Freundschaft!

22 03 2022

„Kein Zucker? nee, hier ist kein Öl. Keinen Zucker gibt’s da drüben. Könnten Sie eventuell auch etwas freundlicher gucken, wir sind hier im Einzelhandel. Wenn Sie Ihre schlechte Laune abreagieren wollen, gehen Sie doch bitte zum Finanzamt.

Krise? das nennen Sie Krise!? Sechzehn Sorten Fruchtjoghurt, ein Regal mit Mikrowellenfraß, eins mit japanischen Aufgussnudeln, Litschis und grüner Spargel im Glas, und Sie labern von Krise? Bei der letzten Lackverkostung haben wir das Ausspucken vergessen, was? Keine dreißig, und jetzt kommen Sie hier als westliche Feierabendbrigade der rechten Knalltüten nach Bad Gnirbtzschen, um uns vor der Gefahr zu warnen, die von der Verteufelung der russischen Militärmacht ausgeht? Weil Sie dummes Weichei einen Nervenzusammenbruch kriegen, wo Sie billiges Industriemehl vermissen?

Waren Sie überhaupt schon mal in Russland? Hätte ich mir ja denken können. Ich habe damals in Moskau Marxismus studiert, deshalb bin ich heute ja auch im Einzelhandel. Da lernt man nämlich fürs Leben, genauer gesagt: warum dieser Kapitalismus, den Sie und Ihre Würstchen uns als Lösung für alle Probleme aufs Auge gedrückt haben, das Problem für alle Lösungen ist. Wir hatten damals keine sechzehn Sorten Fruchtjoghurt, und warum? weil wir keine sechzehn Sorten Fruchtjoghurt brauchten. Damals nicht, heute nicht. Es war eben nicht alles gut im Sozialismus. Aber wenn ich mir die Idioten angucke, die die sogenannte freie Marktwirtschaft hervorbringt, dann war auch nicht alles schlecht.

Gibt es irgendwo im Grundgesetz ein Recht auf Tütennudeln? Und ich meine jetzt nicht die teuren, die italienische Markenware spielen, obwohl die mittlerweile als Teil einer Industriebäckerei einem tschechischen Chemiekonzern gehören – da weiß man auch ziemlich schnell, was da drin ist und wo der ganze Krempel herkommt – sondern billige Nudeln, die sich die Rentner leisten können, weil sie sich nur die leisten können müssen. Die braucht jetzt so eine SUV-fahrende Arschgeige wie Sie, die uns weismachen will, von Marktwirtschaft hätten wir ja gar keine Ahnung. Das regelt der Markt, aber im Zweifel ist das eben Krise, wenn man mal nur Vollkornnudeln kriegt, weil die merkwürdigerweise nicht knapp werden. Oder verwechseln Sie das nur, weil bei Ihnen die Spritkasse schlimm sozialistische Quersubventionen aus dem Lebensmittelbudget braucht, die nur der Staat ausgleichen kann? Und was meinen Sie, wem dieser schlimm sozialistische Staat jetzt schneller unter die Arme greifen wird, SUV-fahrenden Arschgeigen oder Rentnern?

Ja, wir haben das auch gehabt damals. Aber wir haben uns nicht ständig beklagt, dass es kein Öl mehr gibt, nicht, weil wir zwanzig Liter Rapsöl aus Mecklenburg zum Überleben brauchten, wenn aus der Ukraine keine Sonnenblumensaat mehr kommt, sondern weil diese verschissene Opfermentalität, die uns die Westler beigebracht haben, damals nicht angesagt war. Wenn Sie Öl wollen, gucken Sie halt einmal in Augenhöhe ins Regal – Augenhöhe, das ist das, was Sie im Osten bis heute nicht auf die Reihe kriegen – und verlangen Sie keine Bückware. Das sind die Regeln, ach was: Gesetze des freien Marktes, die Sie mit Ihrer Ersatzreligion im Rücken seit dreißig Jahren vorjodeln, wenn’s mal unschön läuft für Bevölkerungsschichten, zu denen Sie nicht gehören. Haben wir gejammert, als die Russen die Produktivität mit Planwirtschaft abgewürgt haben? Dann sollten Sie jetzt das Maul halten, wenn die Versorgung durch die Marktwirtschaft versagt.

Die Kaffeekrise haben Sie nicht mitgekriegt, da waren Ihre Eltern vermutlich noch Teenager. Der Preis stieg auf das Sechsfache, dazu kam noch die Ölkrise – fragen Sie Ihre Eltern, ob ein Fahrverbot in ganz Deutschland die Bevölkerung von einem Tag auf den anderen umbringt – und die Produktion der preiswerten Sorten musste eingestellt werden. Aus dem Westen kam nichts, weil wir nicht die erforderlichen Mengen an Mandeln, Korinthen und Orangeat für echten Dresdner Christstollen hatten, wobei: es kam etwas aus dem Westen. Gewimmer. Sie mussten sich schrecklich darüber beklagen, dass es zu Weihnachten nicht den richtigen Stollen gab, mit dem Sie Ihre Wiedervereinigungssehnsucht aus dem Fenster hängen konnten. Wir haben den Kaffee mit Erbsenmehl gestreckt, sind auf Tee umgestiegen und haben haben abgewartet, bis Erichs Krönung nicht mehr die Brühmaschinen in der Gastronomie verstopft. Hat man das Gejammer über die Mauer gehört? Dann fragen Sie sich mal, warum. Von den Regierungsabkommen der DDR mit Vietnam zehrt die Kaffeeindustrie übrigens bis heute, falls Sie interessiert, warum der so billig ist. Die nächste Krise 2001 kam wegen Überproduktion. Aber daran war sicher auch der Sozialismus schuld.

