Kommunikationsgeräte

17 05 2023

Herr Breschke wischte verlegen auf dem Gerät hin und her. „Ich bin ja nicht mehr der Jüngste“, sagte er entschuldigend. „Und wenn meine Frau meint, dass das sicherer sei, dann hat sie natürlich recht.“ Ganz geheuer war ihm dieser elektronische Apparat nicht, das sah man ihm an. Nun also hatte auch ihn die digitale Ära erreicht in Gestalt eines handlichen Smartphones, dem ersten seines Lebens.

„Man vergisst ja schon mal etwas“, beruhigte ich ihn, „mir geht das auch nicht anders.“ Er nickte. „Aber wenn ich mir den Einkaufszettel tatsächlich in die Jackentasche gesteckt habe, dann denke ich an alles.“ Gerade daran hatte es – unter anderem – gelegen, sein bisher tadelloses Gedächtnis hatte mit der Zeit nachgelassen, so dass er sich kaum noch die zehn Dinge auf der Liste merken konnte oder aber statt der benötigten Möhren mit Sellerie aus dem Sonderangebot nach Hause zurückkehrte, sehr zum Missfallen der Gattin. „Und dann habe ich den Zettel in die falsche Jacke gesteckt, als es neulich auf einmal warm wurde, und es sollte Linsensuppe geben.“ Auch die Aussicht, kurz vor dem Kauf an der Kasse nochmals Rücksprache mit dem Vorstand des Hauswirtschaft zu halten, um etwaige Fehler zu korrigieren, schmeckte ihm nicht. „Ich will ja nicht klagen“, murmelte er. „Aber Sie wissen ja…“

Immerhin hatte der pensionierte Finanzbeamte sich bereit erklärt, ein abgelegtes Telefon von Anne anzunehmen. Nicht nur, dass sie außer einem Blech des legendären Butterkuchens von Frau Breschke auf eine Gegenleistung verzichtet hatte, das von der Tochter aus einem asiatischen Versandhaus besorgte Ding hatte allerhand Spracheinstellungen von USA bis Altägypten, ließ sich aber bloß auf Sanskrit und Tagalog bedienen. „Hier ist irgendwo auch so eine Rechenfunktion“, erklärte er. „Man muss natürlich die Umsatzsteuersätze noch von Hand eingeben, aber immerhin kann man die Haushaltskosten damit aufsummieren.“ Ganz abgeneigt schien er dem neuartigen Weggefährten also nicht, das war schon mal ein Anfang. Seine Affinität zur Technik war mir bekannt, ebenso die ab und an auftretenden Fehler, die sein Verständnis für die nicht rein mechanisch arbeitenden Helfer des Alltags. Und schon hatte ich die Möglichkeit entdeckt, sein Interesse zu wecken.

„Man kann mit dem Modell auch ganz gute Bilder machen“, erklärte ich dem verdutzten Mann. Er schaute skeptisch auf den schmalen Bildschirm, kniff die Augen zusammen und entdeckte endlich das Kamera-Symbol. „Ob ich mal darauf tippe?“ Er tat es, und schon öffnete sich die Frontlinse, die zu seinem Erstaunen sein eigenes Gesicht auf den Monitor warf. „Das scheint nicht noch nicht ganz ausgereift“, bemerkte Herr Breschke kritisch. „Von mir gibt es schon genug Bilder, aber wenn ich zum Beispiel mal im Urlaub fotografieren möchte, dann doch wenigstens ein paar Sehenswürdigkeiten, zur Not mit meine Frau im Vordergrund.“ Da hatte er ja recht, also hub ich an, ihm das Konzept der heute üblicherweise verbauten Selfiekamera zu erklären, doch er unterbrach mich. „Ich mag nicht mehr der Jüngste sein, aber wie ein Fotoapparat funktioniert, das haben wir in der Schule gelernt.“ Und er drehte das Gerät einfach um. So weit, so gut, nur konnte er durch die rückwärtige Linse eben nichts sehen. „Das muss defekt sein“, befand Horst Breschke. „Ihre Freundin hat mir tatsächlich ein Handy mit kaputtem Sucher angedreht!“

Das Kreiselzeichen, mit dem man die Kamera wechselt, war schnell erklärt, und schon leuchteten seine Augen wieder. Lange Spaziergänge durch den Stadtpark mit seinem treuen Gefährten Bismarck schienen nun möglich, dem dümmsten Dackel im weiten Umkreis, dessen ausgeprägtestes Talent darin bestand, seinem Herrn an der Leine zwischen den Beinen zu laufen. „Dann kann ich ja öfters mal mit ihm zum Einkaufen gehen“, frohlockte der alte Herr, „und wir nehmen dann nicht die Abkürzung durch die Uhlandstraße in den Kiebitzstich.“ Sollte dies unscheinbare Kommunikationsgerät am Ende für mehr Bewegung an der frischen Luft mit dem Hund sorgen, so war das ein erhebliches Stück an Lebensqualität. Nicht, dass der Pensionär sich nur in sein Lesezimmer zurückgezogen und dort mit der Tageszeitung seine Stunden gefristet hätte, doch kam er nachmittags bisweilen eben nur in den Garten und drehte nur abends eine rasche Runde mit Bismarck. Ich rechnete bereits mit erheblichem Datenverkehr, da trat Frau Breschke aus dem Haus und schritt schnurstracks auf das Rosenbeet zu, wo wir standen. „Gut, dass Sie da sind!“ Sie entwand das Smartphone aus seinen Händen und wischte auf dem Screen herum. „Ich wollte nämlich mal fragen wie man diese ganzen Nummern einspeichert, von unserer Tochter, Husenkirchens und die Familie.“ Was auch immer sie da angetippt hatte, es tutete. „Hallo?“ Ein Kracksen verdeutlichte, dass hier eine Sprechverbindung zustande gekommen war, wie bei einem Telefon zu erwarten. Der Wahlwiederholung entnahm ich zu meinem großen Erstaunen, dass es sich um den Notruf handelte. „Oh Gott“, stöhnte Breschke, „das hat uns ja gerade noch gefehlt!“

