Wahlverwandtschaft

28 01 2015

„Und bitte nicht wieder diese Bayernpartei, Frau Merkel. Wir sind ja echt tolerant, wir haben Texaner und wir haben Palin, aber bitte nicht wieder diese Bayern. Bilden Sie einfach eine Regierung aus ganz normalen Menschen, die auch zurechnungsfähig sind. Mehr verlangen wir ja schon gar nicht mehr.

Natürlich können Sie diesen Horst wieder ins Kabinett berufen, oder Sie schauen einfach weg, wenn er doch wieder Vorsitzender der Bayernpartei wird. Aber wir würden uns sehr viel mehr freuen, dass die Wirtschaft wieder gute deutsche Produkte importiert, weil Frau Merkel eine verlässliche und jederzeit vorhersehbare Regierung gebildet hat, wie man es von ihr erwarten konnte. Können wir doch, oder? Lassen Sie uns nicht im Stich! Wir müssten sonst doch noch mal nachdenken, ob wir den Euro wirklich so gut finden.

Sie haben hier in Deutschland doch auch so ein Parteiensystem wie wir. Bei uns sind das zwei sehr konservative Parteien, bei Ihnen sind das zweimal die SPD, und die eine SPD heißt CDU und ist ein bisschen weniger konservativ. Warum machen Sie das nicht einfach so wie wir: mal gewinnen die einen, mal verlieren die anderen? Wir sind doch letztlich beide an einer guten Zusammenarbeit mit den USA interessiert, nicht wahr?

Eigentlich fanden wir diese FDP gar nicht schlecht, Frau Merkel. Ein bisschen farblos, auf der anderen Seite viel zu laut – okay, wir haben wie gesagt Palin, wir haben zweimal Bush durchgestanden und die Tea Party, aber derart wenig Substanz, das ist schon komisch. Und das war erst Westerwelle, der Rest von dieser Partei ist ja noch lächerlicher. Können Sie die nicht irgendwie zurückholen, Frau Merkel? Damit wir sehen, die Deutschen, das sind die Spaßmacher, von denen geht keine ernsthafte Gefahr aus? Sie müssen schon zugeben, ein Außenminister, der sich überall lächerlich macht, das nimmt der Welt schon ein bisschen die Angst vor einem deutschen Angriff.

Unsere Sicherheitsdienste haben gerade in Erfahrung gebracht, dass Sie es demnächst mit den Grünen versuchen wollen. Machen Sie das bitte nicht, Frau Merkel. Das könnte zu Verwerfungen in der wirtschaftlichen Zusammenarbeit führen, und am Ende wäre davon auch die Politik betroffen. Das ist eine Partei, die wir aus europäischer Sicht gut nachvollziehen können, aber wir sind eben keine Europäer. Und wir wollen eben auch nichts verstehen. Wir sind Amerika. Das reicht uns. Sonst müssten wir uns vielleicht außenpolitisch auch ein bisschen zugeknöpfter verhalten.

Jetzt regen Sie sich nicht so auf. Hat der Typ von den Grünen eine Hanfpflanze auf dem Balkon gehabt, ja oder nein? Also. Und wir können das den Stützen unserer Gesellschaft nicht verkaufen, auch nicht dann, wenn bei uns Marihuana gerade entkriminalisiert wird. Unsere Wähler verfolgen die Nachrichten nicht, die wollen uninformiert bleiben, weil sie sich dann besser aufregen können.

Gut, Sie haben inzwischen eine ganze Partei, die das so macht. Aber noch regieren die nicht.

Sie sollten mal über einen informellen Zusammenschluss von CDU und SPD nachdenken, Frau Merkel. Ganz unverbindlich. Politik aus einem Guss. Wir sind ja, ich hatte das wohl schon erwähnt, immer an einer verlässlichen deutschen Regierung interessiert. Wir planen gerne langfristig, und wenn auch Sie uns versichern können, dass die Deutschen über eine Legislaturperiode hinaus an der Seite ihrer amerikanischen Partner stehen möchten, dann ist das für beide Seiten ein Gewinn. Jedenfalls für Sie, Frau Merkel. Sie müssten sich Ihre Freunde wieder selbst aussuchen, und das in Europa. Keine angenehme Vorstellung, oder?

Beispielsweise dieser Vizekanzler. Im einen Augenblick will er das Freihandelsabkommen um jeden Preis, dann muss er plötzlich auf seine Partei hören. Dann ist er gegen Fremdenfeindlichkeit und pro Islam, und auf einmal redet er mit dieser Partei, die sich als Demonstrationszug verkleidet hat. Dabei ist er schon Vizekanzler geworden, was will der Mann noch sein? der liebe Gott? Sorgen Sie da für Ordnung, Frau Merkel, oder schmeißen Sie den Fisch zurück in die See. Er stinkt.

Überhaupt sollten Sie an die Vorstellung einer absoluten Mehrheit viel entspannter herangehen. Wir schaffen das doch auch. Sie kriegen damit die Grünenweg und den linken Flügel der SPD und die Linke und diese Alternativen und die richtigen Nazis und die Liberalen und den Rest. Sie sind doch so gerne mal konservativ und mal sozial und mal demokratisch. Dann müssen Sie sich auch nicht jedes Mal überlegen, wem Sie auf die Füße treten. Machen Sie es einfach, Frau Merkel. Es ist auch in unserem Interesse.

Sonst müssten wir nämlich der NSA wieder genauer zuhören. Und wir würden uns dafür interessieren, warum wir Ihr Telefon in der Zwischenzeit nicht abhören konnten. Und warum Sie jetzt erst der Verschlüsselung den Kampf ansagen. Das kann doch keiner wollen.

Wie, Probleme? mit uns? Frau Merkel, jetzt überraschen Sie mich aber. Sie haben doch als großer Bruder selbst den Griechen geraten, was sie wählen sollen. Warum sollen denn wir das nicht? Wir, Ihre amerikanischen Freunde. Das sind wir doch, oder?“





Gernulf Olzheimer kommentiert (CXCVII): Die Krise als Religion

24 05 2013
Gernulf Olzheimer

Gernulf Olzheimer

Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.

Es braucht nicht viel, den Hominiden von der Überlegenheit des Metaphysischen zu überzeugen; meist reicht ein Sonnenaufgang, schon fühlt er sich unterlegen. Sobald sich der Alltag nicht mehr mit Bordmitteln bewältigen ließ – warum ist dieser verdammte Hirsch so schnell, warum kriegt die Frau drei Dinge gleichzeitig erledigt, warum schläft Nggrs Urahn seit Wochen im Freien und riecht so unangenehm – sucht sich der Einwohner des Paläolithikum kompetente Antworten, meistens bei eingebildeten Wesen oder Strukturen, die nicht im Klartext antworten und kaum ein gesteigertes Interesse am Dasein des Troglodyten zeigen. So wird auch schnell begreiflich, dass der Ägypter selten dem Ren huldigt, der Polarkreisanrainer kaum häufiger das Krokodil kultisch kategorisiert; man reserviert für die spirituellen Dinge das, was man kennt, aber nicht oder nur mangelhaft intellektuell durchdringt. Warum sich schnell erklären lässt, dass nur kurze Zeit später der Affe im Nadelstreif die Eurokrise als Religionsersatz hinnimmt.

