Gernulf Olzheimer kommentiert (DXX): Fleischverzehr

26 06 2020
Gernulf Olzheimer

Gernulf Olzheimer

Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.

Als der Hominide selbst noch in artgerechter Bodenhaltung durch die Urwälder krauchte, sich von mobilen Eiweißquellen mühsam zu ernähren versuchte oder alles lutschte, was zwischen Baum und Borke zu finden war, da hatte er noch eine lange Reise vor sich, einerseits, was den Intellekt betraf, andererseits in Bezug auf seine körperlichen Fähigkeiten. Die Nahrung war so rar wie degoutant – der Begriff Schmetterlingssteak hatte eine vollkommen andere Bedeutung. Zudem nahm der Urmensch seine Mahlzeiten to go zu sich, es sei denn, er konnte das schmackhafte Fluchttier von der Notwendigkeit des Verweilens überzeugen, in manchen Fällen auch davon abhalten, seinen Jäger als Zwischenmahlzeit zu betrachten. Dazu brauchte es Geschick und Geschwindigkeit, für die dagegen Proteine förderlich waren; diese wiederum ergaben Schläue und Schmackes. Mehr oder weniger tote Tiere zu essen schien den Chefprimaten nachhaltig zu stärken. Es hätte so weitergehen können.

Doch irgendwann war’s der Jäger und Sammler wohl leid, von der Hand in den vorgewölbten Mund zu leben. Und wie er dem Keimen und Blühen der Gräser so zusah, die ersten Paarhufer zähmte und deren Milch als Sättigungsbeilage entdeckte, wuchs in ihm der Gedanke, statt Blätterdach und Höhle so etwas wie eine Behausung zu benutzen, wie ihm das ständige Umherziehen in fremder Umgebung zu ersparen wusste; nur manchmal noch blubbert der archaische Reflex wieder auf, wenn der moderne Honk auf der Bundesautobahn im Stau steckt und in einer gewaltigen Übersprungshandlung seinen Zorn gegen den Himmel brüllt. Auch wenn es noch keine Städte gab, der Sapiens konnte den Klimawandel vernünftig kompensieren. Er erfand das Brot, und er erfand das Bier. Alles war gut. Vorerst.

Es hätte auch dauerhaft so bleiben können, wäre nicht tierisches Eiweiß, das für Jahrtausende ein Luxusprodukt überwiegend für den aristokratischen Geltungskonsum bleiben sollte, irgendwann in die Mühle des Kapitalismus geraten. Dem Bauern hatte man noch jeden Sonntag sein Huhn im Topf als Anzeichen wachsenden Wohlstandes versprochen, wohl wissend, dass man ihn damit regelmäßig zur Vernichtung seiner eigenen Produktionsmittel trieb. Mit dem Ausbrechen der Industrialisierung, die vor Tier und Mensch nicht halt machte, wurde beide das, was sie bis heute sind: Ware.

Die betriebswirtschaftliche Optimierung ist nicht einfach, wenn das Benutzgetier alsbald ganz nach Kundenwunsch seziert wird. Das Versprechen vom Aufstieg durch herrschaftlichen Fleischverzehr ist dem kapitalistischen Kleinknecht heiß zu Kopfe gestiegen; er dünkt sich distinguiert, wenn er vom Opfer nur noch Filet frisst, vom Hühnchen nur noch die geschmacksfrei gezüchtete Brust auspopelt und den Rest in die Verwertung rülpst. Der Diener am DAX kennt kein Schwein mehr, er kennt nur noch Gehacktes, und selbst das nur noch in aseptischer Verpackung, die just an der Blutrinne gestopft wird.

Wie den eigenen Tod verklappt die schöne neue Gesellschaft der Zweckmäßigkeit das Zermetzeln eigens dafür erzeugter Tiere in die Effizienzzonen der Wirtschaft: ein Stück Vieh auf seinen Nutzwert als Wurst und Braten dimmt die Emotion und führt sie auf die Notwendigkeit zurück, die uns allen längst in Fleisch und Blut übergegangen ist. Weder Angst und Dreck noch der Verbrauch an Sklaven, die Schnitzeltiere über die Klinge springen lassen, rechnet der Gewohnheitsgriller ein. Als wüchse das Kotelett am Baum, so pfeift sich der Hohlrabi den Zellhaufen rein, der ihm dröges Gemüsekauen erspart. Die Evolution, sie frisst ihre Kinder.

Dass es auch mit weniger geht, fleischarm, gar fleischlos bis frugivor, bringt blind an der Keule nagende Fortschrittsglaubende in rohe Wut. Der Veganer nämlich, heult’s am Schwenkrost, muss ja diese und jene Stoffe zuführen! Der ist nicht, was er isst! Als sei der Hormoncocktail, der die Rippchen geschmeidig macht, pure Natur, vom lieben Gott persönlich der Sau injiziert, die sich nichts anderes gewünscht hat als die kurze Inkarnation im Liegen, damit der Speck ihr behende am Arsche schwillt. Ach, wie glücklich, wer sich Krebs und Gicht in die sterbliche Hülle schwiemelt, weil er ja vor seinem äußerst durchschnittlichen Ableben noch jede Menge Sondermüll in den Wohlstandsbauch ballert.

Wohlan, machet die Leberwurst teurer, dass die viel beschworene gesellschaftliche Mitte greint und die ärmeren Schichten freiwillig Kraut und Rüben in den Topf tun! Dumm nur, dass es nichts nützen wird, denn der Widerwart an Zuständen, der jetzt die Fleischindustrie beherrscht, er wird sich nicht an höheren Preisen brechen, wie auch eine billige Nietenhose aus billigem Stoff nur ein paar Meter entfernt im selben Textilgulag gefertigt wird wie die Designerjeans, die sich nur durch ein Label mit klingendem Namen von den Proletenplünnen unterscheiden lässt. Wir verdrängen tapfer den Zusammenhang zwischen Leid und Leberkäse, Gulasch und Grauen. Der Mensch entfremdet sich nicht nur vom Werk des industriell betriebenen Schlachtens, er entwertet mit dem Akt an sich auch das Erzeugnis. Er ist, was er isst: Wurst. Was da reinkommt, weiß er besser nicht.