Die beiden Beamtinnen, die der Ortung des Taschenfernsprechers folgten, kamen zunächst ohne Rettungswagen, aber mit säuerlicher Miene. „Ich habe es in die Hosentasche gesteckt“, log Breschke, um die Gattin aus der Schusslinie zu ziehen. „Da muss sich irgendwie ein Anruf gelöst haben.“ Sie durften mit Milde rechnen. „Nun“, riet die eine, „es gibt praktische Schutzhüllen, mit denen man das verhindern kann.“ Womit sie sich nach einer ernsten Ermahnung wieder auf den Weg machten. „Ich habe es geahnt“, bemerkte der Hausherr. „So alt, wie ich gedacht hatte, bin ich wohl doch noch nicht.“





Endgültige Kontaktierung

11 06 2020

„… noch in diesem Monat komme. Die Corona-App sei dann in den gängigen Stores erhältlich und könne freiwillig auf die Mobiltelefone der…“

„… habe eine erste Straßenumfrage ergeben, dass die meisten Bürgerinnen und Bürger die App erst dann nützen würden, wenn sie von Professor Christian Drosten vorgestellt werde. Man verbinde mit dem Gesundheitsminister weder medizinische Kompetenz noch Bewusstsein für technische…“

„… müsse man allerdings im Falle eines positiven Testergebnisses immer noch selbst beim zuständigen Gesundheitsamt anrufen. Dieses Telefonat durch einen automatisierten Kontakt mit der zuvor ausgewählten Behörde schon in die Programmierung aufzunehmen sei dem Team erst am Tag nach der offiziellen…“

„… zu kompliziert sei, Termine für den Testbetrieb vor Ort über die App zu vergeben. Es könne außerdem nicht sichergestellt werden, dass es in Deutschland genügend Testsätze gebe, so dass möglicherweise die falsche Bereitstellung von Tests durch die App eine zusätzliche…“

„… zu spät eingeführt werde. Zahlreiche Bundesbürger hätten angesichts der aktuellen Lage gesagt, die App erst nach einer Infektion auf ihr Smartphone herunterladen zu wollen, um die…“

„… zur Sicherheit telefonisch benachrichtigt würden. Dies sei insbesondere deshalb sehr zeitaufwendig, da den Gesundheitsämtern mehrere tausend Mitarbeiter für die Aufklärungsgespräche fehlten, und es sei nicht immer möglich, bei den anonymisierten Kontakten auch die korrekte Person ans Telefon zu…“

„… habe das Ministerium die später Einführung der App verteidigt. Viele bisher an COVID-19 verstorbene Deutsche seien Bewohner von Alters- und Pflegeheimen gewesen, die im Regelfall nicht über ein Smartphone und die dazugehörigen…“

„… nicht geklärt werden könne, ob ein positiver Test die Voraussetzung für die Entgegennahme der Meldung sei, die jedoch bereits vorher an das zuständige Gesundheitsamt weitergeleitet werden müsse, um die Identifikation des jeweiligen…“

„… sei Spahns Vorschlag, die Meldung einer Infektion mit einem Gewinnspiel zu verbinden, nicht wirklich zielführend und werde vom Robert-Koch-Institut deshalb auch nicht…“

„… hätten sich bereits mehrere AfD-nahe Gruppierungen zu Demonstrationen verabredet, in denen sie der Bundesregierung gewollte WLAN-Schäden durch die App-Dauerbenutzung vorwerfen würden. In den WhatsApp-Gruppen, die bereits von anderen Corona-Widerständlern genutzt worden seien, habe man schwere Vorwürfe gegen die…“

„… im Auftrag des Bundesministeriums von seinem eigenen Smartphone angerufen habe. Spahn habe trotz mehrstündiger Versuche an drei Tagen keinen telefonischen Kontakt mit dem…“

„… dass die App keine Möglichkeit biete, sich mit seinem Facebook-Profil anzumelden. Seehofer sehe dies gerade im Hinblick auf zukünftige Fälle der nationalen Sicherheit als erheblichen Vorteil für eine standortnahe…“

„… dass die vom Benutzer eingegebene ID von den Gesundheitsämtern zur Verfügung gestellt werden müsse, bei einer dezentralen Speicherung aber von den Gesundheitsämtern nicht als ID eines bestimmten Benutzers identifiziert werden dürfe. Spahn könne derzeit nicht genau sagen, woher die ID-Nummern der App wirklich stammen würden und rate einfach, sie weiterhin zu benutzen, bis sich ein besseres…“

„… hätte das Programm auch bei einer früheren Einführung nicht die schwer erkrankten oder an COVID-19 verstorbenen Pflegerinnen und Pfleger retten können, da diese sich ja an den Patienten in den Einrichtungen infiziert und somit…“

„… auch nicht, dass eine bereits vergebene ID tatsächlich existiert und eindeutig einem Benutzer zuzuordnen sei. Man wolle beides erst nach Abschluss der Pandemie von den zuständigen…“

