
Gernulf Olzheimer
Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.
Noch vor ganz wenigen Jahrzehnten gab es in der Bevölkerung dieser Breitengrade Menschen, die in Wollpullovern, in Baumwollhemden und, ab und zu streifte dies fast die Grenze zum ästhetisch Hinnehmbaren, Polyesteranzughosen mit Bügelfalte und Umschlag mannigfaltige Tätigkeiten ausübten. Das Gewand signalisierte sofort, wer sich wohl zu welchem Behufe darin befand, und erlaubte dem Betrachter auf diese Art, seinen kleinen Kosmos zu ordnen. Der blütenweiße Kittel machte den Arzt kenntlich, der zwischen zwei Golfpartien kurz seine Praxis aufsuchte, um den Alkoholspiegel an die Tageszeit anzupassen. Am Blaumann erkannte man die Stützen der Gesellschaft, wackere Handwerker, denen aus dem Stand achtzig Gründe einfallen, warum man ein Kupferrohr nie rechtwinklig verschrauben könne, und wenn doch, dann nur zum doppelten Preis und frühestens in sechs Wochen. Man musste nur die Strumpfhose über der Rübe sehen, schon wusste jedes Kind: da schickte sich ein Bürger an, den Ermittlungsbehörden mehr Praxis bei der Aufklärung von Straftaten zu bescheren, und auch die Justizbehörden bekamen ihren Teil. So wussten alle, Kleider machen Leute.
Diese so verhältnismäßig einfach wie nützlich gestrickte Gesetzmäßigkeit kann man heute in die Tonne treten, da das Gros der Behämmerten in kotzbunt bedruckten, logoverzierten Plastesäcken durch die Vegetation torkelt. Als wäre der Anblick nicht schon beschissen genug, den das kognitiv naturbelassene Volk darin hinterlässt, hören die in frischem Minzgrün mit pinkfarbenen Applikationen an die sterbliche Hülle geschwiemelten Fetzen auf den Gattungsbegriff Freizeitkleidung, was eine der frechsten Lügen seit der Dolchstoßlegende und der Geschichte mit dem Klapperstorch ist. Denn gerade jene meist männlichen Homo-sapiens-Parodien, die im Balkansmoking ihr Frühstück in der Tanke jagen, sind nicht darauf angewiesen, ihre Existenz in die beiden Großbereiche Arbeit und Freizeit aufzuteilen, letztere wohlbemerkt als Gegenbegriff zu der Spanne des Tages, die man im Monteur- oder Taucheranzug verbringt und nicht in einer Kombination aus wirr zusammengedengelten Stoffresten mit Reißverschlüssen, die man auch dann noch betätigen kann, wenn wegen temporären Arbeitsspeichermangels Kulturtechniken wie das Kauen bereits gegen den Schluckreflex zurücktreten müssen. Wer diesen Bronxfummel in Verkennung der Wirklichkeit gar Trainingskleidung nennt, kann sich höchstens auf einarmiges Reißen in der Ein-Liter-Klasse beziehen. Mehr Leibesertüchtigung läge den vollzeitig Freizeitbekleideten fern.
Die Herkunft der geschmacksfreien Kluft aus dem Sportbereich mag man ja hinnehmen, und so bietet die Ganzkörpermülltüte dem Bekloppten in der Tat einige Vorzüge gegenüber traditionellen Kleidungsstücken. So lassen sich die Hosen dank der Druckknopfleisten an- und auch rasch wieder ablegen, falls die Blase drückt oder Kopulation auf dem Stundenplan steht. Sonn-, Feier-, sonstige Tage kann der Bescheuerte im Ferkelfrack verleben, er braucht weder grobmotorisch komplexe Stunts wie Knöpfen oder Schnüren zu erlernen, am Zipper endet sein Intellekt. So wird er nie entmutigt und glubscht weiterhin hoffnungsfroh in eine Welt, von der er nicht wissen muss, dass er für sie zu doof ist. Was aber nun dem Rasensportler beim Einüben geschickter Abseitsfallen dienlich sein soll, indem es seine Muskeln warm und die Gliedmaßen agil hält, dem Behämmerten in Polymerplünnen vermag das nichts zu geben, und er ist allem Anschein nach in einem fatalen Irrtum gefangen: die Ballonseidenhülle des Hygienephobikers ist wohl geeignet, ein Vielfaches ihrer Eigenmasse an Schweiß aufzusaugen, sie gibt ihn allerdings nicht wieder her, und wenn, dann über Äone verteilt mit der tödlichen Sicherheit, zwischendurch die olfaktorische Blaupause für ein Zeltlager zu liefern.
Schon machen sich neue Zeichenstrukturen breit im Synapsengeflecht; wie man beim Anblick einer Uniform automatisch die Knochen zusammenreißt, wenn man nicht versehentlich mehr Intellekt als ein Fischstäbchen besitzen sollte, so gibt auch der Anblick eines in Anhängtracht gehüllten Primaten dem Gehirn zu verstehen, dass es für Netzhaut und Magen viel angenehmer wäre, auf der Stelle die Straßenseite zu wechseln oder, sollte dies der baulichen Gegebenheiten halber gerade nicht zu bewerkstelligen sein, die mitgeführte Speitüte zu zücken. Fortgeschrittene erkennen schon am Bewegungsmuster des Bierdosenhalters den Verkrustungsgrad des zugehörigen Strampelanzugs.
Vermutlich werden sich auch hier irgendwann feine soziale Marker herausbilden. Dann gilt ein Knisterdress, der im Neuzustand weniger als drei Kästen Hopfenschorle vom Billigen kostet, als nicht mehr standesgemäß und entscheidet über Wohl und Ehe einer Zeugungsgemeinschaft. Besonders stilsichere Prekarmani-Träger werden sich spätestens dann für eine Zweitjacke in Grün-Lila entscheiden und dem Einzelhandel wertvolle Impulse für einen neuen Aufschwung geben. Wir sollten dem nicht im Weg stehen. Wir sollten, wie gesagt, die Straßenseite wechseln. Solange es geht.
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