Wenn der Nachbar zweimal klingelt

1 10 2019

„Zwei Kilogramm!“ Anne hievte die Kiste mit den Aktenordnern in den Kofferraum und schloss die Klappe mit geräuschvoller Entschlossenheit. „Zwar innerhalb eines Monats, aber zwei Kilogramm sind und bleiben zwei Kilogramm.“ „Für den Anfang ist das doch schon ganz erfreulich“, versuchte ich es, aber mir war kein Glück beschieden. „Nicht das, was Du denkst.“ Sie riss ungehalten die Fahrertür auf. „Ich habe schon wieder zugenommen!“

Luzie hatte mich schon vor einigen Wochen am Telefon vorgewarnt und genaue Instruktionen für den Besuch in der Kanzlei ausgegeben: an Tagen, an denen die Chefin schlecht gelaunt war, also eigentlich immer, besser nicht zu früh oder zu spät kommen oder gehen, nicht zu kurz oder zu lang bleiben, nichts Falsches sagen oder tun und vor allem in ihrer Gegenwart nicht vom Essen sprechen oder auch nur daran denken. „Sie entwickelt gerade parapsychologische Kräfte“, hatte sie mir verraten. „Ich muss nur kurz überlegen, ob ich zu Hause noch genug Schokoladenkekse habe, schon kommt sie ins Vorzimmer gerauscht und schreit mich an.“ Ich hatte mir keinen Reim darauf machen können. „Wie lange soll das noch gehen?“ Luzies Antwort war wie aus der Pistole geschossen gekommen. „Ungefähr zehn Kilo.“

Dabei hatte es so gut angefangen. Nach mehreren Runden Ananas-, Rohkost- und Iss-was-Du-willst-aber-erwarte-keine-Erfolge-Diät bekam Anne beim Frisörbesuch eines dieser so gut wie immer unfehlbaren Magazine für die moderne Frau in die Hand, das nach zwei Ausgaben mit schlanker Kartoffelküche turnusgemäß hätte in die Iss-keine-Kartoffeln-Heilkost kippen sollen, aber sie mussten es sich wohl anders überlegt haben. „Trennkost“, verkündete sie, „ist jedenfalls out. Und ich will auch keine Punkte mehr zählen, deshalb habe ich mich jetzt fürs Intervallfasten entschieden.“ Sie zeigte mir den Zeitplan. „Vor zehn esse ich meist sowieso nichts. Also habe ich mich entschlossen, keine ganzen Fastentage einzulegen, sondern nur von zehn bis sechs nichts zu essen.“ Dabei räumte sie die Tasche aus und verstaute einige Flaschen im Altglas. „Aber irgendwie wird es nichts, und ich weiß wirklich nicht, was ich noch machen soll.“

Da läutete es an der Tür. „Wer kann denn das jetzt sein?“ „Es gibt eine todsichere Methode“, antwortete ich, „man geht einfach zur Tür und…“ Es war der Nachbar, nein: der neue Nachbar, ein älterer Herr, der sich offensichtlich noch nicht einmal vorgestellt hatte. Dem Gespräch entnahm ich, dass es um ein bis zwei Eier ging, wenigstens vordergründig. Anne war kurz angebunden. „Es gibt anscheinend niemanden, der jetzt zu Hause ist.“ Immerhin fand sie das Gewünschte im Kühlschrank und beendete die ganze Prozedur, um sich dann wieder der Küche zu widmen.

„Es gibt aber nur einen kleinen Salat.“ Dazu holte sie eine Flasche mit Zuckerlösung aus dem Kühlschrank. „Fruchtsaft“, widersprach Anne. „Das ist vollkommen egal“, beharrte ich, „sie schreiben es doch sogar auf die Flasche. Dann musst Du Dich nicht wundern, wenn die Pfunde mit Verstärkung zurückkommen.“ Grimmig stellte sie die Flasche auf den Tisch. „Schau auf die Uhr“, knurrte sie. „Ich habe keine Lust mehr, mir ständig das Essen vermiesen zu lassen. Heute Mittag war es nicht besser: Luzie schickt den Mandanten ins Zimmer und auf dem Schreibtisch steht noch ein halber Teller Pommes.“ „Ah, vegetarische Kost!“ Sie blickte mich an, als würde sie mich im nächsten Moment mit der Plastikgabel aufspießen.

„Du hast das Prinzip eben nicht verstanden“, ereiferte sie sich. „Es geht eben nicht um die Umstellung der Ernährung, sondern nur, wie soll ich sagen…“ „Pommes nur zur erlaubten Tageszeit, weil der Diätgott dann nicht zuguckt?“ Sie musste es verstanden haben, jedenfalls nahm sie es mir übel. „Wenn man zwei Drittel des Tages fastet, dann nimmt man proportional nicht mehr so viele Kalorien auf, und der Körper stellt sich automatisch in einen anderen Modus um, in dem er…“ So wie kam es aber nicht. Es läutete an der Tür.

Geistesgegenwärtig zog Anne die Schublade auf. „Es ist noch nicht sechs, und ich werde es Dir beweisen.“ Schon hatte sie eine Türe mit Gummibärchen ergriffen, da läutete es wieder, und ich mochte mich getäuscht haben, aber es wurde immer intensiver. „Vielleicht möchte er ja Butter und Salz, Zucker und Milch und Mehl?“ „Freundchen, wir sprechen uns noch“, zischte sie und ging in den Flur.

Sie hatte die ganze Küche durchwühlt, aber es war nichts zu machen gewesen. „Das kommt vor“, tröstete ich sie. „Du bist ja so selten zu Hause, da kann das schon mal passieren.“ „Ich weiß es doch“, schrie sie, „ich weiß es doch!“ Und schon griff sie zur Gummibärchentüte, während ich auf die Küchenuhr deutete. „Zehn nach sechs“, bemerkte ich. „Ich habe die Regeln ja nicht gemacht.“ Anne stierte mich entgeistert an. „Ich kann doch nicht…“ „Den Salat erlaube ich Dir“, antwortete ich. „Aber jetzt noch Gummibärchen? Was würde Luzie nur dazu sagen?“

Sie hatte mich tatsächlich aus der Wohnung geschmissen. Aber das sollte nun ein geringes Problem sein, genau wie das Backpulver in meiner Jackentasche. Bei nächster Gelegenheit würde ich es wieder im Küchenschrank verstauen. Ich würde nur noch ein bisschen abwarten. Ungefähr zehn Kilo.





Gernulf Olzheimer kommentiert (CDLVIII): Sterneküche

5 04 2019
Gernulf Olzheimer

Gernulf Olzheimer

Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.

Irgendwann einmal müssen dem Koch eines gut beleumundeten Lokals sämtliche Vorräte zur Neige gegangen sein. Oder er hatte sich vorgenommen, die Hülsenfrucht an sich derart zu transzendieren, dass das Ergebnis seines Geschmors eine bis dato nicht vorgekommene aromatische Nuanciertheit ans Zäpfchen zaubert, die ihn weltberühmt macht. Oder er hatte sich zu oft die hängenden Bratpfannen an die Birne gekloppt und delirierte am Herd frei vor sich hin, Erbsen zählend, Erbsen kochend, bis am Ende eine einzige übrig blieb, die er mit etwas Beiwerk auf einem monströsem Teller dem Gast auftrug, der erstaunt feststellen musste, eine derartige Erbse bisher nie verzehrt zu haben. Da der Hominide zu drei Vierteln aus Ruhmsucht besteht, bewarb der Maître alsbald seine Erbse und gewann einen Preis dafür, den er stolzgeschwollen ins Fenster klebte. Die Sterneküche ward geboren.

