Gernulf Olzheimer kommentiert (DCLXV): Das Alphamännlein

26 05 2023
Gernulf Olzheimer

Gernulf Olzheimer

Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.

Früher war die Sache einfach: irgendwann erwischte die Säbelzahnziege den Egoleptiker in der ersten Reihe der Jäger und verarbeitete ihn zu etwas, was man an Ort und Stelle entsorgte, weil sich der Schmodder für ein Bestattungsritual nicht mehr eignete. Die verarbeiteten Bären zu Kleidern und Beeren zu Rohkost, während Männer, oder was sich dafür hielt, testosterongeschwängert durch die Steppe stapften, alles kaputtmachten, was sie hätte kaputtmachen können, und einander zeigten, wer der tollste Hecht von allen war. Bis heute hat sich wenig geändert, nur gerieten die sozial erwünschen Rollenstereotype während ihrer Versteinerung in unterschiedliche ideologische Fahrwasser zwischen christlicher und nationaler Gehirnprothetik. Für den Haudrauf, der trotz medizinischen Fortschritts bis heute signifikant früher ins Gras beißt, blieb es in der Summe gleich, er ist zum Erfolg verdammt und landet eben öfter mal auf der Schnauze. Dass er im Umkehrschluss formale Bildung oder überhaupt die intellektgesteuerte Lebensführung für falsch hält, da sie nicht seinem Ideal entspricht, führt in die selbst gegrabene Fallgrube: er ist ein richtiger Mann, der sich seine Männlichkeit selbst definieren kann, und spielt dafür weder im gesellschaftlichen noch im wirtschaftlichen oder wissenschaftlichen Leben eine nennenswerte Rolle, denn diese Bereiche haben keine Verwendung für das Alphamännlein.

Es lässt sich in randständigen Milieus wie eben den religiösen und nationalistisch verschwiemelten Schimmelhirnpopulationen unverdünnt beobachten, wo die traditionell verstandene Maskulinitätsnorm noch mit unterkomplexen Kategorien wie Ehre oder Führungsanspruch einher kommt. Ob man es als kulturelles oder Klassenphänomen deutet, es hält sich hartnäckig wie die Vorstellung, dass vor allem Leistungsbereitschaft und Impulskontrolle, durch die ein Belohnungsaufschub möglich wird, gegen eine schnelle Frustrationsregulation verliert, bei der man ad hoc dem Feind eine reinzimmern kann. Zwar wird der soziale Aufstieg den Angehörigen dieser Schicht oft erschwert, um nicht plötzlich Arbeiter in den Vorständen wiederzufinden, doch haben sich die Merkmale der Bildungsverachtung auch in der Elite ausgebreitet, wo man stets davon ausging, dass es derlei Anstrengung nicht bedürfe, um sich von der Masse zu unterscheiden. Dort wird man üblicherweise nicht nach Leistung bewertet, schon gar nicht nach Erfolg. Und eins in die Fresse bekommt man nur in historischen Einzelfällen, meist mit anschließender Entschädigung.

Doch die Kränkung bleibt. Wie man etwa im Querstullenkreis, unter Rassentheoretikern wie den Mitläufern der klerikalen Weißheitsszene und den anderen Esospacken dieser Hohlschädelerde das Versprechen auf ein gottgewolltes Patriarchat den Bach runtergehen sieht, weil die postmoderne Welt auf diese evolutionäre Montagsproduktion pfeifen kann, suhlen sich die unbesiegbaren, wertvollsten und stärksten Primaten plötzlich in der Opferrolle, auf die es unter ihrer Kalotte nur eine Antwort gibt: Gewalt. Renitenz. Und so jammern sie abwechselnd allen vor, wie gemein die Welt ist, und drohen mit brutaler Vergeltung, wenn man ihnen die Erfüllung ihrer Ansprüche verweigert.

Bisher ist nicht geklärt, was so erstrebenswert sein soll daran, mit einem ständig durch die Decke gehenden Adrenalinspiegel das Risiko eines Herzinfarkts zu potenzieren, und sei es durch den Dauerstress, sich durch Geltungskonsum oder ein politisches Spitzenamt ohne messbare Kompetenz auf Sozialentzug zu begeben, der nur durch Drogen zu kompensieren ist. Die Machos mit Schnurrbart und Uniform sind endgültig out, keiner will mehr mit ihnen Krieg spielen, sie im Chefsessel erdulden oder ihr Gebagger aushalten, geschweige den obszönen Spreizsitz in der U-Bahn, damit frau nicht merkt, dass hier sonst kein Gaul zwischen den Schenkeln klemmt. Sie haben die Attraktivität von Nagelpilz und Maximalwerte auf der nach oben offenen Ekelskala von Null bis Popel auf der Brille.

Langsam wachen einige auf und merken, dass die alte Ernäherrolle als Alphamacker nichts für sie ist, weil sie inzwischen auch die Alternative haben, sich nicht totzuarbeiten und unmittelbar nach dem Ausscheiden aus der Tretmühle in die Grube zu fahren. Ein Problem der klassischen Ledernacken ist, dass durch die Gleichstellung auch Frauen die Chance haben, in diesem letzten Reservat der Dämlichkeit ihr Claims abzustecken. Dann kommt noch diese verdammte Diversität dazu, die ihnen das Privileg wegnimmt, selbst über ihre Privilegien zu entscheiden, und dann wird in der Vorabendserie ihr Typ mit der hässlichsten Gurke in der Kartei besetzt. Willkommen ganz unten.

Evolutionär ist es für den Mann heute jedenfalls besser, ein humorvoller, sozial kompetenter Partner und verlässlicher Vater zu sein, der sich nicht aus Gewohnheit regelmäßig die Birne zulötet, mit dem SUV durch die Fußgängerzone bügelt und ein Hakenkreuz aufs Sixpack peikern lässt. Gut, wer das als Nachbarn hat, obwohl die Wohngegend es nicht hergibt, der darf ihm auch schon mal eine Runde Materialkaltverfomung im Kieferbereich spendieren. Einer muss ihn ja zur Vernunft bringen.





Gernulf Olzheimer kommentiert (DCLXIV): Kipppunkte

19 05 2023
Gernulf Olzheimer

Gernulf Olzheimer

Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.

Wann immer es irgendwo regnet oder Vulkane ausbrechen, scheint die Natur ihre Arbeit nicht richtig gemacht zu haben. Jedenfalls scheint es den Aposteln der Unterkomplexität so, als sei etwas aus dem Ruder gelaufen, was aber hoffentlich den Lauf der Dinge nur kurzfristig beeinflusst und auch dies nur innerhalb des eigenen Horizonts, so begrenzt er auch sein mag. Wo schon Realitätsallergie solchen Ausmaßes weitreichendes Handeln bestimmt, weil kein nennenswertes Denken dazwischen stattfindet, wie werden wir die akuten globalen Veränderungen bewältigen, wenn bigotte Kompetenzimitatoren an den Hebeln der Macht hocken, um nicht einmal die untrüglichen Anzeichen einer Katastrophe zu sehen, die kommenden Kipppunkte?

Was die Politikdarsteller angeht, ein greifbares Beispiel sollten sie aus ihrem ureigensten Habitat kennen: die Kirmeshöllenmaschine, die anschaulich demonstriert, was ein paar hampelnde Hebel mit lockeren Schrauben bei immer schnellerem Kurbeln auslösen, bis sich das ganze Geraffel unter Staunen und Geplärr in seine Einzelteile zerlegt. Ein leichtes Wippen verstärkt sich, wie auch das Mikrofon des Karussellwärters rückkoppelnd über den Rummel kreischt und die Trommelfelle trifft. Einmal die Wurstfinger am falschen Knopf, schon brennt die Bude. Was an Dynamik um uns herum passiert, ist ein stetiges Schwanken um Mittelwerte, wie das Gewicht auf der Körperwaage ein Kilo mehr oder weniger bei normaler Lebensweise schwankt – der Mittelwert kann dabei durchaus gleich bleiben, die Werte aber erheblich differieren, was ein Anzeichen erheblicher Fehlernährung ist wie wochenweise Fasten und Wettfressen.