Keiner hier will die DDR zurück. Keiner hier will immerzu ‚Internationale Solidarität!‘ schreien, ‚Freundschaft!‘ oder irgend etwas, das man schreit, weil man sonst nicht daran glaubt. Wenn Sie genau wissen wollen, wie gut uns die Einheit getan hat, dann gucken Sie gerne noch mal nach, was mit dem Vermögen der Ost-CDU passiert ist, bevor sich im Konrad-Adenauer-Haus die Schreibtischschubladen auf wundersame Weise für immer schlossen. Wir haben gewartet, bis es besser wurde, als wir nicht mehr warten wollten, haben wir es besser gemacht. Das steht Ihnen noch bevor. Wünschen Sie sich das nicht. Real existierende Krisen sehen Sie derzeit in der künftigen Sowjetunion, wir hatten nicht mal den real existierenden Sozialismus. Und jetzt nimm Deine Avocados und die Flasche Rotkäppchen und verpiss Dich aus meinem Laden, Du Westbeule!“





Gernulf Olzheimer kommentiert (CDII): Jammerossis und Besserwessis

9 02 2018
Gernulf Olzheimer

Gernulf Olzheimer

Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.

Da sind sie, Brüder im Geiste, dies- und jenseits der Mauer, die ja nicht mehr steht, und man fragt sich verzweifelt: warum nicht mehr? Hat nicht jeder in seinem Reservat glücklicher gelebt? Weniger und weniger kritisch hinterfragt? Ohne die ständige Gefahr, mit diesem Draußen konfrontiert zu werden, schnittfester Luft, Argumenten, die standzuhalten versprachen? Haben Sie nicht einander bedingt, der greinende Sachse und Thüringer, der Tränensack aus dem Erzgebirge und der ewige Schnittbroterfinder aus dem Rheinland, das westfälische Arschloch mit der Riesenklappe? Fielen nicht beide ohne ihren Antagonisten zu Staub zusammen und wären ein elendes Häuflein deutscher Geschichte, noch elender, als sie sich jetzt schon zeigt?

Der Jammerossi will einfach nur seine DDR zurück? Grundfalsch, erstens hat er, ganz sicher im Widerstand gegen südfruchtlosen Sozialismus und Vorkämpfer für die deutsche Nylonstrumpfhose, das System nicht so gewollt, bei aller Solidarität mit der werktätigen Bevölkerung im Kombinat, und zweitens hat er sein permanente Gemoser, seine Jeremiaden über den Zustand der nationalen Größe, nur heimlich und unter dem Küchentisch ausleben können. Nicht auszudenken, er als angepasste Lebensform ohne Rückgrat hätte lamentierend durch Leipzig gemacht, Dresden vollgeweimert – das tut er jetzt erst, bringen tut es ja bekanntlich nichts – und Gera als Epizentrum der Depression geoutet. Er muss sich nur eben beschweren, keiner hat seiner Befindlichkeit zugehört, es war auch egal, aber einmal, einmal stand er nicht im Mittelpunkt, und wir müssen’s leiden. Kriegt er keine Tempolinsen, macht er ein Geschrei, als sei das gesamte Brudervolk wieder über die Elbe gekommen. Seine Dörfer sahen auch schon in den Achtzigern beschissen aus, die Einschusslöcher hat er sich gut erhalten, aber die Jungen waren damals halt noch da. Und man konnte, eine gut schließende Kellertür vorausgesetzt, den mosambikanischen Vertragsarbeitern die ganze Schuld in die Schuhe schieben, wenn es in der Kaufhalle nur noch sachzwangreduziertes Sortiment gab. Es war ja auch nicht alles schlecht, meinte der Ossi, und bezog sich insgeheim auf den braunauer Bettnässer, der die Neger aus Schkeuditz und Großpösna schon ausgeschafft hätte, so viel ist mal sicher. So schwiemelt sich die Wehklagefachkraft eine gute alte Zeit herbei, die keiner Prüfung im Präsens bedarf und ihm auch nichts entgegenzusetzen hätte. Lassen wir ihn auf den eigenen Tränendrüsen in den Abgrund rutschen.

Auf der anderen Seite wartet der Besserwessi, der schwäbische Knallfrosch mit dem genetisch bedingten Überdruck in der Hohlrübe – er kann, weiß, versteht alles, hat alles schon gemacht, verfügt über jeden Titel, übt Ämter und Berufe seit Jahrzehnten aus und kann sich aus technischen Gründen einfach nicht irren. Er hat das auch dem Papst klargemacht, und seitdem der Papst nicht mehr aus dem Ostblock kommt, hat der es wohl auch gerafft. Eine mindestens zehntausendjährige Tradition des Blumenumtopfens in Kurhessen walzt jeglichen Innovationsschub platt, aber das erwartet man ja auch von einem Deutschen, dass er jede Konkurrenz mit Ressentiment und viel Ignoranz in die Tonne kloppt, statt sich mit ihr auseinanderzusetzen. Auch Zwickau ist Feindesland, vorwärts und nie vergessen, und mit etwas Geduld erlebt man, wie der Großkotz dem Bewohner des Zutrittsgebiets sein Deutschsein in Bausch und Bogen abspricht – das Nationale hat sich der Bürger zu ersitzen, wie es sich die zufällig Eingeborenen von Düsseldorf seit Wirtschafts- und anderen Wundern geleistet haben. Auch Schicksal darf für ihn nicht hinterfragt werden, die Geschichte wird sich schon etwas dabei gedacht haben.

