Gernulf Olzheimer kommentiert (CXCV): Der Zwang zur Fröhlichkeit

10 05 2013
Gernulf Olzheimer

Gernulf Olzheimer

Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.

Das evolutionäre Muster schlug sofort zu. Uga und Ngg kannten einander nur vom Sehen, doch sie kamen vom selben Stern. Der eine dachte vom anderen, der sei stärker, geschickter, männlicher. Der andere dachte das vom einen auch, und so begann das Dilemma. Sie zeigten einander das Gebiss. Freundlich beschwichtigten sie sich selbst und das Gegenüber, fletschten die Zähne und wahrten dabei nach Möglichkeit das Gesicht. Bis zu dem Augenblick, wo ihnen beiden simultan der Geduldsfaden riss und sie wie auf Kommando die Fäuste fliegen ließen. Hätten sie sich kurz berochen, die Nasen angewidert gerümpft, den Schwanz eingekniffen und ohne Gebeule das Feld geräumt, es hätte ein netter Tag werden können zwischen Wasserloch und Lagerfeuer dort am Rande der Savanne. Warum nur mussten sie so früh vor der arbeitsteiligen Gesellschaft schon den Zwang zur Fröhlichkeit erfinden?

Das Telefon klingelt und eine Dreckfresse auf Speed wünscht dem ahnungslosen Bürger so was von einem wundervollen, superschönen tippitoppi guten Tag. Einen Atemzug später salbadert er über das irre preiswerte Vorzugsangebot, und während man sich noch fragt, woher dieser Pickel am Arsch des Kapitalismus über die Rufnummern verfügt, unschuldigen Fernsprechteilnehmern den letzten Nerv zu zerschmirgeln, hat er auch schon dreimal um Entschuldigung geflennt und bietet an, zu einem späteren Zeitpunkt, wenn’s denn gerade mal passt, sein Geschleime auf dem Cortex zu drapieren. Aller Wahrscheinlichkeit nach steht ein subalterner Depp mit Springmesser im Anschlag in seinem Rücken und treibt ihn zur pathologisch guten Laune – einer, der selbst bester Stimmung seinem Chef rapportiert, wie duftomat er seine verschissene Existenz findet.

Ist es der neoliberale Zwang zur positiven Denke, die letztlich nichts anderes sagt als: man kann alles, und wer es erwartungsgemäß nicht schafft, ist eben auch selbst schuld? Oder etwa die defensive Haltung, die dem duckmäuserischen Deutschen ins Rückgrat gefräst wird, damit er ja nie im Sattel steht, sobald er sich unter die Radfahrer eingereiht hat? Die intellektuelle Schlichtbehausung der Managementbraunalgen schöpft aus vielen trüben Quellen, um sich ein Weltbild aus Stolz und ausgekauten Vorurteilen zurechtzuschwiemeln. Wer gut drauf ist, produziert zugleich hypermotivierte Kunden, die einem jeden Dreck im Doppelpack abkaufen, was wieder den Vertriebler und seinen Vorgesetzten, den Querkämmer mit dem Messer, motiviert, und diese ganze Fehlkonstruktion badet dann der nächste Trottel aus, der gutmütig den Hörer abnimmt.

Was in Arbeitswelt und Zivilisation an der Tagesordnung ist, um überhaupt die dialektische Entwicklung der Resthominiden in Gang zu halten, das wird unter einer Zuckerschicht weggekaspert: jegliche Konfrontation, jeder Konflikt, und sei er noch so sachlich, er verschwindet in einem Strudel aus sinnlosem Gelächel, Wellnessgesabber und der bandscheibenperforierenden Bückmechanik für marktradikale Kurzstreckendenker. Der Kunde hat eine Reklamation, weil der billige Schunder nicht ordentlich verpackt war? Callcentermäuse raspeln Verbalglutamat, als seien sie gerade in japanischer Unterwürfigkeit trainiert worden, nehmen den Schaden mit grinsebackenhafter Verbindlichkeit auf und jodeln hernach noch ein Pfund beste Grüße an die unbekannte Familie raus. Danach kotzen sie erstmal gepflegt unter den Tisch, weil sie die Spielregeln kennen: der Klumpatsch wird hinterher nicht besser verpackt sein, jeder Kunde kriegt diese Supersondervorzugsbehandlung, die reklamierte Ware wird wieder in einem zerknickten Stoßfänger ausgeliefert. Man könnte, wie in jeder geistig normalen Umgebung, den Käufer freundlich, aber nüchtern über den Fortgang der Sache in Kenntnis setzen, andere Möglichkeit: der Rest der Welt zieht endlich auch nach Berlin. Hier macht sich der Bekloppte nur verdächtig, wenn er die Kundschaft nicht grundlos zur Begrüßung anpöbelt.

Ganze Beraterrotten kotzen Optimierungsmüll über die Belegschaften, die auch ohne schon nicht mehr wissen, wie sie den Tag überstehen sollen. Es ist generell alles, was konfliktbehaftet sein könnte, ein potenzielle Krise, und Krisenkommunikation bedeutet heute, dem Partner klarzumachen, dass es diese verdammte Krise gar nicht gibt. Grinsend wie ein bekiffter Gaul. Wenn es nicht klappt, ist der Krisenkommunikator schuld und tippt eine vor Selbstbewusstsein überschwappende Kündigung, in der er bekannt gibt, dass er sich hinfort in einer anderen Pissbude neuen Herausforderungen stellen wird. Hätte er, höchstwahrscheinlich die Knalltüte mit dem Messer, nur einmal das Resthirn angeworfen und den Affekt entdeckt, die Triebkraft hinter der Maskenfassade, die das Unehrliche aufbricht, um die Auseinandersetzung zuzulassen. Wahrscheinlich ist es den Voodoojüngern lieber, die offene Auseinandersetzung zu ersticken, denn sonst würde sich ja etwas ändern. Und jeder Änderung könnte ein Nachdenken innewohnen, wer hier eigentlich wen verarscht. Und warum. Und dass es nicht damit getan ist, die Hackfressen aus der TV-Silvesterparty, die komplett verstrahlt irgendeinen Frohsinn unter sich lassen, mit dem Pflasterstein auszuknipsen.





Gernulf Olzheimer kommentiert (CXCII): Das Großraumbüro

19 04 2013
Gernulf Olzheimer

Gernulf Olzheimer

Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.

Es war im Pleistozän, wenige Jahrhunderte zuvor hatte es zu schneien begonnen, und Uga hockte mit dem Werkzeug am Feuer. Wenige Schritte entfernt unternahm ein Hominide die ersten Versuche in Richtung Metallurgie. Rechts davon schnitzte Rrt seine dreizehnte Knochenflöte, nicht, ohne sie einem ausführlichen Praxistest samt rhapsodischen Intermezzi in freien Rhythmen zu unterziehen. Der Nachwuchs wuchs nach und testete unterdessen die akustischen Variablen der Umwelt. Es war schließlich nur noch eine Frage der Zeit, bis die arbeitsteilige Gesellschaft entstand, in der die Weber in der Weberei woben, während die Töpfer in der Töpferei töpferten. Ansonsten hätten die Beknackten, abgesehen von einer drohenden Unterversorgung mit so gut wie allen Erzeugnissen des täglichen Lebens, sich schnell einen kollektiven Knall eingefangen. Nur einmal noch haben sie sauber danebengegriffen, und das absichtlich. Sie erfanden das Großraumbüro.

