Sie das doch eigentlich auch ganz gut hinkriegen. Wir wollen doch bloß wissen, wie Sie das gemacht haben, damit wir heute ausprobieren können, ob wir es auch ohne Sie hinkriegen. Damit täten Sie uns einen großen Gefallen, Frau Merkel.

Also eins haben wir jedenfalls kapiert, Sie haben es nicht wie Politik aussehen lassen, eher wie einen Unfall – zumindest hat niemand Sie mit der Politik Ihrer Bundesregierung in Verbindung gebracht. Wir wollten doch eigentlich nur Jobs und soziale Gerechtigkeit und bezahlbare Wohnungen, Umweltschutz und dass nicht die Hälfte des Bundeskabinetts aus gierigen Arschlöchern besteht. Sie waren auch stets sehr bemüht, passiert davon ist nicht allzu viel, aber Sie wurden regelmäßig wiedergewählt. Es ist ja möglich, dass die Bürger sich keine Illusionen mehr gemacht haben, weil Sie auch schon gesagt haben: die kennen mich. Dass das im Grunde eine Drohung war, hatte niemand mitgekriegt. Und da fragen wir uns jetzt natürlich, ob man das nicht einfach auf die neue Regierung übertragen kann. Die machen, was eine Regierung eben so macht, aber es interessiert keinen, und das Land ist wieder so stabil, als wären Sie noch die Bundeskanzlerin.

Ich will um Gottes Willen keine parteipolitische Auseinandersetzung, Frau Merkel, Sie müssen sich auch gar nicht zu dieser Deppenherde äußern, die Sie hinterlassen haben. Aber wenn das irgendwie methodisch funktionieren sollte, dass man mit soweit ganz okay laufender Politik das ganze Land nachhaltig in die Scheiße reitet, und die Ergebnisse sind den Menschen vielleicht trotzdem egal, weil die Politik keinen mehr kümmert, dann würde uns das in der aktuellen Lage sehr hilfreich sein. Und was die Konsequenzen angeht, vielleicht könnten wir da durch radikale Ignoranz sehr viel besser mit den Folgen des Klimawandels umgehen.

Das kam so rüber, Frau Merkel. Wir können uns beim besten Willen nicht vorstellen, dass Sie die Zerstörung der Fotovoltaikindustrie angeordnet haben. Oder Maskendeals mit überhöhten Preisen, damit sich ein gieriges Arschloch von Steuergeldern Luxusimmobilien kaufen kann. Das hätte Ihnen niemand zugetraut. Irgendwie ist das passiert, man hat ja so viel zu tun als Kanzlerin, da übersieht man manches, andere Sachen erfährt man vielleicht auch erst aus der Presse, und da Sie irgendwann auch den Parteivorsitz abgegeben haben, ist das wie im Teilzeitjob. Ist man nicht ständig im Betrieb, kriegt man die wichtigsten Sachen gar nicht mehr mit.

Ist vielleicht genau diese Alternativlosigkeit der Schlüssel zum Erfolg, Frau Merkel? Sie konnten ja gar nicht anders, da waren Wahlen, dann mussten wir schnell raus aus der Atomkraft, aber irgendwie doch nicht, dann war wieder Autogipfel, die CSU wollte Umgehungsstraßen im Wahlkreis vom neuen Verkehrsminister, weil ja wieder Wahlen waren, dann gab es zu wenig Wohnungen, obwohl doch gerade erst wieder Autogipfel gewesen war, die Vorratsdatenspeicherung musste irgendwann mal gegen das Bundesverfassungsgericht durchgesetzt werden und gegen die EuGH, weil wir ja deutsche Alleingänge nur beim Euro machen, dann waren plötzlich wieder Wahlen, und wir hatten einen Bundeskanzler, von dem alle vorher gewusst haben: der tut nichts. Hat der sich das bei Ihnen abgeguckt, Frau Merkel, und wenn ja, warum?

Laissez-faire ist doch an sich eine ganz gute Einstellung, wenn man nicht ständig mit Menschen tun hätte. Die können bei alternativlosen Projekten wie der marktkonformen Demokratie schon mal gewaltig stören. Nehmen wir nur mal die Energiepolitik, meinetwegen auch Russland, weil beides irgendwo zusammengehört. Die Gasspeicher wurden verkauft, Nord Stream 2 wurde gebaut, erst Recht nach Putins erstem Überfall auf die Ukraine, und weil beides so gut zusammenpasst, haben Sie ja wie gesagt irgendwann erst bemerkt, dass der Bundeswirtschaftsminister sich die Abwicklung der Solarenergie teuer bezahlen lässt, während bei der Bundeswehr die Schnürsenkel fehlen. Das passt so gut zusammen, das kann nur alternativlos gewesen sein, weil ein Teil des Plans ohne den anderen gar nicht geklappt hätte, oder?

Sie haben das alles so schön ausgesessen, weil alles alternativlos war, Frau Merkel. Sie müssen uns nur noch mal erklären, was eigentlich woran lag, dass es diese Sachzwänge gab. Musste man die Bahn kaputtmachen, damit sie nicht besser aussieht als die heruntergewirtschaftete Infrastruktur? Haben Sie die Kitas ruiniert, damit der Übergang in diese Reste von Bildungssystem nicht so auffällt? Ist die Digitalisierung absichtlich verschleppt worden, damit diese überflüssige Bürokratie sich nicht so alleine fühlt in Deutschland? Haben Sie nur nichts getan, weil Sie ja sonst etwas hätten tun müssen?

So viele Fragen, Frau Merkel, und es ging uns so gut wie nie zuvor. Krisen gab es nicht. Wenn ein ganzes Flusstal weggerissen wird, war das nur ein besonders schöner Moment, um sich christlich einzupuscheln. Vielleicht waren Sie da schon nicht mehr Bundeskanzlerin, Frau Merkel, weil Sie einen neuen Konkursverwalter eingestellt hatten. Der konnte wenigstens über sich selber lachen. Das können wir heute jedenfalls nicht mehr.

Ihre Partei ist der Meinung, Sie hätten so gut regiert, dass Sie unter allen Umständen so schnell wie möglich weg mussten, weil nur zählte, was hinten rauskommt. Das ist bei Ihnen schlicht und ergreifend Mist. Meinen Sie nicht, Frau Merkel, wir sollten es einmal genau andersherum versuchen?“