Gernulf Olzheimer kommentiert (DCXLII): Die X-Y-Theorie

2 12 2022
Gernulf Olzheimer

Gernulf Olzheimer

Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.

Schon wieder schlurft ein Gespenst um die Stammtische der Leistungsgesellschaft. Es riecht streng nach Braunfäule und Leichentuch, was kein Wunder ist, stammt es doch aus den Chefetagen der Arbeitgeberverbände – dort, wo man nicht viel von Arbeit versteht, da man andere für sich arbeiten lässt. Es ist diese verdammte Trägheit, die man von sich selbst kennt, und das nicht nur beim Denken, auch bei tätiger Schaffenskraft guckt der Patron in die Röhre: der Mensch an sich ist faul, obwohl es darauf kein Recht gibt, vor allem nicht in dieser unserer kapitalistischen Gesellschaft. Da irrlichtert schon das Grundeinkommen am Horizont, clever verkleidet als Bürgergeld, das gnadenlos entlarvt, wie mies der Lohn in Handel, Handwerk, Fertigung ist. Doch mit wissenschaftlicher Genauigkeit weist die organisierende Kaste dem schwerfällig am Fließband lümmelnden Proletarier nach, dass sie noch viel zu gut behandelt wird, solange man sie nicht mit der Knute zum Schaffen bringt. Sie nimmt dazu die X-Y-Theorie.

Zu Beginn der 1960-er Jahre entwickelte der US-amerikanische Managementtheoretiker Douglas McGregor die X-Theorie, die den Menschen als grundlegend unwillig beschreibt, von einer tiefen Unlust geprägt, sobald er Mühen erblickt, vor denen er sich also mit allerlei Tricks und Finten zu fliehen versucht, bisweilen durch Renitenz und Sabotage, manchmal mit höherem Aufwand, als die Erfüllung einer zu vermeidenden Arbeitsleistung erfordern würde. Allenfalls erledigt er einen Job, um nicht von ihm erledigt zu werden, aber auch das nur, wenn der Vorgesetzte ihm mit der Peitsche im Nacken sitzt. Zuckerbrot gibt’s keins, das sind die Kulis schließlich nicht wert. Nicht gekündigt ist genug gelobt, so der profitorientierte Philanthrop.

Die konträre Y-Theorie jedoch besagt, dass der Hominide zunächst einmal willig ist, da er Arbeit als Bereicherung seines Lebens empfindet, als eine Möglichkeit, die eigenen Potenziale auszuloten und sich intrinsisch zu motivieren – hat er sein Ziel erreicht, sucht er sich ein neues, das ihn zugleich anspornt als auch die anderen, mit denen er im Arbeitsablauf zu tun hat. Der arbeitenden Mensch ist nicht zuletzt Gruppenwesen, befriedigt durch die wachsende Verantwortung und Selbstbestimmung auch sein Bedürfnis nach Selbstverwirklichung, das ihn in einer passenden Struktur schließlich die Selbstwirksamkeit spüren lässt, in der Arbeit nicht nur bezahltes Totschlagen sowieso ablaufender Zeit ist, sondern ein Kreativität und Initiative fordernder und fördernder Prozess. Die Verbesserungen, die die moderne Industriegesellschaft vorantreiben, beruhen auf diesem Denken, denn organisatorische Probleme lösen sich nicht von selbst.

Wann immer die Bestätigungsverzerrung sauber arbeitet, dass man passende Informationen, Muster und Erklärungen für plausibel hält, wenn sie die eigene Verblendung untermauern, schlägt sich der geneigte Zerebraldilettant auf die Seite dogmatisch argumentierender Mehrheitskapitalisten. Mit mehr Lohn kann man die Handlanger nicht reizen, es ist ohnehin rausgeschmissenes Geld, da nur in Schnaps und Zigaretten investiert. Also braucht es Kontrolle, am besten externe, Strafen, Zwang, Sanktionen, um die Masse überhaupt erst einmal an die Arbeit zu gewöhnen, die dann als Lebenssinn begriffen wird, wie es auch die konservative Oberschicht hält.

Dieses so hübsche Denkgebäude hat nur einen Haken, den es mit vielen anderen Vorstellungen aus Psychologie und Soziologie teilt: es ist falsch, da es zu einem Zweck verwendet wird, zu dem es nicht vorgesehen war. Die X-Theorie diente McGregor lediglich zum Beweis, dass man aus einem Haufen billiger Vorurteile und etwas wissenschaftlichem Anstrich innerhalb kürzester Zeit einen passablen und als Entschuldigung für die eigene Bräsigkeit brauchbaren Managementgrundsatz schwiemeln könne, wenn man auf die Engstirnigkeit der meisten Bosse setzt. Die Crux an der Schubladisierung ist, dass Menschen selten nur in eine Schublade passen, also wird Arbeitswelt ohne soziale Beziehungen in den seltensten Fällen denkbar sein, schon gar nicht unter Zuhilfenahme von schwarzer Pädagogik, auch wenn die das einzige Mittel ist, das Geprügelten einfällt.

Im Anwendungsfall haben wir nicht weniger als zwei selbstverstärkende Prozesse, die entweder als Sand im Getriebe oder als Motivation fungieren. Mit Kontrolle und Zucht tötet der Gebieter jedes Engagement ab lässt die Kräfte der Arbeiter stetig auf dem niedrigsten Niveau dümpeln, kurz vor dem Stillstand, immer auf Sicherheit bedacht und selten in eigener Verantwortung. Mit Freiheiten und mehr Selbstbestimmung, Wertschätzung und Raum für Kreativität fördert der Arbeitsablauf eben diese Abläufe, was ebenso regelmäßig zur Entwicklung des Personals beiträgt. Gut, dass man mit diesem System, in dem kollektive Entscheidungen zum Wohl aller Bürger, individuelle Verantwortung auf der Basis eines kollektiv gelebten Wertekanons und eine Orientierung an der tatsächlichen Arbeit statt an der Ideologie des Rechthabens berücksichtigt werden, immer noch Parteivorsitzender werden kann. Seine Socken stopft halt eine Frau. Für Geld.





Gernulf Olzheimer kommentiert (DCXXXVII): Arbeitsmoral

21 10 2022
Gernulf Olzheimer

Gernulf Olzheimer

Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.

Uga war guter Stimmung in der Sippe durchaus zugetan. Während er in der Ecke lag, sortierten die jüngeren Frauen Schnecken und Buntbeeren, eine abstumpfende Tätigkeit, die nur dann unterbrochen wurde, wenn der Älteste in den Korb griff und eine Handvoll Früchte herausklaubte. Es kam selten zu Anwandlungen von Frohsinn, zumal Uga nicht aus Hunger aß, sondern aus Überdruss. Nach und nach bemerkte er, dass sich die Hingabe der Mädchen in Grenzen hielt, und so befahl er den Sortiererinnen, nebenbei noch in die Hände zu klatschen, damit der Takt stimmt. Da das nicht klappen konnte, hatte er schnell eine Rechtfertigung für die verschlechterte Versorgungslage: die Arbeitsmoral sei gesunken. Es sollte noch eine Weile dauern, bis der Begriff sich in der Wirtschaftstheologie etabliert hatte, doch seine Nähe zum Führungsversagen stand fest.

