Herr Breschke wischte verlegen auf dem Gerät hin und her. „Ich bin ja nicht mehr der Jüngste“, sagte er entschuldigend. „Und wenn meine Frau meint, dass das sicherer sei, dann hat sie natürlich recht.“ Ganz geheuer war ihm dieser elektronische Apparat nicht, das sah man ihm an. Nun also hatte auch ihn die digitale Ära erreicht in Gestalt eines handlichen Smartphones, dem ersten seines Lebens.
„Man vergisst ja schon mal etwas“, beruhigte ich ihn, „mir geht das auch nicht anders.“ Er nickte. „Aber wenn ich mir den Einkaufszettel tatsächlich in die Jackentasche gesteckt habe, dann denke ich an alles.“ Gerade daran hatte es – unter anderem – gelegen, sein bisher tadelloses Gedächtnis hatte mit der Zeit nachgelassen, so dass er sich kaum noch die zehn Dinge auf der Liste merken konnte oder aber statt der benötigten Möhren mit Sellerie aus dem Sonderangebot nach Hause zurückkehrte, sehr zum Missfallen der Gattin. „Und dann habe ich den Zettel in die falsche Jacke gesteckt, als es neulich auf einmal warm wurde, und es sollte Linsensuppe geben.“ Auch die Aussicht, kurz vor dem Kauf an der Kasse nochmals Rücksprache mit dem Vorstand des Hauswirtschaft zu halten, um etwaige Fehler zu korrigieren, schmeckte ihm nicht. „Ich will ja nicht klagen“, murmelte er. „Aber Sie wissen ja…“
Immerhin hatte der pensionierte Finanzbeamte sich bereit erklärt, ein abgelegtes Telefon von Anne anzunehmen. Nicht nur, dass sie außer einem Blech des legendären Butterkuchens von Frau Breschke auf eine Gegenleistung verzichtet hatte, das von der Tochter aus einem asiatischen Versandhaus besorgte Ding hatte allerhand Spracheinstellungen von USA bis Altägypten, ließ sich aber bloß auf Sanskrit und Tagalog bedienen. „Hier ist irgendwo auch so eine Rechenfunktion“, erklärte er. „Man muss natürlich die Umsatzsteuersätze noch von Hand eingeben, aber immerhin kann man die Haushaltskosten damit aufsummieren.“ Ganz abgeneigt schien er dem neuartigen Weggefährten also nicht, das war schon mal ein Anfang. Seine Affinität zur Technik war mir bekannt, ebenso die ab und an auftretenden Fehler, die sein Verständnis für die nicht rein mechanisch arbeitenden Helfer des Alltags. Und schon hatte ich die Möglichkeit entdeckt, sein Interesse zu wecken.
„Man kann mit dem Modell auch ganz gute Bilder machen“, erklärte ich dem verdutzten Mann. Er schaute skeptisch auf den schmalen Bildschirm, kniff die Augen zusammen und entdeckte endlich das Kamera-Symbol. „Ob ich mal darauf tippe?“ Er tat es, und schon öffnete sich die Frontlinse, die zu seinem Erstaunen sein eigenes Gesicht auf den Monitor warf. „Das scheint nicht noch nicht ganz ausgereift“, bemerkte Herr Breschke kritisch. „Von mir gibt es schon genug Bilder, aber wenn ich zum Beispiel mal im Urlaub fotografieren möchte, dann doch wenigstens ein paar Sehenswürdigkeiten, zur Not mit meine Frau im Vordergrund.“ Da hatte er ja recht, also hub ich an, ihm das Konzept der heute üblicherweise verbauten Selfiekamera zu erklären, doch er unterbrach mich. „Ich mag nicht mehr der Jüngste sein, aber wie ein Fotoapparat funktioniert, das haben wir in der Schule gelernt.“ Und er drehte das Gerät einfach um. So weit, so gut, nur konnte er durch die rückwärtige Linse eben nichts sehen. „Das muss defekt sein“, befand Horst Breschke. „Ihre Freundin hat mir tatsächlich ein Handy mit kaputtem Sucher angedreht!“
Das Kreiselzeichen, mit dem man die Kamera wechselt, war schnell erklärt, und schon leuchteten seine Augen wieder. Lange Spaziergänge durch den Stadtpark mit seinem treuen Gefährten Bismarck schienen nun möglich, dem dümmsten Dackel im weiten Umkreis, dessen ausgeprägtestes Talent darin bestand, seinem Herrn an der Leine zwischen den Beinen zu laufen. „Dann kann ich ja öfters mal mit ihm zum Einkaufen gehen“, frohlockte der alte Herr, „und wir nehmen dann nicht die Abkürzung durch die Uhlandstraße in den Kiebitzstich.“ Sollte dies unscheinbare Kommunikationsgerät am Ende für mehr Bewegung an der frischen Luft mit dem Hund sorgen, so war das ein erhebliches Stück an Lebensqualität. Nicht, dass der Pensionär sich nur in sein Lesezimmer zurückgezogen und dort mit der Tageszeitung seine Stunden gefristet hätte, doch kam er nachmittags bisweilen eben nur in den Garten und drehte nur abends eine rasche Runde mit Bismarck. Ich rechnete bereits mit erheblichem Datenverkehr, da trat Frau Breschke aus dem Haus und schritt schnurstracks auf das Rosenbeet zu, wo wir standen. „Gut, dass Sie da sind!“ Sie entwand das Smartphone aus seinen Händen und wischte auf dem Screen herum. „Ich wollte nämlich mal fragen wie man diese ganzen Nummern einspeichert, von unserer Tochter, Husenkirchens und die Familie.“ Was auch immer sie da angetippt hatte, es tutete. „Hallo?“ Ein Kracksen verdeutlichte, dass hier eine Sprechverbindung zustande gekommen war, wie bei einem Telefon zu erwarten. Der Wahlwiederholung entnahm ich zu meinem großen Erstaunen, dass es sich um den Notruf handelte. „Oh Gott“, stöhnte Breschke, „das hat uns ja gerade noch gefehlt!“
Die beiden Beamtinnen, die der Ortung des Taschenfernsprechers folgten, kamen zunächst ohne Rettungswagen, aber mit säuerlicher Miene. „Ich habe es in die Hosentasche gesteckt“, log Breschke, um die Gattin aus der Schusslinie zu ziehen. „Da muss sich irgendwie ein Anruf gelöst haben.“ Sie durften mit Milde rechnen. „Nun“, riet die eine, „es gibt praktische Schutzhüllen, mit denen man das verhindern kann.“ Womit sie sich nach einer ernsten Ermahnung wieder auf den Weg machten. „Ich habe es geahnt“, bemerkte der Hausherr. „So alt, wie ich gedacht hatte, bin ich wohl doch noch nicht.“
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