Gernulf Olzheimer kommentiert (DLXXXVII): Fresserziehung

22 10 2021
Gernulf Olzheimer

Gernulf Olzheimer

Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.

Die ästhetischen Ideale mögen sich im Lauf der Geschichte verändert haben, doch Nggr lebte weit davor. Noch im vorgerückten Alter von 27 war er sportlich schlank, aß Buntbeeren, Nüsse, oft auch Fisch aus dem kleinen Fluss neben der westlichen Felswand. Mühelos kletterte er auf Bäume, jagte die Säbelzahnziege und frischte den Genpool nach Bedarf auf. Seine jüngeren Brüder standen eher auf tierische Fette. Man sah es ihnen an. In der Folge gedieh nicht nur die Raubtierpopulation in jener Gegend, auch wertvolles Wissen ging verloren, zum Beispiel, wie man sich von Buntbeeren und Nüssen ernährt. Keine sozialpädagogische Maßnahme hat seitdem in unseren Breitengraden dafür gesorgt, die Kalorienversorgung des Volkes etwas gesünder zu gestalten. Wir bräuchten Fresserziehung.

Zwar jubelt eine ganze Fitnessbranche uns das Diktat sportlicher Dauerbewegung in die Hirnrinde, während die Mode alles, was sich bei der Drehung nicht als Strich vor dem Hintergrund ausmacht, als zu dick abkanzelt, aber den Size-Zero-Befehl muss jeder eigenverantwortlich umsetzen. Das wäre nicht so wild, würden nicht Herz-Kreislauf-Erkrankungen grassieren, die den Medizinbetrieb belasten und die Lebenserwartung wieder auf prähistorisches Maß stutzen. Volkswirtschaftlich sollten wir es billigend in Kauf nehmen; netto lohnt es sich durchaus fürs Sozialsystem, wenn der Bürger frühzeitig die Rente verlässt, statt sich kostenintensiven Alterskrebs zu leisten. Aber hier geht es ja um die Werktätigen, die adipös und diabetisch Fußgängerzonen verstopfen auf der Suche nach der Frittenfettembolie. Muss der Staat hier nicht herzhaft und kräftig eingreifen?

Allein er tut’s nicht, weil ihm das Wohlergehen der Massen wumpe ist. Die Lobbyhörigkeit für Fett, Salz, Zucker und künstliche Zusätze steigert sich in absurde Höhen, wenn die amtierende Grützbirne in ministerieller Mission den Kalorienkonzernen nach dem Mund redet, um deren Umsätze aufzublasen. Halbherzige Einhegungsversuche mit Ämpelchen und Buchstaben machen die Talentdetonation nicht glaubwürdiger, am Ende bleiben die von der EU befohlenen Werbeverbote für Tabak und Alkohol, nicht aber für Chemieplempe aus dem Baukasten der sich blähenden Shareholder Values. Die Medien tun das Ihre. Warenkunde und Zubereitung werden mit Kochshows weggeschwiemelt, in denen sich große Teile der Bevölkerung nicht wiederfinden, da ihnen das Biobarock finanziell kaum möglich ist, wenn die Lebenshaltungskosten anschwellen. So viel Freiheit ist ungesund.

Der Staat entzieht sich folgerichtig aus seiner Verantwortung für die Volksgesundheit und stellt die Ernährungspolitik ein. Positive und negative Anreize sind so gut wie obsolet, wenn der Handel Schlachtabfälle aus Niedriglohnfertigung in die Kunden drückt, als gäbe es kein Morgen ohne das Menschenrecht auf Schnitzel. Wolkige Erklärungen umwabern die Aluhütchenspieler, die Tierwohl und mehr Nachhaltigkeit versprechen, auf dass der Deutsche nicht mehr mit dem SUV zum Discounter brettert, während sein französischer Nachbar in der Altente zum Sterneladen töfft. Gute Absichten, da macht uns keiner etwas nach. Und Nudging hat ja schon in der Impfkampagne prima funktioniert.

Alles, was der Politik einfällt, ist die reflexartig hochgepopelte Zuckersteuer, als könne man seinen Kohlenhydrathaushalt nicht auch mit Obst in die Nähe der Hyperglykämie treiben. Währenddessen hält eine ganze Gesellschaft es für den Normalfall, dass Singles im Jobmodell feststecken, das für den Alleinverdiener mit Vollzeithausfrau konstruiert wurde – mehr als Aluschalenfutter kann sich der Werktätige nicht leisten, wenn er nebenbei auch noch systemkonform konsumieren und die Freizeitindustrie bei Laune halten soll. Was wir an Cholesterin in die Arterien quetschen, ist die Folge der kapitalistischen Funktionalität, die uns Rädchen im Getriebe die notwendigen Nährstoffe zumisst. Ob und wie lange man das überlebt, ist nur eine statistische Größe. Oder ein Unfall.

Die klassische Haushaltsführung ist aus dem Kanon der Alltagsbildung verschwunden. Längst bräche ein durchschnittlicher Passant in Tränen aus, befragte man ihn vor laufender Kamera, was eine Mehlschwitze sei und zu welchem Ende man sie verfertige. Fertigfressalien, gewachsen im Regal der Einkaufszentren, pflastern unsere Wege. Während wir uns Analogkäse und künstliche Aromastoffe hinters Zäpfchen schmirgeln, ahnt kaum noch ein Standardverbraucher, wie das Zeug in echt röche. In Kitas und Schulen wächst gerade eine Generation neu heran, die kostenoptimierte Kost reinpfeift, wo die bürgerliche Brotdose ausgedient hat. Ab und an sieht man geradezu herzige Versuche, den Kindern mit einer rohen Karotte die Feldfrucht an sich zu demonstrieren – meist ist ein TV-Koch dabei, ein Promi nicht weit, ein Politikdarsteller sondert seins ab, und alle sagen: wir müssten viel mehr tun für die gesunde Ernährung. Warte nur, balde gibt’s die Grünzeugschnipsel in Dino-Form, TK-Ware, extra kleine Portionsgröße, damit man die Abzocke auch so richtig rafft, und dann hagelt es Vitamine. Nur noch kurze Zeit. Wir suchen gerade die Knalltüte, die dafür Reklame machen könnte. Alles wird gut.





Gernulf Olzheimer kommentiert (CDLXXXIV): Orthorexie

4 10 2019
Gernulf Olzheimer

Gernulf Olzheimer

Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.

Der Speisezettel in Rrts Höhle war einfach, aber effektiv: Buntbeerenmus an Buntbeeren, im Lenz frische Buntbeerenblüten, im Herbst getrocknete Buntbeeren, dazu saisonale Gräser und Eiweiß aus der nahegelegenen Steppe, manchmal auch von unvorsichtigen Säugetieren. Mitglieder der Sippe, die die Jagdausflüge nicht im Ganzen überstanden, wurden nicht Teil der Gemeinschaftsverpflegung; man hatte bereits einen gewissen Zivilisationsgrad erreicht. Später jedoch, als die Verfügbarkeit von Nahrung anstieg durch Ackerbau und Viehzucht, begann der Hominide überwiegend mäkelig zu werden. Spätestens mit der Gegenbewegung, sich nicht zur Arterhaltung die Speckschürze zu füllen, sondern gesund, vital und bewusst zu futtern, kollabierte der Kauer und fand sich im Zwang wieder, sich nur nach dem Buchstaben des Gesetzes Kalorien hinters Zäpfchen zu schwiemeln. Hier und da übernahmen Religion und andere Nahrungstabus das Geschäft der neurotischen Konditionierung, der zur Wahlfreiheit verdammte Jetztmensch muss das mit einer Macke erledigen. Mit Orthorexie.

