Gernulf Olzheimer kommentiert (CDXCVII): Geocaching

17 01 2020
Gernulf Olzheimer

Gernulf Olzheimer

Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.

Früher waren es noch schnaufende Troglodyten, die durch den Knick strauchelten. Ab und zu latschten sie knacksend über Schnecken und Eier, aber das hielt sie nicht von ihrem Tun ab. Heute findet man sie in rustikale Polyesterhüllen gepfropft in den Rückzugsgebieten des Buntspechts, wie sie geräuschinvasiv ins Gelände einfallen, Höhenzüge erledigen und die Fauna verstört zurücklassen. Jeder erkennt sie, wie sie ihr technisches Gerät in der Sonne schwenken, wochenendliche Hasardeure der fröhlichen Zerstörung. Wer hat sich diesen Unfug nur ausgedacht, und vor allem: warum? Die Antwort, so werden die Freunde des Geocaching sagen, liegt irgendwo auf der Streuobstwiese in einer nicht grundwasserneutralen PVC-Kapsel.

Normale Menschen, die zumindest aufrechten Gang und zügige Atmung souverän miteinander zu verbinden wissen, kanalisieren ihre überschüssige Energie in normalen Freizeitbeschäftigungen wie Pistolenschießen, Insektenzucht oder Bierkonsum. Wer das nicht unfallfrei auf die Kette zu kriegen droht, muss sich in Übergangsjacke und Helm im Naturschutzgebiet herumtreiben, größtenteils in der Zone, die den Hominiden als Störfaktor so gut gebrauchen kann wie ein Reisebusfahrer die Schlafkrankheit. Bunte Plastebömmel lagern hier und da in der Kohlenstoffwelt, darin ein Stückchen Papier, beschrieben mit Namen der Knalltüten, die auf der Jagd nach Schnitzeln ihr eigenes Kürzel dazuschwiemeln, als sei ihre geistige Müllabladung ein Abenteuer. Dabei ist das Auffinden der Dinger im Feld ähnlich komplex wie Wanderungen in einer beliebigen Innenstadt unter Benutzung eines aus amtlichem Kartenmaterial erstellten Faltplans. Der postmoderne Schatzsucher bedient sich seines satellitengesteuerten GPS-Geräts, tapert durch Saat und Frucht schnurstracks auf die Koordinate und lokalisiert die einzige als biotopfremd erkennbare Kiste, die eher nicht auf dem Kunststoffbaum gewachsen ist. Was kann schöner sein.

Wie gesagt, der Wald. Dem Bekloppten ist es zumeist wumpe, dass er in Schutzgebiete eindringt und dort fröhlich marodiert. Es sind sinnigerweise dieselben Flusenlutscher, die beim Anblick eines angeblichen Wolfs in Geweimer ausbrechen und lautstark den Abschuss des bösen Tiers fordern, das nicht in die Natur gehört, wie sie der eventbekiffte Turnschuhtourist vorzufinden wünscht. Hausrecht ist den Nudelbiegern sowieso egal, und wo sie ihren Schritt verklappen. Kommt es auf unwegsamer Strecke, am Hang oder in der Höhe, zum Unfall, zahlt der Grundstückseigner für die klinische Doofheit seiner ungebetenen Gäste, sofern er deren Anwesenheit nicht zuvor verboten hat. Da es dem Zeitgeist der Zielgruppe entspricht, immer extremer gelagerte Fundorte zu wählen, die naturgemäß zum Rückzugsort zahlreicher Arten gehören, auch in temporärer Brut und Brunft, gehört das Verlassen des gesicherten Weges längst zum guten Ton. Ebenso lässt sich die Schnitzeljagdgesellschaft nichts anmerken, wenn sie von Unbeteiligten auf frischer Tat ertappt wird; Geheimniskrämerei in ridiküler Pose scheint sich da mehr zu ziemen.