Arbeitsmoral und Unternehmensphilosophie, traditionelle Herrschaftsbegriffe aus Verbalwatte, sie sind einander so ähnlich, weil sie ein Wort mit dem aufblähen, was dort weder hineingehört noch Platz hätte. Ist das Arbeitsethos als Grundlage für sinnvolle Tätigkeiten aus der Mode gekommen, so hat die protestantische Lust an der Bestrafung durch gottgefälliges Schuften begierig übernommen, um die Pflicht zur höchsten Erfüllung des untertänigen Dasein zu machen. Dieser spezifische Moralbegriff wird wie seine buckligen Verwandten auch als die normative Vorgabe gehandhabt, nach der über Lohn und Strafe entschieden wird, wobei im Arbeitsleben beides nicht immer trennbar scheint, vor allem nicht für die, die noch wirklich arbeiten.

Wer nicht ackert, soll auch nicht essen, stinkt’s aus berufen sozialdemokratischer Funktionärsfresse und verkennt, dass sich das auf Zeiten bezog, da noch jeder Anspruch auf sein Stück Land hatte. Wer auf den Verkauf seiner Arbeitskraft angewiesen ist, ohne ihren Wert auch nur mitbestimmen zu dürfen, für den sieht die Moral schon anders aus: woher nehmen, wenn sie nicht immer wieder genommen wird? Intrinsische Motivation geht flöten, wenn sie von außen immer wieder mit Füßen getreten wird, und kein noch so freundlicher Balkonapplaus, keine Drohung mit Arbeitsverdichtung, Stellenstreichung oder Missachtung sämtlicher Grundbedürfnisse wird übertünchen, dass Moral nun einmal nie ohne Angst auskommt. Und so dienen Niedriglöhner, Erwerbslose, Arme bis zu den Obdachlosen stets als gehässiger Mittelfinger, den man den Kulis zeigt, wenn sie nicht spuren: das Elend ist immer da, wo es vom Kapital organisiert wird.

Ab und zu schwiemeln Karriereratgeber sich die besten Tipps aus dem Gekröse, wie man denn als Bestandteil der werktätigen Bevölkerung seine Arbeitsmoral steigern könne, als wäre dieser ganze Selbstoptimierungsquark nicht längst als Disziplin zur Disziplinierung entlarvt. Auf anderen Feldern dieser Zwangsgesellschaft bringt man uns bei, eine potenziell tödlich Gefäßkrankheit sei gar nicht so schlimm, denn wir sind nichts, der Börsenkurs alles und wir dürfen Danke singen für unsre Arbeitsstelle, auf der wir einen Job erledigen, bevor der nächste droht. Leistung und Produktivität sind der Schlüssel zum Erfolg, in einer arbeitsteiligen Ordnung natürlich mit Sorgfalt getrennt: Leistung darf der Mann an der Schippe zeigen, den Erfolg genießt die Geschäftsführung, die in ihrer Huld die Arbeiter nicht an die frische Luft setzt. Höchste Zeit für einen Perspektivwechsel.

Die Probleme im Betriebsablauf hat ja nicht der einzelne Mitarbeiter zu verschulden, auch nicht die sozialen Rahmenfaktoren, wenn sich beispielsweise pandemiebedingt Schulen als reine Präsenzkasernen für Arbeitsverhinderungsmaterial entpuppen. Der Fließbandjobber hat auch nicht zu bestimmen über Erweiterung und Vertiefung seines Stellenprofils, kann über Fortbildung oder Aufstieg selten bis nie mitentscheiden und wird im Regelfall miserabel geführt. Wo Kollegenzusammenhalt bereits kritisch gesehen wird, braucht kein Arbeitgeber Loyalität zu erwarten. Die Work-Life-Balance als Frontalangriff auf die geordnete Welt fauler, gieriger Boomer, die sich und ihre schwarzen Schäfchen ins Trockene bringen wollen, ist nur das Ende eines ausgeleierten Liedes: die jungen Leute wollen alle nichts mehr leisten, schrauben ihre Ansprüche hoch und sind noch enttäuscht, wenn man ihnen ehrlicherweise ins Gesicht sagt, dass man sie für Dreck hält.

Sie wurden von diesen Moralaposteln erzogen, aber sie tun, was der Markt täte: sie sehen, dass sie Forderungen stellen können, weil sie das Gesülze vom Grundrecht, eine asoziale Arschgeige zu sein, nicht mit richtiger Freiheit verwechseln, und da in der Welt der von Versagensangst gepeinigten Schranzen der Markt gerade das nicht darf, was er eigentlich soll, weil er dann nicht ausgehebelt wurde, kommt das Geheul, der Wunsch nach Teilzeit, nach Familie, Bildung, Sabbaticals und den anderen Kompensationen für die mahlenden Räder der Pflicht zur Unterwerfung, all das sei undankbar, und schon ist die Alimentierung der Armen zu hoch, so dass sich Arbeit nicht mehr lohne. Sollte es stimmen, so liegt es an den Löhnen. Liegt es aber an den Löhnen, so wäre Moralarbeit wichtiger als Arbeitsmoral. Es ist ja nicht unser Kapital.





Gernulf Olzheimer kommentiert (DCVII): Das Märchen vom sozialen Faulenzen

25 03 2022
Gernulf Olzheimer

Gernulf Olzheimer

Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.

Der Frühling kam ins Land. Schon schossen im Wäldchen am Rande der westlichen Felswand die Kräuter aus dem Boden, die Ngrr und seine Leute so nötig hatten, um sich gegen die Erscheinungen des vitaminarmen Winters zu wappnen. Die Jungen bekamen ihre Körbchen, um fleißig Grünzeug zu sammeln, Snackhörnchen und Vorspeisenvögel in günstigen Momenten zu erbeuten und die Vorräte in der Sippenhöhle aufzufüllen. Doch nicht immer gab es genug. Alle waren beschäftigt, fröhlich zog die Riege von Hang zu Hang, aber mancher Korb blieb leer. Schon hatte der Älteste die Lösung und pfiff die scheinbar Müßigen an: ohne abendliches Eiweiß ab unters Bärenfell. Strafe musste sein. Viel eher war er damit dem Märchen vom sozialen Faulenzen aufgesessen.

Den angeblichen Motivationsverlust bei einer gemeinsamen Aufgabe hatte der Ringelmann-Effekt noch mit dem Tauziehen experimentell zu erklären versucht: je mehr Probanden am Seil ziehen, desto weniger Kraft wirkt tatsächlich. Schließlich wissen wir, dass Team die Abkürzung ist für ‚Toll, ein anderer macht’s‘. Aber die Sache ist, rein physikalisch betrachtet, ein sauberer Fehlschluss, in dem die Psychologie der Motivation nur am Rande eine Rolle spielt. Nicht nur ist die Zugkraft stark vom Impuls abhängig – zieht mal der eine, mal der andere, mal ein paar vorne und hinten, so lässt sich eine Kraftübertragung kaum sauber definieren – sie ist auch vom Vektor abhängig, so dass links und rechts gleichzeitig zerrende Muskelmannen sich in ihrer Stärke buchstäblich auslöschen. Ob nun einer, ein halbes oder ein ganzes Dutzend Honks an der Leine zerren, ist dabei vernachlässigbar, da sich ein linearer Leistungsabfall auf die Art nicht errechnen lässt. Die psychologische Erklärung ist also mit viel Selbstvertrauen zusammengeschwiemelt, zielt auf die Außenwirkung einer pseudowissenschaftlichen Schwindelei und ergibt eine billige Ausrede, die sich im Management nach Belieben verbraten lässt.

