
Gernulf Olzheimer
Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.
Das Ende von Deutschland! Wir werden alle sterben! Nein, wir werden nicht alle sterben, aber wir müssen auf dem Weg zum Einkaufszentrum fast einen Kilometer Umweg fahren, und das ist ja fast noch viel schlimmer, nur noch zu toppen von den wirklichen Katastrophen, bei denen schon Tausende hätten tot zusammenbrechen können: da will man ein einziges Mal im Quartal mit dem Billigflieger nach Malle, und diese gierigen Jammerlappen, die sowieso nichts anderes können als Bodenpersonal, sie hindern uns daran. Zeter! Mordio! Alle an die Wand stellen, die missbrauchen ihre Grundrechte!
Denn man darf ja durchaus protestieren in dieser unserer Deppenkolonie. Liest der Zerebraldilettant im Fachblatt für soziale Exklusion irgendetwas über fremdländische Facharbeiter, die vorsätzlich falsch parken, zieht er nach akribischer Planung spontan im Fackelzug durch die Gemeinde und brüllt rassistischen Schmodder – hier ist er Unmensch, hier darf er’s sein, aber auch nur er, denn den Straßenverkehr behindern, das teutsche Weib vergewaltigen und seine Kinder totschlagen, das steht dem volkseigenen Dissidenten zu, der sich von den anderen, meist fremdgesteuert vom Feind, nichts sagen lässt, aber auch gar nichts.
Denn wie jede Gesellschaft aus Minderheiten besteht, nimmt sich der gemeine Honk als Vertreter der Mehrheit wahr, oft der schweigenden, die am weitesten die Klappe aufreißt, wo immer man sie nicht hindert. Und so weiß der Dumpfschlumpf am besten, wer alles nicht protestieren soll, ganz egal, wogegen. Studenten sollen gefälligst studieren, da sie das ja auch selten tun, Frauen sich um ihren Scheißfeminismus kümmern, es sei denn es handelt sich um feministische Anliegen, dann gehören diese Dreckschlampen an den Herd. Arme sollen lieber irgendwo nach einem Job suchen, Behinderte sind eh nur auf Mitleid aus, Queere machen sich besser mal Gedanken um unsere religiösen Gefühle, Kleriker sollen endlich die Trennung von Kirche und Staat beachten, und die angebliche Mitte der Gesellschaft besteht offensichtlich aus Heuchlern, denn warum bitte demonstriert der protestantische Personalsachbearbeiter mit Bausparvertrag und Lastenrad gegen Antisemitismus, wenn er doch von der nächsten Diktatur gar nicht betroffen wäre, wenn er einfach mal die Füße still hält? Kinder gehören sowieso auf die Schulbank und nicht auf die Straße, geschweige denn Senioren, die eh bald ableben und die Politik lieber denen überlassen sollten, die noch eine Zukunft haben. Schlimmer als Wissenschaftler, die sich ständig irren, sind Laien mit hirnlosen Spruchbändern, und was neben den Berufsdemonstranten nervt, die ohne jeden Bezug zur Sache die Pferde scheu machen, sind Betroffene und Angehörige und Opfer, die vor Subjektivität gar nicht mehr kapieren, dass sie nicht alleine sind auf der Welt. Wir schwiemeln uns die Wirklichkeit zurecht, die sich der Denkschwäche anpasst.
Es ist das grundsätzliche Problem mit allen Kundgebungen, die als Störung der öffentlichen Totenruhe verstanden werden, das auch jeden Streik für eine Belästigung des wehrlosen Verbrauchers hält: Protest ja, aber es ist eine Unverschämtheit sondergleichen, dass Menschen, die eine Arbeit für so wenig Geld verrichten, dass unsereins dafür den Hintern nicht anheben würde, nicht in ihrer Freizeit auf die Straße gehen, noch besser in irgendeinem Waldstück außerhalb der Zivilisation, wo sie ein bisschen die Bäume anschreien können, damit sich die Arbeitgeber nicht immer so erschrecken. Für die Weichstapler ist jede Ablehnung der bestehenden Verhältnisse nur eine Vorstufe zum bewaffnetem Widerstand, weil ja jeder, der ein Schild hochhält, beim nächsten Mal Brandbomben wirft – so, wie das Konglomerat aus Kapitalisten und Hetzpresse ihnen seit Jahren vorpredigt, eine Anhebung des Bäckerlohns werde die Brötchen derart verteuern, dass die hart arbeitenden Bürger draußen im Land daran verhungerten. Es ist dasselbe Milchmädchen, das Bürgergeld und Mindestlohn verantwortlich macht für die jäh verelende Mittelschicht, die so kein Drittflugzeug anschaffen kann und viele, viele Handwerker arbeitslos macht, die dann in der sozialen Hängematte glücklich werden.
Es ist schlimm, was sie uns antun. Wir können sie nicht mehr nach drüben schicken, seit die Mauer nicht mehr steht. Kein Othering funktioniert noch richtig. Am Ende ist es das Schuldgefühl, diese heimliche Identifikation mit den Mutigen, die so sind wie wir, nur eben nicht in die Opferrolle einbetoniert. Sie nutzen ihre Freiheit, statt lautstark nach ihr zu greinen. Sie wären nicht gerne wie die arrivierten Darmleuchter, die wir zu bekämpfen vorgeben. Wir wollen ja, dass alles so bleibt, denn sonst würden wir nicht im warmen Mäntelchen der Heuchelei mit Mistgabeln losziehen, um nach der Revolution zu rufen, solange sie sich nicht auf der Straße festklebt, den Einzelhandel lahmlegt oder die Meinungsfreiheit von Volksverhetzern anzweifelt.
Nur im Ausland begrüßen wir natürlich Proteste gegen diese bösen Machthaber. Das wird man ja wohl noch tun dürfen!
Satzspiegel