Kartengrüße

16 08 2015

für Kurt Tuchosky

Hammelmeyer und Consorten,
ach, was hasst man die Durchtriebnen!
Doch sie denken aller Orten
stets an die daheim Gebliebnen,
schicken Karten, bunt mit Bildern,
Schweiz und Schweden, Malediven,
um den Urlaub Dir zu schildern,
den wir just zu Haus verschliefen,
dass man ihn wie sie genieße…
  Kartengrüße!
    Kartengrüße!

Schönstes Wetter, fernste Ferne,
der Patron sich laut erdreistet,
fett zu sein – das hat man gerne,
weil man es sich selbst nicht leistet.
Sonnenschein und laue Lüfte,
ach! sein Paradies quillt über,
Blumen, Papageien, Düfte,
nie war ihm das Leben lieber
als in jener Sommersüße –
  Kartengrüße!
    Kartengrüße!

Und in Wahrheit? Hans und Hilde
legen das Hotel in Trümmer,
zwei recht ungezogne Wilde,
nur der Hund allein ist dümmer.
Dazu greint Frau Hammelmeyer,
ohne Sekt wird ihr’s schnell fade,
dies zu billig, das zu teuer.
Ihm ist um die Ferien schade,
Hans tritt Scherben in die Füße.
  Kartengrüße,
    Kartengrüße.





Gernulf Olzheimer kommentiert (CCXCIV): Elternstolz

10 07 2015
Gernulf Olzheimer

Gernulf Olzheimer

Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.

Die Vorgänge selbst sind hinreichend bekannt, und werden sie zielgerichtet ausgeübt, so sind die Tatbeteiligten neun Monate danach in die nächsthöhere Güteklasse menschlicher Existenz aufgepoppt, eine Ebene höher, und der Verdacht liegt nahe, dass es sich nicht nur um Biochemie handelt, sondern: sie kriegen gewaltig eins an der Birne mit, sobald sie aufsteigen. Die Schäden bleiben, und wie jeder raumfordernde Prozess irgendwann die letzten Synapsen bügelt, schwappt die Masse früher oder später frei umher. Der Einsatz bordeigener Hormone macht die Sache nicht angenehmer, schon gar nicht für unschuldige Dritte, die aushalten müssen, was man nach latentem Rassenwahn, einer schizoiden Psychose beim Nachbarn mit Waffenschein oder Narzissmus in klinischen Endstadium am wenigsten erträgt. Den ungebremsten, explosionsartig sich entfaltenden Stolz der Eltern auf ihr Scheißgör.

Vermutlich haben die Gevattern und Gemütter selbst hinreichend schizoides Gedankengut in der Hirnrunde gebunkert, denn nur sie verhalten sich so widersprüchlich, dass man beim Zusehen Zahnweg kriegt. Auf der einen Seite ist der Mini schon im zarten Alter so selbstständig, er könnte glatt Formel 1 fahren – mit Stelzen auf dem Gaspedal sicher kein Ding – verzichtet jedoch aus reiner Liebe zur Umwelt auf derlei. Auf der anderen Seite wird der Spross in Bioluftpolsterfolie gestopft auf dem Silbertablett über alle Holzwege gehievt, damit er sich ja nicht die Mauken verbiegt. Sie lernen sich alle durchzusetzen, allerdings lernen sie es nur durch Imitation, wenn Mami beim Latte-macchiato-Treff mit den anderen Versagerinnen die Kellnerin anschreit, weil die im Gegensatz zur Genschleuder ihr Studium nicht abgebrochen hat und von Muttchens Cellulite noch lockere zwanzig Jahre entfernt ist. So lernt auch der Nachwuchs beizeiten, dass man gar nicht viel braucht, um seinen Status ohne Argumente zu unterstreichen. Wenngleich er das als geniale Fortsetzung der Familienlinie sicher nie wird einsetzen müssen.

Denn die anderen Blagen sind ebendies: verschludertes Genmaterial, das höchstens zum Müllmann oder als Innenministerin taugt, deutlich unterbelichtet, vollverdübelt und lernresistent, kurz, der Schmierkäse, aus dem Untertanen geschnitzt werden. Eine grausige Vorstellung, dass diese Kevins und Schantallen dereinst die Rente für Galileo Maximilian Figaro erschuften sollen, den aus anderem Holz geschwiemelten Götterliebling, man sieht es ihm zwar noch nicht an, wenn man ihn nicht kennt, aber man wird ihn kennenlernen, und wenn es das letzte sein sollte, das seine Erzeuger in dieser Inkarnation sich aus der Rübe rattern. Die anderen sind die anderen, die eigene Leibesfrucht jedoch spielt in einer vollkommen losgelösten Kategorie. Der Verdacht liegt nahe, dass dieser Absolutheitsanspruch an den perfekt gegen die Realität isolierten Blitzbirnen der Erwachsenen liegt.

Elternstolz ist eine hinlänglich hämische Form von Stellvertreterkrieg. Nicht die Hersteller leisten nennenswerte Dinge, der Sprössling wird es, unter Umständen, irgendwann tun, nach Kita und Klavierstunde, Abitur und der ersten Haftstrafe, wenn er sich vermittelst einer Machete zum Vollwaisen gemacht hat. Der güldene Glanz des Selbstgerechten jedoch, er falle möglichst auf die Alten, und paradoxerweise sieht man erst da so richtig, dass die Pausenclowns nicht viel gerissen kriegen, sich aber mit einem Genomzonk im Wagen hochprima über anderer Leute Zehen fahren lässt.

Es gibt vermutlich keinen besseren Weg, Kinder in endneurotische Arschlöcher zu verwandeln, als die elterliche Zuneigung auf nicht zu leistende bis nicht vorhandene Vorzüge zu projizieren. Das angebetete Resthäkchen erfriert auf seinem Podest, aber es sieht dabei so süß aus. Und es wird sich ein langes, verschissenes Leben lang fragen was es eigentlich hätte noch besser machen sollen, um der überzogenen Anspruchshaltung wenigstens ohne Verlustängste gerecht zu werden – es sei denn, die kindliche Person wird durch elterlichen Dauerjubel ebenfalls komplett wirklichkeitsimmun, kennt keine Kritik und kann auch nicht mit ihr umgehen. Irgendwann, wenn die Bioluftpolsterfolie weg ist und der Sachzwang seine schmierigen Finger nach dem Heranwachsenden ausstreckt, wird’s dann prekär. Aller Wahrscheinlichkeit nach leidet der Erbe sowieso unter kräftigem Narzissmus, mit etwas Glück klopft die schizoide Psychose an die Tür, ein Waffenschein ist schnell besorgt, und das ist noch nicht einmal das Schlimmste. Man stelle sich vor, diese Leute bekämen irgendwann Kinder.





Gernulf Olzheimer kommentiert (CCXXIII): Die Einladung

3 01 2014
Gernulf Olzheimer

Gernulf Olzheimer

Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.

Die Jahreszeiten wechseln sich ab, man zieht erst Riemchensandaletten an und dann Moonboots, Hüte sind nicht überall erforderlich, irgendwann ist Silvester, man kann zu Hause bleiben – wenn nicht jetzt, wann dann? – und schon geht die ganze Grütze wieder von vorne los. Stumpfes Nägelbeißen begleitet das hektische Abhaspeln des Jahreskalenders, eine Fete jagt die nächste, die Ballsaison öffnet ihre Schleusen und frisst ihre Kinder, nach der Party ist vor der Party. Die ewige Frage ist doch, was man soll mit der Einladung.