Denkbar ist immerhin, dass auch bei nicht rein körperlichen Anstrengungen der Hominide ohne ein klares Leistungsquantum im Gruppenprozess auf Schonbetrieb schaltet, wenn sein eigener Anteil am Ergebnis nicht identifizierbar ist – wo alle Rüben gleich auf dem großen Haufen landen, lassen sich Fleiß und Ausdauer nicht mehr vom Hintergrund der Gruppe lösen. Wir sind hier also bereits in der Selbstmotivation, die aus der positiven Bewertung der eigenen Leistung rührt, wenn nicht aus der Anerkennung durch Dritte, etwa durch kollektives und individuelles Lob, Wertschätzung und einen angemessenen Lohn für die Anstrengung, die über ein erwartbares Maß hinaus der Sache diente. Wer die Notwendigkeit für etliche Arbeitsbereiche in der aktuellen Gesellschaftssituation erkennt, darf gerne danach handeln. Theorie macht nichts besser.

Wo rohe Kräfte sinnlos walten, muss aber nicht immer der Einzelne schuld sein. Vielmehr hat die Organisation der Arbeit entscheidenden Anteil am Gelingen, da Rollen im Gruppenprozess definiert und ihre Bedeutung für das Gesamtergebnis erklärt werden müssen, weil ein Großteil der Effektivität in der Koordination liegt. Schon die empfundene Unwichtigkeit der Arbeit würgt zuverlässig jede Art von Anreiz ab, ein konstantes Niveau zu halten oder es zu steigern, und dies gilt nicht nur für sinnfreies Sandschaufeln oder Bullshit-Jobs, die auch ein gut dressierter Papagei für genügend Nüsse erledigen würde. Berufsfelder, die im öffentlichen Diskurs als höchst relevant abgefeiert und dann systematisch zum Schmuddelkindergarten tituliert werden, sind ebenso betroffen, und die Folgen lassen sich nicht auf die Arbeitnehmer abwälzen, wenngleich gerade dies reflexhaft geschieht, weil sonst die simplen Rechtfertigungsmuster nicht mehr funktionieren.

Außerhalb wirtschaftlicher Verwertbarkeit zu denken fällt Realitätsallergikern gewohnheitsmäßig schwer. Schon bei der Eigenverantwortung in der Pandemie holt sie ihre Scheuklappenroutine ein, mit der sie großspurig Ziele definieren, die für alle gemeinsam gelten sollen, die sie aber lieber der intrinsischen Motivation der Betroffenen überlassen wollen, weil eine Erklärung zu viel Arbeit machen würde. Wüsste jeder, dass die bunten Schilder am Straßenrand nicht zur ästhetischen Aufwertung der Landschaft dienen, hätten wir kein Verkehrsunfälle durch unangepasste Fahrgeschwindigkeit. Nicht nur die heilige Produktivität, auch das Überleben und die damit verbundenen Qualitätskriterien werden von der Tendenz zur Verantwortungsabgabe stark beeinflusst. So treiben wir nun auch die Gutwilligen in die soziale Nahtoderfahrung, weil wir ihre immer wieder gezeigte Kooperationsbereitschaft in die Tonne treten, da wir sie für einen nachwachsenden Rohstoff halten.

Die gegensätzlichen Annahmen der XY-Theorie, der Mensch sei entweder grundsätzlich faul oder grundsätzlich fleißig, sind nur eine selbsterfüllende Prophezeiung, die eine auf Menschen projizierte Haltung verstärkt. Sie erklären wenig und beweisen nichts, aber Hauptsache, wir haben eine einfache Steuerung für die humanoide Verfügungsmasse. Ein Knopf reicht. Wir wollen ja dem Führungspersonal nicht zu viel Umstände machen.





Gernulf Olzheimer kommentiert (DCVI): Der Korrumpierungseffekt

18 03 2022
Gernulf Olzheimer

Gernulf Olzheimer

Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.

Das musste man Uga lassen: er war ein fleißiger Pflücker von Buntbeeren, der schon in aller Frühe die Einsippenhöhle verließ und stets mit dem Korb voller Früchte zurückkehrte, während man seinen arbeitsabstinenten Schwager nur unter Androhung körperlicher Gewalt dazu bekam, seinen eigenen Müll wegzuräumen. Das temporäre Anwachsen der Population, sicher auch durch bessere Versorgung mit Vitaminen und Antioxidantien begünstigt, ließ auch den Bedarf an Pflanzenkost steigen, was aber den Faulpelz nicht dazu bewog, den tatkräftigen Verwandten zu unterstützen. Erst der Älteste sorgte für einen organisatorischen Ausgleich, indem er die Fleischportionen des phlegmatischen Dödels um ein paar Bissen aufstockte – und aus Gründen der Gerechtigkeit Ugas Anteil gleichfalls. Es kam, wie es kommen musste. Während der träge Troglodyt für etwas Eiweiß jeden Tag in die Büsche ging, lag nun Uga auf der faulen Haut, weil er einfach keinen Bock mehr hatte. Er war nicht unsozial geworden, der Korrumpierungseffekt hatte zugeschlagen.

In der Erwerbsarbeit läuft es nicht anders. Wer für die Tätigkeit, die er aus intrinsischer Motivation begann, nun mit ausreichend hohem materiellen Anreiz belohnt wird, wird diese Beschäftigung zwar beibehalten, aber eben als Job und nicht aus Berufung, so dass die Qualität seiner Arbeit nach und nach auf ein akzeptables Mindestmaß sinkt, während sie bei einem anderen Arbeitnehmer, der die gleiche Verrichtung rein des Geldes wegen auf sich nimmt, mit stumpfer Routine abläuft, die nicht einmal das limbische System aus dem Schlaf holt. Wird nun der äußere Anreiz, kurz: das Gehalt, an das sich beide gewöhnt haben, gekappt oder steigt es nicht proportional zur Belastung an, so ist der rein extrinsisch Motivierte im Vorteil, denn nur der ursprünglich aus eigenem Antrieb Tätige spürt den Verlust von Selbstwahrnehmung und -wirksamkeit, die er für ein bisschen Kohle eingetauscht hat. Es handelt sich schlicht um einen Gewöhnungseffekt, da Lohn meist als Kompensation begriffen wird – der Begriff hat es bis ins Fachdenglisch geschafft – und in Komplexstrukturen aus leistungsbezogenen Boni, Incentives und Krimskrams enden, aus denen sich der Bekloppte seinen Gehaltszettel schwiemeln kann, immer in der Hoffnung, dass der Kollege vor Neid auf Firmenkarre und Kantinenfraßzuschuss detoniert. Doch dem ist nicht so.

Ab einer gewissen Höhe setzt die natürliche Trägheit der Denkmasse ein, und sie wird bei dieser wirtschaftspsychologischen Bastelstunde mit dem Holzhammer auch die Unternehmer erwischt haben. Haben sich die flexibilitätsbekifften Erfinder von Cafeteriamodell und Zuschusshölle blenden lassen von pseudokonfuzianischen Kalendersprüchen, dass der, der sich einen Beruf sucht, den er liebt, für den Rest seines Lebens nicht mehr arbeiten müsse, so haben sie eins der so zahllos wie überflüssigen Anreizsysteme erschaffen, die ausschließlich mit Geld funktionieren und deshalb eben gar nicht. Wer sein Hobby zum Beruf macht, der ist danach sein Hobby los. Aber wer verlangt von Knalltüten mit Triller unterm Toupet, dass sie denken. Und wozu.