Jene Form der Gastronomie hat sich komplett von ihren Wurzeln entfernt, aus essbaren Produkten eine mehr oder minder warme Mahlzeit zu erstellen und sie dem Gast zu kredenzen, der aus Hunger und Gaumenfreude ein- und wiederkehrt, um den Laden am Laufen zu halten. Hin und wieder verzeiht der zahlende Esser dem Koch wirr auf den Teller geschwiemelte Experimente, doch ist jenseits von Pfefferminzcurrywurst mit Sauerkraut meist schon die Suppe gelöffelt, denn was die geschmacksfreie Inszenierung von Einzelteilen mit verzweifeltem Aufwand hervorbringt, steht in keinem Verhältnis mehr zum Eigentlichen.

Und so schmurgelt der Chef aus einem Korb Modegrün – Algen, Bärlauch, japanischer Spinat – einen Topf voll Pampe, die nachlässig unter zwei Gemüsescheibchen getupft oder mit dem Löffel aufs Porzellan gekleistert die besondere Note des siebten Gangs ausmachen soll. Passt nicht zum halb rohen Fisch, also muss es sich um einen gekonnten Kontrast handeln, taucht aber zu Bauschaum verstärkt als orthogonaler Festkörper neben einer gekleckerten Sauerampfer-Senfsaat-Emulsion auf dem Kolibrispiegelei wieder auf. Der Wareneinsatz beträgt eins zu eins – eine Tonne Grünzeug, ein Löffel Püree – und besonderen Wert legt das Haus auf exklusive Zutaten. Während andere noch ihre regionalen Wurzeln betonen, sucht der Hochgastronom seine in gelblichem Dunkellila schimmernden Babykarotten ausschließlich in einem Biobetrieb rechts neben dem Regenwald, da hier die Nussaromen im Rohzustand noch eine kleine Idee mehr Bitterstoffe zu haben scheinen als in der mauretanischen Möhre, die nur noch die Konkurrenz verkocht. Hier hebelt eine Fachkraft in Dinkelplätzchenpanade frittierte Hühnerfüße auf drehsymmetrische Lotoswurzelquerschnitte, die zuvor eine Nacht lang in einer Ziegenkäse-Fenchel-Marinade geruht haben, bevor die Küchenhilfe sie mit Andenfelsquellwasser durchspült und auf einem Lamapullover trocken tupft. Kenner können in drei von fünf Fällen sofort erkennen, ob es sich um die begehrten Pflanzenteile der Silberbaumartigen oder um lappigen Discountertoast handelt, wenn auch nicht am Geschmack.

Ursprünglich waren die Sterne erfunden worden, um Automobilisten, die durch die Gegend dieselten, standesgemäß zu verköstigen. War doch das Kraftfahrzeug eher eine Angelegenheit der obersten Zehntausend, die natürlich nicht mit jedem Dorfgasthof zufrieden sein durften, um nicht ihren Ruf als Kilometerfresser zu beschädigen – ein Stern bedeutete passable Speise am Wegesrand, für zwei durfte ein Umweg einkalkuliert werden. Drei Sterne jedoch, und es handelte sich tatsächlich um ein kostspieliges Vergnügen, waren der Anlass zu einer eigenen Fahrt über Land. Bis heute hat sich wenig geändert an diesem Bezug. Die Extremküche ist gestartet als Rennen, in dem die Bestplatzierten einen Pokal abkriegten, den sie ins Fenster stellen konnten, um ihre Dominanz in einem halbwegs tauglichen Wettbewerb zu demonstrieren, hat sich inzwischen aber zur komplett abgehobenen Show gewandelt, in der ein paar elitäre Selbstdarsteller ihre fahrphysikalisch sinnfreien Tuningexzesse zelebrieren, eine Leistungsschau von Frontschürzen und Heckspoilern, die der eine oder andere mit Fuchsschwanz an der Antenne ausgestattete Zaungast noch ehrfürchtig für bare Münze nimmt. Was als notwendig deklariert wird, die im tiefsten Winter aus Neuseeland eingeflogene Waldbeere mit Ananasgeschmack, die zu zentimetergroßen Rauten geschnitzt mit der Pinzette auf den Tellerrand gehebelt dem Serviergut allenfalls den optischen Touch von Einzigartigkeit verleiht, weil alle es tun, steht in einigermaßen krassem Missverhältnis zur betriebswirtschaftlich vernünftigen Tätigkeit. Die Köche könnten ihren Schmodder auch gemütlich in Kunstharz gießen und in die Galerie hängen, das Ergebnis ist dasselbe: der Esser findet in diesem Schauprozess nicht mehr statt.

Schon wenden sich die ersten Köche ab vom Getöse, schalten einen Gang herunter und geben alle ihre Auszeichnungen zurück, um sich auf eine vernachlässigte Fertigkeit zu stürzen: auf das Kochen. Allein das geht nicht, denn das Totholz hat die Auszeichnungen nun einmal veröffentlicht und nimmt sie nicht wieder mit. Das Urteil der Jury kümmert sich weder um Koch noch Kellner und um den Gast schon gleich gar nicht. Wer den Preis verleiht, ist der eigentliche Star, was auf dem Tisch passiert, allenfalls schmückendes Beiwerk einer Marketingaktion. Wie hätte man darauf nur kommen können.





Gernulf Olzheimer kommentiert (CDXLII): Superfood

30 11 2018
Gernulf Olzheimer

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Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.

Es hätten Leinsamen sein können, es hätte genau so gut Schokolade werden können. Aber der Typ aus dem Großhandel hatte halt noch einen Sack voller Zeugs ohne Geschmack im Keller, es fehlte nur noch ein hipper Name, damit man es nicht für Streumaterial hielt. Die Verpackung stimmte, der letzte Hype war gerade im Niedergang begriffen, die Marketingschergen liefen sich am Spielfeldrand des Wirtschaftskriegsschauplatzes warm. Die Chancen für grobe Esoterik waren ausgelotet, nichts stand einer überflüssigen Hysterie in globalem Maßstab im Weg. Unter den nachhaltig Intelligenzabstinenten begann der Siegeszug von Chia, dem Superfood überhaupt.

Wie gesagt, Leinsamen hätten es auch getan, haben aber nicht den Promifaktor, der auch in der Provinzkantine abgestandenen Milchprodukten in Krankenhausmengen diese gewisse Leckerness verleiht, die Zwieback und Weizenschrott so entschieden abgeht. Außerdem kann jenes Abfallprodukt aus der Nährmittelindustrie, gezogen mit Liebe und Mindestlohn kurz hinter Bad Gnirbtzschen, einfach nicht mit der Edelschlacke konkurrieren, die mondän und prestigeträchtig um den halben Rotationsellipsoiden gekarrt werden, um in der hinteren Ecke eines Discounters Schimmel anzusetzen. Damit könnte das Ding an sich in seiner kompletten Überflüssigkeit versuppen. Aber die auf höherem Niveau kognitiv verdünnte Auskenneria ist noch lange nicht fertig. Das Elend nimmt seinen Lauf.

