
Gernulf Olzheimer
Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.
Mit dem Werkzeuggebrauch beginnt, was der Art Intelligenz im engeren Sinne verleiht, der plan- und sinnvolle Einsatz der Materie. Man kann mit der Bratpfanne zwar Nägel in den Putz dengeln, aber mit dem Hammer keine toten Tiere rösten, und je nach Größe und Geschwindigkeit des Tiers im Lebendzustand gibt es auch Objekte, die man bei der Fühlungnahme mitführen sollte, um nicht die Nahrungskette unerwartet restrukturieren zu müssen. So entstand die arbeitsteilige Gesellschaft als logische Folge des Spezialistentums, und spätestens mit der Trennung von Produktion und Handel merkte der gesellschaftlich eingebundene Mensch, dass die Vielfalt der Erzeugnisse gleichermaßen die Wissensvielfalt des Handwerkers wie des Verkäufers hervorbringt. Wer eine gute Pfanne zu schmieden weiß, muss nicht unbedingt bratfertige Tiere aus der Steppe mitbringen, und wer sein Angebot auf eisernes Geschirr ausrichtet, braucht kein Experte für Stiefel und Brennholz zu sein. Der Vertrieb fand seine Daseinsberechtigung und feilte eifrig daran, sich unverzichtbar zu machen in einer Nische, die noch von keinem anderen mit fettigem Selbstverständnis ausgefüllt worden war. Es hätte so bleiben können, es hätte ein gutes Einvernehmen fortbestanden zwischen Krämer und Kunde, und hätte man die Krankheiten des Spezialistentums im Zaum gehalten, jene Arroganz des Fachidioten, alles wäre gut geworden. Aber die Mehlmützen aus der Chefetage konnten wieder den Hals nicht voll kriegen und läuteten die Tchiboisierung des Einzelhandels ein.
Hemmungslos schwallt der Kompetenzfasching aus dem Management, neue Marketing-Ideen wollen ausprobiert sein. Hygieneartikel neben dem Kühlregal, Taiwanplaste schräg gegenüber vom Spirituosengang, nichts ist den Grützbirnen zu doof für einen merkantilen Vollrausch. Hier und da sind noch Überreste intakter Ladenstrukturen zu erkennen – wo Tiernahrung ausgeschildert ist, jodelte keine Reformkost von der Palette – und die kleineren Dorfsupermärkte lehnen den Konsumkirmes flächendeckend ab. Wo es aber urbaner wird, wo sich Marke an Marke blutige Verteilungskriege um Prozentpunkte auf dem Analogkäse-Segment abspielen, da wird der Käufer mit vorgehaltener Knarre zum Ablaschen gezwungen, ob er denn will oder nicht. Kreuz- und Querverkauf ist die Devise, ohne Heizstrahler und Digitalkurzzeitmesser kriegt das Mütterchen heute keine Tüte Mehl mehr an die Kasse gehievt. Wer einmal seinen Fuß in die Kaufhalle gesetzt hat, ungeschoren kommt er nicht mehr heraus.
Längst fräst sich das wuchernde Elend durchs ganze Geschäft. Mit knirschenden Zähnen hat man sich daran gewöhnt, dass keine Tankstelle ohne einen begehbaren Zigarettenautomaten auskam – Reisende soll man nicht aufhalten – und das Angebot sich im Laufe der Jahre subtil um Alkoholika und Schmuddelhefte erweitert hat, kurz: alles, was man auf einer unerträglichen Reise zwischen den Staurändern von Bad Salzuflen bis Pirmasens braucht, um nicht wahnsinnig zu werden. Keinen stört’s, dass der Bäcker, der einst die Morgenzeitung verkaufte, mörderische Konkurrenz bekam vom Printheini, der jetzt auch die Brötchen unters Volk jubelt. Die Angelegenheit hätte man aufhalten können. Aber wir schalten auf Durchzug.
Nicht nur der Niedergang des Fachhandels an sich ist Ergebnis dieser komplementär angeordneten Hirnkasperade, wie sie ein paar verstrahlte BWL-Popeletten aus den Synapsen geschwiemelt haben, insbesondere ist es der Abstieg der Sortimenter. Was als Shop-in-Shop zur nachhaltigen Steigerung der Kundenzufriedenheit angepriesen wird, ist in Wahrheit tonnenweise Zeugs neben der Wursttheke, Kruscht und minderwertige Ware, wie sie der billige Jakob auch nicht besser durch die Endkontrolle hätte schmuggeln können. Die Überschwemmung der unspezifischen Magazine mit Schrott im Doppelpack, mit überflüssigem Gewurbel und Geschlonz, Damenstrumpf und Klapptisch, Melonenspaltgerät und Staubsauger, nagt dem Konsumopfer an Netzhaut und Verstand, fordert zum ästhetischen Deathmatch heraus und bringt den Käufer, der einfach nur ein Stück Brot gekauft hätte für sein Geld, zur Emotionsbulimie. Wuchernde Flächen, die nach und nach das Kerngeschäft – normale Waren zum akzeptablen Preis-Leistungs-Verhältnis – an die Wand pappen. Die ganze Bude degeneriert zur dreidimensionalen Werbebande für Schutt en gros. Nicht mehr der Handel mit hereingekübelten Prekärprodukten steht hier im Vordergrund, der ist längst passé. Der Resthirnuser weiß, dass man funktionsfähige Türstopper besser nicht im Fischgeschäft kauft, der Manager weiß, dass der es weiß, und also kleistert er seinen Basar mit Lockrufzeichen voll: die Überflüssigkeit des zur Dekoration geronnenen Angebots, das der Bescheuerte getrost ignorieren kann, da es nur symbolische Form ist, kannibalisiert den Geschäftszweck.
Die Entartung des Erwerblichen grinst schon diabolisch durch die Kategorien. Man bucht seine Reise heute bei der Bank, während den passenden Kredit zur Finanzierung das Autohaus liefert. Rasenmäher und Bettgestell finden sich einträchtig neben Kinderspielzeug und Adventsdekoration im Heimwerkermarkt. Es dürfte eine Frage der Zeit sein, bis man beim Internisten gleich seine Bestattung buchen kann. Für drei Koloskopien gibt es wahrscheinlich einen Gutschein. Und Röstkaffee.
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