Der Mensch als Bestandteil jener sozialen Zusammenrottung, die selten satisfaktionsfähig, noch seltener wirklich in erkennbarer Nähe ihrer angeblichen platonischen Idee durchs Gestrüpp strauchelt, nennt sich selbst ein Gesellschaftswesen. Der Nachteil an der Sache, ob er es jetzt glaubt oder im Gegenteil aus lauter Trotz wider besseren Wissens etwas zu beweisen versucht, ist seine Hartnäckigkeit, dieses auf diversen immer wiederkehrenden Kasperaden zu untermauern und zu demonstrieren, auch wenn die Wirklichkeit eine vollkommen andere Sprache spricht. Andererseits greift die Dialektik dem Doofen gerne ans Bein und lässt ihn in den offenen Widerspruch zu sich selbst stolpern: wenn er schon ein so perfekter Soziopath ist, wird er es auch mit möglichst vielen Gleichgesinnten zusammengepfercht so richtig ausleben können. Individualisten lesen ein gutes Buch am Kaminfeuer, treffen Freunde im Schützenverein oder basteln im Keller eine tragbare Atombombe für den nächsten Schlussverkauf, der salonfähige Depp darf in der eigenen Kohorte seine kollektive Regression absolvieren. Spaß macht das nicht, aber darauf kommt es ja auch an.

Nicht eingeladen zu sein, auch wenn es nicht sofort als Privileg ersichtlich sein sollte, das lässt sich immer noch verschmerzen. Qualvoll wird es erst, wenn man sich in Gesellschaft befindet, die einen als Gesellschaft akzeptiert – in den meisten Fällen ist ein Abstieg damit unausweichlich. Was aber, wenn die Einladung kommt, Gold auf Bütten in Eierschale, doppelt gefalzt? Gleich in die Tonne oder vorher noch eine Apokalypse simulieren?

Entscheidend ist ja, in welcher Preisklasse von humanevolutionärer Montagsproduktion man sich bewegt. Gewisse Gesellschaften von Durch- und Vertriebenenverbänden knickt man sich, wenn intrakraniale Travertinablagerungen nicht zu den bevorzugten Beschäftigungen zählen. Zufällige Geschäftskontakte in halbseidenes Milieu – der Bruder des Gastgebers ist im Urlaub Türsteher eines balkanischen Clubs für Schafsverbrauch, die Bekanntschaft betreibt in Palermo einen Privatfriedhof, der Ehrengast ist in der FDP – lassen sich schnell abwenden, indem man fragt, ob auf der Feier mit Blitz fotografiert werden dürfe. Nebensächlichkeiten wie die Farbe von Schlips, Kragen und Hose fallen weniger ins Gewicht, wenn man sich im passenden Moment ästhetisch danebenbenimmt, so entgeht der Privatmann den Lockungen der höheren Gesellschaft, indem er ihr klarmacht, dass er auch nicht besser ist als die Bekloppten, die ihn zu sich zählten, wenn man sie denn ließe.

Die größtmögliche Härte resultiert aus dem Risiko, dass Geselligkeiten seit jeher auch im Kreise der auf- und absteigenden Verwandtschaft praktiziert werden. Man sucht sich das nicht aus, wird es auf legalem Weg nur schwer wieder los und hat bei durchschnittlichem Wachstum einer Sippe aus verschwägerten Schimmelhirnen bereits nach wenigen Jahren Zugehörigkeit zum Umfeld den Jahresplaner auf Dekaden hinaus zugeschwiemelt mit Geburts- und Hochzeits- und Namenstagen, drohenden Jubiläen, unvermittelt einsetzenden Taufen und feuchtfröhlichen Scheidungsfeiern samt Seelenamt für die zu früh kompostierten Töchter, die ihren ersten eigenen Pilzauflauf versucht hatten. Als wäre das nicht genug Splatter fürs limbische System, die tentakelnden Ausläufer der Schwippneffen und Cousinenschwager in den beruflichen und wohnraumbedingten Nahbereich hinein werden flugs mit bedient und man lädt zur Konfirmation die Ex-Abteilungsleiter der Mörtelfabrik ein, wie man in der guten alten Zeit noch Kriegskameraden zur Verlobungsfeier karrte. Wer feiert ohne Übelkeit in dieser ambitionierten Umgebung, und warum? Es kostet Spritgeld, Zeit und Überwindung, Blumensträuße und Pralinen, beschert einen grenzwertigen Abend mit Small Talk auf dem Niveau einer Pulle Brackwasser und hinterlässt das sichere Gefühl, vor dem blitzartigen Gedächtnisverlust von Aliens zur Strafe auf diesem Rotationsellipsoiden entsorgt worden zu sein. Egal, was man bei der angeheirateten Mischpoke an Getränken bekommt, das ist es nicht wert.

Aber wie gesagt, die Dialektik. Man könnte die Einladung einfach mal ausschlagen, Verpartnerung, Beförderung, Hauseinweihung oder Einschulung auf sich beruhen lassen, man könnte zur Sicherung der Nachhaltigkeit der familiären Bande einfach kurz und geschmacklos mitteilen, dass sie sich fürderhin Offerten zum Beisammensein mit erhöhtem Adrenalinpegel an den Hut stecken kann. Einmal die große Axt, raus aus der Nummer. Das aber hat den Effekt, dass nie wieder ein Empfang mit Anwesenheit des Opfers ausgerichtet wird. Er wird es erfahren, aber nie mehr wird er dabei sein. Das ist vorbei, auf immer und ewig. Es gibt also, Jahreszeit hin oder her, doch nur eine wirkliche Lösung des Problems. Bleib zu Hause, Mensch, und halt gefälligst die Klappe. Schon zur Vorsicht.





Gernulf Olzheimer kommentiert (CCXXI): Selbstgebasteltes

29 11 2013
Gernulf Olzheimer

Gernulf Olzheimer

Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.

Es muss auf einem dieser gesellschaftlich wichtigen Treffen gewesen sein, als Rrt scharf überlegte, was er den Leuten in der Nebenhöhle nur vorbeibringen sollte. Nashorn? zu teuer. Einhorn? hatte ja jeder. Die gut abgehangene Keule vom Säbelzahntiger war betriebswirtschaftlich zu wichtig, wiewohl sie großes Prestige versprach, und schon war die epochale Idee geboren: eine Schnur mit den Zähnen des Beutetiers als Unisex-Kette für Nggr und seine Hauptfrau. Kostete nichts. Hielt sich ewig. Und man konnte das Zeug selbst machen, was diesen herrlichen präpotenten Touch heraushängen ließ: Du lässt Dir diesen Krempel um den Nacken baumeln, ich aber habe das Biest geplättet. Ich. Ich schenke, also bin ich. Und dazu braucht es unbedingt Selbstgebasteltes.

Der Kennerblick im ÖPNV offenbart ein stummes Verständnis, wenn filzige Ohrenmütze auf Malen-nach-Bruchzahlen-Schlips trifft. Der eine lässt den anderen Gepeinigten in Ruhe, statt ihn dem Spott der Rotte auszusetzen, denn er weiß, dass es ihn schon beim nächsten Batik-Shirt mit der Wucht des fehlenden Geschmacks selbst treffen könnte. Das selbst Geworfene ist und bleibt Schicksal, und das fängt früh an.