Ähnlich wie gedungene Schwafelschlümpfe der Werbeindustrie Lightprodukte zum Patentrezept für den schnellen Beschiss aufgeblasen haben, ist die Essenz des Megafutters selten auf seinen Inhalt zu beziehen. Was der Schlankheitswahn als essbaren Bauschaum in den Markt schwiemelt, wäre ja mit vernünftigen Mitteln durchaus zu ersetzen, wenn nur der kalorienreduzierte Vollfettkäse abgesehen vom quantitativen Einsatz dem Magerquark wiche, die zucker- und geschmacksfreie Limonade dem sozial inzwischen abgehängten Früchtetee. Sie wollen Brot, also essen sie Kuchen.

Lustigerweise sind genau die aus repressionsfrei geklöppeltem Bohnenstroh herausgedroschenen Heckenpenner, die sich für regionalen Bergbau, antiautoritär im Beisein der Bezugsperson zu Tode gestreichelte Lämmchen und fairen Filterkaffee in Bürgerinitiativen engagieren, die Trägersubstanz für diese Schädelschädigung werden, und das auch noch aus freien Stücken. Das lutscht täglich an der Frühstücksavocado und wundert sich, warum fürs Wegklappen des Regenwaldes mehr Energie aufgebracht werden muss, als mit der Pinkeltaste gespart werden könnte. Wer seine Bedürfnisse der Ideologie unterordnet oder sie gar von ihr vorgeben lässt, der muss sich seine Hirnweichheit sekundär rationalisieren, aber auch dies ist ein Fest für die Imagekneter. Wer redet sich schon alleine die ganze Grütze bunt.

Das Zeug schwimmt schließlich mit in der unwissenschaftlichen Gesundbeterei rund um Detox, Entschlackung und Achtsamkeit – die in allerlei Publikumspostillen auf den Boulevard gespeichelten Anekdoten und Erfahrungsberichte entspringen meist gelangweilten Textern, die derlei als Stehsatz verkaufen, ohne sich die auf dem Transport wochenlang im Container verlabbernden Fruchtfasermatten hinters Zäpfchen zu schieben. Immerhin werden die Wunderpflanzen meist in Regionen geerntet, in denen noch der gute Onkel mit der Pestizidspritze übers Feld stakt, damit die bunten Früchte es überhaupt bis zum Frachter schaffen. Rotkohl hätte ähnliche Werte wie Açaí, aber wie bekommt man mit Flugkohlrabi die Besserfresser in den Gourmettempel?

Superfood ist eine neoliberale Heuchelei wie das Positivgeschwall manischer Selbstoptimierer, ostentative Lebensführung als Punkt in einem stromlinienförmigen Paralleluniversum. Wie in jeder esoterischen Schiefe driftet die Realität gen Nirwana, wenn nun der Ernährungsberater Beeren empfiehlt, deren enzymatisches Gezumpel laut neuester Absatzwirtschaft Krebs und Koma vermeiden soll. Denn ändert sich dadurch die Kalorienzufuhr, wird der Patient voluminös, kaut sich kariös und diabetisch, so ist er, zack! selbst schuld. Wäre es nur das Ziel, sich mit Vitaminen die Leber aufzupumpen und gäbe es auch keine Überdosierung mit drastischer Symptomatik, keiner müsste sich mit Granatäpfeln die Figur ausstopfen, wo es auch heimisches Obst täte. Immerhin schön, dass exotisches Obst dank hinreichend allergener Wirkungen farbenfrohe Schwellungen hinterlässt, wo andere noch eine Gesichtsattrappe hängen haben. Gewiss, es sollen auch Menschen beim Anblick der gemeinen Brennnessel in Tränen ausgebrochen sein, aber das wenigstens lag dann nicht am Preis oder an der Erkenntnis, sich gerade zum willigen Opfer einer ganzen Marktmaschinerie gemacht zu haben, die nur unser Bestes will, und das möglichst schnell und in großen Portionen. Hätten wir als Kinder brav Spinat gegessen, wir wären ihnen nicht auf den Leim gegangen.





Gernulf Olzheimer kommentiert (CCCLXXVII): Wunderernährung

30 06 2017
Gernulf Olzheimer

Gernulf Olzheimer

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Da hatte Rrt wieder einen seiner tollen Einfälle: die rotblauen Früchte des Hier-sag-mal-Dings-Baums im reifen Zustand reinpfeifen, um sich gegen Gelenkbeschwerden und degenerative Erscheinungen der Muskulatur zu wappnen. Zwei bis drei Hände voll empfahl er seinen Jägern, denen binnen kurzer Zeit die Augen aus den Höhle treten, die Schleimhäute jodelten dazu und der Kreislauf pegelte sich auf Null ein. Hätte man das Zeug nach dem Kochen gleichmäßig auf den Ellenbogen verteilt, die Wirkung hätte keinen gekümmert, der Zauber wäre von Generation zu Generation weitergereicht und als bald in den Rang einer Weisheit aufgerückt worden. Vielleicht hätte man damit die Homöopathie ein paar Jahrtausende früher entdeckt, ausprobiert und als bekloppt in die Tonne getreten, jedenfalls widmeten sich der Beere ganze Schulen von Naturheilkundlern, ohne Erfolg, aber das ist eine andere Geschichte. Der Brauch der rotblauen Frucht blieb, dass man erst würgte, dann geschah lange nichts, und dann musste man daran glauben. Es gedieh die Ergebenheit der wundersamen Ernährung, der quasireligiöse Wahn, sich glaubensfest zu ernähren.

Letztlich ist das Wunderfutter nichts als eine in die üblichen Marketingschubladen gepresste Idee, dass man auch aus minderwertigem Mist mit der passenden Verpackung Hochfeinkost schwiemeln kann, wo es dem Verbraucher nur an Hirnrinde mangelt. Mit Trallala wird der Kulturheidelbeere, Stammgast im Supermarkt, die Wunderwirkung der Antioxidantien nachgesagt, die Gedächtnisschwund und Krebs bekämpfen, so es ihnen gerade in den Kram passt. Dass die Wirkung unter abgezirkelten Laborbedingungen auftaucht und dann auch nur in einer minder signifikanten Zielgruppe, dass die Substanz auch im gemeinen Teebeutel vorkommt und dort in erhöhter Dosis, das aber lässt die Verkaufsabteilung magischer Produkte krachend unter den Tisch fallen. Die Zuhandenheit des Stoffs an sich ist die Sorge, ob man sich die Sache nun hinters Zäpfchen pfropft oder doch in die Blutbahn drückt, ist für den Dussel an der Ladentheke nicht so das Problem. Wer sich den Schmodder in den Drahtkorb hebeln kann, hat scheint’s eine Runde im Rattenrennen gewonnen.