Denn längst ist nicht mehr klar, was noch als physisch, psychisch oder wie auch immer politisch korrekte Ernährungsform gelten kann, darf oder muss. Zwischen Low-Carb, Low-Fat, Glyx und FdH, Trenn- und Steinzeitkost drängeln sich Clean Eating, Dinner Canceling und andere hilfsverbal zu großem Getöse aufgeblähte Schluckbeschwerden, mit denen Diätpäpstinnen, Magermodels und Köche ohne Fortune die Masse in den Wirrsinn treiben. Ist die regional gekaute Karotte als fettfreier Faserstoff noch zulässig, physiologisch überflüssig oder eine notwendige Ersatzhandlung? Gehen drei Möhren als Mahlzeit durch oder soll man es lassen? Ist es unabdingbar, sie roh und auf drei Stunden verteilt zu nagen, oder tödlich? Taugt Fasten etwas, wenn man es überlebt? Schon für normale Fettverbrenner und Metaboliker stellt die Stulle einen Akt größerer Rechtfertigung dar, wenn man sie vor feindlichem Publikum zückt – öffentlich hinter die Kiemen geschobene Kohlenhydrate sind inzwischen fast so schlimm wie Rauchen auf der Säuglingsstation.

Geschenkt, dass inzwischen jeder seine eigene Essschule als dogmatisches Glaubenssystem vor die Säue werfen darf, die den Schmodder für Perlen halten. Der Bekenntniszwang, keinen bösen Weizen und keine bösen Avocados zu vertilgen, ist zugleich die Unterwerfung unter eine gleichsam ideologisch festbetonierte Unterscheidung einschließlich des Schubladendenkens, das in allen Glaubenssystemen erst Freiheit verspricht, wenn die Kiste komplett vernagelt ist. Auf der Basis des postmodernen Fitness- und Körperwahns, der unter dem Diktat der Selbstoptimierung alles in den Wahn knüppelt, wird die angstgetriebene Vermeidung zum Instrument der Heilsbotschaften, die überdies größtenteils ohne humanmedizinische Fachkenntnisse in den Äther, meist aber auch nur ins Netz gerülpst werden. So erzeugt als kleine Schwester von Fress- und Brech- die Normfuttersucht ihren eigenen Druckraum im Hirn, wo das mangelhaft empfundene Selbstbild auf ein gründlich geschranztes Zwangsverhalten trifft und die jene Dressur ermöglicht, die den Esser zum Sklaven seiner Nahrung macht.

Wie mit einem göttlichen Verdikt überzogen bleibt dem Neurotiker nichts anderes, als Läden und Märkte nach dem moralisch erlaubten Produkt zu durchsuchen, ohne Fett, Farb-, Konservierungs-, Zusatzstoffe, stets überwölbt von der dräuenden Schuld, der kultisch unreine Dosenpfirsich könnte an der Höllenpforte die Stachelpeitsche schwingen. Nur im Zustand konstant gezählter Kilojoule ist der Mampfkasper noch in der Lage, ein Salatblatt zwischen Zähne zu stopfen, wogegen alle anderen, die bei Weißmehl und Margarine den Teufel anbeten, eigentlich schon verloren sind. Gleichwohl versucht der geistlich Gestörte hin und wieder die vom Satan gesättigten Ketzer zu missionieren, zum Glück meist so erfolg- wie folgenlos.

Moderne Medien, deren wahl- und haltloses Geplärr wenig Rücksicht auf die Wirkung bei der Prallmasse am anderen Ende der Leitung nimmt, verdienen nicht eben schlecht mit der Erfindung sinnfreier Trends, mit denen sie die seelische Gesundheit labiler Nachtmützen aufs Spiel setzen. Pseudowissenschaftlicher Sondermüll blökt aus allen Richtungen, unterfüttert mit Astrologie oder Promi-Mimesis. Die Marionettenmaschinerie läuft, bis das Krankheitsbild selbst in den einschlägigen Organen pathologisiert wird als Wiederkäuen des selbst Erbrochenen. Offensichtlich hocken auch bei Frigitte und Locus gründlich devitalisierte Deppen, deren Konfektkonsum regelmäßig im Heulkrampf auf der Körperfettwaage endet, der als Projektion dem unschuldigen Opfer aufgebürdet wird, die Postille beim Hairstylisten durchzublättern. Die mediale Individualisierungsstrategie trampelt lustig über Leichen, während eine Doppelseite weiter die Reklame für Bier und Lightkäse aus dem Falz suppt. Man sollte sie alle einsperren in ein dunkles Verlies. Bei Wasser und Rosenkohl.





Gernulf Olzheimer kommentiert (CDXXX): Volksfeind Zucker

7 09 2018
Gernulf Olzheimer

Gernulf Olzheimer

Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.

Es muss frustrierend gewesen sein für Uga. Alle waren so durchschnittlich in der Sippe, und man brauchte schon eine stattliche Narbe von der Jagd auf die Säbelzahnziege, um bei den Frauen zu landen. Hätte sein Schwager größere Fortschritte gemacht mit der Zähmung von Schafen in der großen Ebene am Fluss, hätten sie irgendwann von einer total hippen Krankheit berichten können. Aber es war frustrierend, keine Laktoseintoleranz für Uga. Überhaupt war der Speisezettel farblos und wenig einladend, außer dem Buntbeerenstrauch vor dem Höhleneingang gab es nichts Süßes, und auch der lieferte nur säuerlichen Wuchs in regnerischen Sommern. Einige kauten Bienen. Nicht mal den großen Feind der vorzivilisatorischen Gesellschaft konnten sie für alles verantwortlich machen, was in ihrem Leben schief lief. Sie hatten keinen Zucker.

Was geht es uns heute schlecht. Der gut sortierte Einzelhandel bietet dreiundsiebzig Sorten Bonbons an, und alle bestehen zu vier Dritteln aus Glukose, im Gegensatz zum bei Kleinkindern ungleich beliebteren Graubrot. Längst hat eine Schicht, die in der eigenen Kindheit noch mit messerrückendick Nuss-Nougat-Schuhcreme auf Toast in die Breite gemästet wurde, die gemeine Erdbeerkonfitüre als ernährungsphysiologischen Störfaktor des Teufels erkannt und boxt alle Eltern im Szenekiez blutig, die ihre Blagen mit Marmeladenbrot im Tornister zur Regelschule schicken. In ihrer Parallelwelt, einer von Dämonen und aufgeblähten Monstern durchwehten Nacht voller Saccharin, schwiemeln böse Zwerge ihren Emmas und Pauls verstrahlte Gummibärchen in die mit Sojakäse beschmierten Dinkel-Chia-Krüstchen, damit sie unkonzentriert werden, im Sachkundeunterricht hibbeln und auf einem zweitrangigen Gymnasium erleben müssen, wie Chiana und Kevin in Physik an ihnen vorbeiziehen, einen Studienplatz in Medizin an der angesagten Hauptstadtuni bekommen, die zweimal pro Woche Kulisse für wirre Arztseifenopern ist, und ihnen später völlig zu recht die Transplantation von Leberlappen wegen vorsätzlich fehlgeleiteten Lebenswandels verweigern. Früh krümmt sich, was am Haken hängen will.

