Artig verbeugte sich Ernst Möppcke. „Nehmen Sie doch bitte Platz. Nein, nicht hier. Auf dem Einpersonenstahlrohrsitzmöbelstück.“ Für einen Moment war ich irritiert, doch dann fiel es mir wieder ein. Ich war ja im Amt für Worthülsen.
„Ja, dann erzählen Sie mal. Sie haben schon einschlägige Erfahrungen gesammelt?“ Ich konnte es nicht verneinen; so manches Geschwurbel war mir im Verlauf meiner Karriere aus der Feder geflossen, mitunter schwer, bisweilen gar nicht verständlich. Einige Verbalungetüme klangen nach fürchterlicher Denkverrenkung, andere waren reines Lautgeklingel und bar jeden Inhalts. „Dann werde ich Ihnen zunächst mal einen kleinen Einblick in unsere Abteilung geben, damit Sie wissen, worin Ihre Tätigkeit hier bestehen wird. Sie werden also neue Worte erfinden, die möglichst sperrig sind oder aber vollkommen sinnwidrig.“ Wozu man das denn brauche, fragte ich Möppcke. „Nun, da gibt es vielerlei Anwendungen“, erläuterte der Amtmann, „zunächst hätten wir da den großen Bereich von Justiz und Verwaltung. Wissen Sie, was das ist?“ Und er zeigte mir ein Bild. Ich antwortete aufs Geratewohl. „Ein Löffel?“ „Oh, Sie müssen noch gründlich eingearbeitet werden“, seufzte Möppcke, „dies ist nämlich ein Eierschalensollbruchstellenverursacher.“
„Und das soll jetzt der Verwaltung helfen?“ „Ja sicher! Was meinen Sie denn, wie dort gearbeitet wird? Man muss eine Sprache haben, bei der der Außenstehende bestenfalls Bahnhof versteht – sie können ja nicht jeden Matschgraben im Amt für Straßenreinigung als solchen bezeichnen, der Bürger wüsste doch sofort, worum’s ginge! Nein, ganz unmöglich. Wir sagen dazu: Schnittgerinne. Da weiß kein Mensch mehr, was das sein soll, und es hört sich sehr amtlich an.“ Ich blickte skeptisch auf die Liste der neu zu erfindenden Worte. „Und Sie kreieren tatsächlich für jeden banalen Unsinn ein neues, unverständliches Fachwort, damit keiner mehr weiß, worüber gesprochen wird?“ „Ja, wollen Sie mal sehen?“ Möppcke legte mir eine Liste vor. Von Schuldistanz war dort zu lesen – wir nannten das früher Schwänzen – und von einem Unterbeinschenkel, als gäbe es an Oberarmen und Überbeinen auch ebensolche. „Sie begreifen, wir machen die Sache so wunderbar kompliziert, ohne uns gäbe es kein ordentliches Amtsdeutsch. Und dann der zweite Bereich. Wir arbeiten für Industrie und Wirtschaft, also für die Presse, Sie verstehen?“ „Das Gefasel, was die Konzernchefs in den Pressekonferenzen absondern?“ „Sie haben es erfasst!“ Möppcke strahlte.
Das Register umfasste neben Zufallspiraten (der Bundesverbandes der Phonographischen Wirtschaft bezeichnet damit alle die, die zwar legal ihre Tonträger für einen tragbaren Spieler rippen, aber immerhin rein theoretisch die Dateien auch weitergeben könnten – was ja meist zufällig passiert) und dem Verwesungsfilm (den Hartmut Mehdorn erfand, um die Verspätungen im Herbst zu erklären, was bei massenweise auftretenden Personenschäden logisch gewesen wäre, aber bei matschigem Laub, das die Rutschfähigkeit der Radreifen steigert, doch seltsame Assoziationen mit sich brachte) auch die Leistungsverdichtung. Physikalischer Vollquark, wenn man damit jedoch die Verlagerung der Arbeit auf die noch nicht entlassenen Fabrikkulis meint, durchaus logisch.
„Ja, und dann natürlich auch noch unser größter Bereich: die Werbung.“ Ich begehrte auf. Keine anständige Werbeagentur würde für Sprachschrott bezahlen. „In der Tat ist es so“, korrigierte mich Möppcke, „dass wir den Textabteilungen unter die Arme greifen müssen. Es sitzen da manchmal hoch qualifizierte Menschen, denen eine Dämlichkeit wie Funktionshose oder Farbwechseleffekt nicht einmal im Vollrausch einfiele.“ „Farbwechseleffekt“, echote ich. „Jawohl, der Farbwechseleffekt. Das ist so eine Plastikfigur, die man unter den Wasserhahn hält, und dann werden die Haare pink. Natürlich hat das keinerlei Effekt im reinen Sinne, aber darum geht’s ja: der Kunde will vergackeiert werden. Darum erfinden wir gutelaunige Möbelevents und Kinderautositze – kapieren Sie, worum es geht? – und die Rieselhilfe.“ Rieselhilfe? „Der Pappklapper, damit Sie Salz in den Geschirrspüler kippen können. Das rieselt auch von alleine, nützt beim Dosieren gerade mal gar nichts, aber es hört sich natürlich ungeheuer komfortabel an.“
Möppcke schlug den Aktendeckel zu. „Schauen wir mal, was Sie so können. Was fällt Ihnen ein zu einem Fertiggericht aus Schweinefleischstreifen, Paprika, Pilzen und Zwiebeln?“ Ich grübelte einen Augenblick. „Fitness-Pfanne!“ Der Spracherfinder war’s zufrieden. „Und die Wettervorhersage für Deutschland?“ Ich musste nicht lange nachdenken. „Business-Wetter.“ Er runzelte die Stirn. „Das müssen Sie mir erklären. Das klingt ja nach Börsenkurs und Geschäftsklima.“ „Wer sich für Niederschlag und Temperaturen von ganz Deutschland interessiert, muss viel unterwegs sein, sonst hätte er ja bloß Bedarf für die regionale Vorhersage. Und wer gondelt ständig quer durch Deutschland? Der nimmermüde Geschäftsmensch.“ Möppcke lächelte zufrieden. „Sie sind pfiffiger, als ich dachte. Hut ab! Eine letzte Kostprobe noch.“ Damit zeigte er nach hinten, wo das Schwarz-Rot-Gold als staatskonformer Wandbehang die Amtsstube zierte. Ich antwortete wie aus der Pistole geschossen: „Nationalhoheitssymboltextilraumschmuckelement!“ Er erhob sich und drückte mir mannhaft die Hand. „Herzlich willkommen im Amt für Worthülsen!“
Satzspiegel