Lustig, wie sich die Dinkelmuttis im braungrau gekachelten Szenebezirke ihre jutebesetzten Beutel mit dreimal um den Erdball geflogenen Gekrümel aufschaufeln, wo doch zusammengefegter Müll aus der Mühle ihrem Ökowahn die heiligen Scheine auf der Birne festgeschraubt hätten. Wer der ewigen Wahrheit dient, nur die dritte Welt – jene Zonen, denen der Scheißeuropäer im Kolonialwahn die letzten Körner geklaut hat – wäre bevölkert von edlen Wilden, die kapitalismusfrei die Samen der Vergangenheit dem Massa mit weißer Haut zur Verfügung stellen, der hat auch ein ungebrochenes Verhältnis zu Weihnachtsmann und FIFA. Sicher ist nur der Mangel an Sojamilch und toskanischen Nüssen daran schuld, dass in Afrika Infektionen nicht nach fünf Tagen Ayurveda verschwinden, immer vorausgesetzt, man ist nicht geimpft. Die Zurück-zu-den-Wurzel-Rassen, die Namen tanzen, wenn es nicht anders geht, die Abernazis, sie sind halt immer ein bisschen froh über kulturelle Aneignung, dass das Wissen der Neger nicht im Dustern verschwindet, wenn der Busch irgendwann verkokelt ist.

Das Denkmuster vegetiert unweit der magischen Realitätserzeugung, in denen die Eingeweide des Stiers mit Eigenschaften des brüllenden Boviden aufgeladen waren: kau die Samen des Grases, wo der Hirsch seinen Seich lässt, und alsbald wächst dem suggestiv befriedigten Hominiden das Geweih an einer beliebigen Stelle des Körpers, wahlweise durch Übernahme der Funktionen sublimiert oder in Größe übertragen. Ist der Baum hoch, schmeckt der Fruchtstand scheiße, so taugt der Krempel immer noch zum Abbau von Depressionen, Plattfuß und Hautschorf, denn wer würde sich nach einer Episode in der Neuropsychiatrie noch über die mehlige Konsistenz des Stielmatschs beschweren. Wie inverse Nahrungstabus, so lädt der Volksglaube das Ding mit Wunsch und Erfüllung auf, in der postmaterialistischen Gesellschaft wahlweise als naturimmanente Urkraft oder verschüttetes Wissen der guten alten Zeiten überhöht. Schließlich gerinnt der Körnerkonsum zum puren Lifestylegeschäft, was den Preis im Einzelhandel erzeugt, mit dem sich Leinsamen und Roggenschrot vom Abfall zur esoterischen Masse distinguieren. Mit etwas Glück werden wieder Apfel und Ei dank ihrer Gestalt zum liebeserzeugenden Zubehör, was der Landwirtschaft hülfe, sich gegen Chia und andere Exoten zu wappnen. Man kann die Welt ja ruhig bescheißen, sie will’s auch. Nur Mühe muss man sich gegeben, und wer wäre kreativer als die unerschöpfliche Mutter Natur.





Gernulf Olzheimer kommentiert (CCCLXIII): Fertiggerichte

24 02 2017
Gernulf Olzheimer

Gernulf Olzheimer

Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.

Ein Gespenst humpelt durch die westliche Welt, es hinterlässt Fettflecken am Türgriff, vermüllt die Landschaft, sein widerwärtiges Rülpsen lässt die Innenwände der Plattenbauten mählich bröseln. Es nähret kümmerlich von Opfersteuern und Gebetshauch die Dunstabzugshauben kompletter Reihenhaussiedlungen, die ohne seine Existenz nie in den ökologisch wertvollen Stadtrandboden gedroschen worden wären. Mit modifizierter Stärke lahmt das durch die Gegend, eine Vortäuschung von Leben, ungefähr so wertvoll wie ein Eimer gekauter Pappkartons, aber extrem laut und unglaublich bäh. Aus den Discounterregalen tentakelt sich das Zeug wie zufällig in die Einkaufskörbe, der unschuldige Kunde muss es unter Zwang verstoffwechseln. Es gäbe ja, ging’s nach ihm, niemals nicht gar kein Fertiggericht.

Der unter Industrieabfällen begrabene Rest aus Separatorendreck, Hühnerschlacke und Beifang, der im Polysaccharidschmodder dümpelt, ist trotzige Antwort auf den Bildungsmangel einer seicht verdeppten Ellenbogengesellschaft, Schlabber der Endzeit, Kapitulation vor den Schrecken einer bürgerlichen Gesellschaft, die der Beknackte mit der hilflos in Kitt geschwiemelten Interpretation von schnell erkennbarer Hausmannskost zu sich zu nehmen scheint. Tatsächlich würde der gemeine Hilfshonk die authentische Rindsroulade nicht einmal von ihrem hastig als Surrogat gezimmerten Zwilling unterscheiden können, wenn sie ihm das Bein wässert. Wozu auch. Er hat fertig, und mehr interessiert ihn nicht.

Denn der Bekloppte, kapitalistisch getrimmt auf kritiklosen Verzehr effektiv zusammengeklatschter Spachtelmasse, will nicht können, er will haben, und zwar sofort. Folglich pfropft er sich das knapp verdaubare Pendant zum Selfie in die durchweg geöffneten Schleimhäute: inhaltlich wertlos, man akzeptiert es nur, weil das Aussehen einem vertraut ist und der Hintergrund sowieso verschwimmt. Es schränkt nicht die Qualität ein, denn die ist hinfort ein irrelevanter Parameter: der Hunger treibt’s rein, der Ekel wieder raus, und letztlich gewöhnt man sich an alles. Mit wenigen Taschenspielertricks ist der kalorische Blitzkrieg sogar als Gehirnwäsche in der Lage, die herkömmliche Zusammenstellung aus Weißblechkonserven und Glasgemüse unpraktisch erscheinen zu lassen. In einem Arbeitsgang hebelt der Suizident überkrustete Proteine, Reisrückstand und Pflanzenteile zwischen verspätetem Abschied und Auferstehung auf den Teller, falls er den Schutt nicht gleich im Plastekryosarg in die knarzende Mikrowellenverbrennungsanlage schiebt: die Hälfte der Materie qualmt wie ein durchschnittlicher Tag in einem afghanischen Dorf nach dem Besuch der Air Force, alles andere hat noch knackigen Biss, da weiterhin kurz oberhalb des Gefrierpunktes. Nicht einmal die Tütenbratkartoffel als unterstes Ende der Zivilisation, sonst der Horrorschocker unter den gutbürgerlichen Wirkungstreffern, nichts kann den Konsumenten von der Überzeugung abbringen, dass der für eine eherne Schmecke optimierte Pamps genießbar sei. Mitnichten, ist er doch nur ein grauenvoller Auswuchs der Technikgläubigkeit, die das industriell Machbare zum quasireligiösen Standard erhebt – dass es Forschern gelungen ist, Fleischkleinteile in Faserbündelgröße, molekular geschreddertes Pflanzenfett und diverse Zucker zum Heimaterdeeintopf Nazi Goreng zu komprimieren, einem Sperrfeuer aus gehärteten Glyceriden und Ballaststoffen, enthält schon die Verpflichtung, es sich in die Innereien zu stopfen.