Der durchschnittliche Europäer, ein zahlendes Mitglied der Mittelschicht, hat sich hübsch in seiner Existenz eingerichtet. Er bedauert das Ableben der anderen, hält sich selbst für unsterblich und wird nicht an den Gerüsten seiner Gesellschaft zweifeln, gleichwohl er die härtesten Kritiker seiner Lebensart für durchaus kluge Leute hält. Was bisher an Krise über ihn hereingebrochen ist, hält er für die Folge entfesselter Gier – nicht seiner Gier, so gut ging es ihm schließlich nie – und kommt damit zurecht, dass jetzt die Rechnung bezahlt werden muss, wie es diese komischen alten Männer und das Ding mit den Halsfalten in den Abendnachrichten von sich geben. Auf Sünde folgt Buße, mehr hat er nicht aus der ideologischen Indoktrination seiner Schulzeit behalten, und glücklicherweise hatte die Kultusministerkonferenz noch einmal die Kurve gekriegt, bevor sie den Begriff der Gnade in den Lehrplan hätten vitriolisieren können. Die Botschaft ist egal, allein es zählt der Glaube: vor uns steht ein Gottesgericht biblischen Ausmaßes, unabwendbar in seiner Art als Gottesgericht, und nach bester Tradition werden wieder einmal die bezahlen, die diesen ganzen Dreck nicht verursacht haben. Wir kapieren die Zusammenhänge nicht, also muss es, sagt unsere Führung, gerecht sein.

Das Tupperhirn setzt sich gar nicht erst den drängen Fragen der Menschheit aus – wer sind wir, wohin gehen wir, wer verbietet uns das Denken – sondern akzeptiert die Instanterkenntnis, die ihm seit ehedem eingehämmert wurde: was uns erhält, darf nicht falsch sein. Folglich gerät der ab Werk Verdübelte nichts ans Grübeln, da er die Risse im Gebälk seines sozioökonomischen Plattenbaus sieht. Wie uns die Erzählung des Abendlandes weismachen will, konnte die Folgen der Krise niemand sehen; sie verbarg sich auf der Rückseite der Medaille, sicherlich marktkonform, aber wer soll diesen Kausalkonnex schon kapieren. Die Schatten der Schulden erscheinen dem Subjekt wie eine primitive Götzenfigur: solange man an sie glaubt und sie fürchtet, ist sie lebendig und beherrscht alles, doch faktisch ist sie nichts als die Projektion von Allmachtsfantasien, die einer dazu bestimmten Kaste helfen sollen, den Basalkasten die Geworfenheit in der kapitalistischen Religion zu erklären. Sie haben sich ihren Gott nicht geschnitzt, sie dürfen nur daran glauben.

Denn die medialen Spulwurmaufzuchtstationen werden nie müde, uns das Schicksalhafte der ganzen Verstrickung vorzuweimern. Wie die Politik vergangener Jahrzehnte über uns hereingebrochen war, haben uns Parteiprogramme, Konzerne und Ideologien heimgesucht, für die keiner etwas gekonnt haben muss. Allenfalls die immanenten Dogmen, Austerität, Gelddrucken und noch mehr Abbau der gesellschaftlichen Strukturen, lassen sich aus der Heimsuchung zweifelsfrei ableiten, wie es der Führungstypus dieses Zeitalters erahnen lässt. Sie wissen nicht, was sie tun, halten aber sich selbst für alternativlos.

Seltsam sinnfreie Riten schwiemelt sich der durchschnittliche Depp zurecht und integriert sie in den Alltag des Volkes, wobei es egal ist, ob man zu Ehren des großen Watumba Würste in die Luft schmeißt oder jeden Tag regredierten Rübennasen lauscht, die die Börsennachrichten konzelebrieren. Die Krise dominiert den gesellschaftlichen Diskurs, sie lässt uns entscheiden, wer noch als Zweifler und wer schon als ungläubig gilt, und sie organisiert das größte säkulare Glaubensprojekt, seitdem es ein diesseitiges Heilsversprechen mit unbeschränkter Haftung gibt: die Hoffnung auf Wiederauferstehung in alter Gestalt, die Vergebung sämtlicher Sünden dank sozialisierter Buße, die Erlösung aus der ganzen Scheiße, obwohl wir sie tatkräftig verhindert haben. Halleluja. Das Dumme ist, dass die ganze Grütze danach wieder von vorne beginnen wird. Vermutlich sollten wir die Kapitalisten einfach mal ins Nirwana jagen.





Sowohl als auch nicht

16 04 2013

„… sich die Anti-Euro-Partei mit großem Zuspruch gegründet habe. Die Nationalkonservativen seien fest entschlossen, bereits zur Bundestagswahl die nötigen…“

„… liege der Grund für die Eurokrise ganz klar am Euro, sonst hieße sie, so Lucke, schließlich nicht Eurokrise. Aus diesem Grunde sei sofort mit der Rückkehr zur Deutschen Mark auch die Eurokrise…“

„… habe man das Parteiprogramm mit den Mitgliedern nicht abgestimmt, weil es ohnehin nur aus demokratischen Selbstverständlichkeiten…“

„… könne die Partei zum jetzigen Zeitpunkt noch kein außenpolitisches Konzept vorlegen, habe aber klare Vorstellungen davon, wie auch ohne den Euro eine…“

„… habe die Presse beschlossen, über die AfD nicht einseitig zu berichten. Sie besäße im Gegensatz zu den Piraten zwar kein Programm, wolle aber so schnell wie möglich aus dem Euro…“

„… dass nur der sofortige Austritt aus der Eurozone Deutschland vor einer atomaren Katastrophe…“

„… reiche es dem Parteivorstand nicht aus, den gesunden Menschenverstand als Richtschnur politischer Entscheidungen zu benutzen. Vielmehr müsse das gesunde Volksempfinden…“

„… dass Lucke die bisherige Opposition als nicht ausreichend bezeichnet habe und ihr vorwerfe, haltlose und unerfüllbare Forderungen in den Raum zu stellen. Die AfD könne dies erstens besser und sei zweitens wesentlich…“

„… habe die AfD als familienpolitische Agenda einen Ein-Punkte-Plan vorgelegt, der als zentrale Maßnahme die sofortige Rückkehr zur Mark in…“

„… die Mark als Parallelwährung für die Wirtschaft des Mittelstandes zuzulassen, während Sozialleistungen weiterhin…“

„… zahlreichen modernistischen Strömungen eine Absage zu erteilen, da diese Gesellschaft ohne Euro, Frauenbeauftragte, Behindertenparkplätze und Mobiltelefone sehr viel bessere…“

„… sich derzeit noch nicht zu innen- und sicherheitspolitischen Fragen äußern zu können, verweise aber darauf, dass nach Abschaffung des Euro eine unmittelbare Verbesserung der…“

„… als erste Maßnahme im Straßenwahlkampf die Aktion Deutsche, wehrt Euch! Kauft nicht beim 1-Euro-Mann! in mehreren…“

„… auch an der aktuellen Bildungspolitik der Systemparteien liege. Die AfD wolle daher den Euro mit sofortiger Wirkung…“

„… wolle man gleichgeschlechtliche Ehen nicht verbieten, sondern nur den Bundesverfassungsrichtern in deren eigenem Interesse empfehlen, ihre Meinung besser zu…“

„… sei Lucke davon überzeugt, dass die Abschaffung des Euro innerhalb weniger Tage mehr als zehn Millionen neue Vollzeitjobs allein in Deutschland…“

„… fuße der Verbraucherschutz auf der Abschaffung des Euro, wodurch viele positive Effekte nicht unbedingt ausgeschlossen seien, weshalb auch die…“

„… werde der Bau des Stuttgarter Tiefbahnhofs durch das Ende der Finanzierung in Euro natürlich umgehend…“

„… sei es wissenschaftlich erwiesen, dass die Abschaffung des Euro in Deutschland schlagartig zu einem enormen Wirtschaftswachstum in sämtlichen europäischen…“

„… werde Stuttgart 21 mit dem Ende der Schreckensherrschaft des Euro endlich wie geplant zu einer friedlichen Großbaustelle im…“

„… habe Sarrazin eine Parteimitgliedschaft abgelehnt, solange es andere Mitglieder nichtarischer Herkunft…“

„… die Endlagersuche laut Parteiprogramm durch die Abschaffung des Euro automatisch…“

„… werde die Abschaffung des Euro, so Schachtschneider, das Wetter in Deutschland sehr viel angenehmer und…“

