Pardon wird nicht gegeben

30 03 2009

Die Argumentation des rheinischen Klerikers war außergewöhnlich schlüssig. Die Bundeskanzlerin, so Joachim Kardinal Meisner, habe sich schleunigst beim Papst zu entschuldigen. Ihre Kritik an der Praxis, Holocaust-Leugner wieder in den Schoß des Katholizismus zu führen, sei völlig unangemessen gewesen. Schließlich sei Merkel Protestantin. Zudem solle sie sich als CDU-Vorsitzende nicht in theologische Fragestellungen einmischen; seine Organisation, so der Hardliner, schere sich ja auch nicht um politische Randbegriffe wie Christentum.

Eine ganze Nation stand sehr betroffen vor dem moralischen Spiegel. Nichts Gutes blickte heraus, als sie hereinblickte. Sünden und Laster, Missetat, Ruchlosigkeit und Frevel standen in solchem Maß zur Disposition, dass ein einzelner Bußtag gar nicht würde gutmachen können, was sie sich geleistet hatten. Sie krochen kollektiv zu Kreuze, ihre Verfehlungen öffentlich zu bekennen und Gnade zu erflehen im Bewusstsein ihrer Verantwortung.

Geständnisse auf Pressekonferenzen leiteten die Reise in den Sündenpfuhl ein. Hartmut Mehdorn und Klaus Zumwinkel erschütterten das Empfinden der Deutschen; sie hätten gelogen, getäuscht, beschissen und betrogen – noch beim Auspacken vor dem Volk kannten sie kein Maß.

In langen Schlangen kroch alle Welt zu Kai Pflaumes Beichstuhl Bitte verzeih mir, der hastig aus dem Boden gestampften Weinshow für moralresistente Wiederholungstäter. Während Karl Moik und Stefan Mross sich die Haare rauften und Barbara Salesch sich auf die Brust schlug, bettelten Sonja Zietlow, Dieter Bohlen und Margarethe Schreinemakers mit Angelika Kallwass und Oliver Geissen um die Wette und um Vergebung. Auch Eva Herman und Jürgen Fliege schlossen sich dem allgemeinen Mea culpa an; diese allerdings mit dem Hinweis, es sei ja nicht alles schlecht gewesen, jener mit dem ausdrücklichen Hinweis, er sei außerordentlich dankbar, dass er nicht so ein Sünder sei wie die anderen alle. Es war ein Riesenerfolg.

Das Feuer schien schon zu verglimmen, da legte der Kölner Erzbischof nach. Er bedauerte öffentlich, dass viele Katholiken deshalb aus der CDU ausgetreten waren – eine so nicht erwünschte Wendung der Sache. Dass etliche Mitglieder der CDU der Katholischen Kirche den Rücken gekehrt hatten, entzog sich allerdings seiner Kenntnis, wie man ja stets nur weiß, dass man nichts wisse.

Einem Erdrutsch kam die Botschaft gleich, Helmut Kohl sei zur öffentlichen Abbitte bereit. Es erwies sich als Ente; der Einheitsarchitekt ließ hernach verlautbaren, er habe offensichtlich einen Blackout gehabt.

Denn auch der deutsche Qualitätsjournalismus erwachte und bekannte Farbe. Man habe seinerzeit falsch gehandelt, ja, man sei möglicherweise zu leichtgläubig gewesen, durchaus, und es habe auch die eine oder andere vielleicht unverantwortliche Art der Berichterstattung gegeben, dochdoch. Sie suhlten sich in ihren eigenen Bekennerschreiben. Die Öffentlich-Rechtlichen veranstalteten schnell noch ein paar Sondersendungen – Quotenrenner unter ihnen wurde Brennpunkt Sünde: Müssen wir die Gesellschaft verbieten? – und n-tv twitterte die Selbstgeißelungen aus den deutschen Redaktionsstuben in alle Welt, was den SPIEGEL veranlasste, das aktuelle Heft mit dem Titel Killer-Journalisten zu schmücken. Es zeigte Kai Diekmann und Franz Josef Wagner, die einander die Stachelpeitschen um die Ohren knallten, was ihnen ein erhebendes Gefühl von Anstand verschaffte – eine gänzlich neue Erfahrung für die beiden.