Dabei spricht das zusammengenagelte Zeug der Selbstwahrnehmung Hohn, die Schnäppchen- und Geizkultur zur nationalen Kunstform erhoben hat. Der Bescheuerte erwartet nicht nur Gourmetware in vollendeter Qualität zum Schleuderpreis, weil ja inklusive Distribution, prekärer Personalkosten, Plasteschale, fünftklassiger Reklame und einer am Rande des Burnout torkelnde Rechtsabteilung der Krustenbraten aus der Makulatursau nicht nur ein Erlebnis an Natürlichkeit und Genuss garantiert. Dabei ist der Schleckschlamm lediglich das handelsübliche Verdickungsmittel, vorsichtshalber per Aufschrift mit fünfzig Gramm Portionsgröße auf medizinisch verträgliche Schadstoffwerte gedimmt. Das Readymade hat seine Entfremdung bis zur amorphen Asia-Pfanne mit Öko-Glutamat gesteigert, der Trickster der Entsorgungswirtschaft, der die Nahrungsaufnahme mit einer gewissen Anspruchshaltung so deformiert, dass Haltung und Anspruch in der Tonne verenden. Aber was erwartet man von einer Bausparerkaste, denen bizarre Recyclingversuche mit Fleischgeschmack sogar für Gäste außerhalb der direkten Nachkommenschaft ausreichen. Offenbar verstecken sich in der Masse genügend Ersatzstoffe für körpereigene Downer, die die Dröhnung an der Schleimhaut auspegeln. An sich hätte bei Markteinführung der orthogonalen Pizza ein enthemmter Mistgabelmob die Fabrik in Grundwasser führende Schichten einarbeiten sollen, aber was erwartet man von Querkämmern, die auf grobe Schmerzreize zu reagieren für die beste aller evolutionären Errungenschaften halten. Am Ende verkocht eh alles im einen, im letzten Brei.





Schnelle Welle

30 11 2016

Petermann blickte verlegen in den Korb. „Das kann ich dem Chef nicht zeigen.“ Das Sammelsurium aus Tüten und Beuteln hinterließ keinen besonders guten Eindruck, höchstens den Hauch von Sterilität. Was aber sollte man mit dem Krempel anfangen in einem Landgasthof?

„Ich wollte ihn ja absagen“, stammelte Hansi, der jüngere Bruder und eigentlich für den Service zuständig, während Bruno, von Freund und Feinden Fürst Bückler genannt, wie er Ente in Sauer und Schwarzsauer auftischte, die Küche unter sich hatte. „Und dann habe ich die Nummer nicht mehr gefunden, und dann stand er plötzlich einen Tag früher als verabredet hier, und…“ Er tupfte sich den Schweiß mit einer Serviette ab, während Herr Pläntzke, seines Zeichens Handlungsreisender der Fixikoch GmbH, die Brust heraus bog. „Sie werden nie wieder so ein schnelle Béarnaise zubereiten“, tönte er und griff nach dem Tütchen. „Eine Hälfte Wasser, eine Hälfte Sahne, kurz aufkochen, fertig!“ Petermann rümpfte die Nase. „Er hat recht“, gab ich zu bedenken. „Einmal diese Pampe aufkochen, und dann garantiert nie wieder.“

Natürlich hatte der Fertigwarenvertreter in seiner Aktentasche – es gab also Aktentaschen mit Kühlfach, man lernt nicht aus – noch mehr gruselig eingeschweißtes Zeug mitgebracht. „Die hochfeine Rindsroulade Roma mit westfälischem Rauchschinken und anderthalb Prozent getrockneter Essiggurke wird im gutbürgerlichen Segment sehr gerne genommen“, schwafelte Pläntzke, während er einen braungrau schimmernden Klops in Folie zwischen den Fingern drehte. „Wir bieten dazu ein portioniertes Selleriepüree an, einfach mit heißer Milch zubereitet – haben Sie zufällig ein bisschen Milch da?“ Petermann, Entremetier und seit Jahren die rechte Hand des Küchenchefs, widmete dem aufdringlichen Vertreter einen eindringlichen Blick. „Dies ist keine Kantine“, sagte er langsam, jedes Wort schwer betonend, „und ich weiß nicht, warum Sie uns mit Ihrem Plastikfraß immer noch auf die Nerven gehen.“ Jeder andere wäre empört gewesen oder wenigstens beleidigt, nicht aber Pläntzke; er hatte ein dickes Fell. „Weiß ich doch“, zwitscherte er, „weiß ich doch – aber wollen wir es uns nicht alle mal leicht machen, damit die Arbeit schnell von der Hand geht? Gucken Sie, ich habe da eine tolle Pasta-Variation für die Mittagskarte.“ Er zog ein aufdringlich gelbes Päckchen aus der Thermotasche heraus. „Jetzt neu im Sortiment, die Nudelserie Schnelle Welle: Fertigpasta mit Frischei und optionaler Sauce, dabei kombinieren Sie völlig frei Nudel- und Saucensorte!“ „Ein technologischer Durchbruch“, gab ich zu bedenken. „Darauf wartet man in der Gastronomie ja seit Jahrhunderten.“

Bruno hatte mich beiseite gezogen. „Ich kenne diese Sorte Vertreter“, flüsterte er. „Spätestens zehn Minuten, dann hat er Petermann weich gequatscht und verkauft ihm Heizdecken. Wir müssen etwas unternehmen.“ „Hol Bruno“, flüsterte ich zurück. „Ich halte den Schlawiner inzwischen in Schach.“

Pläntzke hatte unterdessen die Vorzüge des in Plastik mumifizierten Schnitzels gepriesen, als ich ihm ins Wort fiel. „Was empfehlen Sie als Beilage? haben Sie eine adäquate Tütenbratkartoffel oder leicht pappige Pommes im Programm?“ Ich wühlte im Präsentkorb herum. „Da sind ja kaum künstliche Aromastoffe drin“, stellte ich fest. Schon blähte der Verkäufer seine Brust wieder auf, da schmiss ich ihm das Tütchen vor den Latz. „Meine Güte! das erwartet der Konsument, dass er mit chemischem Gedöns vollgepfropft wird, und Sie lassen uns hier mit Ihrem Biokrempel alleine? Nicht mal richtige Farbstoffe, kein Geschmacksverstärker, skandalös!“ Er war nachhaltig verwirrt. Ich ging langsam drei Schritte auf ihn zu und beugte mich so weit zu ihm vor, bis ich sein billiges Rasierwasser riechen konnte. „Haben Sie keine Fertigbrühe“, fragte ich mit rauer Stimme, „der man trauen kann?“

