Gernulf Olzheimer kommentiert (DXCVI): Das Hausfrauenmodell

7 01 2022
Gernulf Olzheimer

Gernulf Olzheimer

Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.

Wenigstens das Problem hatte Rrt nicht, dass er weibliche Sippenmitglieder bei der Leitung seiner familiären Wohngemeinschaft berücksichtigen musste. Er sorgte für Bison und Buntbeeren, sein Weib, diverse andere Frauen sowie die Töchter, Nichten oder Schwippschwägerinnen verarbeiteten den Fang zu Braten, Suppe, Kleidung, Schmuck oder Kultobjekten. Das Paläolithikum war durchaus arbeitsintensiv im Abgang, auch wenn sich die Frau eher im Behausungsbereich beschäftigte – nicht, weil sie nicht im Zweifel Säbelzahnbiber in die Flucht schlagen zu vermochten, es machte nur ihre Verfügbarkeit für haushaltsnahe Dienstleistungen viel größer. Das Erfolgsmodell, das noch heute als Home Office praktiziert wird, es wurde in weiteren Entwicklungsstufen mit neuen Kulturtechniken bis zur Stütze der Gesellschaft etabliert, auch da noch, wo es vollkommen sinnlos wurde. Und wie die moderne Welt nun einmal ist, wenn etwas absurd ist und eigentlich in die Rundablage gehört, wird er bis zum Komplettkollaps verteidigt. So auch das Hausfrauenmodell.

Die in vergangenen Jahrzehnten bis 40 Stunden gesunkene Erwerbsarbeitszeit ist obsolet wie eine Postkutsche – sonntags in putzigen Filmen guckt man sich derlei musealen Murks gerne an, aber es wird in der Zukunft von heute schon keine Rolle mehr spielen, erst recht nicht im kommenden Mangel an Arbeit, die aus Digitalisierung und Automatisierung folgt, wenn wir sie irgendwann erreichen werden. Das traditionelle Strickmuster von Vater-Mutter-Kind-Kind-Familien als Norm der bürgerlichen Existenz zwickt wie eine zu enge Hose und hat nichts mehr zu tun mit einer Gesellschaft, der die Entkoppelung von Lohn und Arbeit längst als Lichtlein aufgegangen sein dürfte, auch und gerade durch die Pandemie. Jedes bessere Start-up, jede realistische Work-Life-Balance ist nicht mehr denkbar ohne eine partnerschaftliche Organisation von Arbeits-, Frei- und Pflege- oder Erziehungszeit, die in den meisten Fällen als Selbstverständlichkeit zwischen Tür und Angel erwartet wird, neben den anderen Selbstverständlichen wie Staubsaugen und Schlaf irgendwie aus den Rippen geschwiemelt und natürlich kostenlos, denn der Staat braucht ja auch Kinder und Ehrenamt, am besten aus den niederen Einkommensschichten, damit Leistungsträger sich zwischen Vorstand und Golf nicht so stressen.

Kinder, Küche, Kranke darf die Frau – natürlich die Frau, denn welcher echte Mann würde schon in Teilzeit gehen, ein paar Wochen nach der Geburt für den Nachwuchs zu Hause bleiben oder freiwillig als Putzhilfe die Karriere seiner berufstätigen Gattin im Hintergrund unterstützen – gänzlich gleichgestellt managen, da sie sich vom Hausfrauenmodell des 40-Stunden-Alleinverdieners die Ressourcen dazu freihalten lässt, um vielleicht ein bisschen nebenbei zu verdienen. Höchstwahrscheinlich landet sie in der Teilzeitfalle, kommt auch nach Jahren nicht mehr in den Job, hat im Falle der Scheidung oder als allein Erziehende entweder zu wenig Geld oder zu wenig Zeit, im Regelfall beides, und büßt so für den betonierten kapitalistischen Zwangs.

Wird jetzt alles anders, wo eine neue Regierung jubelnd egalitäre Teilhabe an der Lohnarbeit fordert und an der Fürsorge? Am Gesäß aber, Kameraden, denn die Lohnlücken ergeben sich nicht nur durch Minijobs, die früher oder später in die Altersarmut der weiblichen Bevölkerungshälfte führen, sie sind jetzt schon real durch schlechtere Bezahlung, durch faktische Nötigung eines Verdieners zum Acht-Stunden-Tag, durch ein unausgewogenes Modell des Elterngeldes, durch Ehegattensplitting, das den Anreiz zum Lohnunterschied so lange in die Köpfe drischt, bis Grundsicherung durchs Fenster grinst.

