Traditionsbewusste Ernährung

10 05 2023

„… ein Werbeverbot für Süßwaren noch in diesem Jahr umsetzen wolle. Özdemir wolle diesen Teil der Wettbewerbsbeschränkungen für Produkte, die ausdrücklich für Kinder hergestellt würden, mit Nachdruck in den…“

„… mehrere Lastkraftwagen benötigt worden seien, um die Blumen vor dem Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft abzuladen. Die von Elterninitiativen organisierte Danksagung habe in Berlin für ein erhebliches…“

„… mit den Liberalen nicht zu machen sei. Da die FDP im Koalitionsvertrag dem Verbot noch in vollem Umfang zugestimmt hätte, sei es für Lindner nun selbstverständlich, dass man alles tun müsse, um ein Gesetzgebungsverfahren dieser Partei so gründlich wie möglich zu…“

„… die Lebensmittelkonzerne sich mit Hilfe einer eigenen Medienkampagne gegen Özdemir zur Wehr setzen würden. Es obliege den Eltern oder Großeltern, die Ernährung von Kindern unter 14 Jahren zu beaufsichtigen, weshalb eine einseitige Bevormundung durch Werbung erst nach 23:00 Uhr nicht zielführend sei, wenn diese Spots weiterhin von den Erziehungsberechtigten und ihrer…“

„… erhebliche Eingriffe in die Privatautonomie konstatiert habe. Da eine Bannmeile von einhundert Metern um Schulen, Kitas oder Spielplätze einem Verkaufsverbot gleichkomme, werde Buschmann das Anliegen von Industrie und Handel, aber auch die Existenz vieler Schulkioske in Karlsruhe mit einem handwerklich sehr gut gemachten Gesetz…“

„… als Nebelkerze bezeichnet habe. Raffinade sei ein normales Lebensmittel, das weder einem Werbeverbot unterliege noch dessen Verkauf im Einzelhandel eingeschränkt werden solle. Es stehe den Lebensmittelherstellern frei, Haushaltszucker großflächig zu bewerben, die Verbraucher seien nach Özdemirs Ansicht jedoch in der Lage, einen Unterschied zwischen Süßigkeiten und…“

„… vor erhebliche stadtplanerische Aufgaben stelle. Sollte ein Plakatverbot kommen, müsse jede Kommune durch geeignete Maßnahmen Pop-Up-Spielplätze einrichten, die durch eine einstweilige Verfügung die Entfernung von Bonbonreklame im Radius des Areals entfernen und durch…“

„… die vom EuGH bestätigte Klassifizierung der Lebens- und Genussmittel anwenden wolle. Da Streuzucker keinerlei Salz enthalte und so gut wie fettfrei sei, müsse die Werbung für ein gesundes Produkt auch in der unmittelbaren Nähe von…“

„… es erste Konfliktfälle gegeben habe. Zwar befinde sich die Supikauf-Filiale in Bad Gnirbtzschen im Sichtfeld der Kindertagesstätte Die kleinen Dinos, Marktleiter Tino F. habe aber die Entfernung eines Plakats für Waren der Marke Schleck Drei auch unter Androhung unmittelbaren Zwangs verweigert, da sich die Reklametafel auf seinem eigenen Grund befinde und er notfalls gerichtlich gegen die…“

„… selbstverständlich zu einem höheren Preis im Handel erhältlich sei. Bonbongranulat enthalte zwar gegenüber dem Haushaltszucker Farb- und Aromastoffe nur in sehr geringem Maße, sei aber gut dosierbar, was als erheblicher Produktvorteil…“

„… die von der Weltgesundheitsorganisation herausgegebenen Richtlinien in der Praxis gar nicht einzuhalten seien. Die Vergabe von fünf bis sechs Lutschbonbons, vierzig Gramm Schokolade oder sieben Fruchtkaramellen sei für Eltern ohne eine vorherige psychologische Schulung und die Hilfe eines Kriseninterventionsteams kaum in einem…“

„… befürchte die Union eine Zerstörung der deutschen Leitkultur. Ohne Schokoladenriegel und Cola sei eine traditionsbewusste Ernährung nicht möglich, weshalb eine Koalition mit den Grünen auf lange Sicht nicht…“

