
Gernulf Olzheimer
Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.
Als der Hominide selbst noch in artgerechter Bodenhaltung durch die Urwälder krauchte, sich von mobilen Eiweißquellen mühsam zu ernähren versuchte oder alles lutschte, was zwischen Baum und Borke zu finden war, da hatte er noch eine lange Reise vor sich, einerseits, was den Intellekt betraf, andererseits in Bezug auf seine körperlichen Fähigkeiten. Die Nahrung war so rar wie degoutant – der Begriff Schmetterlingssteak hatte eine vollkommen andere Bedeutung. Zudem nahm der Urmensch seine Mahlzeiten to go zu sich, es sei denn, er konnte das schmackhafte Fluchttier von der Notwendigkeit des Verweilens überzeugen, in manchen Fällen auch davon abhalten, seinen Jäger als Zwischenmahlzeit zu betrachten. Dazu brauchte es Geschick und Geschwindigkeit, für die dagegen Proteine förderlich waren; diese wiederum ergaben Schläue und Schmackes. Mehr oder weniger tote Tiere zu essen schien den Chefprimaten nachhaltig zu stärken. Es hätte so weitergehen können.
Doch irgendwann war’s der Jäger und Sammler wohl leid, von der Hand in den vorgewölbten Mund zu leben. Und wie er dem Keimen und Blühen der Gräser so zusah, die ersten Paarhufer zähmte und deren Milch als Sättigungsbeilage entdeckte, wuchs in ihm der Gedanke, statt Blätterdach und Höhle so etwas wie eine Behausung zu benutzen, wie ihm das ständige Umherziehen in fremder Umgebung zu ersparen wusste; nur manchmal noch blubbert der archaische Reflex wieder auf, wenn der moderne Honk auf der Bundesautobahn im Stau steckt und in einer gewaltigen Übersprungshandlung seinen Zorn gegen den Himmel brüllt. Auch wenn es noch keine Städte gab, der Sapiens konnte den Klimawandel vernünftig kompensieren. Er erfand das Brot, und er erfand das Bier. Alles war gut. Vorerst.
Es hätte auch dauerhaft so bleiben können, wäre nicht tierisches Eiweiß, das für Jahrtausende ein Luxusprodukt überwiegend für den aristokratischen Geltungskonsum bleiben sollte, irgendwann in die Mühle des Kapitalismus geraten. Dem Bauern hatte man noch jeden Sonntag sein Huhn im Topf als Anzeichen wachsenden Wohlstandes versprochen, wohl wissend, dass man ihn damit regelmäßig zur Vernichtung seiner eigenen Produktionsmittel trieb. Mit dem Ausbrechen der Industrialisierung, die vor Tier und Mensch nicht halt machte, wurde beide das, was sie bis heute sind: Ware.
Die betriebswirtschaftliche Optimierung ist nicht einfach, wenn das Benutzgetier alsbald ganz nach Kundenwunsch seziert wird. Das Versprechen vom Aufstieg durch herrschaftlichen Fleischverzehr ist dem kapitalistischen Kleinknecht heiß zu Kopfe gestiegen; er dünkt sich distinguiert, wenn er vom Opfer nur noch Filet frisst, vom Hühnchen nur noch die geschmacksfrei gezüchtete Brust auspopelt und den Rest in die Verwertung rülpst. Der Diener am DAX kennt kein Schwein mehr, er kennt nur noch Gehacktes, und selbst das nur noch in aseptischer Verpackung, die just an der Blutrinne gestopft wird.
Wie den eigenen Tod verklappt die schöne neue Gesellschaft der Zweckmäßigkeit das Zermetzeln eigens dafür erzeugter Tiere in die Effizienzzonen der Wirtschaft: ein Stück Vieh auf seinen Nutzwert als Wurst und Braten dimmt die Emotion und führt sie auf die Notwendigkeit zurück, die uns allen längst in Fleisch und Blut übergegangen ist. Weder Angst und Dreck noch der Verbrauch an Sklaven, die Schnitzeltiere über die Klinge springen lassen, rechnet der Gewohnheitsgriller ein. Als wüchse das Kotelett am Baum, so pfeift sich der Hohlrabi den Zellhaufen rein, der ihm dröges Gemüsekauen erspart. Die Evolution, sie frisst ihre Kinder.
Dass es auch mit weniger geht, fleischarm, gar fleischlos bis frugivor, bringt blind an der Keule nagende Fortschrittsglaubende in rohe Wut. Der Veganer nämlich, heult’s am Schwenkrost, muss ja diese und jene Stoffe zuführen! Der ist nicht, was er isst! Als sei der Hormoncocktail, der die Rippchen geschmeidig macht, pure Natur, vom lieben Gott persönlich der Sau injiziert, die sich nichts anderes gewünscht hat als die kurze Inkarnation im Liegen, damit der Speck ihr behende am Arsche schwillt. Ach, wie glücklich, wer sich Krebs und Gicht in die sterbliche Hülle schwiemelt, weil er ja vor seinem äußerst durchschnittlichen Ableben noch jede Menge Sondermüll in den Wohlstandsbauch ballert.
Wohlan, machet die Leberwurst teurer, dass die viel beschworene gesellschaftliche Mitte greint und die ärmeren Schichten freiwillig Kraut und Rüben in den Topf tun! Dumm nur, dass es nichts nützen wird, denn der Widerwart an Zuständen, der jetzt die Fleischindustrie beherrscht, er wird sich nicht an höheren Preisen brechen, wie auch eine billige Nietenhose aus billigem Stoff nur ein paar Meter entfernt im selben Textilgulag gefertigt wird wie die Designerjeans, die sich nur durch ein Label mit klingendem Namen von den Proletenplünnen unterscheiden lässt. Wir verdrängen tapfer den Zusammenhang zwischen Leid und Leberkäse, Gulasch und Grauen. Der Mensch entfremdet sich nicht nur vom Werk des industriell betriebenen Schlachtens, er entwertet mit dem Akt an sich auch das Erzeugnis. Er ist, was er isst: Wurst. Was da reinkommt, weiß er besser nicht.
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