Mehr Volksdemokratie wagen

17 10 2011

„Und wie viele Personen werden kommen?“ „Weiß nicht.“ „Sie müssen doch wissen, wie viele Sie erwarten?“ „Weiß ich nicht, das hängt eben davon ab.“ „Hängt wovon ab?“ „Was jetzt auf der Demo los ist?“ „Und wovon hängt das ab?“ „Wogegen wir jetzt protestieren.“

„Also wenn ich das richtig verstanden habe, dann planen Sie diese Demonstration…“ „Ja, weil sich endlich mal etwas tun muss!“ „… und Sie wissen noch nicht genau, wofür Sie demonstrieren.“ „Wogegen. Wir sind gegen etwas.“ „Das sei mal dahingestellt. Schließlich ist es nur eine Sache der Perspektive. Aber Sie müssen doch ungefähr wissen, was Sie mit Ihrer Aktion erreichen wollen:“ „Wir sind dagegen, dass das alles so bleibt.“ „Und wie soll die Zielgruppe, die Sie mobilisieren, dann wissen, dass es Ihre Zielgruppe ist?“ „Das sehen wir, wenn wir wissen, wogegen die Leute sind.“ „Sie wollen also die Demonstration davon abhängig machen, welche Leute sich angesprochen fühlen?“ „Klar, das ist ja auch irgendwie basisdemokratisch und so.“ „Aber wie sollen denn die Leute sich an Ihrer Demonstration beteiligen, wenn sie gar nicht wissen, wofür…“ „Wogegen!“ „… Sie hier überhaupt demonstrieren? Das ist doch unlogisch?“ „Es geht uns doch um Teilhabe.“ „Ah, endlich mal ein vernünftiger Ansatz! Teilhabe woran? An der wirtschaftlichen Entwicklung? an der Bildung?“ „Am Protest. Wir wollen, dass alle, die auch gegen das da sind, am Protest teilhaben können.“ „Wogegen denn?“ „Gegen das, wogegen wir protestieren.“ „Aber wogegen protestieren Sie denn bitte!?“ „Dass es zu wenig Teilhabe gibt. Am Protest beispielsweise.“

„Jetzt mal ganz langsam. Sie sagen, Sie wollen eine Demonstration veranstalten mit den Leuten, die demonstrieren wollen, weil sie sonst nicht demonstrieren könnten.“ „Irgendwie so.“ „Also die, die sonst nicht demonstrieren?“ „Ja, weil die wollen wir jetzt ja auch mobilisieren, dass sie mal auf die Straßen gehen und eine Forderung stellen.“ „Quasi wie die Nichtwähler, die sich mobilisieren lassen müssen, weil sie sonst nicht zur Wahl gehen?“ „Nein, eher wie die, die Protestparteien wählen, sich aber nicht für eine entscheiden können.“ „Und das bringt jetzt genau was?“ „Das ist dann ein ganz deutliches Zeichen an die Gesellschaft, dass wir uns gegen die bestehenden Verhältnisse aussprechen.“ „Geht das möglicherweise auch ein klein wenig konkreter?“ „Sie meinen, wofür wir…“ „Ich dachte, dagegen?“ „… und konkret engagieren? Das ist eher so eine gesamtgesellschaftliche Sache, die wir als Fundament für unsere Kritik nutzen. Mehr so das partizipatorische Element irgendwie.“ „Also wollen Sie die Leute, die nicht wissen, wogegen sie sein sollen, abholen und sie gegen irgendwas protestieren lassen, von dem sie selbst noch nicht wissen,. was es eigentlich ist?“ „Nein, es ist doch eher die Teilhabe an der Bewegung. Man muss die Menschen doch repolitisieren, damit sie auch mal sehen, dass sie nur mit mehr Teilhabe eine Chance auf eine politische Meinung haben.“ „Sie meinen: dass sie mit einer politischen Meinung eine Chance bekommen auf mehr Teilhabe?“ „Klar. Es hängt ja irgendwie auch alles zusammen und so.“