„… in die Notaufnahme der Charité eingeliefert worden sei. Die von Springer mit der Verteilung von Kandis in Grund- und Hauptschulen geförderte Öffentlichkeitsaktion habe bereits bei mehreren Kindern zu einem Zuckerschock geführt, was von den Eltern als…“

„… könne Spahn als Ex-Gesundheitsminister ausschließen, dass sich Diabeteserkrankungen bei Kindern und Jugendlichen nicht innerhalb weniger Sekunden abstellen lassen würden, wie das die von Özdemir betriebene Vorgehensweise suggeriere. Er werde nach seiner Wahl zum Bundeskanzler dafür sorgen, dass Kinder wieder alles in den Mund nehmen dürften, was sie…“

„… demnächst auch Bärchenwurst und dann alle Fleischprodukte verbieten werde, ohne die ein Mensch nur wenige Tage überleben könne. Merz werde die linksextremistische Zwangserziehung der Grünen durch das Bundesverfassungsgericht…“

„… es sich laut der Süßwarenhersteller nicht um die Werbung, sondern um den übermäßigen Verzehr von Bonbons, Dauerlutschern und Schokolade handle. Der Verband habe eine Warnung an den Ernährungsminister ausgesprochen, dass bei einer erheblichen Preiserhöhung die Steuerungswirkung ausbleibe, die Zufriedenheit der Wähler mit seiner Partei aber innerhalb kurzer Zeit eine…“

„… habe ein Gremium aus Fachleuten in einer noch nicht publizierten Studie erarbeitet, dass ein generelles Süßwarenverbot schwere Schädigungen bei Kindern und Jugendlichen auslösen werde. Die Experten würden mit Verhaltensänderungen und einer verstärkten Ansprache auf andere Suchtstoffe rechnen, unter anderem auf Tabakwaren, die trotz eines Werbeverbots noch immer in den…“





Gernulf Olzheimer kommentiert (DLXXXVII): Fresserziehung

22 10 2021
Gernulf Olzheimer

Gernulf Olzheimer

Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.

Die ästhetischen Ideale mögen sich im Lauf der Geschichte verändert haben, doch Nggr lebte weit davor. Noch im vorgerückten Alter von 27 war er sportlich schlank, aß Buntbeeren, Nüsse, oft auch Fisch aus dem kleinen Fluss neben der westlichen Felswand. Mühelos kletterte er auf Bäume, jagte die Säbelzahnziege und frischte den Genpool nach Bedarf auf. Seine jüngeren Brüder standen eher auf tierische Fette. Man sah es ihnen an. In der Folge gedieh nicht nur die Raubtierpopulation in jener Gegend, auch wertvolles Wissen ging verloren, zum Beispiel, wie man sich von Buntbeeren und Nüssen ernährt. Keine sozialpädagogische Maßnahme hat seitdem in unseren Breitengraden dafür gesorgt, die Kalorienversorgung des Volkes etwas gesünder zu gestalten. Wir bräuchten Fresserziehung.

Zwar jubelt eine ganze Fitnessbranche uns das Diktat sportlicher Dauerbewegung in die Hirnrinde, während die Mode alles, was sich bei der Drehung nicht als Strich vor dem Hintergrund ausmacht, als zu dick abkanzelt, aber den Size-Zero-Befehl muss jeder eigenverantwortlich umsetzen. Das wäre nicht so wild, würden nicht Herz-Kreislauf-Erkrankungen grassieren, die den Medizinbetrieb belasten und die Lebenserwartung wieder auf prähistorisches Maß stutzen. Volkswirtschaftlich sollten wir es billigend in Kauf nehmen; netto lohnt es sich durchaus fürs Sozialsystem, wenn der Bürger frühzeitig die Rente verlässt, statt sich kostenintensiven Alterskrebs zu leisten. Aber hier geht es ja um die Werktätigen, die adipös und diabetisch Fußgängerzonen verstopfen auf der Suche nach der Frittenfettembolie. Muss der Staat hier nicht herzhaft und kräftig eingreifen?