Die bereits ins Gehalt kalkulierte Belohnung in Form von Boni oder Gratifikationen sind nur mehr ein etwas anders lackierter Lohnteil, sie befriedigt das Bedürfnis nach Autonomie oder Anerkennung ungefähr so wie ein Lehrer, der den Klassenprimus lobt, weil er der Beste ist, und der Klasse erklärt, dass er das von ihm auch erwarte. Leider sind die Kompetenzen unter Führungskräften nur selten so ausgeprägt, dass sie sie auch anderen zugestehen, geschweige denn sie dafür anerkennen würden. Sie erwarten Wachstum von irgendwas, das dann aber kompensiert werden muss, weil sonst ihre einfache Rechnung nicht mehr aufgeht. Und so trampeln sie mit der Waffe der Bewertungsangst in einem von Konkurrenzdruck geprägten Umfeld lustig auf dem Antriebsverhalten ihrer Mitarbeiter herum.

Schließlich muss dieser logische Fehlschluss auch für einen psychologischen Kardinalfehler des Kapitalismus herhalten: die belohnungsgesteuerte Leistung ist für die Organisatoren der Ökonomie die einzig denkbare Grundlage. Nie käme ihnen in den Sinn, ein bedingungsloses Grundeinkommen wäre die Lösung, eine dauerhaft selbstwirksame intrinsische Motivation zu erhalten, die nicht mehr korrumpierbar ist durch Stimuli, die kontinuierlich erhöht werden müssen, weil das heilige Wachstum es so verlangt. Eine anreizgesteuerte Arbeitswelt wäre letztlich die fortwährende Freisetzung von Kräften, die zudem noch die Selbstermächtigung fördert, eine zusätzliche extrinsische Motivation so auszuhandeln und anzunehmen, dass sie anderen Ansporn nicht mehr zerstört. Der gemeine Mann wäre zufriedener, die Qualität seiner Arbeit nicht geringer als heute, aber er wäre nicht mehr durch ein paar Standardmechanismen zu kontrollieren. Das bereitet freigiebigen, gutherzigen Managern so richtig Kopfweh, auch wenn nur Phantomschmerz dabei auftritt. Im fahlen Glanz einer Dienstreise mit der auch privat genutzten Firmenlimousine müssen sie Lösungen finden, und sie finden Lösungen. Sie erhöhen ihre Boni, damit sie irgendwann Lösungen finden. Korrumpierbar ist schließlich jeder.





Gernulf Olzheimer kommentiert (CDLIII): Homeoffice

1 03 2019
Gernulf Olzheimer

Gernulf Olzheimer

Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.

Im Mittelalter war die Organisation noch verhältnismäßig schlicht. Einen Teil des Tages hockte der Fleischer, Grob- oder Hufschmied in der Werkstatt, in der restlichen Zeit erklärte er den Bereich einfach zur Wohn-, Schlaf- und Kranken-, Koch-, Wasch- und Lagerräumlichkeit. Hei, was jubilierte da der Sozialismus – kaum aus den Federn, schon konnte der Töpfer in den Ton greifen und die Volkswirtschaft ankurbeln. Kein Stau auf der Gasse zwischen Domplatz und Misthaufen, keine überteuerten Mieten in der City, weil die Patrizier ihren Grund und Boden um harte Taler an die Steuerberatungsgesellschaften zur Pacht gaben, um fünfstöckige Protzbauten aufzustellen mit Büros in bester Lage, groß genug, dass man sich darin um die eigene Achse drehen konnte. Zwischendurch sah man dem Nachwuchs beim Ableben zu, machte zum Ausgleich in der Mittagspause neuen, ließ die Milch sauer werden und führte auch ansonsten ein gottgefälliges Leben. So jedenfalls stand es in der Gebrauchsanweisung der Gesellschaft. Wie gut, dass noch keiner von ihnen das Homeoffice genannt hat.

In der schnöden neuen Welt hängt uns die Möhre vor der Nase: nehmt Euch einfach die Arbeit mit nach Hause, dann kommt der Berg auch zum Propheten, und natürlich sind es wieder die halb sozialistischen Kräfte, die den Rückfall in die Vorwelt als Fortschritt verkaufen will. Da freut’s die Chirurgieschwester und sie jubelt, weil sie sich am Feierabend fürs Wochenende noch mal schnell zwei Patienten in den Kofferraum packen darf, der Chefarzt hat’s abgesegnet. Der Anlagenmechaniker überlegt nicht lang, er sitzt mit Zange und Hanf auf dem Sofa und schraubt Heizungsrohre. Wie genau er den Schmodder in den Flughafenneubau in die Pampa Brandenburgs verlasten soll, hat ihm der Bundesminister für Selbstdarstellung und Arbeit nicht verraten. Aber es ist ja bald Wahlkampf, und da können wir jeden so behandeln, als sei er ein strategischer Einkäufer im Tapetengroßhandel, Eigenheim und Zweitwagen, Schrebergarten, aus.

Allenthalben quarrt die Politik nun nach der quasimessianischen Komplettlösung einschließlich Masern und Feiertag, denn sonntags, grinst der spätkapitalistische Sklavenhalter, gehört Eure Mutti mir. Spätestens wenn die Firma die zuschlagfreie Nachtschicht in der Lohnbuchhaltung als Wellness verkauft, hat sich die Rechtslage leicht nach rechts gelegt, mit der Ausweitung der Arbeitskampfzone auf das Gästeklo gehen dann auch die Betriebsräte sang- sowie klanglos unter, weil es sie nicht mehr geben wird. Allein deren Wahl dürfte zur Monty-Python-Nummer verkommen, weil im ausgeweiteten Teilzeitsyndrom kein Mensch mehr den Kollegen über den Weg gelaufen ist. Vielleicht erkennt er deren sinkende Lider noch über das zwangsangeschaffte Bildtelefon, mit dem nun regelmäßig der Zuchtmeister das Wohlbefinden der Truppe kontrolliert. Aber Zusammenhalt schafft das nicht. Und so war es auch gedacht.

Es ist vielmehr Kontrolle an der langen Leine, die uns verborgen bleibt, denn was dort rechtlich zusammengeschwiemelt wurde, ist nicht mehr als die mit Bausparerabitur und Paketband hastig in Form gequetschte Kostenkontrolle für manchen Unternehmer, der nun keine Büros mehr zahlen muss, keine Fahrtkostenzuschüsse, keine sanitären Anlagen und keine Mitarbeiterküche. Arbeitszeiten lassen sich leichter durchdrücken, das Ausloggen am Firmenlaptop zwecks Gang in die Keramik wird fluffig von der Sollzeit subtrahiert, und in naher Zukunft wird die Fachkraft für Arbeitssicherheit die Nasszellen kontrollieren und Arbeitsunfälle im Vorfeld verhindern, weil auch hier das Private rein politisch wird. Mit dem Homeoffice reißt der Arbeitnehmer (m/w/d) sämtliche Mauern seines Hauses nieder und macht aus der Bude eine Panoptikum, das Foucault die Schuhe ausgezogen hätte. Vermutlich werden bald die ersten Drohnen – die Anschaffung zum vorgeschlagenen Preis ist freiwillig, Zuwiderhandlungen führen jedoch zum Verlust des Arbeitsvertrages – zwischen Küche und Kinderzimmer surren, um die zwischenmenschliche Nähe zu suggerieren, weil der Boss sich immer mal wieder meldet. Meistens, wenn die Blagen krank sind und Vati deshalb nicht von seinem Recht auf Kinderbetreuung Gebrauch machen muss. Es wird keinen Absentismus mehr geben, und wer ein bissel hustet, kann sich gerne von der Couch aus mit dem neuen Finanzkonzept befassen, statt die Abteilung M&A mit seinem Rotz anzuschmieren. Sie lieben doch alle, alle Menschen.