Was wir gerade in der Biosphäre erleben, ist die planmäßige Zerstörung von Flora und Fauna durch sich selbst, getriggert durch epische Dämlichkeit in Gestalt des Hominiden. Trotzig schwiemelt sich der gemeine Dummbeutel die Erklärung zurecht, dass Insektenmangel höchstens zu weniger Futter für die Gartenvögel führt, was auch den positiven Effekt hätte, dass er dann endlich jeden Tag den Rasen mähen dürfte. Der Kipppunkt, der an nie wieder zu erreichender Bestäubung für Nutzpflanzen sichtbar wird, zu massiven Ernteausfällen, Hunger und Tod für Millionen Menschen, er wird eben erst sichtbar, wenn die Sache nicht mehr zu beeinflussen ist wie in Chinas Spatzenkrieg, der fast zur Ausrottung der kompletten Landwirtschaft führte, statt die Erträge zu maximieren. Selbst das rein mechanistische Weltverständnis alter weißer Männer beschränkt sich auf technische Nutzbarkeit von Materie, die sie als Physikversager schnell an die Wissenschaft abgeschoben haben, um sich nicht mit Dingen zu beschäftigen, von denen sie nichts verstehen.

Nicht einmal die Marktwirtschaft, die von ihren Erfindern als stabilste Repräsentanz menschlicher Werte angebetet wird, kommt ohne Blähbäuche aus, die sich dann regelmäßig in Heißluft entladen, weil andere zivilisatorische Errungenschaften wie Krieg oder Revolutionen auf demselben Planeten ihre Wirkung zeitigen. Das kann die als natürlich bis gottgewollt definierten Schwankungen zwischen Aufschwung und Rezession gewaltig ins Trudeln bringen, für Tote sorgen oder, schlimmer, für labile Börsenkurse. Betrüger nutzen die bis in Ewigkeit denkbare Selbstverstärkung aus, ködern mit einem Schneeballsystem – gewöhnlich im legalen Gewand des Strukturvertriebs – und jagen den Mythos von der Unzerstörbarkeit des Kapitalismus in die Luft. Ewiges Wachstum in einem geschlossenen System ist schwer möglich. So funktioniert nur Krebs.

Wenn schon das Erkennen schwer wird, wo sich die Grenzwerte befinden und wie sie immer weiter überschritten werden, stellt sich Systemblindheit ein, erst recht ohne die Einsicht, dass Biodiversität, Wasserversorgung, fossile Emission und sämtliche klimatischen Veränderungen die Grundlage unserer Zivilisation über die Klinge springen lassen durch ein sich selbst aufschaukelndes Boot, das dann auch noch gleich seinen eigenen Orkan erzeugt. Wir ignorieren der Tendenz zu stetig anwachsenden Extremen, die dann nicht mehr als Starkregen oder sinkende Flusspegel, sondern als Überflutung und dauernder Dürre zeigen: der Kipppunkt kam wie zu erwarten unerwartet, er lag in der Vergangenheit, die Folgen sind nicht absehbar.

Wir können den Abgesang anstimmen, denn was sonst innerhalb von Jahrtausenden passieren würde, wird wohl innerhalb von Jahrzehnten stattfinden, wenn ein größerer Teil der Verantwortlichen längst Biomasse ist, alle es vorher gewusst haben werden und genau wissen, dass nur die ewigen Nörgler schuld waren, weil sie wegen dieser verschissenen Naturgesetze keine Wundertechnologie erfinden wollten. Jede Katastrophe, die uns in naher Zukunft droht, wird als Resultat eines Kipppunktes oder mehrerer ein Kindergeburtstag sein im Vergleich mit den Verheerungen, die wir billigend in Kauf nehmen, damit ein paar asoziale Arschgeigen mit dreihundert Sachen in den Sonnenuntergang rasen können. Auch wenn es nur so aussieht, weil es sich in Wirklichkeit um einen Waldbrand handelt. Aber hundert Kilometer steht gerade eine Großstadt unter Wasser. Wahlen gewinnt man nun mal in der Mitte.





Gernulf Olzheimer kommentiert (DCLXIII): Kritische Infrastruktur

12 05 2023
Gernulf Olzheimer

Gernulf Olzheimer

Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.

Früher war die Sache einfach: der Russe stand quasi vor der Tür, die Atombombe im Handgepäck. Der sogenannte Westen rüstete, was das Zeug hielt – ein wahrer Segen, durfte Deutschland doch endlich wieder ein bisschen Krieg spielen – und schützte das Volk vor bösen Mächten, die nichts im Kopf zu haben schienen außer Krieg und Rüstung. Jeder hatte seine Aktentasche griffbereit, um sie sich unterm Tisch über die Rübe zu ziehen, wenn es Teile regnet. Kanisterweise Kernseife bunkerte die Bundesregierung für den Tag X, Dosenbrot und Jod gegen die unsichtbare Gefahr. Autobahnen mussten gebaut werden, denn wo sonst sollten Panzer rollen, Flugzeuge landen, die latente Grundaggression zur Sicherung der Wehrkraft erhalten werden. Es gab keine Luftschutzkeller mehr, aber jeder Zeitgenosse wusste, was kriegsentscheidend war. Ein ganzes Land schwiemelte verbissen an der Errichtung einer kritischen Infrastruktur herum, lauschte ergriffen dem Geheul der Sirenen und zitterte sich warm im kalten Krieg. Bis es dann alles ganz anders kam.

Heute steht der Russe tatsächlich vor der Tür, wahrscheinlich mit ein paar Atombomben mehr, die Zeiten haben sich gewendet, die Strahlung kommt aus dem hübschen Reaktor in der Nachbarschaft, wie er anmutig in den Fluss leckt, falls es überhaupt noch Kühlwasser gibt. Regelmäßig auftretende Jahrhundertfluten erinnern uns daran, dass wir die voll funktionsfähigen Flüstertüten auf Schule und Rathaus gegen digitalen Neuschrott getauscht und ein simples Benachrichtigungssystem für sämtliche Mobiltelefone mit tatkräftiger Unterstützung aller politischen Kräfte so lange verhindert haben, bis wir feststellen durften, dass wir wieder einmal die letzten sind, die es nicht benutzen. Die Gefahren sind neu, die Schlamperei ist alt.

Hatten wir mit der Pandemie ein herausragend gut geeignetes Szenario, um erstens die tatsächlich systemrelevanten Faktoren für eine stabile und dazu noch entwicklungsfähige Gesellschaft zu erkennen, diese zweitens in ihrer ganzen Verwundbarkeit und Fehleranfälligkeit zu sehen, die sich nicht selten aus gelernter Trägheit, kindischem Trotz und Egoismus ergibt, und drittens nachhaltige Reformen zu starten mit dem Ziel, aus dieser Krise nicht als Grützbirnen und Realitätsverweigerer hervorzukriechen, so ist es uns geradezu grandios gelungen, den Karren mit Verve noch tiefer in die Scheiße zu fahren und fast alles, was noch halbwegs intakt war, dicht an der Oberfläche abzusägen. Wie Intelligenzflüchtlinge irren wir umher, besinnen uns auf unsere größte Stärke, den föderalen Bürokratiewildwuchs, der als ewiges Kompetenzgerangel von Bund, Ländern und Kommunen die Anschaffung von Schutzmasken zur Sicherheit dreifach zu Tode verwaltet, bevor es zu gedeihlichen Handlungen käme, an denen nicht ein paar Arschgeigen ordentlich mitverdienen würden.