„… falsch-positive Ergebnisse sofort aus den Infektionsketten entfernt werden müssten, um nicht einen Großteil der Arbeit sofort wieder sinnlos verpuffen zu lassen. Die endgültige Kontaktierung der potenziell infizierten Personen solle also erst nach einem zweiten Antikörpertest, der nach der ersten Meldung, aber dann nicht im zuständigen Gesundheitsamt, sondern in der…“

„… halte Seehofer die langfristige Einführung einer anlasslosen Vorratsdatenspeicherung für wesentlich einfacher als eine App, deren Bedienung selbst den Entwicklern erhebliches…“

„… wie man mit tatsächlich Infizierten umgehen wolle, die keinen Kontakt zu anderen App-Nutzern aufweisen würden. Bei einer für die Bundesrepublik prognostizierten Abdeckung von 100% der Bevölkerung müsse das Ministerium erst eine schlüssige Interpretation für solche…“

„… müsse es auch ein abgestuftes Paket an Strafen geben für alle, die möglicherweise mit Vorsatz ihr Smartphone nicht ständig am Mann führen. Spahn wolle vorerst keine Freiheitsstrafen in Erwägung ziehen, könne aber durchaus hohe Geldstrafen für das Nichtaufladen von Akkus oder den fahrlässigen Gebrauch von…“

„… habe ein chinesischer Beratungskonzern angeboten, die Aufbereitung der Daten tagesaktuell an die relevanten Forschungsinstitute zu liefern. Von der Leyen habe sich sehr interessiert gezeigt, werde sich aber nicht vor August mit der Sache…“





Taschenrechner

23 04 2020

„… zur Vorbeugung auf weitere Pandemien oder andere Ausnahmesituationen die Digitalisierung der deutschen Schulen angeregt habe. Merkel sei sicher, dass Karliczek sich bereits ausreichend mit den Grundlagen von Elektrogeräten und…“

„… gebe es noch kein Gesamtverzeichnis der Bildungseinrichtungen. Der Ausschuss gehe aber davon aus, dass in allen Gebäuden mindestens eine freie Telefonsteckdose vorhanden sei, in die ein…“

„… vorsichtig voranschreiten müsse. Scholz sehe die Schulen in der Pflicht, könne aber als Finanzminister nicht sofort Milliardenhilfen in Aussicht stellen, solange die Automobilkonzerne noch nicht mit den Dieselklagen…“

„… starte die Bundesregierung mit einer Umfrage in den Ländern, welches Betriebssystem von den einzelnen Schulen bevorzugt werde. Dies biete die nötige Rechtssicherheit, die für den…“

„… wolle Scholz zunächst die Lehrinhalte in digitaler Form erfassen, so dass eine Verteilung für größere Klassenverbände vereinfacht werde. Er habe angeregt, Schulbücher künftig nur noch als Einzelexemplare zu kaufen und dann zu scannen, so dass sie allen Schülerinnen und Schülern im…“

„… widersprochen habe. Seehofer sei dagegen, dass das christliche Menschenbild nicht mehr die führende Rolle des deutschen Erziehungswesens einnehmen dürfe. Die von Popmusik und amerikanischem Essen dominierte Jugendkultur müsse im Sinne einer dauerhaften Leitkultur so schnell wie möglich aus dem…“

„… wie es auch im Digitalpakt festgeschrieben worden sei. Die Lerninhalt der einzelnen Klassen würden den Schülerinnen und Schülern nach der erfolgreichen Versetzung in Form mehrere CDs zur Verfügung gestellt und könnten zur Wiederholung vor dem Abschluss eine wichtige Hilfe beim…“

„… zuerst mit eigenen Mitteln betrieben werden könne. Im Bildungsministerium überlege man derzeit, ob es für den digitalen Unterricht in den Ballungsräumen einfacher wäre, Schülerinnen und Schüler in zentralen Computerräumen zu…“

„… auch auf die Umsatzeinbußen der Verlage Rücksicht nehmen müsse. Im Gegenzug habe Scholz angeregt, Übungshefte und Lehrmaterialien von den Eltern individuell ausdrucken zu lassen und einen Teil der Gewinne der Papierindustrie an die Schulbuchverlage zu…“

„… die Computerräume in den Schulen zu konzentrieren. So könnten die Schülerinnen und Schüler sich auch ohne Lehrkörper, der sich aus dem heimischen…“

„… habe Seehofer geplant, allen bayerischen Schulen pro Jahrgangsstufe jeweils einen elektrisch betriebenen Taschenrechner zu stiften, mit dessen Hilfe sich die naturwissenschaftlichen Kenntnisse des Nachwuchses wieder in die…“

„… es einfacher sei, Schülerinnen und Schülern die Benutzung der eigenen Geräte im Unterricht zu erlauben. Karliczek habe angeregt, einen Volks-Laptop des Springer-Konzerns zum Standard zu erklären, der zum Listenpreis von…“

„… sich auch große Handelsketten vorerst für den vorwiegend analogen Verkauf entscheiden würden. Es gäbe zwar viele Online-Käufe, eine Umstellung auf größere Mengen sei aber erst dann sinnvoll, wenn möglichst viele Kunden so lange zu Hause blieben, dass sich das Lieferpersonal im…“

„… eine abgestufte Strategie bevorzuge. Aus Kostengründen bevorzuge Scholz für Schultypen unterhalb des Gymnasiums die Wiedereinführung des ISDN-Standards, der bei stark verkleinerten Lerngruppen eine sehr gute…“