Allein er tut’s nicht, weil ihm das Wohlergehen der Massen wumpe ist. Die Lobbyhörigkeit für Fett, Salz, Zucker und künstliche Zusätze steigert sich in absurde Höhen, wenn die amtierende Grützbirne in ministerieller Mission den Kalorienkonzernen nach dem Mund redet, um deren Umsätze aufzublasen. Halbherzige Einhegungsversuche mit Ämpelchen und Buchstaben machen die Talentdetonation nicht glaubwürdiger, am Ende bleiben die von der EU befohlenen Werbeverbote für Tabak und Alkohol, nicht aber für Chemieplempe aus dem Baukasten der sich blähenden Shareholder Values. Die Medien tun das Ihre. Warenkunde und Zubereitung werden mit Kochshows weggeschwiemelt, in denen sich große Teile der Bevölkerung nicht wiederfinden, da ihnen das Biobarock finanziell kaum möglich ist, wenn die Lebenshaltungskosten anschwellen. So viel Freiheit ist ungesund.

Der Staat entzieht sich folgerichtig aus seiner Verantwortung für die Volksgesundheit und stellt die Ernährungspolitik ein. Positive und negative Anreize sind so gut wie obsolet, wenn der Handel Schlachtabfälle aus Niedriglohnfertigung in die Kunden drückt, als gäbe es kein Morgen ohne das Menschenrecht auf Schnitzel. Wolkige Erklärungen umwabern die Aluhütchenspieler, die Tierwohl und mehr Nachhaltigkeit versprechen, auf dass der Deutsche nicht mehr mit dem SUV zum Discounter brettert, während sein französischer Nachbar in der Altente zum Sterneladen töfft. Gute Absichten, da macht uns keiner etwas nach. Und Nudging hat ja schon in der Impfkampagne prima funktioniert.

Alles, was der Politik einfällt, ist die reflexartig hochgepopelte Zuckersteuer, als könne man seinen Kohlenhydrathaushalt nicht auch mit Obst in die Nähe der Hyperglykämie treiben. Währenddessen hält eine ganze Gesellschaft es für den Normalfall, dass Singles im Jobmodell feststecken, das für den Alleinverdiener mit Vollzeithausfrau konstruiert wurde – mehr als Aluschalenfutter kann sich der Werktätige nicht leisten, wenn er nebenbei auch noch systemkonform konsumieren und die Freizeitindustrie bei Laune halten soll. Was wir an Cholesterin in die Arterien quetschen, ist die Folge der kapitalistischen Funktionalität, die uns Rädchen im Getriebe die notwendigen Nährstoffe zumisst. Ob und wie lange man das überlebt, ist nur eine statistische Größe. Oder ein Unfall.

Die klassische Haushaltsführung ist aus dem Kanon der Alltagsbildung verschwunden. Längst bräche ein durchschnittlicher Passant in Tränen aus, befragte man ihn vor laufender Kamera, was eine Mehlschwitze sei und zu welchem Ende man sie verfertige. Fertigfressalien, gewachsen im Regal der Einkaufszentren, pflastern unsere Wege. Während wir uns Analogkäse und künstliche Aromastoffe hinters Zäpfchen schmirgeln, ahnt kaum noch ein Standardverbraucher, wie das Zeug in echt röche. In Kitas und Schulen wächst gerade eine Generation neu heran, die kostenoptimierte Kost reinpfeift, wo die bürgerliche Brotdose ausgedient hat. Ab und an sieht man geradezu herzige Versuche, den Kindern mit einer rohen Karotte die Feldfrucht an sich zu demonstrieren – meist ist ein TV-Koch dabei, ein Promi nicht weit, ein Politikdarsteller sondert seins ab, und alle sagen: wir müssten viel mehr tun für die gesunde Ernährung. Warte nur, balde gibt’s die Grünzeugschnipsel in Dino-Form, TK-Ware, extra kleine Portionsgröße, damit man die Abzocke auch so richtig rafft, und dann hagelt es Vitamine. Nur noch kurze Zeit. Wir suchen gerade die Knalltüte, die dafür Reklame machen könnte. Alles wird gut.





E 112

25 08 2021

Eine rote, noch eine rote, und eine gelbe. Herr Breschke legte die drei Tabletten sorgfältig in das kleine Glasschälchen und stellte die Dosen wieder zurück in die Küchenschublade. Dann schlürfte er einen Schluck aus seiner Teetasse, um die Pillen in einem Rutsch hinunterzuspülen. Es gelang ihm nur mittelmäßig.

