Gute Reise

5 12 2013

„… das im Koalitionsvertrag zwischen Union und SPD vereinbarte Einreiseregister als erste Maßnahme realisiert worden. Die Ausweitung der Vorratsdatenspeicherung auf alle Ausländer sei eine der gravierendsten Maßnahmen der…“

„… die Sozialdemokraten die Einschränkung der Einreise verteidigt hätten. Gabriel habe die Regelung nach eigenen Angaben erheblich verschärft, dies sei jedoch durchaus im klassischen sozialdemokratischen Sinne geschehen, dass es nicht noch schlimmer…“

„… Bulgarien und Rumänien trotz ihrer EU-Mitgliedschaft als Drittländer zu klassifizieren. Seehofer habe bestätigt, diese Entscheidung bis zur letzten Patrone…“

„… noch nicht weit genug gehe. Lucke fordere, auch Bürger der EU sollten ihre Einreise nach Deutschland grundsätzlich beantragen müssen. Der Führer der rechten Splitterpartei habe zugesagt, jedem Ausländer ein Aufenthaltsrecht zuzugestehen, solange dies im Ausland…“

„… eine gesonderte Einreise in den Freistaat Bayern zu beantragen. Seehofer wolle eine generelle Antragspflicht für die Einreise einführen, soweit diese EU-rechtlich zu realisieren sei, davon ausgenommen seien jedoch Deutsche, die die Kosten für eine Einreiseplakette…“

„… habe IM Friedrich betont, dass auch weiterhin grundsätzlich Reisefreiheit herrschen müsse, solange Deutschland mit einer lückenlosen Kontrolle bestimmen könne, wer nicht einreisen…“

„… sich bei Grenzkontrollen schwierig gestalte. Da der Grund der Einreise vorher anzugeben sei, müsse man Standardformulierungen wie ‚Urlaub‘, ‚Dienstreise‘ oder ‚Kriminelle Absichten‘ im Einzelfall auch genauer…“

„… problematisch, ob bereits in die EU eingereiste Personen bei der Einreise in Deutschland noch kontrolliert würden, da es dafür keine rechtliche…“

„… nach einer Einreisebeschränkung auch den Aufenthaltsort innerhalb Deutschlands zu kontrollieren. Die Bundesregierung habe dies mit der Absicht begründet, dass Touristen nur in einer Kommune Geld ausgeben sollten, so dass die Residenzpflicht für ausländische Reisende…“

„… trage es zur allgemeinen Sicherheit bei, wenn Ausländer ein gelbes Abzeichen sichtbar auf der Oberbekleidung…“

„… klage der bayerische Tourismus über den Mangel an Reisenden, was die Euphorie Dobrindts, endlich ein von Fremdrassen befreites Land zu sein, nur mangelhaft kompensiere, vor allem unter fiskalischen…“

„… sei eine Datenbank für Fingerabdrücke nicht geplant, jedoch technisch möglich und daher durchaus im Bereich der sinnvollen…“

„… dass für die Überwachung von Nichtdeutschen auch eine elektronische Fußfessel bestens geeignet sei. Das BKA erwarte eine gute Zusammenarbeit mit den Gremien des Fremdenverkehrs, so dass eine reibungslose Aufsicht…“

„… habe für IM Friedrich eine Fingerabdruck-Datenbank nur dann ermittlungsrelevante Tauglichkeit, wenn sie zu Vergleichszwecken auch DNA-Proben sämtlicher in der EU gesuchter…“

„… die Fingerabdruckscanner überflüssig mache. Die Berechtigungskarte, das Gebiet der BRD zu betreten, könne gegen geringe Gebühr in den Botschaften in jedem akkreditierten Staat ausgestellt werden. Sie sei für vier Jahre gültig und könne, ähnlich wie der Bundespersonalausweis, im ganzen deutschen Internet…“

„… als Modellversuch gestartet. Der Übertritt an der Sektorengrenze Neukölln werde nun rund um die Uhr kontrolliert, um Passanten mit Migrationshintergrund die problemlose Fahrt von einem Bezirk in den anderen…“

„… es auch um Arbeitsplätze gehe. Ziercke verspreche sich eine wesentlich höhere Trefferquote, wenn sich sämtliche Ausländer sofort nach der Geburt registrieren ließen. Kritiker seien jedoch der Meinung, mehrere Milliarden Speichelproben wären nur mit erheblichem Aufwand an Sicherheitspersonal…“