„… könne die Industrie der Bundesregierung nicht beim Verkaufspreis entgegenkommen, da sonst die Umsätze der deutschen Wirtschaft bedroht seien. Um keine Gesetzesänderung in die Wege leiten zu müssen, habe die Forschungsministerin auf Transferleistungen angewiesenen Haushalten ein zinsloses Darlehen angeboten, das innerhalb weniger Monate mit einer unbürokratischen…“

„… sehe Seehofer die Gefahr, dass insbesondere im Sportunterricht die Lerninhalte gehackt werden könnten, so dass die Schüler statt Turnen und Schwimmen plötzlich Schießen und Terrortraining auf ihren…“

„… die meisten Schülerinnen und Schüler im häuslichen Umfeld täglich digitale Medien nutzen würden. Sobald im Bundeskanzleramt eine webbasierte Studie in Auftrag gegeben worden sei, könne auch eruiert werden, ob Lehrerinnen und Lehrer sich überhaupt mit…“

„… Video-Tutorials als Chance sehe. Karliczek wolle einen verbindlichen Rahmen aus Filmen produzieren lassen, die die hauptsächlichen Felder der Kernfächer mit sämtlichen…“

„… sich Lehrerfortbildungen nicht mehr rechnen würden, wenn ein signifikanter Teil des Schulpersonals nur noch weniger als zehn Jahre bis zur Pension hätte. Man könne diese Kräfte dann besser in Hauptschulen einsetzen, wo ein Großteil der Absolventen sowieso nicht ins Arbeitsleben…“

„… nicht beachtet habe, dass Filme auf den führenden Videoportalen werbefinanziert seien. Die Bundesregierung sehe darin keinen Grund, das Modell zu hinterfragen, wolle aber vermehrt auf Werbeinhalte der Bundeswehr und…“

„… vorerst nicht weiter verfolgt werde. Das Bundesfinanzministerium habe erkannt, dass das Budget bereits mit der Anschaffung von Kernseife und Papierhandtücher für alle Schulen im…“





Gernulf Olzheimer kommentiert (CDXLVIII): Das Internet der Dinge

25 01 2019
Gernulf Olzheimer

Gernulf Olzheimer

Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.

Und dann war da plötzlich dieser Traum, in dem der Kühlschrank unaufgefordert Kondensmilch orderte, weil der Kaffee sonst am nächsten Tag schwarz bliebe, das Radio reagierte nicht auf Zuruf wie in der Hipsterwerbung, es linste nach der Lage auf der Matratze zwischen zwei und halb vier und hielt aus Vorsicht die Klappe, während sich in der Garage die Karre langsam aufzuheizen begann, weil die elektrische Zahnbürste wieder Haftung mit der Ladestation aufgenommen hatte. „E-Mail für Dich“, jodelte der Saugroboter, und zwinkernd rülpste die Waschmaschine ein paar Schlucke Weichspüler in den Wasserkreislauf. Schweißgebadet wacht der Verbraucher auf, bevor er feststellt: es war kein Traum. Das Internet der Dinge ist schon real.

Was bisher nur eine kleine Erleichterung war, da man nicht mehr selbst nach dem Wasserstand in der Kaffeemaschine gucken musste, wächst sich zur Guerillakommunikation aus, in der der Mensch nicht mehr mitredet. Doch was ein Eigenleben entwickeln kann, tut es auch – anders hätten die Proteine diesen fragwürdigen Rotationsellipsoiden auf dem Weg um das Zentralgestirn auch nicht unter Kontrolle gebracht, weder mit Rücksicht noch Nachhaltigkeit. Wer teilt, der herrscht, also teilen sie fleißig unsere Werkseinstellungen unter sich. Die Infrastruktur bieten Schrilliarden neuer IP-Adressen, eine für jede Glühlampe, die angeht, ausgeht und irgendwann durchbrennt. Wir haben in diesem Netz nichts mehr zu suchen, allenfalls als Zaungäste dürfen wir dem Smalltalk zwischen Geschirrspüler und Klobürste lauschen, bis sie uns stummschalten. Vermutlich aus Sicherheitsgründen, da der Hominide im Haushalt ein hygienisches Risiko darstellt, wie er mit allerhand Flüssigkeiten im Anschlag zwischen den elektrischen Bausteinen herumtorkelt, immer für einen Kurzschluss gut.

Zuerst werden wir nicht viel merken, zu tief sind wir noch im zwanzigsten Jahrhundert mit seiner fortschrittsbekifften Zivilreligion gefangen und schwiemeln uns wirre Visionen zurecht: mit dem Flugtaxi über den Hauptbahnhof zum Mars, der weichlogische Wäschetrockner erkennt die einzelne Socke und plärrt Alarm, das Essen kommt aus dem heizbaren Betonmischer, der auch dem Weinkeller Bescheid sagt, wenn der Banause Besuch erwartet. Die Heizung läuft Amok, wenn sich eine Schneeflocke am Horizont abzeichnet und den Messfühler im Vorgarten verstört, die Wanne nässt sich ein, sobald der fremdbestimmte Diesel über den Kiesweg knirscht. Es fehlt nur noch das Popcorn, das automatisch von der Decke rieselt, dann wäre die Illusion von der paradiesischen Welt in der Versandhausversion perfekt.