„… anderen Positionen gegenüber offen. Sollte ganz Südeuropa geschlossen in die staatliche Insolvenz treten und den Euro verlassen, sei Deutschland durchaus gewillt, weiterhin in der Gemeinschaftswährung…“

„… habe sich Henkel für ein Ende der politischen Korrektheit ausgesprochen. Es sei aus vielen Gründen ratsam, keine Baufinanzierung mehr an Neger zu…“

„… seien blühende Landschaften durchaus im Bereich der nicht auszuschließenden…“

„… habe Schill eine Parteimitgliedschaft nicht generell abgelehnt, falls er als Vorsitzender gewählt würde und in der Regierung wesentliche Teile des Betäubungsmittelgesetzes neu…“

„… sich Sonneborn an einer Übernahme nicht interessiert gezeigt habe. Die AfD, so der PARTEI-Mann, sei zwar eine schmierige rechtspopulistische Partei aus dem Bilderbuch, in ihrer Erscheinung jedoch derart unprofessionell, dass es für eine erfolgreiche Zusammenarbeit keine…“

„… sei die Abschaffung des Euro definitiv die einzig richtige Lösung. Bis zur Wahl werde sich die Partei bemühen, dass passende Problem zu…“

„… begrüße Wagenknecht den Abzug der Verfassungsschützer, die nun ausschließlich für die AfD…“

„… wehre sich Lucke gegen den Vorwurf, die AfD sei eine Ein-Themen-Partei. Man sei ja nicht nur angetreten, um endlich den Euro abzuschaffen, sondern wolle nach dem Einzug in den Deutschen Bundestag auch sofort die Diäten…“

„… als Anpacken für Deutschland. Das Zeitarbeitsunternehmen prüfe außerdem rechtliche Schritte, ob das Logo der…“





Erster

15 04 2013

„Und was soll das jetzt für einen Effekt haben?“ „Naja, Wettbewerb halt.“ „Was Sie nicht sagen. Das Ding heißt Pakt für Wettbewerbsfähigkeit, und am Ende kommt dann der Wettbewerb. Diese Kanzlerin ist ja näherungsweise genial.“ „Sparen Sie sich Ihre Ironie, das ist tatsächlich wichtig.“ „Warum?“ „Es hätte am Ende ja auch um Wettbewerbsfähigkeit gehen können.“ „Jetzt verstehe ich immer, warum alle Merkel für eine fähige Kanzlerin halten.“

„Jedenfalls hat die Bundeskanzlerin damit wieder einmal beweisen, dass sie die richtigen Ideen für Europa hat.“ „Nämlich welche?“ „Dass Europa mehr Wettbewerbsfähigkeit, mehr Wettbewerb, also wir brauchen mehr Fähigkeit zum Wettbewerb.“ „Das würde ich als Problem sehen, aber nicht als Lösung.“ „Den Wettbewerb?“ „Den auch, aber zu sagen, dass wir mehr Wettbewerb in Europa haben müssen, führt uns auch nicht viel weiter.“ „Aber es ist schon mal kein Rückschritt. Damit ist doch bereits viel gewonnen.“ „Es mangelt es uns demnach also an Wettbewerb.“ „Wir müssen wettbewerbsfähiger werden.“ „Uns fehlen die Fähigkeiten – ja, dem würde ich im Falle der Kanzlerin durchaus zustimmen.“ „Möglicherweise war damit aber auch schon der Fachkräftemangel gemeint. Man weiß es nicht, die Kanzlerin hat sich noch nicht dahin gehend geäußert.“ „Klingt logisch, sie weiß ja immer erst, was sie denkt, wenn sie hört, was sie sagt.“

„Auf jeden Fall muss man Europa wettbewerbsfähig machen.“ „Also fähig für den Wettbewerb?“ „Sage ich doch.“ „Gegen wen?“ „Ich sagte doch: für den Wettbewerb.“ „Aber gegen wen treten denn die europäischen Staaten an?“ „Im Wettbewerb.“ „In der Forschung, in der Produktion, in der Verkehrsinfrastruktur?“ „Auf dem Markt, oder was hatten Sie gedacht?“ „Markt ist alles.“ „Sagt ja die Kanzlerin auch immer.“ „Warum sollte sie auch intelligenter sein als diese Regierung.“ „Deshalb machen wir Europa ja auch fit für den Wettbewerb.“ „In Europa.“ „Ja sicher. Wieso?“ „Weil es einen freien europäischen Markt gibt, zumindest sollte es den geben.“ „Ist das nicht gut so?“ „Das heißt dann, wir wollen mehr Wettbewerb auf dem europäischen Markt.“ „Das ist doch auch gut so.“ „Wir wollen also mehr Konkurrenz, und wenn wir endlich mehr Konkurrenz haben, sinken die Preise.“ „Ja, das ist doch…“ „Und mit sinkenden Preisen haben wir sinkende Umsätze.“ „… endlich mal eine…“ „Und damit haben wir dann auch wieder sinkende Beschäftigungszahlen.“ „… gute Nachricht.“ „Und noch mehr Arbeitslose sind also gut für die Wirtschaft?“ „Weiß ich nicht, ich habe die Kanzlerin noch nicht gefragt. Klingt aber logisch.“

„Wettbewerb, das heißt doch: jeder sollte besser sein können als der andere.“ „Würde ich sagen.“ „Und wer am Ende besser ist, gewinnt.“ „Würde ich sagen.“ „Und deshalb schließt man einen Pakt in Europa.“ „Würde ich… – worauf wollen Sie jetzt eigentlich hinaus?“ „Die europäischen Nationen schließen einen Pakt und wollen sich dann gegenseitig auf dem Binnenmarkt ausbooten?“ „Das sagen Sie. Ich würde meinen, die Kanzlerin setzt da viel mehr auf die europäische Solidarität.“ „Wegen des gemeinsamen Paktes.“ „Richtig.“ „Das klingt vernünftig. Alle Bundesligamannschaften legen zusammen und bezahlen denselben Trainer, damit sie hinterher alle gegen die anderen gewinnen und Fußballmeister werden.“ „Sie sehen doch selbst, dass dieser Vergleich hinkt.“ „Warum?“ „Die Kanzlerin ist doch gar nicht am Geld interessiert.“

„Das mit dem Angebot hätten wir ja jetzt geklärt. Was ist eigentlich mit der Nachfrage?“ „Wieso Nachfrage?“ „Haben Sie eine andere Definition von Markt?“ „Wir als Exportnation müssen natürlich zunächst sehen, den Bedarf der anderen Nationen zu befriedigen.“ „Und wenn die sich durch die aktuellen Entwicklungen gar keine deutschen Produkte mehr listen können?“ „Müssen sie aber. Selbst produzieren können sie ja längst nicht mehr, weil sie keine Kredite für Investitionen mehr bekommen.“ „Deshalb werden sie trotzdem nichts mehr aus Deutschland kaufen.“ „Müssen sie. Es gibt ja nur noch deutsche Exporte.“ „Ich nehme an, sie meinen Arbeitslosigkeit.“

„Trotzdem müssen wir im globalen Maßstab viel wettbewerbsfähiger werden.“ „Müssen wir?“ „Wir sind ein rohstoffarmes Land, deshalb ist uns das geistige Eigentum wichtig.“ „Die Presseverlage retten Europa? interessante Ansicht, muss ich schon sagen.“ „Nein, ich meine ja nur, dass man mit Forschung und Patenten und…“ „Sind wir dann in Europa nicht viel wettbewerbsfähiger, weil wir uns die tollen Produkte ausdenken, die in China billig nachgebaut werden?“ „Sie verstehen das nicht, wir müssen Europa doch insgesamt…“ „Und dann treten wir gegen den Rest der Welt an? Auch gut. Ich würde trotzdem gerne mal wissen, warum wir dann einen Wettbewerb innerhalb der Eurozone brauchen.“ „Einer muss schließlich erster werden. Wie sieht das denn sonst aus?“

„Die Kanzlerin schlägt uns also einen Pakt vor, damit wir alle gemeinsam gegeneinander antreten, um zusammen im Wettbewerb gegen Drittländer zu bestehen.“ „Kann ich mir nicht vorstellen.“ „Warum nicht?“ „Naja, wir brauchen schließlich europäische Solidarität. Lohnkosten senken, Renten dezimieren, Sozialleistungen schleifen. Wir wollen doch zu einer gemeinsamen Lösung finden, oder?“





Schuldenschnitt

20 03 2013

„Still, Frau Merkel. Einfach mal die Klappe halten. Ganz still. Sonst kann ich die Spitzen hier nicht schneiden. Meine Güte, können Sie nicht einfach mal nichts tun? Das fällt Ihnen doch sonst auch nicht so schwer?

