Recht und Gesetz

6 04 2011

Das Ding rumpelte und ächzte in allen Fugen. Vor dem Sichtfenster bog sich das Licht zusammen und verschwand in der Rotverschiebung. „Festhalten“, sprach Professor Trinkler, und es kam mir vor, als bräuchte er dazu Jahre und Jahrzehnte, so langsam erreichten seine Worte mein Ohr, aber das war ja auch nicht weiter verwunderlich. Schließlich saßen wir in den unbequemen Sitzen seiner Zeitmaschine.

Das Messgerät zeigte die maximale Krümmung der Raumzeit. „Mir wird übel“, stöhnte ich, denn der Kasten drehte sich unaufhörlich. „Warten Sie“, murmelte der Professor, „das Bose-Einstein-Kondensat steht kurz vor dem Phasenübergang. Wir sind da in zehn Sekunden… fünf… in drei…“ „Mir egal, machen Sie nur, dass diese elende Kiste nicht mehr rotiert. Mir ist übel!“ Trinkler rümpfte die Nase. „Machen Sie mir gefälligst keine Flecke ins 16. Jahrhundert. Die kriegt man möglicherweise nie wieder raus.“ Es schnarrte und zischte, dann stand alles still. Ein knarrendes Geräusch, und schon sprang die Ausstiegsklappe auf. „Es riecht wie auf einem Grillplatz“, konstatierte ich. „1511 scheint so anders gar nicht zu sein als die Gegenwart.“

Die junge Frau war mit einen Hanfstrick an den Balken gefesselt. Sie zitterte vor Angst und Kälte. „Meine Güte“, stöhnte Trinkler. „Ich muss mich mit der Dilatation verschätzt haben. Wir sind ja im Mittelalter gelandet.“ Ich rollte mit den Augen. „In der Geschichtsstunde haben Sie wohl immer nur Schiffe versenken gespielt, was? Hexenwahn war immer noch eine Angelegenheit der frühen Neuzeit. He, guter Mann!“ Ich fasste den Handwerker am Arm. „Ob Er mir wohl sagen kann, wer der Kaiser ist?“ „Maximilian natürlich“, gab der biedere Kumpan zurück, „und Ihr ziehet Euch besser etwas Anständiges an, der Vogt nahet sich!“ Perplex sah Trinkler an sich herab. „Ist das denn nicht okay?“ „Sie hatten in Geschichte wirklich einen Blackout“, spottete ich, „Laborkittel und Turnschuhe wurden erst während der Reformation erfunden.“

Trinkler stürzte sich sofort auf den Beamten. „Euro Gnaden, wir kommen von weit her und sind im Auftrage der Herrschaft unterwegs. So saget, ist dies eine genehmigte Verbrennung?“ Der Vogt kratzte unter seiner Schaube ein paar Flöhe weg und zog eine Braue in die Höhe. „Das wüsste ich“, gab er zurück. „Die Regierung hier bin ich, es wird niemand verbrannt, wenn ich es nicht anordne.“ „Aber die Schadstoffemission ist…“ „Trinkler“, flehte ich, „Sie reden hier mit dem Vogt, wird sind im Heiligen Römischen Reich, und Ihre Formulare vom Bundesumweltministerium werden niemanden interessieren!“ „Ach was, man muss den Anfängen wehren. Wenn wir die Kohlendioxid-Belastung im Keim ersticken können, sollten wir es versuchen. Unsere Maschine gibt momentan nicht mehr als 500 Jahre her, aber das ist doch auch schon etwas.“ „Trinkler, nehmen Sie doch Vernunft an! Das ist ja lächerlich, wollen Sie jetzt Hexenverbrennungen nur noch mit Partikelfilter erlauben? Kümmern Sie sich lieber, dass sie nicht für irgendeinen Quark auf den Scheiterhaufen kommt!“ Er stampfte mit dem Fuß auf. „Nehmen Sie zur Kenntnis, dass wir nicht befugt sind, uns in innenpolitische Konflikte zu kümmern. Sie wissen, nur Bußgeldbescheide.“