„… dass Personen nur wegen ihres fremdländischen Aussehens angesprochen würden. Dies, so IM Friedrich, könne die Polizei nur durch eine gleichmäßige Nacktkontrolle sämtlicher einreisewilliger…“

„… die Bundeswehr im Innern nicht eingesetzt werden dürfe, weshalb die Grenzkontrollen weiterhin der Polizei vorbehalten blieben. Eine Ausweichlösung sei es jedoch, internationale Truppen zum Einsammeln von Speichelproben und Fingerabdrücken zu einreisewilligen Personen…“

„… zu einem folgenschweren Zwischenfall gekommen sei. Der mit mehreren Schusswaffen, Sprengstoff und Zündern ausgerüstete Reisende habe seinen Reisegrund ordnungsgemäß mit ‚Alle Ungläubigen in den Tod schicken‘ angegeben, die Einreisebehörde habe dies jedoch für einen dummen Scherz…“

„… widersprochen, dass nichteuropäisches Aussehen den Ausschlag gebe. IM Friedrich wolle durch die Kontrolle sämtlicher Körperöffnungen vor allem Deutschenfeindlichkeit entdecken sowie eine engere…“

„… dass zum 1. Januar 2015 alle Deutschen eine Ausreise in die umliegenden EU-Länder nur noch durch einen schriftlich begründeten Antrag…“





Irgendwie auffällig

26 07 2011

„Ob sich Ihr Sohn auf der Liste befindet? Liste? Welche Liste? Eine Liste für – hören Sie, gnädige Frau, diese Liste gibt’s ja gar nicht, die kann es nicht geben, weil es sie nicht geben darf, verstehen Sie, und außerdem habe ich wegen Datenschutz gar keine Sicherheitsfreigabe, um in die Liste zu…

Ganz recht, gnädige Frau, Datenschutz. Nur für die Presse machen wir ab und zu eine Ausnahme. Weil die Daten von denen, die gemeingefährlich oder irgendwann mal gemeingefährlich, das ist ja noch nicht raus, ob da wirklich eine Gefahr von denen ausgehen könnte, deshalb brauchen wir ja diese Liste jetzt schon. Damit man dann später sagen kann, dass man den Täter schon hätte kennen können. Wegen irgendwas. Das macht dann viele Dinge auch einfacher. Schuldzuweisungen an die Datenschützer beispielsweise. Oder die, die da jetzt der Ansicht sind, nur weil man da nichts wusste, hätte man nicht bei anderen irgendwas entdecken können. Darum auch diese Liste jetzt für Personen, die irgendwie auffällig sind.

Ja, irgendwie halt. Fragen Sie mich nicht, was jetzt ‚irgendwie‘ heißt. Oder ‚auffällig‘. Ihr Sohn ist zwei Meter groß? Das hat nichts zu sagen, gnädige Frau. Unsere Abteilung für Vererbungsforschung hält sich da raus. Der Datenaustausch funktioniert nämlich nicht immer. Wichtig wird es, wenn man feststellt, dass da mehrere einzeln nicht auffälligen Auffälligkeiten auffällig oft auffallen. Körpergröße zwei Meter, deutscher Staatsbürger, männlich – Ihr Sohn ist doch männlich? weiß man das heutzutage? – das ist ja einzeln so noch nicht schlimm. Aber wissen Sie, ob nicht in der Kombination irgendeine Gefahr lauern könnte, und sei es aus reinem Zufall? Ich meine, es ist rein theoretisch ja nicht auszuschließen, dass ein zwei Meter großer Mann irgendwie auffällig wird. Sogar als Deutscher!

Student, das heißt noch gar nichts. Gnädige Frau, dass Ihr Sohn studiert, ist zwar noch kein belastendes Indiz, aber man muss das natürlich in der gesamten Beweiskette berücksichtigen. Das ist jetzt vielleicht schon strafverschärfend, genau weiß ich das natürlich nicht, ob das für männliche Straftäter über zwei Meter schon automatisch gilt, wenn sie deutsch sind. Das ist doch die Schwierigkeit – als Deutscher war man nach der vorletzten Dienstanweisung automatisch auffällig, weil man als Deutscher in Deutschland ja irgendwie völlig unauffällig sei, und das sei ja auch irgendwie schon wieder irgendwie auffällig. Oder so.