Vergleichen erregte Erziehungsberechtigte den Zucker mit den chemisch nicht ganz unverwandten Alkohol, so ignorieren sie die Tatsache, dass es sich beim Schnaps mitnichten um organisches Material handelt. Auch vom Glücksspiel kann man abhängig werden, aber noch kein Volkspädagoge hat vor einer Mensch-ärgere-Dich-nicht-Szene in den Seitengassen des Bahnhofsviertels gewarnt, wo die charakterlich aus dem Elternhaus vordeformierten Soziopathen langsam aber sicher über Schnick-Schnack-Schnuck ins Dauermonopoly abrutschen, um am Schluss kniffelnd in der Psychiatrie zu verdämmern. Die einfache Gleichung funktioniert nicht, und zwar ausnahmsweise deshalb, weil es keine Ausnahmen gibt: monokausale Erklärungen sind monokausal, erklären aber nichts außer den Bildungslücken des Erklärenden.

Wie gelegentliches Joggen oder eine Tasse Kaffee am Morgen noch kein Missbrauch sind, ist das Verabsolutieren von Zucker als diabolischem Allzweckkrankmacher, der Diabetes und kariöse Ausfallerscheinungen befördert, der billige Versuch einer Umschuldung helikopternder Perfektionisten, die den Fehler gemacht haben, Nachwuchs in die Welt zu setzen, weil damit wertvolle Zeit zur Optimierung der eigenen Schädelhohlkörper flöten geht. Wer seine Blagen mit Zuckerzeug abspeist, sich generell für ihre Ernährung und Erziehung nicht interessiert, weder Art noch Umfang ihrer Nahrungsaufnahme organisatorisch im Blick behält und schon gleich gar nicht die Wechselwirkung mit diversen anderen Einflussgrößen wie Fett oder Bewegungsmangel berücksichtigt, taugt immerhin noch zum schlechten Vorbild für die dicken Kinder im Unterschichtenfernsehen. Der protestantische Versuch, der Ernährung durch den Wegfall von Zucker stromlinienförmige Gottgefälligkeit zu verschaffen, fällt sicher auch nur denen ein, die aus fetischistischen Gründen Schulen zu Brutstätten für Stevia-Taliban machen wollen, damit ihre Ideologie der Distinktion, in der sie selbst schon versagt haben, wenigstens ihren Kindern das restliche Leben versaut. Hier wäre der zeitnahe Eintritt in eine Sekte, die körperlicher Gewalt gegenüber ein entspanntes Verhältnis pflegt, der einfacherer Weg. Vermutlich ist die von Sicherheitsdenken und kompletter Realitätsferne bei grundlegenden Aspekten menschlichen Zusammenlebens seicht in die Tiefenbeklopptheit abgedriftete Masse der Genspender längst auf Koks. Sonst würde sie nicht tapfer ihre Muttermilch, die Oligosaccharidbombe par excellence, als natürlichste Fütterungsform lobpreisen. Warten wir ab, bis sich die ersten Demonstrationen durch die Metropolen fräsen, die Weißmehl und Margarine unter Todesstrafe stellen wollen. Was ein paar bunte Pillen im Mistgabelmob anrichten, wird jedenfalls nie langweilig.





Gernulf Olzheimer kommentiert (CCCLXXVII): Wunderernährung

30 06 2017
Gernulf Olzheimer

Gernulf Olzheimer

Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.

Da hatte Rrt wieder einen seiner tollen Einfälle: die rotblauen Früchte des Hier-sag-mal-Dings-Baums im reifen Zustand reinpfeifen, um sich gegen Gelenkbeschwerden und degenerative Erscheinungen der Muskulatur zu wappnen. Zwei bis drei Hände voll empfahl er seinen Jägern, denen binnen kurzer Zeit die Augen aus den Höhle treten, die Schleimhäute jodelten dazu und der Kreislauf pegelte sich auf Null ein. Hätte man das Zeug nach dem Kochen gleichmäßig auf den Ellenbogen verteilt, die Wirkung hätte keinen gekümmert, der Zauber wäre von Generation zu Generation weitergereicht und als bald in den Rang einer Weisheit aufgerückt worden. Vielleicht hätte man damit die Homöopathie ein paar Jahrtausende früher entdeckt, ausprobiert und als bekloppt in die Tonne getreten, jedenfalls widmeten sich der Beere ganze Schulen von Naturheilkundlern, ohne Erfolg, aber das ist eine andere Geschichte. Der Brauch der rotblauen Frucht blieb, dass man erst würgte, dann geschah lange nichts, und dann musste man daran glauben. Es gedieh die Ergebenheit der wundersamen Ernährung, der quasireligiöse Wahn, sich glaubensfest zu ernähren.

Letztlich ist das Wunderfutter nichts als eine in die üblichen Marketingschubladen gepresste Idee, dass man auch aus minderwertigem Mist mit der passenden Verpackung Hochfeinkost schwiemeln kann, wo es dem Verbraucher nur an Hirnrinde mangelt. Mit Trallala wird der Kulturheidelbeere, Stammgast im Supermarkt, die Wunderwirkung der Antioxidantien nachgesagt, die Gedächtnisschwund und Krebs bekämpfen, so es ihnen gerade in den Kram passt. Dass die Wirkung unter abgezirkelten Laborbedingungen auftaucht und dann auch nur in einer minder signifikanten Zielgruppe, dass die Substanz auch im gemeinen Teebeutel vorkommt und dort in erhöhter Dosis, das aber lässt die Verkaufsabteilung magischer Produkte krachend unter den Tisch fallen. Die Zuhandenheit des Stoffs an sich ist die Sorge, ob man sich die Sache nun hinters Zäpfchen pfropft oder doch in die Blutbahn drückt, ist für den Dussel an der Ladentheke nicht so das Problem. Wer sich den Schmodder in den Drahtkorb hebeln kann, hat scheint’s eine Runde im Rattenrennen gewonnen.

Lustig, wie sich die Dinkelmuttis im braungrau gekachelten Szenebezirke ihre jutebesetzten Beutel mit dreimal um den Erdball geflogenen Gekrümel aufschaufeln, wo doch zusammengefegter Müll aus der Mühle ihrem Ökowahn die heiligen Scheine auf der Birne festgeschraubt hätten. Wer der ewigen Wahrheit dient, nur die dritte Welt – jene Zonen, denen der Scheißeuropäer im Kolonialwahn die letzten Körner geklaut hat – wäre bevölkert von edlen Wilden, die kapitalismusfrei die Samen der Vergangenheit dem Massa mit weißer Haut zur Verfügung stellen, der hat auch ein ungebrochenes Verhältnis zu Weihnachtsmann und FIFA. Sicher ist nur der Mangel an Sojamilch und toskanischen Nüssen daran schuld, dass in Afrika Infektionen nicht nach fünf Tagen Ayurveda verschwinden, immer vorausgesetzt, man ist nicht geimpft. Die Zurück-zu-den-Wurzel-Rassen, die Namen tanzen, wenn es nicht anders geht, die Abernazis, sie sind halt immer ein bisschen froh über kulturelle Aneignung, dass das Wissen der Neger nicht im Dustern verschwindet, wenn der Busch irgendwann verkokelt ist.

Das Denkmuster vegetiert unweit der magischen Realitätserzeugung, in denen die Eingeweide des Stiers mit Eigenschaften des brüllenden Boviden aufgeladen waren: kau die Samen des Grases, wo der Hirsch seinen Seich lässt, und alsbald wächst dem suggestiv befriedigten Hominiden das Geweih an einer beliebigen Stelle des Körpers, wahlweise durch Übernahme der Funktionen sublimiert oder in Größe übertragen. Ist der Baum hoch, schmeckt der Fruchtstand scheiße, so taugt der Krempel immer noch zum Abbau von Depressionen, Plattfuß und Hautschorf, denn wer würde sich nach einer Episode in der Neuropsychiatrie noch über die mehlige Konsistenz des Stielmatschs beschweren. Wie inverse Nahrungstabus, so lädt der Volksglaube das Ding mit Wunsch und Erfüllung auf, in der postmaterialistischen Gesellschaft wahlweise als naturimmanente Urkraft oder verschüttetes Wissen der guten alten Zeiten überhöht. Schließlich gerinnt der Körnerkonsum zum puren Lifestylegeschäft, was den Preis im Einzelhandel erzeugt, mit dem sich Leinsamen und Roggenschrot vom Abfall zur esoterischen Masse distinguieren. Mit etwas Glück werden wieder Apfel und Ei dank ihrer Gestalt zum liebeserzeugenden Zubehör, was der Landwirtschaft hülfe, sich gegen Chia und andere Exoten zu wappnen. Man kann die Welt ja ruhig bescheißen, sie will’s auch. Nur Mühe muss man sich gegeben, und wer wäre kreativer als die unerschöpfliche Mutter Natur.