Elf bis zwanzig Reihen zu je neun bis drölfzig Tischen mit mindestens zweieinhalb Stück Mensch hocken auf- und umeinander, tippen, wühlen im Papier, knödeln in ihre Hörsprechschädelklemmen und zucken im Sekundentakt zum Gefiepe der Telefone. Hektisch hacken die Tacker, schwabbern Callcenterfuzzis gegen den Lärmpegel an, der beständig wächst, so dass sie lauter reden, so dass der Pegel steigt, so dass sie lauter reden, so dass der Pegel steigt, und wenn sie nicht gestorben sind, dann rieselt zwischendurch die Wand unter dem Putz weg. Das wäre nur logisch.

Gäbe es jenes höhere Wesen, das wir verehren, es hätte sich das Großraumbüro nicht ausgedacht, eher sein Widerpart, der Vegetarier (Hörner, gespaltene Hufe und Quastenschwanz passen nun mal physiologisch nicht zu einem Fleischfresser) muss sich diese Foltermethode aus der trüben Fantasie geschält haben. Denn Arbeit kann nicht der Zweck dieser sozialen Zusammenrottung sein. Wer ansatzweise weiß, dass auch qualifizierte Kräfte im Meeting höchstens die geistige Leistung komatöser Klappstühle liefern, hat eine realistische Schätzung dessen, was die Fortsetzung der Krabbelgruppe mit anderen Mitteln einbringt. Man lernt seine Kollegen schneller kennen, vulgo: jeder Halbaffe geht einem sofort zielgerichtet auf die Plomben. Jede Idee wird zeitnah aufgegriffen, heißt im Klartext: es gibt nicht den Ansatz von Privatsphäre, was im Umkehrfall auch bedeutet, dass die extrovertierteren Teile der Belegschaft durch ihre pure Existenz den Rest der Räumlichkeit in die Nähe der Hirnembolie treiben. Jeder mischt sich ungefragt in jeden Mist ein, erklärt freihändig undokumentierte Funktionen der Buchhaltungssoftware, bringt damit en passant die ganze EDV eines Großkonzerns zum Abschmieren und erfreut sich damit ungeteilter Aufmerksamkeit. Was es an Körpergeruch zu erzählen gäbe, fällt ebenso in dies Ressort. Doch das ist es nicht.

Um die Gruppendynamik der Laborratten vor der Tastatur zu untersuchen, empfiehlt es sich, den Flüssigkeitshaushalt der Probanden in den Fokus zu rücken. Holt einer sich einen Kaffee, holt sich die ganze Reihe einen Kaffee. Benutzt einer die Getränkerückgabestelle, entwässert binnen einer Viertelstunde das ganze Rudel. Wer noch immer Mietkosten und ähnliches Effizienzgefasel als Ausrede für die Hallenhaft nimmt, wäre rein buchhaltungstechnisch mit dem Home Office besser beraten. Warum lässt man die Arbeiter jeden Tag ein paar Kilometer durch die Landschaft rödeln, um sie am netzwerkfähigen Endgerät acht Stunden lang Dusselaufgaben erledigen zu lassen?

Der Gesindegulag ist nicht weniger als der Beweis, dass Foucaults Idee vom Überwachen und Strafen längst realisiert wurde, inklusive des idealen Panoptikums – um Kohle zu sparen, wird der Part der Aufseher wechselseitig von allen Kollegen übernommen, die einem bis auf die Knochen gucken, während der Chef seine pastorale Macht mit der Knute zärtlich unterstreicht. Es bedarf weder eines Wachdienstes, um die Faulen auszusortieren, noch kontinuierlicher Propaganda, die die Gehörgänge der Untertanen zuschwiemelt. Die kostengünstige Eigendressur macht die Knochen morsch, um sich besser unter das Joch des Produktivmantras biegen zu können, und fertig ist eine Population hirnloser Flusenlutscher, die sich das Bewusstsein ständiger Unterwerfung mit der Verlockung schöndenken, auch alle anderen im Visier zu haben. Dass sie billige Vollstrecker des normativen Zwangs sind, haben sie nicht auf dem Schirm. Hauptsache, sie können herumtrampeln, notfalls auf ihresgleichen. Das Wort Selbstdisziplin bekommt da einen Beigeschmack von Wahrheit.

Doch es rächt sich, und das ist nicht einmal schlecht. Nirgends, wo viele Kulis hocken, bleibt man verschont von Übersprungshandlungen, in diesem Fall jene der Viren. Die Gruppendynamik gilt auch bei Infektionen, hustet einer, liegt alsbald die halbe Belegschaft fiebernd, da die Klimaanlage in der Legehennenzone den Schmadder optimal verteilt und auf vorgetrocknete Schleimhäute einwirken lässt. Die seelisch verursachte Disposition zur Flucht ließe sich leicht errechnen, mit ihr auch der volkswirtschaftliche Schaden, den die Controllingkasper gerne unter den Tisch fallen ließen. Das Diktat zur uniformen Fließbandarbeit lässt sich außerhalb des Fließbandes nicht in die Tat umsetzen. Somit war der Pleistozänmensch klüger als der durchschnittliche Personalschlumpf der postindustriellen Ära. Und er hatte vermutlich seltener einen Burnout. Was für eine vorsintflutliche Gestalt.





Gernulf Olzheimer kommentiert (CLXXXVI): Burnout

1 03 2013
Gernulf Olzheimer

Gernulf Olzheimer

Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.

Es war zu einer Zeit, in der das Gesetz der Steppe galt, auch und vor allem in der Steppe: wer Mammut essen wollte, musste Mammut jagen. Und so liefen Uga, Ngg und Rrt über die Ebene, bestückt mit Pfeil, Speer und Bogen, auf dass sie wenigstens selbst wieder heil die Höhle wieder erreichen würden. Einträglich mochte man das Geschäft nun nicht nennen, doch wenigstens war es immer für eine Überraschung gut. Würde es am nächsten Tag genug Säbelzahntiger für alle geben? oder genug von ihnen für die Säbelzahntiger? Da passierte es, dass sich Rrt die Steinaxt an die Murmel marmelte, und neben neurologisch nicht uninteressanten Aussetzern entwickelte er die Idee, ständig mehr Mammut zu jagen, als eine Rotte adipöser Schnellschlinger vertilgen könnte, vom Erlös mählich mehr und mehr Mammon zu mehren, zum Schluss aber behäbig im Moos zu lagern und zuzusehen, wie die Hungerleider für eine Handvoll Beeren Bären erbeuten. Konsequent angewandt hätte dies Vorgehen zu einer vorzeitigen Blüte des Kapitalismus geführt (und wir hätten diese geistige Fehlinkarnation schon hinter uns gebracht), beim derzeitigen Stand des Hominiden führte er stracks in den Burnout. Wohin auch sonst.

