Gernulf Olzheimer kommentiert (DIV): Die Lebensangst

6 03 2020
Gernulf Olzheimer

Gernulf Olzheimer

Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.

Wir wissen nicht, wie viele Generationen es gedauert hat, bis Ugas Vorfahren eine halbwegs auf Empirie fußende Risikoabschätzung entwickelt hatten. Monokausale Erklärungen – unreife Früchte vom Buntbeerenstrauch sorgen für Heiterkeit, die alsbald die Atmung beendet, eine Säbelzahnziege mit Nachwuchs ist kein geeignetes Jagdziel, wenn man die Jagd überleben will, und wer die Felsspalte mit Hilfe einer Liane überqueren will, sollte sich vor dem Manöver von der Stabilität ihres Wuchses sowie ihrer Befestigung überzeugen – gingen stets ein bisschen rascher ins allgemeine Wissen ein, je komplexer jedoch die Zusammenhänge wurden, die oft erst aus ihren Erscheinungsweisen erschlossen werden konnten, desto bedrohlicher wurde alles, was sich nicht ad hoc erschloss. Noch bis weit in die Neuzeit hinein waren dem Volk essentielle Kausalitäten in Medizin und Physiologie nicht oder nicht ausreichend bekannt; mitunter schwiemelte es sich aus Zuckerkügelchen und Märchenbüchern ein neues Konzept von Verleugnung zusammen, um das lästige Denken zu vermeiden. Insgesamt aber ist der durchschnittliche Depp nur überlebensfähig, wenn er eine irrationale Angst entwickeln kann, die ihm die ganze Existenz komplett versaut.

So irrational die diffusen Vorstellungen höherer Wesen sind, die den Menschen erschaffen, erhalten und irgendwann wieder von der Platte putzen, so vernunftwidrig diffus sind auch seine Auffassungen von Gefahr. Meist wird sie ihm vermittelt durch die Bilder, die Vorurteile auslösen: finstere Viertel sind Brutstätten der Kriminalität, niemand wird lebend aus ihnen herauskommen, da dort das Gesetz nichts gilt – dass niemand ohne Grund in Problembezirke reiste und sich als Katastrophentourist zu erkennen gäbe, ignoriert der Angstbürger geflissentlich. Dass die Wahrscheinlichkeit erheblich höher ist, an einer handelsüblichen Influenza zu versterben, statt bei einem islamistischen Attentat in Europa in die Luft gesprengt zu werden, irritiert ihn nicht.

Dabei wird grob fahrlässiges Verhalten jeder Art zuverlässig ausgeblendet. Im Vollrausch des autonomen Kontrollverlustes tritt der Bescheuerte neben der Lkw-Kolonne das Gaspedal durch und jodelt zielsicher in die Baustelle, die sich aus purer Gehässigkeit nach den angebrachten Hinweistafeln schnellmaterialisiert. Gern zeigt der Hominide seine intellektuelle Überlegenheit, die in mathematischer Grenzberechnung kulminiert, hier experimentell am Beispiel des Beschreitens von Gleisanlagen im Zwischenbereich heruntergelassener Halbschranken demonstriert, um zu beweisen, dass Darwin seine Theorie der Anpassung ans Habitat nicht auf rein körperliche Merkmale beschränkt wissen wollte. So unwirtlich kann keine Welt sein, dass der Bekloppte ihre Feindlichkeit nicht durch eigene Dummheit noch zu steigern wüsste. Sein Bausparerabitur lässt den Realitätsphobiker selektiv wahrnehmen, was er für gefährlich hält, und dies ist dank des Mythos von der technischen Beherrschbarkeit der Welt die Welt selbst, die sich überraschenderweise Millionen von Jahren ohne den Menschen hat über Wasser halten können. Selbstverständlich ist die Natur kein Kindergeburtstag, immerhin hat sie gefährliche, dämliche und vollkommen lebensfeindliche Bestien wie Homo sapiens sapiens hervorgebracht, der sich samt Habitat nicht nur mit Bordmitteln zu zerstören verstünde, sondern das zur Profitmaximierung auch planvoll unternimmt.

Die wirklichen Gefahren, das klimabedingte Absaufen oder Verbrennen ganzer Landstriche, die Verwüstung im Sturm, die Verseuchung durch aus dem Ruder gelaufene Ökosysteme, alles das aber scheint leicht und lässlich, da sich die gründlich verdübelten Nanodenker nicht mit globalen Größen beschäftigen, wenn in ihrer Vorstellung nur der Gartenzaun als letzte Grenze der Erfahrung bleibt. Auch die Angst muss überschaubar und damit gut konsumierbar sein, durch die tägliche Dosis an Unterhaltung und Drogen gut wegzuklappen ins kollektiv Unerwünschte, als würde das Aufsagen eines Gebetssprüchleins schon genügen, um unser Seelenheil mit dem notwendigen Aufprallschutz aufzupumpen. Gleichzeitig verlangt die Mehrheit der Flusenlutscher ein Rundum-Paket, damit die schrecklichen Wahrheiten nicht mehr so kicken.