War der Vogt des Lesens nicht mächtig, hatte er sein Augenlicht eingebüßt, jedenfalls blinzelte er nur auf das amtliche Schreiben und beschied uns, die vermeintliche Hexe loszumachen. „Ihr könnt die Frau mitnehmen, aber schafft sie und ihren ganzen Kräuterkram aus der Stadt.“ Da wurde der Amtsschimmel hellhörig. „Kräuterkram? Moment, ich muss mal eben nachsehen, ob das überhaupt erlaubt ist.“ Und er durchwühlte die beiden Säcke, auf denen die völlig verängstigte Frau saß. „Fingerhut, Huflattich, Beinwell! Das ist ja interessant! Sagen Sie mal, haben Sie eigentlich eine Genehmigung gemäß Gesetz über die berufsmäßige Ausübung der Heilkunde ohne Bestallung?“ „Trinkler“, knirschte ich, „das Heilpraktikergesetz wurde ein Jahrhunderte später erlassen, Sie Idiot!“ „Das könnte Ihnen so passen!“ Jetzt schmollte er. „Am Ende bekommen wir noch Ärger, wenn hier Homöopathie auf Krankenschein verschrieben wird!“ Ich zog ihn hoch. „Jetzt machen Sie mir keinen Ärger, schließlich wollten Sie nur einmal nach der Emission von Schadstoffen sehen. Alles andere ist nicht mehr unser…“ „Da!“ Wie von der Tarantel gestochen sprang er auf und stierte in die Höhe. „Ich wette mit Ihnen, diese Regenrinne ist nicht gemäß der wasserrechtlichen Eignung von Bauprodukten durch Nachweise der zuständigen Landesbehörde installiert worden!“ Er war drauf und dran, das Haus zu stürmen. „Das darf man nicht durchgehen lassen! Jetzt stellen Sie sich vor, wir würden hier beide Augen zudrücken.“ „Es würde für die nächsten Jahrhunderte kein Schwein interessieren“, antwortete ich. Doch er hörte gar nicht mehr zu. „Das werde ich der Bauaufsicht melden, so geht das ja nun nicht!“ Schon begann er in seinen Block zu kritzeln, als sich gemessenen Schrittes eine weitere Amtsperson näherte. „Holla, was treibt Ihr da?“ „Oh, die Bauaufsicht!“ Trinkler kletterte vom Geländer herunter; offensichtlich hatte er vollkommen vergessen, wo er sich befand. „Wir müssen da mal ein ernstes Wort mit dem Besitzer reden, der erlaubte Abstand zwischen Schnittgerinne und Fassadenprofil scheint mir um mindestens elf Millimeter unterschritten, meinen Sie nicht auch? Und dem Geräusch hier könnte man auch auf Schweinehaltung in einem Wohnbezirk schließen – das müsste gegen die Gemeindesatzung verstoßen, nicht wahr? Ich finde, wir sollten hier ein Exempel statuieren und…“ Der Büttel hatte offensichtlich schlechte Laune. „Der große eiserne Kasten da hinten ist Euer?“ „Hübsch, oder?“ Trinkler war außer sich vor Stolz. Doch das war dem Wächter gleich. „Das kostet Euch einen Gulden, ersatzweise zwölf Tage Kerker! Wir wollen damit gar nicht erst anfangen, hier herrschen Zucht und Ordnung! Verstanden?“ „Aber was haben wir denn falsch gemacht“, stammelte der Professor, „was war es denn?“ Der Gendarm strich sich den Bart. „Ihr steht im Halteverbot.“





Um die Wurst

2 04 2009

Ob es der Grünkohl war, den Jonas mit Kohlwurst, dicken Kasselerscheiben und Schweinebacke in entsetzlichen Mengen servierte, ob es am Bier lag, das wir gegen den wehrsamen Eintopf tranken – schon um halb zehn war ich bewegungsunfähig und sah um mich herum sitzend vollgestopfte Gestalten, die an der Tischkante mühsam Halt suchten und aus glasigen Augen in die Röstkartoffeln starrten. Zu einem gesitteten Gespräch war niemand mehr in der Lage; alles, was mehr als drei Silben hatte, fiel der Luftnot zum Opfer. So beobachteten wir, wie Jonas in Zeitlupe die Schnapsflasche hereintrug und die Gläser füllte. Die Zeit schien auf dem Zifferblatt der Küchenuhr festzukleben.