Sie nehmen sich beide nichts, sie haben längst die Bodenhaftung verloren und stolpern durch die Historie, größtenteils rückwärts. Gemeinsam ist ihnen allenfalls der kerndeutsche Neid, dass aus anderen Ländern andere Menschen kommen, die nicht nur besser Deutsch sprechen als sie selbst, sondern auch noch gut ausgebildet, motiviert und halbwegs vernünftig sind. Das hat vertraglich als Störenfried am Standrand von Cottbus zu lungern oder im pfälzischen Plattenbau, notfalls entkommt der eine oder andere in die Abendnachrichten, und es hat nichts mit Fußball zu tun. Aber ansonsten ist für derlei Gesindel doch kein Platz.

Denn was verbindet die beiden, Ossi und Wessi, wenn nicht das perpetuierte Vorurteil, das man nicht in Frage stellen darf, die Abrissbirne ist als einziges funktionierendes Werkzeug zur Hand und sie leistet Großartiges. Sie treffen sich in der Mitte, um auf das Fremde einzudreschen und sich selbst kräftig zu bemitleiden, weil man dabei blutige Flossen kriegt. Die Opferrolle, sie geht immer, der eine plärrt, der andere neidet. Und ist nicht Deutschland als die verfolgende Unschuld mit ihrem zementierten Wahn, was die historische Größe angeht, geradezu ein Musterbeispiel für Realitätsverweigerung? So gut wie wir kann das keiner. Es ist zum Heulen.





Staatsbürger

22 03 2017

„… der Beitritt der Deutschen Demokratischen Republik nach Artikel 23 des Grundgesetzes nicht das Ende des Arbeiter- und Bauernstaates gewesen sei, da in einem föderalen System der sozialistische Landesteil weiterhin als…“

„… in den neuen Bundesländern beheimatete Staatsbürgerszene die Souveränität der BRD nach 1990 ablehne und den Einigungsvertrag als nichtig im Sinne des…“

„… der Staatsratsvorsitzende Maik Foderlandt die Ausrufung der Sozialistischen Volksrepublik Deutschland in Schwürmsleben vorgenommen habe. Der gelernte Maschinist sei von den drei Mitgliedern seines Kollektivs einstimmig zum…“

„… von der Schriftleitung der regionalen Tageszeitungen verlangt habe, die Planerfüllung der Pflanzenproduktion stärker in den…“

„… wohl aus Restbeständen der Roten Armee organisiert habe. Die mit dem Signet der Neuen Volksarmee lackierten Wagen seien nicht mehr fahrbereit gewesen, als sie von der Bundespolizei bei…“

„… eine völkerrechtliche Vertretung für sich beanspruche. Bisher habe Foderlandt nur ein Fax der angolanischen Botschaft sowie eine Einladung zum gemeinsamen Hören einer Radiobotschaft des Obersten Führers der Demokratischen…“

„… als Vorsitzender der Volkskammer von allen Anwesenden bestätigt worden sei. Das in Rotzkau amtierende Parlament lehne allerdings den Staatsratsvorsitzenden ab, da dieser zum Teil aus Kadern außerhalb des Demokratischen Blocks in zu freien und geheimen Wahlen zum…“

„… das Signal des Digitalfernsehens nicht mit dem mobilen Sendegerät verdecken könne. Die Truppe habe versucht, im Umkreis von fünf Kilometern eine selbst produzierte Aktuelle Kamera anstatt der…“

„… einen Ministerrat der DDR proklamiert habe. Das in Plümzow gegründete Organ stehe aber im Ruf, sich nicht als Regierung des sozialistischen Staates, sondern nur zur Durchführung der von Foderlandt vorgeschlagenen und im…“

„… gebe jeweils eigene Münzen heraus. Auch die nach dem Vorbild der Mark der DDR gestalteten Scheine seien von unterschiedlicher Größe, so dass ein Zwangsumtausch an der Neuen Deutschen Notenbank in Knulpin zur Sicherung des…“

„… wenn die DDR eine gleichwertige Rolle gespielt habe, der Einigungsvertrag ebenso das Fortbestehen Ostdeutschlands und den Beitritt der alten BRD in die…“

„… insgesamt neun einzelne SED-Gründungen gegeben habe, die sich gegenseitig in der Besetzung des Zentralkomitees bei der Planung des Parteitags in der Hauptstadt der…“

„… vermehrt DDR-Führerscheine und Pässe in Umlauf seien. Sächsische Ämter seien mit der Beglaubigung derartiger Dokumente oft überfordert und stempelten in Unkenntnis der Dienstvorschrift die vorgelegten…“

„… inzwischen dreißig SED-Organisationen. Ein Zwangsparteitag sei jedoch nicht in Sicht, da jeder der Generalsekretäre den Vorsitz des…“

„… eigene Grenzsperren errichten wolle. Foderlandt sei der Ansicht, dass das Kapitalistische Beitrittsgebiet West sich widerrechtlich Zutritt zum Territorium der…“

„… als Provisorische Zonenregierung den Abriss des Schlossbaus sowie die Wiedererrichtung des Palastes der Republik verlange, um in der Hauptstadt der DDR für künftige Parteitage der…“

„… bei der nächsten Fußballweltmeisterschaft mit einer eigenen Elf antreten wolle. Die Teilnahme sei vorerst durch eine gerichtliche Untersuchung des Klassenfeindes, der der Auswahl der BSG Motor Zwickau systematisches Doping in der…“

„… dass Rotzkau zur Hauptstadt der Freien Sozialistischen Republik Deutschland bestimmt werden müsse. Rico Gunke, Fachkraft für Schutz und Sicherheit aus Groß Zschümpen, habe das Amt des Staatsratsvorsitzenden freiwillig aus der…“