„Also sollen sich die Leute eine politische Meinung bilden, damit sie sich mehr Teilhabe erstreiten können, richtig?“ „Ja, das wäre schon gut. Wir müssen uns auch als gesamtgesellschaftliche Gruppe verstehen, die sich in den Prozess…“ „Können wir alles später. Erst mal sind wir hier bei der politischen Meinung. Wie soll die denn im Einzelnen aussehen?“ „Wie jetzt?“ „Was soll denn diese politische Bewusstseinsbildung ergeben? Sie müssen doch, wenn Sie sich für…“ „Gegen!“ „… eine politische Meinung entscheiden und sie in der Öffentlichkeit artikulieren, auch eine entsprechende Basis an Fakten haben, und sie müssen sich dann eine politische Richtung geben. Wo geht denn das hin?“ „Wissen wir nicht, wir dachten an Mitte und dann Richtung Reichstag und danach…“ „Ich meine die politische Richtung.“ „Ach so. Ja, das werden wir dann ja sehen, wenn die Leute sich uns anschließen. Das kann man ja auch nicht so über deren Köpfe hinweg entscheiden, das wäre auch voll undemokratisch und so.“ „Aber es müssen sich doch hier Gleichgesinnte treffen – das ist doch in jeder Partei so, dass Sie mit einer Forderung oder mit einer Meinung…“ „Dagegen!“ „Das ist doch vollkommen egal! Sie brauchen erst eine Meinung, und dann suchen Sie sich jemanden, der die ebenfalls vertritt, und dann können Sie eine Demo veranstalten, und am Ende steht dann die politische Teilhabe.“ „Aber das muss ja nicht so sein. Wir wollen eben erst die Menschen hinter uns sammeln, die sich auch für die gesamtgesellschaftliche Sache engagieren, für sich die Teilhabe an dem Prozess einfordern und dann für eine…“ „Ich dachte, Sie sind jetzt wieder dagegen?“ „Das ist aber immer nur eine Frage der Perspektive, wir müssen halt nur wissen, was wir mit unserer Aktion… – Was war jetzt noch mal die Frage?“ „Wofür, wogegen oder wie auch immer sind Sie? Warum gehen Sie auf die Straße? Was ist der Sinn und Zweck und Inhalt dieser Demonstration? Und warum sollte ich da mitmachen? Was habe ich davon, wenn ich mit dieser verdammten Demo durch die Hauptstadt latsche!?“ „Sie können Ihren Protest artikulieren, dass Sie mehr Teilhabe am Protest haben wollen, um Ihren Protest für mehr Teilhabe artikulieren zu können.“ „Und wenn diese Demo nicht zugelassen wird?“ „Dann grillen wir, heute soll’s noch schön werden.“





Verantwortungs-Los

18 02 2010

„Und das würde Ihrer Ansicht nach wirklich funktionieren? Also ich wäre da ja skeptisch.“ „Alle ungewöhnlichen Ideen sind am Anfang als nicht realistisch belächelt und teilweise deshalb bekämpft worden; insofern ist das gar nichts Neues.“ „Aber Sie müssen doch zugeben, dass das nicht nur etwas völlig Neuartiges ist, sondern eine Umwälzung, die unser Verständnis von Politik mit ihrer…“ „Nein, das sehen Sie falsch. Nicht von Politik. Sondern unser Verständnis von Staat.“ „Meinetwegen, aber ist das nicht dasselbe?“ „Sehen Sie, und genau da liegt der Hund begraben. Das ist der Punkt.“

„Warum meinen Sie denn, dass dies Verfahren den Staat ändern würde?“ „Weil es eine völlig andere Form von Macht etablieren würde.“ „Aber das ist doch verboten! Wir leben hier in einer Demokratie, man kann doch nicht einfach die Demokratie abschaffen!“ „Wer hat denn etwas von Abschaffen behauptet? Wir verändern sie nur. Wir führen eine neue Form der Demokratie ein. Eine Basisdemokratie.“ „Und Sie meinen, dass das auch in der Praxis funktioniert? Wie stellen Sie sich das denn vor – einfach so den Bundestag gegen den kleinen Mann von der Straße ersetzen?“ „Genau. Mit einem Losverfahren. Wir segnen nicht mehr irgendwelche Listen ab, den uns die Parteien vor die Nase hängen, wir wählen aus unserer Mitte die Vertreter des Volkes.“ „Per Losentscheid?“ „Die einzige Form von Wahl, die den Namen verdient.“

„Wie stellen Sie sich das vor? also praktisch, wie sollen wir denn überhaupt so viele Kandidaten für dieses Parlament bekommen?“ „Indem Sie als deutscher Staatsbürger registriert sind.“ „Das ist doch aber wirklich nicht verfassungskonform.“ „Was meinen Sie, wie man zum Wahlhelfer ernannt wird?“ „Hm. Da kann man sich wenigstens wehren, wenn wichtige Gründe dagegen sprechen.“