Gernulf Olzheimer kommentiert (CCCLXX): Veganismus als Religion

28 04 2017
Gernulf Olzheimer

Gernulf Olzheimer

Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.

In Plastikplane gehüllte, großflächig tätowierte Rauschebärte ziehen durchs Hipsterviertel, vor sich her tragen sie die Monstranz ihrer Zwangssegnung, den Heiligen Tofu, begleitet von Friedensgruß und ohrenbetäubendem Kriegsgeschrei. Äpfel, Nuss und Kürbiskern säumen ihren Weg. Im Tabernakel ihrer mit Polyesterpelz ausgeschlagenen Großküche ruht eine Alge, eingebettet in Schichten von Analogkäse und getrocknetem Ingwer. Hier wurde einst ein abtrünniger Mönch bei Verzehr hart gekochter Eier zu Schleifpaste verarbeitet. Man merkt angesichts weniger, aber signifikanter Merkmale, dass es sich bei der Talibanvariante des Veganismus um eine ausgewachsene Religion handelt.

Und nicht etwa nur als Religionsersatz, wie es sich für einen Trend unter vielen gehört, der mit Bausparen und Fremdenhass, Homöopathie oder Leistungssport mithalten muss, sondern um ein komplett gegen Fremdeinflüsse immunisiertes Denkgebäude, mit Pech und Ethik verkalfatertes Luftschiff auf Rädern. Jegliche Kritik verwandelt die Pflanzenköstler ansatzlos in einen kreischenden Mistgabelmob, ungefähr in einer Toleranzklasse mit Stalin, Höcke und Opus Dei, moralinübersäuerte Gotteskrieger ohne jede Bedeutung außerhalb ihrer eigenen Welt. Ihr Kampfbegriff statt Abendland ist die sattsame Sittsamkeit, denn es geht ihnen nicht bloß um Abgrenzung, sie ziehen von Tür zu Tür und versprühen Schuldgefühle mit einer Ekstase, wie es normale Metaphysikanbieter gar nicht mehr hinkriegen. Das muss ihnen der Neid lassen, die missionarische Tätigkeit hat Weltniveau.

Kein Veganer ist in der Lage, seine Einstellung in Anwesenheit anderer Hominiden länger als eine Planck-Zeit für sich zu behalten. Da beißt einer in die Butterbemme, und zack! quillt ein Festvortrag aus des Predigers oberer Verdauungsöffnung, die Heiden zu bekehren. Honig, lieben Brüder, ist aus Massentierhaltung und damit des Teufels, Fallobst hingegen scheint politisch korrekt in evolutionäre Zusammenhänge zu passen. Der Redeschwall lässt auf Zirkularatmung schließen, sonst wären sie zu stundenlangen Bekehrungen schon körperlich nicht in der Lage. Fast nötigte es einem Respekt ab, dass sie diese Aposteltätigkeit im Angesicht ständiger Lebensgefahr ausüben, immer dessen gewahr, dass ihnen im nächsten Augenblick ein geistig gesunder, zurechnungsfähiger Bürger eine reinzimmert, weil ihm dieses kognitiv suboptimierte Gefasel auf die Plomben geht.

Dabei mangelt es den Religions-Losern nicht an der produkttypischen Irrationalität, die sich vor allem durch Totalausfall sämtlicher Bestandteile formaler Logik auszeichnet. Wie sämtliche anderen metaphysisch überschaubaren Angebote verlangt der Veganismus den strikten Glauben an arteigene Erfordernisse, die ein offenbar höheres Wesen zwar so nie formuliert hat, die qua Gruppenzugehörigkeit aber zum Konsens gehören, die gehorsam und mit Demut zu befolgen sind. PVC-Schlappen sind dem Menschen als Krone der Schöpfung gemäß, um in Frieden und Eintracht mit Mutter Natur zu leben, wo der konsumgefütterte Kapitalistenspross es aus mangelhafter Kenntnis nicht mehr schafft, sich von Bast und Rinde Sandalen zu schwiemeln. Eisen und Vitamin D, wie sie heimlich in Pillenform in die Figur gekloppt werden, sind die Sollbruchstelle der vollkommenen Dogmen, in historischer Dimension nicht einmal mythenfähig – bisher wurde keine altsteinzeitliche Apotheke freigelegt – und daher von fundamentaler Bedeutung fürs Frömmeln: was vollkommen bekloppt ist, kann man nur glauben.

Längst sind die Biomärkte, jene esoterisch bunt bewimpelten Schrumpelgurkenumschlagplätze mit ideologischer Leitfunktion, zu Kirchen des festen Glaubens geworden, wie man die Welt rettet. Vor allem der Lifestyleveganer, der allerhand exotisches Gemüse, Flugmango und Chiasamen in den Napf hebelt, verstößt gegen die grundlegendsten Gesetze ökologischen Wirtschaftens: natürlich kann man die Pfefferschoten mit Andenwasser gießen, es macht dann aber keinen Sinn mehr, das Zeug einmal um den halben Erdball zu karren, damit der Egoleptiker in Wilmersdorf sich den Krempel hinters Zäpfchen schieben kann. Im Zweifel ist die plakativ durch die Straßen getragene Sittenlehre eben nur Sittenleere, ist das Hemd näher als die Hose und der liebe Gott ein guter Mann.

Und was soll es schon nützen. In allerhand Ritualen, die sich letztlich nur aus Gruppenzwang speisen, lassen die Eingeschworenen schließlich Hund und Katze Kohlrabi und Körnerkeks fressen, evolutionär so sicher nicht abgesegnet, und dabei in der Kürze des Lebens noch eine Ecke greifbarer, wie sich die eschatologische Ausrichtung ins eigene Fleisch schneidet: auch wer den Tod der anderen tapfer ausblendet, bleibt sterblich. Eins aber tröstet: sie rauchen, sie schütten bei jeder sich bietenden Gelegenheit Alkohol in sich hinein, sie kanalisieren irdische Gelüste durch ganz normale Aggression, wie sie jeder Fußballnazi oder Freizeitrennfahrer in der Innenstadt auch an den Tag legt, und erkälten sich, sobald ihr Immunsystem versagt. Weiß denn keiner von ihnen, wie man korrekt dagegen anbetet?





Gernulf Olzheimer kommentiert (CCXC): Voodoofutter

5 06 2015
Gernulf Olzheimer

Gernulf Olzheimer

Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.

Früher war ja Steinzeit, und die war auch so. Ab und zu knurpselte sich der grunzende Gauch eine Handvoll Kerbtiere rein, und dann war wieder für ein paar Tage Schluss mit Fleischverzehr. Fettige Flechten, müffeliges Moos oder Kräutchen mit dem Aroma von Hirschurin und schlecht gelüftetem Biberbau bestimmten seinen Speiseplan. Wie gut, dass Ngrr ab und zu mal einem Mammut eins über die Rübe geben konnte, sonst wäre sein Stamm nie in den Genuss ausreichender Proteine gekommen und hätte bis übermorgen auf den letzten Kronen der Affenbrotbäume ausgeharrt, bis die anderen Hominiden die Steppe für eine Maismonokultur roden, weil ein Futtermittelkonzern noch eine Milliarde Afrikaner krepieren lassen muss, um für eine kleine Portion Menschenmüll die Renditen zu steigern. So aß der Höhlenmensch, und bis auf die Ernährung hat sich seither nicht viel getan.