Softe Wellen, Frau Merkel. Ganz soft. Kommt vorne rein und dann hinten wieder raus. Wie die Energiewende. Aber eher die gepflegte Variante. Und dann schneiden wir den Pony da vorne etwas ab, sagen wir mal: fünf Prozent, und dann sieht die Sache gleich viel besser aus. Ach, keine fünf Prozent? Hätte ich mir denken können, Frau Merkel. Hätte ich mir denken können.

Ein anderer Style. Ganz anders. Sie hätten sagen müssen: die oberen zehn Prozent bleiben nicht ungeschoren, Sie haben gesagt: aus Solidarität erlauben wir den unteren neunzig Prozent, die Schulden des obersten Promilles zu begleichen. Das rächt sich.

Wir könnten hier oben natürlich auch etwas kürzen. Sie kennen sich ja damit aus, Frau Merkel. Allerdings kürzen Sie ja nie oben, Sie schneiden ja unten ab, damit es oben schneller nachwächst. Das sieht grauenhaft aus. Das mache ich nicht, auf gar keinen Fall. Nein! Suchen Sie sich doch einen anderen Coiffeur, wenn es Ihnen nicht passt!

Also was jetzt, ab oder nicht ab? Können Sie sich langsam mal entscheiden, Frau Merkel? Wie, beides? Das geht nicht. Hören Sie mal, wir sind nicht in der Politik. Da funktioniert das vielleicht – Sie holen sich einen von diesen südeuropäischen Marionettenregierungen, der tanzt an in Berlin und erzählt Ihnen, wie toll sich das Land entwickelt, mehr als fünfzig Prozent Jugendarbeitslosigkeit, die Renten sind im Eimer und die Gehälter auch, die Wirtschaft verreckt gerade, aber sonst geht’s allen dufte, und weil sie gerade so schön am Sparen sind, dürfen sie noch mehr sparen, und weil’s ihnen damit so gut geht, dürfen sie als Belohnung unter den Rettungsschirm, den sie selbst bezahlen. Und daraus soll ich jetzt einen Haarschnitt machen. Obwohl Sie das selbst viel besser hinkriegen.

Das ist hier hinten etwas widerspenstig, Frau Merkel. Wie Ihre CDU. Schlechtes Management, manche stehen noch aufrecht. Meine Güte, ich kann es doch auch nicht ändern! Sind das meine Haare? Sie sind doch selbst verantwortlich für die Pflege! Was erwarten Sie von mir? Dass ich jeden Tag in der Bundestagsfraktion vorbeikomme und den Leuten den Kopf wasche?

Stillhalten. Ja, da ist ein Wirbel. Da muss ich jetzt ein bisschen frisieren. Sind Sie doch gewohnt, wenn der Schäuble auf Ihnen herumfrisiert, oder? Nehmen Sie’s locker, irgendwann ist er ja auch mal fertig mit dem Bundeshaushalt, da muss man sich halt an anderen Sachen abreagieren. Ach, hat er schon? Na, dann ist ja alles gut. Er hat Ihnen höchstpersönlich eine Frisur entworfen? Das ist ja interessant. Vermutlich ein Schuldenschnitt.

Sie sollten sowieso langsam mal sehen, dass Sie etwas gegen Ihr Doppelkinn unternehmen. Das kommt vom vielen Lügen, Frau Merkel. Den einen wächst die Nase, den anderen hängt das Kinn auf die Knie.

Expressive Farbverläufe gehen dies Jahr. Von Schwarz nach Rot haben Sie schon geschafft. Wir hätten da noch ein nettes Grün im Angebot. Aber bitte ohne Aufheller, Frau Merkel. Man kriegt das mit. Der Rösler hat’s probiert, und jetzt geht er gerade von Gelb nach Kackbraun. Lassen Sie das. Und nein, ich kann das nicht immer wieder überfärben, überfärben und überfärben. Irgendwann fällt’s nämlich auf. Arbeiten Sie gefälligst an Ihren Ausreden, Frau Merkel. Zwei Millionen können nur noch mit Hilfe von Armenspeisungen überleben. Die Leute haben ein Recht, einigermaßen gut belogen zu werden. Sonst werden sie vielleicht bald wütend. Ach ja, es sind zwei Millionen Deutsche, Frau Merkel. Hatte ich vergessen.

Wieso zittern Sie eigentlich, Frau Merkel? Weil Sie Bedingungen stellen? Warum eigentlich? Sie stellen Bedingungen für Zypern, um Geld aus dem Rettungsschirm zu bekommen, und Sie wissen genau: die deutschen Banken zittern mit Ihnen, weil die Kohle sofort nach Deutschland zurückfließt? Sie spielen also, genau genommen, mit den deutschen Banken, oder noch genauer: sie lassen deutsche Investoren Männchen machen? Damit die Spareinlagen, von denen Sie erzählt haben, dass sie sicher seien, nicht plötzlich ganz sicher futsch sind? Ja, da würde ich auch zittern, Frau Merkel. Da würde ich auch zittern.

Wir hatten das schon mal. Deutschland hatte sich da auch gerade mit ein paar Nachbarn wiedervereinigt, wenn Sie sich erinnern. Österreich war dabei. Es gab die, die freiwillig mitmachten, und die, denen wir es zeigen mussten, Frau Merkel. Sie haben offensichtlich kein Problem damit, den Zyprioten ihr Glück aufzuzwingen. Ihr Glück, Frau Merkel.

Ach, Sie möchten mit Ihrem neuen Schnitt auf die Titelseiten? Werden Sie, Frau Merkel. Werden Sie. Darauf können Sie sich verlassen.“





Handbremse

12 12 2012

„Und das war Deutschland.“ „Moment, erstmal war ja nur Bochum im Eimer.“ „Aber es haben alle gewusst, dass das der Anfang vom Ende war.“ „Alle?“ „Alle. Die meisten haben es nur nicht zugeben wollen.“

„Man hätte es doch aber wissen können.“ „Sie hätten es wissen müssen. Eigentlich hatte keiner einen Zweifel, dass sie Europa zerstören.“ „Warum ist das keinem aufgefallen?“ „Sie hatten damals noch ein falsches Bild von Europa. Sie hielten es für eine Wundertüte, aus der sich jeder nehmen dürfte, was ihm passt.“ „Sie hatten die Zusammenhänge vergessen.“ „Sie haben die Menschen vergessen. Aber das war ja nicht das erste Mal.“ „Weil das auch am Spardiktat lag. Das hat auch niemand verstanden.“ „Was man spart, ist ja nicht weg, es landet nur bei den anderen.“