Mit einem Knall flog die Tür auf, herein trat Bruno, dessen aufgezwirbelte Schnurrbartspitzen an einen schlecht gelaunten Hummer erinnerten. „Was wollen Sie“, schrie er, „und warum sind Sie immer noch nicht weg?“ „Wir sind gerade erst beim Schnitzel“, stammelte Pläntzke. „Sehen Sie, das ist vielleicht nicht ganz Ihre gewohnte Produktgruppe, aber wenn ich mir die Mitbewerber ansehe – ich war vorhin in einem kleinen Gasthof, hier an der Kaiserlinde rechts ab und dann…“ Der Bart zitterte gefährlich. „Mit dieser Kaschemme vergleichen Sie mein Restaurant?“ Jeden Moment musste seine Hand wie von selbst nach den Messern greifen. Ich sah versonnen auf das Fertigtütenhäufchen. „Da ist es ja auch sinnvoll eingesetzt“, erklärte ich. „Wenn die Gäste in solche Etablissements gehen, dann wollen sie halt, dass es genau wie zu Hause schmeckt, stimmt’s?“ Pläntzkes Knie erweichten sichtlich. Er hielt das Schnitzel wie einen Schild vor sich. „Man kann es traditionell zubereiten“, wimmerte er, „oder es für größere Gesellschaften in der Mikrowelle…“ Mit einem Wutschrei griff Bruno nach der Aktentasche, rannte durch die offene Tür in den Hof und schleuderte das Ding auf den Wagen des Vertreters. Mit tiefrotem Gesicht kehrte er in die Küche zurück, aber Pläntzke war schon durch den Gastraum verschwunden. Man hörte die Reifen quietschen, dann war er endgültig weg. „Und jetzt lass das verschwinden“, knurrte Bruno seinen Bruder an, „aber ungeöffnet! Wenn das jemand in meinem Müll entdeckt, sind wir geliefert!“





Allergo moderato

16 06 2016

Bruno war am Ende. Seine Schnurrbartspitzen vibrierten bedenklich. „Ich mache den Laden zu“, stöhnte er, „das kann doch kein Mensch kochen!“ Keiner wagte ein Wort zu sagen. Dicke Luft.

„Vor allem, wir haben dreißig Gedecke.“ Hansi, der Serviceleiter der beiden Bückler-Brüder, kratzte sich nachdenklich am Kopf. „Das alles aufzutragen ist ja schon unmöglich.“ „Und wenn wir einfach eine Gemüseplatte mit…“ Petermann verstummte. Bruno, von Feinden wie Verehrern Fürst Bückler genannt, wie er im Landgasthof mit Schwarzsauer und Aal in Gelee sein legendäres Regiment führte, war nicht zu Späßen aufgelegt. „Herr Generalmajor Itzenplitz hat uns eine Liste geschickt, um das Dienstjubiläum entsprechend zu bekochen.“ Petermann konnte es nicht lassen. „Dann koche wir Preußens Gloria“, kicherte er, „am besten Bismarckhering und…“ Da knirschte Bruno mit den Zähnen. Jedes weitere Wort wäre zu viel gewesen.

„Eine moderne Familie“, stellte ich fest. „Jeder schleppt seine eigene Nahrungsmittelallergie mit sich herum.“ Hansi blätterte einen Schnellhefter durch. Es sah aus, als hätte er sich das Internet ausgedruckt „Ich habe grob vorsortiert“, berichtete er, „die Kinder essen sowieso kein Gemüse, die bucklige Verwandtschaft kommt mit Pommes frites zurecht, aber sonst müssen wir für jeden extra die Beilagen auswürfeln.“ Direktor Itzenplitz nebst Gattin vertrugen weder Möhren noch Nüsse, die Tochter hatte eine schwere Histamin-Intoleranz – „Wahrscheinlich war die Mutter zu oft in Bordeaux“, meinte Petermann – und alle bekamen Nesselsucht von Soja. „Dann nehmen wir eben echte Milch.“ „Tofu geht auch nicht“, brachte sich Hansi in Erinnerung. „Es ist zwar ein älterer Onkel, aber ein Erbonkel.“ „Wenn wir ihm vorsätzlich Tofu verabreichen“, grinste Petermann, „dann ist es sogar ganz bestimmt ein…“ Bruno hieb mit der flachen Hand auf den Tisch. „Das ist nicht mehr komisch“, schrie er. „Die eine Hälfte isst kein Schweinefleisch, die andere keinen Fisch, dann wollen sie etwas ohne Erdnüsse, Erbsen und Milch, und dieser verdammte Major verlangt von mir eine kalorienarme Vorspeise – bin ich denn im Zoo!?“

Längeres Blättern brachte zutage, dass auch Selleriesalat ausfiel. Schneckenragout wäre ohnehin viel zu teuer gewesen, hätte aber der angeheirateten Schwippnichte Dorothea zu schweren Beschwerden geführt. „Warum essen diese Leute nicht à la carte“, fragte ich verwundert, aber Hansi musste es mir gar nicht erklären. „Wenn ich dreißig Gästen je drei Gänge auftrage, und geschätzt hat jeder zweite noch einen Sonderwunsch, dann ist bei dem einen das Dessert, während der andere noch auf die kalte Suppe wartet.“ Das leuchtete ein. Immerhin hatte ich nicht gefragt, warum die Gesellschaft überhaupt in ein öffentliches Lokal gingen und sich nicht ihre eigenen Stullen mitbrachten.

„Vielleicht könnte man aus Kartoffelschalen einen Sud kochen.“ Petermann, Entremetier und seit Jahren Brunos rechte Hand, versuchte die Situation zu retten. „Oder aus Pilzen?“ „Viel zu teuer“, knurrte Hansi. „Dann sollten wir lieber den Blumenkohl von gestern zu Brühe verarbeiten.“ „Fräulein Haubenstockler, die Zukünftige von Itzenplitzens zweitem Sohnemann, verträgt keinen Muskat.“ Bruno war schon im Trockenlager. Vielleicht ließ sich aus glutenfreiem Hafermehl eine Pampe anrühren, mit der man die Sippe satt bekam.

„Überhaupt“, überlegte Hansi, „wir haben doch eine Tagessuppe.“ „Aber die kochen wir frisch“, gab Bruno zurück. „Ich will hier keinen Tütenkram in meiner Küche sehen, auch nicht ausnahmsweise und nicht einmal püriert!“ Sein Bart ließ keinen Zweifel, es war ihm ernst. „Außerdem dürfen keine Erbsen drin sein“, erinnerte Petermann. Bruno Bückler explodierte. „Soll ich diesen Idioten heißes Wasser servieren“, schrie er, „und ein Foto von einer halben Scheibe Toastbrot!?“ „Vegan!“ Doch Petermann verwarf seinen Gedanken ebenso schnell wieder. Das alles war eine ausgesprochene Schnapsidee, und keiner wusste wirklich weiter. Doch dann hatte ich eine Idee. „Ich brauche eine halbe Stunde“, verkündete ich, „und Hansi kommt mit.“ Bruno seufzte ergeben. Was sollte er auch tun.