Kaum war ich zu Hause angekommen, plumpste ich auf die Couch. Dabei musste ich mich auf die Fernbedienung fallen gelassen haben. Schon sprang die Glotze an. Längst schon war ich zu träge zum Abschalten. So kam Guido Knopps Hysteriendrama Die wirklich wahrste Wahrheit über Danton über mich. Burgschauschauspieler sprachen ewige Worte aus Büchners Revolutions-Drama – „Und wenn ich ganz zerfiele, mich ganz auflöste, ich wäre eine Handvoll gemarterten Staubes…“ – und senkten mich in einen Zustand milder Entrückung. Alles kreiselte. Georges Danton bei den Freimaurern. Unter dem Fallbeil. Dazwischen ein Guido Knopp mit Bart und Brille, der aussah wie mein Geschichtslehrer Doktor Leusel. Alles sank hin um mich, Kohl und Knopp, und vermengte sich zu Wurstbrei, der mich in einen unruhigen Schlummer zog.

Da hockte ich in einem Heuhaufen und sah die Truppen einreiten. Hatte Axel Oxenstierna doch verfügt, keine Schwede müsse mehr Fleischwurst ohne Kartoffelbrei essen – siegreich zog Gustav II. Falukorv in München ein, nur um festzustellen, dass es bereits früher Nachmittag war. Kein Zipfel Weißwurst mehr in der ganzen Stadt. Missmutig rührte der General im süßen Senf.

Aus der Ferne zog Schlachtenlärm herauf – der Aufstand! Necker hatte das Volk ausgequetscht und abgekocht wie Wurstbrät. Während bei Hofe Schweinskopf mit Zitrone serviert wurde, nagten die Bauern am teuren Brot. Kaum ein Stückchen Sülze konnten sie erschwingen. Danton saß in der Geheimloge und sann mit den Aufrührern, wie man des Königs Kopf selbst mit Petersilie anrichten könnte, da sprach Marie Antoinette beim Schlachter ihre fatalen Worte: „Wenn die Leute keinen Flönz haben, sollen sie doch Teewurst essen!“ Nun gab es kein Halten mehr. Die aufgestachelte Menge zog in die Bastille, wo Landjäger und Zervelat im Rauch hingen, Lyoner und Bierwurst im Brühkessel dampften. Höhnisch schickte man der Bürgerin Capet Hirnwurst zur Conciergerie. Doch nur zu bald wandte sich das Blatt. Danton und Robespierre wurden öffentlich gehackt, Marat gar fand man leblos im Essigsud liegend – man entledigte sich der Aufwiegler, keiner aus der Geheimgesellschaft blieb verschont. Es ging um die Wurst.

Denn dass der ominöse Wurstclub bereits 1787 gegründet worden war, daran besteht kein Zweifel. Zeichen, Worte und Griffe der Freimetzger hatten sich von Land zu Land unter der Schlachtertheke fortgepflanzt und dem einen internationalen Ziel gedient – die Weltherrschaft an sich zu reißen. Unter diesem Deckmantel versuchte Napoleon, die Vorherrschaft der deutschen Aalrauchwurst mit seinen Chasseurs zu brechen. Nur darum inszenierte Metternich den Kongress zur Wiederherstellung der Wienerle – die Erstausgabe des Darmstädter Landjägers erinnert noch heute an die große Restaurationsfachkraft – und drängte die Krainer zurück. Noch Bismarck, munkelt man, habe gesagt, die Leute schliefen desto besser, je weniger sie wüssten, wie Würste und Gesetze gemacht würden. Sie steckten in Wahrheit alle in einer Pelle.

Und das ist noch nicht alles. An manchen Stammtischen erzählt man sich noch heute hinter vorgehaltener Hand, Karl Theodor Schwarte (ebenderselbe, der den Schwartemagen erfunden und die Parlamentskantine in der Paulskirche bewirtschaftet hatte) habe den im Königreich Württemberg steckbrieflich gesuchten Georg Christian Grütz 1848 in die Freie Stadt geschmuggelt, um mit ihm die Großloge Zum Frankfurter Würstchen zu gründen. Hatte der ehemalige Hofmedikus doch während der großen Rattenplage die Grützwurst ersonnen. Die Revolution brach aus – auf den Barrikaden wurde geschossen, während des Wiener Aufstandes brannte das Logenhaus vollständig aus. Grütz, ein Mann der Tat, sammelte die Umstürzler hinter sich. Leider trank er unmäßig viel, und so kam es, dass er nach einer reichlich gewürzten Paprikasalami (einem Gastgeschenk der ungarischen Freiheitskämpfer) ein ganzes Partyfässchen Rheinwein in sich hineinschüttete, um der entsetzen Gesellschaft lallend die wahre Rezeptur der Leberwurst zu enthüllen. Er ward nie mehr gesehen. Hartnäckig hält sich der Verdacht, Schwarte selbst, dessen Porträt bis auf den heutigen Tag im Logenhaus zu besichtigen ist, habe seine Finger im Spiel gehabt; denn das Bildnis zeigt die Magnifizenz beim Verspeisen einer Platte mit Blut- und Leberwurst.