„Wie kam es damals dazu, dass sie diese Autofabrik geschlossen haben?“ „Möglicherweise lag es schon daran, dass in Bochum mal diese Telefonfabrik war. Die waren von Nordrhein-Westfalen nach Rumänien weitergezogen.“ „Und dann nach Bangladesch.“ „Und dann nach Myanmar. Man kann es sich nicht aussuchen.“ „Die hatten vergessen, dass jemand die Auto kaufen muss.“ „Das tun sie häufiger: den Kunden aus der Nahrungskette streichen.“ „Es sind Kapitalisten.“ „Deshalb ja. Es zählt nicht, was man für das Geld kaufen kann. Es zählt, dass man es auf dem Konto hat.“ „Wozu übrigens?“ „Sie haben es mit Macht verwechselt.“ „Deshalb waren sie auch so erfreut, als die ärmeren Länder plötzlich immer ärmer wurden.“ „Wie gesagt, sie hatten sich verrechnet. Sie haben ihre Kunden ausgehungert und ihnen das letzte bisschen Geld aus der Tasche gezogen. Und dann haben sie sich Schuldscheine ausstellen lassen.“ „Damit es immer weiter so geht?“ „Ein paar von ihnen sind verhungert. Dann kam der Bürgerkrieg, und die erste Widerstandsbewegung wurde gegründet.“ „Warum sind die Reichen nicht umgekehrt?“ „Sie konnten nicht mehr. Sie haben in Fonds und Limousinen investiert statt in Rüben und Kartoffeln. Auf einmal haben sie dann gemerkt, dass man Karosserieteile nicht essen kann.“

„Die sieben Millionen Arbeitslosen…“ „… waren ein netter Versuch. Dabei hat es ihnen keiner geglaubt, da die Hälfte des Landes an chronischer Unterernährung litt.“ „Aber wir waren doch Exportweltmeister.“ „Es muss ja einen geben, der sein Geld freiwillig aus dem Fester schmeißt. Viele offene Rechnungen, aber keiner hat gezahlt.“ „Dabei hatten sie doch gesagt, sie wollten wie die schwäbische Hausfrau wirtschaften.“ „Die schwäbische Hausfrau hätte nicht die halbe Welt bei sich auf Pump kaufen lassen.“ „Dann waren die großen Überschüsse doch sowieso nur virtuell.“ „Mehr noch: sie waren eingebildet.“

„Im Nachhinein kann man sich nur wundern, dass es so lange gehalten hat.“ „Das zählt dazu. Sie haben sich auch eingebildet, dass es hält.“ „Und sie haben immer nur mehr Güter erfunden, die man aus der Luft greift.“ „Der Nachteil ist, dass man sie irgendwann mit realem Geld bezahlen musste. Und sei es mit Steuern.“ „Das wäre nicht so schlimm gewesen.“ „Falls die Reichen unter ihnen jemals Steuern gezahlt hätten.“

„Der letzte Nobelpreis ging an den, der diese Jahre als Epoche überbordender Immaterialgüter bezeichnet hatte.“ „Das ist der Punkt. Sie haben ihre Machtinteressen an nur scheinbar existenten Dingen befestigt.“ „Ein Leistungsschutzrecht für Texte, deren Urheber keinen Cent gesehen haben.“ „Und Schutzschranken, die sie hochziehen konnten, in beliebige Höhen, für beliebige Zeit.“ „Damit haben sie Bochum zum Fanal gemacht.“ „Sie haben plötzlich gesehen, dass man sie zwang, den Karren bergauf zu schieben. Aber bei angezogener Handbremse.“ „Die Autofabrik?“ „Oder Europa, dasselbe. Egal.“ „Jedenfalls haben sie sich verschätzt, als sie eine Menge Patente einfach dem Mutterkonzern schenkten. Als würde man einem Einbrecher den Schlüssel in die Hand drücken, damit er den Hausherrn vor die Tür setzen könnte.“ „Warum haben das vernünftige, zivilisierte Leute getan?“ „Sie haben ihren Dogmen geglaubt. Die konnten nicht falsch sein, denn: es waren Dogmen.“

„Henry Ford hat einmal gesagt: Autos kaufen keine Autos.“ „Henry Ford war Kapitalist.“ „Wo ist der Unterschied?“ „Ein echter Kapitalist hätte keine Bank gerettet, er hätte sie untergehen lassen. Wenn es ihm nicht gepasst hätte, er hätte einfach eine neue gegründet.“ „Deshalb mussten sie ihre Autos mit Stützkäufen am Markt halten.“ „Wie die Zeitungen.“ „Und den Euro.“ „Und die Demokratie.“

„Sie haben ja Recht gehabt, paradoxerweise.“ „Kurz vor Schluss haben sie noch mal jedem gesagt, dass sie die Autoindustrie ruiniert hatten, um die Umwelt zu schützen. Aber da hat ihnen schon niemand mehr geglaubt.“ „Angesichts der massiven Überproduktion an Autos fiel ihnen ja auch nur ein, die Löhne zu senken, um billiger zu produzieren.“ „Dann standen die Autos zwar noch immer zu Hunderttausenden herum, aber sie waren wenigstens billig.“

„Keiner konnte sich mehr Brot kaufen.“ „Die Reichen konnten sich kein Brot backen.“ „Womit auch.“ „Immerhin, sie hätten fliehen können.“ „Wie denn?“ „Es gab überall Autos.“





Pest oder Cholera

18 07 2012

„Eine Zwangsanleihe? Für Reiche!? Das ist doch wohl nicht Ihr Ernst!“ „Warum nicht? Irgendwie muss man die Krise doch in den Griff bekommen.“ „Aber doch nicht so! Das grenzt ja an Stalinismus!“ „Da die Idee in der Ost-CDU so gut aufgenommen wird, will ich Ihnen nicht widersprechen.“

„Also jetzt mal im Ernst, das ist nur Wahlkampf, oder?“ „Meinen Sie? Damit würde sich jedenfalls die deutsche Einnahmenseite erheblich verbessern.“ „Schäuble sagt, dass das gar nicht nötig sei.“ „Er bezieht das vermutlich auf die Steuerhinterziehung bei seinen Parteifreunden.“ „Aber das geht doch wieder nur zu Lasten der Mittelschicht.“ „Weil man als Mittelschichtfamilie so gut wie immer über eine halbe Million Euro Kapital verfügt?“ „Nein, aber…“ „Ah, ich verstehe. Weil diejenigen, die in diesem Land noch so unvorsichtig sein, Steuern zu bezahlen, aus der Mittelschicht kommen.“ „Hören Sie mir doch mal zu – weil in Deutschland fast alles von der Mittelschicht getragen wird, um den Staat zu finanzieren!“ „Und das hat diese Regierung je zuvor gestört? Das wäre mir neu.“ „Man kann das doch nicht immer alles von der Mittelschicht nehmen! Das ist doch nicht gerecht!“ „Natürlich nicht. Was würden Sie vorschlagen, dass wir nur Arbeitslose und Niedriglöhner heranziehen, wenn sie mehr als 250.000 Euro pro Person auf der hohen Kante haben?“

„Es wären acht Prozent der Bevölkerung betroffen. Das geht doch nicht!“ „Sie haben völlig Recht. Man sollte das eine reichste Prozent einfach enteignen, aber das Geld ist vermutlich auch irgendwann aufgebraucht.“ „Quatsch, man müsste diese Zwangsanleihe viel breiter streuen.“ „Ich verstehe. Sie finden so eine Zwangsanleihe für Reiche auch okay, solange sie von den Armen bezahlt wird.“ „Das ist doch wieder nur reiner Populismus!“ „Wie wäre es, wenn wir dieses Modell auf Europa ausweiten?“ „Wie geht das denn? Sollen jetzt die Spanier und die Griechen ihre Vermögen zwangsweise hergeben, um den deutschen Staatshaushalt zu unterstützen?“ „Aber nein. Nur die deutschen Banken.“

„Wenn Sie Geld abschöpfen von den Reichen, dann sind das doch nichts anderes als eine neue Schuldenfinanzierung.“ „Seit wann stört das eine konservative Regierung?“ „Und wäre das nicht sinnlos, wenn Deutschland alleine so ein Instrument einführte, ohne die anderen Eurostaaten?“ „Seit wann hat diese Kanzlerin etwas gegen Alleingänge in der EU?“