Nichts verwundert da weniger als die Rückkehr des vorwissenschaftlichen Zeitalters, in dem der Sinn der Schutzimpfung ebenso angezweifelt wird wie die Existenz von Krankheitserregern als dem fiesen Endgegner der Erdscheibenjünger, die die Mondlandung für Science Fiction halten und die Aufteilung ihrer eigenen Spezies in Rassen für genetisch gesichert. Angst macht nicht zwangsläufig doof, sie verengt nur den Horizont wie kein anderes bewusstseinseinschränkendes Mittel. Nicht einmal eine inhaltlich zertifizierte Religion kann hier mithalten, denn die ist immerhin interpretationsfähig. Wir werden alle sterben, das steht schon einmal fest. Bis dahin werden wir es in dieser unbehaglichen Unsicherheit schon noch aushalten müssen. Auch wenn es länger dauern sollte als ursprünglich befürchtet.





Gut besorgte Bürger

20 06 2018

Es war ein bisschen unspektakulär, ja geradezu enttäuschend. Wo man eine Geisterbahn erwartet hatte, wenigstens ein abgedunkeltes Gruselkabinett, war ein Betontreppenhaus, der Vorraum strahlte die nervenzerfetzende Spannung einer Steuerkanzlei aus, das Büro von Doktor Lührßen schließlich war eine von zwei Schrankwänden – Kiefer und viel Glas – eingefasste Sitzgruppe nebst einem recht normalen Schreibtisch. Ich hatte so gar keine Angst.

„Es ist auch ein recht prosaisches Geschäft“, sagte der Erfinder, goss Tee in die bereitgestellten Tassen und schob eine Schale mit Gebäck über den Couchtisch. „Meine Güte, wenn ich an vergangene Jahrhunderte denke, die gelbe Gefahr, die Türken, die Pest, Donnerwetter! Das würde uns heute kein Mensch mehr abkaufen.“ Mir fiel die Sorglosigkeit auf, mit der sich einfach ein Plätzchen knabberte, aber es war wohl nicht vergiftet. Doktor Lührßen lächelte. „Das ist ja der Grund, warum wir für so viele Kunden in Medien und Politik arbeiten: die naheliegenden Gefahren nehmen wir meistens gar nicht wahr, aber wir brauchen Ängste. Gerade hier in Deutschland, wo es fast als unanständig gilt, ohne jede Furcht durchs Leben zu gehen und sich auch noch daran zu erfreuen.“ Er nippte an seinem Tee. „Ich habe da mal ein kleines Exposé für Sie vorbereitet, wenn Sie einmal schauen möchten?“

Es war beeindruckend, und ich ertappte mich dabei, zu überlegen, ob es nicht schon beängstigend sein müsste. „Das waren Sie?“ Er nickte sichtlich geschmeichelt. „Damals hatte ich die Firma gerade von meinem Onkel übernommen, und der brave Bürger freute sich zumal im Sommer an einem kräftigen Windchen, das durch seine vier Wände pfiff. Für einen renommierten Fensterhersteller haben wir dann die lebensgefährliche Zugluft erfunden, die die schlimmsten Folgen für Leib und Leben haben kann.“ Ein ehrlicher Stolz lag auf seinem Gesicht. „Jeder klagt heute, wenn es nur ein bisschen kalt durch die Wohnung weht. Wir haben, ich darf das in aller Bescheidenheit sagen, einen nationalen Mythos geschaffen.“ „Wir können Sie das beweisen?“ Er stellte die Tasse ab. „Haben Sie je einen Schweizer über Durchzug klagen hören?“

Ein kleines Sortiment für Neukunden hatte die Firma sofort lieferbar. „Angst vor Elefanten, wird nicht häufig genommen, ist aber sehr plausibel.“ Der Anleitung entnahm ich, dass ein Dickhäuter einen Menschen mühelos an einem Baum zu zerquetschen in der Lage sei. „Vor Hunden fürchtet man sich mehr, da ist dies doch ein exklusiver.“ Das Angebot war umfangreich, wenngleich auch etwas einseitig. „Angst vor Spritzen, vor Hochwasser und einstürzenden Kirchtürmen, das bekommen die Menschen nicht mehr selbst hin?“ „Sie können natürlich Ihr Brot selbst backen“, entgegnete er, „trotzdem braucht es Bäcker.“

