Der Erwählte

26 02 2012

Nun also kommt er endlich dran,
weil sie’s vorher nicht schafften,
ihn reinzudrücken. Deutschland kann
den Mann wohl auch verkraften.

Dass er die Macht hat, ist’s nicht bang,
doch alles steht und fällt,
dass er ab jetzt fünf Jahre lang
die Schnauze hält.





Das Missverständnis

22 02 2012

„Jetzt wollen sie ihn doch?“ „Wenigstens wundert sich keiner, dass er noch will.“ „Warum auch nicht. Er fand ja schon immer, dass er etwas Besseres ist.“ „Daher diese selbstbewusst zur Schau gestellte Demut.“ „Und das vorher?“ „Das kann bloß ein Missverständnis gewesen sein.“

„Das Merkwürdige an dem Mann ist doch, dass er wegen seiner Vergangenheit Präsident werden soll.“ „Sie meinen, weil er keine hatte?“ „Haben hatte er die schon, aber eben anders, als man jetzt sieht.“ „Dann müsste Merkel ihn doch eigentlich schätzen.“ „Weil sie auch so fortschrittlich ist, dass ihre liberale Haltung schon fast wieder konservativ wird?“ „Nein, aber auch sie ist eine Frau der ersten Stunde.“ „Verstehe, sie hat 1989 entdeckt, dass sie eigentlich schon immer Bürgerrechtlerin gewesen sein musste.“ „Es handelt sich sicherlich nur um einen Fehlschluss.“

„À propos – Geschichte!“ „Gab es da auch Falschinterpretationen?“ „Wie man’s nimmt. Er will partout, dass eine Kundgebung gegen den Abbau von Bürgerrechten nicht als Montagsdemonstration bezeichnet wird.“ „So viel historische Bildung! Das passt ja dazu, dass die SED das Unrecht der Vertreibung mit der Ostgrenze zementiert hat.“ „Ich sehe es förmlich vor mir, wie Walter Ulbricht Väterchen Stalin mit dem Küchenmesser bedroht, dass er ja nicht an der Grenze herummontiert.“ „Er kennt sich aus mit historisch bedingter Hybris, seine Selbsteinschätzung beruht ja zu einem nicht ganz geringen Teil darauf.“ „Aber das ist ja aus dem Zusammenhang gerissen.“ „Weil er das nicht direkt den Polen ins Gesicht sagt?“ „Dafür ist Steinbach zuständig. Nein, im Zweifel hatte die SED einen guten Grund dafür.“ „Der Verfassungsschutz hat ja auch immer einen Grund, wenn er Parlamentarier beschnüffelt.“ „Das ist das mühevoll gelernte Rechtsstaatsprinzip: wenn ein Rechtsstaat etwas tut, muss es richtig sein, denn sonst wäre es ja kein Rechtsstaat.“ „Deshalb hat er auch die anlasslose Vorratsdatenspeicherung für legitim erklärt, wenn sie nur tatsächliche Erfolge bringt.“ „Meinen Sie, dass das Bundesverfassungsgericht demnächst die Folter damit für legal erklärt?“ „Das muss sicher wieder nur ein Missverständnis sein.“

„Dabei muss man dem Mann doch Respekt zollen.“ „Weil er eine so hochpolitische Person gewesen ist, die aber so perfekt integriert war, dass sie quasi schon wieder völlig unpolitisch ist.“ „Er hat doch auch gesagt, dass er keine politischen Erlösungsfantasien mag.“ „Für einen Theologen kein Wunder, die sind ja immer schon unpolitisch gewesen.“ „Was war dann die Wiedervereinigung?“ „Die muss er missverstanden haben.“ „Vermutlich als Erweckungserlebnis.“ „Immerhin wäre das ein Grund, warum er danach seine Vergangenheit hinter sich gelassen hat.“ „Kann er das nicht?“ „Warum noch mal wollten die Leute Wulff loswerden?“

