Gernulf Olzheimer kommentiert (DLI): Gender Marketing

12 02 2021
Gernulf Olzheimer

Gernulf Olzheimer

Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.

Es muss in Babylon begonnen haben, jenem absonderlichen Revier, in dem nicht nur die Damen auf komplette Körperenthaarung bestanden haben. Irgendein geschäftstüchtiger Priester – und sie waren alle geschäftstüchtig, sonst wäre keiner von ihnen Priester geworden – bot hell und düster geschmirgelte Griffe für die zum täglichen Blutbad geeigneten Feuersteinschaber an, um das Ritual in der Nasszelle einigermaßen individuell zu gestalten. Heute sind Plastehandstücke nicht wirklich besser, aber es gibt sie immerhin in rosa und blau, damit Außerirdische nach der Landung sofort wissen, womit sie sich die Epidermis schuppen, wenn sie den Erstkontakt verdaut haben. Ja, wir verkloppen exakt dasselbe Produkt in zwei Ausführungen, damit es noch besser zur Persönlichkeit der Kundin passt. Falls nicht der Kunde es in einem Anflug von Weicheiertum in den Wagen packt. Wir haben das Gender Marketing durchgespielt.

Jahrzehntelang trichtern Psychologen, die weder ihr Handwerk verstehen noch Wissenschaft im engeren Sinne, den Herstellern beliebiger Dinge ein, dass Verbraucher in erster Linie doof sind: hirnentkernte Knalltüten, die man nach Lust und Laune herumschubst und ihnen andreht, was man sich selbst nicht in die Scheune hängen würde. Um denselben Rührlöffel, das identische Radio, eine zum Verwechseln ähnliche Weckuhr in den Markt zu drücken, malt man das Zeug einmal in Grau an, was kantig-maskulin wirken soll, und tönt es dann in Pastell, um das feminine Harmoniebedürfnis zu befriedigen. Da Frauen ausschließlich runde Objekte bevorzugen und Männer eckige, feilt das Industriedesign wirkungsbewusst die korrekte Ecke vom Sockenhalter ab und schmirgelt behutsam die Gestalt des Sitzkissens nach. Alles für die noch haltbarere Beziehung von Mensch und Ding, wie sie sich nur komplette Grützbirnen in der Mitte des Hohlschädels zusammenschwiemeln können.

Tatsächlich ist das Rosa-Hellblau-Klischee, das noch vor wenigen Jahrzehnten in entgegengesetzter Richtung lief – Mädchen sollten das beruhigende Himmelblau haben, Buben den ungleich aktiveren Rotton – nur der geschmacklose Anfang einer auf Müll und Mythen basierenden Stereotypenmühle, die nur Heckenpenner auf Sozialentzug für bare Münze nehmen. Es bedarf keiner Erwähnung, dass vorwiegend maskuline Männer, echte Kerle, die nicht einmal angesichts ihres eigenen Kopfschrotts weinen können, ein beschwingtes Potpourri wirrer Schubladengedanken über die Frau an sich in die Welt setzen, um damit die weibliche Hälfte der Konsumierenden als embryonalintelligente Tussen darzustellen, denen man einen Sportwagen auch ohne Beratung über Motorleistung und Fahrwerk andrehen kann, solange die Werbung die Lackfarbe und die schmucken Schminkspiegel gut in Szene setzen. Die Frau darf Geld ausgeben. Wie schön!

Andererseits machen sich die Hütchenspieler der heteronormativen Wünsch-dir-was-Welt, in der nur ordentlich verheiratete Paare mit Kind, Hund und Kleinkredit existieren, allen ernstes Gedanken über den weiblichen Akzeptanzfaktor: was wird die züchtige Hausfrau sagen, wenn Männe den Trumm von Stereotruhe aus dem Versandhaus anschleppt, ins Wohnzimmer hievt und seine Marschmusik aus einem Sarg schallt, der farblich den Übergardinen den Garaus macht? Ist die Liebste mit Pralinen zu bändigen? Ist das Teil mit Bedienelementen für geistig minderbemittelte Benutzerinnen versehen, so dass auch Mutti ihre Schlagerscheiben nur in Laut und Leise hören muss? Riskiert der Herr im Haus das Ehe-Aus, wenn er den Formfaktor der Gattin vorzieht? Das Abendland, es geht unter!