„… die Bundestagswahl boykottieren werde, da keine der anderen Parteien die real existierenden staatsrechtlichen Gegebenheiten anerkenne. Man habe sich als Staatsoberhaupt auf die Aktivistin Brigitte Klörre (93) geeinigt, die schon in ihrer Kampfzeit gegen den…“

„… habe vor dem Obersten Gericht in Schwürmsleben Anklage gegen Gunke wegen staatsfeindlicher Hetze erhoben. Foderlandt sei durch den Richter, der gleichzeitig Sekretär der SED in…“

„… die Einfuhr von Südfrüchten in die SBZ beschränkt habe. Diese Produkte sollten nach Weisung des Politbüros ausschließlich verdienten Genossen des ZK und der…“

„… Proteste auf größere Städte überschwappten. Jugendliche hätten in Schmöllroda gegen die Versorgungsschwierigkeiten mit Kaffee und…“

„… nicht den gewünschten Erfolg habe. Zwar lägen bereits tausende von Bewerbungen für eine Kosmonautenausbildung in der Sozialistischen Volksrepublik vor, doch sei die Finanzierung des Luft- und Raumfahrtprogramms noch nicht…“

„… den Wiederaufbau des Sozialismus nur durch eine Normenerhöhung realisieren könne. Es sei bereits in den frühen Mittagsstunden zu ersten Barrikaden, Steinwürfen und Straßenschlachten mit der Freiwilligen Volkspolizei gekommen, die sofort mit dem Einmarsch der Bundeswehr…“





… hält weder Ochs noch Esel auf

9 02 2012

„… hat die Justiz der BRD kein Recht, mich in Haft zu belassen! Als Staatsratsvorsitzender der Deutschen Demokratischen Republik werde ich umgehend das sozialistische Brudervolk der Russen auffordern, mich endlich zu…“

„… muss doch Mielke irgendwie meine Zellennummer rausgekriegt haben. Macht mir auch jetzt noch Avancen. Andererseits halte ich ihn für harmlos, da er doch alle Menschen liebt, sich dafür einsetzt und…“

„… nur trockenen Sandkuchen. Margot hat alle Schokoladenstückchen aus dem Gebäck entfernt, so dass die Wirkung eine staubige ist, die wieder…“

„… sicher nur eine Frage der Zeit, bis der wirtschaftliche Untergang des Klassenfeindes besiegelt sein wird. In der ganzen Anstalt ist kein einziges Barkas-Fahrzeug zu finden, lediglich importierte Wagen aus imperialistischer…“

„… ist es hier doch recht zugig. Margot schätzt es zwar nicht, wenn ich die Lederjacke dieses westdeutschen Schlagersängers anziehe, doch ist das Kleidungsstück recht bequem und wärmt in den Abendstunden, wenn die Heizkörper bereits…“

„… um meine sofortige Verlegung als Vorsitzender des Nationalen Verteidigungsrates in das Militärgefängnis Schwedt ersucht. Die dazu erforderlichen Straftaten wie gemeinschädlichen Diebstahl und Alkohol im Dienst mir nachzuweisen dürfte eine recht leichte Aufgabe…“

„… mir die krümelige Substanz während des Hofgangs einsteckte. Sie hat einen angenehm fades und nichtssagendes Aroma, das an die Schlager-Süßtafel erinnert. Hinterher dann sehr viel Ärger gehabt, da die Baukolonne nicht wusste, wer ihren Fensterkitt…“

„… auch sehr unfreundlich, dass die BRD-Justiz mir nicht gestatten will, mich von Mitgliedern des Wachregiments Feliks Dzierzynski beaufsichtigen zu…“

„… wurde mir das Begrüßungsgeld nicht wie vereinbart ausgezahlt. Andererseits wäre es für einen ehemaligen Generalsekretär der SED nicht statthaft, eine Unterstützung in Form dieser nicht mehr lang existierenden Westmark zu…“

„… klaut mir Margot inzwischen wohl auch mein Mocca Fix Gold. Ich kriege hier noch eine Kaffeekrise, wenn sie weiterhin sämtliche…“

„… gibt es hier nicht einmal goldene Wasserhähne! Nirgends! Offensichtlich sind wir im ZK einer bösartigen Verschwörung aufgesessen, da Schalck-Golodkowski die kapitalistische Nassraumausstattung immer als besonders dekadent bezeichnet hatte – dies hier jedoch ist weit weniger luxuriös als die aus Wandlitz gewohnten…“

„… gänzlich unverschämtes Gefängnispersonal. Der stark bröckelnde Putz in der Zellenecke wurde seitens der Aufsicht nicht entsprechend entfernt, da sich hier keine nennenswerten Gebäudeschäden befänden. Dabei muss man mir das nicht erzählen, ich verstehe wesentlich mehr von Mauern, die…“

„… bin ich doch sehr enttäuscht, dass die Verbesserung der Ost-West-Beziehungen noch nicht zu einem Freikauf meiner Person geführt haben. Immerhin bin ich als politischer Gefangener der BRD einen solchen Preis durchaus…“

„… wollte sich der Aufseher Schmidt nicht als Kundschafter des Friedens verdingen. Vermutlich war er auch an Karo-Zigaretten nicht so interessiert, dass er sich freiwillig in den…“

„… herzliches Gespräch mit dem Reporter von neues deutschland. Hoffentlich werden sie meinem Wunsch entsprechen und mir den einen oder anderen Jahrgang zukommen lassen, da ich das hiesige Toilettenpapier nicht vertrage und…“

„… sind die hiesigen Glühbirnen offensichtlich auch nicht ewig haltbar. Das Leuchtmittel in meiner Zelle ist nach wenigen Monaten durchgebrannt, so dass ich nicht erkennen kann, wie der Klassenfeind auf Weltniveau…“