Im Vertrauen, es geht ja auch manches bei uns ganz schön schief. Allein diese Nachforschung nach kruden Gedanken – der Abteilungsleiter im BKA wusste gar nicht, was ‚krude‘ ist. Er meinte, er sei ein weltoffener und toleranter Mensch, und was man denen im Dritten Reich angetan hätte, das sei auch wirklich nicht mehr schön gewesen, aber wenn seine Tochter mit so einem ankäme, dem würde er, und zwar mit der Dienstwaffe.

Im Tischtennisverein? Studentengemeinde? Das könnte natürlich auch schwierig werden, Verstehen Sie mich nicht falsch, gnädige Frau, aber ich habe so den Eindruck, Ihr Sohn sucht Anschluss? Früher war er im Fanfarenzug? Das könnte jetzt irgendwie schon auffällig sein, dass er sich einfach so in die Gesellschaft begibt, wo da doch die Gefahren lauern. Stellen Sie sich mal vor, Sie lernen da Menschen kennen, die Sie noch gar nicht kennen – das ist doch irgendwie auffällig, oder?

Ganz falsch, ganz falsch. Wenn er jetzt den Kontakt zu den Vereinskameraden abbricht und sich auf sein Studium konzentriert, wird es früher oder später auch irgendwie auffällig sein. Einzeltäter, Sie wissen schon. Wenn man alles alleine tut, wird man nämlich zum Einzeltäter. Und das wollen wir doch nicht, gnädige Frau. Zumal der Ermittlungsansatz auch nicht so gut zu handhaben ist. Als Einzeltäter werden Sie zwar irgendwie auffällig oft in die Liste aufgenommen, aber es bringt ja gar nichts. Wir untersuchen nämlich vor allem die Kommunikation, und wenn Ihr Sohn mit niemandem kommuniziert, weil er ja eben ein auffälliger Einzeltäter ist, dann ist er für uns als Täter quasi irgendwie nicht gut brauchbar. Obwohl ihn das irgendwie auch schon irgendwie auffällig macht. Weshalb er dann ja auch in der Liste stehen würde, wenn er auf der Liste ist.

Wobei, etwas schwierig ist das mit der Studentengemeinde schon. Der von der Polizeigewerkschaft meinte, man müsse gleich jeden aus dem Verkehr ziehen, der eine Weltanschauung habe. Gesunde Menschen haben keine Weltanschauung, hat er gemeint, die sind geimpft und fertig! Und wenn jemand schon eine Ideologie hätte und ein Weltbild, das die anderen Weltanschauungen definitionsgemäß als falsch bezeichne, dann soll man dem so richtig eins in die – fand das erzbischöfliche Ordinariat auch nicht gut, und hätten Sie gewusst, wie schnell man exkommuniziert werden kann?

Ich kann Ihnen jetzt wirklich nicht sagen, ob Ihr Sohn da schon drinsteht, gnädige Frau. Das ist ja auch deshalb, weil wir diese Liste im Augenblick noch gar nicht brauchen können. Die wird erst aktiviert, verstehen Sie? Für später, nicht wahr, wie eine Videokamera: die kann zwar auch nichts verhindern, Straftaten sowieso nicht, auch keine Verbrecher fangen, aber man kann hinterher so tun, als wäre es für die Fahndung unverzichtbar. Wir brauchen diese Liste, wenn wirklich etwas passiert ist. Mord, Totschlag, Bombenattentate. Wenn wir dann sagen, wir hätten es ja längst wissen können, dann haben wir unser Ziel erreicht. Dann kommt die nächste Stufe. Kein Fernmeldegeheimnis mehr, kein Briefgeheimnis, und immer so weiter, weil es ja vorher noch nichts bringt. In jedem Keller ein Polizist, in jedem Raum ein Mikrofon. Weil wir ja alle irgendwie auffällig sind, gnädige Frau. Mehr oder weniger. Oder irgendwie auffällig werden könnten. Und wissen Sie was, gnädige Frau? Der Herr Innenminister und der Herr Sarrazin, der Uhl, der Wendt und der Ziercke, alle stehen sie auf der Liste – bei der Nachbarschaft, meinen Sie nicht, dass aus Ihrem Sohn noch mal was wird?“





Im Raster

10 03 2011

„Das weiß natürlich alles unsere Maschine“, verkündete Krook. „Und wir stellen durch die komplette Anonymisierung auch sicher, dass die Daten nicht in rechtswidriger Weise verwendet werden dürfen. Diese Sache wird viel besser als ihr Ruf.“ Er streichelte über die Rechenanlage. Hier also sollte die Volkszählung ihre Daten abladen.