Die komplexeren Produkte standen in einem Regal hinter dem Schreibtisch. „Kombinationen sind momentan recht hoch im Kurs“, weihte Lührßen mich ein. „Cholesterin, Passivrauchen, Konservierungsstoffe, Sie können alles miteinander frei kombinieren. Wir machen Ihnen Angst.“ Die Preise waren moderat, das Einsteigerpaket aus Erdnüssen und Atomkrieg konnte sich auch ein Angestellter leisten. „Ein Upgrade ist jederzeit möglich“, erklärte der Doktor. „Wenn Sie etwa eine Komponente auf Terroranschlag erweitern, kostet das nur ein wenig mehr.“ „Aber Terroranschläge werden doch im Augenblick am meisten geordert?“ Er wiegte bedächtig den Kopf. „Deshalb mussten wir die Preise etwas anheben, sonst hätten wir eine Übersättigung des Marktes riskiert. Wir wollen den gut besorgten Bürger, keine Massenpanik.“

Slowseller wie das gute alte Grausen vor dem Weltuntergang hatte die Firma in dumpfes Grau verpackt, frische Bammelware prangte ich grellem Rot. „Wie gesagt, Sie können alles kombinieren, es ist genug da.“ „Warum“, dachte ich laut, „sollte jemand gleichzeitig Angst vor der Umvolkung der deutschen Rasse haben und die Machtergreifung der AfD fürchten?“ Lührßen nickte. „Angst“, gab er zu verstehen, „Angst ist nie logisch. Irgendwann brauchen Sie auch keine Flüchtlinge mehr, da reicht die AfD.“ Immerhin hatte eine erkleckliche Anzahl die schlimmsten Krankheiten in Betracht gezogen. „Meinten Sie nicht, die Pest würde Ihnen heute kein Mensch mehr abnehmen?“ „Kaum“, entgegnete er. „Die Pest kannte jeder, diese Furcht war eine Reaktion auf das Nichtwissen der Menschen, die vergiftet Brunnen und schwefligen Dunst für die Infektionsquelle hielten, aber nicht das Bakterium. Wenn Sie Ebola nur aus einer Zeitung für geistig minderbemitteltes Publikum kennen, entwickeln Sie Angst.“ Er rührte in seiner Tasse herum. „Die größte Wirkung entfaltet Angst nun mal, wenn man das Objekt seiner Abscheu gar nicht kennt.“ „Und wie rechtfertigen Sie dann die Vermarktung von Impfangst, Aluhüten und Chemtrails?“ Sein Gesicht verfinsterte sich schlagartig. „Mit Scharlatanen wie diesen Leuten haben wir nichts am Hut“, knurrte Doktor Lührßen. „Sie sind eine Schande für unser Gewerbe, so etwas würden wir nie verkaufen. Eine Schande!“

Alles war geklärt, der Tee getrunken, uns würde sicher nichts Geschäftliches mehr verbinden. Da drückte mir Doktor Lührßen einen Umschlag in die Hand. „Für Ihre freundlichen Bemühungen. Keine Sorge!“ Steuerkanzleivorraum, Betontreppenhaus. Ich tastete in meine Manteltasche. Ob ich…





Gernulf Olzheimer kommentiert (CCCLXXVI): Das Recht auf Angst

23 06 2017
Gernulf Olzheimer

Gernulf Olzheimer

Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.

Rrt und seine neuronal ungesegnete Rotte lagen auf Anstand, als es dumpf hinter ihnen schnaubte. Das Wollnashorn war’s, jene Art, die geschmort gut zu Schnuffelbeerkompott passte, meistens jedoch die Hominiden zu Blutsuppe verarbeitete und dem männlichen Nachwuchs damit den frühzeitigen Familienanschluss sicherte. Der geölte Blitz war noch nicht erfunden, hier jedoch wäre die passende Gelegenheit dazu gewesen, denn die ganze Schar fegte heulend durch die Steppe, voll auf Adrenalin, und nichts kennzeichnet die vermeintlich fähige Affenart mehr als das geplante Durchdrehen unter erwartbaren Umgebungsvariablen. Die Erleuchtung ist noch nicht greifbar, da schießen sie schon die Kronleuchter aus. Noch ist seine Zunge nur des Lallens mächtig und die Religion nicht erfunden, aber dunkel dräut ihm, er habe ein Recht auf Angst.

Denn damit wird alles besser, das arme Hascherl darf kleinkindisch in scheuer Lähmung harren, bis der starke Mann das Böse weggeräumt hat. Zwar legt der gemeine Blödkolben größten Wert auf eine zünftige Reifung, will überall mitreden, fühlt sich für jede Verschwörungstheorie aufgeklärt genug und hat sowieso das Schnittbrot im Alleingang erfunden, aber er ginge aber nie ohne Pfeifen in den Keller, es sei denn, er kann damit sein präpotentes Gehabe gegenüber dem Objekt klein a ausleben. Das gibt Halt und Hoffnung: bald ist aller Tage Abend, bis dahin kann er in geübter Starre hocken.