„… versuchen jetzt westliche Kommunisten das Gerücht zu streuen, ich hätte den Panzereinsatz in Leipzig selbst verhindert. Diese vaterlandslosen Gesellen, was soll denn die KPdSU denken, wenn ich die Konterrevolutionäre nicht…“

„… sind auch keine vernünftigen Filzpantoffel zu erhalten. Der Westen entpuppt sich immer mehr als ein unmittelbar vor dem Kollaps stehendes System. Andererseits rutschen mir die von der Anstaltsleitung ausgehändigten Hausschuhe wegen der glatten Elastesohlen immer wieder unter das Bett, was mir als Freund von Bückware andererseits auch großes Vergnügen…“

„… hasse ich vor allem diese ständigen Grußkarten von Egon Krenz. Er will mir immerzu erzählen, wie er die Wahlergebnisse so hingekriegt hat, dass sie mit den Umfragen übereinstimmten. Dabei habe ich das doch alles selbst miterlebt! Wenn ich noch eine Karte von ihm kriege, werde ich die Wende hochgehen und ihn eigenhändig…“

„… auf Empfehlung von Modrow gekommen. Die Ingenieure hatten das mit den Panzereinsätzen sehr wohlwollend gelesen und wollten nun für den Verteidigungsfall eine Lageeinschätzung haben. Ich glaube zwar nicht, dass sie diesen Tiefbahnhof in Stuttgart wirklich brauchen, aber ich werde ihnen selbstverständlich gerne einen…“

„… da in diesem kapitalistischen Land den Menschen jegliches Mitspracherecht verweigert, sie politisch und ideologisch verdummt, eingelullt, unmündig gemacht und eingeschüchtert werden. Ich will und ich werde mich rächen, auch wenn ich es nicht mehr erleben werde, wie diese junge FDJ-Funktionärin für Agitation und Propaganda, die jetzt in der CDU ist, dieses Land ruinieren…“





Keine Experimente

23 06 2010

Es war dann doch alles sehr schnell gegangen, als der Euro abstürzte. Die Ruinen rauchten noch, ein neuer Bundespräsident war weit und breit nicht in Sicht, und die Bundeskanzlerin tat in einem Reflex aus Versehen das einzig Richtige: sie übernahm die Regierungsgeschäfte. Auch wenn in der gefühlten Schlussphase des bürgerlich-liberalen Kleinkriegs nichts mehr auffiel, da das Kabinett inzwischen täglich, meist kurz nach der Mittagspause, einen raschen Neustart verkündete. Angela Merkel kannte keine Deutschen mehr – was niemanden wunderte – und auch keine Parteien.

Aus Bequemlichkeitsgründen hatte man zuerst den guten alten Koalitionsvertrag aus der Schublade geholt und mit einem neuen Titel versehen: Freiheit im Sozialismus. Damit war der größte Teil der Zukunftsarbeit getan, zumindest für Guido Westerwelle; bei einem einheitlich bemessenen Durchschnittssteuersatz, dem nur die Avantgarde des Proletariats sich durch Gesetz entziehen konnte, waren sämtliche Positionen erreicht, für die er je gestritten hatte. Als stellvertretender Vorsitzender der Union des Demokratischen Sozialismus, einer Neugründung aus altem Regierungsmaterial, befasste sich der Ex-Liberale nun vornehmlich mit Sonntagsreden.

Das Volk begriff schnell, wobei vor allem die Bürger aus den alten Bundesländern sich für die Segnungen eines allumfassend sorgenden Staates erwärmen konnten. Politik wurde nicht betrieben, aber der Dauerwahlkampf, der sich wie Mehltau auf das Land gelegt hatte, nahm ein Ende. Das neu ins Amt gerufene Präsidialpolitbüro, deren Vorsitzende Merkel die ehemalige Kanzlerin in den Staatsrat berief, wo sie von der ehemaligen CDU-Chefin in einstimmiger Entscheidung zur Vorsitzenden gewählt wurde – die anderen hatten sich auf Heiner Geißler geeinigt, der als Erzfeind der CDU scharfe Ablehnung erfuhr – ernannte zunächst die Minister. Auf die Wahl von Stellvertretern wurde zunächst verzichtet; die Staatsratsvorsitzende fühlte sich sicherer, wenn die zweite Reihe hinter ihr leer blieb.

Die Medien erstatteten fleißig Bericht, wenn auch nach der Ausgliederung Deutschlands aus der internationalen Informationsgemeinschaft ein wenig das Material ausging. Das deutsche Fernsehen, das deutsche Internet bemühten sich, die Reste der deutschen Fußball-Weltmeisterschaft an den Mann zu bringen, wobei wegen der Meinungsvielfalt die Sichtweise der Partei als die einzige notwendig war, um das Publikum auf dem Laufenden zu halten. Zwar waren andere Sichtweisen als diejenige des Bundesinnenministeriums nicht direkt verboten, sie durften auch geäußert werden, sogar im Fernsehen, aber nicht mehr im deutschen. Einzig den Zeitungsverlagen machte das nicht viel aus; sie hatten bereits vorher freundlich darum gebeten, gleichgeschaltet zu werden. So teilten sie die Einnahmen der deutschen Urheber unter sich auf und waren’s zufrieden.

Auch SPD und Grüne ließen sich von den Visionen der Staatsratsvorsitzenden anstecken; sie bemerkten tief in ihren Parteiprogrammen noch ein Glimmen der Positionen, die die neue Gesellschaft jetzt vertrat. Allein die Linke verweigerte sich standhaft jeglicher Kooperation und wollte keine Experimente, nicht aus Gewohnheit, man war es auch der Wählerschaft schuldig, die mit den PDS-Nachfolgern das gute Gefühl hatte, etwas für den Sozialismus zu tun – und gleichzeitig zu wissen, dass er mit denen garantiert nie kommen würde.