„Immerhin wird man von ihm nicht mehr hören, dass der Islam zu Deutschland gehört.“ „Dass das Judentum zu Deutschland gehört, wird er sich auch verkneifen.“ „Er beklagt ja nur, dass der Holocaust immer so wichtig genommen wird.“ „Vor allem von den Opfern.“ „Das ist wohl wieder so ein Versehen wie die Prager Deklaration.“ „Sie müssen gerecht bleiben, wenn man sich mit Holocaustleugnern an einen Tisch setzt, dann kann man doch nicht ahnen, dass sich unter denen auch Antisemiten befinden.“ „Das hat er wohl auch gemeint mit seinem Lob für Sarrazin.“ „Dass er ihm Mut attestiert?“ „Es gehört jede Menge Mut dazu, sich vor geistig gesunde Menschen zu stellen und Müll zu verbreiten.“ „Aber er hat Sarrazins Biologismus kritisiert.“ „Dass der nur das Vehikel war, ohne dass Sarrazin keine Aufmerksamkeit für sein Gerede über mehr oder weniger dumme Völker bekommen hätte, bemerkt er nicht.“ „Er beschwert sich über den Lärm, lobt aber den Fahrer, dass er so schön hupen kann.“ „Sie dürfen von ihm keine kommunikativen Fähigkeiten erwarten, der Mann ist nur Theologe.“ „Eben, da redet man meist vor Tiefschläfern.“

„Abgesehen davon, er findet Christen zuverlässiger.“ „Das ist sicher seiner Lebenserfahrung geschuldet.“ „Als Pastor?“ „Eher im Zusammenhang mit der Staatssicherheit. Aber das werden wir sicherlich wieder falsch verstanden haben.“ „Deshalb will er ja auch den Nationalstolz nicht nur den Bekloppten überlassen.“ „Ein Berufschrist, der Stolz reklamiert – das ist doch eine Todsünde?“ „Sie müssen es metaphorisch verstehen. Er will, dass jeder von außen normal aussehende Bürger Brandsätze schmeißen kann.“ „Das verstehe ich. Er moniert ja immerzu, dass die deutsche Opferrolle nicht ausreichend gewürdigt wird.“ „Deshalb jammert er ja ständig darüber, dass die Deutschen ständig über irgendetwas jammern.“ „Das ist doch auch ein Missverständnis, dass er lieber Altdeutsche mag?“ „Sie meinen, weil er ein Neudeutscher ist?“ „Ich verstehe, das scheint eine Mentalitätsfrage zu sein. Ein ost-westlicher Divan.“ „In diesen Landstrichen kann man nachvollziehen, dass er keine Trauerfeier für getötete Ausländer mag.“ „Macht nichts. Mit der Einstellung haben wir bestimmt bald einen Anlass für eine Festrede.“ „Vermutlich ein Synagogenbrand.“

„Immerhin, er kennt nur Deutsche. Keine Parteien mehr.“ „Das hat ja auch etwas Erhebendes, wenn man begreift, dass es nicht nur im Parteienspektrum keine Opposition mehr gibt.“ „Sie meinen: keine legale Opposition.“ „Und wir haben endlich einen Präsidenten, den man auch aus dem Zusammenhang gerissen falsch verstehen kann.“





Sprechblasenbruch

5 07 2010

„Und wir haben ihn auch wirklich im Griff?“ „Absolut. Es wird keine Pannen geben, darauf können Sie sich verlassen.“ „Auch kein irrtümlich geäußertes Wort oder ein Interview, das…“ „Wenn ich es Ihnen sage – er wird nicht einmal einatmen, ohne vorher um Erlaubnis zu bitten. Ab sofort wird es weder Zufälle noch Versehen geben. Es läuft alles am Schnürchen. Keine Panik. Er weiß, was er zu tun hat. Und wir haben die Fäden in der Hand.“ „Es kann auch wirklich nichts passieren?“ „Nein. Wulff funktioniert wie ferngesteuert. Er wird keine Fisimatenten machen.“