Die Geschwindigkeit ist das Schibboleth der Jetztzeit. Wer sich noch immer für existenzfähig hält, wenn er zehn Minuten lang auf Börsenkurse warten muss, steht schon im Abseits. Wir sind von der Realität erschöpft, weil ihr Band breiter ist als unsere Ohren tief, und entfremden uns von ihr, weil wir mit der Pommesgabel Sand in einen Vulkan zu schaufeln meinen. Ab und an treten Gurus mit der Ausstrahlung einer kaputten Mikrowelle auf und plärren Motivationsmantras durchs Wartezimmer, aber keiner interessiert sich dafür. Warum auch, sie atmen bereits selbst den Geruch des Ausbrennens., den uns die Manager vorgelallt haben.

Dieser sozial nach oben gespülte Morast der Blendergesellschaft, der seine eigene Unfehlbarkeit mit Talent verwechselt, impft den Untertanen seine Fehlwahrnehmung ein: dass nur das Ausleben der eigenen Deformation in der Führungsrolle wirklich lebenswert sei. Dass aber die Abwesenheit von Führungsqualitäten den Beginn einer langen Feindschaft mit sich selbst markieren kann, fällt dem Nebenbeiarbeiter nicht ein und dem Normalo erst dann auf, wenn es zu spät ist. Einkommen und Status lassen kurz die psychischen Schwellkörper andicken, was bleibt, ist die Schwierigkeit, die neu gewonnene Macht bewältigen zu können oder zu wollen. Die postmoderne Leidensdrückerkolonne zwingt den schneller, höher und weiter optimierten Menschen in die permanente Spitzenposition, vielmehr: kurz davor, denn keiner wird in diesem imaginären Rennen gewinnen, wenn es eine Führungsebene gibt, die man durch den souveränen Sieg gefährden oder ausschalten könnte. So weit reichen die Reflexe der Deckschicht noch.

Die eklatanteste Verdeppung ist es doch, in der Überholspurgesellschaft von Embryonalturnen, Babychinesisch und Turboabitur die Leistungs- und Regenerationsfähigkeit der Biomasse als Zopf abzutun und sich neoliberalem Voodoo hinzugeben, weil der Klamauk mit den vorschriftsmäßigen Hirnschäden logischer aussieht als alle Grundrechenarten zusammen. In der Folge kratzt die Durchschnittsbevölkerung nicht etwa schneller ab, weil dummerweise der Stand der Wissenschaft in den vergangenen Jahrzehnten nicht stehen blieb, und ein Apoplex kloppt nun die Bilanz sämtlicher Sekundenherztode in die Tonne – dumm ist, wer Dummes organisiert, und wenn das arbeitsfähige Volk dadurch immer schlechter versorgt wird und der Wirtschaft mehr Kosten aufs triefende Auge schwiemelt, schneidet sich die Generation der Henker die eigenen Flossen ab. Sie haben unser Mitleid sicher nicht nötig. Wer maßlosen Schmalzkonsum propagiert und Fettleibigkeit zum sozialen Ideal erklärt, darf sich auch nicht über das Geknatter platzender Arterien beschweren.

Dass neben dem physischen Verschleiß der permanente Radau der Außenwelt die Frontallappen ausleiert, wird auch nur von denen nicht bemerkt, die entweder zu alt oder zu blöd sind, um diese Realität mitzumachen, von der die andren so viel reden. Eine große Müdigkeit setzt ein, die am Tode hängt, zum Tode drängt, ein degenerativer Prozess in wechselnder Verkleidung. Die einen wählen konservativ, die nächsten nagen sich nur die Pulsadern auf, wieder andere funktionieren mit der Präzision einer elektrischen Pumpe. Das ansonsten gesunde Gefühl, einer sinnlosen Beschäftigung zu viel Zeit zu opfern und sie daher aufzugeben, ist unwirksam unter der Kontrolle der regierenden Sklaven des Risikokapitals, sie setzen lieber auf ihre Droge, den Drang, sich selbst und anderen etwas beweisen zu wollen. Dann kommt der Teufel raus. Dann laufen wir. Und den Letzten beißen die Hunde nur dann nicht, wenn er kapiert, dass er nicht die Selbstbilder einer zum Schiffbruch verdammten Zufallsgemeinschaft von Nichtschwimmern nachzutanzen braucht, um glücklich zu sein. Am Ende wissen wir, Mammut gammelt, wenn man es nicht frisch verzehrt. Welche Frage bliebe denn angesichts solcher Erkenntnisse noch offen?





Gernulf Olzheimer kommentiert (CXXIV): Der Wellness-Imperativ

21 10 2011
Gernulf Olzheimer

Gernulf Olzheimer

Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.

Das Dasein besteht aus Gegensätzen. Tag und Nacht, Wachen und Schlaf, Nahrungsaufnahme und die Ergebnisse der Peristaltik in jeglicher Richtung sind einander Bedingung für das Ganzheitliche, das wir als Leben bezeichnen auf diesem durch die Weiten des Alls torkelnden Klumpen, der zahllosen Vollspaten eine Heimstatt bietet für ihre verpfuschte Existenz. Gerade noch entspannte der Dummbatz sein Resthirn im Fernsehsessel, da rufen Fließband und Schwiegerelternbesuch den mühseligen Teil der Sache wieder ins Bewusstsein zurück. Gebratene Tauben, so lernt der Zweibeiner, fliegen einem nur im Märchen ins offene Maul, und für das Paradies gibt es keinen gerichtsverwertbaren Beweis – vor das Vergnügen hat die Hausordnung in dieser Welt die Anstrengung gesetzt, von nichts kommt nichts. Nur scheint das System unter schweren Macken zu leiden, denn die Logik ist längst im Eimer. Nicht mehr Schaffe! plärrt einem die interne Instanz zu, Entspann Dich! keift das Über-Ich, und: Fühl Dich wohl! Ohne Imperativ scheint Wellness nicht zu funktionieren.

Alle Welt relaxt, spannt aus, ruht und rastet, legt die Füße hoch und lässt den lieben Gott einen guten Mann sein. Falsch, jodeln die Fitnessfatzkes aus der Flimmerkiste, die der wehrlosen Pauschalrübe eins überbraten mit Ayurveda-Handstand zu indischem Klingklanggebimsel, doofem Duftorgelgeblök und autogenem Biovollkornschrotheilfasten. Der ganze Mensch wird von innen und außen vollgereinigt, schnellgefönt von verbaler Heißluft, aufgebrezelt aus Ruinen gegen Fußschweiß, Krampfadern und Schlaflosigkeit, geschmiert, verschraubt, motiviert und in sich selbst verankert, mit spirituellem Kitsch abgepappt und in die Tiefenentspannung versetzt, wo man ihm jeden Müll in die Synapsen kleckern lassen kann, und zum Schluss hält der Beknackte Til Schweiger für einen begnadeten Mimen, die Erde für eine Scheibe und sich selbst für einen wenigstens durchschnittlich begabten Hominiden, der ohne Blutverlust mit der Kuchengabel umgehen kann. Drei Tage im Tschakka-Bootcamp, und der bis dato klaglos spurende Arbeitnehmer ist ein seelisches und körperliches Wrack, reif für den Jahresurlaub im Schlaflabor.