„Am Ende werden diese Gelder doch wieder nur dazu verwendet, um die Wirtschaft bei Laune zu halten.“ „Wer hat Ihnen denn den Floh ins Ohr gesetzt?“ „Wenn die riechen, dass wieder genug in der Kasse ist, halten die schon von ganz alleine die Hand auf.“ „Ich dachte, Lobbyisten bezahlen?“ „Wenn Sie Energie erzeugen oder Hedgefonds, sind sie ohne Subventionen nicht überlebensfähig.“ „Dann sollten wir vielleicht doch Kürzungen im Sozialbereich durchsetzen. Oder bei der Bildung.“ „Wieso gerade da?“ „Weil es da die Reichen nicht so merken.“

„Wir müssen allerdings auch Ausnahmen zulassen.“ „Ausnahmen? Sie meinen sicherlich Härtefälle, wo man mit 200.000 Euro Ehrensold knapp unterhalb des Existenzminimums dahinvegetiert?“ „Blödsinn – eine fest definierte Untergrenze sollte eingezogen werden. Sonst wird die Bemessungsgrenze kontinuierlich abgesenkt, dann blutet die Mittelschicht irgendwann wirklich aus.“ „Sie haben vielleicht eine Fantasie! Meinen Sie nicht, durch freundschaftliche Kontakte der Politik ins Lage der Vermögenden würde man die Grenze eher kontinuierlich anheben?“ „Dann hätte der Staat doch gar nichts mehr davon.“ „Immerhin könnten wir dann vielleicht endlich mal wieder über Steuersenkungen reden. Das letzte Mal ist ja auch schon wieder Jahre her.“ „Sie nehmen die Sache wohl nicht besonders ernst?“ „Wie stellen Sie sich das denn vor? dass da ein Oberfinanzdirektor mit der Flinte aus dem Gebüsch hüpft und ‚Geld oder Leben!‘ kreischt?“ „Was macht das denn für einen Unterschied?“

„Wissen Sie, ich halte das für eine gute Idee, um die Linke auszuschalten.“ „Aber die würde doch sofort zustimmen, wenn die Zwangsanleihe käme.“ „Die würde aber auch sofort zustimmen, wenn die Regierung die Vermögenssteuer einführen würde, die sie die ganze Zeit fordern.“ „Weil das eine Idee der Linken war?“ „Nein, aus Genugtuung, dass die SPD mal wieder unter lautstarkem Protest der Merkel die Mehrheit rettet, obwohl sie die Sache für komplett falsch und gefährlich einstuft.“ „Das ließe ja zumindest darauf hoffen, dass wir den Mindestlohn noch erleben.“ „Na, so weit wollen wir noch nicht gehen – erstmal schauen wir zu, wie die Regierung den Reichen die Wahl zwischen Pest und Cholera lässt.“ „Vermögenssteuer und Anleihe, richtig?“ „Genau. Und raten Sie mal, wie die sich entscheiden werden.“ „Für eine Zwangsanleihe auf jeden Fall schon mal nicht.“ „Wieso nicht? Wir hatten doch sogar schon Kapitaleigner, die ihr Geld zum negativen Zinssatz dem deutschen Staat überlassen haben. Warum soll das nicht auch hier funktionieren?“ „Weil eine Steuer verlässlicher ist…“ „Witzbold!“ „… und auch wieder gesenkt werden kann, wenn die FDP…“ „Sonst geht es Ihnen aber gut?“ „Wie wollen Sie denn sonst die Reichen dazu bringen, ihre Kohle einfach herzugeben? Das machen die doch nie!“ „Sicher doch.“ „Sicher?“ „Sie kennen das doch von der Börse: Ihr Geld ist nicht weg, das hat jetzt nur jemand anders.“





Egoland

28 06 2012

„Das hatte ich jetzt richtig verstanden? Solange sie lebt?“ „Womit es wieder einmal bewiesen wäre: diese Kanzlerin fährt auf Sicht.“

„Scheinbar ist die Guteste im Fußballfieber?“ „Weil sie sich selbst Mut macht, nachdem sie endlich begriffen hat, dass sie nach der nächsten Niederlage raus ist?“ „An sich meinte ich nur diese Affinität zu Eigentoren.“ „Versuchen wir es lieber mit dem klassischen Autofahrergleichnis. Das ist die einzige Metapher, die der Deutsche akzeptiert.“ „Danach wird sie dem Gegenverkehr aus Prinzip nicht ausweichen.“ „Wie sich das eben für eine Geisterfahrerin gehört.“

„Merkel widerspricht sich selbst doch selbst.“ „Das wäre noch zu hinterfragen, vor allem vom Ende aus gesehen – entscheidend ist ja, was hinten rauskommt.“ „Nach einer Laufzeitverlängerung um jeden Preis, der Beibehaltung der Wehrpflicht und der Weigerung, auch nur einen Cent an Griechenland zu zahlen, könnte man die Haltung der Bundeskanzlerin als dialektisch erfolgsorientiert ansehen.“ „Und dann wäre ein Einknicken in der Frage der Schuldenverteilung anständig.“ „Der Punkt ist, dass sie ihr Versagen nicht einmal mit machtpolitischen Phrase verkaufen kann.“ „Glaube ich nicht. Der Punkt wird sein, dass sie das Versagen der Regierung nicht wird wegmoderieren können.“ „Weil sie sich zu oft geirrt hat?“ „Weil sie es keinem Minister in die Schuhe schieben kann.“

„Warum macht man so eine Erklärung?“ „Als kleinen, sympathischen Aussetzer?“ „Sie meinen so wie damals, als sie sich ganz christlich über die völkerrechtswidrige Ermordung von bin Laden freute?“ „Wäre denkbar. Allerdings muss man dabei beachten, dass die Kanzlerin von Wirtschafts- und Finanzpolitik spricht.“ „Angie gegen den Rest der Welt?“ „Verkehrs- und Sozial- und Kultur- und Innenpolitik ist doch für die FDJlerin dasselbe: Machterhalt.“ „Sie war für das bisschen Vakuum, das Sarkozy hinterlassen hat, offensichtlich nicht schnell genug.“ „Und Hollande scheint zu wissen, was gespielt wird. Der Luftraum für weitere Eskalationen wird langsam knapp.“ „Ich begreife es trotzdem nicht: sie lügt entweder mit dem Rücken an der Wand oder sie hat längst jede Bodenhaftung verloren und lebt ihre Wolkenkuckucksträume im Egoland aus, wo man sich die Wirklichkeit aus kleinen Klötzchen zurechtbastelt.“ „Sie passt sich dem Niveau ihres Koalitionspartners an.“ „Es scheint der Masterplan der Kanzlerin zu sein, dass sie eine nicht demokratisch legitimierte Finanzjury als Ersatzregierung installieren will und kurz zuvor noch verkündet, gegen die Ziele der Zentralisten angehen zu wollen. Ein Besoffener, der seine Schuhe nach dem Mond schmeißt, um das Licht auszuknipsen, könnte nicht glaubwürdiger sein.“ „Sie müssen das mit dem christlichen Dualismus immer im Hinterkopf behalten. Merkel weiß zwar, dass sie die Axt an die Demokratie legt, aber sie macht ihre Bedenken vorher noch transparent.“ „Dann ist es das neoliberale Erfolgsmodell: wenn alle sich im Rahmen der unabänderlichen Möglichkeiten um Konkurrenzfähigkeit auf den demokratiekonformen Märkten bemühen, dann werden nach der Theorie am Ende auch alle Sieger im Wettbewerb, weil alle Exportweltmeister sind und bei allen anderen Guthaben besitzen, so dass es überhaupt keine Schulden gibt.“ „Sie rauchen das Zeug von Westerwelle, oder?“