Im Mittelalter wurde der Besuch von Nachbarn und Verwandten nebenbei erledigt, und wenn es hart war, ließ der Schneider die Gesellen schon mal ein Stündchen länger an der Hosennaht zurren, weil sie ohnehin unter der Werkbank pennten. Die Arbeitsbelastung stieg kontinuierlich, an Schlaf war nicht zu denken, aber das war für die Zeitgenossen kein Problem. Schlafen konnten sie, wenn sie tot waren. Als Arbeitszeitmodell für die digitale Gesellschaft eine verlockende Vorstellung, die der Deutsche schnell verinnerlichen wird. Es sei denn, das Internet bleibt so mittelalterlich, wie es ist.





Gernulf Olzheimer kommentiert (CDX): Die Helden der Arbeit

20 04 2018
Gernulf Olzheimer

Gernulf Olzheimer

Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.

Früher war es der Typ, der das Klo repariert hat. Kurz danach wurde das Klo erfunden und der Typ hier Klempner. Dann der Sanitärinstallateur. In der Spätphase des Kapitalismus etablierte sich dann der Anlagenmechaniker Gas Wasser Biomasse. Eine Rohrzange können sie alle nicht halten. Manche wissen nicht, wie ein Klo aussieht. Aber sie sind als Klimafachingenieure längst die dickste Hose von Doktor Haus und seinen Kellerasseln. Es folgt in Kürze der Senior Rohranflansching Master of Metal Science, wenn es nicht schon ein Executive Leader Ausguss Management ist. Mit nur einer Promotion wird’s langsam eng, da kann man höchstens noch Neurochirurg werden. Oder Astrophysiker. Aber den Leuten die Brühe aus der Schüssel pümpeln? Nix da. Die Helden der Arbeit wissen, wie das geht.

Vor allem, wie sich der Schmodder halbwegs professionell anhört. War man früher noch geneigt, die Qualifikationen eines Hand- oder Kopfwerkers ins Kalkül zu ziehen, zählen heute dank der rapide absinkenden Wertschätzung für so manche Berufe allein die Schildchen an der Tür, die Aufsteller auf dem Tresen, die kryptische Stickerei auf Blaumann und Kittel, um dem Kartoffelschäler ein halbwegs ehrenvolles Dasein zurechtzuschwiemeln, wie es ohne preziösen Verbalschaum kaum ginge. Sie sind Glücklichmacher, Pizzaspeedy oder Quasselbacken, auch wenn sie Reklamationen bearbeiten, seifigen Teig in minderwertiger Pappe schichtbedingt über die rote Ampel jubeln oder dementen Rentnern im Callcenter Lebensversicherungen andrehen. Nur zu Superhelden aufgebrezelt scheinen sie ihr eigenes Elend zu ertragen, das sich in der kompletten Sinnlosigkeit ihres täglichen Tuns ergießt – fiele ihr Beruf durchs Raster, man würde sie vermissen wie Nagelpilz oder Investmentbanker.

Obwohl, nein – es hat ja nichts mit ihrem Tun zu tun. In den Arbeitsverträgen steht immer noch, dass sie subalterne Mitglieder einer Drückerkolonne sind, die wöchentlich die halbe Nation der komplett verdeppten Dämlacks mit Ziervogelhaftpflicht und ähnlichen Perlen der Versicherungsproduktion zu beglücken haben. In der Stellenanzeige hatte es noch Kommunikationskings und Rhetorikrambos gebraucht, Vertriebstennos und Supermänner der angewandten Beschisstechnik. Und Helden, vor allem: Helden. Weil ein derart beknackter Dreckjob nur dann zu überleben ist, wenn man sich nach dem psychisch bedingten Rauswurf in die nächste Runde stürzt und die Spirale einmal weiterdreht. Es geht nur noch um Superduper und Professionals, Genies und Götter, wo in Wahrheit Monster, Mumien und Mutationen sich die Klinke in die Pfote drücken.

Neben der grassierenden Verachtung für die Zielgruppe, die von einer insolventen Pissbude – neudeutsch: Start-up – zur nächsten tippelt, wird alles ab dem gesetzteren Alter aus der Schusslinie getreten. Wer würde sich als Silversmurf schon mit einer degenerierten Horde von TV-Glotzern messen im Superkräfte ablabern, als Media Information System Accountant der Cultural Approach Group? Ob letztere die Abreißkärtchen zum Museum locht oder soziologische Literatur abstaubt, will letztlich keiner mehr wissen. Solange das Branding stimmt, die von den Junior Pillpalle & Killefit Supervision Heroes in die Frontallappen tätowierten Muster des öffentlichen Drucks, jeden Scheißjob anzunehmen, um sich nicht mit dem gelangweilten Sadisten auf der anderen Seite des Arbeitsamtsschimmels zu belasten, solange wird der Wahnsinn als Methode gefeiert und die intellektuelle Nahtoderfahrung des Stellenmarktes als Normalzustand in einer Welt, die schon deshalb Roboter nicht als Arbeitnehmer für einfache Tätigkeiten nehmen könnte, weil sie dann niemanden mehr hätte, auf den sie angewidert herabschauen könnte.

Während es die Putzfrau über die Raumpflegerin bis zur Gebäudeunterhaltsreinigerin gebracht hat, dreht der Luftdruck ins Negative: die Schmutzfachkraft wird als wischendes Gewerbe an den Rand des öffentlichen Interesses gedrängt, als Junk & Trash Removal Assistant Manager gemoppt und gefeudelt, aber keiner wundert sich, warum er fürderhin seinen Mist selbst aufharken kann. Sie sind alle längst Social Media Consultants, die zu drölfzig Mann Bilder posten, wie ein Klempner das Rohr verdengelt, einer haut’s in WhatsApp, einer schmiert bei Facebook, einer twittert und einer weint, weil es allen anderen gewaltig an der Sitzfläche vorbeigeht. Sie verdienen alle nicht ansatzweise so viel wie der Anlagenmechaniker, werden nicht nach drei Tagen durch ein krähendes Jüngelchen ersetzt, das noch keine Kündigung für möglich hält, und sind trotzdem froh, trotz ihres makellosen Studienergebnisses in BWL und des Motorsägenscheins ab sofort im Kundencenter zu hocken. Tag für Tag. Um Langzeitarbeitslosen unter Abschlussdruck goldene Uhren zu verticken. Als Lieferhelden. Jippie.





Gernulf Olzheimer kommentiert (CCCLXVI): Home Office

24 03 2017
Gernulf Olzheimer

Gernulf Olzheimer

Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.

Früh am Abend stand brüllend der Bulle vor dem Eingang zur Eigentumshöhle. Auf der Jagd war wieder etwas schief gegangen, natürlich nicht zum ersten Mal, und die züchtig waltende Hausfrau hatte wieder den ganzen Schlamassel. Immer dasselbe. Ständig brachte sich Ngg Arbeit mit nach Hause. Vermutlich entstand so das Home Office.

Während die Milch überkocht, darf Mutti die Quartalszahlen aufbügeln und auf den Rückruf des subalternen Controllingfuzzis warten, der noch nicht einmal bemerkt, wann die Kollegin außer Haus ist, und ihr gewohnheitsmäßig einen Festmeter Papier auf den Schreibtisch klotzt, den sie bei wöchentlicher Rückkehr mit steigendem Interesse an Zimmerbränden mustert. Seine externe Duftmarke setzt der Betrieb jeden Tag, und sei es durch unsinnige Kontrollaufträge, die die Fernkraft wie gewohnt abarbeitet. Wann immer der Piepser anschwillt, pfeift proportional der Blutdruck durchs Innenohr der externen Angestellten. Doch hier draußen hört einen keiner schreien.