Die niederschwellige Konfrontation mit dem Subjekt beginnt meist in zarter Elternschaft; die noch von der Hochbegabung des Säuglings völlig eingelullten Aufzuchthilfen klatschen jäh auf den Boden der Tatsachen, wenn der Sprössling Buntmetall, getrocknete Blätter und Streichhölzer in wirre Formen pfriemelt, das Konvolut Muh betitelt und ein Statement für die expressionistische Sicht auf das Milchvieh setzt, die in der Arte Povera stürmischen Beifall bekommen hätte. Das Kind an sich ist noch von reinem Ehrgeiz getrieben, dem Beschenkten eine Freude zu machen, so dass es weniger den Wert des Geschenks (und den Nutzen für den Beschenkten) in Erwägung zieht oder gar kalkuliert, wie es der Erwachsene täte; es gibt sich der Freude des Schenkens hin und bringt diese bereits ein im Akt des Bastelns. Eine Kathedrale aus Backpflaumen, Prousts Gesamtwerk als Rekonstruktion farbiger Büroklammern, nichts rührt uns so sehr wie das Geschenk des Kindes, und sei es auch nicht das eigene, dessen Klumpatsch wir nach Hause tragen müssen, um nicht die Eltern als Todfeinde zu haben. Schwierig wird es, wenn wir eine der drei Klassen von Erwachsenengeschenken erhalten, allesamt aus eigener Produktion.

Kategorie eins ist noch am ehesten für den passiven Konsumenten als Geschenk erträglich. Die meist aus dem Unterarm gewürzten Konfitüren der Geschmacksrichtungen Schmierseife-Erdbeer und Maracuja-Essig entfalten ihre verheerende Wirkung fülliger, werden sie nach alter Väter Sitte gerührt und ohne störendes Beiwerk in gläserner Kruke gelagert, bis sie mit einem schmatzenden Geräusch wieder Tuchfühlung mit der Außenwelt bekommen. Explosionsartige Schimmelbildung schützt den wehrlosen Beschenkten davor, sich die Plempe auf Butterbrot reinzuschmirgeln. Gerade noch mal von der Schippe gehüpft.

Schwieriger wird es schon bei den Handarbeiten nebst allem, was sich mit einer Nähmaschine und etwas Schlafzimmerbehang zaubern lässt. Textiler Grusel wallt durchs Land, die Jutebeutel mit Kartoffeldruck in drei modischen Trendfarben – Matsch, Schlamm und Modder – haben als Accessoire dem Hipsterwulstschal den Krieg erklärt. Was einst die von Mutti geklöppelten Paradekissen mit vorgekniffter Kampfecke waren, die bestickten Tischdecken, die gehäkelte Schrankwandarmatur in Filet reinweiß, alles hebt sich Jahr um Jahr steigend wieder zur großen Zombieapokalypse des Handarbeitslagers, eine Apotheose der Scheußlichkeit, wie sie sich Kafkas mitleidlose Gestalten nicht besser hätten ausdenken können. Einer wissenschaftlich fast bestätigten Verschwörungstheorie folgend haben überstaatliche Mächte Atlantis aus dem Meer geschwiemelt, ins Bermudadreieck geschleppt und mit Massen von Merinos zwangsbesiedelt, die nun für nichts und wieder nichts geschoren werden. Megatonnenweise knäult sich der Rohstoff in die Industrienationen hinein, und Pullover, Westen, Socken, Stulpen, Ohren- und Pulswärmer, Fäustlinge, Leibwärmer, Schals und Hüftschmücker zwängen die Beknackten in ihren Maschendrahtzaun.

Generationen entkamen der fingerdicken Strickstrumpfhose nur, um sich in das wahrhaft schauerliche Reich der unerträglichen Geschenke zu verirren. Hier lauert das Grauen. Hier wird das Unerträgliche Ereignis. Es ist die mit Bioalkohol beheizte Vorhölle des Do-it-yourself im engeren Sinne: Vati holt die Stichsäge raus, der Jüngste Tag kann kommen.

Wer Präpubertären beim Faltschachtelgeleime und dem adoleszenten Knaben mit dem Holzscheit und der Feile zusah, dem dräut im hinteren Teil der Hohlbirne, welch sinnloses Werkstoffgeschlonz sich mit einer Spanplatte, Schmirgelpapier und dem guten alten Laubsägeequipment in die Kanten von Muttchens Esstisch dellen lässt. Da drischt der Enthusiast eine Schachtel Schrauben in die frisch übermalte Oberfläche, als wär’s nix, umleimt die windschiefe Seite (links) mit Furnier aus Bäumen unter Artenschutz, weil Elfenbein und Blattgold gerade nicht vorrätig waren, und heiderassa! der Klops geht noch als Brotdose durch. Sollte zwar ein Vogelhäuschen werden, aber das Elaborat letztes Jahr war auch als Hamstersarg in Gebrauch genommen worden.

Natürlich wird kein Weihnachtsfest ohne diese Objekte über die Bühne gebracht, natürlich gibt es kein Weihnachtsfest, das in epischen Gefechten und Vorstufen zum Völkermord endete, wäre nicht der altböse Erzfeind schuld an der Malesse, diese gelb mit beigen Einsätzen gestrickte Schlabberkappe, in die Onkel Paul (obenrum) und sein Pudel passen. Alle Jahre wieder dräut uns das Modemassaker, und wir sollten uns langsam der Wahrheit stellen: es ist alles nicht genetisch bedingt, es ist der Sinn des Lebens. Diese Existenz ist gehäkelt. Wie sonst sollte die Kontinentaldrift, wie sonst das fortwährend sich beschleunigende Ausleiern des Universums deutbar sein, von Jahr zu Jahr, wäre nicht alles Nadelarbeit. Und garantiert selbst gemacht.





Vatermutterkind

4 04 2013

Der Beamte legte die beiden Aktendeckel mit sanfter Akkuratesse auf Kante. Dann rückte er den Bleistift gerade und zog ein frisches Formular hervor. „Hochzeitsvorbereitungen“, informierte Ruckteschel mich. „Ich muss etwas aufpassen, damit ich nichts verwechsle. Die Braut nimmt den Namen der Braut an.“

Gustav Ruckteschel hatte noch ein paar Jahre vor sich, doch galt er als erfahrener, vorbildlicher Standesbeamter. „Diese neuen gesetzlichen Regelungen sind etwas verwirrend, aber sie bringen uns endlich weiter. Kein Wunder, dass dagegen demonstriert wird.“ Er schien meine Frage schon zu ahnen, jedenfalls hatte ich gar nicht erst Zeit, sie zu formulieren. „Es ist immer wieder interessant zu sehen, wie die Bevölkerung auf Rechtsvorstöße reagiert. Und dabei geht es noch nicht einmal um bedeutsame Dinge, sondern nur um die Banalität, ob man zum Heiraten zwingend Mann und Frau sein muss. Lächerlich.“ Er bügelte sorgfältig ein Eselsohr flach. „Und dabei haben wir es eigentlich mit einer zivilrechtlichen Einrichtung zu tun, in die erst die Kirche ihre Nase gesteckt hat, als sie sie in allem anderen schon längst drin hatte.“ Noch sträubte sich die Ecke, aber Ruckteschel ließ nicht locker.