„Keinem ist es aufgefallen: diese Kanzlerin warnt vor Scheinlösungen und Augenwischerei.“ „Lustig, dann hat sie zur Kenntnis genommen, dass die Euro-Krise nichts ist als eine Refinanzierung von Spekulationsverlusten? Welches Kasino würde einem, der sich an der Roulette um Kopf und Kragen spielt und von der Bank den Einsatz erpressen will, freundlicherweise die Kohle wieder in die Hand drücken? Nebst Zinsen?“ „Sie hat in ihrem moralischen Eifer sicher Bonds mit Boni verwechselt.“ „Den Unterschied hat ihr Ackermann erklärt?“ „Das ist die Logik aus dem Kinderland der bunten Klötzchen: wenn Merkel rechtzeitig einen Schuldigen für die Insolvenz der Bundesrepublik benannt hat, dann sind die anderen Verursacher aus dem Schneider.“ „Da werden sich die Zocker aber mal freuen, dass ihre Handpuppe so viel Macht demonstriert hat.“ „Das sieht schließlich nach Verantwortungsbewusstsein aus und verdient tiefen Respekt.“ „Irrtum ausgeschlossen?“ „So sicher, wie die Mauer in hundert Jahren noch steht.“

„War das eine etwas verfrühte Eröffnung des Wahlkampfes?“ „Bestimmt nicht. Dazu hätte sie ja wissen müssen, wovon sie spricht.“ „Im Leben nicht!“ „Eben. Und vielleicht identifiziert sie sich auch inzwischen so sehr mit dem Euro, dass Sie dessen Exitus für sich selbst in Anspruch nimmt.“ „Sie wird uns sicher nicht verlassen, ohne uns an den größten Geheimnissen teilhaben zu lassen.“ „Als da wären?“ „Wie man durch Sparen die Wirtschaft ankurbelt. Und wie Exportwirtschaft ohne Kapitaltransfer funktioniert. Der Nobelpreis dürfte ihr sicher sein.“

„Meinen Sie, irgendjemand würde noch einmal mit Nachsicht über diese Kanzlerin urteilen?“ „Nur über ihre Leiche.“





Kriegswirtschaft

29 11 2011

„Vorsicht mit dem Kopf!“ Doch da hatte ich mich schon gestoßen. Leutnant Michaeli betastete meine Stirn. „Gibt eine schöne Beule“, sagte er mit halb tröstendem, halb vorwurfsvollem Unterton, als hätte ich das Rohr an der Decke bei dieser miesen Beleuchtung sehen können, „aber sonst ist ja alles noch dran.“ Wieder einmal verfluchte ich mich dafür, in den Untergrund gegangen zu sein. Aber wo sonst sollte man diese Leute jagen, die unserem Land den Untergang zu bereiten versuchen. Tief unter dem Herzen der Stadt, wohin kein Lichtstrahl dringt, hier saß das Sondereinsatzkommando der Finanzaufsicht.

„Wirtschaft ist Krieg.“ Der Leutnant reckte sein Kinn hart in die düstere, halbdunkle Kellergruft; bunt flackerten die Börsenmonitore im Hintergrund und gaben eine schwache Ahnung davon, wie die Entscheidungsschlachten dort oben um den DAX tobten. Spekulanten attackierten die Eurozone, das Parlament ließ sich in höchster Not Sonderrechte zum Verscherbeln der Leitwährung geben. „Wir sind als Eingreiftruppe aufgebaut worden, um die Entscheidungen des Bundesfinanzministeriums und der Bundeskanzlerin zu flankieren.“ Ich zog eine Augenbraue hoch; es war Michaeli nicht entgangen. „Ja, flankieren. Wir können ja schließlich nicht einfach selbst etwas unternehmen. Schließlich herrscht noch immer das Primat der Politik, wir als Behörde wollen uns da keinesfalls einmischen.“ „Ach“, merkte ich lakonisch an, „deshalb fragt die Kanzlerin ja sicher auch immer nach, was sie den Finanzjongleuren gerade noch androhen darf.“

Der Leutnant hatte sich unvermittelt umgedreht. „Sie sind mir nicht gerade als linientreu beschrieben worden“, knurrte er. „Ich werte das mal als Kompliment“, gab ich knapp zurück. „Gut“, nickte er. „Sehr gut. Dann werde ich Ihnen zeigen, was wir wirklich tun. Auf eigene Faust übrigens. Sie haben das alles hier jetzt nicht gesehen, ja?“

Hinter der eisernen Tür befand sich ein geheimer Kommandostand. Der Raum war karg eingerichtet. Eine nackte Glühbirne an der Decke warf grelles Licht auf den rissigen Betonboden und die splitterigen Wände. Ein paar Kisten standen an den Wänden, eine Wandtafel, ein Schemel, ein Papierkorb. Das also war das Herz des Widerstands.

Michaeli setzte sich auf den Schemel. „Es ist Terrorismus – Wirtschaft ist Terrorismus.“ „Nicht die Wirtschaft an sich“, korrigierte ich, „sondern die Spekulation durch diese – “ „Wirtschaft ist Terrorismus“, wiederholte er, hart und unbeirrt. „Dies Wirtschaftssystem ist nichts anderes als ein permanenter Krieg mit anderen Mitteln. Sie sind es aus der Geschichte gewohnt, dass man andere Völker aus Gründen der territorialen Expansion angreift und die Bürger dazu bringt, sich für die Interessen einiger Multimilliardäre gegenseitig Kugeln in den Schädel zu schießen?“ „Das ließe immer noch darauf schließen, dass Wirtschaft die Vorstufe des Kriegs mit anderen Mitteln ist.“ Michaeli schüttelte den Kopf. „Zu kurz gegriffen. Es ist Terror.“ Dumpf und verzweifelt sah er auf die Karten an der Tafel, mit Bleistiftmarken und Fähnchen übersäte Karten von Europa und der Welt, Deutschland ein blutroter Fleck in der Mitte. „Es ist Terrorismus. Wie definieren Sie das?“ „Ein Eingriff in die Sicherheit eines Staates“, antwortete ich irritiert, „um dann die verunsicherte Sicherheit in die – was wollen Sie eigentlich!?“ Leutnant Michaeli nickte. „Ich sehe, Sie haben das bekannte Problem. Die Angreifer versuchen, ein System auszuhebeln, indem sie immerzu neue Sicherheitslücken aufzeigen und damit nach und nach die Handlungsfähigkeit der Gesellschaft lähmen, bis sie sich ergeben muss.“ „Das gilt für den politischen Terror“, wandte ich ein, „aber sind Sie sich sicher, dass es auch für die Wirtschaft gilt?“ Michaeli nickte. „Selbstverständlich. Nehmen Sie doch das aktuelle Beispiel. Italien muss mehr als sieben Prozent Zinsen bieten. Sieben Prozent!“ „Das bedeutet, sie müssen in einem Modell, das auf unnützes Wachstum durch Börsenblasen setzt, noch einmal trotz ihrer enormen Verschuldung Wachstum produzieren. Nur für die Zinsen.“ Wieder nickt er. „Aber je höher dieser Zinssatz ausfällt, desto eher führt er direkt in eine Rezession, die nochmals die Schulden erhöhen und die Zinsen.“ „Sie meinen“, fragte ich, „man hat die Länder in eine Falle gelockt, aus der sie nicht mehr ohne fremde Hilfe hinauskommen?“ Diesmal schüttelte er entschieden den Kopf. „Sie kommen gar nicht heraus. Nicht einmal mit fremder Hilfe. Es ist wie Treibsand. Wenn Sie einmal drinstecken, haben Sie es gehabt.“