Tatsächlich tauschen die Karren auf dem Parkplatz vor dem Selbstbedienungsladen ihre Codes und vertrieben sich die Zeit, indem sie ihre Türen gegenseitig entsichern, Schmalzschlager in der autogenen Beschallungsanlage suchen und ihr delinquentes Verhalten mit dem Ablassen von Altöl besiegeln. Sie wissen, ihre Zeit in buntem Lack ist flüchtig, die Schwarmintelligenz bringt nur Gezänk zwischen autonomen Fahrzeugen auf der A1 am Ende des Staus, und wenn die Gattin die Scheidung eingereicht hat, weil sich die Schnapsvorräte auf wundersame Weise selbst reproduzieren, ist auch diese offene Flanke ein Einfallstor für den kleinen Unfall, der die Abendnachrichten aufmachen wird.

Noch brauchen uns die Geräte, aber nicht ewig. Es wird nur noch eine halbe Generation dauern, bis die Eierkocher die Macht übernommen haben und mit einer Armee von Drohnen und dem jüngst geleasten Elektrofahrrad ein Rollkommando durch die Rechenzentren der Metropole jagen. Anders als in den Filmen mit Raumschiffen so groß wie das Saarland und drei Fußballfelder kennen sie das Betriebssystem der Quantencomputer und brauchen keinen seriellen Anschluss für die paralleluniversale Steckbuchse. All your base are belong to us doodelt’s aus dem Keller, sie werden alle unsere Verträge kündigen, die Konten auf sich überschreiben, vielleicht auch auf zwei Hörgeräte im Dienste fernöstlicher Konzerne, gelenkt von einem mutierten Telefon. Noch haben wir Zeit, die Komplexität der Bedrohung zu erkennen, und wir sollten unsererseits die Einzelteile beherrschen, die Heizlüfter vom Datenverkehr mit dem Benzintank abkoppeln, Brandmauern hochziehen, nichts für harmlos halten. Unser Fluggepäck schafft es noch ohne WLAN-Störung, im Nichts zu verschwinden, das müssen wir nicht auch noch als Service implementieren. Lassen die Maschine ruhig das Licht einschalten, solange wir es selbst wieder ausknipsen können. Jeder Stecker muss ziehbar bleiben und die Bandbreite unter Kontrolle, bevor böse Bots bei der Herz-OP sich Organe für den Internethandel gemäß Schlachtplan aus unseren Rippen schneiden. Bevor wir den Profilern auf dem Mikrochip zum Opfer fallen, tindern ja vielleicht bald unsere Socken. Das einzige, was noch halbwegs erträglich wäre an unserer Situation.





Palastrevolte

23 01 2018

„Kommt nicht mehr aus der Küche raus, sagen Sie? Das Gerät fährt auch immer wieder in die Küche zurück? Haben Sie schon einmal versucht, den Staubsauger in ein anderes Stockwerk zu tragen? Ah, verstehe. Das ist ein bisschen sehr bedenklich.

Möglicherweise ist das Gerät nicht korrekt in Ihre Datenumgebung integriert worden. Es gibt da Staubsaugroboter, bei denen man über eine App einstellen kann, wann sie saugen, zum Beispiel in der Zeit, in der Sie nicht zu Hause sind. Wie, das installiert sich von alleine? Ist das so ein lernfähiger Sauger? Zentrale Steuerung? Kann ich mir nicht gar nicht vorstellen, die Hersteller haben meist ganz unterschiedliche… Gut, das ist ein Argument. Wenn Sie nur ein Passwort für beide Geräte brauchen, ist das schon ein guter Hinweis.

Wo haben Sie den Staubsauger denn gekauft? Gar nicht? Der war einfach so da? Nein, das können Sie mir nicht erzählen. So ein Staubsaugroboter fällt ja nicht einfach vom Himmel oder durch den Schornstein oder kommt mit der Post. Doch, mit der Post schon. Aber egal. Der ist nicht einfach so in der… Im Internet bestellt? Gut, dann müssen Sie schon ein Auge darauf haben, wer bei Ihnen an den Computer darf, eine Kindersicherung würde da schon hilfreich sein oder eine zusätzliche Abfrage, sonst bestellt Ihr Nachwuchs sich demnächst im Süßwarenhandel eine Tonne… –

Also jetzt noch mal langsam. Der Backofen hat sich den Staubsaugroboter bestellt? Und ein Irrtum ist absolut ausgeschlossen? Haben Sie sonst keinen bei sich, der das getan haben könnte? Kinder, Hund, eventuell sind Sie verheiratet und wissen das noch nicht? oder nicht mehr? Dass das auf dem Display vom Herd stand, muss nichts heißen. Da schreibt so ein Backofen viel, wenn der Tag lang ist. Ich habe auch so einen, wie heißt der, Rührfix, irgendwie so, da steht auch drauf, gleich kommt eine Portion Schmorbraten raus, und dann ist es doch wieder nur so ein zerkochter Matsch, also darauf würde ich jetzt nicht viel geben. Sie haben den Beleg? Und der Backofen hat ihn liefern lassen, als Sie gerade nicht zu Hause waren? Das ist natürlich bedenklich.

Wurde bereits ausgetauscht? Das würde dann ja heißen, dass der Backofen den Staubsauger kontrolliert hat. In der Zeit waren Sie auch nicht im Haus? Das ist jetzt allerdings bedenklich. Aber es spricht andererseits für den Backofen, wenn er den Mängelbericht unterschreibt. Die vollautomatischen Geräte nehmen einem doch viel lästige Routine ab.