Das Urbild der Werkstatt, da der Meister mit Familienanschluss zünftig schafft, es geistert noch durch dumpfe Schädel der bis heute amtierenden Vergangenheiten – das Einbrechen industrieller Produktion, den Wandel vom staubigen Kontor zum aseptischen Großraumgulag verdrängen sie, wo es in den Kram passt – und wird mit ebenso nebulösen Vorstellungen von technischem Fortschritt zu einem Brei von daher notwendiger sozialer Progression verschwiemelt. Sie ist im Grunde jedoch nicht viel mehr als die Verlagerung von Machtstrukturen ohne den notwendigen Ausgleich.

Bereits die Überwucherung der Arbeitswelt mit Teilzeitstellen schafft eine Form von Ausgrenzung, die jeden vernünftigen Betriebsablauf in ein Fest des Getriebesands verwandelt. Wer nichts vom Kollegen auf der anderen Schreibtischseite erfährt, weil er nachmittags nicht mehr im Büro ist, hemmt die reibungslose Kommunikation und ist nach Ansicht der meisten Unternehmensberater auch noch selbst schuld an seinem Dilemma – er könnte ja acht Stunden lang den Drehstuhl wärmen und jeden Atemzug des Vorgesetzten im Nacken spüren. Durch die Auslagerung auf entfernte Kontinente ist die Verständigung endgültig gekappt, unerreichbar weit hockt ein einzelner Mensch am Küchentisch und liest schütteres Wortkompott, muss sich jede Nachfrage über den Fernsprecher erkämpfen – daher Telearbeit – und harrt aus in verröchelnder Motivation, von der bald nur noch karger Schatten bleibt. Horden von Fachkräften kauern im fleckigen Feinripp, in unfarbenen Pyjamas oder kratzigen Bademänteln vor ihren digitalen Endgeräten, tippen die Apokalypse ein und wissen, dass sie niemals aus der Isolationshaft herauskommen werden.

Natürlich freut sich die Wirtschaft über den Segen am anderen Ende der Leitung. Billige Arbeitskraft zu schlechten Konditionen wird als gut verkauft, wo immer Löhne nicht ausufernd steigen, das heißt: gar nicht. Die Politik ist entschlossen, den Schmodder noch zu fördern, vor allem da, wo sie damit gleichzeitig fordern kann. Dumpfdüsen jeglicher Couleur aus dem Regierungslager jodeln jahrein, jahraus das Loblied von noch mehr, immer mehr Fernarbeit, wohl wissend, dass nur die wenigsten Gewerke überhaupt Arbeit in die eigene Butze mitschleppen können. Macht aber nix, für den Wahlkampf reicht dann die launige Mär von der geplanten Steigerung, meist mit ausgedachter Quote derer, die angeblich unbedingt und sofort eine komplette Registratur im Bügelzimmer aufbauen wollten. Die Work-Life-Balance, jene Drahtseilnummer für hoffnungslose Romantiker, kippt aus reiner Gerechtigkeit auf die Restfamilie, die mit einer Halbgestalt zurechtkommen muss und nur widerwillig akzeptiert, dass Vati auch samstags nicht dem Nachwuchs gehört. So werden schon in jungen Jahren unschuldige Kinder Komplizen des übergriffigen Outsourcing, das sich bis ins traute Heim tentakelt. Samstags gehört Vati eben doch dem Controlling, und wenn nicht, ist er bald noch viel öfter tagsüber zu Hause. Aus dem einfachen Spagat wird mählich eine Doppelbelastung, die alle Knochen bricht.

So verausgabt sich ein selbstausbeuterischer Teil der Schäfchenherde in vorauseilendem Gehorsam für eine Arbeitgeberschaft, der das völlig wumpe ist. Ehen werden zerschmirgelt unter den Steinen der Freiheit, die sich andere nehmen, Karrieren im Morast des beharrlichen Schweigens versenkt, das sich spiralförmig ausweitet bis in den Schlaf der Vernunft. Früher gab es noch Kriegerwitwen die im Schlafraum Kugelschreiber schraubten, heute pinnt die Zielvereinbarung den Erfolg am Horizont fest. Wer hier allein ist, wird es lange bleiben. Wie an der Nabelschnur hängen seufzend die Erniedrigten an der Netzwerkstrippe, allein dies ist Hoffnung für die Schlachtopfer der technischen Machbarkeit. Denn angesichts der verhunzten Digitalisierung weiß der gemeine Mann: ohne vernünftiges Internet wird das sowieso nichts. Alles richtig gemacht.





Ordnungsliebe

4 05 2016

Minnichkeit lief rot an. „Vielleicht war das doch nicht das Richtige für mich“, stammelte er und knetete seine Finger. Nun also war er Personalchef, hatte keine Ahnung von seinem Beruf und tat das, was er dann immer tat: er rief schleunigst nach mir.

„Ich muss bis nächsten Monat drei neue Kräfte einstellen.“ Ihm lief der Schweiß den Kragen hinab. Die Unterlagen der Geschäftsführung hatten bereits feuchte Flecken. „Dabei habe ich noch nie – Sie kennen sich doch aus mit so was?“ Ich griff mir die Papiere. „Wenn Sie Stellenanzeigen meinen, dann ja. Oder wollten Sie mich etwa als Hausmeister engagieren?“ Minnichkeit sah geradezu beleidigt aus. Vielleicht wollte er mich ja auch als Vertreter für Gummimatten.

„Also wir bräuchten da einen Hausmeister“, begann er. „Gerne auch einen älteren Herrn, der die entsprechende Erfahrung mitbringt, dazu pünktlich, zuverlässig, ordentlich und…“ „Schmarrn“, ging ich dazwischen. „Sie machen das wirklich noch nicht besonders lange.“ „Merkt man das“, stöhnte der ehemalige Werbeassistent, „oder…“ „Natürlich, das kommt aus jedem Ihrer Knopflöcher. Wenn Sie Selbstverständlichkeiten wie Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit betonen, haben Sie sich entweder keine Gedanken über den Bewerber gemacht oder aber noch keine über die Stelle. In Ihrem Fall tippe ich auf beides.“ Er trug wirklich einen sehr engen Kragen, wenigstens passte gerade ein Finger rein. „Und was die Ordnungsliebe betrifft, die findet man meist in Betrieben, in denen es sonst auf nichts anderes ankommt. Hauptsache, die Staubflocken liegen geometrisch ausgerichtet auf dem Boden. Schlagen Sie sich das aus dem Kopf.“

Die Anforderungen der Geschäftsführung lasen sich nicht wie etwas, das einem Geschäftsführer aus dem Hirn geronnen war. „Bleistift gespitzt“, rief ich aus und setzte mich auf die Schreibtischkante, „wir versuchen es diesmal mit Ehrlichkeit. Wir suchen einen älteren, durchgehend schlecht gelaunten Ex-Handwerker, gerne mit Neigung zur Schlampigkeit und ausgeprägter Besserwisserei. Voraussetzungen sind anhaltender Nikotinkonsum, Busfahrerfrisur und partielle Schwerhörigkeit gegenüber Kollegen, die fließend in Renitenz gegen Vorgesetzte übergeht.“ Minnichkeit schluckte. „Sie glauben, dass das so durchgeht?“ Ich zeigt ihm das Blatt. „Wollen Sie mir ernsthaft erzählen, Sie suchen hier einen teamfähigen, freundlichen Mitarbeiter, der in Ihrem Laden die Wasserhähne wartet? Na also. Als nächstes?“