„Was halten Sie eigentlich von Politikern?“ „Politiker? Gehen Sie mir bloß ab – dieses dumme Pack, den Hals kriegen sie alle nicht voll, keiner von denen hat etwas Ordentliches gelernt, die haben doch die Arbeit auch nicht erfunden, und dann kriegen sie alle hinten und vorne noch das Geld reingesteckt und wollen es nicht offen legen und kriegen die dicken Pensionen und Dienstwagen und fliegen umsonst und bescheißen mit Bonusmeilen und lassen sich schmieren und – faul, korrupt und machtbesessen, was wollen Sie denn noch hören? Denen ist es doch völlig egal, was wir hier machen, haben Sie es je erlebt, dass sich ein Politiker schon einmal für das Leben außerhalb des Elfenbeinturms gekümmert hätte?“ „Und warum haben Sie Zweifel, dass man die Zustände verbessern könnte?“

„Aber Sie müssen dann auch berücksichtigen, dass es nicht mehr genug Kompetenz gibt, um die parlamentarische Arbeit zu machen.“ „Kompetenz? Was fehlt denn Ihrer Ansicht nach? Was haben denn Politiker gelernt?“ „Ja, Politik natürlich. Ist das denn kein Studienfach?“ „Was glauben Sie, lernt man in Kunstgeschichte Malen?“ „Nicht? Was sind denn die Politiker?“ „Das Drittel der überflüssigen Juristen, die es nicht zu einer sauber laufenden Anwaltskanzlei bringt. Arbeitslose in einem Job als Vollzeitschmarotzer.“ „Echt? Hm. Aber wenn man alle Politiker gegen Volksvertreter auswechseln würde, was würde das bringen?“ „Zum Beispiel mehr Aufrichtigkeit.“ „Aufrichtigkeit?“ „Sicher, stellen Sie sich vor, Sie sitzen im Bundestag, hören eine Rede zu einer der vielen Gesundheitsreformen, und da schwatzt der Redner von Kostendeckelung, Arbeitsplatzsicherung, demografischer Schieflage, was würden Sie da denken?“ „Hm.“ „Und was würden Sie sagen, wenn Sie wüssten, das ist eine bezahlte Tröte der Pharmafirmen, die Ihnen erklärt, dass die Großaktionäre 400% Rendite erwarten?“

„Aber Sie müssen sich doch auch einmal klar machen, welche Tragweite so eine Entscheidung hätte.“ „Wir wollen doch hoffen, dass sie es hat.“ „Ich meine, Sie müssen sich doch mal überlegen: Sie werden aus dem Adressverzeichnis ausgewählt, und dann sollen Sie solche Fragen beantworten? Ist das denn realistisch?“ „Und was meinen Sie, wie in den Vereinigten Staaten die Geschworenen in Mordprozessen gewählt werden, um über die Anwendung der Todesstrafe zu richten?“ „Da kann man sich das ja denken, das ist ja nicht so richtig eine demokratische Staatsform.“ „Demokratie ist keine Staats-, Demokratie ist eine Machtform.“ „Und was ändert das?“ „Dass wir dasselbe Verfahren auch benutzen. Schließlich wird auch unser Staatsoberhaupt auf diese Weise gewählt – und Sie wollen doch wohl nicht behaupten, das sei ein undemokratischer Prozess?“

„Also werden die Abgeordneten im Bundestag demnächst zufällig ausgewählt?“ „Gut möglich. Man sollte vielleicht die Größenverhältnisse der Bundesländer noch berücksichtigen, aber das geht bestimmt analog der Wahlkreise.“ „Und dann kann man die Besetzung dem Bevölkerungsdurchschnitt entsprechend bestimmen?“ „Natürlich. Was meinen Sie, was man aus dem Datenspeicherwahn der Bundesregierung alles machen könnte, was die Bundesregierung so alles gar nicht haben wollte.“ „Und das wollen die Leute?“ „45% der US-Bürger meinen, man sollte Kongressabgeordnete per Zufall aus dem Telefonbuch nehmen. Sie haben die Nieten und die Lobbyisten gründlich satt.“

„Ob ich – also ich meine, wenn man sich jetzt rechtzeitig – das wäre zu überlegen… meinen Sie, wenn man sich jetzt…“ „Was wollen Sie? sich bewerben?“ „Naja… dann wäre doch wenigstens die Altersvorsorge geklärt.“