Denn die gesamte Wellness-Industrie ist nicht mehr als die ebenso auf Leistung gedrillte Kehrseite der Erwerbsarbeit – hier wie dort wird unter Ausschluss logischer Denkprozesse eine Horde teilzeitintelligenter Nachtjacken gescheucht, gejagt und gequält, bis sie auf Kommando im Blubberbad schnarchen, wie sie noch kurz zuvor an der Stanzmaschine das Bruttoinlandsprodukt in die Höhe geschwiemelt hatten. Zwang ist beides, beides Bestandteil im neoliberalen Turn einer Schmarotzerkaste im Effizienzwahn. Kategorisch brummt einem der Terror im Hirn herum: wer als Leistungsgesellschaftler erzogen wurde, kriegt den propagierten Plüsch nun mal nicht aus der Kalotte.

Das Ergebnis ist Freizeitstress in seiner dümmsten anzunehmenden Form, die Rekordjagd bei der Erholung. Wer schnarcht als erstes im Samadhitank? Wer knotet sich die Ohrläppchen beim Feldenkrais zusammen? Wer kriegt die Goldmedaille im Biofeedback? Wir entspannen uns zu Tode, letztlich geht nichts mehr ohne Doping über die Bühne, und so bembeln wir uns nach alter Sitte eins in die Birne, popeln Psychopharmaka in Krankenhausmengen hinters Zäpfchen und freuen uns, wenn der User IQ Underflow langsam in die Abszisse einwächst. An sich wollten wir immer erst schlafen, wenn wir tot sind, aber das setzt ein Leben voraus. Oder etwas ansatzweise Ähnliches. Wir landen ungebremst im Relax-Burnout, zugedröhnt mit Affirmation, hyperaktiv bis zum Anschlag, und nichts fürchten wir mehr und wollen wir doch mehr als den Moment, an dem die Grütze nachlässt.

Das tut sie auch, spätestens mit dem Heulen der Werkssirene lässt das Yes-We-Can-Gekreische der Yogatherapeuten mit ihren Ohrkerzen nach, der Flow hat uns erreicht. Auf geht’s zum Karōshi, der sozial verträglichen Lösung der Work-Life-Balance. Was verliehe diesem irdischen Geballer schließlich mehr Sinn als ein heroisches Ableben im Dienste des DAX. Und schon haben wir das gewünschte Paradoxon in der verpilzten Hirnrinde erzeugt: die Arbeitswelt wird zum kollektiven Freizeitpark, der die Anstrengungen der Egopolitur verkraften lässt, prima auf verschärften Wettbewerb ausgerichtet, wie ihn der konditionierte Nanodenker sowieso längst praktiziert. Wie Pawlows Pinscher lassen sich die Hirnvollwaschgangsopfer in den Kreislauf des Verderbens zurückstopfen, willig, da dumm, und sofort absetzbar von den Humankapitalisten. Eine ganze Schicht lässt sich billig erpressen mit der drohenden Globalisierung oder einer von Parasiten erzeugten Geldumschichtung und feiert den Zustand der finalen Depersonalisierung als erwünschtes Verhaltensideal.

Man sollte seinen Feierabend besser nutzen und sich freudvoll körperlich wie geistig ertüchtigen, sich bilden, stählen und stärken. Um so besser kann man dem Kompetenzimitat auf dem Chefsessel im richtigen Augenblick eins aufs Maul hauen. Der Wellness-Faktor ist unbeschreiblich.





Viehhandel

24 03 2011

„Herr Minnichkeit, wie bin ich erfreut, Sie hier zu sehen!“ Siegmund Seelenbinder setzte bereits zu einem artigen Diener an, als ich ihn lächelnd unterbrach. „Ich enttäusche Sie nur ungern, aber ich bin es gar nicht selbst. Minnichkeit schickt mich, um den Chef der Fashion-Abteilung einzukaufen.“ Sein Gesicht zuckte. „Ich muss um Verzeihung bitten. Aber wird sind auch noch nicht fertig, unsere Datenbank wird gerade frisch durchgeputzt. Sie werden einen Kandidaten bei uns finden – wir haben alles, was Sie suchen!“

Ich verkniff mir die Bemerkungen, als ich das Signet von ad hominem an den Türschildern entdeckte. Die Personalfirma hatte sich den Namen selbst gewählt, ich war dafür nicht verantwortlich. „Unser Unternehmen“, belehrte mich Seelenbinder, „arbeitet nach den modernsten Methoden und ist technisch up to date. Sie werden sicher keinen Konkurrenten finden, der sich mit uns vergleichen ließe.“ „Das glaube ich aufs Wort“; gab ich mit einiger Ironie zurück. „Wenn Sie vor allem ein Interesse an technischen Verfahren hegen, sind Sie bestimmt ein großartiger Personaldienstleister.“ Er rümpfte die Nase. „Höre ich da eventuell eine Spur von Kritik heraus?“ Seelenbinder öffnete die Tür und schob mich in den kleinen Raum. „Dann schauen Sie sich einmal das hier an. Und dann reißen Sie die Klappe auf – wenn Sie können.“

Es war eine ganz normale Datenbank, aber ihre Ordnung war ungewöhnlich. „Die intrinsische Motivation ist ein bislang völlig unberücksichtigtes Kriterium. Wir wollten uns nicht damit abmühen, die Fähigkeiten eines Arbeitnehmers zu bewerten – die meisten Dinge lernt man sowieso erst in der Berufspraxis, Sie werden das kennen – sondern ihn nach dem Leistungsprinzip kategorisieren. Wer etwas leisten will, der soll es auch tun.“ Ich war sehr erstaunt. „Das ist ja lobenswert“, antwortete ich. „Meist wird diese Phrase ja nur in Sonntags- und Wahlkampfreden verwendet, denn wer hat heute noch Respekt vor einem Feuerwehrmann und nicht vor einem Investmentbanker?“ Seelenbinder zog eine Braue empor. „Sie sind Romantiker? Hätte ich mir ja denken können. Aber wir sehen das etwas anders. Bei uns haben Idealisten schlechte Karten. Sie sind absolut untauglich.“

Die Suchmaske spuckte binnen Sekunden ein Dutzend hoch motivierter Arbeitskräfte aus. „Der übliche Schrott“, spottete der Personaldompteur. „Die haben teilweise dreißig Jahre lang ihren Lebensunterhalt durch Arbeit bestreiten müssen – inzwischen völlig unbrauchbares Pack, das für den normalen Arbeitsmarkt total verdorben ist.“ „Eine interessante Auffassung“, bemerkte ich, „nach der Doktrin dürfte es keine ordentliche Arbeitsbiografie mehr geben.“ „Gibt es auch nicht“, beschied mir Seelenbinder. „Wenn Sie sich dreißig Jahre lang in der Maschinerie geschunden haben, sind auch ihre Qualifikationen egal. Sie sind motiviert, idealistisch und total versaut für die modernen Anpassungen. Sie lieben die Arbeit.“ Ich betrachtete das Auswahlfeld. „Qualifizierte Beschäftigungen haben Sie nicht anzubieten?“ Seelenbinder schüttelte den Kopf. „Würden wir ja gerne, aber wenn wir auf einmal alle freien Stellen besetzten, dann hätte die Wirtschaft keinen Grund, den Fachkräftemangel zu beklagen.“ „Sie meinen also, ein unmotivierter Arbeitnehmer ließe sich in den Arbeitsprozess noch besser einspannen?“ Er nickte. „Wir setzen auf die träge Masse. Das Vieh ist besser als gar nichts.“