Denn Angst konserviert. Wer sich nicht bewegt, fühlt seine Fesseln nicht – wer daran arbeitet, eine Fesselgesellschaft zu errichten, nimmt diesen Umstand gerne mit – und richtet sich wiederum bequemer ein in einem Marionettenstaat, der die Heilmittel lieber auf die Wände malt, anstatt sie durch gezieltes Eingreifen einzusetzen. Geistige Laubsägearbeiten dieser Couleur rechnen fest mit der Panik, die sich unter der Couch einigelt, und nur die stützt durch pure Ignoranz den Abbau aller demokratischen Rechte, gegen die furchtloser Widerstand gefragt wäre. Mit Logik und tapferer Rationalität lässt sich der Schrecken bekämpfen, mit Irrationalität wird die Angst geschürt zur reinen Laberlohe, die an den Synapsen glodernde Flut anschwappt. Sie ist schließlich das perfekte Marketinginstrument für Waffen, Versicherungen, Vitaminpillen und rechtsradikale Propaganda. Wer würde dazu schon Nein sagen.

Tief greift das in die Persönlichkeitsstruktur ein, berührt die Kernbereiche der Psyche an blutenden Punkten – gelernt ist gelernt, und sozialisiert ist sozialisiert, wir schleifen das Erbe zahlloser Väter mit uns herum, sehen nicht einmal, wie wir uns von den Traumatänzern unterscheiden und pusten alles zur Panik auf, was nicht vor uns wegrennt. Von der fallenden Kokosnuss auf dem Karibiktrip die Birne zermarmelt zu kriegen ist wahrscheinlicher als das Ableben in der dschihadistischen Splitterbombe, vor allem als Einwohner von Bad Gnirbtzschen an der Schlömma, und doch schreiben die Zeitungen nie doppelseitige Farbberichte über tote Touristen in der Südsee. Vermutlich hat auch dies Methode: die geneigte Politik macht Angst zur medientauglichen Waffe, um ihren Krieg gegen die Verfassung zu rechtfertigen, und wer würde Grundrechte wegen ein paar Palmen aushebeln können. Dabei unterliegt der scheinfreie Zweibeiner einer üblen Paradoxie: er gibt seine Feigheit als zivilisatorisch errungene Notwendigkeit an, ist in Wahrheit aber doch wieder der bornierte Urmensch, der im infantilen Stadium der Abwehr von Scheingefahren bleiben will. Lauter promovierte Neger fluten sein Schlesien, die Frauen wollen ihn nicht mehr, die Kinder studieren so Sachen mit Medien, der Chef wird laut und die Entscheidung ist denkbar eng: ab in die Prärie oder dem Alten eine reinzimmern. Der Blödföhn ist physiologisch immer noch im Pleistozän. Es ist die hardwarenahe Programmierung, die das Fluchttier schockgefriert und in der selbst verschuldeten Unmündigkeit verleimt; so muss der Bescheuerte keine Aktivität ergreifen und kann sich in der Angst suhlen, die je um je sich festsetzt als Urgrund der Unfähigkeit. Wer auch immer sich die Erde untertan machen wird, diese Querkämmer schon mal nicht.

Und so evozieren sie immer neue Beklemmnis, Horden von Muslimen, homosexuelle Lehrer, freie Bildung, alleinerziehende Mütter, Länder ohne Grenzen und eine Gesellschaft, die die Aufklärung zur Kenntnis genommen hat. Sie haben es noch nie gesehen, wahrscheinlich würden sie die Aufklärung nicht einmal bemerken, wenn sie ihnen hinterrücks in den Nacken atmete, aber sie würden rennen, alternativ: ihre eigene Unfähigkeit in Hass auf jedes andere Objekt ummünzen, sich hilfsweise in etwas integrieren, das es ohne sie nicht geben müsste. Zur Freiheit gehört auch das Recht, die Hysterie einer Gesellschaft zu ignorieren. Aber was kümmert das die Hysterie. Und was hätte sie mehr zu bieten als Angst.





Gernulf Olzheimer kommentiert (CCIX): Die Angstgesellschaft

23 08 2013
Gernulf Olzheimer

Gernulf Olzheimer

Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.

Nichts treibt die Rechtsfindung schöner in den Wahnsinn als das Fehlen eines Tatmotivs. Denn nicht die Unterscheidung des Deliktes, Mord, Totschlag oder Gewässerverunreinigung, sondern die Motivation des Täters geben Aufschluss über die Hintergründe des Verbrechens. So auch die soziale Handlung; Eigennutz und Idealismus, Narzissmus und falsch verstandene Ehre spornen den Beknackten an, Säuglinge zu adoptieren, den Stadtwald im Schutz der Dunkelheit mit Hilfe einer Motorsäge künstlerisch zu verschönern und Dinge in die Erdumlaufbahn zu jagen. Größtenteils ist der Hominide produktiv, es sei denn, er lebt in einer Gesellschaft, in der Produktivität viel gilt, aber selten praktiziert wird, und wenn, dann höchstens aus Neid, Bequemlichkeit oder Angst. Schließlich ist eine auf Angst gebaute Gesellschaft außerordentlich stabil, da ihr nie das Fundament verloren geht.