Längst haben sich Menschen mit Bildung in die Werbebuden eingeschlichen, die dem Y-Träger nicht stumpf rationale Sachlichkeit unterstellen und dem weiblichen Charakter emotionale Wellen der Wirklichkeitsanpassung. Es soll Frauen geben, die ihren Kleiderschrank einheitlich in Schwarz füllen und Männer, die die schärfere Chipsvariante für harte Hunde nicht mögen, Frauen, die nach einem ordnungsgemäß abgeschlossenen Studium der Fachrichtung Maschinenbau samt praktischem Teil Karosserien und Bohrmaschinen entwickeln, um sich am Feierabend mit Mädelzeugs wie Kickboxen oder Egoshootern von den dümmlichen Sprüchen ihrer männlichen Kollegen zu entspannen. Nicht einmal der Marlboro Man kann sie vom Rauchen abhalten. Sie stellen das Patriarchat stetig vor die nicht zu lösende Aufgabe, ihren seit Urzeiten zur Rechtfertigung bescheuerter Vorurteile angerührten Schmodder endlich aus dem Fenster zu kippen und die Realität zu akzeptieren: es gibt mehr als nur die binäre Welt aus männlicher Perspektive, nach der alles andere entweder defizitär, überflüssig oder im besten Fall Spielmaterial ist, das man wegschmeißt, wenn es nicht mehr den Bedürfnissen entspricht. Denn Gender, seien wir ehrlich, betrifft im Grunde immer nur das, was nicht männlich, weiß und in körperlichem Verfall begriffen ist, in einem Alter, in dem man meist keine Bohrmaschine mehr heben kann, die scharfen Chips Magenschmerzen machen und der Sportwagen die Reaktionszeit überfordert. Dafür hat man dann Frauen. Für die Bohrmaschine.





Gernulf Olzheimer kommentiert (CCLVI): Geschlechterstereotype

5 09 2014
Gernulf Olzheimer

Gernulf Olzheimer

Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.

Was hatte die Evolution doch für putzige Einfälle. Die Amöbe, die in jedem Schmodder siedelt, Kontinent nach Kontinent erobert und bis in die Tiefen der belebten Sphäre Verbreitung findet, sie vermehrt sich nach Bedarf. Einer der Klumpen, der scheint’s genug für zwei zum Fraß findet, tailliert sich bis zum Anschlag und teilt sich, um als doppeltes Klöpschen weiter zu schwappen durch seine kleine, ungenügend gefeudelte Welt. So kennt sie weder Sterblichkeit noch Individualität, kein Amöbenmännchen wäscht am Samstag im Unterhemd seinen Kieselstein, kein Amöbenweibchen hat kurz vor der Zellteilung noch mal Retikulumschmerzen, und sollte irgendeine Familienfeier anstehen, kann das gemeine Plasma sich gepflegt in die Gegend verschwiemeln, weil eines wie die anderen ausschaut und seine Abwesenheit von niemandem bemerkt würde. Womit auch, die Dinger hören nichts und sind visuell eher im Nachtschatten der Intelligenz zu Hause. Wie gut, dass sie ihren Nachwuchs nicht in die Amöbentagesstätte bringen müssen. Da ginge der ganze Murks ja schon los.

Der Hominide hat’s nicht ganz so gut getroffen, er muss sich schon bei der Geburt für Rosa oder Blau entscheiden, genauer: Hellblau, noch genauer: Hellblau oder Pink. Liebevolle Apartheid umgibt den Säugling von der ersten Sekunde seines zum ästhetischen Scheitern verurteilten Daseins. Wer als Eltern Strampler in Gelb, Weiß oder Mint wählt, outet sich als anarchokommunistisch, mindestens aber sind solche Erziehungsberechtigten gefährliche Querulanten, die das unschuldige Balg vermutlich zum Massenmörder heranzüchten – Weiß, das ist im Kinderalter schnell mal braun, und wir wissen ja alle, wer auch gerne Braun getragen hat.