Die Datenbank gab derweil jede Menge Output von sich; Estrichleger wurden gesucht und Kellner, Feinpolierer und Stuckateure, lauter ehrenwerte Gewerke. „Es gibt ja kaum noch einen Anreiz für diese Leute“, beschied Seelenbinder. „Natürlich müssen wir mittlerweile von den üblichen Mustern abweichen – es lässt sich kaum noch erzählen, dass es mehr Arbeitsplätze als Arbeitslose gibt, aber das muss uns nicht stören. Wir erweitern einfach das Modell der Anreize. Wenn ein Kandidat zu schnell bereit ist, eine Arbeit zu verrichten, ist die Arbeit zu gut bezahlt – oder der Arbeitnehmer übermotiviert.“ Ich widersprach ihm heftig. „Sie verrechnen sich. Ihr Ansatz ist unlogisch. Einerseits wird von der öffentlichen Hand die Unterwerfung unter den Arbeitszwang gefordert, fernab jeder Qualifikation oder Qualifizierung, und dennoch betreiben Sie Ihren Viehhandel: ist die Arbeitsbereitschaft erst einmal erzwungen, kann man an den Konditionen immer noch drehen. Wie passt das zusammen?“ Seelenbinder lächelte herablassend. „Wir fassen die Gier dieser Gesellschaftsschicht, mehr als ihre Grundsicherung haben zu wollen, als verderblich auf. Gleiches Recht für alle – warum soll nicht ein Fabrikarbeiter mit denselben Vorverurteilungen zu kämpfen haben wie ein Manager?“ „Ich dachte es mir schon“, gab ich zurück. „Ist der Mensch schlecht, freut sich das Geschäft. Freie Geister hat eine Diktatur nicht gerne in ihren Reihen.“

Seelenbinder tippte ein paar Dinge in die Tastatur und wartete, bis der Computer die Ergebnisse ausspuckte. „Hervorragend“, jubelte er. „Wir können Ihren Fashion-Menschen sofort mit einem Dutzend Bewerber bestücken. Was wollen Sie?“ „Ich denke, ich…“ „Halt!“ Er machte eine beschwörende Geste. „Hier ist er: Erfahrung in subalternen Tätigkeiten, keine Berufsausbildung, keinerlei sozialversicherungspflichtige Arbeit, für qualifizierte Aufgaben vollkommen ungeeignet, charakterliche Defekte im Randbereich, absolut motivationsfrei – wollen doch mal sehen, was das ergibt.“ Er fingerte ein bisschen an den Tasten herum und erblich plötzlich. „Idealberuf: Politiker!“





Gernulf Olzheimer kommentiert (XCVI): Leben im Standby-Modus

11 03 2011
Gernulf Olzheimer

Gernulf Olzheimer

Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.

Was den niederen Lebewesen – Kammerlinge, Haplosporidia, Investmentbanker – eignet, ist ihre rein auf Fressen und Vermehrung ausgerichtete, mithin im Lichte des Individuellen geradezu vernachlässigbare Existenz. Erst mit dem Schlaf, schließlich mit der Muße dringt jene metaphysische Gabe in das Dasein ein, die sich in der Betrachtung der Lotosblüte vollendet zum reinen Sein, zur Sphäre der Freiheit von allem Niederen, das kaut, rülpst, verstoffwechselt oder sich in der Glotze reinzieht, wie ein paar Knalltüten in aufgemotzten Blechbüchsen unter brüllendem Lärm im Kreis fahren, um sich hinterher mit drittklassigem Sekt zu besprenkeln. Das Symbol der Weisheit ist nicht ohne Grund die Schildkröte, die weiß, wie kann das Leben in aller Ruhe an sich vorbeiziehen lassen, denn sie wird noch hier sein, wenn der Rest der Rampenturner sich bereits der friedvollen Ruhe der Biomasse angepasst haben werden. Wie anders der geschäftige, der hysterische Mensch, der sich aus freien Stücken in den Standby.Modus begibt.

Vor dem Erfolg kommt die Vorbereitung, mit gewissenhafter Hand legt der Schütze den Bolzen in die Armbrust oder schmiert Wachs auf den Ski, bevor er zu Tal brettert und sich die Gräten bricht – das Leben, zumal der bunte Haufen humanoider Talentdetonation, ist kein Instant-Ponyhof. Doch ist der Jetztzeitler selten an qualitativ hochwertiger Arbeit interessiert, er lässt sich seine Werke lieber eine Stufe billiger in die Gegend klatschen, legt höchstens bei Organtransplantationen noch sein Augenmerk auf eine gewisse Güte der Ausführung und ist ansonsten zufrieden, die Domestiken durch die Gegend scheuchen zu können. In permanenter Anspannung wünscht sich der Fürst den Untertanen, bereit zum Sprung, bis zum Knie in der Adrenalinsuppe. Die natürliche Regenerationsphase darf er sich gerne vorstellen, doch sie ist wie der Trojanische Krieg: sie hat stattgefunden, aber es mangelt an einem Beweis dafür. Der Arbeitnehmer hat sich längst daran gewöhnt, dass er wie durch ein unsichtbares Seil verbunden ist mit der Firma.

Das Seil ist die Nabelschnur, die andererseits den Homo oeconomicus auch wieder aussaugt, ihn zu allen Nachtzeiten mit Stromstößen hochpeitscht, die Kugelkette, die ihn in die Erde zurückdrückt, wenn er seine Freiheit auszuleben beginnt, und sein Marionettenfaden, der ihm ins Bewusstsein ruft, für wen er sich abzappelt. Kein Wachzeitrhythmus, keine dem Kalkül sich unterwerfende Größe und erst recht kein gesunder Menschenverstand lassen den Bekloppten zur Besinnung kommen, dass er seiner eigenen Beseitigung beiwohnt; vermutlich ist er selbst inzwischen von der Zwangshandlung so angefixt, dass er zum Junkie der Arbeitswelt wird.

Er wird es nicht ohne Folgen. Unbeugsam wie Margarine wehrt er sich zunächst vor dem Dasein im Standby, stets per Fernbedienung anknipsbar, dabei einen bescheuert hohen Umsatz an Energie in die Gegend verpuffend, der sich nicht rechnet und nicht lohnt, doch irgendwann wird er weich und fängt an, Anrufbeantworter und Mailbox, Faxgerät und Briefkasten automatisch zu kontrollieren. Der Serotoninpegel kippelt, wenn nicht regelmäßig die Fußfessel seinen Bereitschaftsgrad testet, und bald schon hängt der seidene Faden der Selbstachtung an der Schlagader des Smartphones, das kalt wie der Rest des Anorganischen auf dem Nachttisch liegt, während sich der Blödmann fröhliche Hirnkirmes aus paranoiden Puzzleteilchen schwiemelt: Bin ich schon gefeuert? Komme ich mit mehr als zehn Sekunden sozialer Isolation überhaupt klar? Wird sich für mich noch jemand interessieren, wenn der Akku nach 36 Stunden plötzlich schlappmacht?

