Alte Kameraden

22 02 2010

„Und? Geht Sie das etwas an? Stecken Sie Ihre Nase eigentlich immer in Sachen, die Sie einen Scheißdreck… Schnauze! Jetzt rede ich! Haben Sie gedient? Ach, sieh mal an! Panzerbataillon? Sagen Sie das doch gleich, Herr Doktor, da können Sie – wollen sich Herr Doktor doch bitte keine Umstände machen, bewahre! Das muss Sie als Stabsarzt gar nicht kümmern. Regelt sich. Selbstverständlich!

Muss man das beanstanden? Gut, Loyalität vor Fachlichkeit zu setzen, das ist natürlich nur für den sinnvoll, der sich im Gefecht auskennt. Man kann dem Feind nicht in die Hände spielen, wenn man ständig diese Drückeberger zwischen den Beinen hat, die über jeden Befehl diskutieren wollen und vors Bundesverfassungsgericht… wie? Natürlich, Herr Hauptmann, das ist für den Staatsbürger in Uniform eine Selbstverständlichkeit. Da haben Sie Recht. Das ist so und das muss auch so bleiben in einem Staat, der seine Verfassung… ja. Doch. Ja.

Den Versorgungsgedanken ernst nehmen? Da haben Sie mal etwas gesagt, nicht wahr, kennen Sie nicht auch noch die alte Befehlsform: Versorgung, Nachschub, Verpflegung… ja, das hatte die Reichs… also die Bundeswehr, nicht wahr, die hatte das natürlich auch so im Programm, ja. Weil das bei unseren Geschäfts… also befreundete Nationen aus dem globalen Prekariat, nicht wahr, die wollen das ja auch so, dass man sich da psychologisch ein wenig einfühlt. Stellen Sie sich mal vor, da kommen Sie mit einer Horde Sozialpsychologen – die Bimbos lachen Sie doch aus! die nehmen Sie ja gar nicht ernst, diese Afroafrikaner, die holen uns doch ins Land, damit bei denen ordentlich wieder Aufschwung ist! Was soll denn das – das wird man doch wohl noch mal sagen dürfen!

Sicher ist das mit dem vor der Wahl und nach der Wahl so eine Sache. Ich meine, der Bürger an sich will ja in den ersten Monaten nach der Wahl gar nicht mit unschönen Sachen wie Politik und Ehrlichkeit belastet werden, es ist reicht, die… Ja, das sagen sie dann alle. Aber wollen Sie das den Niggern da unten sagen? Die warten darauf, dass man sie bescheißt. Da haben die ein Recht drauf!

Weil das klar war, dass wir unsere Ziele in diesem Jahr nicht erreichen werden. In dieser Legislatur übrigens auch nicht, damit wir uns hier klar verstehen. Zynisch? der Herr Niebel? Herr Hauptmann sind wohl in Sektlaune?

Aber mal im Ernst, was wollen Sie den Kaffern denn groß erzählen? Dass sie anständige Klamotten anziehen, wenn der dicke Mann aus Germany kommt? Dass sie die Klappe halten, damit er sich nicht blamiert? Na? Eben. Wir reißen uns doch hier nicht den Arsch auf – haben Sie das nachgerechnet? Für jedes Krankenhaus in den Negerländern müssten wir ein Promill Finanztransaktionssteuer anlegen – sollen wir unsere Einkommensmillionäre etwa gezielt in die Arme der volkswirtschaftlich nicht so sehr begrüßenswerten, aber moralisch doch sehr verständlichen Steuerhinterziehung treiben? Wollen Sie die Kongobongos zu Erfüllungsgehilfen des geistigen Sozialismus machen?

Natürlich werden wir nur noch mit jenen kooperieren, die der Obersten Heeresleitung, also dem Entwicklungshilfeministerium sich ohne den geringsten Widerstand unterwerfen. Die offizielle Blendgranate der Bundesrepublik, der Niebel… Nebelwerfer der internationalen Wehr… auf jeden Fall ist das hier der Beweis, dass wir nicht primär für Bundeswehreinsätze im Inneren sind. Wir wollen schon noch, dass die Jungs sich den Wind da draußen um die Nase wehen lassen.

Opportunismus? Das sind jetzt aber ganz schön harte Worte, finden Sie nicht? Verlogen? wegen der Abschaffung? Doch, wir wollten das Ministerium inhaltlich abschaffen – versprochen, gehalten!