„Ich habe die falsch genommen“, nuschelte er an seiner Zunge vorbei. Ein Ruck, dann waren die Tabletten geschafft. „Eigentlich müssen es zwei von denen hier sein, aber ich habe immer zwei von denen genommen.“ Die beiden Kunststoffdöschen unterschieden sich im Aufdruck, sogar die Marke war nicht dieselbe. Was die Inhaltsstoffe betraf, war es aber eigentlich egal, ob man zwei von den roten nahm oder zwei von den anderen wegließ; außer einer zuckrigen Hülle fanden sich immerhin weder Gelatine aus naturbelassenen Schweinen oder das tödliche Gluten darin, das zum Problem wird, wenn einem ein Doppelzentner Mehl auf den Kopf fällt. Horst Breschke trank noch einen Schluck, dann zog er die Lade wieder auf und nahm eine längliche Schachtel mit langen, bräunlichen Kapseln heraus. „Die waren kürzlich in einer Zeitschrift“, teilte er mir mit, „und ganz zufällig…“ „Ganz zufällig hatte die Apotheke sie im Sonderangebot, stimmt’s?“ Er nickte. „Ab und zu muss der Mensch ja auch mal Glück haben, nicht wahr?“

Immerhin hatte der pensionierte Finanzbeamte sich die Mittelchen nicht bei seiner Tochter besorgt, die als Reiseleiterin in fernen Ländern an keinem der grellbunten Straßenläden vorbeigehen konnte, ohne nicht wenigstens ein Fläschchen original nigerianische Kräutertinktur Made in Singapur oder ein Elektrogerät mit lustig britzelnden Stromkontakten mitzunehmen. Vermutlich hing an sämtlichen Zollstationen rund um den Globus ihr Konterfei mit der ausdrücklichen Warnung, ihr Handgepäck selbst in Schutzkleidung nur bei Lebensgefahr zu untersuchen.

Ich beäugte die Schachtel. Herr Breschke hatte eine Hälfte bereits verbraucht, so dass neben der zweiten Schachtel im Schrank noch die andere Hälfte der ersten Packung übrig blieb. „Und wozu soll das gut sein?“ Er schaute ein bisschen verlegen auf den Boden, möglicherweise war er auch ein wenig errötet. Was fragte ich auch. „Meine Frau“, murmelte er, „aber die weiß nichts davon – hinten fallen mir in der letzten Zeit so viel Haare aus, da muss man doch irgendwas machen.“ Ich lächelte. Immerhin hatte er sich nur leicht wirkende Mittel besorgt, wenngleich auch diese sicher versprachen, wie Adonis selbst den Garten zu durchschreiten und die Harke wie Orpheus zu ergreifen. „Die anderen sind nur wegen der Vitamine“, belehrte er mich, „ich habe mir das genau durchgelesen, die sind auch in Obst und Gemüse.“ „Das mag wohl sein“, wandte ich ein, „meiner Erinnerung nach wurden diese Stoffe aber bisher eher in Gemüse und Obst an den Mann gebracht.“ Er dachte nach. „Das mag stimmen.“ Herr Breschke dachte wirklich nach, und dann hatte er die Lösung. „Aber wenn zum Beispiel die Tagesdosis an Vitamin A in der roten Pille ist, dann brauche ich ja an diesem Tag keine Möhren mehr zu essen, richtig?“ Ich konnte es nicht abstreiten; Triumph glomm in seinen Augen. „Wenn ich also einen Tag lang keine Möhren esse, dann ist eine einzige Pille ausreichend?“ Der Logik konnte ich mich nicht entziehen, mehr noch: ich wusste, worauf es hinauslaufen würde. „Wenn ich also nicht jeden Tag so viel Möhren esse, dass ich ohne diese rote Pille genug Vitamin A bekomme, was mache ich dann ohne die rote Pille?“