„Die Redenschreiber sind instruiert?“ „Aber ja, das ist schließlich unser Hauptaugenmerk. Kein falsches Wort.“ „Gesundheit? Bildung?“ „Nein.“ „Staatshaushalt?“ „Keinesfalls.“ „Vielleicht die Familienpolitik?“ „Ach woher!“ „Oder dann doch die Entwicklung…“ „Nö. Fehlanzeige. Vor allem schlagen Sie sich mal Sachen wie ‚Entwicklung‘ oder ‚Förderung‘ aus dem Kopf, das werden Sie bis zur erfolgreichen Wiederwahl dieser großartigen Regierung nicht mehr hören.“ „Ich dachte eher, nicht mehr sehen – na egal, man sieht’s ja jetzt schon nicht mehr.“ „Werden Sie mir hier nicht witzig.“ „Was gibt es denn noch alles nicht mehr?“ „Sie werden künftig auf ‚Erneuerung‘ verzichten, ‚Aufbruch‘, ‚Wechsel‘…“ „Könnten wir einen Deal machen? Ich verzichte liebend gerne darauf, wenn sich im Gegenzug die Regierung diesen täglichen Neustart verkneift. Glauben Sie, die bekommen wenigstens das hin?“ „Nicht mein Ressort, Kollege. Ich kümmere mich um den Bundesprälaten… ich meine den Bundespräsidenten, um das Kabinett die Kanzlerin. Oder eben auch nicht.“ „Und Sie meinen wirklich, dass das etwas hilft?“ „Nein, ganz sicher nicht.“ „Aber wenn Sie jetzt…“ „Deshalb werden wir ja auch zur Sicherheit sämtliche Medieninhalte zensieren, die etwas mit Obama zu tun haben. Diese Plakate, Sie wissen schon. ‚Change!‘ Das sollte hier nicht zu deutlich in der Gegend herumhängen.“

„Sie meinen, man müsste jetzt über die mediale Schiene diese ganzen Fehler ausbügeln, die Merkel und Westerwelle gemacht haben?“ „Richtig.“ „Also alles letztlich doch wieder nur eine PR-Sache? Und damit wollen Sie die Schäden ausbügeln, die diese unverantwortlichen Stümper an der Demokratie…“ „Nichts dergleichen. Mit Demokratie wird man ihn bestimmt nicht verbinden.“

„Aber jetzt sagen Sie doch mal, wofür steht denn dieser Wulff eigentlich? Der muss doch eine Art Programm haben, eine Message oder ein Credo oder wie man das nennt.“ „Schiss.“ „Sie meinen: Angst?“ „Nein, ich meine: Schiss. Breitbeinige Befürchtungen. Wenn man sich zum Ausgang manövrieren will, weil das Herz bereits in die Hose gegangen ist.“ „Und wovor?“ „Vor allem. Und vor allem davor, dass es nicht so weitergeht.“ „Aber sie wissen doch genau, wenn es genau so weitergeht, dann geht es garantiert nicht mehr weiter.“ „Richtig, und das macht die Sache ja so unangenehm.“ „Wulff ist also der Präsident, der den Untergang zum Schicksal erklärt und Lähmung zur Tugend? Habe ich das richtig verstanden?“ „Sie haben, und das ist das Profil. Die Regierung setzt auf den Status quo, wohl wissend, dass das dieses Konstrukt nur aus wirr zusammengeklatschten Versatzstücken besteht, die den Nachfolgern um die Ohren fliegen werden – nicht daran rühren, nicht scharf angucken, vielleicht wird es dann ja doch gut gehen bis 2013. Und die Bürger werden sich, so denkt Merkel, von dem warmweichen Salbadern einlullen lassen und hoffen, dass sich nie etwas ändern wird. Weil sie alle inzwischen begriffen haben, dass sich alles nur zum Schlechteren ändern kann.“ „Dazu braucht man einen Brückenbauer als Pontifikalpräsidenten, um die Gräben zu schließen, die diese Kanzlerin und ihr Außenlautsprecher aufreißen?“ „Er wird deshalb ja auch als Leisetreter auftreten und das Kontrastprogramm gestalten. Und muss aufpassen, was er dabei sagt – noch einen Sprechblasenbruch von epischer Größe wird sich diese Truppe nicht mehr erlauben können.“