Die BILD-Schlagzeilen waren ungünstigerweise schon besetzt, da Dieter Althaus in einer mehrteiligen Serie über den Begriff der Schuld meditierte. Exklusives Fotomaterial, das ihn in Gedanken versunken zeigte, durfte nicht fehlen.

Öffentliches Grübeln vollzogen auch Jan Ullrich und seine Mannen. Dabei blieb es auch. Insgesamt zeigte sich die Sportwelt wenig kooperativ. Die Inkompetenz-Damennationalmannschaft mit ihren Spielführerinnen Ulla Schmidt, Ursula von der Leyen und Brigitte Zypries schoss noch schnell ein paar Eigentore und verwies auf den kommenden Meisterschaftserfolg. Auf eine Stellungnahme des sattsam bekannten Zahlenspielers und Demagogen Christian Pfeiffer wartete die politische Nation vergebens. Er hatte die Irrtumswahrscheinlichkeit noch nicht in die richtige Richtung gebogen.

Lippenbekenntnisse aus dem Finanzwesen führten die Debatte jedoch schnell wieder ins Gesittete zurück. Zaghaft gestanden die Manager ein, es habe möglicherweise Pannen gegeben, die zu nicht vorhersehbaren Folgen geführt hätten. Man einigte sich im Qualm der Friedenspfeifen, die Sache auf die höhere Gewalt abzuschieben. Das Schicksal, so der allgemeine Tenor, müsse nun um Pardon bitten. Und so sitzen sie noch heute und schieben sich die Verantwortung zu.

Als der Kirchenvorsteher aus der Stadt der Jecken in einem seiner doch seltenen Momente als Staatsbürger bekannte, die Deutschen würden sich mit ihrer Papstmäkelei lächerlich machen, war der allgemeine Friede wieder hergestellt. Meisner hatte die Lächerlichkeit seiner Nation, die Staat und Kirche trennt, vor Gott und den Menschen geteilt und bekam Absolution.

Der Vatikan äußerte sich dazu allerdings nicht. Man blieb dort dem Vorsatz treu, sich nicht in politische Fragen einzumischen.





Ein Puppenheim

12 02 2009

Jedes Mädchen hat diese Phase. Im Grunde ist an Barbie-Puppen ja nichts Schlimmes. Sie sehen auch entzückend aus. Da lernen unsere kleinen Lieblinge fürs Leben. Wie man sich schön runterhungert. Dass man ohne Stadthaus und Cabrio nichts taugt. Und dass bei den Frauen die Birne vornehmlich zum Frisieren da ist.

Millionen von Mädchen sind mit diesen Klonen aufgewachsen. Haben sie in rauschende Balltoilette gesteckt, sind mit dem Campingwagen über die Laminat-Prärie geheizt und haben mit Ken erste erotische Fantasien im elektrisch betriebenen Vollbad durchgespielt. Dann kam Shelly, Ken wurde schwul, brannte mit Action Man durch und ließ Barbie als allein erziehende Plastemutti im Diamantschloss zurück. So spielt das Leben.

Also eine Barbie für Annes Nichte. Unschlüssig stand ich vor dem Regal. Da fiel mein Blick auf das Spitzenmodell. Dieser sauer verkniffene Mund. Das struppige Haar. Die duckend nach oben gezogenen Schultern. Das billige Polyesterkostüm. Ich konnte es nicht fassen. „In der Tat“, lächelte der Verkäufer, „sie haben Angela Merkel täuschend ähnlich hingekriegt.“

Doch was spielt man mit dem Ding? Bügeln im Kanzleramt? Zu Pferd in die Uckermark? Der Verkäufer öffnete die Schachtel und knipste Angela an. Sie konnte sprechen! „Ja, meine Damen und Herren, das ist es doch, wonach wir suchen und streben – nach dem Miteinander unter den Völkern. Das war und ist doch auch das große Ziel der europäischen Einigung.“ Ich war hingerissen. Ob Mama für eine Geräuschpuppe nicht doch ausreichte? „Auf keinen Fall“, widersprach er, „sie kann nicht nur ganze Sätze auswendig, sie redet eigentlich ständig. Deshalb auch die Zwei-Gigabyte-Festplatte im Bauch. Da gibt’s lange Spielspaß.“ Ich hätte es mir denken können – sogar hier setzte das Klima-Supergirl auf Nachhaltigkeit.