Leider war die Steinzeit früher, und die heutigen Kalorienverbraucher unterscheiden sich eklatant vom damaligen Hominidendurchschnitt. Sie gingen seltener sitzenden Tätigkeiten nach, litten kaum unter Bluthochdruck oder Diabetes, dafür hatten sie auch nicht alle einen an der Marmel, was die Ernährung anging. Die Vorfahren zwirbelten sich hinters Zäpfchen, was satt machte, und stopften sich mangels Masse nicht den Rand mit Fett und Zucker voll, bis der Medizinmann einen Wutanfall bekam. Der Neoneandertaliban jedoch setzt auf die Kraft der magischen Gedanken: was damals zu einem derartigen Entwicklungsschub geführt habe, sei auch heute unbedingt notwendig, um als Mitglied einer stressgeplagten Gesellschaft im Dauerfeuer zu überstehen. Tragisch nur, dass die Steinzeit so lange dauerte, der Konjunkturzyklus eines durchschnittlichen Ingenieurs oder Sozialpädagogen so kurz ist. So viel Evolution kriegt auch ein fleißiger Biochemiker nicht in seine hochgepushte Biografie eingeflochten.

Denn das ganze Essgefasel ist ja nichts anderes als magisches Denken: naturbelassene Kräuter machen natürlich, Steaks von wilden Stieren machen wild – Ochsenfleisch ist außer Konkurrenz – und die Körnerkaufraktion glaubt noch immer fest daran, dass der Weltfrieden kommt, wenn nur alle Menschen simultan an ihrem Dinkelpomps lutschen, die Fresse nicht mehr aufkriegen und vor lauter Brechreiz ihre politischen Differenzen an der Biegung der Küchenspüle entsorgen.

Das Voodoofutter der Saison ist dabei durchaus Schwankungen unterworfen, will sagen: die neueste Erkenntnis ist sowieso immer die beste, und es interessiert eigentlich nie, ob amerikanische Wissenschaftler schlimme Sachen über Spinat herausgefunden haben oder der Hering im Preis leicht anzieht, die Masse der geistig unkompliziert Strukturierten möchte ein hippes Fresserlebnis, das ihn zum Trendsetter macht und zugleich ein Stück näher an die Unsterblichkeit bringt, die jeder Hedonist mit quasireligiöser Verehrung ansieht, weil sie ihn über das Heer der anderen Bekloppten hinweg höbe. So rammt sich der Trendtrüffler Spargel und Low Carb in die Stoma, praktiziert Trennkost, lebt bis zum Leberschaden vegan und wird irgendwann unter der Brücke gefunden, die Schnauze weiträumig verschwiemelt mit Vollmilchschokolade in Krankenhausmengen. Denn alle Lust will Ewigkeit.

Zwei Umstände machen das aus vorgekautem Grünkohl und gärendem Bananenrest gepanschte Schmuhsi noch attraktiver für die Grützbirnen: ein beliebig minderbegabter Promi muss das Zeug große Klasse finden (und sich dank der Plempe endlich frei fühlen von eingewachsenen Fußnägeln, Minderwertigkeitsgefühlen und Gicht), und es muss als Fertigprodukt noch ordentlich Kohle kosten, weil es sonst ja nichts wert ist. Der Matschpamp aus overnight in Rentierseich eingeweichten Haferflocken (glutenfrei!) wird also zwangsläufig in die Klasse der religiösen Erweckungserlebnisse hineinragen, denn warum sonst sollte ein Körper, der ansonsten alle paar Tage gedetoxt und entgiftet wird, mit diesem Glibber ins Reich des Erbrechens hinabsteigen? Es geht hier um Auferstehung, jawoll, und welcher Kochlöffelschwinger ließe sich die Chance entgehen, ein paar Knalltüten mehr hinter den heimischen Herd zu locken?

Zum Nahrungstabu tritt das Totem, zuckerfreie Kohlsuppe mit Glyx oder metabolische Schonkost, mit der man sich Hirntumore wegmampft und in Heidis Klumpfußparade reihert. Eine essbare Religion, ein Abendmahl im Snackformat entsteht, eins ums andere, und es ist für die Entwicklung unserer Zivilisation so tröstlich, dass die also gepriesenen Vorfahren allem zum Trotz schon mit dreißig das Steinzeitliche gesegnet haben. Was die heutigen Ernährungsschwurbler gerne nachmachen dürfen.





Gernulf Olzheimer kommentiert (CLXXXVII): Landwirtschaftsskandale

8 03 2013
Gernulf Olzheimer

Gernulf Olzheimer

Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.

Das Radio, der dümmste Freund des Menschen – immerhin quarrt es nur den Schrott raus, den die Werbemittelindustrie für beknackt genug hält, den Beknackten die Hirnrinde zu perforieren – es nölt stündlich neuen Unrat aus der Landwirtschaft in den Äther. Hier wiehert die Lasagne, dort rollt das Freilandei genau aus dem Käfig ins Papppack, und zu guter Letzt ist der Mais, den wir uns notfalls via Zwischenwirt an die Schleimhaut pfriemeln, vom Schimmel verpilzt, nur nicht der, den wir und in den Tank träufeln. Man muss ja Prioritäten setzen, notfalls mit der Jubeltute am Empfänger, die da verkündet: Lebensmittelskandal, nur heute neu.

Das Land, wo jeder, der dreimal sitzen bleibt, auf einem Ministersessel festgelötet wird, es gebiert neue Buhmänner, und einer von ihnen scheint der Gesetzeshüter zu sein. Denn folgend der absurden Logik mancher Proteinproduzenten sind es die Ordnungshüter, auf deren Kappe der laxe Umgang mit Recht und Verordnung geht – nicht der Täter, der unterbezahlte Wachmann ist schuld, wo die drittklassige Plempe ins Volk sickert. Nicht der Bauer, nicht die Agrarschlöcher sind die Schufte, das Vergehen geschieht an der Kühltheke, wo die mit Milchresten verunreinigte Gummikotze je nach Packungsaufdruck als Mozzarella oder Filetsteak in den Volkskörper gedrückt wird. Die Landwirtschaft ist unschuldig wie Turbolilien auf dem Glaswollefeld, basta. Und die Erde ist eine Scheibe.

Wohlfeil wird das Gesabber der moralinsauren Marketingmarionetten: der Verbraucher ist der böse, bäh – gäbe das Schwein, das geizige, nur mehr aus für Rucola und Rüben, alles wäre töfte und nichtsniemandnirgendsnie grübe heimlich tote Chemikalien in die Äcker ein zur klandestinen Förderung des Wachstums, woraufhin die Überreste der Zuchtsau nachts im Kühlschrank apartes Leuchten in drei Trendfarben kultivierten. Wer aber kauft diese frugivore Fremdleistung aus freien Stücken? Wurde der Konsument vorab über die molekulargenetischen Festspiele in der Frikadelle in Kenntnis gesetzt? Und wenn dem so wäre, warum, wo es ja nur an den Wünschen des Käufers liegt, verstößt die Riege renitenter Realitätsverweigerer beharrlich gegen jede Form von Gesetz, wenn sie ihren Separatorenschmadder absichtlich als für den Verzehr durch höhere Primaten geeignetes Zeug in Verkehr bringt, inbrünstig betend, dass auch dieses Mal die Kontrolleure zu blöd für die Kontrolle sind? Bestellt der Esser aufgepumpten Vogelmüll und Gummigemüse per Postpaket? Hätte er denn, entsprechende Barschaft vorausgesetzt, überhaupt eine Chance, dem umverpackten Gammel zu entgehen? Nein und nein. Und nein.