„Das ist selbstverständlich alles vollkommen harmlos“, beruhigte er mich. „Wenn Sie jetzt beispielsweise herausfinden wollen, ob in Deutschland Buddhisten in Wohnungen mit mehr oder weniger als dreieinhalb Zimmern wohnen oder ob sie Kinder haben, dann lässt sich das ganz schnell errechnen. Vollkommen sicher natürlich.“ „Mal angenommen“, fragte ich, „Sie würden auf den Gedanken kommen, Sie würden sich dafür interessieren, ob diese Buddhisten ausreichend verdienten, um sich fünf Zimmer zu leisten, aber trotzdem in weniger als dreieinhalb wohnten, das wäre möglich?“ „Keine Frage“, erwiderte Krook mit stolzgeschwellter Brust. „Für unsere Datenbank sind doch solche Abfragen ein Kinderspiel! Und wir können mit ein wenig Interpolation…“ „Sie meinen, Sie frisieren die Daten?“ „Keinesfalls, wir ziehen nur Rückschlüsse. Wenn Sie beispielsweise in mehr als fünf Zimmern wohnen oder in einem Reihenhaus, dann befindet sich diese Wohnung in einem anderen Wohngebiet als… was war Ihre Frage?“ Ich winkte ab. „Ach, nichts.“

Krook tippte in seiner Suchmaske herum. „Sie haben hier ein sehr effektives, gut dokumentiertes System. Es ist so gut wie kein Fehler mehr möglich, weil wir alles noch korrigieren können.“ „Wie machen Sie das?“ „Schauen Sie hier: die Daten zu Ihrer Person sind verknüpft durch eine Kennziffer. Sollten Sie sich beispielweise geirrt haben oder stellen wir fest, dass Sie sich geirrt haben sollten…“ „Geirrt? Wobei? Und wie stellen Sie das fest?“ Er fühlte sich offensichtlich ertappt und nestelte aufgeregt an seiner Brille. „Sie haben im Fragebogen angegeben, dass Sie kein Buddhist sind, aber wir finden heraus, dass…“ „Wie denn“, bohrte ich nach. „Wie finden Sie es heraus, und was nützt es Ihnen?“ „Wir fragen beispielsweise Ihren Nachbarn“, stammelte Krook. „Nachbarn wissen meistens eine ganze Menge und können den Volkszählern gut Auskunft geben.“ „Auskunft?“ Ich zog eine Augenbraue in die Höhe. „Welcher Art Auskünfte hätten Sie denn gerne?“ Krook wand sich. „Sie könnten ja Buddhist sein, natürlich nur als Beispiel – genauso können Sie in der letzten Woche nicht gearbeitet haben, weil Sie Urlaub hatten, und Ihr Nachbar hielt Sie fälschlicherweise für arbeitslos, und damit können wir korrigieren…“ „Dann wäre aber die Auskunft meines Nachbarn keine zuverlässige Quelle. Warum setzen Sie dann auf denunziatorische Maßnahmen, wenn Sie doch angeblich nur harmlose Aussagen haben wollen?“ Er trommelte nervös auf dem Schreibtisch. „Das sind keine harmlosen Aussagen“, beeilte er sich, „uns ist jedes Detail wichtig!“

Ich blickte mich um. Ein kleines, staubiges Büro mit staubigen Schränken und staubigen Gardinen. Vermutlich brachten die Angestellten ihren eigenen Staub in kleinen Beuteln von zu Hause mit, verteilten ihn über dem schimmelfarbenen Teppich und sammelten abends einen Teil davon wieder ein. „Was qualifiziert Sie eigentlich für diese Aufgabe“, fragte ich ihn. „Natürlich die besten Referenzen“, sprudelte Krook hervor. „Wir haben eine Reihe erfolgreicher IT-Projekte auf den Weg gebracht, beispielsweise den elektronischen Personalausweis, den elektronischen Entgeltnachweis ELENA, de-Mail und die elektronische Gesundheitskarte. Ich stutzte. „Eins bereits gehackt, eins illegal, eins lächerlich verschlüsselt und eins im Erprobungsstadium bereits ein Rohrkrepierer.“ „Ich sagte es doch“, begehrte Krook auf. „Alles so erfolgreich und gut wie die Bundesregierung.“