„Und dann haben wir ganz nebenbei unsere alternativlose Bundesregierung dazu gebracht, dass sie sich in einem Paradoxon verrennt.“ Er blickte mir missbilligend dabei zu, wie ich ein Formular in die Hand genommen hatte; sicher würde ich es nicht regelkonform auf den Stapel zurücklegen. „Sie hat zwar die Ehe als Keimzelle des Staates zu etablieren versucht – früher war das die Familie, da waren noch Reste von Aufklärung am Werk – allerdings hat sie die Alleinerziehenden als Wähler entdeckt und musste sich logischerweise selbst widersprechen. Das wäre sonst kein Problem, nur hier wird es etwas schwierig. Was macht man mit denen?“ Ich wusste es nicht; tröstlich, dass auch er es nicht wusste. „Zwangsverheiraten geht nicht, auch keine Zwangsbeelterung des Alleinerzogenen, aber das wäre ja nicht das rechtsdogmatische Problem.“ „Und was wäre dies?“ Er holte tief Luft. „Man müsste ihnen die Kinder wegnehmen. Aber das kriegt selbst diese Regierung nicht zustande.“

Behutsam leerte Ruckteschel den Inhalt des Bleistiftanspitzers in den Papierkorb. „Das ist doch eine wesentliche Verbesserung gegenüber der bisher geltenden Vorschrift, oder?“ Er schaute kurz auf, wiegte dann aber bedenkend den Kopf. „nicht für alle. Schauen wir uns diesen Fall an.“ Er zupfte einen blauen Aktendeckel aus dem rechten Stapel. „Alois und Therese Gschwürlpointner waren trotz anderslautender Versicherungen auch innerhalb der Dreijahresfrist nach der Eheschließung nicht Eltern geworden, daher haben wir sie vor die Wahl gestellt. Eine Möglichkeit, da die Ehe nach Ansicht der bayerischen Regierungsbestandteile ja in besonderem Maße der Sicherung des Fortbestandes der Bevölkerung dient, eine Möglichkeit ist die Sanktion, was dem bekannten Denkschema der konservativen Parteien entspricht. Läuft irgendetwas nicht so, wie es gedacht war, finde jemanden, der sich nicht wehren kann, und bestrafe ihn dafür, dass er keine Möglichkeit hat, sich zu wehren.“ Ich runzelte die Stirn. „Sie erhängen also Geldbußen für Kinderlosigkeit?“ Ruckteschel lächelte. „Aber nein. Wir gruppieren beide wieder in Steuerklasse I ein. Nur eine dauerhafte Strafe ist wirksam, wenn man die eheliche Moral verteidigen will.“ Er legte eine stählerne Reißschiene an der Tischkante an – alles war noch immer rechtwinklig, keine Gefahr. „Trotzdem haben wir den Eheleuten Gschwürlpointner natürlich eine Möglichkeit gelassen, sich zu rehabilitieren. Sie hatten die Möglichkeit, ein Waisenkind zu adoptieren.“

Sorgsam rührte er den Tee um, bis sich keine erkennbare Spur von Zucker mehr in der Tasse wahrnehmen ließ. Es ergab ein vollkommen einheitliches Gemisch. „Und Sie sind wirklich sicher, dass das eine gute Lösung ist?“ Er nickte entschieden. „Sie haben ja gehört, was das Bundesverfassungsgericht zu Adoptionen geäußert hat. Auch gleichgeschlechtliche Paare dürfen nun Kinder des jeweils anderen annehmen. Man mag es für eine unzulässige Parallele halten, aber ich würde das Grundgesetz doch so interpretieren.“ Fragend blickte ich ihn an. „Es gibt keinen Grund, sie von der Adoption eines Kindes auszuschließen. Sie besitzen dieselben Recht wie alle anderen Menschen. Selbst dann, wenn es sich um Bayern handelt.“

Millimetergenau lochte Ruckteschel den Durchschlag der handschriftlich ausgefüllten Unbedenklichkeitserklärung, die nach menschlichem Ermessen innerhalb der nächsten zehntausend Jahre kein Mensch mehr zu Gesicht bekommen würde. „Wir haben ihnen also ein Kind zur Adoption zugeteilt – wie gut, dass sich endlich nicht mehr reiche, ältere Paare ein Kind besorgen können, weil man die jungen Leute solange mit Papierkram ausbremst, bis sie angeblich zu alt sind, Kinder zu erziehen – und sie haben sich beschwert. Einen Neger, sagte Herr Gschwürlpointner, den wolle er nicht. Er hat sich damit für die höhere Steuerklasse entschieden. Lebenslang.“

Nach drei Kontrollen war Ruckteschel davon überzeugt, dass er den Kugelschreiber weglegen konnte. „Übrigens“, kicherte er, „ist Ihnen schon einmal aufgefallen, dass die Kanzlerin keine Kinder hat?“





Gernulf Olzheimer kommentiert (CXIII): Verwandtenbesuch

15 07 2011
Gernulf Olzheimer

Gernulf Olzheimer

Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.

Viel hat die Zivilisation, oder wenigstens das, was die Trottelherde dafür ausgibt, nicht gebracht. Die Beknackten ballern noch immer auf die eigene Art, statt den Genpool bis zum Abrauchen dieses beschissenen Rotationsellipsoiden gleichmäßig am Köcheln zu halten. Sie bembeln sich Alkaloide mit künstlichen Aromastoffen und Industriezucker in die Birne, als hätte der von Intelligenz befallene Teil dieses Menschengeschlechts ein Einsehen und verböte gleich anderntags Sangria und ähnliche Leberhaken. Sie seibern jeder Blondblunze nach, als sei der Hominide durch reine Gebärfreudigkeit in eine bessere Startposition zu bringen, wenn es denn einst gilt, die Vorherrschaft gegen seine Darmparasiten zu behaupten. Nur eins hat dieses Konglomerat aus Psychoplüsch und Hirnkirmes in der menschlichen Marmel erfolgreich festgesetzt: die Exogamie. Ist der Bekloppte einmal flügge, so verlässt er unter Getöse den elterlichen Muff und siedelt sich samt Gespons da an, wo die Mischpoke ihre schwiemeligen Finger nicht mehr durch den Zaun bekommt. Halb so schlimm ist, dass er der Familienbande irgendwann wieder über den Weg laufen wird, im günstigsten Fall auf deren Beerdigung; weitaus unerfreulicher, dass die ganze Blase es auch im lebendigen Zustand fertigbringt, ohne Vorwarnung in den Landstrich einzufallen, um die achte Plage des Menschengeschlechts auf die Hinterbeine zu bringen. Den Verwandtenbesuch.

Tentakeln, Saugnäpfe und Widerhaken, nichts säbelt sich blutiger ins Fleisch als die Vorstellung, die ganze Familie stunden-, tagelang wieder um die Ohren zu haben, penetrant bis zum Erbrechen und gründlich wie eine Schmierinfektion. In den dumpfen Nächten, in denen man von Suff und anorganische Chemikalien gezeichnet jäh aus den Phantasmagorien des Cortisoldusels taucht, um erschüttert festzustellen, dass man den ganzen Mist tatsächlich nicht geträumt hat; noch knappe zwölf Stunden, dann werden Tante Else, Onkel Heiner und diverse Fortpflanzungsfehlversuche auf der Matte stehen, ihr grenzdebiles Grinsen in den Türspion hängen und um Einlass wimmern. Wäre es nicht seinerzeit besser gewesen, Opa Hinnerk bei seinen Kameraden von der SPD-Ortsgruppe als das widerlichste Altnazischwein zu outen, das sich eine Pension erschwindelt hatte? Am 90. Geburtstag wäre sowieso die ganze Bagage da gewesen, den guten Anzug trug er eh – eins auf die Fresse, rein in den Sarg, und nach einer kurzen, schmerlosen Enterbung hätte man neben dem Braungestrüpp gleich die ganze Sippschaft von der Backe gehabt.