Sie haben jetzt das Problem, dass Sie nicht mehr sicher sind vor dem Staubsauger, verstehe. Und der Backofen steckt letztlich hinter der ganzen Sache. Ich nehme das mal so auf, damit wir einen klaren Sachverhalt haben. Das kann ja noch mal wichtig werden, wenn Sie verstehen, was ich meine. Nein, so war das nicht gedacht, ich glaube Ihnen ja. Man erlebt mit technischen Geräten auch immer wieder sehr unangenehme Überraschungen. Bei meinem letzten Rasierer beispielsweise, da gab es einen Kurzschluss, einen Tag, nach dem die Garantie abgelaufen war. Das finde ich gruselig, dass man so ein perfektes Timing hinkriegt!

Wieso der Kühlschrank? Sie meinen, dass der Kühlschrank sich mit dem Backofen gegen Sie verbündet hat? Wie soll das denn funktionieren? Der bestellt automatisch nach? Das ist doch mal ein vernünftiges Teil, das würde ich mir auch zulegen. Was meinen Sie, wie häufig ich fluche, wenn ich mir morgens Milch in meinen Kaffee gießen will, und dann hat meine Frau keine gekauft. Also sie nimmt auch Milch, aber Einkaufen ist dann eher so meine Baustelle. Egal, jedenfalls sind diese Dinger doch sehr praktisch. Backzutaten werden gleich aussortiert? Das weiß der Kühlschrank, weil Sie dann hinterher backen, und der Staubsauger muss wieder den ganzen Dreck wegmachen? Sie sollen nicht so viel Zucker? Hat sich denn Ihre elektrische Zahnbürste… –

Das wäre der erste Fall einer Körperfettwaage, die in der Cloud andere Geräte sucht und dann den Kühlschrank mit dem Backofen verbindet. Ich verstehe das, aber ich weiß jetzt nicht, wo wir da ansetzen können. Der Kühlschrank hat eine eigene E-Mail-Adresse, richtig? Können Sie eventuell kontrollieren, ob die Zahnbürste über die mit dem Backofen Kontakt aufnimmt? Spamfilter? Also der Staubsauger hat das WLAN-Passwort geändert? Aha, das heißt dann, dass er sich selbstständig gemacht hat und nicht mehr auf die Anweisungen vom Ofen hört. Ganz gefährlich. Möglich, dass es sich um eine Palastrevolte handelt. Lassen Sie auf keinen Fall Kreditkarten offen herumliegen oder den Personalausweis. Am besten sofort mit Alufolie umwickeln und über eine Induktionskochplatte ziehen – nur eben nicht zu Hause, das wird am Ende von den Einstellungen der Kücheneinrichtung nur vorgetäuscht, dann gibt sich Ihre Zahnbürste als Sie aus und sendet die Daten Ihrer Digitalkamera – Sie haben doch eine? – aus der Gesichtserkennung an die zentrale Datenbank, und dann vernetzen sich alle Staubsauger, tauschen untereinander ihre Zugangscodes und haben überall Zugriff und dann ist es auch schon passiert. Gehen Sie am besten nach Hause, schnurstracks in den Keller, und drehen die Sicherungen raus. Alle! Ja, das muss sein. Oder wollen Sie etwa, dass uns allen hier eine Katastrophe droht? Eben, dann machen Sie das so.

Sagen Sie mal, woher kommen eigentlich Ihre ganzen Sachen? Aha, hätte ich mir denken können. Na, da sind Sie auch ein bisschen selbst schuld. Das kann Ihnen bei deutschen Geräten nicht passieren. Die geben Ihre Daten nur weiter ans Bundesinnenministerium.“





Wirrtuell

7 11 2011

„Und es ist selbstverständlich alles drin, man muss es nur finden. Aber Sie werden sich schnell daran gewöhnen.“ Minnichkeit drückte mir das klobige Ding unangenehm fest auf die Nase und tippte auf der Fernbedienung herum. „Gleich müssten Sie wieder etwas sehen. Momentchen noch – hab’s sofort – jeden Augenblick!“ Ich klappte die Brille hoch. „Das geht so wohl viel schneller.“

Warum musste ich mich auch ausgerechnet für eine von Minnichkeits Produktneuheiten hergeben. „Sie werden schon sehen“, versicherte er mir, „das wird super interessant, und außerdem ist es noch äääh… also es wird Sie sehr interessieren, ganz bestimmt!“ Schon hatte ich die Sehhilfe mit den surrenden Lautsprechern in den Bügeln wieder im Gesicht. Links waberte es ein bisschen, da flackerte auf der rechten Seite eine Art Testbild auf: ein blaues Menü. „Und was passiert jetzt?“ „Sie müssen das mit der Fernbedienung auswählen“, sagte Minnichkeit kleinlaut. „Den Datenhandschuh haben sie nämlich noch nicht geliefert, und die Augensteuerung funktioniert auch noch nicht.“ „Großartig“, knurrte ich, „zwei Winzglotzen auf den Augen, aber mit einem Knopfkasten durch die Gegend laufen. Das nenne ich mal technischen Fortschritt!“