Die Schwachsinnsbulimie beginnt erst mit den Klamotten, wo sie sich bis zum Vorschulalter in den Flausch veritablen Hirnschimmels vorarbeitet, rosa Rüschenblüschen vs. krass karierte Cowboyklamotten, als würde Kollege Fasching ganzjährig durch die Kleiderständer jodeln. Die Typenentwürfe Prinzesschen und Macker, ansatzweise magersüchtig bzw. testosterongesteuert in der Kopfnote, sind der komplette Horizont der Gender-Marketing-Strategie, der nachwachsenden Generation mit Schmackes in die Rübe geblasen, damit keiner mehr – womit auch – denkt.

Sollte diese Großraumverstörung nicht reichen, sie setzt sich ja im lustigen Spielwaren-Quiz ‚Puppe oder Feuerwehrauto‘ fort. Natürlich spielen drei Jahre alte Buben, wie die Küchenpsychologie gerne voneinander abpinnt, nicht mehr gerne mit Puppen; bis dahin haben Kita und Konsum den Knaben auch schon derart versaut, dass er sich gar nicht mehr traut, den Fußball gegen sexistische Plastebömmel im 90-60-90-Design zu tauschen. Ist das Muster einmal internalisiert, kann man jeden kognitiv naturbelassenen Dreck nachschieben. Der Sortimenter um die Ecke liefert mit Vergnügen Jungs- und Mädelsbücher, in denen Astronauten und Elfen als Brechreizbeschleuniger an der Schraube drehen, die Film, Funk und Fernsehen in trauter Eintracht weiter ins Vergnügen bohren.

Sicher, Marktlücken wollen gefunden sein, doch warum ausgerechnet mit Mädchenbier und lila Chips, Schokoladeneiern mit chromosomalem Target, Haushaltspapier fürs saugende Muttchen – wann endlich quarrt die Werbung von der allein erziehenden Vorstandsvorsitzenden, die ihre beiden Töchter unbedingt in einem PS-starken SUV zum Rugby karrt? Wahrscheinlich tränkt auch sie heimlich ihre Putzis mit Beuteltee in Geschmacksrichtung Feenausdünstung, weil die Sorte mit den Monstern latent unterprivilegiert aussieht. Immerhin riecht das Zeug nicht nach getoasteten Veilchen.

Dass der Boden unter den zur Tradition verkalkenden Klassen noch glitschig ist, zeigt ein einziger Blick zum Beginn des letzten Jahrhunderts. Die industriell in den Frontallappen genagelte Rot-Blau-Schablone war durchaus schon vorhanden, funktionierte aber genau anders herum. Lichtes Blau galt als emotional ausgleichend, sanft und ruhig, mithin die beste Wahl für angehende Frauen, während Babymännchen Rosa kriegten, einen belebend, kräftigend wirkenden Ton, der zur aktiven Teilnahme an der Welt anreizt. Bestimmt hat die Verdübelung des westlichen Intellekts – Afrika hat sich nachweislich noch nicht dem Frotteediktat angeschlossen, aber vielleicht zoffen sich da auch nur Grün und Orange – hier genug zur Zerrüttung der Menschheit gelernt, wie sie von einer Katastrophe zur nächsten torkelt, vom Girls’ Day bis zur überwundenen Flachkräftemangel in den Werbemühlen dieser Republik. In ihren dumpfen Träumen mutieren sie alle zu Amöben, frei von jeglicher Verantwortung, die Realität mit allen Scheinfüßchen wegstoßend und immer auf der Suche nach Unsterblichkeit, falls es doch noch schiefgeht. Und jede Wette, sie tragen Braun.





Was Frauen wünschen

12 08 2013

„Frauen-Chips!“ Anne trat unvermittelt auf die Bremse, so dass ich nach vorne geschleudert wurde. „Für so einen Dreck ist Deine Branche natürlich immer gut. Frauen-Chips! Demnächst verkaufen einem die sexistischen Deppen kalorienreduziertes Wasser für Damen!“ Es war Samstag, es war in einem komplett überfüllten Einkaufszentrum, kurz: es waren die idealen Bedingungen für sie, einen Wutanfall auszuleben.