Die geistige Herausforderung, nicht mehr nach den Sternen, nach Landmarken oder notfalls dem Kompass durch die Pampa zu streifen, sondern die elektronische Trulla zu verwenden, stempelt diese Tätigkeit denn auch hinlänglich zum Instant-Spaß für mit allem überforderte Yuppies ab, die zwar ein bisschen Adventure im Outdoor-Bereich haben wollen, aber mehr so Fun, nicht wirklich wirklich. Wie muss man sich das vorstellen? Hackt der hippe Wurstverkäufer am Wochenende aus dem Netz das Navi voll und hakt dann mit seiner Nachbarina als Kapselkasper die Überraschungseier im Grünen ab? Hört man alle zehn Minuten, wie die Kursleiterin Sie haben Ihr Ziel erreicht durch die Hecke knödelt? Wahrscheinlich war das alles nur ein Missverständnis, als am Rande eines gründlich aus dem Ruder gelaufenen Marketing-Kongresses ein Vertriebsleiter für GPS-Spielzeug bei mehr als genug billigem Alkohol mit dem Chefstrategen eines Herstellers von Funktionskleidung für ästhetisch sonderbegabte Zwangsgestörte beschloss, den ganzen Schmodder im Doppelpack als Lifestyle anzupreisen und an alle zu verkaufen, die sich ab Samstag außerhalb der Zivilisation aufhalten, weil es keinen gibt, der sie innerhalb vermissen würde. Dass man damit inzwischen eine Menge Kohle machen kann, ist nur folgerichtig.

Warten wir darauf, dass der erste Depp sein Gebamsel in einer belebten Fußgängerzone oder an einem Verkehrsknotenpunkt deponiert und darauf von ein paar freundlichen, aber maskierten Herren mit halbautomatischem Gewehr im Anschlag aufs Pflaster befördert wird, weil das SEK Semtex oder Heroin im Container vermutet. Vielleicht ruft auch ein Revierförster vergeblich den Hobbykletterer an, bevor er ihn per Großkaliber aus der Föhre klaubt. Es trüge doch maßgeblich zu mehr Achtsamkeit bei, wenn der Mensch wieder mehr Respekt dadurch bekäme für die majestätische Ruhe des Anorganischen. Er hätte sein Ziel erreicht.





Gernulf Olzheimer kommentiert (CCLXIII): Angeln

24 10 2014
Gernulf Olzheimer

Gernulf Olzheimer

Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.

Für bepelzte Vierbeiner muss das Pleistozän ganz okay gewesen sein. Kein Singvogel hat je etwas Negatives über diese Epoche berichtet. Dass jedoch der Hominide, und speziell das Geschlecht mit der Behaarungsattrappe im Gesicht, sich vor lauter Begeisterung in den ersten Kulturschock gestürzt hätte, kann man nicht sagen. Es war wohl auch nicht zu erwarten gewesen, so, wie er halt ab Werk veranlagt ist: da Zeitlichen, der Ablauf vom Morgengrauen bis zum Abendrot, ist noch immer in der embryonalen Seele verhaftet und wird als quasi organisch verzahnte Funktion des Stammhirns betrachtet. Der Frühmensch hockt in der dazu nicht gedachten Gegend und geht seiner bevorzugten Beschäftigung nach. Er guckt dann mal. Das entspannt die im Schädel kreiselnde Murmel ein bisschen und ist geeignet, den Tagesablauf wesentlich zu vereinfachen – falls man nicht im Schlaf von umherstreifenden Säbelzahntigern gerissen wird. Andere Kulturen hätten vielleicht die eine oder andere kopernikanische Wende, zumindest eine Reformation abgewartet, die Seinsphilosophie daraus konstruiert, was auch immer, nur der Troglodyt nicht. Er guckt. Wo immer er am Wasser guckt, und das lässt sich auch lange vor der hydraulischen Gesellschaft spielend erledigen, erfindet er eine neue Lebensform. Den Angler. Man hätte es wissen können.