Dass Erziehung und Bildung, medizinisches und Pflegepersonal samt Notfalleinsatzkräften in Polizei und Feuerwehr nebst der Energieerzeugung, IT und ÖPNV wichtiger sein würden als Investmentbänker oder Autohändler, hätten wir vorher wissen können. Dass das neu erschaffene Kriterium der Kritikalität fadenziehendes Gewäsch von Lobbyisten oder den von ihnen gekauften Parlamentsäffchen erzeugen würde, auch. Nach herrschender libertärer Ideologie ist der schnelle Gewinn immer gut, wenn man sich nicht auch noch mit den Konsequenzen seines Tuns herumschlagen muss, und mancher Nanodenker hat keinerlei Implikationen auf dem Schirm, wenn er einen halben Hafen nach China verscherbelt oder für russisches Gas artig die Hosen herunterlässt. Die meisten der sogenannten Verantwortungsträger haben noch nicht einmal begriffen, dass das sich schließende Zeitfenster der Klimakatastrophe keine Rücksicht nehmen wird auf die Bummeleien der vergangenen Jahrzehnte, auf den Schlendrian der Regierung, auf die explodierenden Kosten, die mit jeder Verzögerung noch weiter steigen werden. In einem Land, das eine analoge Kohlenstoffwelt und eine digitale Architektur aus Prinzip getrennt und möglichst parallel verwaltet, wird es auch die erste Amtshandlung beim Aufschlagen des Kometen sein, dass sich zwei Grüppchen streiten, wer denn jetzt für die Schadensbeseitigung zuständig ist. In der Zwischenzeit stellen Experten verwundert fest, dass wir nicht genug Schienennetz haben, Strom nicht auf dem Baum wächst, Wasser nicht immer da ist, wo man es gerade braucht – oder da ist, wo man es gerade nicht brauchen kann – und Lebensmittel in einem Lager in der Nähe von Bad Gnirbtzschen sicher liegen, aber auch nur, solange man sie nicht gerade übers Land verteilen muss. Was wir in den Nachrichten sehen, wenn die aufgebrachte Meute den Ordnungskräften die Fresse poliert, weil ein Diktator das Internet abstellt, die Elektrizität und das Trinkwasser, das können wir auch hier haben. Wir werden die kommenden Jahre episch vergeigen und zu einem Entwicklungsland regredieren, in dem der Bürger ordentlich Gas geben darf, damit er pünktlich nach Malle fliegen kann. Wenn er nur nicht ins Krankenhaus muss. Doch, es wird noch Krankenhäuser geben, solange man damit Geld verdienen kann. Vielleicht akzeptieren Pfleger bis dahin auch Klatschen als Bezahlung.





Gernulf Olzheimer kommentiert (DCLXII): Die Samstagabendfernsehshow

5 05 2023
Gernulf Olzheimer

Gernulf Olzheimer

Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.

Tatsächlich hatte Uga nur zwei Witze, die beide auf seinem halbwegs ausgeprägten Talent beruhten, eine wütende Säbelzahnziege zu imitieren. Wann immer es in der Einsippenhöhle zu Langeweile kam – das Leben im Einklang mit der feindlichen Natur ließ das selten zu – und seine Verwandtschaft sich nicht in Schlummer fliehen konnte, ertrug es das Publikum mit Fassung, denn sie wussten, so selten diese Unterhaltung war, so rasch ging sie vorüber, und schließlich sollten noch lange Winterabende kommen, an denen man sich das heisere Gekrächze des ansonsten wohlgelittenen Jägers wünschte, das hinter seinem Rücken als gedoppelte Parodie wenig Spaß hervorrief. Die Jahre vergingen, die Clowns wurden professionell und fingen an, sich mit Bällen und Torten zu bewerfen, sie tanzen auf dem Seil oder zu unerhörter Musik, rissen Zoten über den Herrscher, und schließlich fanden sie sich in einem kleinen Kasten wieder, der erst auf einem Tischchen Platz hatte, dann in einem monströsen Wohnsarg aus ehern furnierter Eiche eingekachelt war und nun an der Wand hängt, und also auch das Programm: dickleibig, quadrös fugenlos verdengelt, nun aber flach. Aus Moritat und Tanzball, dem bunten Abend der Jugend mit etwas Weltläufigkeit und mondän angelackter Biederkeit wurde die Fernsehshow am Samstagabend, was sie heute nur noch sein kann: ein lebendes Fossil.

Es bewegt sich noch, aber das ist auch alles. Das große Lagerfeuer für die ganze Familie, als es diese nämlich noch gab im medialen Kontext, es wartete pünktlich an der Uhr festgenagelt wie im Kalender Weihnachten und Neujahr, zwanzig Uhr fünfzehn, sobald die Eurovisionsfanfare aus der Wohnstube in die Küche scholl, stapfte die züchtige Hausfrau mit dem Käseigel bewaffnet zum Ort des Geschehens, wo sich engere Verwandtschaft, Hausbesuch und die Nachbarn ohne eigenes Röhrengerät halbrund um versammelt hatten, um die Außenwelt und ihre Allotria in die aus Muff und Kitsch geschwiemelte Geschmacksverkalkung der Wirtschaftswunderjahre zu senden, als man noch nicht das Geld für einen Badeurlaub in Südeuropa hatte, die Länder aber aus anderen historischen Zusammenhängen kannte und gerne wiedersehen wollte. Der letzte Krieg war so gut wie verdrängt, in der Öffentlichkeit hielt brave Verklemmtheit an, im Privaten jedoch riskierten die alten Helden schon wieder eine dicke Lippe, und sei es nur im Unterhaltungsprogramm. Was ein rechter Deutscher war, der überzuckerte seine schunkelnde Schlagertutigkeit mit internationalem Trallala, und sei es nur in Gestalt langsam alternder Herren mit mehr oder weniger gut sitzenden Perücken, die in operettenseliger Schmalzabsonderung die Damen gerade noch so wild machten, dass sie nicht die Scheidung einreichten.

Irgendwann war das alles überstanden, besser wurde nichts. Die Frisuren der jüngeren Generation von Mattscheibenonkeln wurden länger, ab und zu steckte man Radiogesichter in fragwürdige Anzüge, die Kulisse wurde erst poppig, dann pompös, nur die Showtreppe blieb irgendwann weg, damit die mühsam witzelnden Laberlurche direkt durch die Sitzreihen auf den Thron stolzieren konnten, wo sie Hof hielten zwischen allerhand Marketingfiguren, die eh gerade ein neues Buch, einen neuen Film, ein neues Album zu verkaufen hatten, sich allenfalls bis zur Hälfte der Sendung auf dem Sofa fläzten, weil da draußen alles wichtiger war als hier im TV, bis dann der Hubsi aus Bad Gnirbtzschen Buntstifte am Geschmack erkannt hatte und der Großmime Ernst van der Düne im Filmchen mit Senf beschmissen ward und gute Miene zum blöden Spiel machte.