Da ich weiteren Exkurse über die vermeintliche Baugleichheit künstlicher und natürlicher Vitamine an dieser Stelle aus dem Weg ging, waren wir schnell an dem Punkt, an dem die Winkelstruktur synthetischer Moleküle und ihre Reaktionsneigung mit Spurenelementen wie Zink und Selen keine tragende Rolle mehr spielten. „Die Apothekerin hat mir erklärt, dass man alle Bestandteile immer auf das Medikament schreiben muss.“ Herr Breschke wusste, wovon er sprach. Ich las auf der Packung. „E 112“, buchstabierte ich, „das klingt ja fast schon gefährlich.“ Er hatte den Beipackzettel entfaltet und die Brille aufgesetzt. „Ich kann da nichts entdecken, aber etwas Verbotenes werden die da wohl nicht reingemischt haben, oder?“ Ich schwieg. „Oder?“

Neben den genannten Döschen befanden sich auch Brausepulver mit Vitamin C im Vorrat, eine Packung Lutschtabletten für den B-Komplex sowie ein hoch dosiertes Kombi-Präparat, das bei nur einer Ladung pro Tag die Abwehrkräfte gegen alles stärken sollte, was der Teufel ausgespien hat. „Es scheint mir doch ein wenig überdimensioniert“, mutmaßte ich, „warum muss man diese ganzen Dinge nebeneinander einnehmen, wenn doch eins schon die vollkommene Wirkung verspricht?“ Er kratzte sich an der Stirn. Eine Wirkung, von einer vollkommenen wollen wir gar nicht sprechen, blieb jedoch aus. „Man muss dem Körper ja auch etwas anbieten“, erklärte Herr Breschke. „Außerdem muss man immer darauf achten, dass es im rechten Maß ist, sonst wird es nicht verarbeitet.“ „Sie spülen sich also Vitamine in den Körper, die mit Ihrem Tee wieder ausgeschieden werden“, konstatierte ich. „Und noch eine Frage: wenn diese rote Pille eine Tagesdosis an Vitamin A enthält, warum nehmen Sie dann jeden Tag zwei?“

Ich musste mich ein bisschen beeilen, weil der Wochenmarkt schon um halb eins vorbei war. Aber die Zitronen für Herrn Breschkes Tee bekam ich noch. Was man nicht alles tut, wenn man seit Tagen ein wenig Halskratzen spürt.





Alternative zur Medizin

3 06 2018

Man sagte einst dem Narren Eulenspiegel,
er sei vom Duft des Hühnerbratens satt.
Drum zahlte er, wie man berichtet hat,
mit Münzenklang den Anblick dem Geflügel.

Man kann Homöopathen eines raten:
beschränkt Euch auf ein Bild vom Hühnerbraten.





Gernulf Olzheimer kommentiert (CCCLXVIII): Gesundheitswahn

7 04 2017
Gernulf Olzheimer

Gernulf Olzheimer

Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.

Endlich eitriger Ausschlag! Tagelang sah es nur nach einer leichten Magenverstimmung aus, die Rückenbeschwerden waren bedauerlicherweise schon nach kurzer Dauer abgeklungen – dass sie nur vom stundenlangen Stehen kamen, ist bisher sowieso ungeklärt – und der Drehschwindel wollte sich einfach nicht mehr einstellen. Es müssen die verdammten Karotten gewesen sein, die es bis vor wenigen Millionen Jahren ja auch noch nicht gab. Endlich ein Grund, auf Nuss und Nudel zu verzichten, endlich Kasteiung, kalte Sitzbäder und Rutschen auf rohen Erbsen! Kniebeugen mit Essig und Luftanhalten bei vollem Hohnausgleich! Nur eins macht glücklich, der Gesundheitswahn!

Kaum beißt dem gemeinen Europäer die Erkenntnis ins Bein, dass der Aufenthalt auf diesem zweifelhaften Rotationskörper von kurzer Dauer ist und bestenfalls im ersten Drittel ohne die lästigen Degenerationserscheinungen der geistigen Reife abgeht, schon eskaliert er in alle Richtungen. Nur gesund will er sein, vielleicht innerlich deformiert, psychisch am Rande der Auflösung, verarmt von Scharlatanerie, auf dem Jahrmarkt der Quacksalber verschollen, bloß: gesund. Wenigstens so, dass er sich für gesund hielte.