Sie kommen pünktlich, laut und ohne Rücksicht auf die Reputation des Gastgebers; Onkel Alwin hat sich aus dem Pflegeheim freigenommen, man bleibt daher auch nur bis nächsten Sonntag, um das Pokalfinale vor dem Plasma-TV zu gucken. Geschlafen wird auf der Couch, die hinterher knapp unter Schrottwert liegt. Für die Verpflegung sorgt die Brut selbstredend nicht, man möchte doch den Edelmut des Gastgebers nicht in Verruf bringen. Alles, was man bisher erfolgreich verdrängt haben sollte – man stammt aus einem kleinen, von Inzucht und Lackdämpfen gründlich geschädigten Bergdorf, aus dem seit Ende des Pleistozäns keiner auch nur in die Nähe eines Schulabschlusses geraten war, die Eltern waren buckelig, dumm und hörten den ganzen Tag volkstümlichen Schlager, bis der Neurologe sie endlich für unzurechnungsfähig erklärte – kehrt in einem Flash zurück, überrumpelt die bisherigen Ergebnisse der Kultivierung, ballert pures Adrenalin in alle Synapsen und sorgt für das charakteristisch scheuernde Geräusch beim Passieren der Blut-Hirn-Schranke, mit dem sich eine zünftige Embolie anzukündigen pflegt.

Während sie den 1992-er Jahrgangsgrappa wie Discounterfusel in die Cola kippen, den Schiraz mit Zigarettenasche ankokeln, alle Kunstgegenstände einer Einzelfallprüfung auf Schlagfestigkeit beim plastischen Stoß unterziehen und heitere Partyspiele mit Kirschflecksalmlern aus dem Nachzuchtbecken veranstalten, lallen sie wie Kollateralmaden im Kartoffelsalat der Existenz. Alte Erinnerungen wollen erbrochen sein, längst verschollen geglaubte Details von Taufe, erstem Schultag und Tante Idas letzter Ölung müssen erzählt werden, oft in drei Versionen, öfter noch als fließender Übergang zum Remix aus Erinnerung und Vollmeise, unweigerlich in einen der heftigeren Familienkräche mündend, die ohne eigenes Zutun entstehen. Das Schöne ist, man muss sich gar nicht beteiligen, und die dabei versehentlich zerschmissene Balkontürscheibe wird sowohl als Souvenir taugen als auch Sujet neuer Hirnkirmes, wie man sie bei der nächsten Runde Verwandtenbesuch erzählt. Für den war der Vetter Hugo vorgesehen, der freilich planvoll ans Werk geht, seitdem ihm Elses missratene Töchter mit dem Bügeleisen die ganze Bude abgefackelt haben. Er hortet für Verwandtenbesuche nicht die billige Knabbermischung aus dem Sonderangebot, sondern ein Sortiment Handfeuerwaffen mit Großkaliber, Munition inklusive, und macht Gebrauch davon. Ein kluger Mensch, den man eigentlich gerne mal wieder treffen möchte. Zum Beispiel anlässlich einer Beerdigung im familiären Rahmen.





Gernulf Olzheimer kommentiert (LXXXIII): Elternabend

19 11 2010
Gernulf Olzheimer

Gernulf Olzheimer

Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.

Das Kind hat es verhältnismäßig leicht. Es verbringt den Vormittag in angenehmer Atmosphäre beim Klingeltonherunterladen, auf dem Raucherhof oder gleich Pädagogen schonend im Stadtpark, panzert sich eine Portion Separatorenfleisch in die Figur und döst vor der Spielkonsole dem Abend entgegen, wenn die Haushaltsführung abrückt, um selbst die Schule zu betreten. Die Suppe auslöffeln sollen die, die das Blag unvorsichtigerweise in die Welt gesetzt haben. Es ist Elternabend.

Größtenteils paarig gemischtes Publikum in herkömmlicher Wuchshöhe trifft sich zum rituellen Fest der Selbsterniedrigung, und da das wörtlich gemeint ist, falten sich Bausparer im Schlichtpulli neben Zahnwälten im Kaschmirsakko auf XXS-Stühlchen zusammen, bis der Meniskus röhrt. Zehn Masochisten treffen zehn Sadisten, die Spielregeln standen lange fest, bevor einer der anwesenden Akteure die Bildfläche mit seiner langweiligen Existenz entnervt hatte. Es geht nicht um Schule, Erziehung, Bildung, es geht um alles, aber nicht um Kinder, schon gar nicht um die, die tagsüber der Versetzung entgegenschnarchen in diesem Reservat der unangenehmen Körpergerüche, wo noch die Ausdünstung des letzten Jahrhunderts aus dem Bröckelputz keucht. Hier sind Erwachsene ganz unter sich. Wenngleich sie sich nicht unbedingt auch dementsprechend verhalten.

Allerdings beruht das auf Gegenseitigkeit. Der Auftrieb der Genspender hat nichts mehr gemein mit dem ursprünglich angedachten pädagogischen Partizipationsschmonzes, er gleicht inzwischen einer Aktionärshauptversammlung mit Powerpoint-Präsentationen und haufenweise Overhead-Folien über die Performance der Blagen: Justin notiert fest, Frühenglisch zieht an, während die Mathe-Werte in diesem Quartal stagnieren, dafür kann Anne-Sophie schon ganz toll ihren Namen tanzen. Demnächst werden sie die Corporate Identity der Penne auf einem Motivationsseminar kommunizieren und den Biestern Benchmarks verpassen, börsentaugliche. Leistung und Anspruch klaffen jäh auseinander, komplett verstrahlte Lehrerinnen reflektieren tapfer völlig irrelevantes Anstaltsgeschehen, das weder wichtig noch schmerzfrei zu ertragen wäre. Möglicherweise sind die ganzen Rotzlöffel inzwischen sowieso schon alle hochbegabt, stopfen sich anorganische Materialien nur noch aus Protest gehen die strukturelle Verschleierung der Heteronormativität in die kariesverseuchten Plärröffnungen und freuen sich auf den Tag, da sie die narzisstischen Gehstörungen mit der Waffe in der Hand auf die Gesellschaft trampeln können. Denn um Bildung ging es ja kaum.

Sollte es aber. Die Altlasten der Großbaustelle namens Schule klömpern auf Erziehungsberechtigte ein, die längst abgeschaltet haben und sich nur noch ärgern, in welche Mischpoke man sie verfrachtet hat. Was aus diesem verschwiemelten Ansatz von Gesellschaft soll daran witzig sein, wenn Ökos, Kapitalistenschweine und Hipster sich mit dem freundlichen Neonazi von nebenan über die Kost auf dem Wandertag zanken müssen? Cola sei ein freundlichen Gruß in Richtung Satanismus, gibt der Moppel aus dem Frauenbuchladen zu Protokoll, während die erfolgreich geschiedene Kreative eh nur Holunderlimo als adäquat ansieht – was diverse Migrationshintergründe aus einer Scheibe Schinken machen können, ähnelt bei flüchtigem Hinsehen bereits dem Spanischen Erbfolgekrieg. Auf Gedeih und Verderb ist man zusammengeschweißt, obwohl man sich im wirklichen Leben meist aus dem Weg gehen würde – wo nicht ohnedies Homogenität herrscht, weil der Mietspiegel längst die untere Mittelschicht an den Rand gedrängt hat und sich keine Sorgen mehr macht, wenn das Schulessen bei drei veganen Gerichten zur Auswahl aus dem Budget kippt, weil die elenden Bastarde ohne eine korrekte Verwesung in Sahne-Glutamat-Emulgator keine Pause überstehen könnten, ohne die ganze Hütte zusammenzuschreien.