„Ich habe bei Männerbratwurst geschwiegen“, zischte sie, „bei rosa Überraschungseiern habe ich die Zähne zusammengebissen, aber Frauen-Chips? Die haben nicht mehr alle Tassen im Schrank!“ Und sie legte sich gewaltig in die Rechtskurve. Natürlich ist es störend, wenn ein labberig riechendes Sahne-mit-Billigpaprika-Knabberzeugs explizit für die Damenwelt kreiert wird und dies auch noch bunt auf den Plakatwänden prangt. Aber kann man es nicht auch übertreiben? Anne war anderer Meinung. „Schau Dir diese verdammte Werbung an. Schau sie Dir an! Holzfällersteak!“ „Das ist nur so ein Name“, versuchte ich sie zu beruhigen, „man nennt das nach den…“ „Siehst Du hier irgendwo einen Holzfäller“, herrschte sie mich an. Ich zog den Kopf ein. Wir waren am Ende des Parkplatzes.

Nachdem ich kurz den Sitz meiner Nerven im Innenspiegel überprüft hatte, löste ich den Sicherheitsgurt. „Erstens bin ich nicht für diesen Werbeauftritt verantwortlich, auch nicht für die Verpackung oder das Marketing, und zweitens…“ Sie wischte es vom Tisch. „Ach was, Ihr seid doch alle gleich! Außerdem interessieren Euch doch die Bedürfnisse der Frauen überhaupt nicht.“ Ich protestierte. „Nur weil Du zufällig Strafverteidigerin bist, halte ich auch nicht alle Juristen für…“ Die Tür musste mich zufällig am Kopf getroffen haben.

Kaum hatten wir den Heimwerkerfachmarkt betreten, stampfte Anne mit dem Fuß auf den Boden. „Sieh sich einer diesen sexistischen Mist an! Das ist doch nichts als Diskriminierung!“ Zugegeben, die Werbeaufsteller von Blumen gießenden Weibchen im Dirndl und Holz mit knatternden Motorsägen zerlegenden Muskelprotzen schien nicht ganz frei von den in Jahrhunderten eingeübten Geschlechterrollen. „Und sie wissen nicht einmal, was sie damit anrichten. Sie können mit Kundinnen gar nicht umgehen.“ Das bezweifelte ich. Ich hätte es nicht tun sollen.

Wie aus dem Boden gewachsen stand sie plötzlich vor einem Verkäufer. „Ratschenkasten“, bellte sie. Der Verkäufer blickte sie ungläubig an. Ich interessierte mich auffällig für die Unterschiede zwischen braunen und schwarzen Pinseln, griff aber nicht in die Kampfhandlungen ein. „Sie wollen also einen Ratschenkasten“, stammelte er. Anne zog indigniert eine Braue hoch. „Wenn ich ein Toastbrot wollte, hätte ich ‚Toastbrot‘ gesagt.“ Offenbar war Logik nicht seine Stärke, denn er hatte doch einen Augenblick zu lang überlegt. „Haben Sie zufällig einen da“, bohrte sie nach, „oder muss ich Ihnen erst zeigen, wie die Dinger aussehen?“ Er griff in die Auslage und zog ein Plastikköfferchen hervor. „Der hier wird gerne genommen, sehr handlich, in Rot, ergonomischer Griff, abwaschbar und…“ Ich wandte mich von den Pinseln ab. Dies würde sehr lehrreich werden, größtenteils für den Verkäufer. Ansatzlos ging Anne zum Angriff über. „Ich will das Ding nicht als Raumschmuck, Sie Pausenclown. Aufmachen!“ Mit zittrigen Fingern öffnete er die Schnappverschlüsse und klappte das Köfferchen auf. Sie ließ ihren Blick über das Innere schweifen. „Umschaltknarre?“ Der Verkäufer geriet bereits in leichte Panik. „Ich muss ja sicher nicht eigens über Kugelarretierung reden, und dass das kein Vanadiumstahl ist, können Sie auch gerne selbst auf der Packung lesen. Dann zeigen Sie mir doch mal, was Sie für Erwachsene da haben.“

