„Und Sie sind sich ganz sicher, dass er nicht schon tot war, bevor er zu dieser Kundgebung gegangen ist? Man hört ja die unglaublichsten Sachen, und ich kann mir vorstellen, dass so ein Demonstrant uns damit noch nachträglich eins auswischen will. Wirklich, als Polizei müssen wir uns eine ganze Menge bieten lassen.
Es passiert immer mal wieder, dass vereinzelte Personen im Polizeigewahrsam versterben. Oder auch durch unmittelbare polizeiliche Maßnahmen wie etwa Beschuss aus mehreren halbautomatischen Waffen. Aber das haben sich diese Leute zum Teil selbst zuzuschreiben, weil wir als Ordnungshüter schließlich die Mehrheit der Bevölkerung vor einzelnen Straftätern schützen müssen. Oder vor denen, die es werden könnten.
Dann dürfen Sie sich mit einer Psychose eben nicht nackt ausziehen und mit einem Küchenmesser bewaffnet in einen Brunnen im Stadtpark stellen. Da sind die Überlebenswahrscheinlichkeiten in einigen Bundesländern nicht gerade hoch. Und als Obdachloser irgendwo auf der Straße randalieren, am besten noch unter Alkoholeinfluss – ziehen Sie sich eine Lederhose an, gehen Sie aufs Oktoberfest, da können Sie sich die Rübe dicht saufen, wie Sie lustig sind, das ist Leitkultur. Aber außerhalb der Saison und ohne festen Wohnsitz stellen Sie eine Gefahr dar, und zwar für die Polizei. Da verstehen wir keinen Spaß.
Möglicherweise hatte der Mann ja auch eine Herzattacke. Das können wir als Polizisten gut nachvollziehen, man ist ja auf so einer Demo immer bis oben hin voll mit Adrenalin, und plötzlich fällt man tot um – uns passiert das eher selten, dazu nehmen wir doch zu oft an Kundgebungen von Rechtsextremisten teil, und dann kennt man ja die Leute, es ist familiär, alles ganz gelassen, und das einzige, was einen auf die Palme bringt, sind diese linken Chaoten, die unbedingt protestieren müssen. So wie Ihr Bekannter. Es ist nicht auszuschließen, dass er mit einem unvorhergesehenen Herzstillstand umgefallen ist. Das hat dann unter Umständen die Beamten vor Ort provoziert.
Wir wissen das auch nicht so genau. Natürlich gibt es für so gut wie alles Statistiken, Falschparker, Geschwindigkeitsüberschreitungen innerhalb der geschlossenen Ortschaft, nächtliche Ruhestörung – aber Tote durch Einwirkung der Polizei? Das kommt bei uns so gut wie nie vor, und es wird auch nur von den einzelnen Ländern statistisch erfasst, ansonsten müssen wir das wegen des Datenschutzes für uns behalten. Wenn das Bundeskriminalamt irgendeine bundesweite Erhebung will, dann sollen sie doch die Bundespolizei fragen. Wir haben hier jedenfalls schon genug zu tun.
Zeugenaussagen, ja. Natürlich werten wir Zeugenaussagen aus, wenn wir die Zeugen erwischen. In dem Fall war das ganz besonders unglaubwürdig, weil sich hier mehrere Zeugen unabhängig voneinander an denselben Tathergang erinnert haben. Es sollen da drei Beamte auf dem Rücken des vorsätzlich Verstorbenen gekniet haben, und dann hatte auch noch einer den Stiefel auf seinem Nacken. Das kann selbstverständlich gar nicht sein, weil es nämlich verboten ist, und Sie wollen mir jetzt doch nicht erzählen, dass man als Polizist gegen das Gesetz handelt, oder? Wir gehen weiterhin davon aus, dass sich diese Zeugen abgesprochen haben, wahrscheinlich auch mit dem späteren Opfer, und da wären wir dann auch schon ganz dicht bei einer Tatbeteiligung. Es ist doch immerhin nicht auszuschließen, dass diese ganze Aktion inszeniert wurde.
Das mit der Gewalt ist nämlich so, dass wir das Gewaltmonopol haben, und deshalb verzichten wir auch nicht so gern auf unsere Rechte. Wir haben ein besonderes Verhältnis zu Gewalt, die als normaler Teil der beruflichen Tätigkeit aufgefasst wird. Das ist ja auch der Grund, warum das für einige der Kollegen so ein attraktiver Job ist. Wir können auch nicht ständig Strichlisten führen, wann wir einem gegenüber Verdächtigen mal etwas lauter geworden sind, weil er nicht sofort gestehen wollte. So eine Statistik würde den Polizeialltag nämlich in keinster Weise widerspiegeln, und deshalb halten wir das für völlig sinnlos. Das sehen Sie hoffentlich ein.
Im Gegenteil sollten wir öfter darauf hinweisen, dass sich die Bürger uns gegenüber gewaltsam verhalten, und daraus ergibt sich die spannende Frage: warum dürfen die das, und wir dürfen das nicht? Bevor Sie mit logischen Spitzfindigkeiten kommen, natürlich wissen wir, dass die das eben nicht dürfen, aber wenn wir als Polizei dem Bürger rechtlich gegenüberstehen, dass ist doch wohl klar, dass wir das dürften, oder?
Also wir gehen weiterhin davon aus, dass es sich um ein Missverständnis gehandelt haben könnte. Einer der Beamten hat vielleicht gedacht, dass der simuliert – wenn man mit einem Herzinfarkt umfällt, dann schlägt man sich ja meist die Stirn ein, aber bei der Obduktion haben wir mindestens eine Schlagverletzung durch einen stumpfen Gegenstand am Hinterkopf festgestellt. Unter Umständen könnte das für die juristische Bewertung relevant sein, dass es sich hier auch um die Vortäuschung einer schweren Straftat gehandelt haben dürfte. So unschuldig ist Ihr Freund also nicht. Und seien wir mal ehrlich, wer am Rande einer genehmigten Kundgebung so eine Straftat zum Nachteil der Polizei begehrt, der darf sich nicht wundern, wenn er mal ordentlich aufs Maul kriegt.
Warum das jetzt nicht als Todesfall während eines Einsatzes gilt? Immerhin wurde der Tod dieses Beschuldigten ja erst nach der Einlieferung ins Krankenhaus festgestellt. Wir waren viel zu beschäftigt, deshalb haben wir eindeutig aussagen können, dass der Schädelbruch vor dem Transport in die Notaufnahme noch nicht bestanden hat. Und wenn zehn Beamten absolut identisch so aussagen, dann können Sie davon ausgehen, dass das auch den Tatsachen entsprach.
Also wenn Sie ein Problem mit der Realität haben und meinen, Sie könnten das mit einer Statistik beheben, dann kann ich Ihnen auch nicht helfen. Vielleicht haben Sie ja auch so einen psychischen Knacks und hören Stimmen und rufen dann irgendwann die Polizei, und wir sind dann schuld, wenn Sie austicken. Damit das jetzt klar ist, ich habe Sie gewarnt!“
So zynisch – und so wahr, dass es mich noch heute gruselt. 10 Bullen, die alle das Gleiche lügen, und der Richter nickte fröhlich.
Danke für deine Artikel, ich versuche, mitzulesen.
Wir leben immer noch in einem der am besten funktionierenden Rechtsstaaten der Welt, was nicht heißt, dass es in Bezug auf die Staatsgewalt weiterhin eklatante Lücken gibt und eine fast schon traditionell zu nennende Unwilligkeit des Staates, sie zu schließen