Wo es uns mittlerweile so gut geht, dass die Wirtschaft sich wieder auf zehn bis elf Stunden pro Arbeitstag kapriziert, darf der ansteigende Anteil an Singlehaushalten in der typischen Tretmühle gerne mitmachen, aber das ist nicht das Problem. Sie sind mit ihrer Erwerbstätigkeit annähernd ausgelastet, können aber im Falle der Familiengründung nicht einfach ein Viertel davon abgeben, beispielsweise für neue Stellen, die Anforderung und Bedürfnisse wieder in Einklang bringen. Alles, was Zeitmangel und Überarbeitung, die Hand in Hand gehen, an allfälligen Stressoren erzeugen, geht auch wieder zulasten der Gesundheit, die sich wiederum auf die Anwesenheit am Arbeitsplatz auswirkt. Der Kapitalismus und seine negativen Effekte bergen dem Überraschungen, der sich mit Scheuklappen durchs Dunkel tastet. Bei Tageslicht besehen hätte man diese Festspiele des Versagens weitaus früher wahrnehmen können.

Vielleicht lösen wir das gesamtgesellschaftlich. Die jüngst geborene Generation darf sich frei entscheiden und bekommt nicht mehr mit der Erziehung eingetrichtert, wie sie sich konform zu verhalten hat. Oder wir sorgen einfach nur dafür, dass sie so erzogen wird, dass sie ihren Kindern, die sie dereinst sicher auch haben werden, diese Art der Erziehung angedeihen lassen werden. Oder die ihren Kindern. Oder die ihren. Oder immer so weiter. Unter Umständen hat ja irgendwann jemand Zeit dafür, nach Spätschicht und Abwasch.





Fehlerträchtig

9 12 2009

„So eine gottverdammte Schweinerei!“ Die junge Frau drosch mit der Tasche auf den Papierkorb ein. „Danke, gestorben!“ Siebels lehnte sich zurück und gab dem Kamerateam ein Handzeichen. „Und jetzt wieder Position B, bitte!“ Ich schlürfte vorsichtig am heißen Kaffee. „Ob das eine so brillante Idee war, den Sendeplatz direkt nach dem Original zu buchen?“ „Aber ja“, bekräftigte der TV-Produzent, „nur so haben wir auch eine reelle Chance, dem Zuschauer die Flöhe wieder aus dem Ohr zu holen.“

Unterdessen hatte sich die Blondine mit dem deutlich erkennbaren Babybauch wieder beruhigt und stapfte nach einer kurzen Absprache mit der Continuity aus dem Bild. „Wir machen dann den Innendreh mit ihr nächste Woche Montag um halb vier, vorher bekommt sie keinen Termin.“ „Kein Problem“, antwortete Siebels, „dann machen wir ihren Nervenzusammenbruch gleich in einem Aufwasch mit. Spart uns eine Stunde Drehzeit.“ „Sie entwickeln sich langsam zu einem richtigen Ekel“, bemerkte ich angewidert. Siebels zog eine Braue in die Höhe. „Nur, weil ich der Republik zeige, was passiert, wenn sie schwanger wird?“ „Sie scheinen sich sehr sicher zu sein, dass Sie mit Ihrem Sozialporno noch ankommen. Ich bezweifle, ob sich das Fernsehpublikum den galoppierenden Niveauverlust noch lange antun wird.“ „Was? Ich? Sozialporno?“ Er kicherte. „Wir zeigen die wirklich unappetitlichen Sachen, die niemand erträgt. Das, was das Unterschichtenfernsehen sich nicht zu zeigen traut – die Wirklichkeit.“

Inzwischen waren ein Sanitäter und der Beleuchter schon damit beschäftigt, die nächste Schwangere aufzurichten; sie hatte den Gegenwert eines Gebrauchtwagens investiert, um ihre Sterilisation wieder rückgängig zu machen, und erfuhr nun, dass ihre Krankenkasse die Kosten des Eingriffs nicht tragen würde. „Was soll ich jetzt machen“, heulte sie, „ich bin völlig überschuldet, wenn das Kind kommt!“ „Hervorragend“, lobte Siebels. „Das Bild ist wirklich gut gelungen. Dazu als Gegenschnitt eine der Wahlkampfreden von Westerwelle oder Merkel mit ihrem üblichen Familiengewäsch, und der Zuschauer weiß, was Phase ist. Großartig!“