Ach was, das ist doch keine soziale Hängematte. Das können Sie uns doch nicht… Herr Pinkwart ist übrigen auch noch nie bei uns gewesen, der muss sich um ganz andere Katastrophen… nein, Sie sind da auf dem ganz falschen Dampfer. Wir haben die eben von der Straße geholt. Da sehen Sie mal, was die FDP für eine soziale Verantwortung hat!

Das liegt am Fachkräftemangel, wissen Sie? Den gibt’s ja auf dem Arbeitsmarkt so gut wie gar nicht – warten Sie mal, ich weiß jetzt gerade nicht, on Herr Westerwelle nicht das Gegenteil… nein, ist noch so. Nur in der Entwicklungshilfe, da gibt es so gut wie keine Experten. Ist ja klar, wer würde schon freiwillig zu den Zulus fahren, nicht wahr? Eben. Da muss man mal sehen, wie man die Schreibtische hier voll bekommt. Die Mittelstandsförderung muss eben auch mal ganz andere Wege gehen. Sehen Sie, das ist das Problem. In so einem Entwicklungsland, da suchen Sie und suchen Sie: kein Mittelstand, nix. Was sollen Sie da groß fördern bei den Negern? Da müssen die Gelder eben anderweitig… Sicher, der Jahresetat muss weg, das ist so in der Armee. Wir liegen auch ganz gut in der Zeit. Die Staatssekretäre bauen wir schon ab, 2013 wird ja neu gewählt, und da sind die schon in Rente, nicht wahr. Und bis dahin sehen wir es als eine Win-Win-Strategie: wir zeigen den Schwatten da mal ordentlich, wie man Schulen und Krankenhäuser baut, das belastet deren Haushalte nicht mehr, die Staatschefs von den Lakritznasen können ihre Armeen nach Herzenslust ausstatten – und dann raten Sie mal, welcher gute Freund und Partner seine hübschen Prospekte aus der Rüstungsindustrie auf den Tisch des Hauses legt. So macht man das, Herr Hauptmann.

Und wenn’s tatsächlich schief geht? Na, das versteht sich. Notfalls war der Herr Niebel mal Fallschirmspringer.“





Weihwasserschaden

19 03 2009

Die Kommission stellte noch einmal fest, dass gut drei Milliarden Menschen nicht über sauberes Trinkwasser verfügten, sofern sie überhaupt Zugang zu Wasser hätten. Die Zahl war erwartbar. Sie wurde veröffentlicht, erhielt kaum Aufmerksamkeit und geriet knapp drei Tage später in Vergessenheit. Eine Menge von Menschen, einer europäischen Kleinstadt vergleichbar, hatte sich inzwischen an diversen Erregern infiziert, nicht wenige von ihnen waren ohne Kenntnisnahme der Weltöffentlichkeit erwartungsgemäß verstorben. Die internationale Wasserkonferenz in Mombasa stand vor der Tür. Man würde noch genug Zeit finden, während der Veranstaltung in flammenden Sonntagsreden genug Bedauern abzusondern, wenn es nur ausreichend natriumarmes Wasser ohne Kohlensäure zum Ausspülen der Espressotässchen geben würde.

Die Gastrede des Papstes wurde schon im Vorfeld als einer der Lückenbüßer eingeschätzt, die das dreitägige Programm nicht eben informativer zu gestalten geeignet wären. Umso konsternierter war das Auditorium, als der Heilige Vater die Durstigen der Dritten Welt unmissverständlich aufforderte, auf Wasser zu verzichten. Auf jegliches Wasser.

Manche glaubten, sich nur verhört zu haben, doch Benedikt XVI. stellte seine Position noch einmal deutlich dar. Er erklärte, das Trinken von Wasser löse das Trinkwasserproblem nicht, sondern verschlimmere es nur noch. Spirituelles Erwachen sei nun vonnöten, die Solidarität des Katholizismus mit den Verdurstenden einmal ganz abgerechnet.

Möglicherweise hätten es die Beobachter als einen von zahlreichen Lausbubenstreichen des Oberhirten abgetan – man erinnerte sich an die Abschaffung der Vorhölle und an die Rehabilitation des Antisemitismus in der Karfreitagsliturgie – wenn der nicht nachgelegt hätte. Auf Anfrage verlangte der Vatikan nochmals mit ausdrücklichen Worten Enthaltsamkeit. Es gebe weiterhin keinen Diskussionsbedarf.