„Das Süppchen kommt sehr gut an“, berichtete Hansi, „der Jubilar und sein Schwager Holzhändler Itzenplitz haben soeben Nachschlag geordert.“ „Das spricht nicht für die Offiziersmesse“, antwortete Petermann trocken. „Aber jetzt etwas Vorsicht mit den Bratlingen, die Sauce nur ganz leicht übergießen, und das Gelee an den Tellerrand.“ Die Köche zirkelten, die Kellner hebelten einen Teller nach dem anderen in den Saal. Bruno tupfte sich den Schweiß von der Stirn. „Wenn das rauskommt, bin ich geliefert.“ „Ach was“ tröstete ich ihn. „Gesunde Zutaten, schonend gegart – wen wir lieben, dem geben wir nur das Allerbeste.“ Er starrte auf das Etikett mit dem bemerkenswerten Spruch. Das letzte verbliebene Gläschen Muckis Babykost Hypoallergen. „Nicht aus der Tüte – und so lecker!“





Innovation

14 02 2016

Es saß der Bäcker Nathan stumm
mit Rivka, seinem Weibe,
um seinen Bäckertisch herum.
Sie fürchten um die Bleibe.

„Man kauft schon unser Weißbrot nicht“,
spricht seine Gattin klagend,
„weil es an Eigenheit gebricht.“
Sie sieht ihn an, stumm fragend,

was ihn rein in Verzweiflung treibt.
„Wozu den Ofen feuern,
wenn doch das Brot beim Alten bleibt?
Man muss es runderneuern,

jedoch womit? Wir haben nichts!“
„Dann eben dies, ja bitte!“
Er denkt kurz nach, bevor er spricht’s:
„Und dies kommt in die Mitte!“





Nazi Goreng

12 08 2015

„Sä habän räsärväert!?“ Das Zahnbürstenbärtchen passte nicht eben schlecht zu dem vor Erregung bibbernden Männchen, das da am viel zu großen Stehpult den Eingang verteidigte. Fast hatte man den Eindruck, in Deutschlands großer Zeit einen Pausenclown gefunden zu haben, da regte er sich auch schon ab. „’tschulligung, Sie hatten ja wirklich durchgerufen. Tisch neun, wenn ich bitten darf?“

Das Haus war selbstverständlich in Eiche rustikal eingerichtet, ein begehbarer Sarg mit Sitzmobiliar. Auf weißer Tischwäsche standen Römer und dergleichen folkloristische Trinkware, einen Kronleuchter auszuschmeißen. Besteck, poliert bis zur Erschöpfung, harrte des Einsatzes. Dies Haus also bot im Gegensatz zur guten, bürgerlichen Küche eine deutschnationale. „Wir legen größten Wert auf die Herkunft unserer regionalen Produkte“, tönte Justin Szczukinsky, Küchenchef und kreativer Kopf des Gastbetriebes. Ich war sofort gewillt, es ihm zu glauben.

Das Wiener Schnitzel auf der Speisenkarte war noch zu verschmerzen; dass der Anschluss nicht geklappt hatte, musste noch Haider verwundet haben. Ansonsten bot die Auswahl viel Vertrautes. „Sie verwenden viel Schwein“, bemerkte ich. „Das Schwein“, dozierte der Chef, „ist schließlich die zweite Natur des Deutschen.“ Ich hatte meine Zweifel, schließlich ist das Borstenvieh von reinlicher Natur und durchaus sozial eingestellt, aber ich wollte keine unnötige Diskussion beginnen. Die Zigeunervariante hatte sicher genug Diskussionsbedarf in sich, und das nicht nur, weil die Rezeptur bestimmt keine Paprika aus der Nordheide vorsah.

Die Küchenhilfen schoben Würstchen hin und her. „Zum deutschen Sauerkraut“, kündete der Führer, „gibt es ja nichts Besseres als die deutsche Wurst. Wer will da anderer Meinung sein?“ „Meiner Erinnerung nach“, erinnerte ich mich, „hat ja der gute Homer schon den Darm beschrieben, in den man Blut und Fleisch stopft. Keine neue Erfindung also.“ Der Schnauzbart stutzte nur wenig. „Dann waren es also die Griechen. Auch ein rassereines Volk, und Wurst wird ja überall gemacht.“ „Genauer“, fügte ich an, „waren es die heutigen Türken, von denen wir auch die Mützen der deutschen Gartenzwerge kennen. Aber egal, es handelt sich in letzter Konsequenz um den Pfälzer Saumagen, bis auf die Kartoffeln. Die sind ja aus Lateinamerika.“ Die Küche werkelte. Das Interesse an den Bratkartoffeln hatte nicht nachgelassen, aber die Geräusche wurden merklich leiser. Vielleicht zweifelte einer der Beiköche gerade die nationale Identität des Kümmels an. Tirol stand zwar außer Frage, aber das Land, wo der Pfeffer wächst, war schon rhetorisch sehr gebraucht.

„Das deutsche Sauerkraut“, und damit öffnete der Chef eine deutsche Dose, in der es wohl aus Südwest oder ähnlichen Kolonien deportiert worden war, „das deutsche Sauerkraut ist eine deutsche Erfindung.“ Ich widersprach ihm da nicht; das französische Sauerkraut war zweifelsohne eine französische, aber das tat ja nichts zur Sache. „Das deutsche Sauerkraut wird von uns angeboten als deutsches Nationalgericht.“ „Ein Deutschnationalgericht sozusagen“, merkte ich an. „Interessant daran ist ja, dass die Milchsäuregärung eine Erfindung der slawischen Völker war und sich mit der jüdischen Besiedelung Europas ausbreitete.“ Wie gut, dass ich die Küche sofort verlassen konnte. Der Chef kochte.

„Gerne wählen unsere Gäste ja das Rahmgulasch“, informierte der Oberkellner. Eine braune, undefinierbare Pampe auf dem Teller überzeugte mich, hier wurde national gekocht. „Ich gehe davon aus, dass Sie ausschließlich deutsche Zitronenschale verwenden“, fragte ich, „Sie wussten doch, dass es sich um eine germanische Züchtung aus der Völkerwanderung handelt?“ Er wusste es nicht. Immerhin bekam man in diesem Laden einen Nachtisch mit Banane. „Deutsche Ware hoffentlich“, hakte ich nach. Ich hätte es nicht tun sollen.

Die Kinder am Tisch quengelten und bekamen Spaghetti serviert. „Migrantenkost“, lobte ich den Kellner, „sehr gut! Wenn Deutschland schon untergehen muss, dann muss das gut vorbereitet sein. Setzen Sie am besten noch eine anständige Pizza auf die Karte, damit locken Sie die unsicheren Kantonisten. Und Döner. Und vielleicht etwas Asiatisches wie Nazi Goreng.“

Die Bratwurst schmeckte ausgezeichnet. „Hausgemacht“, schwor Ali, „kommen nur die besten Zutaten rein.“ Dafür stand der Imbisswagen auch ausgesprochen günstig.