Warnung an den angehenden Dichter

10 03 2013

für Robert Gernhardt

Mein Kind, schreib keine Oden!
Wie schnell liegt man am Boden,
und dann hat einen keiner lieb,
weil man bisher nur Oden schrieb.

Auch meide die Sonette!
Noch auf dem Totenbette
bedauerst Du, was Du verfasst –
lass es, weil Du es später hasst!

Und bitte, keine Stanzen!
Das ist etwas für Wanzen,
die kriechen auf dem Dichtermarkt,
bis sie der Tod zusammenharkt.

Mein Kind, werd bloß nicht Dichter!
Das ist fürwahr Gelichter,
das sich das Leben selbst vermiest,
weil jeder schreibt und keiner liest.





Vom Zweck der Dichtkunst

16 01 2010

für Robert Gernhardt

Einerseits sind die Gedichte
für das Leben wichtig,
denn die großen Augenblicke
wären sonst fast nichtig.

Andrerseits sind die Gedichte
manchmal überflüssig;
liest man viele, wird man ihrer
bald schon überdrüssig.

Doch es hat auch Zweck, das Dichten,
zieht uns in den Bann,
weil man es auswendig lernen
und aufsagen kann.





Gernulf Olzheimer kommentiert (XXXIV): Dichterlesungen

20 11 2009
Gernulf Olzheimer

Gernulf Olzheimer

Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.

Diese unsere Schriftkultur zeigt mehrere Arten, das inhaltlich Fixierte dem unschuldigen Konsumenten zur Aneignung zu überlassen; ungebrochen in neutralem Druckbild, gebrochen in neueren Formen wie dem Hörbuch, brechend in allerlei theatröse Formgebilde inszeniert, bei denen lediglich herauskommt, dass die Beschäftigung mit dem Text für die Regiebirne zu schwierig war. Schlimm wird es, wenn alle Sicherheitsmaßnahmen versagen und die Mutter aller Katastrophen zuschlägt: der Autor lebt, ist noch nicht dement und hat sich – mit oder ohne Drogen, Bares oder die Aussicht auf ein baldiges, gewaltsames Ableben – herbeigelassen, die Erzeugnisse seines literarischen Getues in Anwesenheit mehrerer Bekloppter vernehmlich vorzutragen. Im Anfang war das Wort, und der Schrott, der daraus entstand, vernichtet alles, was nur halbwegs nach Hoffnung aussieht.

Die Dichterlesung räumt auf. Was gerade eben noch an ekstatischen Kunstgenuss gegrenzt hatte, läutet nun die banale Phase der Restexistenz ein, prickelnd vor Langeweile, bis sich der Rahmen verzieht – Literatur, egal ob halbwegs gelungenes Gedicht oder Erzählprosa von der Resterampe für Nichtleser, kleckert wie vorgekautes Verbalgemüse in den sauerstoffarmen Raum; nasse, zumindest nicht trockene Sozialpädagogenoberbekleidung schlurrt auf wackeligem Klappgestühl, das nur dem Einpferchen wehrloser Gelegenheitskonsumenten in heimtückisch zu Verhörzimmern umfunktionierten Buchhandlungen dient; Zwiebelmett, Rheumasalbe und krankhafter Fußschweiß amalgamieren sich zu einem Odeur von so unvergesslicher Intensität, dass selbst die Bücherregale osteuropäischer Provenienz dagegen fast erträglich anmuten. Doch alles das schafft auch ein billiges Vorstadtkino, alles das zwingt auch ein Elternabend in die trübe Realität. Den entscheidenden Unterschied macht der Autor.