Erste Kritik setzte ein, als Bundeskanzlerin Merkel sich postalisch mit dem Wunsch nach Klarstellung an den Stellvertreter wandte; die Kritik entzündete sich weniger an der Tatsache, sondern vielmehr an deren Wiederholung – Merkel habe doch wissen müssen, dass sie nicht berufen sei, theologische Fragen zu beurteilen. Offizielle Stellen des Gottesstaates bemühten sich sogleich um Schadensbegrenzung; Ratzinger habe vielmehr symbolisch die Brüder und Schwestern in ihrer gewissermaßen unschönen Lage in die Arme schließen wollen.

Ähnlich albern wirkten die Versuche des Vatikanorgans BILD, die Sicht der Öffentlichkeit zu korrigieren. Franz Josef Wagners dialektische Turnübung, das Wasser des Lebens und die real existierende Wasserversorgung zu synthetisieren, misslang gründlich. Es hätte indes auch nichts geholfen. Der Weihwasserschaden war längst eingetreten.

Der Widerstand formierte sich rasch. Die Aktion Wasserzeichen fand raschen Zustrom. Ihre Idee, die Entwicklungshilfe aus den Fängen der EU zu lösen und stattdessen Genossenschaften in den bedürftigen Ländern zu gründen, stieß auf Zuspruch. Es blieb nicht bei Lippenbekenntnissen. Zu Tausenden verpflichteten sich die Unterstützer, ihre Kirchensteuern, die sie nun nicht länger zu zahlen bereit waren, in die Hilfsorganisation fließen zu lassen. Erste Projekte nahmen konkrete Gestalt an, als sich der Vatikan den Organisatoren anbot, Beistand zu leisten. Zwar sei keinerlei finanzielle Hilfe zu erwarten, doch sei der Papst persönlich bereit, moralische Vorschläge zu unterbreiten.

Einer Analyse des Bundesinnenministeriums, nach der der Verzehr von Trinkwasser hygienisch mangelnder Qualität die Haupttodesursache vieler afrikanischer Landstriche sei, folgte sogleich die Rechtfertigung des päpstlichen Erlasses; der Wasserverzicht sei durchaus als präventive Maßnahme gegen die drohenden Gefahren für Leib und Leben zu verstehen. Dies wurde nicht hinterfragt. Man wusste, das Bundesministerium des Innern kannte sich mit präventiven Maßnahmen zur Abwehr drohender Gefahren bestens aus – vor allem mit Gefahren, die aus derartiger Prävention drohen.

Mit gewohnt vitaler Rhetorik ergriff Joachim Kardinal Meisner das Wort. Er sorgte für nicht unerheblichen Aufruhr, da er in einer Talkshow erklärte, der Verzicht auf Trinkwasser sei auch unter Umweltgesichtspunkten positiv zu sehen. So bleibe mehr Brauchwasser übrig. Während der Wasserkopf der vatikanischen Verwaltung noch über einen Verbleib Meisners im Amt köchelte, meldeten die Agenturen, dass die Wogen der Empörung bereits sieben Millionen Mitglieder aus der katholischen Kirche gespült hatten.

Um der Körperschaft beizutreten – der Vatikan äußerte in diesem Zusammenhang die Hoffnung, dies würde in Afrika geschehen – empfahl die Glaubenskongregation nun die Anwendung der Trockentaufe. Wie dies Verfahren zu handhaben sei, wurde nicht näher erläutert. Da gleichzeitig der konventionelle Ritus allein gültig blieb und die Priester angewiesen wurden, täglich mindestens drei neue Mitglieder für den Bund zu gewinnen, machten sich gewisse kognitive Dissonanzen bemerkbar.

Als bekannt wurde, dass die Vatikanbank einen größeren Teil ihrer Gelder in Aktien sizilianischer Wasserversorgungsgesellschaften angelegt hatte, brachen alle Dämme. Der Vatikan wurde unterspült. Die Sintflut war kaum noch aufzuhalten, als der Papst heftig zurückruderte. Wasser, erklärte Ratzinger, sei ein Menschenrecht.

Seine Anmerkung, die katholische Kirche sei für Menschenrechte selbstverständlich nicht zuständig, soff im allgemeinen Jubel der Erleichterung ab.