Erstens wird der Konsument nicht gefragt, er kann sich auch nicht wehren – was ihm die Industrie zum Fraß vorwirft, ist vorab genormtes Formgekröse, Pflanzabfall und die Ergebnisse der Wiederverwertungstechnologie. Kein Kunde käme je auf die Idee, flehentlich nach Sondermüll zu weimern, weil ein Ei auf lange Sicht einen Cent billiger zu haben wäre. Schon gar nicht vermag der Endbenutzer von Milch und Mehl das Verfahren der Materialstreckung einzusehen und zu beurteilen, ob die ganze Grütze nicht doch gesundheitsschädlich sein könnte – die Entscheidung schließlich lässt sich der Nahrungsmittelmulti nicht aus der Hand nehmen, er schiebt nur de Verantwortung zu gerne auf das arme Schwein ab.

Weil es zweitens sich nicht wehren kann, wenn Preisdiktat und die süffisant „Lohn“ genannten Brosamen der Feudalisten die Nachfrage vorgeben, zu der die kapitalistischen Zuchtbetriebe ein passendes Angebot liefern, bestehend aus Menschenliebe und naturidentischen Aromastoffen. So verschwiemeln sich Anspruch und Wirklichkeit, eins in des anderen Gegenteil verkehrt. Der Esser ist meist Aufnahmeorgan für die Hinterlassenschaft der Banken, die zu billigerer Produktion raten, zu dubiosen Surrogatprozessen, billigem Gepansche und elendem Etikettenschwindel, der seine lauthals verbreitete Rechtfertigung ungefragt auskotzt: wer Eier zum billigsten Discounterpreis fordert, nimmt die Pauperisierung ganzer Landstriche billigend in Kauf und hat hinfort zu schweigen.

Drittens jedoch kommen die Besserverdiener, die sich tatsächlich Bioeier leisten können, Fleisch vom Bioschwein, ökologisches Getreide und ganzheitlich gemahlenes Getreide aus Vollkeim mit Einzelkornzertifikat – dumm nur, dass diese Kunden genau die Zielgruppe sind, die genug auf dem Markt lässt, eigens rechtssicher gewachsenes Fleisch kaut und doch von kognitiv naturbelassenen Hökern über Ohr gehauen wird, wo sie sich doch korrekt verhalten. Nicht am Ende stinkt der Dreck, sondern bereits am Eintritt in die Verwertung, und er riecht nach Lüge und Beschiss, je mehr, desto emsiger die Abfallindustrie uns den Kram aufs Brot schmiert.

Es gab frühere Jahrhunderte, in denen man Milchfälscher und Sägemehlbäcker mit größter Sorgfalt aufs Rad geflochten, gevierteilt, geköpft und in der Sickergrube entsorgt hat. Nicht alles in dieser Zeit war schlecht.





Gernulf Olzheimer kommentiert (CLXXXV): Die Light-Lüge

22 02 2013
Gernulf Olzheimer

Gernulf Olzheimer

Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.

Es begab sich zu der Zeit, als Hirnversalzung und Kopfaua Einzug gehalten hatten mit Tatütata und Tschingderassabumm, da plärrten Generationen kognitiver Dünndruckprodukte nach Artefakten und Nachbauzeugs, echtem Tinnef aus Neugablonz, Ufftata auf Synthesizer-Art und Leckerchen aus Proteinabfällen, passend zum aufkeimenden Körperkult der Individualistenepoche, wo das Menschliche sich zu verflüchtigen schien als Erdenrest, den es selbst hinweg trug. Das Grundübel des Hominidengeschlechts, die an den Zähnen schmerzende Dusseligkeit des durchschnittlichen Dumpfschlumpfs, sie sitzt festgenietet im Oberstübchen und wartet auf schönes Wetter zwischen den Ohren. Der Mensch will nicht tun und schaffen, nicht sich strebend bemühen, sondern haben, raffen, einsacken. Am liebsten äße er das Schnitzel zweimal, was konsequenterweise zur Bulimie führte. Oder aber gleich zur Light-Lüge.

Genuss ohne Reue verspricht jeder Pomps aus der Tube, der Bekloppte kann sein Schnitzel tatsächlich zweimal essen, ohne an die Konsequenz denken zu müssen – eine Vorstellung wie der Himmel auf Erden, für jede noch so infantile Befriedigung der Gier die Instant-Absolution gleich mitzukaufen. Doch genau genommen ist dieser Himmel die perfekte Hölle, die Aufforderung an den vielseitig ungebildeten Teilzeitmaterialisten, sich der unreflektierten Vollverstopfung hinzugeben und den eigentlichen Konsumgrund, den Genuss, zur Maßlosigkeit zu steigern. Exzessives Fressen erst, das dann ohne Moral bleibt, scheint das Motto der fetten Jahre zu sein, die paradoxerweise nur die jugendliche Schlankheit, das übersteigerte Ideal der Proportionen zum Maß aller Dinge erhebt. Der Beknackte will sich ein halbes Schwein auf Toast hinters Zäpfchen schwiemeln, aber nicht zunehmen. Er muss die grundlegenden Dinge erst gründlich denaturieren, dann fühlt er sich frei. Fettfrei, zuckerfrei, frei von zu viel Ballaststoffen.

Und schon kleistert sich das Kompetenzimitat mit der hippen Klapperfigur anlässlich der Kalorienfestspiele Leichtzeugs aufs Dünnbrot. Was wäre eine Wahnidee, hätte der Gesetzgeber, die steuerfinanzierte Trottelhalde, nicht haargenau beschlossen und bestimmt, welcher Hirnschaden noch als gesunder Menschenverstand zu gelten hat. Hat ein Lebensmittel bis zu 60 Prozent Brennwert der normalen Variante, so darf es sich als leicht, neusprech: light feiern lassen. Damit sind der Denkerleichterung keine Grenzen mehr gesetzt, das Gehirngestrüpp der Torfköppe darf ungehindert ins Kraut schießen. Verfügt ein Fruchtsaft dank massivem Einsatz von Ersatzstoffen über 40 Prozent weniger Kilokalorien als die unverpanschte Plempe, darf reißerisch vom Etikett jodeln, dass das Zeug für reduzierte Existenzen gefertigt wurde. So cholesterinarm, fettbefreit, geschmacksentschlackt das alles aber rinnt und rieselt, so nano wäre der Aufwand, statt des zusammengeharkten Gesöffs gleich Mineralwasser oder Tee zu trinken, aus diesem und jenem eine Schorle zu hämmern oder aber – und das verlangte mehr als Tatkraft – schlicht die Menge des Getränks durch gezielte Dosierung an den gesundheitlich unbedenklichen Bedarf anzupassen. Aber wer genösse schon ohne Reue, müsste er sich ernsthaft mit Konsum und Konsumiertem auseinandersetzen.