Hatte die praktische Vernunft beim Lesen der verschwiemelten Adverbakrobatik noch die Stimme ihres Herrn imaginiert, so schrammt der Glaube an das Gute beim Auftritt des Urhebers unvermittelt ab. In graumäusigem Polyesterverschnitt hockt eine Patzfratze hinter dem Campingtisch und sondert erratische Wortspenden ab; was als Hörbuch noch einen gewissen Unterhaltungswert besessen hatte, wird in den Artikulationsversuchen des Satzbauers zur ganzheitlichen Folter. Bar jeglicher Kurzweil gniedelt sich die aufreizend monotone, jede Betonung einzeln versemmelnde Poetenstimme durch Absatzschwierigkeiten, wirft sich keuchend von einer Hypotaxe zur anderen und lässt den also Belesenen mit einem Gefühl jäh einsetzender Nüchternheit zurück: das ist ein Dichter, so sieht der Reimschmied aus, dessen Phänotyp noch vereinzelt Sympathiepunkte durch die optische Nähe zum Etagennachbarn – Balkan-Smoking mit Badeschlappletten – gutmachen konnte, der aber ansonsten spannend wie ein leerer Pappkarton ist und jeden Abend in den Gipfelpunkt des zweckfreien Wartens auf etwas anderes verwandelt. Dem Schriftsteller, eben noch Objekt höchster Verehrung, da er scheinbar absichtslos jede Menge Kohle einstreicht, Frauen abgreift und seine besonnte Physiognomie in den Klatschspalten der von Bescheuerten goutierten Totholzmedien breit macht, drischt die Spontanentzauberung das Dauerlächeln aus der Fresse und katapultiert ihn vom drohenden Nobelpreis augenblicklich ins gesellschaftliche Apogalaktikum. Wer nun vergeblich die vom Puschenkino gewohnte Stummtaste sucht, um das ganze Geplapper körperlich unversehrt zu überleben, statt zum frühestmöglichen Zeitpunkt ins Eigenheim oder wenigstens zur nächsten Bratwurstbude zu fliehen, der zeigt, dass er eine wesentliche Prämisse dieser raumgekrümmten Daseinsform nicht kapiert hat: die Hölle, das sind die anderen. Und sie sind es.

Kaum tupft sich der zitternde Vertreter der Verlegenheitsprominenz nach stattgehabter Laberei den Angstschweiß von der Stelle, an der andere ihre unveränderlichen Merkmale aufbewahren, da schlägt das Heer der Beknackten zu. Gestählt im jahrelangen Training mit anatolischer Liebeslyrik zu Nasenflötenbegleitung wringt sich der literarisch unbedarfte Grützkopf Fragen aus dem Synapsenkonvolut, die selbst gelangweilte Gewebelose zu selbstzerstörerischer Aggression brächten. Wer noch rätselt, was der Dichter sagen wollte, legt seinen intellektuellen Offenbarungseid gleich an Ort und Stelle ab. Weder Geschmacks- noch Gefühlsbildung sind die Motivation des Behämmerten, sich in das Gemeinschaftserlebnis Literatur zu fügen; es ist das kollektive Ungewusste und damit das solidarische Fremdschämen, das die kognitiv Suboptimierten in die Stuhlkreise treibt: hier ist der Minderbemittelte unter seinesgleichen und braucht sich nicht zu verstellen. Damit der Bekloppte einmal ungestört seine Blödheit heraushängen lassen kann, ist er sogar dazu bereit, ein kulturelles Rahmenprogramm über sich ergehen zu lassen. Womit jetzt auch geklärt wäre, wozu Ärztekongresse abgehalten werden.





Herzblut. Zwölf halbwegs lyrische Variationen

1 03 2009

Thema

Ich öffne nachts den Kühlschrank, um mir ein Bier zu holen, wobei ich mir die Tür an den Zeh haue.

I. Andreas Gryphius: Des Seeligkeits-Durstigen Tränen-Fluß

Wie eises-kalt der Schranck / und heiß doch Höllen-Schmertzen
Wie finster wird die Nacht / wenn sich die Pforte schleußt
Und Eis / so bald gefror / sich nicht mehr niedergeußt
Und wär doch Linderung / dem Fuß / und auch dem Hertzen.

II. Friedrich von Schiller: Distichon

Achte, Mensch, zur Nachtzeit Deines tückischen Weges.
Reißt Du rasch an der Tür, stößt Du Dir schmerzvoll den Zeh.

III. Friedrich Hölderlin: Schwermut der Erden

Genien! dürstende Herzen! Ihr wandelt,
  Frei und voll Hoffnung zu ewiger Klarheit,
    Daß eins nicht Nacht sei, das sich verschlöße,
      Blindlings sich stieße und peinvoller gehet.

IV. Eduard Mörike: Auf einen Kühlschrank

Warum nur, spricht der Schrank,
Warum bist Du gestoßen
Mit Deinem Fuß, dem bloßen,
An mich? Wo ist Dein Dank?

Kühlt ich nicht immerdar,
Zur Nachtzeit und an Tagen?
’s ist wahr, ach ja, ’s ist wahr.
Drum hör jetzt auf zu fragen.

V. Heinrich Heine: Deutschland. Ein Nachtmährchen

Die Deutschen, sie haben erfunden nichts
Bis auf die gezipfelten Mützen;
Und tragen sie Mützen, was brauchen sie Lichts,
Es würde ja ihnen nichts nützen.