Auch das ist vorbei, moderne Familien haben längst keinen Bock mehr, sich zeitunsouverän ohne Werbepinkelpausen derlei Klamauk reinzustellen, geschweige denn alle in einem Raum vor einem der letzten analog anmutenden Endgeräte einer analog eh auslaufenden Endzeit, in der sich die Mitglieder einer Patchworkveranstaltung kaum noch erbarmen, lineare Wiederholungen ewig gleicher Strickmuster zu verfolgen. Nach jäher Vermehrung von Kanälen und Diensten, nach diversen Krisenphasen in Netz und Wirtschaft kippt der Altersschnitt der freiwillig Zusehenden längst über die Rentengrenze, und kein Schwein will mehr sehen, wie alles castet, datet, ratet, rät, rankt, wettet oder die müdesten Kalauer exhumiert. Wie zäh sich die Glotze gegen VHS, DVD und ähnliche Konservierungsstoffe behauptet hat, ist so beachtlich wie egal, denn wer will seine Freizeit immer in demselben Museum verbringen.

Die Kombination aus talentfreiem Moderatoriat und üppigen Materialschlachten guckt inzwischen zu, wie die junge Generation, also alles unter 50, sich gar nicht erst einen neuen Fernseher anschafft, wenn der alte im Elektrohimmel ist. Ein Monitor mit entsprechender Auflösung reicht aus, um Serien zu bingen oder Nachrichten aus der Mediathek zu lutschen. Kognitiv suboptimierten Beitragszahler geben sich im Mutantenstadl dem Schunkelzwang hin, während rüstige Senioren im Bezahlkanal ihre Altersvorsorge verkloppen. Irgendwo setzt ein C-Promi hundert Euro auf die letzte Quizfrage. Sonst muss er zur Strafe eine wütende Säbelzahnziege imitieren. Wer will das schon sehen.





Gernulf Olzheimer kommentiert (DCLXI): Immunisierung

28 04 2023
Gernulf Olzheimer

Gernulf Olzheimer

Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.

Wo immer eine Trottelrotte aufmarschierte, um die chirurgisch präzise erfolgte Hirnresektion unter Beweis zu stellen, stets folgte das Gebrüll sattsam bekannten Strickmustern. In Zeiten der Pandemie, wo wirrlichternde Verschwörungsdeppen die Masse der evolutionären Montagsproduktion in geistiges Brachland führen, ist alles erlaubt, es sei denn, es widerspräche der ausgegebenen Parole; was das genau bedeutet, das wissen die meisten Clowns im Synapsenfasching nun nicht, nur Kritik, sagen die Kritiker, ist absolut verboten, da sie sich im Besitz der absoluten Wahrheit befänden. Wer sich etwa auf wissenschaftliche Untersuchungen bezieht, ist ein gekaufter Lügner des Systems, wie dieses System ja auch stets von bösen Mächten wunderbar geborgen die Zerstörung der Welt beabsichtigt – nicht die des Planeten, die geht recht ersichtlich von gekauften Lügnern organisiert vor sich – während die einzig wahre Wahrheit von einem Rudel antiintellektueller Sackpfeifen herausgefunden wurde, die nun mit der Unterhose auf der Rübe singend und klatschend in den Fußgängerzonen herumhüpfen, als hätten sie wegen Akutverstrahlung die Medikamentenausgabe verpennt. Was aber ist und wie funktioniert diese Strategie der Immunisierung?

Das älteste Gewerbe der Welt, das Priestertum, hat sich früh um die Sicherung ihres Berufszweiges gekümmert; das Bodenpersonal der Donnergötter hatte kein Interesse daran, sich in fadenziehenden Diskussionen um die innere Logik von Mythen zu verheddern, geschweige denn daraus resultierende Riten wie prächtige Opfergaben oder eine starke gesellschaftliche Stellung hinterfragen zu lassen. Das Wunder, Numinoses an sich, darf ja auch nicht hinterfragt werden, ohne sich einen Ruf als Ketzer einzuhandeln. Auch dieses ist System, nur eben in der nicht staatlich subventionierten Ideologie kaum so streng reglementiert, was andererseits jedem Bekloppten die Freiheit verschafft, seine eigenen Wahnideen individuell auszuleben. Entscheidet sich eine mehr oder weniger strukturierte Bewegung, Widerspruch grundsätzlich als Feindbild zu werten und dementsprechend aggressiv zu bekämpfen, bietet sich das Dogma an. Zwar haben Dogmen wie andere Überzeugungen ihre Halbwertszeit, nach der ein Funktionär die Vorhölle abschafft oder den Sieg des Sozialismus nicht mehr zum Staatsziel erklärt, aber auch diese bedürfen einer Abschottung.

Das probateste Mittel ist die Leerformel, die verbalen Bauschaum zur Abdichtung gegen böse Kritik oder die hässliche Wirklichkeit schwiemelt. Bekannt ist das Wortgeklöter aus der Esoterik, die im Gewand wissenschaftlicher Religionserklärung zum Allerlei der Paradoxa greift, indem sie jenes höhere Wesen, das sie steuerpflichtig verehren lässt, als transzendent und zugleich immanent, dies- und jenseitig, als alles und dessen Gegenteil beschreibt, da es unbeschreibbar ist. Nun wird der geschickte Theologe aus Kenntnis ost-westlicher Mystik diese Dialektik, die dem Faselbla marxistisch-leninistisch erzogener Kaderkasper Auslöser von Ohrenbluten und bestes Werkzeug zugleich war, für eine geniale Erfindung innerhalb der Heilslehren halten, da sie alle offenen Diskrepanzen zwischen Realität und Ideologie als billige Rechtfertigung einsetzen, alles zu leugnen, gegebenenfalls blutig zu beheben, was nicht der eigenen Ansicht entspricht, wobei es sich größtenteils schlicht um die Wirklichkeit handelt.

Flankiert wird diese Trapeznummer von einem niedriginstinktsicheren Framing, das Leerstellen für eine gelingsichere Totschlagargumentation schafft. Passgenau erfährt das Publikum, was natürlich ist (Verbrennungsmotoren, Atomkraftwerke) und was unnatürlich (Transsexualität, Bären im Wald). Jede Kritik also kommt immer aus der falschen Ecke, die Kritiker haben nichts verstanden, kapieren nicht einmal die Ideologie, die aber im Gegensatz zur Ideologie der Kritiker gar keine ist, und sie haben falsche Werte, meist, weil sie überhaupt welche zu haben meinen. Aus diesem Sumpf kommen die christliche Leitkultur und die Technologieoffenheit, und als Joker hüpft gerne die Menschenwürde aus der Schachtel, jenes Konstrukt, das man sich selbst vor allem zugesteht, wenn man über die Autobahn brettern oder Personen mit der falschen Hautfarbe anzünden will, das durch Grundrechtsmissbrauch aber von jedem Kriegsflüchtling beansprucht wird, obwohl die Verfassung irgendeines Drittweltlandes den Begriff gar nicht kennt, zumindest nicht auf Deutsch. So haben wir denn auch ein Land, in dem das exklusive Wir gut und gerne leben könnte, falls die Mitgemeinten endlich mal verschwänden.

Die hohe Schule des dialektischen Kunstturnens ist erreicht, wenn die Weichstapler mit den eigenen Widersprüchen gegen die eigenen Widersprüche schießen: ist alles wahr, auch das Gegenteil, dann ist das Gegenteil falsch, weil ja das Gegenteil wahr ist. Jeder an sich schon selbstbezügliche Diskurs ist damit sinn-, zweck- und ziellos, weil sie in guter aufklärungsfeindlicher Tradition Kritik als Methode diffamiert. Ein dreibeiniger grüner Affe hält alle dreibeinigen grünen Affen für Arschlöcher, denn er muss es ja wissen als dreibeiniger grüner Affe. Wir werden diesen Widerspruch irgendwann schon noch lösen. Ganz bestimmt technologieoffen.





Gernulf Olzheimer kommentiert (DCLX): Hass auf Veganer

21 04 2023
Gernulf Olzheimer

Gernulf Olzheimer

Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.