Spätestens an diesem Punkt hätte ich wissen müssen, was auf mich zukommt. Legendäre Shoppingtouren der vergangenen Jahre – die Pumps bei Langmeyer & Wolff, ein seidener Hosenanzug bei der Neueröffnung von Sack und Leinen, nicht zu vergessen die Schrankwand in Kirsche gebeizt – erschienen vor meinem geistigen Auge, Auseinandersetzungen von historischem Ausmaß, die in einer Liga spielten mit dem Dreißigjährigen Krieg. „Das wäre der 104-teilige Kasten“, beeilte sich der Verkäufer. Anne warf einen flüchtigen Blick auf das Ensemble. „Wenn ich eine Rohrzange haben will, gehe ich ins Kaufhaus. Das sind Viertelzoll-Steckschlüssel, was soll ich damit anfangen?“ Verständnislos sperrte er den Mund auf. „Was mache ich bei einem Gewinde mit Halbzoll?“ Er beging den Fehler seines Lebens; der Verkäufer versuchte, witzig zu sein. „Nehmen Sie doch zwei Viertelzoll, dann müssen Sie nicht umspannen.“

Der Filialleiter schien unter plötzlich auftretenden Schweißausbrüchen zu leiden. Jedenfalls hatte Anne ihm unmissverständlich mitgeteilt, dass sie eine Abneigung gegen schlecht ausgebildetes Verkaufspersonal hat. „Was ist mit dem 215-teiligen Knarren-Set aus dem letzten Halbjahresprospekt? Und überhaupt, Vier- und Sechskant als Standardsortiment, womit soll ich dann Zündkerzen festdrehen? Bekomme ich bei Ihnen ein Schweizer Offiziersmesser nur gegen Aufpreis mitgeliefert?“ Der Vorgesetzte versuchte gar nicht erst, sie zu unterbrechen; es wäre wohl auch zwecklos gewesen. „Ich gebe Ihnen einen kostenlosen Ratschlag“, sagte sie und rümpfte die Nase. „Versuchen Sie es als Versicherungsvertreter, da können Sie ihren Kunden alles andrehen, wovon Sie selbst keinen blassen Schimmer haben.“ Der Filialleiter brach stöhnend zusammen. Anne drehte sich um und fasste mich am Arm. „Und jetzt auf zu Sack und Leinen. Du brauchst noch eine Krawatte.“





Er, sie, es

12 04 2011

„Ich lasse mich überraschen.“ Bis auf den nervösen Unterton, ihre hektischen roten Flecken im Gesicht und den lauernden Blick merkte man Anne ihre grenzenlose Neugier gar nicht an. Sie nestelte an ihrer Handtasche und kippte den Inhalt ihres Portemonnaies aus. „Dann werde ich mal zu den Schuhen gehen“, verkündete sie, „wir sehen uns nachher im Café, ja?“ Schließlich blickte sie sich auf dem Weg zur Rolltreppe dreimal um, als fürchtete sie, ich könnte unerwartet im Boden verschwinden. Und wer würde ihr dann einen Toaster zum Geburtstag schenken?

Sekunden später befand ich mich in der Obhut einer Fachverkäuferin für Haushaltswaren. „Gute Wahl“, zwitscherte sie, „mit einer leckeren Scheibe Röstbrot starten Sie frohgemut in den Tag!“ Ob ich ihr gleich zu Beginn erzählen sollte, dass Anne im Halbschlaf nicht mehr als Orangensaft, Espresso und eine Zigarette zu sich nahm? „Ich rate Ihnen zum Luxusmodell. Der Tostaturo 3000 vereint rassiges, elegantes Design, das die Damen schon beim Frühstück in ihren Bann zieht, mit der Heizpower von 1300 Watt. Sie werden sich ein Frühstück ohne dies Gerät gar nicht mehr vorstellen können!“ Zaghaft bemerkte ich, dass es sich nicht um mein Frühstück handelte. Ein Geschenk für eine Freundin, mehr nicht. Unvermittelt korrigierte sie den Sitz ihrer Brille. „Kleinen Moment“, sagte die Verkäuferin schnippisch. „Ich will sehen, was sich da machen lässt.“

Tatsächlich hatte Annes Toaster momentan den Status inne, der ihm von Rechts wegen ohnehin zustand. Als Dekoration von einigem Retro-Charme noch hübsch anzusehen, als Küchengerät aber unbrauchbar, und da Anne ihn sowieso kaum benutzte, machte es auch gar nichts, dass der Brotröster nach einer Phase intensiver Arbeit, in der er röstete, als bekäme er Steinkohlesubventionen, in allgemeine Verweigerungshaltung übergegangen war. Die Glühwendel gab das Glühen auf und verlegte ihre Kernkompetenz ganz aufs Wendeln. Nun wäre Max Hülsenbeck, der schmierige Staatsanwalt, nicht Max Hülsenbeck, hätte er den Brotbäher nicht mit einem Messer zu reparieren versucht – natürlich unter Strom, im eingeschalteten Zustand und bis ein Lichtbogen ihn durch die Küche fliegen ließ. Seitdem brauchte Anne, abgesehen vom Schrank, einer Küchengardine und dem Service, das unter Hülsenbeck zu Bruch ging, einen neuen Toaster.

