Gernulf Olzheimer kommentiert (DCXLIII): Protest gegen den Protest

9 12 2022
Gernulf Olzheimer

Gernulf Olzheimer

Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.

Das Ende von Deutschland! Wir werden alle sterben! Nein, wir werden nicht alle sterben, aber wir müssen auf dem Weg zum Einkaufszentrum fast einen Kilometer Umweg fahren, und das ist ja fast noch viel schlimmer, nur noch zu toppen von den wirklichen Katastrophen, bei denen schon Tausende hätten tot zusammenbrechen können: da will man ein einziges Mal im Quartal mit dem Billigflieger nach Malle, und diese gierigen Jammerlappen, die sowieso nichts anderes können als Bodenpersonal, sie hindern uns daran. Zeter! Mordio! Alle an die Wand stellen, die missbrauchen ihre Grundrechte!

Denn man darf ja durchaus protestieren in dieser unserer Deppenkolonie. Liest der Zerebraldilettant im Fachblatt für soziale Exklusion irgendetwas über fremdländische Facharbeiter, die vorsätzlich falsch parken, zieht er nach akribischer Planung spontan im Fackelzug durch die Gemeinde und brüllt rassistischen Schmodder – hier ist er Unmensch, hier darf er’s sein, aber auch nur er, denn den Straßenverkehr behindern, das teutsche Weib vergewaltigen und seine Kinder totschlagen, das steht dem volkseigenen Dissidenten zu, der sich von den anderen, meist fremdgesteuert vom Feind, nichts sagen lässt, aber auch gar nichts.

Denn wie jede Gesellschaft aus Minderheiten besteht, nimmt sich der gemeine Honk als Vertreter der Mehrheit wahr, oft der schweigenden, die am weitesten die Klappe aufreißt, wo immer man sie nicht hindert. Und so weiß der Dumpfschlumpf am besten, wer alles nicht protestieren soll, ganz egal, wogegen. Studenten sollen gefälligst studieren, da sie das ja auch selten tun, Frauen sich um ihren Scheißfeminismus kümmern, es sei denn es handelt sich um feministische Anliegen, dann gehören diese Dreckschlampen an den Herd. Arme sollen lieber irgendwo nach einem Job suchen, Behinderte sind eh nur auf Mitleid aus, Queere machen sich besser mal Gedanken um unsere religiösen Gefühle, Kleriker sollen endlich die Trennung von Kirche und Staat beachten, und die angebliche Mitte der Gesellschaft besteht offensichtlich aus Heuchlern, denn warum bitte demonstriert der protestantische Personalsachbearbeiter mit Bausparvertrag und Lastenrad gegen Antisemitismus, wenn er doch von der nächsten Diktatur gar nicht betroffen wäre, wenn er einfach mal die Füße still hält? Kinder gehören sowieso auf die Schulbank und nicht auf die Straße, geschweige denn Senioren, die eh bald ableben und die Politik lieber denen überlassen sollten, die noch eine Zukunft haben. Schlimmer als Wissenschaftler, die sich ständig irren, sind Laien mit hirnlosen Spruchbändern, und was neben den Berufsdemonstranten nervt, die ohne jeden Bezug zur Sache die Pferde scheu machen, sind Betroffene und Angehörige und Opfer, die vor Subjektivität gar nicht mehr kapieren, dass sie nicht alleine sind auf der Welt. Wir schwiemeln uns die Wirklichkeit zurecht, die sich der Denkschwäche anpasst.

Es ist das grundsätzliche Problem mit allen Kundgebungen, die als Störung der öffentlichen Totenruhe verstanden werden, das auch jeden Streik für eine Belästigung des wehrlosen Verbrauchers hält: Protest ja, aber es ist eine Unverschämtheit sondergleichen, dass Menschen, die eine Arbeit für so wenig Geld verrichten, dass unsereins dafür den Hintern nicht anheben würde, nicht in ihrer Freizeit auf die Straße gehen, noch besser in irgendeinem Waldstück außerhalb der Zivilisation, wo sie ein bisschen die Bäume anschreien können, damit sich die Arbeitgeber nicht immer so erschrecken. Für die Weichstapler ist jede Ablehnung der bestehenden Verhältnisse nur eine Vorstufe zum bewaffnetem Widerstand, weil ja jeder, der ein Schild hochhält, beim nächsten Mal Brandbomben wirft – so, wie das Konglomerat aus Kapitalisten und Hetzpresse ihnen seit Jahren vorpredigt, eine Anhebung des Bäckerlohns werde die Brötchen derart verteuern, dass die hart arbeitenden Bürger draußen im Land daran verhungerten. Es ist dasselbe Milchmädchen, das Bürgergeld und Mindestlohn verantwortlich macht für die jäh verelende Mittelschicht, die so kein Drittflugzeug anschaffen kann und viele, viele Handwerker arbeitslos macht, die dann in der sozialen Hängematte glücklich werden.