So vieles, woran früher nicht einmal zu denken war, ohne dass einen die bürgerliche Gesellschaft sofort und dauerhaft aus ihren Reihen entfernte, ist längst geduldet, ja hoffähig. Grünes Haupthaar und zerrissene Hosen, die als Privileg des rebellierenden Jungvolks gelten, werden mit allerlei Metallwaren in diversen Gesichtsvorsprüngen toleriert, der bis ins Alter vordringende buntfarbene Hautschmuck hat den kitzelnden Hautgout der Knastbrüder für immer hinter sich gelassen. Jede Generation hat den Gartenzwerg für sich entdeckt, alles kifft, wiewohl man offiziell strikt gegen Rauschgift ist, nur der einsam auf dem Grillrost liegende Gemüsespieß, das Sojaschnitzel im Einkaufswagen und die Pflanzenmilch auf dem – wohlgemerkt privaten – Frühstückstisch sind das Ausschlusskriterium für den Nachbarn, der einem immer schon verdächtig vorgekommen war, das No-Go für Schwiegersöhne, die wahrscheinlich in der Zombieapokalypse der Dinosaurier flennend wegrennen würden, und alle anderen, die der ordentliche Normalbürger mit der abgesägten Schrotflinte auf Abstand hält, um nicht infiziert zu werden und plötzlich im rosa Tütü auf dem Biomarkt aufzuwachen. Der Hass auf Veganer berührt viele neuralgische Punkte in der defekten Psyche doppelplusnormaler Querkämmer, und er ist so einfach wie kompliziert.

Denn die grassierende Veganophobie beruht auf einer kognitiven Dissonanz in vielerlei Gestalt, die vom Selbstbild und seiner Körperlichkeit bis zum Distinktionsgewinn das ohnmächtige Wüten der Regression artikuliert. Einen Fötus auf Toast würde man dem vollbärtigen Hipster durchgehen lassen, aber der freiwillige Verzicht auf Tierprodukte ist in den Augen des gesellschaftlich mit Mühe in seinem bröckelnden Habitus gefangenen Bekloppten viel zu reflektiert, um nicht gefährlich zu werden. Der gemeine Verdränger streichelt gerne süße Kälbchen, bevor er ihre mit Hormonen gepimpten Überreste in die Pfanne kloppt, würde aber nie niedliche Katzen mit Pekinesenhack füllen. So schwiemelt sich der intellektuell überschaubar verschaltete Depp seine Klassifikation von nützlichen und nicht nützlichen Lebewesen zurecht, nennt sie im Anflug von Moral gar Werte und verteidigt sie gegen alle, die es nicht für Tradition und damit erlaubt halten, beliebige Arten zu verzehren, auch wenn sich Proteine mit dem Tier als durchlaufendem Posten dadurch viel weniger effektiv einsetzen lassen. Das Verständnis von Tradition, die erst mit der Industriegesellschaft korrekte Verhaltensnormen ausgeprägt hat, tut sein Übriges, denn wer hatte in den agrarisch geprägten Epochen täglich Separatorenabfälle der Viehzucht auf dem Teller? Vereinzelt verteidigt der Bourgeois sein Bioschwein, obwohl es von angeblich linken Ökofuzzis erfunden wurde und eigentlich normal ist im Gegensatz zur maschinellen Geburt, Mast und Tötung in einem Arbeitsgang. Die Umwertung von Natur und Technik, die das konservative Denken in seiner religiösen Verehrung des Fortschritts unter völliger Ablehnung seiner Voraussetzungen und Ergebnisse zu einer schizophrenen Selbstzerstörung macht, sorgt auch hier für Unlust. Der Veganer hält dem Hohlrabi den Spiegel der Erkenntnis vor.

Und so muss er auch an der dusseligen Mär mit aller Macht festhalten, dass man ist, was man isst. Was leider nicht funktioniert, da der Darm schlicht nicht unterscheiden kann zwischen Erbseneiweiß und Heringsprotein – genau genommen dürfte der Tierverzehrer Spaghetti mit Tomatensauce nur unter gesteigertem Brechreiz verzehren, müsste bei einem Marmeladentoast in Wehklagen ausbrechen, denn beides ist vegan und also mindestens Mord an der Gesundheit eines Leistungsträgers.

Weiß der bratwurstfressende Cholesterinjunkie von seiner klischeehaften Männlichkeit, wird er dem angeblich effeminierten Körnerfresser dieses Konstrukt von Tierverbrauch als Zeichen der Kraft doch immer wieder vorhalten, als müsse er seinen Schmierkäse im Urwald jagen, während sich die Sojamilch schlürfenden Tucken in einem Milieu bewegen, das der nur peripher mit Niveau belastete Bescheuerte so abgrundtief verachtet, weil er nie dazugehören wird. Statt also den eigenen Konsum zu reflektieren, was schon bei Auto und Flugzeug, Elektroschrott, Billigtextil und Wegwerfplaste nur zur Erkenntnis führt, Teil des Problems zu sein, wird die Abneigung gegenüber den Bessermachern nur zunehmen. Ähnlich wie andere Ideen, die eine systemische Veränderung der Gesellschaft zu einer lebenswerten und nachhaltigen Umgebung für alle auslösen, will er gerade dies nicht: eine Auswirkung auf alle, also letztlich auch auf ihn selbst. Solange eine Verbesserung nicht nur ihm selbst nützt, will er sie nicht, und geht es ihm nicht besser, ist er schon zufrieden, wenn es anderen schlechter geht.

Um diese Parallelexistenzen endgültig in die wohlverdiente Hirnembolie zu treiben, empfiehlt sich das Insektenparadox. Enthemmt blöken Bäcker von kerbtiertfreien Produkten – was der Wahrheit in den seltensten Fällen entspricht – als wären Würmer und Schrecken plötzlich wie Zwangstofu staatlich mit der Knute durchgesetzte Tierfresspflicht. Sicher nicht von den Veganern. Die würden nicht einmal welkende weiße Männer essen. Igitt.





Gernulf Olzheimer kommentiert (DCLIX): Der regelnde Markt

14 04 2023
Gernulf Olzheimer

Gernulf Olzheimer

Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.

Nichts scheint derart transzendent, vollkommen und absolut wie diese Dinger, die Heiligkeit für sich beanspruchen. Höchstens noch Nationen, wo nicht der unmittelbare Übergang in die Religion sichtbar wird. Und natürlich der Markt, das perfekte Wesen, das nach Ansicht von Theologen in den Chefetagen regelmäßig kollabierender Konzerne nur deshalb nicht funktioniert, weil sich immerzu Menschen im Getriebe aufhalten. Alles kann die unsichtbare Hand alleine, vor allem regeln – es sei denn, Angebot und Nachfrage funktionieren tatsächlich einmal so, wie es den Profiteuren der Wirtschaft nicht in den Kram passt. Dann muss das Regeln reguliert werden, am besten durch Deregulierung, und auf einem mehr oder weniger sinnlosen Umweg kommt die ganze Grütze da an, wo die Logik es will: im Versagen des Marktes. Denn nur dazu ist der Kapitalismus gut.

Bereits mit der vollständigen Konkurrenz, in der jeder Depp seinen Industriekonzern gründen kann, fällt die Grundvoraussetzung, die genügend großes Kapital erfordert, das sich marktwidrig akkumuliert in einem System, das nur Arbeit besteuert, nicht aber arbeitslosen Besitz – allen Mythen zum Trotz hat sich noch kein Tellerwäscher zum Millionär emporgeschwiemelt, und das wäre für neoliberale Apologeten eine Marktverzerrung, die unverzüglich bekämpft werden müsste. Zwar lallt der geistige Bodensatz in jedem Wahlkampf, Leistung müsse sich wieder lohnen, aber das ginge doch eben nur mit der Abschaffung des Kapitalismus.