Er spielte noch immer auf dem Bildschirm herum, wo er wahllos ausgedachte Daten eintippte, vervielfältigte und sortierte, umstellte und wieder löschte. „Nur mal als kleine philosophische Überlegung“, begann ich. „Sie können also den Datenbestand durchsuchen und die Stichprobe immer spezifischer gestalten?“ Krook biss an. „Natürlich, wir sind da sehr weit fortgeschritten.“ „Dann würden Sie alle Suchkriterien sowohl als Haupt- als auch für Nebenkriterien verwenden können? Beispielsweise eine kombinierte Suche, wer vor einem Jahr noch zwei Zimmer hatte und arbeitslos war?“ „Einzeln und kombiniert“, strahlte er. „Wir können alles.“ „Sie können sämtliche Buddhisten in Brandenburg suchen, dann alle in Neuruppin, und irgendwann alle Buddhisten, die in Zermützel in einer Dreieinhalbzimmerwohnung leben? Ist das richtig?“ Krook wäre vor Stolz fast geplatzt. „Und das Beste ist, wir können Ihnen auch sagen, wer innerhalb der letzten sechs Jahre wo in welcher Beziehung gelebt und gearbeitet hat. Das ist wirklich einzigartig! Schauen Sie mal hier.“ Die Landkarte auf dem Monitor hatte nur ein paar blass rote Flecken, die sich aber beim Vergrößern rasch zu einzelnen Punkten auflösten. „Das sind jetzt die einzelnen Dreizimmerwohnungen. Dann können wir das Suchraster umstellen. Berufstätig oder nicht, verheiratet, Kinder. Oder ob jemand Buddhist ist.“ Sein Lächeln hatte etwas Kindliches an sich, als begriffe er seine eigene Wirklichkeit nicht; und so stumpf er lächelte, so einfältig blickte er auf die Karte, auf lauter rote Punkte, die ein paar Dutzend Menschen zeigte, Menschen, die aus irgendwelchen Gründen einem Glauben angehörten und die Gemeinsamkeit hatten, in einer Liste zu stehen.





Totale Sicherheit

25 01 2010

„Und warum sollen wir uns umgewöhnen?“ „Weil es sonst nicht mehr sinnvoll ist.“ „Was heißt denn: sinnvoll?“ „Dass Sie nicht mehr verstehen, was um Sie herum geschieht. Dass Sie einfach komplett aus dem Rahmen fallen und zum Risiko werden.“ „Zum… verdammt, ich kann es nicht sagen!“ „Sagen Sie’s. Los, sagen Sie’s!“ „Sicherheitsrisiko, meinen Sie?“ „Richtig. Sicherheitsrisiko.“

„Ich verstehe es aber nicht. Können Sie es mir nicht noch einmal erklären?“ „Da gibt es nichts zu erklären.“ „Warum nicht?“ „Die Bundesregierung, der Sie Ihr ganzes Vertrauen schenken, hat es so beschlossen.“ „Warum?“ „Weil Sie ihr vertrauen.“ „Das habe ich nicht behauptet, es ist auch gar nicht…“ „Vertrauen Sie der Bundesregierung. Wir wissen besser als Sie, was für Sie richtig ist.“ „Warum?“ „Weil wir entschieden haben, auf uns zu vertrauen.“ „Warum?“ „Weil das sicher ist.“ „Absolut sicher?“ „Absolut sicher.“ „Aber Sie haben doch gesagt, dass Sicherheit eine neue…“ „Sie sind nicht befugt, darüber nachzudenken.“

„Also bitte! Sie geben hier Handzettel aus, in denen diese Botschaft ganz klar beschrieben ist. ‚Sicherheit und Krieg sind dasselbe‘, das steht da.“ „Das heißt aber nicht, dass jetzt Krieg und Sicherheit…“ „Warum steht dann auf der Rückseite: ‚Krieg und Sicherheit sind dasselbe‘?“ „Die Bundesregierung macht keine inkonsistenten Aussagen.“ „Aber Sie haben doch eben gerade der Aussage der Bundesregierung widersprochen? Wie können Sie…“ „Sie sind nicht befugt, diese Frage zu formulieren.“

„Warum müssen denn dann unsere Grundrechte ständig weiter abgebaut werden?“ „Die Sicherheit erfordert es.“ „Gibt es denn Sicherheit?“ „Wir können Sie beruhigen, die Sicherheit der Insassen der… ich meine: der Bundesbürger…“ „Wenn Sie Sicherheit und Krieg gleichsetzen, bereiten Sie denn dann nicht einen Angriffskrieg gegen die Insassen der Bundesrepublik vor?“ „Ihre Frage basiert auf einer ungerechtfertigten Gleichsetzung.“