Einer der Buchhalter war in den Ruhestand gegangen, Ersatz musste her. „Erfahrung sollte er schon mitbringen“, betonte Minnichkeit. „Eine stressfeste und besonders versierte Allroundkraft für den…“ Fast hätte ich ihm den Mund zugehalten. „Also einen schmerzbefreiten Vollidioten, der in schöner Regelmäßigkeit das Chaos in Ihrer Bude beseitigt, während die Geschäftsführung keinen blassen Schimmer hat.“ „Selbstständige sorgfältige Arbeit ist aber auch…“ „Was“, antwortete ich mit drohendem Unterton, „hatte ich Ihnen gesagt über Ordnung und Sorgfalt? Wenn er den Beruf erlernt hat, sollte er von alleine wissen, was er mit den Belegen anfängt. Mehr kommt bei Ihnen ja auch nicht herum.“ Seinen Protest würgte ich ab. „Wenn Sie schon von selbstständiger Arbeit reden, dann heißt das bei Ihnen sicherlich, dass der Chef ihm die Papiere auf den Tisch schmeißt und sich nicht darum schert, was damit passiert. Für Flexibilität schreiben Sie am besten rein, dass er sich selbst beibringen kann, wie Ihre Firma arbeitet, weil es ihm keiner zeigen wird. Warum auch, es interessiert nämlich keinen, ob es sie in einem Monat noch gibt.“ Immerhin schrieb Minnichkeit mit. Es war nicht alles schlecht.

„Und dann diesen Außendienstler“, erinnerte er mich. „Gummimatten?“ „Ich weiß nicht“, stotterte er, „das muss hier irgendwo stehen.“ „Dann ist es nicht wichtig, oder?“ Auf dem Papier war von Reisebereitschaft und unternehmerischem Denken die Rede. „Wir suchen also einen alleinstehenden Masochisten, der sein eigenes Auto für die Firma mitbringt und sieben Tage die Woche in schäbigen Hotels übernachtet, die Kunden über den Tisch zieht und sich nur blicken lässt, wenn ihm die Formulare ausgehen. Gehaltsvorstellungen?“ „Bei uns immer sehr attraktiv“, beeilte sich Minnichkeit. „Also für die Firma und nicht für den Angestellten, merken Sie sich das. Da kann man aber auch erwarten bei einem belastbaren Mitarbeiter – wie viele Überstunden machen Sie täglich?“ „Ich weiß nicht“, überlegte er. „Ist das denn wichtig?“ Jetzt tat er mir fast ein wenig leid, aber das Business ist nun einmal hart. „Mein Lieber, Sie werden einen hervorragenden Mann kriegen, leider eignet er sich nicht für die Stelle. Aber mit etwas Glück können Sie ihn hinterher als Hausmeister aufbrauchen. Oder Sie schreiben, dass Sie ein innovatives Unternehmen sind. Dann kriegen Sie wenigstens jemanden, der sich gerne in Erdbebengebieten aufhält und anderen beim Scheitern zusieht. Noch was?“ Minnichkeit nestelte an seiner Krawatte. „Ich weiß nicht“, flüsterte er heiser, „vielleicht noch eine Anzeige für einen neuen Personalchef?“





Bunte Pillen

18 03 2015

„… dass bis zu drei Millionen Menschen ihren Arbeitsalltag nur noch mit Hilfe verschreibungspflichtiger Medikamente bewältigen könnten. Dies sei lediglich die Quote der durch Untersuchungen bestätigten…“

„… könne der Vizekanzler die Existenzangst arbeitender Schichten verstehen. Er selbst sei auch nur Politiker geworden, um nie gezwungen zu sein, für sein Geld eine sinnvolle…“

„… lasse der neue Arbeitsbericht der Bundesregierung nicht auf gestiegenen Stress im Erwerbsleben schließen, sondern auf viel zu stark ansteigende Löhne, die es der Bevölkerung sogar erlaubten, kostspielige Drogen…“

„… es hohe gesundheitliche Risiken wie körperliche Nebenwirkungen bis hin zur Persönlichkeitsveränderung und Abhängigkeit gebe. Nahles habe dies als positive Veränderung zu mehr sozialverträglichem Frühableben gewertet und sei sicher, damit eine Entlastung des Arbeitsmarktes…“

„… habe sich Gabriel heftig gegen den Vorwurf verwahrt, in der SPD seien in den vergangenen Jahren leistungssteigernde Substanzen konsumiert worden. Der Vorsitzende habe betont, in seiner Partei habe es nie und zu keiner Zeit davor je eine steigerungswürdige…“

„… seien Tabletten gegen starke Tagesmüdigkeit die Regel, wie ein Mitarbeiter des Bundesnachrichtendienstes gegenüber der…“

„… so Hartmann, dürfe man die Mindestlöhne nicht etwa für illegale Drogen erhöhen. Wenn sie kein Meth hätten, so der ehemalige innenpolitische Sprecher der SPD-Fraktion, sollten sie doch Kuchen…“

„… habe seine Hausaufgaben gemacht, so Söder. Im Freistaat gelte man auch nach einem klinischen Exitus durch akute Alkoholvergiftung noch als nüchtern, weshalb die Statistik sich stark vom Bundesdurchschnitt…“

„… sei es kein Dauerkonsum. Die meisten Arbeiternehmer hätten angegeben, nur vor besonders schwierigen Situationen wie Montag, Nachtschicht, Wechselschicht, Doppelschicht, Überstunden oder…“

„… zugegeben habe, dass die Presseberichte des Deutschen Bundestages der Wahrheit entsprochen hätten. Lammert habe jedoch darauf hingewiesen, dass der Drogenkonsum der Parlamentarier nur deshalb ein solches Maß angenommen habe, damit man eine größere Verbundenheit mit der werktätigen Bevölkerung…“

„… empfehle Seehofer der Bevölkerung, mehr Betablocker einzunehmen, um als Alphamännchen weniger Angst vor Frauen zu…“

„… viele Betroffene die Medikamente im Internet bestellten. Dies sei zwar legal, so de Maizière, man müsse aber trotzdem sofort eine anlasslose Komplettüberwachung…“

„… als besondere Schwierigkeit der Pharmaindustrie ansehen müsse. Der Leistungsdruck in der Branche sei so hoch, weil die Gehälter so niedrig seien, dass sich Angestellte die von ihnen selbst produzierten Medikamente nur auf dem Schwarzmarkt…“

„… Antidementiva nicht mehr als kritische Substanzen zu behandeln. Schäuble habe in einer Langzeitstudie dreimal täglich ein Kilo Pillen geschluckt, ohne dass sich seine Erinnerung an die Schwarzgeldaffäre auch nur nennenswert…“

„… empfehle Nahles den Arbeitslosen, mehr Drogen einzunehmen bei der Stellensuche. Im Gegenzug wolle die Bundesagentur für Arbeit den Erwerbslosen die ALG-II-Sätze drastisch kürzen, da es nicht Aufgabe des Steuerzahlers sei, jedem unbeschäftigten Junkie einen kostenlosen…“

„… den Mindestlohn nicht umgehen wolle. Amazon habe sich im Sinne einer Win-Win-Lösung dazu entschlossen, die Hälfte der Löhne sofort in Aufputschmitteln zu…“