Es ist schlimm, was sie uns antun. Wir können sie nicht mehr nach drüben schicken, seit die Mauer nicht mehr steht. Kein Othering funktioniert noch richtig. Am Ende ist es das Schuldgefühl, diese heimliche Identifikation mit den Mutigen, die so sind wie wir, nur eben nicht in die Opferrolle einbetoniert. Sie nutzen ihre Freiheit, statt lautstark nach ihr zu greinen. Sie wären nicht gerne wie die arrivierten Darmleuchter, die wir zu bekämpfen vorgeben. Wir wollen ja, dass alles so bleibt, denn sonst würden wir nicht im warmen Mäntelchen der Heuchelei mit Mistgabeln losziehen, um nach der Revolution zu rufen, solange sie sich nicht auf der Straße festklebt, den Einzelhandel lahmlegt oder die Meinungsfreiheit von Volksverhetzern anzweifelt.

Nur im Ausland begrüßen wir natürlich Proteste gegen diese bösen Machthaber. Das wird man ja wohl noch tun dürfen!





Orientierungshilfe

31 08 2020

„Die Hakenkreuzfahne langsam wieder einholen, und keinen Hitlergruß mehr, okay? Heute geht’s um Tierhaltung, und da brauchen wir das nicht. Und für das Verbot, männliche Küken zu schreddern, ist auch keine Versammlung vor der russischen Botschaft nötig.

Von wegen Diktatur, Sie sehen doch, dass wir schwer damit beschäftigt sind, das Grundrecht der Bürger auf Versammlungsfreiheit durchzusetzen. Solange die Leute sich verfassungskonform benehmen, gibt es überhaupt keine Probleme, da können die auch den Anschluss von Lummerland fordern oder die Zehn-Tage-Woche. Und manche würden das auch tun, wenn man ihnen erzählt, dass in Lummerland unterirdische Bananenplantagen entdeckt worden sind, die dann als deutsche Südfrüchte den Export ankurbeln. Ich will das gar nicht kritisieren, bei manchen Leuten wird im Oberstübchen halt nur recht sporadisch gelüftet, da sammelt sich eine Menge Mief an. Für uns gilt aber immer noch Artikel 8 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland. Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln. Und da kommen wir in Spiel.

Sie sind doch heute hier, damit der Autoverkehr weiter durch die Innenstadt geleitet wird, richtig? Wozu brauchen Sie denn dann eine Gaspistole? Nein, es geht bei dieser Demonstration nicht um die Umvolkung durch zehn Milliarden Flüchtlinge, und selbst wenn Sie dagegen protestieren würden, wäre eine Gaspistole nicht erforderlich. Sie dürfen gerne mit den beiden Herren in Uniform diskutieren, aber die werden Ihnen auch nichts anderes sagen. Also geben Sie die Waffe jetzt ab, dann nehmen wir Ihre Personalien auf, und dann können Sie mit Ihren Freunden… Parteifreunden, meinetwegen, mit denen dürfen Sie dann gerne durch die Stadt gehen. Allerdings weiß ich jetzt nicht, wozu Sie und Ihre Parteifreunde jetzt ein Transparent brauchen, auf dem die Bundeskanzlerin als ‚Rothschildhure‘ bezeichnet und gefordert wird, sie nach Auschwitz zu schicken. Ist das Autofahrerhumor oder einer Ihrer parteiinternen Scherze?

