
Gernulf Olzheimer
Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.
Keiner wird ernsthaft behaupten wollen, der Mensch sei eine vernunftgeleitete Art, die sinnvoll ihre irdischen Ressourcen nutze, sie zur Erhaltung ihres Lebensraums zielgerichtet einsetze und ihrer Verantwortung gerecht werde, um ihre Existenz auf diesem Rotationskörper so lange wie möglich zu erhalten; zumindest die letzten Jahrhunderte hat er damit verbracht, als intellektueller Heckenpenner alles zu verschandeln, was er in seine schmierigen Finger bekommen konnte, mehr noch: es mutwillig zu zerstören, bevor es anderen nützt. Um sich aber gegen seine eigene Dämlichkeit zu imprägnieren, greift er zu dem Trick, mit dem er alles in seiner sozialen Zusammenrottung zu entschuldigen sucht, Mord und Totschlag, Fremdenhass, Kriege, Gier, die alle plötzlich planvoll werden, schiebt man sie einer höheren Wesenheit in die Schuhe, die sie befiehlt, zumindest billigt oder wenigstens mit dem notwendigen Ritualgehampel schnell verzeiht. Was wäre der Hominide ohne seine Wahnvorstellungen, die er Religion nennt, und was wäre diese Auswahl ohne den wirrsten Hirnplüsch, den Kapitalismus.
Dass Kapitalismus wie andere Glaubenssysteme als ordinäre Fetischanbetung entstand, Arbeit als zeremoniell verrichteten Kult installierte – wie in jeder anderen Religion dient der Ertrag der rituellen Handlungen natürlich auch nur einer Priesterkaste und nicht den Gläubigen – und den Reichtum als höchstes Ziel so weit transzendierte, bis man nicht mehr wusste, was Geld eigentlich bedeutet, steht außer Frage, ebenso die Einordnung als eigenes religiöses Ding, das dieselbe betäubende Wirkung auf die existenziellen Ängste ausübt, das es selbst im Schlaf der Vernunft schürt. Weder Dogmatik noch Theologie braucht solch ein Kult, der auf reine Gefolgschaft setzt, die gesamte Existenz mit allen Bestandteilen wie Gesellschaft, Beziehungen und Kunst, Gesundheit, Ethik oder Natur okkupiert und zertrümmert, um sich Konkurrenz vom Hals zu schaffen. Der Kapitalismus setzt auf die Ewigkeit, die sich im widersinnigen Wachstum manifestiert, das schon mit einfachen Grundrechenarten in einem geschlossenen System widerlegt werden kann, es sei denn, man fasst exponentielle Progression als grundlegend positiv auf, wie beispielsweise Krebs.
Unterscheidet sich der Kapitalismus vom bisher praktizierten Mummenschanz, der Erlösung und Entsühnung predigte, so setzt er auf Ewigkeit, und zwar in der exponentiellen Verschuldung, die nicht mehr ist als wachsende Werte auf der Haben-Seite der Vermögenden – wenngleich auch die aus allerlei Widersprüchen zurechtgeschwiemelte Erbsünde als Voraussetzung der Erlösungsbedürftigkeit gut als Knute fürs betende Volk taugt. Dass der Gott des Kapitals in seinem zertrümmernden Machtanspruch vor den Gläubigen verheimlicht wird: geschenkt.
Wie alle Formen vormoderner Frömmigkeit bis ins letzte Detail das Leben ihrer Anhänger rigide regelten, kodifizierten, sanktionierten, greift diese Wirtschaftsordnung in alle menschlichen Strukturen ein, als wären es ökonomische. Nicht erst das von Neoliberalen über die Gesellschaft gestülpte Prinzip des allgemeinen Konkurrenzdenkens, das durch die Beschneidung der monetären Möglichkeiten nur in einer Kannibalisierung der Menschen endet, höchst amüsant anzusehen für die vermögende Schicht, ist der Schlüssel für die zersetzenden Mechanismen die zielgerichtete Aneignung aller Ressourcen, Öl und Arbeiter, Boden und Pfleger, kurz: alles, was sich privatisieren und damit eigenverantwortlich eliminieren lässt. In einem eschatologischen Kult aber kann es nur eine Richtung geben, nämlich den der vollständigen und endgültigen Vernichtung der Lebensgrundlagen. Anders würde ein Todeskult gar nicht funktionieren, und der Kapitalismus gibt sich kaum die Mühe, dies zu verbergen.
Ein überwiegend von alten weißen Männern praktiziertes Ausleben des Todestriebs, meist auf die kommenden Generationen verschoben, was es so unangenehm macht, wenn die Rechnung dafür schon früher kommt, verspricht allenfalls hier und da Anpassung oder Ausgleich – schöner sterben, aber immer noch unumkehrbarer mythischer Ritus einer Erfüllung, die produkttypisch beim Versuch der Annäherung um so weiter in die Ferne abgleitet, während ganz real eine Orgie aus Enteignung und Völkermord tobt, die nur noch mit Gewalt vor ihren eigenen Konsequenzen fliehen kann: Flüchtlinge müssen im Meer ertrinken, indigene Völker auf den Resten ihrer Äcker verbrennen, Obdachlose auf den Straßen verhungern, weil sonst die Börsenkurse um ein paar Prozentpunkte weniger schnell wüchsen. Es wird nicht einmal mehr herumreformiert oder an den Symptomen gepopelt, wir haben wieder den Ständestaat zurück, in dem die Raubritter ihre Güter mit dem Schwert vor den Hörigen schützen und sich dabei willfähriger Idioten bedienen, die noch in kindlichem Erlösungsglauben dafür auf Wohlstand hoffen. Um einen Arbeiter zu zerstören, braucht ein Großkapitalist ein börsennotiertes Unternehmen, eine Produktionsstätte, Schichtplaner, Werkschutz, jede Menge Maschinen und giftiges Zeugs, miese Ernährung, gierige Bänker, skrupellose Vorstände, verlogene Lobbyisten und ignorante Medien. Dabei würde das umgekehrt viel schneller funktionieren.
Dieser Text ist sehr erhellend und sollte Bestandteil der Religions-bzw. Ethikbücher unserer Schulen sein.
Es ist ja alles kein Geheimnis. Schon seit Walter Benjamin sollten wir begriffen haben, dass die Selbstzerstörung für viele Menschen zum hauptsächlichen Lebenszweck geworden ist