Erste Erfolge kamen nach herben Rückschlägen; noch war allen in Erinnerung, wie Westerwelle bei der Zwangsvereinigung mit den Linken gescheitert war. „Ihr“, keifte der glühende Marx-Verehrer den Besuchern des inneren Bundesparteitags entgegen, „kauft mir den Sozialismus nicht ab!“ Noch rieben sich manche die Augen, wie schnell aus Sau- ein Paulus werden konnte, und nur wenige begriffen, dass bereits in der mildtätigen Zuwendung an die volkseigenen Übernachtungsbetriebe ein Keim von freundschaftlicher Solidarität mit von Verarmung bedrohten Subventionsempfängern steckte. (Andere meinten, die Versorgung in der UdDSR für Bonzen und Parteiapparat sei nur eine Fortsetzung der Hotelgeschenke und dazu noch übertrieben.) Auch das überlebensgroße Standbild in Wandlitz, die spätrömisch-golden gefasste Doppelstatue von Angela und Guido führte hinter vorgehaltener Hand zu leiser Kritik, vor allem bei den ehemals christ-sozialistischen Staatsratsmitgliedern. Doch leicht war das deutschen Volk wieder zu besänftigen in eitel Sonnenschein, wie es feststellte, dass sich alles, auch die schönsten Erinnerungen an die Zeit des Aufbaus, wiederholen kann, wenn nur die rechte politische Führung am Ruder ist. Es gab keine Bananen mehr.

Abend senkte sich über den Majakowskiring, wo die Staats- und Parteiführerin nach einem langen Tag mit den Singe- und Propagandagruppen der FDJ in Bautzen noch schnell alte Akten unter dem Teppich verschwinden ließ. Die deutsche, hübsch und demokratisch anzuschauende Republik war ein gelungener Schlussstein ihres politischen Lebenswerks und sollte nun, bei guter Pflege, über vierzig Jahre lang halten. Die Bundeskammer hatte noch schnell das Beschäftigungsprogramm zur inoffiziellen Bürgerarbeit durchgedrückt, dem Staatssicherheitshaupt würde das Personal so schnell nicht wieder ausgehen. Vielleicht, so dachte sie sich, war jetzt auch die Vision des Dicken in der Wirklichkeit geworden: Abwärts immer, aufwärts nimmer.





Die kritische Masse

7 07 2009

Die letzten beiden Tage waren in gespannter Ruhe verlaufen. Noch am Abend des 6. Oktober verkündete die Aktuelle Kamera, die Freie Deutsche Jugend bereite tatkräftig die Feier zum 60. Jahrestag der Staatsgründung vor. Mit weicher Stimme kommentierte die alternde Angelika Unterlauf die Bilder der begeisterten Pioniere, die die Strecke zwischen Brandenburger Tor und Marx-Engels-Platz für den Fackelzug von Papierresten und spärlichem Laub befreiten. Ein Einspieler zeigte das Grußwort Karl-Eduard von Schnitzlers; der schwarze Kanalarbeiter war dement, er berichtete vom Frühstück mit seinem Zimmernachbarn Lenin, doch das fiel nicht weiter auf. Man war gewohnt, dass die Fernsehsendungen inzwischen komplett synchronisiert wurden.

Jubelnde Menschenmassen säumten die Straßen der Hauptstadt, als Sahra Wagenknecht die Militärparade abnahm. Die Staatsratsvorsitzende winkte neben dem Ehrengast Kim Jong-il den Resten der Nationalen Volksarmee zu, die die Allee hinunterrasselten. Einige Dutzend Panzer und Raketenwerfer, größtenteils Dauerleihgaben der Demokratischen Volksrepublik Korea, fuhren im Kreis um das Staatsratsgebäude, um für die Abendnachrichten eine nicht endende Kette an Waffenfahrzeugen zu simulieren. Starr blickten die Offiziere des MfS in der zweiten Reihe; es gab keine Verschnaufpause, das Volk musste jauchzen und strahlen.

Aber das Volk strahlte nicht. Es gab in diesem Jahr wieder Kartoffeln und die Lieferzeit für den Trabant 613 betrug im Durchschnitt nur noch 37 Jahre. In den Seitenstraßen braute sich etwas zusammen. Wer an diesem Montag Westfernsehen empfing, der sah, wie eine Magazinsendung die im Internet kursierenden Videos kommentierte. Hacker hatten den Server des MfS geknackt. Alles war auf einmal verfügbar. Allerdings nicht für die DDR. Netzanschlüsse gab es ebenso wenig wie Mobilfunk oder Computer.

Schon nachmittags kamen die ersten Menschen zusammen. Während die Elite sich nach Wandlitz zurückgezogen hatte und bei Wachtelbrüstchen an Blattgoldrisotto die Diktatur des Proletariats hochleben ließ, marschierten sie durch die Innenstädte. Die Volkspolizei stellte keinen ernsthaften Widerstand dar. Munition gab es schon seit Monaten nicht mehr.

Bundeskanzler Wolfgang Schäuble hatte die Nachricht als erster bekommen. Das Kabinett trat eilig zusammen und beratschlagte. Man wollte abwarten, wie sich die Situation entwickeln würde. Immerhin hatten die östlichen EU-Nachbarn Polen und Tschechien ihre Zusammenarbeit auf allen Gebieten zugesagt. Man war bereit, auch in einer heiklen Situation schnell zu handeln. Die ersten Bundeswehrverbände wurden unauffällig an der innerdeutschen Grenze zusammengezogen. Für die nächsten Stunden herrschte wachsame Stille.