So merkt der Hohlrabi auch nicht, wie er von der Industrie gnadenlos verschaukelt wird. Natürliche Fette und Zucker, sinnvoll von der Evolution in abbaubare Eiweißstrukturen montiert, dienen zunächst der Arterhaltung, dann dem individuellen Glück, und zwar jenem des Lieferanten. Die Beere ist nicht für den psychisch gestörten Tortenlutscher süß, das Schwein wird nicht für den Schinken drall. Was diese Stoffe aber zu interessanten Ingredienzien werden lässt, ist auch der Grund, warum je ein Hominide sich Marmelade auf die Stulle kleckern ließ oder die Sau auf den Bratspieß steckte. Sie transportieren Geschmack und Konsistenz, Farbe und biologisches Gleichgewicht, bis man sie aus dem Plastepack mit der Axt vertrieb. Und ergo werden die Konfitüren koloriert, Gurken geschönt und gesüßt und der Hinterschinken haltbar gemacht mit dem Zeug, das sonst die Schimmelbildung am Boden verhindern sollte. Die erste Schmierwurst aus Stretch mit Lycra lässt sich nicht mehr verhindern, und es gilt als sicher, dass der Schmadder nachts im Kühlschrank brummt. Wir wollten es so.

Und wir werden es so kriegen, inklusive der verhassten Konsequenzen. Reue ohne Genuss wird auf dem Fuße folgen, der Tumor der späten Jahre wird sich des milden Irrsinns nicht mehr entsinnen, da wir quasi physislos zu essen gedachten, ganz erstaunt, dass unten immer noch etwas rauskommt. Dafür dreht die Veralberungsindustrie völlig frei und schmeißt Light-Wasser auf den ahnungslosen Konsumenten. Was schweres Wasser anrichtet: geschenkt, was aber wäre leichter als Wasser? Vermutlich Helium. Und wer trinkt das schon.





Gernulf Olzheimer kommentiert (CLXVI): Bio

21 09 2012
Gernulf Olzheimer

Gernulf Olzheimer

Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.

Das waren noch Zeiten, als der Hominide die Früchte des Feldes dankbar und guten Gewissens verzehren konnte. Der Baum der Erkenntnis war tabu, doch der Rest ließ sich je nach Reife und Aggregatzustand als Kalorienzufuhr verwenden. Jeder aß dasselbe, so er nicht durch Glück oder Tüchtigkeit Pilze fand, die satt machten (oder lustig, aber jedenfalls nicht tot) und knuspriges Getier, das für die Flucht anatomisch nicht gerüstet war. Mit der Erfindung des Handels in der arbeitsteiligen Gesellschaft, deren eine ernteten und jagten, während die anderen buken und brutzelten, trennte sich die Einheit. Korn blieb erschwinglich für die meisten, doch da sich andere süße Früchte leisten konnten, musste ein Statussymbol her. Es ward Abend, es ward Morgen, und es ward Bio.

Die Heckenpennerhorde, die weiland in der Biostunde Malstifte in den Frontallappen gestopft hat, sondert heute Bücher über genetische Marker zweitausend Jahre alter Völker ab oder rülpst ihre Kindervorstellungen über Synapsenverdellung durch das böse Internet in jede Kamera, die nicht rechtzeitig in Flammen aufgeht. Weil sie vom naturwissenschaftlichen Einmaleins so viel Ahnung hat wie eine Braunalge von Schnadahüpfel und munter Kinderglaube und Esoterik verquirlen. Urgrund des Bio-Wahns ist der hirnverdübelte Unsinn, man könne den Kuchen fressen und dabei doch aufbewahren, vulgo: den Kapitalismus bis in die Schlusszuckungen mitturnen, aber gleichzeitig gesund wie die Ahnen, pesti-, fungi-, herbizidfrei die Möhre mümmeln, aus eherner Scholle tapfer ins Maul. Schon die Ausgangsposition ist Mumpitz dritter Kategorie, denn gäbe es nicht Turbofarm und Fleisch-KZ, um den als Wohlstand deklarierten Müll in den Kommerzkreislauf zu klatschen, keine Kartoffel bedürfte einer zusätzlichen Taufe zum naturbelassenen Produkt – als diese suizidale Form der Nährstoffakkumulation noch nicht das Gesicht dieses Planeten verpickelte, gab es überhaupt nur naturbelassenes Gemüse, naturbelassenes Obst und naturbelassenes Getreide. Eine Perversion der sachzwangreduzierten Ehrlichkeit allemal, dass dies bis in die DNS aufgebohrte Nachzuchtmassaker als konventionelle Landwirtschaft gilt. Die Parallele ist dem konventionellen Krieg geschuldet, der zwar auch die ganze Menschheit ausrottet, aber nicht so hip ist wie die Nummer mit dem Atompilz.

Es ist ja nichts als physiologischer Aberglaube, dass bei Vollmond im Beisein einer Bezugsperson geerntete Pflaumen ein besseres Karma machen als die Discounterversion der Steinfrucht. Die Mitochondrien interessiert es nicht, woher die Proteine kommen, sie verarbeiten Frischmilch wie Fettklops. Alles andere ist Animismus im Gewand postmoderner Verdummung, weil der ideologisch gefestigte Hohlrabi, Kind des Effizienzwahns, auf mehr besteht, mehr Vitamine, mehr Eiweiße, mehr Bla vom Blubb. Eine normale Ernährung, so sie nicht nur Pommes und gedünstete Wellpappe beinhaltet, bietet ohnedies ein Überangebot aus Vitaminen, Mineral- und Ballaststoffen, die zum größten Teil unbehelligt in die Kanalisation rauschen – wozu also der zwanghafte Wunsch nach mehr von allem? Wenn nicht die kapitalistische Psychose nach unbegrenzbarem Wachstum der Schlüssel ist, was ist er dann?

Dass diese Vorstellung von Biologie mit dem tatsächlichen Leben nichts zu tun hat, wirft ein trübes Licht auf die Dumpfdüsen des Ökoterrors. Die Rübe an sich unterliegt einer arteigenen Schwankungsbreite der Qualität, die so groß ist, dass sie mit biologisch-dynamischen Sanktionen nicht einmal näherungsweise beeinflusst werden könnte. Das Gepopel im Gewächshaus ist, wenn überhaupt, Kosmetik an den Nachkommastellen, ein heroischer Kampf um ein paar Promille mehr Traubenzucker – falls nicht das Wetter andere Vorstellungen hat oder auf dem Transport sämtliche Nährstoffe hops gehen. Die grassierende Vorstellung, was biologische Prozesse sind, leisten und zeitigen, ist mechanistisch und kommt ohne Sachkenntnisse aus. Denn was erwartet man von den Bescheuerten, die nach Wirksamkeit fressen, nicht ohne Brot und Wasser mit Multifunktionalität auszustatten.

Bio ist nichts mehr als das Distinktionsetikett einer bornierten Schicht mediokrer Waschlappen, die den Proletariern gegenüber elitär auftreten, während sie der Elite als Proleten erscheinen. Ihr Häppchen Stolz ziehen sie aus dem Aufpappschild, als kämen nicht beide Hühner, mit und ohne Heiligenschein, aus demselben Gockelgulag, wie auch Designerhose und Billigbuxe aus demselben Kinderarbeitsknast stammen, jeder weiß es, aber der kultivierte Konsument rümpft elegant die Nase und erklärt es zur bedauerlichen Notwendigkeit der Globalisierung. Dass der ganze Schmadder, der aus dem industriellen Gleichschaltungsprozess quillt, auch nur im Entferntesten etwas mit den hehren Zielen von Umweltschutz und Gesundheit zu tun hätte, ist folkloristischer Plüsch aus dem Kabinett der Gegenaufklärung. Es ist nicht viel mehr als moderner Ablasshandel, dessen Kassenzettel in quasireligiöser Verzückung als Persilschein der ethischen Unfehlbarkeit herumgereicht wird – wie jede andere Form aggressiv vorgelebter Demut ist auch dies nichts anderes als Dünkel aus Dummheit. Wie viele Liter Sprit hätte der ökologisch korrekte Bescheuerte im SUV verheizen können, wäre ihm das 100%-Hoffart-Siegel auf seinem Kartoffelsack nicht reißpiepenegal gewesen. Sie nehmen es nicht einmal ernst, dass sie sich gegenseitig von den Segnungen der Zivilisation – Klimakatastrophe, Ozonloch, Hungerkatastrophen und ähnlicher Zores – Absolution erteilen wollen, denn sie fallen auf die Mutter der plumpen Marketinglügen herein, kaufen aus ökologisch motivierter Blauäugigkeit Spargel aus den Anden und müssen sich Flugananas aus Feuerland hinters Zäpfchen schwiemeln, mit letzter Kraft verdrängend, dass der Beknackte für jedes Kilo rund um den Erdball rödelndes Gemüse ein Jahrhundert lang auf der Pinkeltaste knien müsste. Dass jeder Affe sei eigenes Bapperl auf die Banane batschen kann, macht die Sache natürlich gleich viel glaubwürdiger.