Die globalisierte Arbeitswelt nimmt derweil den Fetisch permanenter Abrufbarkeit hin wie ein Naturgesetz. Noch eine Generation, dann werden die Unternehmensberater ihren bildungsfreien Kunden die Mär von der genetischen Verwurzelung des Standby vorbeten und Karoshi zum Normalfall erklären. Sie werden es ihnen per SMS mitteilen.

Schon greift der Wichtigkeitswahn ins Private über, der Beknackte wähnt sich im Seitenaus, wenn er nicht einmal täglich gegruschelt, gestupst oder in den Gluteus gekickt wird. Erst der drahtlose Käfig scheint ihm pures Gold, in dem er seine beschissene Existenz zu führen vermag, und sein Schicksal ist besiegelt, wenn er erst verlernt hat, sich ohne künstliche Ablenkung auf Nahrungsaufnahme, Schlaf und Reproduktion zu konzentrieren – längst ist der Inkarnationsfreestyler dazu übergegangen, den Wert seiner täglichen Verrichtungen höher zu hängen als die eigentlichen Inhalte des Seins. Per Statusupdate wirft er dem genervtem Genpool vor, dass er sein Bäuerchen gemacht hat, weil er auf Reaktionen hofft. Immerhin hat er ein paar Süchtige mit Mobilmethadon versorgt, und sie werden sich nicht an den Bahndamm legen müssen, um alle drei Minuten vom Dezibelschwall in die Realität katapultiert zu werden.

Die Welt bräuchte eine Schocktherapie, einen globalen Ausfall aller Kommunikationskanäle, der die Menschheit wieder auf sich selbst zurückwerfen könnte. Aber sie würden es doch nicht merken. Die E-Mail, die es ihnen sagte, keiner läse sie.





Alles nur geliehen

14 04 2010

„Nehmen Sie Platz. Ihre Unterlagen haben Sie wohl dabei. Ihre Unterlagen haben Sie nicht dabei? Was glauben Sie denn, wo Sie hier sind? Meine Güte, das ist hier eine Behörde und kein Kinderspielplatz! Wenn hier jeder irgendwelche Anträge stellt, dann muss das eben auch Ordnung haben! Struktur! So, und jetzt gehen Sie noch mal raus mit dem ganzen Kram, und dann kommen Sie hier ganz piano wieder rein und setzen sich geräuscharm auf den vor Ihnen stehenden Stuhl, kapiert?

Ist eben so, ich kann’s ja nicht ändern. Was heißt denn hier Behördenschikane – Sie wollten das mit dem Kündigungsschutz, und Sie wollten das mit den Eingliederungsvereinbarungen. Ich kann Ihnen zwar nicht mehr die Leistungen kürzen, wenn Sie nicht in der Lage sind, Ihren vertraglichen Verpflichtungen nachzukommen, aber ich kann Ihnen ganz hübsch das Leben zur Hölle machen. Na, sehen Sie, da kommen wir uns doch schon mal näher. Sie unterschreiben hier unten rechts, und dann schauen wir uns mal gemeinsam an, was Sie für uns zu tun haben, wenn es uns passt.

Selbstverständlich ist das befristet. Sie denken doch wohl nicht, dass Sie hier als Arbeitsloser reinmarschieren und sich zwischen einem halben Dutzend Vollzeitstellen etwas Schönes aussuchen dürfen, was Ihnen Spaß macht. Die Zeiten sind vorbei, das kann ich Ihnen flüstern! Ja, dann werden Sie eben jeweils nach Einsatzmöglichkeit beschäftigt, wir stellen das regelmäßig fest, wo wir die entsprechenden Kräfte auf dem Arbeitsmarkt benötigen. Sklavenhandel? ich bitte Sie, das ist doch nicht Ihr Ernst! Vor allem bei den rechtlichen Rahmenbedingungen – Sklaven hatten schon immer ein Recht auf Arbeit. Damit wollen wir gar nicht erst anfangen, oder sind wir hier im Sozialismus? Wie ich es Ihnen sage, die Stellen sind alle befristet. Für Sie hätte das den Vorteil, dass man Ihnen keine lange Einarbeitungszeit zumutet, Sie sind schon am ersten Beschäftigungstag voll einsatzfähig. Für uns hat das den Vorteil, dass wir Sie jederzeit wieder an die frische Luft setzen können. Und in so richtig partnerschaftlichem Geist arbeiten Sie doch gerne, oder? Es gibt eben Berufe, bei denen man deutliche Abstriche machen muss. Da ist mit Qualifizierung und diesem ganzen Bildungsgedöns auch nichts zu wollen, das sind eben einfache Handlagertätigkeiten ohne großartiges Anforderungsprofil, da kann man jeden Blödmann einsetzen. Wer nicht spurt, kriegt eins auf die Fresse. Oder Leistungskürzung. Und wer es beim dritten Mal nicht rafft, hat halt Pech gehabt. Wir können nicht jeden Schmarotzer durchfüttern, hier ist nicht Schlaraffenland.

Gut, man merkt es schon. Ja, wir sehen das natürlich bei den Produktivitätszahlen, dass die Sache nicht rund läuft. Dann muss man eben auch mal recht hart reagieren. Wir können ja nichts dafür, dass die überlassenen Arbeitnehmer ständig Mist bauen, weil man ihnen ihre Aufgaben nicht korrekt erklärt hat. Geht uns ja eigentlich auch nichts an, wir sind nur dafür da, die Gelder zu kassieren. Alles andere ist nicht unser Bier, letztlich.

Dass Sie sich mit Ihrer Arbeit gar nicht identifizieren, müssen Sie mir nicht erzählen. Wenn ich mir Ihre Arbeitszeugnisse ansehe, wäre ich darauf auch von alleine gekommen. Sie wollen mir erzählen, Sie seien überfordert gewesen? Also bitte – Sie haben doch in all den Jahren nie ernsthaft gearbeitet. Sie haben es ja nicht einmal richtig versucht! Und jetzt wollen Sie mir weismachen, dass Sie Arbeitsroutine erworben hätten? Kinder, was ist das denn für ein Stuss! Wenn ich mir das hier ansehe, Sie kriegen doch heute noch einen Nervenzusammenbruch, wenn Sie mal alleine im Büro sind und das Licht ausmachen sollen! Routine – was für ein Blödsinn, Mann!

Beschwere ich mich bei Ihnen oder meckern Sie hier an den Eingliederungsmaßnahmen herum? Sie erwarten, dass der Staat Sie alimentiert, dann seien Sie verdammt noch mal auch etwas kooperativ und interessieren Sie sich für die Arbeitsmöglichkeiten, die sich Ihnen in den kommenden Monaten bieten. Woher soll ich denn wissen, was in einem halben Jahr los ist? Bin ich Hellseher? Na also. Dann verschonen Sie mich mit Ihrem Gejammer. Haben Sie etwa plötzlich eine Kapitalismusallergie? Dann werden Sie sich wohl daran gewöhnen müssen, dass Sie nicht mehr aus lauter Freundlichkeit irgendwo durch die Arbeitswelt laufen dürfen, sondern nur noch zur Gewinnerzielungsabsicht. Also jetzt nicht Ihrer – jetzt hören Sie doch mit Ihrer antiquierten Vollkaskomentalität auf, das ist ja nicht mehr feierlich! Gehen Sie doch nach Nordkorea, wenn Sie unbedingt Kommunist werden wollen!