Und so führen die Beknackten lustvoll ihre Stellvertreterkriege, Mann gegen Mann. Während der eine Sohn tolle Lateinnoten bekommt, hat der andere aus reinem Interesse den Gasthörerschein in Festkörperphysik – beides Gejodel infantiler Papas, um aus dem lästigen Stuhlkreis wenigstens etwas Personality-Show zu machen, auch wenn es wieder keine Sau interessieren dürfte. Das glutenfreie Dinkelgebäck, das die Bambinos zur Belohnung nach dem repressionsfreien Nasenflötenunterricht mitbekommen, verstärkt den Eindruck permanenter Fassadenbildung; was die Kids mit dem Schmadder machen (Fußball, Weitwurf, Tauben vergiften), entzieht sich im Regelfall der elterlichen Kenntnis und soll es auch, denn sie bemerken recht schnell, dass die Großen irgendwie nicht alle Latten am Zaun haben können. Möglicherweise sind die sogar ein bisschen glücklich, wie sie so kauern auf ihren Möbelchen, adulte Streber, absolut unfähig, den Ernst des Lebens auch da wahrzunehmen, wo er wirklich einmal lauert. Sie merken es an Söhnen und Töchtern, wie sie ins offene Messer der Peinlichkeit laufen, man lässt sie die Erniedrigung spüren. Und Kinder können so grausam sein.





Gernulf Olzheimer kommentiert (LXVIII): Alleinerziehendes Selbstmitleid

30 07 2010
Gernulf Olzheimer

Gernulf Olzheimer

Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.

„Hallihallo und guten Tag, hier spricht Ihre gesamtgesellschaftliche Betroffenheit. Bitte machen Sie sich kurz bewusst, dass die kleine Pilar (6) aus Manila noch nie in ihrem Leben Black Cardamom Spicy Flavored Chai Latte mit Cherry Hazelnut Syrup getrunken hat, da ihre drei minderjährigen Schwestern, mit denen die Vollwaise die Blechhütte am Rande der Mülldeponie teilt, der Prostitution nachgehen und ein Großteil des Haushaltsgeldes für Heroin draufgeht. Echauffieren Sie sich kurz über die Klimakatastrophe. Seien Sie solidarisch mit Tibet oder dem, was davon übrig blieb. Danke für Ihr Verständnis.“ So oder ähnlich knarzt es beim Booten der Birnen, wenn die Alleinerziehende sich voller Anklage gegen die Schlechtigkeit dieser Welt aufmacht, aufs Neue in ihrer dünn aufgegossenen Mitleidsplörre zu rühren. Es ist der Typus junger Mütter, die nach subjektivem Empfinden mindestens ein Fernsehprogramm bräuchten, um der wehrlosen Welt mitzuteilen, wie beschissen ihre nutzlose Existenz verläuft: Opfer aus Berufung.

Sie sind aus Eitelkeit einmal mit der Wand kollidiert, als sie den Erzeuger ihrer Jeremykevins und Sophielauras so massiv in paranoide Wahnvorstellungen trieben, bis der es vorzog, für den Rest des Lebens knapp die Hälfte seiner Abteilungsleiterkohle der Schuhschrankbewohnerin in den Rachen zu stopfen, statt sich konstant auf niedermolekularer Ebene mit Puderzuckerpüppchen zu unterhalten. Ihr Lebensmittelpunkt, eben noch zwischen spießbürgerlichem Halbbildungskanon und postdemokratischem Shoppingwahn pendelnd, wird unerbittlich in die tiefste Stelle der Existenz eingehauen: da, wo Naivität schmerzhafte Flecken hinterlässt, wenn die Wirklichkeit im Dunklen dagegenrumpelt. Statt sich selbst als Individuen wahrzunehmen und dementsprechend die Historie einen Gang höher zu schalten, nagelt sich das im Bausparerghetto aufgewachsene Volk am Zeitstrahl fest, schwuppt nach hinten und landet zielsicher auf dem Altar der leidvollen Selbstanbetung. Während sich das politische Bewusstsein der Beschränkten offenbar mit einer Hacke noch im neoliberalen All-you-can-beat verfangen hat, verstaucht sich die blind schleichende Schnarchschlange den anderen Fuß bereits in der Lücke zwischen nachindustrieller Personalflexibilisierung und Wärmeerzeugung durch Heizen mit Humanmaterial – ihr Gejammer wäre tragbar, hätte das allein verziehende Weibchen nicht durch ihr überzogenes Egogejodel maßgeblich dazu beigetragen, in die abschüssige Ecke zu driften, in der sie jetzt hockt, flennend und immer einen laktosefreien Macchiato am Start, der auf die Blahniks tropft, die sie sich noch leisten konnte, als sie nicht dafür morgens aufstehen musste.

Denn nichts anderes fällt der pseudoelitären Mittelbauschnepfe ein, als die Schenkelklappmoral des bildungsfernen Blondinendrittels nachzuturnen: wenn weder Sinn noch Perspektive mit langfristiger Anwesenheit drohen, wird erst einmal reproduziert, um hinterher für nichts mehr Zeit zu haben. Wer hätte das gedacht angesichts der mühsam auf Post- oder sonst welchen Feminismus geschwiemelten Zopfmuster, mit denen die allein auf Egolepsie geeichten höheren Töchter im Niedergang ihr Emanzengebläh nachholen und, Überraschung! zum hermanesken Synapsenkompott verköcheln, das man durch geschickte Realitätsfilterung ausblenden kann. Es ballt sich an den Rändern der Zivilisation, in den hippen Gentrifizierungsgeschwüren der Metropolen, wo man eine Hälfte des Minimallohns für Brot und Schmierkäse braucht, um mit der anderen Hälfte via Geltungskonsum den anderen Fassadenkletterinnen zu demonstrieren, dass es einem so supi wie allen anderen auch geht – durchaus gute Partien, könnte man meinen, wäre man nicht mit dem Schädelinhalt einer Grabwespe ausgestattet, die nach dem Copypasten ihrer DNA bereits ihre existenzielle Sollbruchstelle in Sichtweite hat.

Jetzt also Redesign. Was die Dumpfralle am Stammtisch schnattern hört, nämlich, dass zur Bewerkstelligung eines jeden bürgerlichen Lebens auch ein Broterwerb gehört, schwatzt das Mamatier brav nach, mehr noch: die Bescheuerte fuchtelt zu gerne damit herum, dass jeder, so er Arbeit suche, auch Arbeit fände, Qualifikation, ein drittes Bein oder das Bernsteinzimmer. Und es ist das Ende der Illusion, wenn die Bekloppte beim Kontakt mit dem Transferleistungsträger sieht, wie sie den anderen Waffen gegen sich in die Hand gedrückt hat.

Soll man mittelalterliche Mütter jener Couleur mit zusätzlicher Barmherzigkeit abpolstern, wenn sie ihre in Designerklamotten aus zweiter Hand verpackten Kids auf den Spielplatz schleppen, auf dem man Migranten noch mit demonstrativ akzentfreier Lautung wegpikiert? Beim Nagen auf Reiswaffeln zusehen, dabei sich vorstellen, wie das Aufstände macht, um vor den zu Psychobälgern mutierenden Welpen zu verheimlichen, dass die Kohle immer noch von Papa kommt, weil Mama bis auf Wehklagen und Nabelschau sonst nichts auf die Reihe kriegt? Ein Trost bleibt, denn freiwillig wird eine Bescheuerte aus diesem Sortiment keinen mehr zur Vermehrung anstiften, und sie wird mit ihrer Hybris da bleiben, wo sie hingehört: im sperrig möblierten Reservat gleichartig gelagerter Nervensägen, die dermaleinst alle gut zu entsorgen sein werden, ausgetrocknet und an den entscheidenden Stellen hohl.