„… man die Einnahme rezeptpflichtiger Medikamente ähnlich der Spitzensteuersätze staffeln müsse, um die Leistungsträger nicht durch übermäßige Kontrollen zu viele…“

„… dass suizidale Grundtendenzen zu den häufigsten Nebenwirkungen der Stoffe gehörten. Gröhe sei sich jedoch sicher, dass ohne eine solche Stimmung die Union so gut wie chancenlos bei den kommenden Bundestagswahlen…“

„… vor Panikmache gewarnt habe. Da Drogendelikte inzwischen ins Bruttoinlandsprodukt einflössen, sei jeder Betäubungsmittelmissbrauch ein Teil des Aufschwungs, für den es wiederum viele neue…“

„… auch am Niedergang des Koalitionspartners gelegen haben könne. Nach Berechnungen des Bundeskriminalamts seien bis zu 97 Prozent des Kokainimports direkt zur FDP…“

„… würden die Medikamente oft nur kurzfristige und minimale Effekte auf die kognitive Leistungsfähigkeit zeigen. Merkel habe in diesem Zusammenhang betont, dies entspreche ihrer Partei auch ohne jegliche chemischen…“

„… den Euro-Beitritt Deutschlands nicht mehr gelten lassen, da die wirtschaftlichen Kriterien sich im Nachhinein als Lüge herausgestellt hätten. Der Aufschwung werde der Bundesrepublik aberkannt wegen erwiesenen Dopings der arbeitenden Bevölkerung, die letzten zwanzig Jahre Wirtschaftsentwicklung müssten nun wiederholt werden, um zu einem gerechten Ergebnis zu…“





Gernulf Olzheimer kommentiert (CCXXX): Die Grenzen der Arbeit

21 02 2014
Gernulf Olzheimer

Gernulf Olzheimer

Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.

Es gibt Berufe – Maschinenschlosser, Henker, Rübenzüchter – bei denen man sich nicht einfach Arbeit mit nach Hause nehmen kann, und es gibt solche – Rübenzüchter, Henker, Maschinenschlosser – bei denen das nicht wünschenswert wäre, für wen auch immer. Die Personalsachbearbeiterin im Zahnbürstenkonzern zieht sich ihren Job am Freitagabend aus wie einen Laborkittel, den man drei Nächte lang im Spind hängen lassen kann. Wer wollte ihr das verübeln? Höchstens der Aufsichtsratsvorsitzende, der sich einen Job nicht einmal anzieht, weil er für ihn austauschbar ist: heute Zahnbürsten, morgen Zigaretten, wer interessiert sich schon für mehr als Zahlen. Das aber ist nicht das Problem. Die Arbeit suppt ins Private, ihre Grenzen sind nicht mehr zu erkennen.

Sie haben es durch die elektronischen Fußfessel der permanenten Erreichbarkeit geschafft, die ortsunabhängigen Personen in einen virtuellen Käfig zu locken und den Schlüssel wegzuwerfen. Die Lohnsoldaten wohnen nicht mehr auf dem Fabrikhof, sie dürfen die Individualität ihrer Existenz voll ausschöpfen. Dass sie es bis an den Rand der immateriellen Prekarisierung zu spüren bekommen, ist kein Zufall, sondern Methode. Denn Sklaven haben keinen Anspruch auf zeitsouveräne Lebensmuster wie Feierabend, Wochenende oder Urlaub, sie sind ein beliebig einzusetzender Wegwerfartikel auf dem Markt der billigen Ressourcen.

In der Stellenanzeige wurde das noch als human orientiertes Ganzheitlichkeitsgeschwiemel verkauft, in der Praxis riecht die Sache schon anders. Alles, was man von der Persönlichkeit verlangt, die der Kandidat gern voll in die Arbeitsmaterie einbringen darf, ist seine Zeit, abgesehen von seinen Nerven. Es beginnt subtil mit einem Meeting an der Grenze zum Arbeitsende. Eine oder zwei Stunden, maximal, aber mehr Mehrarbeit wird nicht verlangt, und schließlich ist es nur die Rufbereitschaft, die dem durchschnittlichen Nichtschwimmer im Haifischbecken das Privatleben versaut. Immerhin ganzheitlich, das will man nicht abstreiten.

Die Dumpfschnösel im Flexibilisierungswahn, die gerade eben zu blöd sind, um den eigenen Burnout an der Haustür kratzen zu hören, plärren natürlich die dritte Stimme im Hohelied der neuen Verwertungswelt – die erste tönt von Aktionären, die zweite speichelt hervor aus dem erfüllenden Management – und loben den Abteilungsleiter, der beim Tête-à-tête, wahlweise auch nach dem vollzogenen Auffahrunfall im Rettungswagen die Quartalszahlen ins Mobilgerät erbricht, weil sonst eine Aufsichtsratte schlechter schliefe. Im Dienste der wirtschaftlichen Schlacht sind wir allzeit bereit, den Feind zu schlagen; dumm nur, wenn wir merken, dass der Feind wir selbst sind.

Die Arbeit wird generell zum Projekt erklärt, mit einer Ziellinie versehen, als unter vorgegebenen Umständen ablaufender Prozess definiert. Wer sich nicht einpasst und durch die unternehmenspolitisch vorgegebene Individualität aufstößt, wird vor die Tür gesetzt. Die Mittel, um dem Leistungsdruck zu widerstehen, darf jeder selbst aufbringen. Wer hätte das gedacht.

Die strukturelle Ausbeutung beginnt meist mit einer Kleinigkeit, die noch am Wochenende erledigt werden darf – an dem heimischen Werkbank, am Computer an der eigenen Steckdose, mit eigenem Bleistift auf eigenem Papier. Eine Umdrehung weiter sitzen die Daumenschrauben bereits so gut, dass auch komplizierte Fälle werktags bis zum folgenden Morgen gelöst werden. Der Kurzstreckendenker hat sich längst an Einzelarbeit ohne das soziale Gefüge im Büro gewöhnt, da wird er auch schon aus seinem erzwungenen Workflow herausgelabert: der Vorgesetzte ruft an und ätzt, ob seine Domestiken nicht schon längst fertig sind, weil sie sonst am kommenden Tag störende Augenringe tragen würden. Die Differenz zum Tyrannenmord schrumpft mit jedem Mal.

Am Ende der Entwicklung werden die Lautsprecher nicht mehr wissen, welche Chancen sich denn hinter den Risiken verbargen. Doch, wir können das Risiko der Selbstorganisation so gut wie privatisieren, aber auch das heißt wieder nur, dass der Unternehmer ausbeutet, während der Arbeiter die posttraumatische Belastungsstörung mit sich selbst privatisiert und freundlicherweise seine Kündigung deswegen nicht weiter hinterfragt. Die Bescheuerten haben sich nicht rechzeitig genug überlegt, wie man es anstellt, in diesem Umfeld nicht permanent auf die Fresse zu fallen, und auf wen sollten sie ihr Versäumnis schon abwälzen.

Wie angenehm, dass immer mehr Spitzenkräfte sich den Schädel perforieren, vom Dach hüpfen oder sonst wie unaufgefordert das Atmen einstellen. Sie reagieren vor den Anforderungen des marktkonformen Terrors nicht anders als die anderen Arbeitnehmer, die irgendwann unter dem Druck kollabieren. Schön, wenn man nicht alleine ist. Und gut, wenn wenigstens einer mit leuchtendem Beispiel voranschreitet.