„Wenn Sie den hier mal anschauen möchten?“ Die Haushaltsdame trug einen rosa geblümten Karton heran, auf dessen Breitseite das bereits bekannte Toastermodell abgebildet war. Es hieß Toastino Lady. „Formschön und leicht zu reinigen, dazu bereitet er das Röstgut äußerst schnell und effektiv zu dank der 1300 Watt.“ Ich war irritiert. „Formschön? Ich dachte, das sei rassiges Design?“ „Für Männer“, versetzte sie kühl, „Frauen haben eher den Blick fürs Wesentliche. Deshalb hat der Toastino auch einen abnehmbaren Brötchenaufsatz.“ „Der hier als Roll-Gadget auf der Packung steht“, entzifferte ich. „Wie um alles in der Welt denkt man sich diesen Blödsinn aus?“ „Genderspezifisches Marketing“, belehrte sie mich. „Zwei vollkommen identische Toaster, die in zwei vollkommen unterschiedlich aufgemachten Kartons stecken – unterschiedliche Aufschriften, unterschiedliche Namen, alles für die Zielgruppe. Sie sehen bei sich eine Power Control mit Zero Switch, richtig?“ Ich beugte mich über die Damenpackung. „Das heißt in Ihrer Version Fleximatic Knusprigkeits-Skala mit Einknopf-Schnellabschaltung.“ Sie nickte. „Frauen und Technik. Wir verstehen sie und gehen mit ihr um, müssen aber kein Theater darum machen.“

„Den Burn Guard hat das Mädchenmodell aber auch?“ „Heißt hier Wellness Definition Bräuner, funktioniert aber ähnlich: wenn braun, dann fertig. Übrigens hat der Toastino einen QuickFresh Defroster für Tiefkühlbrötchen.“ „Der entspricht wahrscheinlich der Freeze2Fire Function beim Tostaturo.“ Sie schloss die Verpackung. „Und, habe ich Sie überzeugt?“ „Ganz und gar“, spöttelte ich. „Aber ich bin mir noch nicht ganz sicher, welchen von beiden ich nehmen soll. Und dann gäbe es da sicherlich noch ein paar Dinge zu klären. Nicht, dass Sie sich eine Reklamation einhandeln.“ Anne ist nun mal eine exzellente Juristin, was so gut wie alles erheblich erschwert – wo sie Mängel anzeigt, ist der Konkurs eines Unternehmens nur noch eine Frage der Zeit. Ich kicherte. „Vor allem sollten Sie den Toastino als ‚Toastsie‘ anbieten. Für die feministische Küchenarbeit kommt doch ein ‚Toast-er‘ überhaupt nicht in Frage.“ Sie blickte mich ausgesprochen frostig an. „Noch lachen Sie, aber das wird Ihnen vergehen. Eine neue Zeit bricht an, wenn es Handrührgeräte und Bügeleisen gibt, die auch Frauen verstehen.“ „Das also ist es?“ Ich bemühte mich ernsthaft um Mitleid. „Es reicht also nicht, dass wir Männer die Frauen verstehen, es müssen auch die Bügeleisen können?“ Sie drehte sich brüsk um. Leider nahm sie den Tostaturo 3000 mit, jenes Wunderding, das täppischen Männern mit seiner Slice Self-Centering Funktion noch im Zustand geistiger Umnachtung das Einlegen von Brotscheiben erlaubte und somit eine Hälfte der Menschheit vor dem Aussterben rettete.

Annes Augen leuchteten. „Und, hast Du es? Bekomme ich ein Geburtstagsgeschenk? Was ist es denn?“ Ich hievte den Karton auf den Tisch. „Es ist eine Toasterin.“