Dann zerstreuten sich die Kundgebungen. Das Politbüro atmete auf. Wagenknecht haspelte einige ihrer alten Sprüche im Staatsfernsehen ab – „Den Stalinismus in seinem Lauf hält weder Ochs noch Esel auf“ – und bereitete sich auf die Prunksitzung der Volkskammer vor. Reden wollten geschwungen, Phrasen gedroschen werden. Das Volk würde die seit Monaten versprochene Ketwurst essen. Danach wäre Ruhe. Doch sie hatten sich alle getäuscht.

Immer mehr geheime Bilder tauchten auf. Die Sekretärin für Agitation und Propaganda der FDJ Angela Merkel versuchte, die Proteste abzuwiegeln; sie bezeichnete die Videos als systemkapitalistische Hypnoseversuche, die von Konterrevolutionären ins Weltnetz eingespeist worden waren. Sie mahnte zur Geschlossenheit. Allein ihr Appell fruchtete nicht, denn keiner hatte mehr als Bruchstücke gesehen. Sie wollten die ganze Wahrheit. Sie hatten genug von den Lügen und der Maskerade.

Hunderttausende kamen, Millionen. Über Buch und Schmöckwitz betraten sie die Stadt, vom Dom und vom Spittelmarkt brachen sie herein, die Massen vom Alexanderplatz drängten zur Mauer. Der Kanzler war konfus. Er hatte nicht damit gerechnet, dass die kritische Masse sich so rasch hatte bilden können. In fieberhafter Eile spielten sie die Szenarien durch: Zerstörung des Schutzwalls, Evakuierung der Bundeshauptstadt, Einrichten eines Kriegsgefangenenlagers für die alte DDR-Regierung. Wie sollte man den Ostdeutschen begegnen? Was wollten sie? Brot oder die CDU? Es gab viele Fragen und keine Antworten.

Bundesjustizminister Wiefelspütz kam eilends aus dem Ministerium. In einem Vieraugengespräch gab er dem Regierungschef die erlösende Auskunft. Eine Tötung würde nicht als Verletzung des entsprechenden Artikels betrachtet, wenn sie durch eine Gewaltanwendung verursacht würde, die unbedingt erforderlich sei, um einen Aufruhr oder Aufstand rechtmäßig niederzuschlagen. Die Verfassung der EU gab also grünes Licht, um die SED-Bonzen legal aus dem Weg zu räumen – oder wen auch immer. Nun konnte man die Menge schon vom Großen Stern aus hören. Die Stimmen schwollen zu einem machtvollen Chor, der rhythmisch die Losung des Volksaufstandes skandierte: „Wir wollen freies Internet, wir wollen Bürgerrechte!“ Die Mauer bröckelte. Die ersten Plattenteile wankten, ein Segment nach dem anderen begann zu kippen.

Der Kanzler gab Schießbefehl.

Unterdessen war Kim Jong-il leicht verärgert, dass er keine Wachtelbrüstchen mehr bekam. Um diplomatische Verwicklungen zu vermeiden, ging man zu den sautierten Jakobsmuscheln in getrüffeltem Rieslingschaum über.





Nationaler Gedächtnisschwund

4 07 2009

Das hält der Deutsche doch für wahr:
dass früher alles besser war.
Zumindest war’s nicht schlechter.
Und war es schlecht, war’s nicht so wild,
wie’s manchen heutzutage gilt.
Nur etwas ungerechter.

Dass Adolf und die braunen Horden,
Millionen Menschen zu ermorden,
das Land in Trümmer senkten –
das war gewiss ein Missgeschick.
Jedoch wie gut, dass sie zum Glück
uns Autobahnen schenkten.

Wie Ulbrichts rot lackierte Räte
sie sperrten hinter Stacheldrähte
und Mauern in die Falle –
das war vielleicht nicht gerade schön.
Man muss das auch historisch sehn,
denn Arbeit gab’s für alle.

Sie lernten nichts. Dann spielten sie
ein bisschen mit Demokratie
und fanden sich zu hässlich.
Der Deutsche, so er lange lebt,
bewältigt nichts, was er vergräbt.
Er wird auch schnell vergesslich.





Auferstanden aus Ruinen

9 03 2009

„Ausweis!“ Ich war doch ein wenig verwundert, als mich der Posten anschnauzte. „Ihren Ausweis! Sie dürfen den Kreis nur mit gültigen Ausweispapieren betreten! Geben Sie mir jetzt Ihren Ausweis, oder ich werde Sie…“ „Lassen Sie gut sein“, besänftigte ihn Kügel, „der Herr ist auf persönliche Einladung hier.“ Ruckartig riss der Soldat die Knochen zusammen und ließ die Hacken aneinander krachen. „Die Deutsche Demokratische Republik begrüßt den Gast aus dem sozialistischen Brudervolk! Freundschaft!“ Er schrie mich an, dass ich mir die Brille putzen musste. „Sehen Sie“, sagte Kügel, „bei uns bekommen Sie nur erste Wahl. Wir haben die beste Original-DDR. Erstklassig geschultes Personal, täuschend ähnlich!“ Ich hatte es geahnt. Wer fließend Döschemokraschereblik aussprechen kann, hatte langes Training genossen.

Während mir Kügel aus dem Mantel half, entschuldigte er sich nochmals. „Breinicke war Politoffizier. Studium des Marxismus-Leninismus in Moskau. Mit so einem Dachschaden ist man fürs normale Arbeitsleben nicht mehr zu gebrauchen. Aber im Club ist er Gold wert.“ Und wir traten gemeinsam in die Ferienanlage.