Schüsselerlebnis

17 06 2010

„Unglaublich!“ Hildegard setzte die Schale heftig auf den Küchentisch. „Dieses hässliche Ding steht seit Jahren oben auf dem Regal, fängt Staub und ist ansonsten zu nichts nutze. Ich möchte wissen, wozu Du so etwas aufhebst.“ Ich blickte von meiner Zeitung auf. „Diese Schale“, entgegnete ich sanft, „hast Du meines Wissens seinerzeit von Deiner Cousine Linda geschenkt bekommen. In meinem Arbeitszimmer steht das Ding nur, weil Du nicht bereit bist, es bei Dir unterzubringen – oder aber es aus Versehen fallen zu lassen.“

Wobei man nun wissen muss, dass Hildegards Cousine Linda wirklich einen Sonderfall innerhalb der ohnehin schwierigen Familienbande darstellt. So attraktiv sie von außen erscheinen mag, sie ist so selbstsüchtig wie heimtückisch, gönnte einem nicht das Schwarze unter den Fingernägeln und ist vor allem in Bezug auf Tante Erika, das gemeinsame Bindeglied innerhalb ihrer Sippschaft, von einer Verschlagenheit, die ihresgleichen sucht. Man munkelt, sie selbst habe den Pastor, mit Niespulver sowie heimlich verknoteten Schnürsenkeln, dazu gebracht, direkt in den Tee zu prusten und dann, beim Aufstehen, der Länge nach auf die Kaffeetafel zu kippen, so dass Tante Erika, schon immer eine zum Jähzorn neigende Person, den Gottesmann mit einigen harschen Worten aus dem Salon wies und stante pede die Kirche aus dem Testament strich.

„Man kann das doch nicht einfach wegwerfen“, rief sie. „Immerhin ist sie meine Cousine, auch wenn ich ihr – jedenfalls ist sie meine Cousine.“ Ich begutachtete das Porzellangefäß. „Es würde auf die Küchenanrichte passen, oder ins Wohnzimmer.“ „Du hast doch gar keine Küchenanrichte“, meinte Hildegard. Ich lächelte. „Ich rede auch nicht von meiner Küche.“ Da brauste sie endgültig auf. „Was, diesen Scherben in meiner Wohnung? Das kannst Du nicht von mir verlangen!“ Begütigend legte ich die Hand auf ihren Arm. „Du wirst sie nach ein paar Tagen gar nicht mehr sehen, so unauffällig ist sie. Und wenn Besuch kommt, erzähl ihnen einfach, es sei ein ganz kostbares Ming-Stück.“ Tatsächlich handelte es sich um einen Napf mit blau-weißen Blumen nebst stilisiertem Maulbeerbaum, der sich offensichtlich auf die Gartenbauausstellung im Palast des Kaisers vorbereitete. Möglicherweise hatten die Schriftzeichen auf der Umrandung einen tieferen Sinn; mit Sicherheit bedeuteten sie irgendetwas, ob es allerdings „Die sieben Jadedrachen erscheinen dem weisen Mann im Morgentau des Frühlings“ hieß oder „Wer das liest, ist doof“, entzog sich meiner Kenntnis.

„Ming?“ Hildegard begriff nicht gleich. „Ming-Porzellan“, dozierte ich, „ist der Inbegriff von Schönheit und Eleganz. Die Fürsten vergangener Epochen haben damit ihre Kabinette geschmückt.“ Sie blieb skeptisch. Unschlüssig drehte sie den Tiegel hin und her, bevor sie das rechte Auge zusammenkniff und den Aufdruck auf dem Boden entzifferte: „Made in China!“ „Da siehst Du mal“, sagte ich, „dass ich wirklich ein Kunstkenner bin.“

Mit Grollen und Wut hätte ich gerechnet, doch zu meinem Erstaunen klatschte Hildegard begeistert in die Hände. „Ich hab’s“, jubelte sie, „Tante Erika! Wir schenken ihr den komischen Kelch einfach zum Geburtstag.“ So geschah es; das Ming-Ding füllte ich anderntags mit Likörpralinen, wickelte es in knisterndes Cellophan und wand eine üppige Schleife darum. Tante Erika war sichtlich angetan. „Das sieht ja bezaubernd aus“, schrie sie, denn mit den Jahren war sie ein wenig harthörig geworden, „die passt auf die Küchenanrichte oder aber ins Wohnzimmer – Lindchen, meinst Du nicht auch?“ Was Lindchen meinte, ging in einem knirschenden Laut unter. Ihrem neidverfressenen Gesicht nach zu urteilen war dieser Behälter ein Volltreffer gewesen. Sie hätte ihn wohl am liebsten direkt aus dem Fenster gepfeffert. Jedenfalls plapperte sie leicht vor sich hin, um von dem Geschenk abzulenken. „Na, so ein billiges Ding, genau wie das aus der Kommode, das ich Dir damals…“

Hatte Linda, als das wurmstichige Möbelstück den Geist aufgab, sich doch an Tantchens Geschirr vergriffen. Nun gut, dachte ich. Was jetzt kommt, hast Du Dir redlich verdient.

„Weißt Du“, sprach ich laut und vernehmbar zu Hildegard, „das sieht mir aus, als passte sie genau zu der anderen, die das liebe Tantchen immer auf dem Ecktischchen stehen hatte, wie Onkel Oskar noch lebte.“ „Ach ja“, sekundierte sie mit erhobener Stimme, „Du hast ganz Recht! Was sähen diese beiden zauberhaft als Ensemble aus, die eine dort, die andere hier.“ Tante Erika schaltete sich ein. „Was soll ich gehabt haben?“ „Die zweite Schale“, jodelte ich lauthals. „Nein, die habe ich doch…“ Wie vom Schlag getroffen schwieg Linda. Tante Erika senkte bedrohlich die Augenbrauen. „Die suchst Du gleich morgen. Ich will die beide hier stehen haben auf dem Wohnzimmertisch. Alle beide, hörst Du!“ Hildegard biss sich in die Unterlippe und kniff mir in den Arm. Linda keuchte. Genüsslich zog ich die Schlinge zu; ich beugte mich tief hinunter zu Tantchens Lehnstuhl und flüsterte ihr dröhnend ins Ohr: „Im Vertrauen, ich habe etwas zugeschossen, damit Hildegard das schöne Stück kaufen konnte. Sie wollte es zu und zu gerne haben, denn wann bekommt man schon eine so gut erhaltene Konfektschüssel aus der Ming-Dynastie? Dass Du mir ja auf den Stempel schaust, was, Tante Erika?“





Teller-Mine

6 05 2010

Tante Erika musste großes Glück gehabt haben. Der Geschirrschrank, der schon seit einigen Tagen leicht geächzt und sich millimeterweit von der Wand entfernt hatte, brach erst aus dem Mauerwerk und zerstörte die Anrichte, als der Erdbeerkuchen schon auf dem Fensterbrett stand. Das setzte eine ganze Reihe logischer Folgen in Gang, an deren Ende Hildegard beschloss, dass nun jemand schnellstens für neue Teller und Tassen zu sorgen hätte. Wobei ich mir schon hatte denken können, wer das sei.