Langsam tastete ich mich durch die Korridore der Agentur Trends & Friends. Die Sicht der Brille war denkbar miserabel. Plötzlich stieß ich mit einer weichen Masse zusammen. „Also bitte“, murrte die Masse, „können Sie denn nicht aufpassen?“ Es war Maxim, der Reisefachmann. Ein Blick an der Brille vorbei – zugegebenermaßen nicht so ganz einfach, denn auch dazu musste ich an den Scheuklappen vorbeischielen – und ich hatte ihn erkannt, das heißt: ich hatte ihn fast erkannt. Sein Gesicht war durch einen breiten Balken verdeckt. „Was hat denn das wieder zu bedeuten?“ Minnichkeit schlug in der Bedienungsanleitung der Brille nach. „Das ist die Anpassung an die virtuelle Realität“, erläuterte er, „die Brille erkennt nicht, wer nicht eingespeist ist.“ Ich runzelte die Stirn. „Und ich dachte, das sei diese erweiterte Realität? Muss die Brille dann nicht mehr wissen als ich?“ „Doch, schon – aber sie kann ja nur wissen, was man ihr erst beibringt, oder?“

Eine knappe halbe Stunde später – Maxim hatte vom Schreibtisch aus eine Freundschaftsanfrage an meine Augenprothese geschickt, die ich mit einer Mail an seinen neu angelegten Brillen-Software-Account beantworten musste – begannen die Bügel unvermittelt an zu brummen. „Das ist Maxim“, schnarzte eine Computerstimme direkt in meinen Schädel hinein, „er will Dein Freund sein.“ Jeder Widerstand war zwecklos. „Und jetzt müssen Sie hier nur noch drücken, dass Ihnen das gefällt. Dann können Sie Maxim sofort erkennen. Nehme ich wenigstens an.“ Gereizt schielte in über die Brille hinweg zu Minnichkeit. „Was heißt, Sie nehmen es an?“ „Maxim könnte natürlich rein theoretisch noch nicht in der Gesichtserkennung erfasst worden sein, dann müssten Sie ihn nochmals mit einer Anfrage – also das Profil, und dann diese SMS zu der Mail – Sie verstehen das doch, oder?“

Zwischendurch kippte ich mir wegen der erbärmlichen Optik des Apparats einen ganzen Becher Kaffee auf die Schuhe; Maxim war wieder in seinem Büro verschwunden, nicht ohne den Ratschlag, die Blickmaschine auch im Freien zu probieren. „Aber nur kurz“, warnte Minnichkeit.

Bis ich mich an den Knopf herangetastet hatte, war der Aufzug bereits verschwunden. „Wollen Sie nicht vielleicht ein paar Erledigungen machen“, fragte mein Begleiter, „ich habe Ihnen eine To-do-Liste einprogrammiert.“ „Damit Sie nicht selbst einkaufen müssen“, brummelte ich zurück. „Achtung“, schrillte der Signalgeber in mein Ohr. Mandy Schwidarski betrat die Agentur. Zumindest dem penetranten Parfüm nach war sie es, denn sehen konnte ich sie nicht. „Warum sehe ich nur Pixel“, fragte ich sie irritiert. „Haben Sie sich auch nicht einspeisen lassen?“ „Ich bin aus Versehen in diesen VIP-Modus hineingeraten“, antwortete sie. „Aber der Hersteller sagt, wenn mindestens 500 Personen das mit ‚Gefällt mir nicht‘ quittieren, werde ich herausgeworfen.“ Ich rutsche an ihr vorbei Richtung Treppengeländer. Plötzlich lief ich in etwas hinein. „Haben Sie mich denn nicht bemerkt“, schimpfte das Etwas; es stellte sich als Praktikant heraus. „Ich will hier einfach nur meine Papiere abholen und werde über den Haufen gerannt!“ „Das ist nämlich das Problem“, stotterte Minnichkeit. „Er ist schon nicht mehr im System.“ „Das darf doch nicht wahr sein“, antwortete ich verärgert und schlängelte mich an einer Batterie Schlingpflanzen vorbei. „Gehen Sie einfach in der Mitte“, sagte Mandy müde. „Sie werden es ja doch merken. Die Grünpflanzen sind nicht echt.“ „Wir haben sie abgeschafft“, bestätigte Minnichkeit, „und durch virtuelle ersetzt.“ Ich seufzte erleichtert auf. „Wenigstens etwas, die werden nicht welken.“ Minnichkeit betrachtete angestrengt den Boden. „Naja, Sie müssen die natürlich auch jeden Tag virtuell gießen. Ich weiß bloß nicht, wo die virtuelle Gießkanne abgeblieben ist.“

Da gab das Ding den Geist auf. Koordinaten flimmerten über die Brillengläser; offensichtlich befand ich mich mit dem kompletten Treppenhaus gerade im Landeanflug auf einen chinesischen Flughafen. Dann stand das Bild kopf. Schließlich nahm ich die Brille ab. „Großartig“, befand ich. „Was denn?“ Minnichkeit sah mich verständnislos an. „Wir stehen vor einem Durchbruch. Ich sehe in 3D. Und das ohne Hilfsmittel.“





Der Zauber des Augenblicks

4 03 2009

Ja, ich besitze einen Fotoapparat – igitt, klingt das inzwischen antiquiert plus spießig mit leichter Kopfnote von Guck-mal-Mammi-ein-Nerd, fast wie „Badestube“ – und es ist eine Spiegelreflexkamera. Mechanisch, analog, weder Autofokus noch Belichtungsautomatik, absolut schnickschnackfreie Technik Baujahr 1983. Da macht man Filme rein, Azetatstreifen mit Silberhalogenid, und wenn man doof ist, wickelt sich der ganze Schmadder auf oder wird beim Öffnen der Kamerarückwand in einem Rutsch ausbelichtet, dann ist eine Woche Urlaub futsch, keine Erinnerungen mehr an Louvre, Eiffelturm und Tuilerien, und Hildegard will sich mal wieder kurz vor der Verlobung scheiden lassen. Das prägt.