Kaum ein Aspekt wurde in den vergangenen Jahrzehnten so ausgiebig ignoriert wie die Effekte von Individualverkehr und Energieerzeugung auf das Klima. Wie schön lässt sich daran zeigen, dass der kurzfristige Gewinn, den die Politik in einem als Ökonomie getarnten Casino als größtes Glück für die Vermögenden verklärt, stets eine Belastung für die Mehrheit erzeugt, die mit Umweltbelastung oder Verteuerung allein gelassen wird, wenn die Straßen verstopft, die Brennstäbe leergelutscht, die Atmosphäre mit CO2 gesättigt sind. Die externen Kosten werden dem Verbraucher als Abschiedsgeschenk hinterlassen, das nur durch den Anstieg von Staatsschulden getilgt werden könne – der Gottseibeiuns für die Arschgeigenkaste, die ihr Privatvermögen mit der Zerstörung des Planeten in Sicherheit gebracht haben – oder durch Verzicht auf Güter wie Wasser, Luft und Wohnraum. Bringt man diese Opfer nicht, so rettet der verhasste Staat gerne die Leidtragenden, etwa Mineralölhöker mit eigener Dealerkette, und hofft, dass die Subventionen, die sich eigentlich nur kommunistische Planfetischisten wünschen, nicht von der Unterschicht für Schnaps und Kippen ausgegeben werden. Öffentliche Güter gar, Straßen und Brücken, werden dem Bürger ohne Gegenleistung zur Verfügung gestellt, und verfolgt man den Ansatz der permanenten Steuersenkung, wie es der Nachtwächterstaat tut, zahlt niemand für diesen Allgemeinbesitz – es sei denn, man stampft für die Amigos eine Firma aus dem Boden, die eine Maut eintreibt für Straßenbeleuchtung und Schulen. Und schon warzt das Allgemeinwesen wieder an den externen Effekten ab, die aus unterfinanzierten Kliniken einen maroden Arbeitsmarkt macht oder aus einem von Blödföhnen seit Generationen in die Tonne getretenen Schienennetz eine Belastung für den Güterverkehr. Je öfter der Staat mit gezielter Dummheit in den Markt eingreift, indem er Flugreisen durch steuerfreies Kerosin attraktiver macht oder für lange Zeit Mondpreise im deutschen Telekommunikationssektor förderte, während alle angrenzenden Staaten sich ins Fäustchen lachten, desto sicherer vollzieht das System sein Versagen, denn dies ist immanent, wenn man in einem System lebt, das ständig gerettet werden muss, damit wir in weiter einem System leben können, das ohne diese Rettung nicht überlebensfähig wäre.

Den Beweis dafür lieferten die französischen Kolonialherren in Vietnam, die der Rattenplage in Hanoi Herr werden wollten und eine Prämie auf die Schwänze aussetzten. Die armen Bauern schnitten den Ratten die Schwänze ab, ließen sie aber am Leben, damit sie sich ungehindert fortpflanzen und die Stadt bevölkern konnten – die Besatzer zahlten sich dumm und dämlich, wie der Legende nach die Briten in Indien, die die Verbreitung der Kobras mit Preisgeldern einzudämmen versuchten und für eine private Schlangenzucht sorgten, so dass am Ende die Staatskasse leer und die Population größer war als je zuvor. Der Markt hatte auf die Nachfrage mit stetig wachsendem Angebot reagiert, ohne sich mit der Frage aufzuhalten, ob ein volkswirtschaftlicher Nutzern dahinterstecken könnte. Er hatte nur sein vollständiges Versagen zelebriert, Arbeit um ihrer selbst willen geschaffen und Entgelt dafür gezahlt, dass der Wille der Wirtschaftslenker geschehe, von Staatsversagen durch die Eigeninteressen des Volks einmal abgesehen. Darin zeigt sich auch die ganze Verachtung des Volkes in der Volkswirtschaft, wenn man es unaufhörlich anstachelt, rücksichtslos die eigenen Interessen zu verfolgen, dann aber nicht damit rechnet, wenn es dies tatsächlich auch tut. Die Folgen der Markteingriffe treffen selten diejenigen, die sie erforderlich machen. Wir wären sonst längst im Sozialismus. Oder im Krieg.





Gernulf Olzheimer kommentiert (DCLVIII): Libertärer Autoritatismus

7 04 2023
Gernulf Olzheimer

Gernulf Olzheimer

Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.

Seit längerer Zeit ist der zurechnungsfähige Bürger von kognitiven Kollateralschäden umgeben, die er sich nur mit größerer Mühe vom Leib halten kann, will er nicht an Leib und Leben Schaden nehmen oder irrtümlich dem feindlichen Blödföhn die organischen Voraussetzungen zum Oxidieren entziehen. Doch gesetzt den Fall, einer der Deppen würde ihm auf dem Parkplatz vor dem Supermarkt in wildem Wutgebrüll die Krücken weghauen und ihn zu Boden reißen wollen, weil er die Gehhilfen für die Erfindung internationaler Echsenmenschen zum Austausch der gesunden Mitteleuropäer gegen die grünen Kriechtiere aus dem Erdinneren hielte, es ist nicht auszuschließen, dass der Koksgnom die Aluröhren samt Griff in die Gesichtsreste bekäme und fortan schwiege. Was nach Kasperade aus dem Kabinett der Medikamententester klingt, ist schon vorgekommen, nur dass es den Hohlrabis dabei um einen einfachen Mundschutz ging, den angeblich die Weltregierung als Symbol der Unterwerfung denen verpasst hat, die noch genug Hirn unter der Kalotte hatten. Das Phänomen der Querstullen kam nicht überraschend, wenn man den Weg dorthin mit offenen Augen sehen wollte. Es hat etwas zu tun mit dem libertären Autoritatismus.

Im Gegensatz zur Anarchie, die die Freiheit des Einzelnen als Maßstab einer herrschaftsunabhängig sich regelnden Ordnung anerkennen, sind Libertäre vom rücksichtslosen Gebrauch der eigenen Freiheit überzeugt, um ihre Ansprüche zu maximieren und jede staatliche Gewalt zu untergraben. Dieses mit dem Neoliberalismus salonfähig gewordene Mantra der Individualkonkurrenz hat soziale Bindungen nicht nur gelöst, es hat sie für nichtig erklärt, um jede Art von Regulierung als gewaltsamen Eingriff in die Privatautonomie framen zu können – ob als Steuern, Parkverbot oder Tempolimit, das absolute Recht auf Eigentum und Verfügung auch ideeller Dinge wirkt in dieser religiösen Verehrung des Ego als Dogma, das zu hinterfragen sofort als Zeichen von Schwäche gehen wird. Und Schwäche ist bei Anhängern eines Steinzeitkultes gefährlich.

Wie die demonstrierenden Dumpfnulpen sich in jeder Menge Schnappatmungsgeplapper einen Brei aus individueller Souveränität und Hass auf diese linkslinke Demokratie anrühren, die angeblich alles verbietet, weil sie es kann, so zeigt sich auch beispielhaft die Ablehnung des Genderns, vor allem durch Kabarettaushilfen, präsenile Parteibonzetten oder andere aufmerksamkeitsentwöhnte Heulbojen aus dem psychotischen Spektrum, als gefundenes Fressen, um ihresgleichen mit Primatengekreisch zu Hause abzuholen; die narzisstische Kränkung setzt bei Hirnschadensympathisanten für gewöhnlich ein, sobald sie von anderen als drittklassige Schranzen enttarnt werden, und sofort reagiert die Psyche mit der üblichen Regression zum Es. Und also lässt sich folgern, dass die permanent freiheitsfetischistisch plärrenden Arschgeigen sich nicht von Vulgärnazis unterscheiden, sie wollen die egalitäre Gesellschaft zerstören, ob nun von außen oder von innen.