Dann werden Sie in sechs Monaten einen neuen Betätigungskreis kennen lernen. Eben gerade noch Schneeschaufler in Berlin und jetzt schon Aufseher in einem Ferienlager zwischen Usedom und dem Riesengebirge. So praktisch ist das Leben! Hatten Sie erwartet, dass wir Ihnen eine persönliche Hängematte aufspannen, nur weil Sie es sind, Herr Minister? Ihr Vertrag ist befristet. Wenn Sie nicht mehr gebraucht werden, fliegen Sie raus. Dann ist der Nächste dran. Sie haben hier einen zeitlich befristeten Arbeitsvertrag, der bei mangelnder Leistungsbereitschaft jederzeit aufgehoben werden kann. Auch sehr kurzfristig, damit Sie sich hier keine Schwachheiten einbilden. Das mag für Sie problematisch sein, aber geben Sie nicht mir die Schuld; hätten Sie etwas Anständiges gelernt, dann müssten wir uns jetzt nicht mit Ihnen herumärgern.

Ach, noch einen Tipp, Westerwelle: nächstes Mal nicht mit Leihstimmen.“





Gernulf Olzheimer kommentiert (XL): Meetings

15 01 2010
Gernulf Olzheimer

Gernulf Olzheimer

Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.

Manchmal ist Dienstag, manchmal auch schon Donnerstag, doch es ist selten später als halb elf und der Tag hat noch jede Menge Chancen, der absolute Tiefpunkt der gesamten, an sich schon beschissenen Woche zu werden. Eingepfercht in eine Herde Homo-sapiens-Parodien in erbärmlich anmutenden Polyesteranzugdarstellern und tussige Plappermäulchen, herausgefordert vom Versuch, Mumienaroma in den Kaffee zu schwiemeln, so stellt sich der Arbeitnehmer der letzten großen Herausforderung, die ihm das Leben vor dem Tod noch zu bieten hat: dem wöchentlichen Meeting.

Der Primatenzoo ist zusammengetrommelt, die letzte Torfnase betritt den Besprechungsraum eine halbe Sekunde, nachdem der Abteilungsleiter die Prämissen für den Komplettumbau des Konzerns heruntergehaspelt hat. Feine Sache, jetzt darf sich die Belegschaft den Laberflash gleich noch einmal reinziehen und bekommt dabei genug Gelegenheit, dem Nachzügler zuzusehen, wie er geistesabwesend seine Fingernägel säubert, mit Papierfliegern die Luftschlacht über dem Erzgebirge nachspielt und hinterher bekloppte Fragen stellt. Das vermittelt der Belegschaft das beruhigende Gefühl, dass ihre Arbeitsleistung sowieso für die Tonne ist, und motiviert sie ungeheuer, die folgende halbe Stunde in kataleptischer Starre zu verharren – abgesehen von dem Typen im moosgrünen Schlabberpulli.

Denn diese Hilfsbrezel, von Beruf Gabelzähler der Amtskantine, ist im Gegensatz zu den Staub ansetzenden Ölgötzen, die durch beharrliches Schweigen billiges Abstimmfutter für jegliche Wahl darstellen, und muss es genau wissen. Während um ihn herum nur das Geräusch leise flatternder Lungenflügel mit dem hektischen Sirren einer Fruchtfliege an der Kaffeetasse des Meetingleiters konkurriert – ab und an wird die Belegschaft durch die Folgen obstruktiven Schnarchens spontan einem Erneuerungsprozess unterzogen – klemmt diese Zeitbremse mit wahrhaft philosophischer Schärfe einen bunten Strauß behämmerter Fragen zwischen die Argumente. Ob unter einer Büroklammer auch wirklich eine Büroklammer zu verstehen sei, nicht etwa ein Brillenkaiman oder eine Backform. Wie der Anweisung, die Fenster zum Hof durchgehend geschlossen zu halten, technisch zu begegnen sei. Wann genau mit dem Eintreten der Datumsangabe Samstag zu rechnen wäre. Die Entsorgung dieser primitiven Lebensform böte ausschließlich Vorteile für die psychische Gesundheit der Mitarbeiter, führt aber regelmäßig zu Gewaltexzessen und hinterlässt nachhaltige Schäden an der Inneneinrichtung.

Obzwar die Riege der Intelligenzallergiker den Besprechungszeitrahmen bis auf das Vierfache aufbläht, ist sie nur halb so erfolgreich wie der in der Ecke festgewachsene Flachdachscheitelträger mit dem braungrauen Altherrenoberhemd, der die geistige Obdachlosigkeit repräsentiert. Jeder Versuch, die im Zuge der Sitzung angerissenen Probleme einer einvernehmlichen Lösung zuzuführen, wird von der Law-and-Order-Nulpe mit dem Hinweis auf Komplexität und Länge der Tagesordnung niedergeplärrt. Kreative Potenziale walzt der Kamerad mit dem IQ von Dosenblech aus dem Stand platt, sein sturer Bürokratismus lässt ihn leistungsfähig erscheinen. In Wahrheit ist er die Blaupause zur Herstellung von Monosynaptikern und so fortschrittstauglich wie eine am Boden festgeschweißte Kohlenschütte.

Und während die Ritter der Schwafelrunde sich um die ermüdende Frage kümmern, ob zum Kick-Off eine multimediale Präsentation die Awareness des Consumers für die neue Markenwelt mit positiven Ansätzen zielorientiert aufladen könnte, um die Bestände der Produktlinie linear abzubauen (Klartext: ein abgehalftertes Schlagergerät trötet auf allen Kanälen gleichzeitig den Unfalltod seines bröckelnden Nachruhms heraus und sondert dabei einen grenzdebilen Text ab, damit das Prekariat eine klebsüße Magensaft-Mango-Plörre in der Literpulle kauft), hocken die Gewinner der ganzen Chose vor den Plätzchentellern, mümmeln Heidesand mit Schokoladenüberzug und spielen an ihren neuen digitalen Endgeräten, denn der Chef, jüngeres Baujahr, aber intellektuell kurz vor der vorletzten Steinzeit gründlich falsch abgebogen, merkt nichts. Und so amüsiert sich die letzte Reihe wie seinerzeit auf der Penne königlich unterhalb der Tischkante, guckt im Internet auf einer der zahlreichen Video-Plattformen Pamela Andersons Brustwarzen beim Mutieren zu, twittert zwischendurch noch ein bisschen nach draußen, dass der Abteilungsleiter unter multiplen Fehlschaltungen leidet und seine Umwelt daran teilnehmen lässt, und schaltet schon mal ganz geschmeidig auf aktuelle Abendplanung bei Facebook um, damit Freund Langeweile keine Chance hat. Spätestens dann, wenn der nervende Zwangsneurotiker dazwischenquarrt und wissen will, ob eine Banane eine Banane im Sinne einer Banane ist, wenn Schüsse krachen und einer der schnorchelnden Pennbrüder aufs Laminat möllert, interessiert es sowieso kein Schwein mehr, warum die ganze Mannschaft ohne Tageslicht, Sauerstoff und Verstand hier hockt – Woche für Woche.