Das Tollste zeigte er mir, indem er der CDU-Queen den Blondmopp vom Kopf nahm. „Die hat einen USB-Anschluss. Sie können Angie immer mit den neuesten Beispielen aus dem Internet füttern.“ Die Kanzlerin lag in meiner Hand. „Die Loyalität gehört dann dem deutschen Staat. Deshalb glaube ich, dass wir über das Integrationsverständnis schon auch mit dem türkischen Ministerpräsidenten noch weiter diskutieren müssen.“ Ich zuckte zusammen. Sofort bemühte sich der Verkäufer um Schadensbegrenzung. „Sie können das einstellen, schauen Sie mal.“ Er lüpfte den Hosenanzug und drückte auf einen Schalter am Rückgrat. „P für Parteipolitik, W für Wahlkampf, das Luxusmodell hat G für Grundsatzreden.“ „Was bedeutet S?“ „Sabbeln. Also die typische Sprachblase, wenn das Protokoll 45 Minuten Rederei vorsieht. Europa-Parlament und so Sachen halt.“

„Für mich, die ich mich als Christin zu den christlichen Grundlagen Europas ausdrücklich bekenne…“ War das jetzt Grundsatz oder schon Gewäsch? Oder Wahlkampf? Die Puppe verwirrte mich. „Meine Damen und Herren, mein ganzes Leben habe ich in Europa verbracht. In der Europäischen Union aber bin ich noch eine Jugendliche. Denn aufgewachsen bin ich in der ehemaligen DDR.“ Nein, kein Wahlkampf. Das war der Phrasenmodus. Zufrieden stellte ich Kohls Mädel auf den Ladentisch. Ob es da Zubehör gäbe?

„Na klar, der komplette Zimt. Wenn Sie mal die Hosenanzug-Kollektion sehen möchten? Oder dieses hübsche Sonntagsrednerpult.“ Sie war wieder angesprungen. „Ich meine, die Antwort auf diese Frage ist eindeutig: Die Freiheit ermöglicht unsere Vielfalt.“ „Lassen Sie sich nicht irritieren“, beruhigte er mich, „sie redet immer dazwischen.“ „Es ist die Toleranz. Europas Seele ist die Toleranz. Europa ist der Kontinent der Toleranz.“ „Sie hakt manchmal. Keine Sorge, das haben wir gleich.“ Und er klopfte Angela einmal unsanft auf den Hinterkopf. „Bitte um Entschuldigung. Das Modell ist noch recht neu, da können schon mal kleine Fehler passieren.“ Er drückte sie in Laberstellung zurück. Und sie funktionierte wieder. „Voneinander lernen führt zu neuer Erkenntnis. Heute sagen wir dazu Innovation.“

„Ich glaube, ich nehme erst mal nur die Puppe“, entschied ich mich, „einen Hosenanzug kann man ja zu Ostern immer noch nachkaufen, oder?“ Er gab mir Recht. „Natürlich. Das Zeug ist derart hässlich, das kommt nie aus der Mode.“ Und schon quakte sie wieder los. „Gleichzeitig dürfen wir dabei natürlich nicht die Fragen der Medien, der Bürgergesellschaft oder die Konflikte…“ „Darf ich sie Ihnen gleich als Geschenk verpacken? Sie werden sehen, die Kleine wird sich freuen!“ Ein letztes Mal meldete sich Angie, als mich der Verkäufer nach meiner Kundenkarte fragte. „Zu viel Bürokratie raubt Freiheit.“ Und selbst in der Schachtel hielt sie nicht die Klappe. „Deshalb, denke ich, sind wir hier noch nicht am Ende der Diskussion.“

Der Verkäufer reichte mir die Tüte. „Und Ihr Kundengutschein, bitte sehr!“ Ich stutzte. „Welcher Kundengutschein?“ „Als Käufer der Erstauflage schenkt Ihnen unser Haus einen Kundengutschein. Wenn Sie innerhalb der nächsten vier Wochen zwei weitere Teile aus unserem Angela-Sortiment kaufen, erhalten Sie 50% Rabatt auf die nächste Figur.“ Noch war ich unschlüssig. Doch er ließ nicht locker. „Nächste Woche kommt der Neue. Action Frank-Walter. Der kann richtig auf den Tisch hauen!“