Der Schrecken hat viele Gesichter. Anfangs gibt sich der durchschnittliche Jammerlappen noch mit der blanken Furcht vor der Zukunft zufrieden – die ist mit einiger Sicherheit auch morgen noch da, was kein zusätzliches Lernen erfordert, sondern den intellektuellen Stand eines konditionierten Deppen als ausreichend betrachtet, um seine gesamte Existenz als belastend zu empfinden – doch bald braucht der Realitätsverweigerer härteren Stoff, die ihm ein sauber ausgesägtes Sozialmodell bietet. Die Angst wird multifunktional und passt sich an die jeweiligen Bedürfnisse an. Sie ist die Furcht des Bürgers vor dem finalen Terroranschlag, der wahrscheinlich nie passiert, und zugleich die Furcht des Staates, dass er möglicherweise nie passiert. Sie ist die Furcht des Arbeiters, mit jedem Einsatz nicht mehr zu genügen, als sei sie eine Erbsünde, der man sich nicht entzieht. Unterdessen schließt der Konsument Reiserücktrittsversicherung und Rechtsschutz ab, schwiemelt Kameraattrappen an seine Schlichtbehausung und hofft, dass der Blitz beim Nachbarn einschlägt.

Genau hier kommt der Staat ins Spiel. Als oberste Repräsentanz der geordneten Gesellschaft wäre es seine Aufgabe, auf der Vertrauensbasis des reinen Daseins seinen Bürgern die Daseinsangst nehmen zu, doch das Gegenteil geschieht. Er ist die Perversion der Idee, denn er fordert und fördert, wo er Keime einer allgemeinen Furcht vorfindet. Das Beharrungsvermögen des Staates, nichts ändern zu wollen, fällt auf fruchtbaren Boden, wo die Behämmerten auch nicht mehr wünschen als die gemeinsame Nulllösung: keiner bewegt sich, dann geschieht auch nichts Schlimmes. Auf diesem Fundament lagern Religionen.

Und tatsächlich ist die Angst ein quasireligiöses Instrument, um blindes Vertrauen hervorzurufen, wo dies noch nicht zu den Werkseinstellungen der amorphen Sozialmasse gehört. Denn mit der nötigen Dosis an Kleinmut wächst die Gefügigkeit und sinkt der Entschlossenheit, die Mechanismen des Glaubenssystems zu hinterfragen. Das torpediert jede Aufklärung und jede Mündigkeit des Menschen – wer zittert, revoltiert nicht.

Der Preis der Angst ist jene Duldungsstarre, mit der eine gelähmte Gesellschaft die Konkurrenz fröhlich pfeifend an sich vorbeiziehen sieht. Dass genau dies allenfalls zu unterdrückter Wut, im Regelfall jedoch nur zu noch größerer Angst vor der Zukunft führt, bedarf keiner ausufernden Erklärung. Wer sich in seiner Phobie eingehäkelt hat, hockt sicher verwahrt vor der Wirklichkeit. Damit jedoch beginnt der zweite, der verzahnte Teufelskreis, noch wirksamer, wenn er auch durch die soziale Ordnung unterstützt wird: Angst vergrößert die Dinge. Die reißende Bestie ist in Wirklichkeit ein ungehaltenes Schoßhündchen, das beim Anblick einer Maus jaulend davonliefe. Für den Phobiker aber ist die Größe des Hundes egal, er erscheint immer bedrohlich. So auch das Gesellschaftssystem. So auch der postdemokratische Staat. Denn was wäre ein solcher Staat ohne ein Werkzeug, das die Rivalität untereinander fördert, ohne den Konsum zu stören.

Die Vollkaskoversicherung ist das perfekte Produkt für den Angstbürger; sie baut auf seine anhaltende Sorge, nimmt ihm aber nicht die Furcht vor der tatsächlich eintretenden Katastrophe, da diese, so der Versicherer, nur eine Frage der Zeit sein wird. Dass der Staat, der an dieser Kasperade noch fleißig mitverdient, eben demjenigen Bürger, der seine wunschgemäß privatisierten Sorgen in Eigenregie versichert, noch pöbelnderweise eine Vollkaskomentalität unterstellt, setzt dem die Krone auf. Doch wahrscheinlich verlangen wir zu viel in einer Welt, in der die Wahrscheinlichkeit, von einem herabfallenden Fernseher erschlagen zu werden, höher ist als die, einem Bombenanschlag zum Opfer zu fallen. Der Fernseher ist kein mystifizierbares Unheil (die Wirkung der Unterschichtensender einmal ausgenommen), er taugt nicht zur religiösen Überhöhung, nicht einmal zur gesellschaftlichen Identifikation. Genau das stand zu befürchten. Wie gut, dass wir wenigstens das Internet haben, die Schweinegrippe und die gute alte Zukunft.