Da sitzt an den Hafenbecken, lungert an Fluss und Teich, gammelt an jedem verfügbaren Rinnsal ein Depp mit ulkigem Hut voller bunter Bömmel herum, hält ein Stückchen Schnur in die Brühe und wartet darauf, dass nichts mehr geschieht – die Vorstellung, dass sich Elementarteilchen seit dem Urknall ohne behördliche Genehmigung bewegen, verursacht ihm Magenbluten. Wenn schon, dann Widerstand. Wenn man schon etwas zur Kunstform erheben muss, dann wenigstens den Stumpfsinn, und so sieht er auch aus, der aus der und in die Vegetation glotzende Bräskopf, die Inkarnation des farblosen Rauschens, wie er den Charme einer mittelgroßen Dachlatte versprüht. Angeln ist die angenehmste Form der sozialen Interaktion, die auf keinen Fall etwas mit Menschen zu tun hat, nicht unbedingt sozial zu sein braucht und mit etwas Glück keine Ähnlichkeit mit Interaktion hat. Der Angler existiert, wie seine Umgebung existiert. Wer sich vom Hintergrund abhebt, hat verloren.

Dabei ist das allgemein gepriesene Gefühl von Naturnähe, das sich der Angler als Legitimation für seine Flachwasserbeobachtung hinschwiemelt, nur ein billiges Etikett. Offensichtlich ist er gegen jede Zufuhr von Sauerstoff eh hochallergisch, denn warum sonst sollte er sich in Modder, Brackwasser oder aufgestauten Pfützen nach Flossern umtun, die ihm nicht wegschwimmen können, lebende Leichen mit Kiemen und Rückenflosse, nur für kulinarische Analphabeten als Eiweißquelle zu verwerten, und auch das nur, weil der Wurmbefall längst zwischen den Gräten haust. Wer Angst vor Tannen und Eichhörnchen hat und seinen maximalen Kick aus dem Adrenalinstoß zieht, die eine zwei Fingerbreit zu weit von der Sofaecke abgestellte Bierflasche hervorruft, der wird das Survivalerlebnis an Lache und Strom zu schätzen wissen. Falls er nicht zwischendurch vornüber in die ewigen Laichgründe kippt.

Mit ausgeklügelter Langatmigkeit popelt der Querkämmer mit der Rute im Anschlag die Dellen aus dem Quantenschaum: nichts soll sich bewegen, und wenn schon, dann in vorhersagbar lahmer Gleichförmigkeit. Wer auch immer den Angelschein erfunden hat, er muss in der Gemeinde der meditativ das Wasser umrührenden Standbilder im Weichbild der Flusssiedlungen die Verehrung eines Nationalheiligen genießen. Kathedralen werden nach ihm benannt, nie endende Feiertage, Bußgeld- und Prüfungsfragenkataloge, die ein Priester mit monotoner Stimme in konzentrischen Kreisen herunterleiert, während sich die Mesonen, hätten sie Finger, alle von ihnen in die Ohren stopfen würden, um der Unerträglichkeit des Seins zu entgehen. Einmal nicht die Kampfbremse an der Stationärrolle gezogen, und zack! gibt’s eine aufs Maul. Artgerecht natürlich. Der Angelscheinheilige wacht schon darüber, denn was wäre der Bekloppte ohne eine Hausordnung, die alle andern auf sein Niveau zieht.

Wobei es noch niedriger geht. Der angeblich sportliche Angler simuliert eine Art Stierkampf für Waschlappen, in dem er sich zum Herrenmenschen der feudalen Klasse aufschwingt, vergleichbar dem Jäger, der sich von den Domestiken die Hirsche ankarren und vor die Wumme treiben lässt, um in seiner verpfuschten Inkarnation überhaupt mal zum Schuss zu kommen. Hätten die anderen Arten ihre Chance rechtzeitig ergriffen, sie würden den Deppen am anderen Ende des Keschers ohne zu zögern wieder in die Ursuppe kloppen. Die Natur würde den Abbauprozess locker verkraften. Für die paar Jahre.





Gernulf Olzheimer kommentiert (CCXL): Das Freibad

9 05 2014
Gernulf Olzheimer

Gernulf Olzheimer

Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.