Er fuhr sich nervös durchs Haar. „Die Märkte sind nicht das Opfer, das geschützt werden muss, das redet uns diese Regierung nur ein. Sie sind die Täter.“ „Die Regierung?“ Ein bohrender Blick strafte meine vorwitzige Bemerkung. „Die Märkte – was auch immer diesen unsinnigen Plural noch rechtfertigen mag.“ Ich konnte nicht anders; ich lächelte. „Das hieße dann ja, dass Sie derselben Meinung sind wie die Presse, die die bösen Spekulanten zu Bösewichten erklärt und ein hartes Durchgreifen der unfähigen Marionetten in den Regierungen verlangt.“ „Nicht ganz“, antwortete er mit belegter Stimme. Er zog einen Aktendeckel aus der Schublade, warf ihn auf den Tisch und klappte ihn auf. „Wir wollen an die Hintermänner.“ Da blickten sie mich an, Kanzlerin, Finanzminister und der ganze Rest. „Wir verteidigen die Demokratie gegen die Märkte. Gegen alles, was sich in ihren Dienst stellt. Es ist Terror. Und mit Terroristen wird nicht verhandelt.“





Agenda Merkel

15 09 2011

„Wozu eine Agenda? Es würde doch schon reichen, wenn man wüsste, wo vorne ist.“ „Warum nur so kritisch?“ „Weil man weder weiß, wo vorne ist, noch, ob sich gerade etwas mit Absicht in eine Richtung bewegt.“ „Deshalb ja eine Agenda.“ „Und was würde eine Agenda an der aktuellen Lage verändern?“ „Nichts. Aber wir hätten eine Agenda.“

„Es ist doch illusorisch, anzunehmen, dass sich die Kanzlerin an einen Fahrplan halten würde.“ „Das würde ich so nicht sagen. Immerhin weiß man mit einem Fahrplan, wo die Endhaltestelle ist.“ „Damit sie nicht auf Sicht fahren muss?“ „Und sie weiß ungefähr, wie lange die Reise dauert.“ „Ihren Koalitionspartnern scheint das ja weniger klar zu sein.“ „Eben, deshalb ist ja auch sie die Kanzlerin – und nicht eine dieser pubertierenden Witzfiguren.“ „Trotzdem, sie wird sich bewegen müssen.“ „Sie waren doch eben gerade noch gegen eine Agenda? Was denn nun, politische Richtung oder lähmendes Aussitzen?“ „Kann man nicht beides verbinden?“ „Müsste zu schaffen sein. Dann versuchen wir es mal mit der Agenda Merkel.“ „Warum nicht Agenda 2020?“ „Einerseits würde ich sagen, dass diese Marke seit Schröder etwas gelitten hat.“ „Und andererseits.“ „Das wollen Sie gar nicht wissen.“

„Gut, dann eine Agenda Merkel. Was kommt als erstes auf den Plan? Die Arbeitslosigkeit?“ „Sicher, die muss doch erhalten bleiben. Ansonsten wäre der Exporterfolg nachhaltig beschädigt.“ „Sie verstehen nicht: es ging um die Beseitigung.“ „Das ist eines der entschiedenen Ziele der CDU-Sozialpolitik, richtig.“ „Nein, die Beseitigung des Sozialstaates war hier nicht gemeint, sondern die politische…“ „Das verstehen Sie falsch, die Kanzlerin kümmert sich nicht um die politischen Folgen ihrer Ideen. Dazu hat sie ja die Ministerien, von deren Arbeit sie jeweils aus den Abendnachrichten erfährt.“ „Wenn es hier überhaupt keine konzertierte Arbeit geben sollte, wozu brauchen wir dann eine Agenda?“ „Man soll die Hoffnung ja nicht aufgeben, dass sie in ihrer Schlussphase noch ein paar Anfängerfehler beseitigt.“

„Hat denn die Kanzlerin nicht erst in der Haushaltsdebatte eine Parlamentsrede gehalten und ihrer Partei erklärt, worum es ihr geht?“ „Was sicher auch recht überraschend gewesen sein muss für die Partei.“ „Dass man ihr etwas erklärt?“ „Dass Merkel überhaupt politische Ziele verfolgt. Aber das ist nicht das eigentliche Problem.“ „Weil man in der CDU geahnt hat, dass die Kanzlerin sich ab und zu auch politisch betätigt?“ „Weil der Rest der Republik zu der Vermutung keinen Anlass hat.“ „Aber sie muss doch wenigstens irgendwann eine politische Leitlinie verkündet haben.“ „Eine Leitlinie schon, aber wie kommen Sie auf den Trichter, die hätte etwas mit Politik zu tun?“ „Das muss doch mit Globalisierung, Zentralisierung und Stabilisierung zu tun haben, oder womit sonst?“ „Vornehmlich mit den inneren Werten der Union, und die haben ja nun mit der Wirklichkeit nicht viel zu tun.“ „Aber die Stabilisierung…“ „… von Energiekonzernen und Verlagsmonopolen, aber mehr auch nicht.“ „Und sonst hat es keine Linie?“ „Wenn Sie den Abbau der Bürgerrechte abziehen, nein.“ „Aber was für eine Agenda soll denn da noch kommen? Können Sie mir das bitte mal verraten?“ „Sie hat es doch selbst gesagt: ‚Wir haben den Mut und die feste Absicht, Deutschland mit einer Koalition der Mitte voranzubringen. Das sollte uns auch tragen an Tagen, an denen es schwierig wird.‘“ „Was heißt das im Klartext?“ „Es sollte uns tragen – also reines Wunschdenken. Und das stand immerhin im Koalitionsvertrag.“ „Hat die Frau eigentlich ein Brett vor dem Kopf?“ „Ich würde sagen, nein. Eher eine Mauer.“

„Könnte das eventuell damit zusammenhängen, dass Merkel nie zuhört, wenn ein anderer spricht?“ „Im Wesentlichen ja, wobei es noch zu fragen ist, wer da redet.“ „Die FDP?“ „Das ist Feigheit vor dem Feind.“ „Die Opposition?“ „Das ist eher zu bedenken. Ob das Arroganz ist oder Dummheit.“ „Also gibt es gar keine Agenda?“ „Man braucht eben die richtigen Gesprächspartner bei diesen Themen. Über die grundsätzlichen Dinge redet man nicht einfach so, da braucht es schon eine stabile Partnerschaft.“ „Wie beispielsweise die Reste der Großen Koalition?“ „Durchaus, ja. Das könnte einer der Punkte auf der Agenda Merkel sein: die Wiederherstellung stabiler Machtverhältnisse in einer neuen Koalition mit der SPD.“ „Und Sie denken, dass sie das mit dem Koalitionsvertrag ins Auge gefasst hatte?“ „Kaum, denn dann hätte sie bis zum Horizont blicken müssen; so weit, werden Sie zugeben müssen, hat sie es nie geschafft.“

„Gut, aber jetzt: was kommt denn in diese Agenda rein? Was steht da drin? Was haben wir zu erwarten?“ „Natürlich erst einmal ein Europa der Nationen und eine gemeinsame Vision, denn scheitert der Euro, dann scheitert Europa.“ „Und?“ „Und die Exportwirtschaft darf natürlich nicht so stark eingegrenzt werden, wie das jetzt gefordert wird – weil man das auch als Zugeständnis nehmen kann für die, denen die Regulierung der Finanzmärkte zu weit ginge.“ „Und?“ „Und man müsste mit dem Klimaschutz, und das kann auch die europäische Sicherheitspolitik, weil man dann die Bundeswehr auch im Innern einsetzen kann, weil sie eine Berufsarmee ist, und zusammen mit den Eurobonds, für die Hartz IV gekürzt und das Elterngeld für Arbeitslose gestrichen wird, kann man dann die Autobahnmaut, und das schließt die Erhöhung der Mehrwertsteuer noch nicht ein, aber dafür braucht man kein Grundgesetz.“ „Sie halten das doch nicht etwa für realistisch?“ „Nein, realistisch wäre weiter wursteln und beten, dass die Sicherungen nicht rausfliegen.“ „Und das ist die Agenda Merkel?“ „Nein, das ist die Agenda 2013 – sonst weiß sie ja nicht, was sie macht, wenn sie wirklich kaltgestellt wird.“