Seltsam kostümierte Gestalten schwangen die Hacken. Kügel erklärte: „Unser Frühsport. Das Wachregiment Margot Honecker paradiert vor dem Mahnmal für die Opfer des Kapitalismus.“ Fasziniert sah ich, wie die Männer im Stechschritt schwitzten. Ein Rotgesichtiger kreischte unverständliche Befehle über den Platz. „Und dafür zahlen die Leute?“ „Aber ja doch“, gab Kügel zurück, „der Oberst hier könnte für den Preis doppelt so lang im Fünf-Sterne-Hotel absteigen. Denken Sie daran, wir haben deutsche Gäste. Die einen wollen herrschen, die anderen…“ Eine laute Diskussion in unserem Rücken unterbrach uns. Ich wandte mich um und erblickte die Kaufhalle. „Wo war ich? Richtig, der Masochismus. Schauen Sie sich das in aller Ruhe an.“ Die Verkäuferin knurrte den Kunden an. „Wenn’s dem Herrn hier nicht passt, kann er ja gerne in den Delikat-Laden gehen. Oder machen Sie gleich rüber zum Klassenfeind.“ Der Kunde beschwerte sich weiter, nicht ganz ohne Grund. Versprachen Reklame und Regalaufschriften Nudossi, Creck und Röstfein-Kaffee, so waren in der Kaufhalle bis auf vereinzelte Spreewaldgurken nur Zitronen zu finden. „Ich will jetzt mein Malfabrot!“ Schon packte mich die Verkäuferin an Rockaufschlag. „Guck mal an, aus dem Exquisit ist das aber nicht. Sie kommen doch von drüben? Ich kenne Sie doch – klar kenne ich Sie! Sie sind doch ein Republikflüchtling! Sie sind zurückgekommen, um Boykotthetze zu betreiben!“ Sie drückte dem Kunden ein Glas Spreewaldgurken in die Hand und schob ihn raus. „Wissen Sie, zum Spaß macht das unsereins ja nicht. Aber was soll man machen, wenn die Waren täglicher Bedarf nicht geliefert werden?“ Sie seufzte. „Ach Gott, ja. Westkontakte müsste man haben.“ Wir gingen weiter.

Ein Trupp von Rentnern marschierte mit der Hammer-und-Zirkel-Fahne über die Straße. „Arbeit und Brot für alle“, krähten sie, „Freundschaft mit Mosambik!“ Ein wenig komisch sahen sie schon aus in ihren zu kurzen Blauhemden. „Allzeit bereit!“ Ich trat einem von ihnen in den Weg. „Sagen Sie mal, Sie sind doch… Egon Krenz?“ Er wandte sich und den Hals. „Ich war das nicht! Pionierehrenwort!“ Und marschierte fort.

„Jaja, der Krenz. Mauerschützen abrichten, Wahlen fälschen, und dann war er das alles nicht. Dass ich nicht lache!“ Der Mann bot mir eine Cabinet Würzig an. „Kann ich offen mit Ihnen reden?“ „Aber ja“, antwortete er, „wir sind doch ein freies, demokratisches Land?“ Der sarkastische Unterton machte mich stutzig. Kügel kam mir zur Hilfe. „Der Herr ist offizieller Besuch, Sie können ruhig die Wahrheit sagen.“ Er hustete und klärte mich auf. „Blecker mein Name. Oder IM Vögelchen. Ich werde regelmäßig von den MfS-Offizieren ein bisschen verhört und horche dann selbst ein bisschen, indem ich die Staatsbürger, sagen wir mal: auf Probleme anspreche.“ Also eine Art Doppelagent? „Kann man so sagen. Außerdem kann ich so meiner sozialistischen Gesinnung treu bleiben.“ Ich fragte, ob er gelernter DDR-Bürger sei. „Bin ich bescheuert? Ich habe mein Leben lang in Hamburg gewohnt!“

„Sie müssen nach der Reise bestimmt hungrig sein. Kommen Sie, wir wollen eine Kleinigkeit essen. Ich lade Sie ein.“ Und schon betraten wir das Wandlitzer Schlemmerstübchen. An der Stirnseite des leeren Speisesaals genoss man einen reizenden Ausblick auf die gepflegten Gärten. Also platzierte uns die Kellnerin an einem Tischchen neben der Küchentür. Das Menü war reichhaltig. Allerdings währte meine Freude nicht lange. Ob ich Kochklops oder Rostbrätl, Soljanka oder Goldbroiler wählte, die Abschnittsbevollmächtigte der Wurtscheiben stierte an mir vorbei und gab stets nur ein muffiges „Is aus“ von sich. Auch bei Karlsbader Schnitte oder Würzfleisch war mir kein Erfolg beschieden. So fragte ich denn, was überhaupt noch vorhanden sei. Das Jägerschnitzel, eine daumendick panierte Jadgwurstscheibe, die breiigen Nudeln und die pappig süße Tomatensauce fanden wir unter einem Haufen faden Rotkrauts. Ich war begeistert. Das war wirklich lebensecht.

Kügel prostete mir mit dem Weißburgunder von der Unstrut zu. „Sie sehen, die Sache ist ein voller Erfolg. Wir werden unser Marketing jetzt auf die alten Bundesländer ausdehnen. Warten Sie es ab, dann sind wir in einem Jahr der beste Ferienclub im ganzen Land!“ Warum die Wessis? „Sehen Sie, so muss man das machen mit dem Sozialismus. Wenn man erst mal begriffen hat, dass er vollkommen sinnlos ist, hat man Spaß an der Fassade.“