Die Hygiene, selten als Selbstzweck praktiziert im Reich der mehrbeinigen Organismen, führt zu mancherlei putzigen Verhaltensweisen. Schweine suhlen sich im Matsch, Elefanten schniefen ihr Wannenbad, Hunde lecken sich an Stellen, an denen andere sich nicht einmal kratzen können. Seit der Hominide, die Art mit dem therapieresistenten Dachschaden, die sich für allein vernünftig hält, die Mitbewohner aus der Körperbehaarung entfernte, statt auf ihr Ableben zu warten, gewann die Sache einen leichten Drall. Wir hüpften nicht mehr ins Wasser, um uns den Pelz zu spülen, sondern taten die Sache aus Gründen der körperlichen Ertüchtigung. Die Ästhetik stand plötzlich im Vordergrund, jener materialisierte Wunsch, mit den Anzeichen der Vergänglichkeit auch diese Vergänglichkeit selbst loszuwerden. Es zieht den Jetztzeitler ins Freibad.

Weil Hallenbad nämlich jeder kann, erst recht der Städter, der einmal pro Woche mit der Straßenbahn zum Glasbetonbau fährt, sich Socken und Unterhemd auszieht, unter die Fußdusche humpelt und mit einer Kautschukkalotte in die Chlorsuppe hüpft, um dumpf seine Bahnen zu ziehen. Kein Ruf zurück zur Natur, nicht das Unbewusste zieht ihn hinan und ins Feuchte, er ist eingezwängt in die Schranken des Sports: schnurgerade die Kachelreihen, dräuend der Sprungturm, der mit seinem zehn Meter hohen Mahnmal die Leistungsfähigkeit der Verdübelten zelebriert – wer hier herunterhüpft, findet auch jeden Grund akzeptabel, in den Krieg zu ziehen.

Das Freibad aber, ausgestattet mit Liegewiese und Kiosk, Sonnenschirm und Uferbefestigung, es gemahnt noch an die gute Zeit, in der sich der Beknackte in Ermangelung geistiger Beschäftigung ins Begleitgrün legen musste. Vielleicht kam bei Gelegenheit ein Reptil von lokaler Berühmtheit vorbeigeschwiemelt (die Leguane füllen in den ereignisarmen Sommermonaten meist die Badeseen der einwohnerreduzierten Regionen), vielleicht rülpste eine Naturgottheit unterirdische Faulgase aus dem Schlamm herauf und sorgte für den Kern einer oft variierten Sage. Im Kevin-Schmödder-Spaßbad von Knupfringen an der Wumpe mit der rhythmisch wabbernden Welle, die Kinder von acht bis achtzig ins nasse Grab zu befördern geeignet ist, muss man freilich auf diese Anregungen verzichten.

Damen, Kinder und Herren bevölkern das Etablissement, und noch ist nicht geklärt, wer die maßgebliche Plage ist. Was die Badegästinnen angeht, so ist spontane Erblindung gar nicht das schlimmste Los; wie bemitleidenswert sind jene Großkatzen, dass man sie von innen aus ihrem Fell herauskratzt und die Reste mit Endvierzigerinnen ausstopft, die ohne einen Ganzkörperschuhlöffel nie in diese Pelle gelangen könnten, es sei denn, sie würden hineingeboren. Massive Dellen in der Oberflächenstruktur rufen Gravitationsanomalien im äußeren Teil des galaktischen Spiralarms hervor, noch viele Lichtjahre entfernt krampft sich der Ereignishorizont ruckartig zusammen, sobald sich die Damenriege nach dem Verzehr von je zwei Stück Buttercreme mit Erdbeeren zu Wasser lässt – Veteraninnen der Colossus-Klasse, dekoriert mit der eisernen Badehaube in Schwarz-Weiß-Rot samt Blümchen – und einen Seegang verursacht, dass selbst die RMS Titanic knirschend auf die Schwemmfläche gehebelt würde. Der Rest liegt auf der Wiese und züchtet seinen Hautkrebs zwischen den Tätowierungen.

Kinder sind bauartbedingt laut. Das ließe sich nur durch rückwirkende Evolutionshemmer ändern.