Vertrauen gegen Vertrauen

5 03 2009

Zwei Pfandbons. Nur 1,30 Euro hatten die ganze Öffentlichkeit in Aufruhr versetzt. Dass so was von so was käme, sagten die einen. Die anderen sagten das auch, meinten es aber ein bisschen anders.

Die nationale Vertrauenskrise drohte. Denn uneingeschränktes Vertrauen sei einer Supermarkt-Kette nicht mehr zuzumuten, wenn der Verdacht bestünde, dass es sich bei der Verdächtigung um einen Verdacht handelte; dies sah das Gericht als erwiesen an, und um mehr ginge es auch nicht, ließ es verlauten. Eine strafrechtliche Würdigung wäre ohnedies nicht zu erwarten, da der Streitwert zu vernachlässigen sei angesichts des 30-jährigen Arbeitsverhältnisses.

So begann die öffentliche Debatte zunächst auch durchaus moderat in justizinternen Kreisen. Nach einem Essay, den Franz Josef Wagner, das moralische Gewissen der Bundesrepublik, publiziert hatte, wurde allerdings die Frage laut, ob dies einen im Rechtsdenken nicht erlaubten Analogieschluss darstelle. Die Juristen verwahrten sich: die Formel Wer lügt, stiehlt auch sei in keiner Sache zum Tragen gekommen. Im Gegenteil sei erwiesen, dass, wer zwar nicht gelogen habe, doch verdächtig sei, des Stehlens verdächtigt werden zu können.

Der neue Straftatbestand wurde demnach als Vertrauensbruch bezeichnet. Nach allgemeiner Lehre war der Versuch dann gegeben, wenn die Vornahme des Vertrauensbruchs unmittelbar einseitig angesetzt wurde. Einen Aspekt der Strafrechtslehre beleuchtete der international bekannte Jurist Franz Josef Wagner mit seiner Arbeit über die moralische Würdigung des Betruges. Sie sei nicht gegeben, gleich doppelt nicht, wenn ein Betrug gar nicht nachgewiesen werden könne.

Keine drei Tage später schwoll die Diskussion an. Der Auslöser waren Ermittlungen gegen zahlreiche Banken, darunter auch Landesbanken, deren Management vorgeworfen wurde, Gelder veruntreut zu haben. Ein zähes Ringen begann. Der verhältnismäßig hohe Streitwert ließ strafrechtliche Schritte erwarten – arbeitsrechtliche Konsequenzen stellte die Rechtsprechung ins Ermessen der Bankvorstände, denen aus bisher nicht geklärten Umständen Beweisstücke für einen Verdacht wegen Vertrauensbruchs abhanden kamen. Ein weiterer Schritt zu Ordnung und Frieden im gesunden Rechtsempfinden war damit unternommen.

Natürlich waren die linkspopulistischen Kräfte nicht zufrieden und strengten eine Untersuchung der Tatumstände an. Der Streitwert, der immerhin der gesamten Weltbevölkerung gehöre, auf mehrere zukünftige Generationen hochgerechnet, sei doch eher gering, urteilte die Justiz. Der international bekannte Wirtschaftswissenschaftler Franz Josef Wagner kommentierte dies als ethisch vertretbare Lösung. Immerhin, so Wagner, sei Besitzwahrung kein Privileg der Privatwirtschaft; auch die unter staatlicher Kontrolle stehenden Banken besäßen das Recht, die Fehler des Kapitalismus zu begehen.

Ein launiges Intermezzo lieferten sich Peer Steinbrück und die Linke. Die Beschuldigung gegen den Bundesfinanzminister lautete, dieser habe weite Teile des Etats veruntreut und durch unvorhergesehene Kreditaufnahmen das Vertrauen missbraucht. Noch am selben Tag sprang die Kanzlerin ihrem Minister in die Seite, indem sie ihm vor aller Welt das Vertrauen entzog – da ein nunmehr nicht mehr vorhandenes Vertrauen auch nicht gebrochen werden konnte, war Steinbrück aus dem Schneider. Die Koalition rieb sich die Hände. Und verfuhr weiter wie bisher.

Doch auch vom rechten Rand kam Kritik. Das Geld sei nicht Eigentum der Banken, sondern Volksvermögen. Die Expertenkommission arbeitete den Fall noch einmal durch und befand, dies sei vor dem Emmely-Präzedenzfall eine klare und verlässliche Aussage. Da auch die Pfandbons nicht der Kassiererin gehört hatten – und nicht einmal dem Einzelhandelskonzern selbst, sondern dem unbekannten Pfandgeldeigner – könne man hier die strafrechtliche Verfolgung ausschließen.

Die Wogen glätteten sich, als feststand, dass den Bankmanagern eine Nähe zur Gewerkschaft nicht nachgewiesen werden konnte. Keiner von ihnen hatte einem Betriebsrat angehört. Zur Beruhigung bezahlten die Bankhäuser sie mehr und mehr mit Pfandboni.

Der international bekannte Ontologe Franz Josef Wagner unterstrich in seinem Vortrag, den er anlässlich der Gründung der von Tengelmann ins Leben gerufenen Stiftung für Menschenrechte hielt, die Unterschiede von Pfandbons und Bankkrediten. Als materielles Gut sei ein Bon nicht mehr in der Zuhandenheit, das Geld aber mitnichten weg. Es sei nur umverteilt worden. Schlüssiger hatte bislang kein international bekannter Paläobiologe Heidegger erleuchtet. Sogar Klaus Zumwinkel bekannte, sein Vertrauen in die rechte Hälfte des Staates sei nun wiederhergestellt.

Allein die Zweifel blieben in Kaiser’s neuen Kleidern hängen. Man zögerte. Vor allem von Umverteilung sprach man nicht gern. Einen sozialistischen Anstrich wollte man sich nur ungern geben. Der international bekannte Fußballexperte rehabilitierte sich angesichts eines Urteils, das einen arbeitslosen Schwarzfahrer mit einer empfindlichen Strafe belegte. Dies sei kein Sonderfall, so der international bekannte Kirchenhistoriker, sondern nur eine juristische Fußnote; dennoch sei ein Beförderungserschleicher kräftig anzupacken – wer auf Volkes Kosten Omnibus fahre, schädige im Gegensatz zu den Banken die Allgemeinheit und könne gar nicht genug Härte zu spüren bekommen. Der Vertrauensverlust war überwunden. Unbedingte Ehrlichkeit hatte einmal mehr gesiegt über die moralischen Konstruktionen einer Öffentlichkeit, die sich nur auf Kontrolle verlassen wollte.

Wäre da nicht der Bon über acht Cent gewesen, den Wagner im Flaschenrückgabeautomaten gefunden und in die Tasche gesteckt hatte. Das Überwachungsvideo dokumentierte es lückenlos. Der Vertrauensbruch ließ sich nicht mehr kitten, denn es blieb nicht bei einem Versuch – von der Kasse weg wurde der international bekannte Menschenrechtsaktivist abgeführt.

Noch schwelt der Rechtsstreit. Der Staatsanwalt forderte bereits, das Opfer in die Schlagzeilen zu bringen. Lebenslänglich. Auf Bewährung.