„Dreiunddreißig, die Nummer dreiunddreißig bitte!“ Wie die Stimme des Losbudenverkäufers schnarrte Klöppwitz in sein Mikrofon. Ein verschüchterter älterer Mann mit Schirmmütze und schütterem Schnäuzer meldete sich. „Hier“, stotterte er, „bitte sehr, die Nummer da, hier.“ Klöppwitz sah kurz auf die Losliste und hakte sie ab. „Dann haben wir hier einmal die Stufe drei mit Verlängerung. Herr Schrettler?“ Der Alte schluckte aufgeregt. „Bitte, ja. Schrettler, bitte sehr, hier.“
Doch der Amtmann schien gar nicht mehr zu hören, er war in Fahrt und schnurrte mit Schmiss in der Stimme den Verwaltungsakt herunter. „Ergeht folgender Beschluss: die monatlichen Einkünfte belaufen sich auf sechshunderttausend Euro netto, zuzüglich Jahresprämie in Höhe von zweieinhalb Millionen Euro, für die Dauer von drei Jahren, keine Überprüfung in der Zwischenzeit, sofortiger Vollzug. Gegen diese Entscheidung kann Widerspruch…“ „Sechsmal Tausend, ich meine, Hundert, das ist doch, bitte!“ Schrettler keuchte. „Sie müssen sich irren, Herr!“ Aufgeregt wedelte er den Kontrollzettel durch die Luft. „Sie müssen doch wissen, ich war Karosseriebauer, hier…“ Er senkte die Stimme und den Blick. „Gekündigt nach dreißig Jahren.“ Klöppwitz lachte. „Jetzt trinken Sie erst mal einen Schnaps auf den Schreck, und dann bringen Sie Ihrer Frau einen Blumenstrauß mit, ja?“
Ich fuhr mit dem Bleistift die Liste entlang. „Die Gerechtigkeit meint es manchmal gut mit den Leuten, nicht wahr?“ Klöppwitz nickte. „Das ist auch der Sinn der Sache: soziale Gerechtigkeit muss gerecht sein und nicht nur die Gesellschaft als abstrakten Apparat stützen.“ Er zog eine Rolle Pfefferminz aus der Schreibtischschublade. Ich nickte ihm zum Dank zu und nahm ein Bonbon. „Aber Sie werden sehen, dass es nicht immer so leicht geht.“ Klöppwitz setzte eine ernste Miene auf und griff zum Mikrofon. „Vierunddreißig, bitte!“
Der fettige Mann in dem leicht angestoßenen Nadelstreif löste körperlichen Ekel aus, wie er so breitbeinig an den Tresen trabte. „Schobert, Stufe vier.“ „Jetzt sieh zu“, pfiff der Arrogante ihn an. „Ich verplempere hier nicht die Zeit mit einem kleinen, kündbaren Weichei!“ „Siebzehntausend Euro im Monat, dazu elftausend an Beteiligungen, Kapital beläuft sich auf…“ „Das weiß ich ja wohl besser, Du Nachteule!“ Schobert schnappte den Zettel und stob ohne einen Gruß heraus. Klöppwitz blickte mich an. Er musste tief durchatmen.
„Wir hatten das ja anders geplant“, erzählte er in der Pause. „Eigentlich sollte es nur für mehr Transparenz sorgen: jeder Steuerzahler sollte wissen, wohn seine hart erarbeitete Kohle geht. Bis jetzt wird Ihnen die Kohle einfach abgenommen, und dann dürfen Sie sich freuen, wenn Politiker irgendwelche Bahnhöfe verbuddeln wollen oder Atomsuppe quer durch Deutschland rollen lassen. Das kippt in eine Umverteilungsmaschinerie. Sie wissen gar nicht, was damit getan wird.“ „Diese Formulare habe ich in Erinnerung.“ Tatsächlich war mit das Braungrau immer als besonders üble Farbe erschienen. „Nur hätte man den angekündigten zweiten Schritt der Transparenz tun sollen: die Bürger fragen, ob sie mit dieser oder jener Ausgabe auch einverstanden sind.“
„Sechshundert Euro, dazu die anteiligen Kosten an der Kaltmiete. Ihre Tochter hat sich noch nicht gemeldet, Frau Diehler. Sie wissen, dass Sie als einzelne Personen an der Lotterie teilnehmen und nicht als Bedarfsgemeinschaft?“ Die Frau nickte stumm, faltete den Zettel und griff nach ihrem Einkaufsbeutel. „Es ist diese Lethargie“, seufzte Klöppwitz. „Sie können mit den Leuten machen, was Sie wollen, die mucken nicht einmal mehr auf, wenn Sie ihnen alles nehmen, was ihnen zusteht, und sie dann rausschmeißen. Ein ganzes Volk duckt sich weg. Und nur auf denen trampelt man herum, die sich nicht mehr wehren können.“ „Es ist die alte Taktik, das Volk zu teilen, um es zu beherrschen.“ Er wiegte den Kopf. „Mag sein, mag nicht sein. Aber haben Sie schon einmal auf die Reaktionen geachtet und bemerkt, was man den Ärmsten in dieser Gesellschaft vorwirft? Einkommen ohne jede Bereitschaft zur Arbeit, keine erkennbare Neigung, das System durch Eigeninitiative zu verändern, Abkoppelung aus den Sicherungsmechanismen wie Sozialversicherung oder Krankenversicherung. Die Mittelschicht lässt sich leicht zu dieser Haltung bringen, das erfordert nicht besonders viel. Aber wissen Sie, was das heißt? Sie unterstellen den Armen alles, was sie auch der selbst ernannten Elite ankreiden. Sie lassen ihren Zorn auf die Täter an den Opfern aus. Eine Neiddebatte, die man mit den Herrschenden nie zu führen wagte.“ Wieder griff ich zu den Pfefferminzdrops. „Das mag sein. Aber was führt Sie zu diesem Schluss?“ „Noch im Angesicht dieser Bundesbehörde sind die Reichen von der Gier gesteuert“, versetzte Klöppwitz. „Wir sorgen auch dafür, dass diejenigen, die bisher die Armen als Schmarotzer und Parasiten bezeichnet haben, in kürzester Zeit kuriert waren. Wir haben die jeweilige Arbeit von der Entlohnung entkoppelt. Ein guter Schritt in Richtung Grundeinkommen. Und so stellen wir fest: manchen geht es um die Arbeit – manchen geht es ums Geld.“
„Sie müssen diesem Ekelpaket siebzehntausend Euro auszahlen“, sagte ich gedankenverloren und glitt weiter die Liste hinab. Klöppwitz grinste. „Zwei Wochen, danach pfänden wir sein Vermögen und hetzen ihm die Steuerfahndung auf den Hals, und dann kriegt er fünf Jahre Hartz IV mit Ein-Euro-Jobs. Vergessen Sie nicht, der Mann war mal Investmentbanker.“
Satzspiegel