Gernulf Olzheimer kommentiert (CXXXI): Die Angstgesellschaft

9 12 2011
Gernulf Olzheimer

Gernulf Olzheimer

Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.

Da steht Sinanthropus pekinensis vor dem Abgrund und tut das, was er am besten kann. Er guckt doof in die Weltgeschichte, kapiert den Zusammenhang der Dinge nur rudimentär, aber er freut sich, dass es den Abgrund gibt. Und das Feuer. Und die Möglichkeit, auf der Jagd dem Mammut zu begegnen und den Kürzeren zu ziehen. Noch hat der Homo erectus keine Ahnung, was Hiroshima, Seveso und die flächendeckende Verbreitung des volkstümlichen Schlagers an Grauen auf diesem Planeten verbreiten sollten. Hätte er geahnt, dass sich künftige Generationen wegen einer Eurokrise ins Hemd machen, er hätte Bammel gehabt bis zum Erbrechen. Noch gab es keinen narrativen Horror, die Kultur hätte ihm auch nicht viel genützt, denn sie bliebe im luftleeren Raum. Aber es gab die Angst als natürlichen Reflex, und sie bleibt bis heute. Bis in unsere Angstgesellschaft.

Heute haben wir genug Ängste für alle, der Bekloppte pickt sich aus Vogelgrippe und EHEC, Terror und Klimawandel, gelber Gefahr und roten Socken sein passendes Nervenzerrüttungszubehör zusammen. Die Gefahren müssen nicht einmal real, die Bedrohungen nicht einmal so groß sein wie die Wahrscheinlichkeit, im Lotto zu gewinnen, die Furcht vor der Furcht kompensiert das, was an unserer Existenz zu schön ist. Was auch immer hinter einen durchschnittlichen Horizont passt, die nächste mordende Nazibande oder der lineare Preisanstieg von Diesel bis 2025, was der Beknackte nicht sieht, kann sich nicht seiner Vorstellung entziehen und wird dadurch nicht unwahrscheinlicher.

Es ist nicht der anheimelnde Grusel, der einen bei Ein Zombie hing am Glockenseil oder in der ersten Reihe beim Florian-Silbereisen-Konzert umweht, nicht jene aus Sensationslust gesuchte Übelkeit, die im Kettenkarussell oder beim FDP-Parteitag die Magenwände effektvoll angreift, es ist die Ahnung, dass sich der Schrecken in jedem Augenblick zur realen Bedrohung wandeln könnte. Plötzlich merken sie, dass Weichmacher in Plastikbembeln tatsächlich das Genom anknabbern, während nur noch ein Promill derer, die sich überhaupt noch an SARS erinnern, die Krankheit für mehr als einen verpatzten Gag der Pharmalobby halten. Wir werden alle sterben, das ist nicht mehr originell, aber offensichtlich eignet sich nur eine verdammt spitze Zielgruppe der Angstmacher für eine zünftige Panik, die mit geradezu religiöser Inbrunst und massenkompatibler Hysterie zur paranoiden Folklore taugt, und es ist nicht einmal immer die, die uns von Medien und Politik ins Hirn zu schwiemeln versucht wird. Mittelstreckenraketen und Radioaktivität waren ja von den Guten, haben aber für Jahrzehnte die Adrenalinreserven kritisch bewegter Bürger aufgesogen. Ist es vitalisierende Urfurcht, die dem Hominiden, dem ersten um seine Vergänglichkeit wissenden Ichling, innerhalb der Seinsgrenzen Wege zum erfüllten Leben aufzeigt? Ist es jene humane Kraft, die Schwenkgrill, Fußball und Flaschenbier erfand, Sofa und Schachspiel, Tanztheater und Podiumsdiskussionen über männliche Beziehungsarbeit in der zweiten Lebenshälfte? Nebbich.

Was wäre der Behämmerte, wenn er nicht auch der drohenden Katastrophe noch eine angenehme Seite abgewönne, die er sich gemütlich vermiesen kann, um sich darüber schwarz zu ärgern. Die Vorstellung, durch Dioxin im Frühstücksei über die Wupper geschnippt zu werden, macht ihn ja deshalb so rasend, weil er es durch etwas Synapsentätigkeit mindestens mittelfristig beseitigen könnte. Dass die treudeutsche Mülltrennerei als staatlich anerkannte Nationalpsychose durch Millionen verballerter Autobahnkilometer für überflüssige Transporte mehr Schaden anrichtet als der Umwelt nützt, wird keinen interessieren – Hauptsache, man kann eine Panikattacke steuerlich geltend machen, wenn die Nachbarin eine nicht löffelrein ausgekratzte Fischsalatpackung ins Altglas schlonzt. Die manische Wut, das Unvermeidliche nicht wenigstens durch Wille und Vorstellung zu verhindern gewusst zu haben, das macht uns fertig.