„Und das ist ein politisches Programm?“ „Kein tragfähiges, aber ja: das ist ein Programm. Sagen Sie bloß, Sie erkennen Merkels Handschrift nicht wieder?“ „Doch, das schon. Mir fehlt hier nur der Anknüpfungspunkt.“ „Der Bunker.“ „Bitte?“ „Sie verhält sich so wie in einem Bunker: draußen wird geschossen, also kann sie sich nur auf die verlassen, mit denen sie drinnen sitzt.“ „Weil sie befürchtet, dass sie sonst falsch beraten wird – das ist auch der Grund, warum Merkel und Westerwelle sich so gut verstehen. Sie trauen einander nicht über den Weg, nehmen keinen fachlichen Rat an und vergeben ihre Posten an unterwürfiges Gefolge.“ „Es erinnert ans dekadente Spätstadium untergegangener Reiche, als man in jedem Bediensteten einen Verräter sah und keinen Bissen ohne seinen Vorkoster schluckte.“ „Sie begreifen. Die Angst vor dem Hofstaat.“

„Hätte sie nicht jemanden nehmen können, der wirklich etwas bewegen kann?“ „Ist da noch einer? Hat sie nicht sowieso schon alles weggebissen, was sich bewegen kann?“ „Roland Koch?“ „Um Gottes Willen! Der hatte doch im Gegensatz zu Wulff nicht den Arsch in der Hose, aus der gestaltenden Politik zu verschwinden. Er macht sie jetzt nur von der anderen Seite des Tisches. Und ich frage mich, ob man Koch als Präsidenten toleriert hätte.“ „Wulff ist auch nur Koch nach der Gesichtsrückgabestelle.“ „Stimmt. Dann heißt das also, sie hat wieder einmal die falsche Entscheidung getroffen und hat an der falschen Stelle Angst?“ „Würde ich sagen.“ „Na dann – wunderbar. Keine Veränderung. Wir brauchen nichts zu fürchten.“





Dritte Wahl

4 07 2010

Die Runtschen aus dem Gartenhaus
isst freitags immer Fisch.
Vor allem bittet sie sich aus,
dass diese Ware frisch
und überhaupt in Ordnung sei,
die Haut noch glänzend blinke
und, was am wichtigsten dabei,
noch nicht vom Kopfe stinke.
Und wenn der Fisch das trotzdem tut,
ist er für Mohrchen doch noch gut.
Der Kater frisst auch, ganz egal
    dritte Wahl.

Die Glöbritzsch aus dem Erdgeschoss,
sie pflegte lang den Gatten.
Nun kam Freund Hein, und sanft er schloss
die Augen ihm, die matten.
Die Witwe zeigt sich resolut.
Schon bald ist Totenfeier,
und sie besorgt selbst, was man tut,
denn Sterben, das ist teuer.
Ein neuer Anzug? Wohlfeil doch
wär dieser mit dem kleinen Loch –
im Sarg, da reicht doch allemal
    dritte Wahl.

Die Merkel denkt, ein Präsident,
das muss sich machen lassen,
ein Zinnsoldat, den man gut kennt –
doch wen soll sie jetzt chassen?
Der Schäuble rollt ihr schon davon,
die Leyen hilflos plappert,
derweil ihr Wulff, ihr Schweigersohn,
für Mutti ’s Äuglein klappert.
Fällt einmal durch. Im zweiten Gang
beißt Muttchen Nägel schreckensbang.
Man sieht, er wird’s. Und wie fatal.
    Dritte Wahl.





Die Brandstifter

3 07 2010

Da habt Ihr es. Es ist in aller Munde,
dass Biedermann zum Sieg getragen werde,
schwarz-gelb bekutscht mit Eseln statt der Pferde,
und Schwefelhölzchen austeilt in die Runde.

Ein Eimer Sand ist das Gebot der Stunde.
Löscht Ihr die Funken nicht, dann brennt die Erde,
man tritt Euch nieder, denn schon flieht die Herde.
Kein Blick zurück. Der Rest geht vor die Hunde.

Und während wir noch nüchtern sind und wachen,
hat sich die Schrift erfüllt. Was soll man machen.
Man fragt uns nicht. So war’s zu allen Zeiten.

Und fragt man uns, dann ist Befehl statt Bitte.
Was dort verdirbt, ist nicht mehr unsre Mitte.
Die Zügel werden ihnen schnell entgleiten.