Was das weibliche Publikum durch Übertreibung zu kompensieren sucht, stößt bei den männlichen Besuchern auf pathologische Realitätsverleugnung. Zwar nimmt die Qualität edelchirurgischer Eingriffe an der Schädelpartie konstant zu, doch manche der Schnittmusterbögen sehen noch immer aus, als hätte Berlusconi mit der Kettensäge und einer Flasche Grappa versucht, die Probeaufnahmen für einen neuen Jackass-Film zu überleben. Man vermisst die Reißverschlüsse, unter denen wir längst Fettabsaugventile vermuteten, Ösen fürs jährliche Festzurren der Fresse, Haken mit Klettverschluss fürs Brusthaarimplantat aus der Eigenkimme, all das Zeug, das Kassenpatienten nie erdulden dürfen. Auch hier rutscht das Gewebe, doch es folgt dem Trend gleichmäßig und von papierleichter Konsistenz, der Überhang der Kniescheiben gleitet mit dem Rest der Beinfleischverkleidung harmonisch auf die Knöchel hinab, weil kein gepumptes Pölsterchen die Sache von innen gegen die Epidermis quetscht. Gleiches mit Gleichem, darum quillt auch das Abdomen elegant über den Äquator der Badehose, die beißend in den Wanst schneidet. Ein fliehendes Toupet über schütterem Rückenflaum, notfalls eine Singlesträhne, die bis in Hüfthöhe angeklatscht den Querkämmer outet, mehr ist nicht vom starken Geschlecht zu erwarten. Alle anderen, die es noch ohne fremde Hilfe aufs Einmeterbrett schaffen, sind in der Schwimmhalle. Wo sie auch nicht mit der Vergänglichkeit konfrontiert werden. Und über die Hygiene reden wir dann ein anderes Mal.





Gernulf Olzheimer kommentiert (CLII): Outdoorwahn

1 06 2012
Gernulf Olzheimer

Gernulf Olzheimer

Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.

Etliches gelang dem Hominiden auf dem Weg zum Ende der Nahrungskette, manches nicht beim ersten Versuch, manches nicht vollständig – es war ein langer, harter Kampf gegen die Materie und den Mitmenschen, wie er sich als Nachbar, Radfahrer oder Fachverkäufer im Heimwerkermarkt zeigt, atavistisch in seine Unvollkommenheit abgleitend, und doch hat der Beknackte sich das Leben auf diesem übel beleumundeten Rotationsellipsoiden einigermaßen schnuckelig eingerichtet. Er hat das Feuer gezähmt, den Fernseher erfunden, Bier in Flaschen, den Rasenmäher und das Automobil. Er hat den Urwald gegen die Steppe, die Steppe gegen die Felshöhle, die Höhle schließlich gegen die witterungsfeste Behausung mit festen Grundstücksgrenzen eingetauscht. Es könnte ihm gut gehen. Warum nur will er unbedingt zurück zur Natur? Und warum will er sich partout ständig am Arsch der Welt aufhalten in seinem Outdoorwahn?

Es ist der normgerecht zivilisierte Städter, der ohne Zentralheizung und WLAN nicht lebensfähig scheint, der besserverdienende SUV-Fahrer mit Bausparvertrag. Sein Berufsleben verbringt er in der austauschbaren Idylle der Betonbiotope, also zieht es ihn in die unberührten, noch nicht von besitzbürgerlichen Freizeitdeppen verschandelten Gebiete, denen er seinen Fußabdruck ins Gesicht zu treten wünscht. Er, die Tristesse seines eigenen Unvermögens erkennend, drängt ins ferne Gegenteil. Sicher wäre es für ihn entspannender, die Natur in Gestalt von Balkonkästen zu erleben, als sich in sauerstoffarmer Umgebung rissige Hände zu holen. Aber wer fragt nach Vernunft, wenn er einen Trend für die Hirnvollverdübelten kreieren kann.