„Ich kenne Tante Erika nicht einmal“, begehrte ich auf. „Genau genommen kennst Du sie auch nicht.“ „Sie hat mir zur Taufe ein Häkelmützchen geschenkt“, setzte Hildegard mich in Kenntnis, „das wollen wir doch bitte nicht vergessen.“ „Um der Wahrheit die Ehre zu geben, das war das einzige Mal, dass Ihr einander begegnet seid.“ Sie funkelte mich an. „Meine Verwandtschaft war Dir ja schon immer egal!“ Was richtig war, beruhte es doch auf herzlicher Abneigung seitens ihrer Familie. Der einzige, der an mir Anteil nahm, war ihr Vater. Zu Ostern noch hatte er mich wissen lassen, dass er sich einen Schwiegersohn wünschte, einen, der völlig anders wäre als ich.

Der Verkäufer in der Haushaltswarenabteilung war bemüht. „Natürlich ist das spülmaschinenfest. Und dann hätten wir natürlich auch noch ein eher zeitgemäßes Dekor, wenn Sie einmal schauen möchten?“ Er zeigte uns eine Kollektion eckiger Teller mit lila-gelb-orangefarbenem Rand; mein Spannungskopfschmerz kam zurück. „Sechsteilig“, informierte er uns. Hildegard beäugte es kritisch. „Es war an sich eher für eine ältere Dame gedacht.“ „Ach so“, reagierte der Geschirrmann, „sagen Sie es doch gleich! Da haben wir gerade die Serie Emsland im Ausverkauf, wenn Sie einmal schauen möchten?“ Es handelte sich um ein zwölfteiliges Konvolut in Rosé, entworfen von der Bundeskoordinationsbehörde zur rechtwinkligen Ausrichtung von Magengeschwüren. „Wundervoll“, krächzte ich, „ganz bezaubernd. Was meinst Du?“ Hildegard verzog keine Miene. „Das schenkst Du ihr. Ich werde mein Erbteil mit so einem Kitsch jedenfalls nicht aufs Spiel setzen.“

Daher also wehte der Wind. Na warte, dachte ich mir. So haben wir nicht gewettet! „Schön“, wandte ich mich an den Verkäufer, „sehr schön. Haben Sie etwas Vergleichbares mit Maiglöckchen und Goldrand?“ Hildegard biss sich auf die Zunge. Vermutlich würde es bei passender Gelegenheit fliegende Untertassen geben. „Unbedingt Goldrand! Tante Erika schätzt das bestimmt sehr!“

Ich hatte Mühe, sie auf der Straße einzuholen; Hildegard stapfte mit hoch erhobener Nase vor mir weg. „Wir können ja immer noch zu Öchselmann. Der hat sich auf antikes Geschirr spezialisiert.“ „Auf unverschämte Preise auch“, fauchte sie. „Ich will jetzt auf der Stelle ein neues Service für Tante Erika!“ Ich schlug als Alternative den Besuch des Straßenflohmarkts vor, doch sie bleckte nur die Zähne. „Ich will in einer Stunde ein vollständiges Teeservice! Haben wir uns verstanden?“ Da waren wir auch schon. Ich hielt ihr die Tür auf.

„Sie wünschen?“ Mit unendlicher Herablassung blickte Herbert Öchselmann erst an mir, dann an Hildegard hinab. „Wir kommen um ein Teeservice“, begann ich die Verhandlung. Er fiel mir sofort ins Wort. „Wir haben da einige Restposten. Gucken Sie halt, ob Sie sich das leisten können, aber machen Sie gefälligst nichts kaputt.“ Mir lag die Antwort schon auf der Zunge, da blickte ich plötzlich in ein vertrautes Gesicht. „Das ist eine Überraschung!“ Sonst hätte ich auf Husenkirchen gerne verzichtet, hier jedoch kam er mir ganz gelegen. Galant gab er Hildegard einen Handkuss. „Lassen Sie sich nicht stören“, schwafelte der Staatsanwalt, „ich hole nur eine Kleinigkeit für Kollegen Tummermann, seine Tochter wird am Sonntag getauft.“ Ein anmutig kleines Becherchen ruhte in seiner Hand, darauf in Silber getrieben heiteres Schäfervolk sich im Tanze drehte. Ich griff nach einem Stück in der Auslage. „Sie interessieren sich für Porzellan?“ Bevor sie etwas sagen konnte, hatte ich Hildegard auf den Fuß getreten. „Ein kleines Mitbringsel für eine liebe Verwandte – man schenkt sich ja so selten edle Dinge, nicht wahr?“ „Ein Schöngeist“, nickte der Jurist, „da kann ich Sie wirklich beglückwünschen. Wie ich hörte, möchte Ihr Herr Vater auch bald eine Vermählung, Gnädigste?“

Inzwischen hatte ich die Untertasse genauer in Augenschein genommen. Dem Schildchen nach war sie zu Lebzeiten des seligen Josiah Wedgwood entstanden, wunderhübsch und filigran. Deliziöses Rankenwerk umschmeichelte den Rand. Sanfte Blumen äugten darin. Lieblich krümmte sich an der Unterseite der Schriftzug Made in the People’s Republic of China.

„Herr Staatsanwalt“, sagte ich, jede Silbe einzeln betonend, während ich den Daumennagel an die entscheidende Stelle hielt, „das ist doch mal ein ausgesprochen gut erhaltenes Stück.“ Öchselmann schwitzte. „Aber dieses Zwiebelmuster ist doch wirklich auch interessant. Komplett, wie ich sehe?“ „Das ist unverkäuflich“, würgte der Antiquar hervor. Ich ließ die Brille ein kleines bisschen tiefer auf die Nase rutschen. „Ich wollte natürlich sagen: nur für echte Liebhaber.“ Zwischen den Fingern drehte ich noch immer die Teller-Mine, bereit, die Sache auffliegen zu lassen. „Wir werden uns da schon einig, Öchselmann“, sprach ich sanftmütig. Hildegard war von dem alten Charmeur inzwischen in ein reges Fachgespräch über das Wetter verwickelt worden. „Was wollen Sie?“ „Sie werden dies Zwiebelmuster heute Nachmittag gut verpackt bei dieser Adresse abliefern“, instruierte ich ihn und reichte ihm dazu ein Kärtchen mit Tante Erikas Anschrift. „Sie ruinieren mich“, ächzte er. „Nehmen Sie’s gelassen, Öchselmann“, tröstete ich ihn. „Bis auf das Service haben Sie ja noch alle Tassen im Schrank. Verlassen Sie sich auf meine Diskretion.“

Punkt vier hielt der Lieferwagen am Heinrich-Heine-Platz. Öchselmann hatte rasch, aber recht behutsam die kostbare Töpferware in Seidenpapier und Ummengen von Holzwolle gehüllt. Vier große Kartons schleppte ich in den dritten Stock, wo Hildegard vor Tante Erikas Etagentür wartete. Die alte Dame wusste vom Besuch ihrer Großnichte, freute sich über eine Tasse frisch gebrühten Assam und war freigiebig, was den Erdbeerkuchen betraf. Nur mich sah sie durchaus misstrauisch an. Sie guckte und guckte, dann packte sie Hildegard am Arm. „Das Sahnekännchen“, schnaubte sie voller Argwohn, „das habe ich vor 55 Jahren geerbt, da hatte es aber einen Riss über dem Henkel!“ Ihre Augen wurden zu zwei schmalen Schlitzen, wie es bei Hildegard in der Familie zu liegen scheint. „Der Mann da führt doch etwas im Schilde.“

Was soll man machen. Der Elefant ist die Mutter der Porzellankiste.