
Gernulf Olzheimer
Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.
Dass der Hof für horrend hohe Pensionen und rauschende Feste an die 36 Millionen Livres zahlte, nahm man Louis XVI. und dem untätigen Necker besonders übel. Die Kopfsteuer wurde beliebig und weltfremd festgesetzt, durch Symbolgesetze etwas gleichmäßiger erhoben und landete letztlich doch in der an frühen Neoliberalismus erinnernden Pfütze von Staatsfinanzen, die eher betriebswirtschaftlich denn von politischer Ökonomie geprägt waren. Die Privilegierten wehrten sich mit Zähnen und Klauen gegen die Abschaffung der Vorrechte, die ihnen der Absolutismus garantierte, die Aufklärung wurde in letzter Verzweiflung bekämpft, doch alles das hielt den Lauf der Geschichte nicht auf. Als schließlich der Brotpreis explodierte, bewaffneten sich einige Zivilisten und stürmten die Bastille, genauer gesagt: sie spazierten gemütlich zu dem Gefängnis, in dem sieben Strauchdiebe einsaßen. Keiner ließ sich mit Botschaften wie Wir sind das Volk vor den Invaliden vernehmen. Und doch waren sie in diesem Augenblick mehr Repräsentanten ihrer Schicht, als das Jahrhunderte später die plärrenden Prolos aus dem braunen Dreckrand von sich hätten behaupten können, fortgesetzt in der Chimäre des sogenannten Wählerwillens.
Eine Partei wird stärkste politische Kraft in der nach demokratischen Regeln abgehaltenen Wahl, ist mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit aber nicht an der künftigen Regierung beteiligt. Da kreischen die Kasper, meist die konservativen, die Absicht des Volkes werde mit Füßen getreten, nicht ausreichend berücksichtigt, ja der Staat sei in arger Not, weil sich alle die bösen Wahlverlierer zu einer illegalen Mehrheit zusammenschließen, um die mit dem Regierungsauftrag ausgestattete Minderheit von den Fleischtöpfen der Macht fernzuhalten. So oder ähnlich keift gleichfalls die Journaille, die die Leser nicht für blöd erklärt, aber nie vergisst, dass die es größtenteils sind. Cui bono?
Natürlich haben die Schranzen der Alternative-Fakten-Industrie keine Berührungsängste mehr bei der Anschuldigung, der missliebige Gegner habe in Wahrheit den Wahlsieg gestohlen, denn nach Recht und Gesetz und göttlicher Fügung oder irgendeiner anderen pharmazeutisch induzierten Wahnidee sei dieser Wahlausgang ja gar nicht möglich. Schnell ist auch die Verfassung bei der Hand, die allerdings in den meisten Fällen genau das Gegenteil besagt: nicht Regierungen oder deren Anführer werden gewählt, sondern Parlamente, die erst danach aus ihrer Mitte einen Kanzler, Ministerpräsidenten oder sonst irgendeinen Vorsänger küren. Die Botschaft aber verfängt, und nur darauf kommt es an.
So wenig, wie das rhetorische Tischfeuerwerk der versammelten Gesellschaftstheoretiker auch die Verweigerung, an Wahlen teilzunehmen, als Indiz tiefgreifender Demokratiebeschädigung deklarieren will, ist auch dies der Wählerwille, erst recht nicht der eigentliche, einzig wahre, wie uns der billig zusammengeschwiemelte Soziologenschmodder in greinendem Selbstbespiegelungsfuror weismachen will. Stehen zwei Kandidaten für den Vorsitz des Nagerzuchtvereins Teutonia 1919 e.V. zur Wahl, ein chronischer Knalldepp und ein heimlicher Säufer, die von drei Vierteln der Mitglieder mit der ihnen gebührenden Enthaltung abgestraft werden, so ist doch derjenige fürderhin im Amt, der die meisten Stimmen auf sich vereinigt. Nicht aber löst sich in naher Zukunft die ganze Gruppe auf, zerstreut sich in alle Winde oder gründet drei bis elf neue Vereine, da alle fest davon überzeugt wären, nur sie selbst seien im Gegensatz zu den anderen Querkämmern berufen, das abendländische Kaninchenwesen in diesem unserem Lande zu führen – und sollte dem tatsächlich so sein, entspräche das bei einer starken Quote an Nichtwählern allenfalls einer Wirkung auf eine oder mehrere Parteien, nicht aber auf politische Verhältnisse, in denen es legitim ist, eine Wahl als Murmeltiertag im Niedergang der Zivilisation zu verpennen. Und wahrlich bedarf die Definition des Begriffs Wille einer genauen Klärung, wo dieser sich in der Willensfreiheit manifestiert, eben nichts zu wollen.
Gäbe es den Wählerwillen als messbare, gar als skalierbare Größe, wäre noch zu klären, warum die konservativen Parteien nicht eben selten sich mit Hilfe von Mehrheitsbeschaffern, im Regelfall einer Rotte kläffender Populisten, ins Regierungsamt hieven lassen – da aber salbadert man flugs von den politischen Schnittmengen, die man auch mit den Minderheiten habe, die man ja als gute Demokraten sehr wohl an der Macht beteiligen wolle. Ein Volk, ein Seich, ein Führer, und schon kann man den Dummbatzen vorwerfen, die Regierung schließlich mitgewählt zu haben. Unangenehm wird es nur da, wo während der laufenden Regierungsarbeit alle die vollmundigen Sprüche aus dem Wahlkampf sich als Makulatur herausstellen. Für diesen Wählerwillen wurden Regierungschefs ernannt und müssen nun dem Sachzwang weichen – war ja nur Spaß, der im Bierzelt so schmackig klang. Das würde tatsächlich einen Aufstand rechtfertigen, Misstrauensvoten, gar Neuwahlen. Und das ist in einer Demokratie nun wirklich nicht machbar, das wissen die Regierenden ganz genau. Es entspricht nicht dem Wählerwillen.
Satzspiegel