„Sie dürfen alles sagen, nur nicht alles denken. Klingt paradox, ist aber so. Da ist die Verwechslungsgefahr mit Rechtspopulisten natürlich vorprogrammiert, aber wir sind da sowieso komplett schmerzfrei. Die Schnittmenge ist ja hoch.
Wir haben uns die deutsche Gesetzgebung, nein: was der deutsche Justizminister an Gesetzgebung bisher versucht hat, das haben wir uns mit großem Interesse angeguckt. Man guckt sich ja auch an, was die Konkurrenz so an untauglichen Sachen auf den Markt schmeißt, damit wir auf dem Markt für soziale Medien überleben können. Und da hat uns diese Sache mit der Internethetze ganz besonders interessiert. Sie müssen das ja erstmal ordentlich definieren, bevor Sie es abschalten. Und dann haben Sie eine Sache vor sich liegen, und dann sagt einer plötzlich: klasse, endlich mal ein tolles, neues Geschäftsfeld!
Dass die Leute einen Terroranschlag live ins Netz stellen, das ist so 2016. Wir wollen uns wieder auf unser Kerngeschäft konzentrieren und mit Kommunikation in den Vordergrund treten. Richtige Kommunikation, zwischen richtigen Personen und, sagen wir mal, anderen Teilnehmern. Unser Ziel ist es, die richtige Kommunikation für die Öffentlichkeit erlebbar zu machen. Sie nennen das Gedankenlesen, weil die Presse das so plakativ in die Schlagzeilen gebracht hat – das ist nicht so ganz falsch, aber auch nicht so ganz richtig.
Wir wollen wissen, was Sie wirklich denken. Dazu müssen wir Ihr Verhalten natürlich genau analysieren, aber da Sie nicht über die passende Hardware verfügen, schließen wir Ihre Meinung aus den Parametern, die uns vorliegen. Augenbewegung oder Tippfehler, ihre mutmaßliche politische Einstellung, Aggressionsgrad, die letzten beiden kann man ja meist nicht getrennt voneinander betrachten, und vielleicht noch den sozialen Status. Es soll ja vorkommen, dass jemand überhaupt nicht erst denkt.
Unser Ziel ist es, Internethetze schon vorher zu erkennen und zu verhindern. Sie bekommen das volle Programm: wir bestimmen, was Hetze ist, und das schon, bevor sie gedacht haben, sie könnten derartige Äußerungen tätigen. Das nehmen wir für Sie zur Kenntnis, löschen es, haken es ab, und Sie sind aus dem Schneider. Ist das nicht fantastisch? Bisher mussten Sie immer noch überlegen, ob so eine Reichskriegsflagge oder Holocaustleugnen eine mehrtägige Sperre nach sich zieht, sicher sein konnten Sie sich ja nur bei unbekleideten Frauen, das bleibt auch so, aber jetzt blenden wir einfach alles aus, was uns nicht relevant erscheint. Das kann man doch als großen informationstechnischen Durchbruch bezeichnen, oder? Wenn nicht das, was denn dann?
Oder denken Sie beispielsweise einmal an Ihre bisherige Reaktion auf Werbung. Sie klicken das einfach weg, weil es Sie nicht interessiert, oder vielleicht haben Sie es auch schon ganz geblockt. Jedenfalls ist das für die Presse, für die Werbung, wollte ich sagen, für die Werbung ist das natürlich ein großer Verlust, wenn Sie das ignorieren. Für die Wirtschaft natürlich auch. Wenn wir jetzt Ihre Kaufentscheidungen umsetzen können, bevor Sie sich darüber klar geworden sind, dann ist damit doch allen gedient, oder?
Das ist ein zertifizierter Prozess, wir nennen das Doppeldenk. Gleichzeitig implementieren wir auch Abläufe wie Minimoral, aber das nur nebenbei. Mit dieser Doppeldenk-Sache können wir uns davor schützen, dass Sie sich vor uns schützen müssen. Oder war’s umgekehrt? egal, jedenfalls müssen wir das Gesetz nicht mehr umgehen, wenn Sie selbst für die Äußerungen verantwortlich sind, die Sie gar nicht einstellen. Ist das nicht bahnbrechend?
Gleichzeitig sollten wir im Auge behalten, dass wir uns auch gemeinsam für die Meinungsfreiheit einsetzen. Sie setzen sich damit erstmal für unsere Meinungsfreiheit ein – Doppeldenk, Sie verstehen? – und wir ziehen dann irgendwann mal nach. Als Initiierung eines demokratischen Prozesses ist das doch okay, oder? Wir wären ja gar nicht dazu verpflichtet, schließlich sind wir ein ganz normales Wirtschaftsunternehmen, auch wenn uns einige für ein staatlich organisiertes Paralleluniversum halten.
Und unter dieser Perspektive wäre es doch ganz gut zu verstehen, wenn wir unser Modell auch auf anderen gesellschaftlich relevanten Ebenen ausprobieren würden, oder? Man muss ja nicht gleich an Bundestagswahlen denken, obwohl: warum eigentlich nicht? Dann hätten wir unter Umständen endlich mal ein ehrliches Ergebnis, weil alle das wählen würden, wovon sie wirklich überzeugt wären. Das würde die Bundesregierung dann auch nicht mehr kritisieren, also die, die dann gewählt würde, und dann hätten wir das Problem auch nicht mehr, weil dann keiner mehr denken würde. Also Sie würden vielleicht noch denken, aber ich denke, Sie würden es dann besser für sich behalten wollen. Ist doch auch gut, oder?“
Satzspiegel