Nicht zufällig zieht dieser Sekundenschlaf der Vernunft rechte Ideen an, die autoritäre Charaktere als Gerüst für ihre chronische Egoschwäche nötig haben, jedoch nicht allen in Gestalt des starken Mannes, auch wenn der gerade als Kriegsherr mit Schmackes die Fresse poliert kriegt, sondern auch als aufgepumptes Es, das jede Kontrollinstanz zur Not mit verschwiemeltem Verschwörungsgerülpse ausschaltet, um Recht zu behalten – eine putzige Form der Selbstermächtigung für Würstchen, die das Überleben in ihrer verschissen überflüssigen Randexistenz nicht selten diesem Staat verdanken, den sie auch mit Waffeneinsatz beseitigen wollen. War früher die Ablehnung jeglicher Solidarität mit Schwächeren quasi Zugangsvoraussetzung zu den neoliberalen Zirkeln, hat sich der militante Hass auf Ordnungsorgane längst bis zu Jugendlichen bewegt, die die Zersetzung staatlicher Gewalt durch seine eigenen Organisationsformen förmlich am eigenen Leib spüren: durch Law-and-Order-Vogelscheuchen im Bereich der inneren Sicherheit, Kokettieren mit Ignoranz im Klimaschutz oder dümmliches Gekeife welkender weißer Masturbationsversager, die der Jugend die Faulheit und Gier vorwerfen, die sie selbst aggressiv als ihr Privileg durchsetzen.

Und so weist ihr Über-Ich zorngreinend das Offensichtliche zurück: dass sie ganz gewöhnliche Faschisten sind, deren Freiheitswillen Distinktion durch Besitz anstrebt, mit Besitz, der nur dann als standesgemäß gilt, wo man ihn unter Verstoß gegen die für alle anderen geltenden Regeln erlangt. Nicht selten inszeniert sich diese Kaste als Rebellen, die das übermächtige System bekämpfen, besonders erbärmlich in Gestalt eines Regierungsminions, das seinen Herrn Jesus mehr liebt als die Verfassung und dafür das Ansehen der Republik verschachert. Hand in Hand mit dem Brüllmüll torkeln klinisch bekloppte Deppen durch ihre private Wahnwelt aus Chemtrails und eFuels, BRD GmbH und Flacherde, Fusionsenergie und Trickle-down-Ökonomie, die alle nur in einer Psychosekte funktionieren.

Schlagen wir sie mit den eigenen Waffen, und reicht Canceln bei dieser Heulsusenrotte nicht, dann eben mit Handarbeit. Sterblich sind wir ja alle.





Gernulf Olzheimer kommentiert (DCLVII): Das Märchen von der fremden Gewalt

31 03 2023
Gernulf Olzheimer

Gernulf Olzheimer

Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.

Das war bei Rrt noch verhältnismäßig einfach. Wer ungefragt seinen Wurfspeer anfasste, kriegte einen Satz heiße Ohren. Ob nur die Sippe am Bach bei der westlichen Felswand ihre Alltagsfragen auf diese Art klärte, weiß heute keiner mehr, doch liegt die Vermutung nahe, dass es in den Erdhöhlen der Steppenbevölkerung ähnlich zuging. Wüssten wir, wer aus welchem Antrieb die Impulskontrolle verlor, wir würden die Ergebnisse strukturieren und zum Ergebnis kommen, dass sich die Stämme zwar alle gegenseitig eine reinzimmern, wenn es gerade passt, dass wir sie aber anhand kleiner Unterschiede durchaus in Gruppen sortieren können, stets mit der Implikation der Wertigkeit, denn was wären solche Untersuchungen ohne selbstgefällige Moral. Eine ethnologische Betrachtung von Gewaltformen ist zwar theoretisch wenig sinnvoll, da es auch keine allgemeingültige Definition der Gewaltformen gibt, aber nichts hindert uns daran, derlei Märchen in die Welt zu setzen – warum also nehmen wir uns nicht einmal unsere eigene westliche Zivilisation vor?

Speziell der Deutsche reklamiert für sich, nicht mit den primitiven Hominiden in einen Topf geworfen zu werden, die er sonst als minderwertige Zuwanderer gerade noch erduldet, auch wenn er sie nur auf dem Arbeitsmarkt als Hilfskräfte verwenden und sofort aus dem Land schmisse, weil sich ihre rassefremde Hautfarbe nicht mit dem Straßenbild vertrüge – ihnen die deutsche Staatsbürgerschaft zu verleihen wäre nach Ansicht der Arschgeigen mit besser verstecktem Migrationshintergrund ohnehin blanker Volksverrat. Woher also die Hybris, nur der Einwanderer wäre aus Hass auf Personen, die nicht seinem sozialen Hintergrund entsprächen und nicht seine Ideologie teilten, zu gewalttätiger Praxis fähig und würde sich einen feuchten Fisch um geltende Gesetze scheren? Neigt nicht der Deutsche aus tief verwurzeltem Nationalwahn, andere Ethnien als unbrauchbare Evolutionsversager zu bekämpfen, in struktureller Gewalt, die seine eigene Unfähigkeit, sich an die Realität anzupassen, kaum verbirgt? Hat nicht der Teutone quasireligiös verschwiemelte Ansichten zur Gewaltausübung, die er auch mit der Axt in der Hand noch als Notwehr deklariert, weil ja der böse Kriegsflüchtling seine Heimat durch die reine Anwesenheit schädigt und am Ende genetisch verwässert? Glaubt er nicht in einer Art Hexenwahn an die Weltverschwörung, deren Urheber er trotz industriellem Genozid und bewaffnetem Volkszorn nicht ausgerottet bekommt? Sperrt er sich nicht manisch dagegen, dass man seine Gewaltausübung hinterfragt, wenn irgendein Soziopath ein Dutzend Menschen abknallt, während die Polizei genervt ist, dass sie nachts ausrücken darf? Und beharrt er nicht darauf, dass Gewalt als solche nicht missverstanden wird und sich daher schon selbst rechtfertigt?

Alles das wirft der angeblich gesittete Germane den Fremden vor, etwa ein antiquiertes Denkmuster von Ehre und sozialem Rollenverständnis, das in Kapitalverbrechen endet – begeht er selbst Mord und Totschlag, meist Femizid oder Selbsttötung in erweitertem Rahmen, bauscht er seine Opferrolle post mortem zur Familientragödie auf, als hätte es in letzter Verzweiflung keine andere Möglichkeit gegeben, als den ehernen Gesetzen symbolischer Gewalt zu gehorchen. Einen Ehrenmord würde der Rheinländer ja nie verüben, mutmaßlich mangels vorhandener Ehre.

Interpretieren wir Gewalt als kommunikativen Akt, der durch Symbolkraft an Bedeutung gewinnt, wird auch klar, dass beispielsweise Racial Profiling als bedauernswerte, aber letztlich nur pragmatische Handlung zur Sicherheit der Mehrheit durchgesetzt werden muss, egal, was nun in diesem Grundgesetz wieder drinsteht. Ruft eine faschistische Tunte vor dräuender Umvolkungsgefahr dazu auf, dass das Deutschtum männlicher werden müsse, liefert das Heldenideal bereits Feindbild und implizite Freund-Feind-Raster mit, aus denen jeder den Auftrag zu stochastischem Terrorismus heraushören kann, der aus der herbeifantasierten Wehrlosigkeit des Staates die Anwendung von Gewalt durch kriegerische Eliten ableitet. Dies mündet im Paradox, dass die Reichshackfressen ihre eigene Staatsgewalt gegen den nicht existierenden Staat ausüben wollen.

