„Bewerben geht immer. Die Einstellungskriterien sind ja bekannt, man muss das richtige Alter haben, Deutschkenntnisse, männlich – das darf man nicht sagen, aber bis jetzt haben wir das Amt immer mit einem Mann besetzen können. Und so richtig ist es auch fast nie schiefgegangen.
Er hat ja auch schon Erfahrung mit öffentlichen Ämtern, bisher ging es dabei auch um etwas, als Außenminister zum Beispiel. Da hat er schon einen klaren Wertekompass gezeigt, der mit so gut wie jeder Bundesregierung vereinbar ist: deutsche Waffenlieferung in Kriegsgebiete, deutsche Staatsbürger ohne Nachweis einer Straftat im US-amerikanischen Folterlager, deutsche Arbeitnehmer dank Hartz-Gesetzen als Freiwild für die deutsche Industrie. Dieser Mann ist auf dem besten Weg, ein deutsches Nationalsymbol zu werden.
Dieser Wertekompass bringt ihm auch viel Sympathie ein, beispielsweise bei den Liberalen. Er hat vermutlich im letzten Augenblick die FDP aus den Koalitionsverhandlungen gerettet – gut für die FDP, gut für Deutschland. Da sehen Sie mal, was man mit Umsicht und für das Gemeinwohl alles tun kann. Nein, also als Typ ist er ja wirklich okay, das muss man ihm lassen. Das qualifiziert ihn schon zum Bundespräsidenten.
Dieses Staatsmännische, das kann er einfach. Er lässt sich nach einem faschistischen Mordanschlag irgendwo absetzen – vermutlich ziehen die ihn im Hubschrauber mit so einem Schlüssel auf und lassen ihn dann gleich am Rednerpult runter – und verkündet, dass das eine Attentat gegen uns alle war, und wir müssen dann gar nicht mehr über die Konsequenzen nachdenken. Wie der Mann Hanau und Halle und das alles wegbügelt – sagenhaft! Diese international bewährte Farblosigkeit, die als geradezu aristokratische Blässe durchgeht, das haben wir lange nicht gehabt. Naja, gegen seinen Vorgänger geht ja auch ein Eimer Affenscheiße als intellektuelle Glanzleistung durch.
Natürlich haben wir auch andere Bewerber – ich verwende hier absichtlich die männliche Form, weil man über eine weibliche Kandidatin ja nachdenken darf, aber nur, solange es keine Konsequenzen hat. Ob sich diese Pferdemutti mit der Vogelnestfrisur von der esoterischen Hochschule aus Hogwarts an der Oder noch mal bewirbt, oder in Mitte kippt ein Latte macchiato um, das interessiert keinen mehr. Außerdem kann die SPD ja nicht mehr als einen Kandidaten in Rennen schicken.
Er fällt so angenehm nicht auf, dieser Mann. Da gab es beispielsweise Präsidenten, die unbedingt an der militärischen Präsenz unserer Wirtschaftshelfer in den demokratisch noch nicht so entwickelten Entwicklungsländern Kritik üben mussten. Oder nicht genug Kohle für ihr Eigenheim hatten. Wenn Sie in einer deutschen Fußgängerzone sein Bild zeigen würden, die Leute könnten damit nichts anfangen. Nicht einmal mit dem Namen. Der Mann geht vollständig in seinem Amt auf, das ist geradezu ideal. Er polarisiert nicht, seine Denkanstöße zeichnen sich dadurch aus, dass er nichts anstößt, weil er vorher nicht nachgedacht hat, und was er von sich gibt, ist so wunderbar folgenlos wie etwas, das gar nicht stattgefunden hat. Wenn er meint, wir würden nach der Pandemie einander viel zu verzeihen haben, dann ist das tatsächlich so unspezifisch wie überflüssig – die Gesellschaft ist komplett im Eimer, weil eine Rotte habgieriger Drecksäcke die Republik ausnimmt wie einen toten Fisch, und alles, was diesem Märchenonkel einfällt, sind Kerzen für die Todesopfer von Gier und beschissenem Management im Wahlkampf. So eine gesamtgesellschaftliche Minderleistung kriegen Sie ohne Medikamente nicht hin, glauben Sie’s mir.
Auf der anderen Seite schläft natürlich auch die Konkurrenz nicht. Diverse Kanzlerkandidaten sind da auch noch im Gespräch, fragt sich nur, wie lange man die im Zwischenlager aufbewahren kann, oder ob man die gleich im unpolitischen Abklingbecken entsorgt. Das erfordert einen versierten Umgang mit Gefahren, stellen Sie sich mal vor, so eine Knalltüte würde würde bei jeder sich bietenden Gelegenheit Volksreden von sich geben und das Land mit seiner christlichen Integrationsmoral vollsalben. Von der Wirkung auf diplomatischem Parkett will ich noch gar nicht mal reden, die ist sicher schlimm genug. Nein, dann schon lieber ein alter Mann, der sich stellvertretend für die alternde Gesellschaft opfert und noch einmal antritt. Milde Emphase ohne jedes Charisma, quasi ausstrahlungsfreie Zukunft aus recycelten Vergangenheitsbestandteilen – das müssten die Grünen doch eigentlich mittragen – und eine Haltung, die man für jede Art von sozialem Stillstand ohne Hoffnung auf Reformen zur allen Tageszeiten wegsenden kann. Wenn es den Mann nicht schon gäbe, man müsste ihn erfinden: der kompromisslose Kompromiss.
Sie können heute als Politiker machen, was Sie wollen: zu viel Lockerungen oder zu wenig, pro oder contra Mietpreisbremse, Steuern hoch oder runter, Schuldenbremse ja oder nein, irgendjemand kritisiert Sie immer. Der Mann tut nichts, deshalb macht er auch nichts falsch. Schneller werden Sie nur beliebt, wenn Sie Außenminister sind und nicht in der FDP. Wobei… –
Gut, dann tüten wir die Sache jetzt ein, bis zur Bundestagswahl haben wir ja auch noch ein paar Tage Zeit, die Parteien können in Ruhe jemanden suchen, der sich gegen ihn aufstellen lässt – ich würde da aus Gründen der Diversität gerne eine junge Frau sehen, das macht sich medial total gut – und Sie bringen es Merz schonend bei, okay?“
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