Mit Recht übrigens. Und wir wollen es auch gar nicht anders. Die Angstgesellschaft hat sich in ihrer Negativität häuslich eingerichtet, die Phobien auf Kante gelegt, nach Farbe geordnet und abgeheftet, und auf dieser Art ins Fundament eingelassen hockt der freischaffende Seppel in der Landschaft. Da schmilzt ein Gletscher! Egal, das bisschen Eis ist relativ piepe, wenn man den Grönländischen Eisschild damit vergleicht. Sie lauschen Propheten, die das Ende der Welt vollmundig verkünden, gerne auch mehreren, die sich mit dem Datum nicht einig werden konnten. Sie lassen BILD das Geheimnis lüften, dass nur die Sozen Armageddon erfunden haben können, stellen den Wecker für den großen Crash, gucken in die Röhre, nach Kometen und schließlich doof aus der Wäsche, weil am Stichtag alles weitergeht, ohne kosmischen Knall, ohne Ragnarök und Omegapunkt. Sie hatten so schön Angst und können nicht mal jemanden auf Schadenersatz verklagen. Was, für sie wenigstens, auch schon ein Weltuntergang ist. Fast.





Die Angstmacher

26 07 2010

Das Kind weinte. Hoch oben stand es mit zitternden Knien, zehn Meter über dem Schwimmbassin, und der Bademeister schrie höhnisch. Doktor Sparski nickte zufrieden und schloss das Fenster. „Die Jugend lernt schnell, mein Lieber. Wir werden die Preise kräftig erhöhen müssen, sonst rennen Sie uns bald den Laden ein.“ Und er führte mich durch den langen Korridor im Obergeschoss des Instituts.

„Angst“, dozierte Sparski, „ist allgegenwärtig. Aber man muss natürlich etwas davon verstehen.“ Ich musterte ihn, einen kleinen, etwas korpulenten Mann mit schütterem Haar und dicker Brille. Er bewegte sich ruckartig und schielte nervös an den Dingen vorbei. „So“, erwiderte ich ironisch. „Man muss etwas davon verstehen. Das ist wohl typisch deutsch – die Sache als Wissenschaft betrachten, dann hat man immer Recht, gleichgültig, was am Ende herauskommt.“ Ungerührt öffnete er die Glastür, die den Gang mit dem Südflügel des Gebäudes verband. „Angst ist komplex, und da wir sie nicht ausschalten können, müssen wir uns näher mit ihr befassen. Dann werden wir sie verstehen. Und können besser mit ihr umgehen. Kommen Sie, ich zeige Ihnen etwas.“ In dem Raum saßen einige Männer und Frauen an Tischen und blätterten sich durch Papierberge. Sparski griff sich einen Stapel und hielt ihn mir hin. „Rechnungen, Mahnungen, eine fristlose Kündigung. Eine Vorladung, es steht eine Zeugenaussage bevor, Sie wissen nicht genau, worum es sich handelt. Eine Behörde setzt Sie unter Druck, Sie wissen nicht genau, welches Dokument Sie eigentlich beibringen sollen, aber der Brief ist herrisch und droht Ihnen mit empfindlicher Strafe.“ „Das ist ja kaum realistisch zu nennen“, wandte ich ein, doch er schüttelte den Kopf und schmunzelte. „Doch, durchaus. So ist es nun mal, wenn Sie ganz unten sind. Da nimmt man auf Sie keine Rücksicht mehr. Da verbietet Ihnen eine Behörde, über die Straße zu gehen, und die andere bestraft Sie, weil Sie nicht über die Straße gegangen sind.“

Der junge Mann, der mit zitternder Oberlippe einen Stapel widersinniger Versicherungsunterlagen durchwühlt hatte, brach in Wutgeschrei aus. Zwei Wärter mussten ihn aus dem Raum führen. „Er wird diese Klasse morgen wiederholen. So lange, bis er es kapiert hat.“ „Was kapiert hat“, fragte ich. „Bis er verstanden hat, dass das keine adäquate Reaktion war. Er muss sich besser im Griff haben.“ „Aber bei dem Jungen fanden Sie eine emotionale Reaktion doch noch angemessen?“ Wieder lächelte Sparski. „Der Junge zeigt sein natürliches Verhalten, das hier erwünscht ist. Er lässt sich durch die Angst in die Enge treiben – so ist es psychologisch und nicht zuletzt physiologisch auch vorgesehen. Dieser Mann allerdings legt eine ganz und gar unhaltbare Wut an den Tag, vor deren Zerstörungsdrang wir uns hüten müssen. Wenn das jeder täte!“ Ich blickte auf den Papierstapel, auf den Tisch, in die Gesichter der anderen. „Ja, wenn das jeder täte. Aus diesem Satz kann man Gefängnisse bauen.“