Ganz zuletzt träumte mir, Guido Knopp sei als Gesichtsmortadella auf mich zugetreten und habe versucht, mir sämtliche Weltkriege durch den Wolf gedreht einzutrichtern. Mit schmerzendem Nacken erwachte ich. Schließlich hatte ich die ganze Nacht schräg auf der Fernbedienung gelegen. An der Tür klingelte es wieder und wieder, und so musste ich mich schließlich erheben. Jonas stand davor, in den Fingern ein fettiges Päckchen. Es seien aus dem Grünkohltopf noch so viele Mettenden übrig. Ob ich nicht ein paar abhaben wolle.

Es ist, wie gesagt, eine Verschwörung von größerem Ausmaß.





In der grünen Hölle

16 03 2009

„Ganz vorsichtig“, mahnte Professor Wedekind, „der Extrakt ist unbezahlbar. Elf Jahre Forschung stecken darin.“ Ehrfürchtig stellte ich das Fläschchen auf den Tisch. Ich war ein lausiger Chemie-Schüler gewesen, hatte im Unterricht meist die Lateinübersetzung der vorangegangenen Stunde erledigt und wusste gerade mal, dass man kein Wasser in Säuren gießen soll. Doch dieser Wissenschaftler von Weltruf machte mich neugierig auf seine Entdeckungen.

„Die Chemie steht vor einer Revolution, junger Freund. Mit meiner Kondensationsmethode werden wir Aromastoffe herstellen, die keines Menschen Nase je gerochen, keine Zunge je geschmeckt hat.“ Er hielt einen Flakon in die Höhe. „Kirscharoma – Sie kennen es aus jedem beliebigen Fruchtjoghurt. Doch mein Verfahren vermag Unglaubliches.“ Er tunkte eine Nadelspitze hinein, die er in ein großes Wasserbecken hielt. Einen Teelöffel schöpfte er nun in ein Trinkglas und füllte es mit Sprudel auf. Ich kostete. „Kirschlimonade! Ein Viertelliter, und die Weltmeere schmecken für ein Jahr wie Kirschsaft.“

Nun war ich gespannt, was der Professor an Düften auf Lager hatte. „Passen Sie mal auf.“ Und er sprühte eine blassgelbe Flüssigkeit auf ein Pappkärtchen, das er mir unter die Nase hielt. Es duftete intensiv nach wilden Rosen. Rasch verging das Parfüm – doch nein, es wurde zu Flieder und dann zu Waldmeister, changierte zwischen Koriander, frisch gemähtem Gras und Akazie, bevor es über sonnenwarmes Holz in Erdbeeren überging und schließlich als Anis sich verflüchtigte. Ich war beeindruckt. Wedekind schmunzelte. „Rindsbraten und Rotwein hätte ich auch im Angebot. Aber das sparen wir uns wohl besser fürs Duftfernsehen auf.“

Ganz beiläufig zog ich den Stopfen aus einem Glasballon und roch daran. Meine Augen begannen zu tränen. Professor Wedekind sah es und zog mich an den Schultern fort. „Um Himmels Willen! Sie dürfen doch nicht einfach die Dämpfe einatmen!“ Das Beißen ließ nach, aber ich sah verschwommen. Sein Gesicht schien grün anzulaufen. „Ich hoffe, dass Sie keine Beeinträchtigungen haben.“ Er leuchtete mir in die Pupillen. „Etwas getrübt. Grün, sagen Sie? Ich rate Ihnen, schnell nach Hause zu gehen. Morgen dürfte es sich bessern.“

Noch immer waren meine Linsen getrübt. Teils waren die Farben wieder normal, doch manchmal tanzten grüne Punkte vor mir. Der Springbrunnen vor dem Institut spie grünes Wasser, die grünen Hunde verschwanden im Rasen, die Blutbuche leuchtete grünlich in den Sommerhimmel.