Mesemann klopfte an die Tür des Trailers. „Ah, Sie sind’s!“ Siebels strahlte. „Schieben Sie die Aufnahme gleich rein. Wir wollen sehen, was wir für die erste Sendung verwenden können.“ Die Supermarktkassiererin, die bereits fünf Kinder von vier Männern hatte und sich neben ihrem Halbtagsjob größtenteils von Kindergeld ernährte, wurde gerade vom Personalchef angebrüllt. Ihre Schwangerschaft passte nicht ins Konzept des Gebietsleiters. „Damit haben wir dann auch Innenaufnahmen in der Sozialbehörde“, nickte Siebels tief befriedigt, „und können uns ansehen, wie sie jetzt ihr sechstes Blag füttert, wenn man ihr wegen der Hartz-IV-Leistungen das komplette Kindergeld streicht. Vielleicht begleiten wir sie sogar auf Wohnungssuche.“ Begeistert klatschte er in die Hände. „Arbeitslose Schwangere mit fünf verwahrlosten Kindern sucht eine Sozialwohnung – das klingt nach einer satten Einschaltquote!“

Ich blätterte die Unterlagen durch. „Das Ding sieht mir sowieso aus wie eine Dauerwerbesendung für künstliche Befruchtung.“ Siebels nickte. „Das kommt noch dazu. Aber das ist es nicht. Haben Sie schon die gynäkologischen Befunde gelesen?“ Ich verneinte. „Ein bunter Reigen. Die Mittvierzigerin mit psychotischem Kinderwunsch trifft auf die Risikopatientin, die mit einer Schwangerschaft ihr Leben aufs Spiel setzt. Allesamt bekloppt.“ „Und die Sendung zeigt das, um den Kinderwunsch beim Zuschauer durch eine Art Trotzreaktion zu verstärken?“ „Genau, wenn Sie das sehen, wissen Sie: jeder Depp kann ein Kind kriegen. Jeder noch so absurde Kinderwunsch, wenn Sie beispielsweise HIV-positiv und hoch verschuldet sind, schon ein halbes Dutzend Kinder haben, die Ihnen das Jugendamt regelmäßig wegnimmt oder die mit Ihnen nichts mehr zu tun haben wollen – jeder Kinderwunsch ist grundsätzlich legitim. Gesunder Menschenverstand nicht.“

Die nächste Kandidatin hätte die Tochter des geistig völlig überforderten Vaters sein können; tatsächlich war sie die Mutter seiner Kinder. „Da kleben wir dann Wurfprämien-Gefasel von der Ex-Familienministerin rein und als Gegenschnitt die kinderfeindliche Politik, die sie jetzt als Arbeitsministerin betreibt.“ „Also wollen Sie aufklären, dass die Gesellschaft kinderfeindlich ist?“ „Mitnichten“, winkte Siebels ab, „ich zeige, dass das Unterschichtenfernsehen das irrationale, da die Realität ignorierende Diktat der Lebensentwürfe kopiert und sich zum willfährigen Sprachrohr einer Politik macht, die das NS-Repertoire abkupfert und die Wirkung durch neoliberales Klientelgeschleime gleich wieder zerstört.“ „NS-Politik?“ „Was dachten denn Sie, woher die Perfektionierung der Malthus-Theoreme kam? Beine breit für den Führer! Bisschen BDM-Charme, gebärfreudige Vaterlandsliebe, das wird doch gerne gepredigt in Parteien mit christlichem Anstrich. Fragen Sie mal einen katholischen Priester in Paderborn, was er von muslimischen Säuglingen hält. Der entdeckt ganz neue Toleranzen, wenn’s um Abtreibung geht.“ Ich war entsetzt. „Und diese psychotischen Ideen treffen auf die Wirklichkeit.“ „Die auch nicht viel besser ist“, bestätigte Siebels. „Aber wir kriegen das schon hin. Der Sendeplatz stimmt. Schwangere gibt es in Deutschland auch genug. Und Eva Herman ist froh, endlich mal wieder im Fernsehen zu sein.“