Viel lieber im Dunkeln, zum Mitternachtsmahl,
So sieht man die Geister gehen.
Von Geist sprach man nicht, und es sind ideal
Die preußisch blauen Zehen.

VI. August Stramm: Nachtwache

Tür gähnt jäh
Dürstend Flüche
Schleichen
Schläge prallen
Prellend
Fuß verzeht
Kreischen
Aua!

VII. Rainer Maria Rilke: Sonette an Bacchus

Und wie sich die Verhüllung
in Innenraum und Gänze
als Tanz von Licht und Grenze
der sehnenden Erfüllung
eröffnet, meint mein Bleiben
im Fuß-Sein, dass die Leuchte
das Tränende: das Feuchte
im Auge will beschreiben.

VIII. Stefan George: Der Kelch des Bundes

Es schreitet in die nacht der lasse dichter
Auf marmor erz und holz zum trank von hopfen
Wo er kein feind der früh gelöschten lichter
Am zehe fand des kalten blutes tropfen.

IX. Gottfried Benn: Statische Erinnerungen

Und wenn ich heute zurückdenke
denn wir hatten damals keinen Kühlschrank
mein Vater erzählte von Eiskästen
von Eiskellern da unten
Landhäuser, brandenburgische Erde
heute alles ein einziger Friedhof
woran soll man sich da die Füße stoßen.

X. Peter Handke: Publikumsentnervung

Ich habe mir den Fuß gestoßen. Ich habe mir den Fuß am Kühlschrank gestoßen. In meiner Küche habe ich mir am Kühlschrank den Fuß gestoßen. An meinem Kühlschrank habe ich mir meinen Fuß in meiner Küche gestoßen. Ich habe mir in meiner Küche den Zeh gestoßen von meinem Fuß. Meinen Zeh habe ich mir in meiner Küche gestoßen. An meinem Kühlschrank habe ich mir meinen Zeh gestoßen. Ich habe am Kühlschrank, in meiner Küche, wo der Kühlschrank steht, mein Kühlschrank, mir den Zeh gestoßen, der an meinem Fuß ist, der in der Küche steht, in dem auch mein Kühlschrank…

XI. Kristiane Allert-Wybranietz: Verrenktexte

„Nee Du, lass mal! Ist schon okay so!“
sagte ich,
als ich die Blutlache
vor dem Kühlschrank
auffeudelte.

Dabei hast Du
gar nicht verinnerlicht,
dass ich mich dabei
irgendwie auch ein Stück weit
für meine Verletzlichkeit
sensibilisierte.

XII. Robert Gernhardt: Folgen der Schwanksucht

Seht ihn an, das bee.
Trinkt es, ach herrje!
Nicht ganz dicht. Im Dauerlauf.
Nur sein Kühlschrank, der hat’s drauf!





Das Lied von der Locke oder Danke für den Fisch

28 02 2009

Schillers Schädel, Äpfelduft,
all dies weht aus deutscher Gruft,
fächelt klassisch, musisch und
tut dem Kulturellen kund,

wie wir unsre Dichter preisen.
Marbachs Nachlass will uns weisen
hin auf eine Strähnenschar,
die von Schillers Schädel war.

Schillers Haupthaar, zum Beglücken
(und das echte! nicht Perücken!)
liegt in einem runden Ding,
das nun Aufmerksamkeit fing.

Schillers Schopf in Einzelteilen
lädt den Denker zum Verweilen:
hat der Dichter bei der Glocke
sich das Haar gerauft? Der Locke

Schädelnähe klar beweist:
diese Locke ist voll Geist!
Karlos, Tell und Wallenstein,
all dies schließt das Löckchen ein.

Räuber, Fiesco, Ibykus,
sind nach Marbachs weisem Schluss
aus des großen Dichters Kopf.
Folglich zeigt man uns den Schopf.

Leider fehlen uns die wahren
Schätze in Reliquiaren:
Fingernägel, die gewisslich
voll von Geist sind, weil sie schließlich

an des Dichters Schreibhand waren,
Taschentücher aus den Jahren,
da er seine Bürgschaft schrieb –
ach, noch manches wär uns lieb!

Darin sind die Deutschen eigen:
wolln sie rechte Gunst bezeigen,
weihen sie Kultursymbolen,
dienstbeflissen, Gott befohlen,

einen konservierten Fisch.
Einig stehn auf deutschem Tisch
Schillers Locken und desgleichen
Bismarcks Hering. So erreichen

Dichterfürst und Kanzler Ruhm
als des Volkes Eigentum,
hoch geachtet, hoch verehrt,
viel umschwärmt. Und gern verzehrt.