„Geht es Ihnen nicht gut?“ Das Marsmännchen in der blauen Uniform sah mich mitleidig an. Ich machte ihm eine schwere Magenverstimmung weis. Er klopfte mir auf die Schulter. „Ruhen Sie sich mal aus. Gute Besserung! Sie sehen ja ganz grün im Gesicht aus.“ Sofort trat ich vor das nächste Schaufenster. Pistazienfarbene Schuhe und Handtaschen aus Farn lagen auf Dschungelkissen. War das die neue Mode? Ich wandte mich um, ging auf die Ampel zu, die grün aufleuchtete, und überquerte die Straße. Reifen quietschten, der Transporter brach aus und prallte gegen einen Laternenmast. Die Plane platzte. Grüne Orangen flogen heraus. Sie bedeckten den smaragdfarbenen Rotkohl vor dem Gemüseladen.

Ich rannte um mein Leben. Versteckte mich hinter einem grünen Briefkasten und ging bei einer grünen Telefonzelle in Deckung, hinter der grünen Stromreklame und der Litfaßsäule mit der grünen Schokoladenkuh. Flüchtig streifte mein Blick die giftig grünen Wahlplakate. Mehr Sicherheit – Kinder und Jugendliche wegsperren! las ich, und: Für soziale Gerechtigkeit – Deutsche Arbeitslosigkeit den Deutschen! Da war mir klar, ich war in der grünen Hölle.

Endlich hatte ich den Stadtpark erreicht. Hier im Grünen würde mich keiner entdecken. Ich ließ mich auf einer apfelgrünen Bank beim jadefarbigen Teich nieder und verschnaufte.

„Sie haben nicht zufällig ein Stückchen Brot dabei?“ Wer sprach da? Neben der Bank watschelte eine grüne Ente vorbei. „Sie riechen ein bisschen auffällig nach polyzyklischen Kohlenwasserstoffen. Genau wie die Joghurtbecher, die die Spaziergänger immer neben die Papierkörbe werfen.“ Verwundert fragte ich den Vogel, was er davon wisse. „Einiges. Wir sind schließlich mit Ihren Hinterlassenschaften konfrontiert. Man bildet sich weiter.“ Jetzt erst fiel mir auf, dass mich die Ente verstand. Doch ich hatte mich gründlich geirrt. „Nicht ich habe Ihre Sprache gelernt, Sie verstehen meine. Nun gut, erzählen Sie.“ Und der Erpel – ich hatte ihn inzwischen als Stockentenmännchen erkannt – flatterte auf die Bank.

Die ganze Geschichte erzählte ich ihm. Von Professor Wedekinds Veilchenextrakt bis zu den mysteriösen Dämpfen. Der Erpel wiegte sein Köpfchen und sinnierte. Er schnatterte schließlich: „Ich will es Ihnen verraten. Wenn Sie demnächst mit Brot wiederkommen.“ Einen Korb Weißbrot versprach ich ihm. Vergnügt quietschte er. Wie ein Gummientchen. „Sehen Sie den Ahorn da hinten? Pflücken Sie ein paar Blätter. Sie müssen sich die Augen damit ausreiben.“ Aufmunternd nickte er mir zu. Ob ich es nicht lieber zu Hause versuchen sollte? Andererseits würde ich bereits beim Betreten meiner Wohnung einen Picasso aus der grünen Periode sehen. Das konnte ich nicht riskieren.

Es erwies sich als schwierig, die untersten Blätter zu pflücken. Doch schließlich gelang es mir. Schnell rieb ich mir die Augen aus. Einen Moment lang sah ich gar nichts mehr, dann fiel es wie ein Schleier vor mir ab. Hinter den blassbraunen Matten des Parks erhob sich in frischem, frühlingshaftem Grau das Verwaltungsgebäude des Margarinekonzerns. Pinkfarbene Mütter schoben grellgelbe Kinderwagen über schmutzige Kieswege, auf denen grellrote Dosen lagen. Ich blickte zum graublauen Wasser. Der Stockenterich war wieder ans Ufer gewatschelt und drehte sich zu mir um, als er mich sah. „Rräpp“, sagte er, und noch einmal: „Rrrräpp!“

Voller Sorge rief mich Professor Wedekind am nächsten Tag an. Ich beruhigte ihn. „Alles halb so schlimm. Die Beschwerden sind abgeklungen. Alles wieder in Ordnung.“ Er war sichtlich erleichtert. „Was da alles hätte passieren können! Man weiß ja nie, was in so einer Tinktur alles steckt. Geht es Ihnen wirklich gut?“

Ich besänftigte ihn. Es habe so gut wie keine Nebenwirkungen gegeben.