Die Nachmittagssonne stand über dem Garten des Pavorariums. Die Insassen schritten durch einen schmalen Gang zwischen zwei Hecken hindurch; hier und da zischten plötzlich Fangleinen mit Widerhaken durch die Lücken, die empfindlich ins Fleisch schnitten. Doch nicht die kleinen Wunden waren so schmerzhaft, es war jene Entladung der Spannung, die auf den Treffer folgte, jene blitzartig durch den Körper zuckende Scham, es nicht bis ans Ende geschafft zu haben. „Nun, Existenzangst, Versagensangst, alles dies lässt sich gut trainieren. Wir haben recht ausgeklügelte Programme.“ „Aber verwechseln Sie nicht etwas?“ Sparski blickte mich erstaunt an. „Verwechseln? Was denn verwechseln? Was gibt es denn mehr als Angst?“ „Phobien. Und Ängstlichkeit.“ Er lächelte. „Ich bitte Sie – wo ist denn der Unterschied?“ „Ängstlichkeit ist ein Maß, wie sehr sich Menschen von Angst leiten lassen. Wie stabil ihr Selbstbewusstsein ist. Die Phobie ist die Krankheit, die eine gesunde Angst in ein Leiden verwandelt. Sie kennen diese Unterschiede nicht?“

Sparski putzte sich umständlich die Brille. Er blickte an mir vorbei, dann stülpte er abrupt die Brille ins Gesicht. „Sie wissen genau, wozu das hier ist. Angst ist das Element, das die Gesellschaft in ihrem Innersten noch zusammenhält. Es ist die Angst, die wir kultivieren. Angst vor dem Versagen, vor Arbeitslosigkeit, sozialem Abstieg – Angst, so zu werden wie die Typen, die man auf dem Weg in die Fabrik morgens Schlange stehen sieht vor den Behördenhäusern. Angst vor dem Terrorismus, die dumpfe Furcht, dass die Fingerabdrücke, die man sich abnehmen lassen muss, um drei Stationen mit dem Vorortzug zu fahren oder im Internet einen Blumenstrauß zu bestellen, wirklich nur dazu da sind, eine Datenbank zu füttern, die nie jemand einsehen wird, weil man dazu Hunderte bräuchte, die jahrelang suchen. Man braucht diese Angst.“ „Sie hält das System zusammen, weil Menschen bewegungslos werden.“ Er nickte. „Sie werden sich nicht mehr rühren, wie der Junge auf dem Sprungbrett. Sie dürfen nur nicht in Wut geraten – Wut destabilisiert, denn sie ist nur sehr schwer unter Kontrolle zu halten. Sie steckt an. Und sie kann ziemlich unvermittelt in ganz andere Formen überspringen.“ Wieder putzte er seine Brille, als wollte er sich einen Schleier vor den Augen wegwischen. „Und dazu ist Angst ein hübscher Wirtschaftsfaktor“, fügt ich an. „Ja, das ist richtig. Einer muss diese Scanner und Kameras und die Sicherheitsschleusen ja bauen und anschrauben und bedienen. Die Ausweise mit den Fingerabdrücken, die Millionen und Milliarden Mails und Briefe, die gesammelt und gespeichert und dann doch nie gelesen werden, und die bleibende Angst, würde es jemand tun, er fände etwas, das nicht rechtens ist. Die bleibende Angst. Sie hält zusammen, was sonst auseinanderflöge. Wir sind die Angst in uns.“

Lange blickte ich auf das Sprungbrett, in den Garten mit den schnurgeraden Rabatten. Auf einmal begann Sparski leise zu sprechen. „Natürlich muss man etwas davon verstehen, denn die Zeiten ändern sich vielleicht schneller, als man es denkt. Es war einmal der Kalte Krieg, eine Reaktorkatastrophe, jetzt ein Ölbohrloch – Gefahren, die uns nicht so sehr ängstigen, obwohl sie viel weniger abstrakt sind als das, was alle Angstmacher beschwören. Um das zu verstehen, muss man die Angst in sich selbst verstehen. Ihre Dynamik. Man würde sonst irgendwann selbst nicht mehr funktionieren, wenn sie einen neuen Grund ausgeben, weshalb man Angst haben soll. Diese Gesellschaft verlangt ja einiges an Flexibilität.“ Ich nickte. „Und wer sich nicht anpasst, wird verschluckt. Aber was wäre nun, wenn wir alle diese Angst auf einmal überwänden?“ Sparski zuckte zusammen, als hätte ihn ein Blitz getroffen. Oder einer der kleinen Haken, wie sie zwischen den Gartenhecken hervorschnellen. „Ich kann es nicht sagen“, antwortete er, „ich kann es mir nicht vorstellen. Vielleicht wäre es auch der Augenblick, in dem wir nicht mehr alle wütend wären, wenn die Angst geht. Wir wären andere.“ „Andere?“ Er setzte die Brille ab; diesmal blickte er mich aus kurzsichtigen Augen genau ins Gesicht. „Was wäre der Deutsche ohne Angst, ohne Hass und Neid? Ein Mensch.“