Und so haben auch hoch entwickelte Staaten hinreichend Erfahrung mit einem Gewaltkontinuum von sozialer Ausgrenzung, Fremdkategorisierung, Entmenschlichung bis zur Versachlichung, die den Völkermord als logistische Leistung anerkennt, die nur deutsche Experten so reibungslos auf die Kette gekriegt hätten. Gewalt ist also keine Ausnahme der ansonsten friedlichen Gesellschaftsordnung, dient nicht eben selten zur Stabilisierung vorherrschender Werte und des Normalzustandes, der scheinbar von außen durchbrochen wird, wenn die Wirklichkeit sich wieder nicht an die Hausordnung hält. Wir haben die Destruktivität bereits so verinnerlicht, dass wir ihre Folgen als alternativlos markieren und von Opfern eine Entschuldigung verlangen. Nicht nur ungezügelte Aggression, auch die zwanghafte Unterordnung, die keine Macht verleiht, zerstört. Darum ist unsere größte Bedrohung derzeit der gewaltlose Protest, sich auf die Straße zu kleben. Wer duldet schon Ethik, der sie selbst nicht hat.





Gernulf Olzheimer kommentiert (DCLVI): Todeskult Kapitalismus

24 03 2023
Gernulf Olzheimer

Gernulf Olzheimer

Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.

Keiner wird ernsthaft behaupten wollen, der Mensch sei eine vernunftgeleitete Art, die sinnvoll ihre irdischen Ressourcen nutze, sie zur Erhaltung ihres Lebensraums zielgerichtet einsetze und ihrer Verantwortung gerecht werde, um ihre Existenz auf diesem Rotationskörper so lange wie möglich zu erhalten; zumindest die letzten Jahrhunderte hat er damit verbracht, als intellektueller Heckenpenner alles zu verschandeln, was er in seine schmierigen Finger bekommen konnte, mehr noch: es mutwillig zu zerstören, bevor es anderen nützt. Um sich aber gegen seine eigene Dämlichkeit zu imprägnieren, greift er zu dem Trick, mit dem er alles in seiner sozialen Zusammenrottung zu entschuldigen sucht, Mord und Totschlag, Fremdenhass, Kriege, Gier, die alle plötzlich planvoll werden, schiebt man sie einer höheren Wesenheit in die Schuhe, die sie befiehlt, zumindest billigt oder wenigstens mit dem notwendigen Ritualgehampel schnell verzeiht. Was wäre der Hominide ohne seine Wahnvorstellungen, die er Religion nennt, und was wäre diese Auswahl ohne den wirrsten Hirnplüsch, den Kapitalismus.

Dass Kapitalismus wie andere Glaubenssysteme als ordinäre Fetischanbetung entstand, Arbeit als zeremoniell verrichteten Kult installierte – wie in jeder anderen Religion dient der Ertrag der rituellen Handlungen natürlich auch nur einer Priesterkaste und nicht den Gläubigen – und den Reichtum als höchstes Ziel so weit transzendierte, bis man nicht mehr wusste, was Geld eigentlich bedeutet, steht außer Frage, ebenso die Einordnung als eigenes religiöses Ding, das dieselbe betäubende Wirkung auf die existenziellen Ängste ausübt, das es selbst im Schlaf der Vernunft schürt. Weder Dogmatik noch Theologie braucht solch ein Kult, der auf reine Gefolgschaft setzt, die gesamte Existenz mit allen Bestandteilen wie Gesellschaft, Beziehungen und Kunst, Gesundheit, Ethik oder Natur okkupiert und zertrümmert, um sich Konkurrenz vom Hals zu schaffen. Der Kapitalismus setzt auf die Ewigkeit, die sich im widersinnigen Wachstum manifestiert, das schon mit einfachen Grundrechenarten in einem geschlossenen System widerlegt werden kann, es sei denn, man fasst exponentielle Progression als grundlegend positiv auf, wie beispielsweise Krebs.

Unterscheidet sich der Kapitalismus vom bisher praktizierten Mummenschanz, der Erlösung und Entsühnung predigte, so setzt er auf Ewigkeit, und zwar in der exponentiellen Verschuldung, die nicht mehr ist als wachsende Werte auf der Haben-Seite der Vermögenden – wenngleich auch die aus allerlei Widersprüchen zurechtgeschwiemelte Erbsünde als Voraussetzung der Erlösungsbedürftigkeit gut als Knute fürs betende Volk taugt. Dass der Gott des Kapitals in seinem zertrümmernden Machtanspruch vor den Gläubigen verheimlicht wird: geschenkt.

Wie alle Formen vormoderner Frömmigkeit bis ins letzte Detail das Leben ihrer Anhänger rigide regelten, kodifizierten, sanktionierten, greift diese Wirtschaftsordnung in alle menschlichen Strukturen ein, als wären es ökonomische. Nicht erst das von Neoliberalen über die Gesellschaft gestülpte Prinzip des allgemeinen Konkurrenzdenkens, das durch die Beschneidung der monetären Möglichkeiten nur in einer Kannibalisierung der Menschen endet, höchst amüsant anzusehen für die vermögende Schicht, ist der Schlüssel für die zersetzenden Mechanismen die zielgerichtete Aneignung aller Ressourcen, Öl und Arbeiter, Boden und Pfleger, kurz: alles, was sich privatisieren und damit eigenverantwortlich eliminieren lässt. In einem eschatologischen Kult aber kann es nur eine Richtung geben, nämlich den der vollständigen und endgültigen Vernichtung der Lebensgrundlagen. Anders würde ein Todeskult gar nicht funktionieren, und der Kapitalismus gibt sich kaum die Mühe, dies zu verbergen.

Ein überwiegend von alten weißen Männern praktiziertes Ausleben des Todestriebs, meist auf die kommenden Generationen verschoben, was es so unangenehm macht, wenn die Rechnung dafür schon früher kommt, verspricht allenfalls hier und da Anpassung oder Ausgleich – schöner sterben, aber immer noch unumkehrbarer mythischer Ritus einer Erfüllung, die produkttypisch beim Versuch der Annäherung um so weiter in die Ferne abgleitet, während ganz real eine Orgie aus Enteignung und Völkermord tobt, die nur noch mit Gewalt vor ihren eigenen Konsequenzen fliehen kann: Flüchtlinge müssen im Meer ertrinken, indigene Völker auf den Resten ihrer Äcker verbrennen, Obdachlose auf den Straßen verhungern, weil sonst die Börsenkurse um ein paar Prozentpunkte weniger schnell wüchsen. Es wird nicht einmal mehr herumreformiert oder an den Symptomen gepopelt, wir haben wieder den Ständestaat zurück, in dem die Raubritter ihre Güter mit dem Schwert vor den Hörigen schützen und sich dabei willfähriger Idioten bedienen, die noch in kindlichem Erlösungsglauben dafür auf Wohlstand hoffen. Um einen Arbeiter zu zerstören, braucht ein Großkapitalist ein börsennotiertes Unternehmen, eine Produktionsstätte, Schichtplaner, Werkschutz, jede Menge Maschinen und giftiges Zeugs, miese Ernährung, gierige Bänker, skrupellose Vorstände, verlogene Lobbyisten und ignorante Medien. Dabei würde das umgekehrt viel schneller funktionieren.