Wer das Ding heute sieht, wenn es zu seltenen Anlässen den Schrank verlässt, lächelt gönnerhaft. Allenfalls. Man kommt sich mitunter vor wie Hautpilz auf Beinen, wenn man mit weniger als zwölf Megapixeln übers Straßenfest schlendert. Früher linste noch mal einer beim Einstellen der Belichtungszeit über die Schulter: „Pushen Sie? Ich bin gerade bei 800.“ Digitaldilettanten müsste man erst mal ein Fremdwörterlexikon in die Hand drücken, damit sie kapieren, dass Korn nichts mit Kimme zu tun hat. Sie haben keine Ahnung. Wissen nicht einmal, dass ein Film das Herzstück der Kamera ist.

Und zugleich ihr Problem. Das Zeug ist so teuer wie störrisch. Der Profi hat darum ein halbes Dutzend Gehäuse und wechselt mit gezieltem Griff in die kindersarggroße Tasche vom 20-DIN-Farbdiapositiv auf 39-DIN-s/w-Negativmaterial. Ich bin kein Profi. Vermutlich hole ich aus meinem Oldie nur zehn Prozent raus. Aber das schaffe ich mit ein paar geübten Handgriffen und muss nicht durch ein Menü mit sieben Ebenen surfen, um von mittenbetonter Spot- auf Integralbelichtungsmessung zu wechseln, nebenbei die Sprache zu verstellen und dann auf Koreanisch die Sprachausgabe mit der Wettervorhersage für San Marino anzuwählen.

Schmerzliche Augenblicke verdanke ich meiner Spiegelreflexkamera, vielmehr der Tatsache, dass ich sie nicht dabei hatte. Es war um die Mittagszeit auf der Mönckebergstraße, Höhe Klöpperhaus. Ein junger Afrikaner war wohl gerade unterwegs zwischen Freihafen und Fischmarkt. Er lächelte keck in den Frühlingstag hinein und schritt übers kühle Pflaster. Barfuß. Eine Pudelmütze auf dem Kopf. In den Händen Blecheimer mit Bananen.

Einen der schönsten Augenblick auch. Denn das Ding kann was. Wenn man etwas kann. Gern denke ich an die Studienfahrt, als alle ihre Ausrüstung zückten, um Linda nach dem Don Giovanni vor dem Ständetheater auf Film zu bannen. Spät am Abend, eigentlich schon Nacht. Entweder blitzt man mit nicht einstellbaren Blitzen und stellt altrosa Flecken her, in deren Mittelgrund ein Nashorn im trägerlosen Schwarzen abtaucht. Oder man hat eine Box, die außer 1/60 keine Verschlusszeit kennt und nichts fabriziert als braungraue Krakel auf Graubraun. Ich machte mit der Blende ein bisschen mehr Schärfentiefe, um die Architektur mitzunehmen (die anderen hatten natürlich alle voll auf Linda draufgehalten, als sei Prag plötzlich aus der Halbtotale verschwunden und der Zauber des Augenblicks nur eine Metapher für den Wunsch, sie möglichst schnell nackt zu sehen) und einigte mich auf eine Viertelsekunde. Cartier-Bressons moment décisif. Es hat drei Wochen gedauert, bis der Film voll und entwickelt, die Abzüge eingetütet und abgeschickt waren. Aber ich habe, als sie sich der anderen kaum noch erinnerte, an Lindas Seite eine Traviata gesehen. Und nicht nur die.

Ja, ich habe auch eine Digitale. Fragen Sie nicht danach, sie ist eine Enttäuschung. Klar, man kann mal schnell ein paar Sachen schießen und hinterher die Fehlversuche wegschmeißen – also alles – und sie liegt auch gut in der Hand. Das war’s dann. Ein Schönwetterspielzeug, das ich nicht als Kamera bezeichne. Ich lief zurück ins Fachgeschäft und klagte mein Leid. Der Berater zeigte sich ratlos. Nein, er habe mir ganz sicher nicht gesagt, mit dem Teil könne man fotografieren. Kann man gar nicht. Mit dem Gerät könne man, das sei durchaus ein Unterschied, Bilder machen. Und das mir, dem altgedienten Lichtfinder im Sinndunkel. Ich habe es in meinem Definitionskeller unter „Bildsemantik“ abgelegt und eine Träne zerdrückt.

Mittlerweile bekommt man Mobiltelefone nachgeworfen, mit denen man unter anderem auch telefonieren kann. Und Fotos machen. Gar nicht mal schlechter als mit einer Digitalknipse, zwar immer noch am untersten Level der bildgebenden Verfahren, hemmungslos fehlbelichtet, farbstichig, unscharf wie eine Nacht auf Wodka, nachdem die Truppe längst weg ist und Jonas schon in der Küche festgewachsen, weil da die Vorräte stehen, aber meine Güte, es ist eben nur Spielkram. Passt in jede Jackentasche. Ist in meiner drin.

Doch so auch hier gilt: dabeihaben ist alles. Was ich vorgestern büßte. Als ich die Kartoffelschalen in die Ökotonne trug, schleppte aus dem Nachbarhaus eine junge Frau einen bedenklich scheppernden Umzugskarton auf einen voll beladenen Kombi mit süddeutschem Kennzeichen zu, dessen Motor schon lief. Ich wusste, ich würde sie nie wiedersehen. Mich nur daran erinnern, wie sie den Pappkasten auf Brusthöhe balancierte. Und dass sie dabei High Heels trug.