Man erkennt den professionellen Frischluftikus an seinen Statussymbolen. Stablampe im Format eines Baseballschlägers, das Bärentötermesser aus teutonischem Walzstahl, Klappspaten und ein Satz Karabinerhaken aus der Fremdenlegion, alles das trägt der Held ohne Geschäftsbereich in seinem Armee-Backpack mit sich herum, sollte ihn in Bad Saulgau je ein Säbelzahntiger anfallen. Er hat das Beil im Anschlag, allzeit bereit, Fichtenschonungen im Stadtwald umzunieten. Ohne Kompass und Nachtsichtgerät, Mumienschlafsack und Gaskocher befiele ihn auf der Liegewiese, knapp außerhalb der Rufweite einer Trinkhalle und damit definitiv in freier Wildbahn, bereits eine Panikattacke. Ohne Gaslampe betreten hartgesottene Exemplare der Spezies nicht einmal mehr den Kartoffelkeller; immerhin könnte sich ein unterirdischer Vorfahre des Bekloppten im Halbdunkel des Vorratsraumes verbergen. Unterdessen wäre der Survivalprotz, der am Stammtisch Geschichten von der Eroberung der grünen Hölle zum Besten gibt, bereits nervlich am Ende, setzte man ihn an einem vernieselten Nachmittag ohne Spürhund und GPS-Gerät in der Lüneburger Heide aus.

Eine Mischung aus Forstadjunkt und Highend-Alpinist stapft durch die norddeutsche Tiefebene, immer auf der Suche nach dem ultimativen Kick. Es ist anscheinend die Aussicht entbehrungsreicher Nächte, die in Frostbeulen und Kopfplatzwunden enden – derlei bekäme man auf einer Zechtour in einer beliebigen Innenstadt auch hin, doch trägt das männliche Gehabe zwischen Mulm und Modder noch zwei Fingerbreit mehr Hahnenkamm. Die Neoneandertaler beweisen einander, dass sie harte Kerle sind (es handelt sich, man ahnt es, um ein männliches Phänomen mit Gruppendynamik, in dem viele Versagensängste und Profilneurosen sich einen Abenteuerspielplatz gesucht haben) und schwiemeln sich ein Weltbild zurecht, das sie ähnlich aus dem normalen Sinnzusammenhang entfernt wie Extremsportler, Sektenangehörige oder Junkies: bei Licht besehen schmeißen sie eine Menge Kohle aus dem Fenster, um sich vor Zeugen wie die letzten Honks benehmen zu dürfen. Nicht selten begeben sie sich in ernste Lebensgefahr, ja sie liegen mit den Ergebnissen ihres Egotrips nicht selten der Allgemeinheit auf der Tasche, wenn die Zehen nach der Wanderung durch die Dolomiten in Zeitlupe abfrieren, aber wenigstens kann der Bescheuerte mit dem Distinktionsgewinn angeben. Er war im Schneesturm in der Eifel unterwegs und ist nicht in russische Kriegsgefangenschaft geraten, hat sich tagelang nur von Fruchtriegeln und Wasser ernährt und nichts zum Spielen gehabt als eine digitale Funkarmbanduhr mit Höhenmesser, Pulsaufzeichnung und 32-Gigabyte-USB-Speicher. Damit hätte Scott den Südpol erreicht, aber der konnte damit auch umgehen.

Tief hat sich die Illusion von der beherrschbaren Natur in die Denke intellektueller Heckenpemner gefräst; alle wollen sie Mutter Erde umarmen, aber keiner mit bloßen Händen. Am liebsten hätten sie die ganze Veranstaltung vakuumverschweißt im Vorgarten, die Berghütte mit Drei-Sterne-Küche aus der Mikrowelle, der Trip über die Kordilleren innerhalb von dreißig Sekunden abschaltbar, worauf sich der Brezelbieger auf dem Sofa wiederfindet. Die Natur ist ihnen egal, was man am deutlichsten an den Rentnern sieht, die in atmungsaktive Frischhalteklamotten mit UV-Schutzbrille und Bergstiefeln kostümiert durch die Gegend tapsen, als kauften sie ihren Gebissreiniger am Nanga Parbat. Wenngleich selbst das heute niemanden mehr wundern sollte, so erlebnisfixiert, wie diese Welt nun mal ist.