Offenbar gibt es Leute, die den Unterschied zwischen Demonstration und Landfriedensbruch noch nicht ganz kapiert haben. Ein Blick in die Verfassung, und Sie wissen hinlänglich Bescheid. Für Versammlungen unter freiem Himmel kann dieses Recht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes beschränkt werden. Zum Beispiel durch das Waffengesetz. Oder wenn zu erwarten ist, dass sich die Pappnasen nicht an Auflagen halten. Wir sind ja immer noch hilfsbereit bei solchen Fällen, beraten Sie gerne über Ihre Grundrechte, damit es hinterher nicht heißt, Sie seien nicht aufgeklärt gewesen, und schützen Sie als Orientierungshilfe bei der Versammlung. Sie müssen sich dann aber auch kooperativ zeigen, weil es sonst nicht geht. In letzter Zeit hatten wir jede Menge Demonstranten, die waren offensichtlich vollkommen fehl am Platz. Manche von denen wussten nicht einmal, wofür sie gerade durch die Gegend laufen. Da waren zum Beispiel Trauermärsche, auf denen die konsequente Abschiebung aller Nichtdeutschen gefordert wurde. Oder eine Gedenkveranstaltung für die Opfer der alliierten Luftangriffe, auf der die Juden als Grund für den Krieg bezeichnet wurden. Da fragt man sich schon, ist das ein Kommunikationsproblem, dass die Veranstalter die Demonstranten im Vorfeld nicht ausreichend mit der Thematik der Versammlung vertraut machen, oder ist das schon ein Zeichen des Bildungsniedergangs, dass die Leute das eventuell gar nicht mehr lesen können und dann mit völlig falschen Vorstellungen quer durch Deutschland zu einer Veranstaltung fahren, die sie inhaltlich gar nicht unterstützen?

Vermutlich haben Sie sich im Datum geirrt, der gewaltfreie Widerstand gegen die russische Besatzung der BRD GmbH ist erst nächste Woche. Sie brauchen da jetzt nicht die Fahnen einzurollen, heute ist gewaltfreier Widerstand gegen die amerikanische Besatzung der BRD GmbH dran. Startet auch um elf. Allerdings müssten Sie jetzt ein bisschen Tempo machen, weil Sie gerade vor der falschen Botschaft stehen. Sollten Sie allerdings der Meinung sein, Steine und Flaschen zu werfen sei gewaltfrei, weil das keine angemeldete Bewaffnung darstellen würde, muss ich Sie leider enttäuschen. Das kann zum Abbruch der Versammlung führen, und das verwechseln Sie bitte nicht mit Widerstand, und gewaltfrei wird das schon gleich gar nicht.

Oder kann es sein, dass in den Parteien nur noch geistig minderbemittelte Hackfressen sitzen, die irgendwelche Versammlungen anmelden, bei denen es dann gar nicht mehr um das eigentliche Thema geht? Wenn die für Bürgerrechte marschieren oder die Neuordnung der Europäischen Union ohne die Bundesrepublik Deutschland, dann meinen die im Grunde immer, dass sie einen großen Teil der deutschen Bevölkerung ins Konzentrationslager stecken wollen. Das kann ich beim besten Willen nicht als kooperativ bezeichnen, obwohl man auch zugeben muss, dass der eigentliche Zweck der Veranstaltung den Teilnehmern sehr gut vermittelt wird. Zumindest hat man nie den Eindruck, dass die Leute ihre Hakenkreuzflaggen einpacken, um für den Tierschutz zu demonstrieren. Aber Sie müssen deshalb nicht denken, dass diese Eintracht zwischen dem Volk und seinen politischen Parteien deshalb irgendwie gefährdet sei. Wir haben damit nichts mehr zu tun, wenn Sie dafür demonstrieren wollen. Das übernimmt dann die Polizei.“





Dresdner Freiheit

13 02 2010

für Erich Kästner

Es ist soweit. Ihr folgt den Widersachern,
Ihr macht Euch schnell gemein mit den Gemeinen.
Ihr folgt den Wölfen. Schafe anzuleinen,
das gilt als Heldenmut schon Euch Verlachern.

Wir lebten nicht einmal in finstren Zeiten,
wenn Ihr sie nicht verfinstertet. Gerichte
verlieren Maß um Maß, und die Geschichte
lehrt sie, zum Wind ihr Mäntelchen zu breiten.

Die Straße frei den braunen Bataillonen?
Ihr wolltet es – im Geist marschiert ihr mit.
Dann aber soll man Euch auch nicht mehr schonen.

Es ist ein andres Deutschland. Schritt um Schritt
wird weit der Weg und steinig, doch wird lohnen,
da man die Toten nicht mit Füßen tritt.