Sie werden ihren Biomüll kauen, bis er ihnen zu den Ohren rauspladdert. Sie werden kalt gepresstes Öl schlucken, in dem karzinogene Lösungsmittel jodeln. Tuberkeln und Listerien werden ihre Brut unter die Scholle pflügen, weil sie ihre Milch nicht wie jeder andere Querkämmer auch im Supermarkt kaufen wollen. Mit etwas Glück überlebt der Nachwuchs, bleibt aber doof. Was will man mehr. Denn irgendjemand muss ja schließlich den ganzen Bioquatsch weiter kaufen.





Gernulf Olzheimer kommentiert (CXXXVI): Diätwahn

27 01 2012
Gernulf Olzheimer

Gernulf Olzheimer

Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.

Nggr hockt in ihrer Eigentumshöhle und tut, was sie im Glanz der lodernden Scheite stets zu tun pflegt: sie polstert ihre Rundungen mit Mammut vom Spieß. Wo das Grillgut rein und die akustische Untermalung der Nahrungsaufnahme rauskommt, ist vorne – mehr muss man von ihr nicht wissen, denn sie lebt in einer Epoche, in der das ästhetische Empfinden noch ohne sozialen Zwang auskommt. Die realistische Malerei ist noch nicht erfunden, Fotografie und Unterschichtenfernsehen noch in weiter Ferne, und keine Modeindustrie quarrt in nöliger Hochglanztristesse dem Konsumvolk das Diktat der Anorexie in die blutenden Ohren. Die Hominiden sind verhältnismäßig glücklich in ihrer Haut. Sie leiden noch nicht unter dem Diätwahn.

Jede zweite Frau sieht ihr Alter Ego als Moppel-Ich, und das ohne Korrelation zur tatsächlichen Physis. Die Dysmorphophobie vor dem Spiegel wird von jeder Weiberpostille getriggert, von jedem Laufstegzirkus, von jeder Castingshow für plappernde Kleiderständer, die einzig das Ziel verfolgen, aus dem weiblichen Personal der Industrienationen pawlowsche Pinscher zu züchten, denen man den BMI als Stigma in die Synapsen dreschen kann. Heerscharen verzweifelter Hobby-Fetischistinnen reduzieren die Nahrungszufuhr auf das bisschen feuchte Watte, das ausreicht, um auf Niedrighirnniveau zu vegetieren.

Sie trinken Tee aus alten Socken und saugen an nacktem Salat. Sie verzichten auf Milchprodukte, Kohlehydrate, Zucker, Fett, Salz, Fleisch, Eier, rote Beeren, grüne Beeren, sämtliche Beeren, und klappen schließlich als Wassersuppenkasper in der Ecke zusammen. Ihre Stoffwechsel läuft nicht zuletzt auf Endorphinbasis, wie auch Masochisten ihre Befriedigung darin finden, sie sich zu versagen. Die zwanghafte Verweigerung führt an kein Ziel, denn zwei Pfund weniger sind danach auch wieder nur drei Pfund zu viel – abgesehen vom Jo-Jo-Effekt, der sie unvermeidbar um ihren Fortschritt prellt. Sie empfinden ein paar Gramm Wasserzulage als Niederlage, gleichwohl es ein natürliches Phänomen ist und jedem anderen Abspeckspacken so passiert. Doch was ist schon Logik.

Längst hat sich die Diät zur eigenständigen Popkultur ausgeweitet. Schwören die einen auf die totale Kohlsuppe, beten die anderen zur Trennkost, während eine hippe Schicht durchgeratterter Rüben das ausgelutschte Abendfasten zum modischen Dinner-Cancelling hochstilisiert und fortan mit grunzendem Gedärm in der Bettstatt deliriert. Das einzig legitime Ziel ist die Minimalisierung der zugeführten Nahrung. Vermutlich sind es reine Wahnvorstellungen, die hypoglykämische Lifestylebratzen im Entwöhnungskasper zu den dämlichsten Ideen treiben. Steinzeit-Diät? ideal geeignet für die prädiluviale Spezies, wie sie als Neurochirurgen und Taxifahrer auftritt. Kreta-Diät? logisch, vor allem in Bad Salzuflen sind Olivenöl aus dem Supermarkt und schockgefrostete Calamari die gesündesten Lebensmittel in Reichweite. Glyx-Diät? sich Mehl hinters Zäpfchen zu schwiemeln hat noch bei keinem Säuger die Bauchspeicheldrüse in Rotation versetzt. Die meisten messianischen Erfolgsrezepte sind naturwissenschaftlich so haltbar wie Absingen peruanischer Fruchtbarkeitslieder bei gruppendynamischem Gehüpfe in konzentrischen Kornkreisen, wie Homöopathie oder Geistheilung. Sie werden von physiologischen Laien bei einer guten Flasche Bio-Rotwein aus den Fingern gelutscht und verpesten generationskohortenweise gutgläubige Matschbirnen, Low Fat, Low Carb, Low Mind.

Denn sie wollen alle nur eins, den schnellen Erfolg. Keine der Schwabbelbacken würde sich auf drei Mahlzeiten statt vier Tüten Chips beschränken, freiwillig Treppen steigen und dem Alkohol entsagen, wenn die Werbung doch zehn Pfund in zehn Tagen verspricht. Keine Fresszelle besäße genug Einsicht, Fett und Zucker als natürliche Geschmacksträger und Konservierungsmittel zu begreifen, während sie sich chemisch modifizierten Produktionsmüll in die Schleimhäute löffelt, ein wirres Gemisch, das bei Gegenwind leuchtet und das Immunsystem abschmirgelt. Sie wollen nicht schlank sein, sie wollen nicht ihr Gewicht halten, sie wollen möglichst schnell möglochst viel von sich selbst loswerden. Ihr Gehabe ist infantil, denn der Wunsch ist bis zu einem gewissen Grad erfüllbar, wird nach einmal gestilltem Verlangen allerdings nicht einmal ansatzweise zur seelischen Stabilität führen. Jene kapitalistisch anmutende Gier nach dem allenfalls asymptotisch erreichbaren Ziel jenseits des Rationalen macht den Bekloppten zu einer Marionette der Selbstzerstörung, die dem Inbegriff vergänglicher Schönheit nach dem billig manipulierten Abziehbild einer Schönheitsindustrie folgt, dümmlich nachtrottend am Nasenring der Zivilisation. Es mutiert inzwischen zum elitären Habitus, sich den Finger in den Hals zu stecken, während die Mittelschicht in die Adipositas gleitet. Wir werden es verschmerzen. Was sich da zum Strich in der Landschaft kotzt, lässt sich hernach leichter entsorgen. Es wird vom Winde verweht.