„Das hieße doch aber, wenn es keine innere Sicherheit gäbe, dass es dann besser wäre für die Freiheit der Bürger – wäre dann nicht im Umkehrschluss auch die innere Sicherheit oder auch nur die Bestrebung, sie herzustellen, eine Bedrohung der Bürger und damit eine Bedrohung der Freiheit?“ „Sie denken zu viel.“ „Warum?“ „Das macht unsicher.“ „Das ist doch gut., wenn wir damit die Sicherheit gefährden, die uns bedroht?“ „Damit würden wir aber andere bedrohen.“ „Wenn unsere Sicherheitsbestrebungen dazu führen, dass die Bedrohungslage von uns selbst ausgeht, dann wäre es doch auch viel besser, wenn wir nicht mehr die Sicherheit anstreben würden?“ „Das beruht auf einem logischen Denkfehler.“ „Auf welchem?“ „Weiß ich nicht.“

„Und jetzt müssen die Sicherheitsmaßnahmen verstärkt werden?“ „Das ist der einzige Weg, um der drohenden Bedrohung sicher zu begegnen.“ „Und wodurch?“ „Wir brauchen noch mehr Sicherheitstechnik.“ „Und Versicherungen?“ „Wenn wir uns versichern, dass wir im Sicherheitsfall mehr Sicherheit haben, dann haben wir jetzt, also vor dem sicheren Eintritt des Sicherheitsfalls, auch wieder Sicherheit.“ „Sie sagten doch aber, dass es keine Sicherheit geben könne?“ „Das ist etwas ganz anderes. Sie verwechseln das mit Absicht.“

„Und das Sicherheitspersonal?“ „Wir haben auch die Verpflichtung, dass wir wirtschaftlich…“ „Arbeiten Sie mit den entsprechenden Verbänden zusammen?“ „Wir als Politik haben den Auftrag, die Sicherheitswirtschaft in diesem unserem Lande zu stärken. Die Sicherheitsbranche ist ein wesentlicher Faktor für unsere uneingeschränkte Solidarität mit befreundeten Sicherheitsmächten.“ „Welche Sicherheitsstandards müssen eingehalten werden für die innere Sicherheit?“ „Wir überlassen es der Sicherheitsbranche, diese Fragen in einem sicherheitsrelevanten, lassen Sie es mich ruhig so sagen: im einzigen sicherheitsrelevanten Kontext zu betrachten, und das ist der wirtschaftliche Kontext. Deutschland soll wieder sicher sein, Deutschland muss wieder sicher werden!“

„Wie wird sich die deutsche Außenpolitik vor diesem Hintergrund positionieren?“ „Wir sind Teil internationaler Sicherheitsabkommen. Das verpflichtet uns zu Sicherheitsleistungen, die uns Sicherheit zusichern.“ „Welche anderen Sicherheiten können die Deutschen denn erwarten von der Bundesregierung?“ „Datensicherheit, Rechtssicherheit, und wir versichern Ihnen, dass wir in den kommenden Jahren der christlich-liberalen Bürgerlichkeitsmitte vor allem ein Ziel haben: die Sicherheit aller Bundesbürger. Jeder soll an dieser Sicherheit ganz direkt beteiligt sein.“

„Es bleiben noch einige soziale Fragen…“ „Da wäre natürlich einmal die Rentensicherheit – wir werden sie nicht in Frage stellen, genauso, wie wir auch die Arbeitsmarktreformen so gestalten werden, dass die Erwerbslosen mit mehr Sicherheit rechnen können.“ „Und die Versicherungsbranche?“ „Die ist auf jeden Fall ein ganz starker Partner. Für einzelne Teile der Regierungskoalition natürlich nur.“

„Und das Grundgesetz? Was werden Sie für das Grundgesetz tun?“ „Wir haben immer gesagt, dass wir die Rechtssicherheit auch auf die Verfassung ausdehnen werden, deshalb werden wir auch und gerade dem Grundgesetz mit immer neuen Sicherheitsbestrebungen begegnen, bis wir irgendwann sagen können: unsere Verfassung ist vollkommen abgesichert.“ „Warum?“ „Damit Deutschland ein Synonym ist – ein Synonym für die totale Sicherheit.“