Aber was heißt das schon. Der in Peru vereinzelt vorkommende rote Rübenwurm, dem man hinter vorgehaltener Hand eine Mitschuld am eruptiven Nachtschweiß gibt, muss in badischen Bäckerblättchen breitestmöglich als Gefahr für das teutonische Abendland ausgerufen werden. Erst jetzt erkennt die züchtig waltende Hausfrau, dass die je um je sommers wie auch winters grippoid die Schleimhaut verschwiemelnde Angelegenheit in Wahrheit aus Mangel an gestampften Sojakeimen rührt, was jeder weiß, der schon einmal im Anflug der Erkältung gestanden haben mag. Zack, schon pfropft eine Anzeigenindustrie ohne Furcht noch Adel ihnen Postwurf in die Pupille, die Message Iss Cola, trink Popcorn aufzusaugen, und dann keimt der Schmadder. Das glitschige Konglomerat aus Stolz und Vorurteil greift zu allerhand Hausmittelchen, schwört Gluten und Baumwollhosen ab und vertraut nach dem straffen Heilbaden auf Schrumpelhaut als untrügliches Anzeichen des plötzlichen Herztodes.

Schwierig wird’s, wenn Nachbarn, Freunde oder verbliebene Familienmitglieder den Bescheuerten beim Verzehr roher Gurke sehen, beim Stehen auf dem falschen Bein, Duschen mit zu kaltem, mit zu warmem Wasser, Wasser überhaupt, Duschen an sich, Körperpflege im Allgemeinen, Äußerungen des organischen Lebens im weiteren Sinne. Da hat früher der Russe die Finger im Spiel gehabt, jetzt sind es Mainstream und Medien, die falschen natürlich, und die Pharmalobby, die mit boshafter Einflüsterung dem Todgeweihten zu verstehen gibt, er sei im Wahrheit gar nicht magersüchtig (habe keinen Krebs, sei nicht schizophren), obwohl er pro Tag einen Kubikliter Chemtrails einatmet (Pestizide per Fruchtfliegen schluckt, Kontaktgifte mit der Apfelschale inkorporiert). Gegen diese böswillige Verkürzung höchst komplexer Zusammenhänge arbeitet ein konzertiertes Hysteriemarketing an mit der generalstabsmäßig für die Marketingschlacht eingedosten Placeboschwemme, die dem Deppen eine Vorstellung von den mittleren Höllenkreisen gibt, in denen das Verbot von Kohlehydraten und Zucker gar nicht mehr diskutiert wird. Sie verfallen in pseudoreligiöse Raserei, brägenbewölkt und im Kern des Wesens erleuchtungsfähig wie Teerpappe.

Denn nichts anderes ist die Kulturideologie für Dumpftüten, die für eine vernünftige Psychose nicht genug Vorbildung besitzen. Sie wollen ihre eigene Endlichkeit jenseits jeglichen Verfalls in die Transzendenz wuppen, koste es, was es wolle, auch und vorwiegend unter komplett bescheuerten Umgebungsvariablen einschließlich einer Askese, die die Restbestände des vegetativen Handelns für intellektuell zurechnungsfähige Dritte nicht mehr wie Leben aussehen lässt. Das Kreisen im denkfreien Raum macht vorsichtshalber alles zur Krankheit, damit spirituelle Ausfallerscheinungen es wieder ausgleichen können – Heilung to go, Jesus muss sich angesichts der komplett verseiften Pauschalpropheten vorkommen wie ein Gesundbeter aus dem Anzeigenblättchen. Hätte er wenigstens schon Wein in Milchzuckerkügelchen verwandelt, die Nummer wäre in die Geschichte eingegangen. Ja, die Lage ist aussichtslos, aber immer noch nicht ernst genug. Schauen wir den Kranken zu, wie sie joggen, auf Mehl verzichten, Bäume rechtsdrehend umarmen und lösungsmittelfrei gebatikte Tapeten an die Wand vom Meditations- und Bügelzimmer tackern. (Leim ist halt nicht vegan.) Irgendwann sind sie derart mies überdosiert, dass sie sich schon wieder gesund fühlen. Und dann plötzlich sterben sie. Alle. Was ist das für eine Welt.





Gernulf Olzheimer kommentiert (CCLXXVI): Die vegane Flüstertüte

20 02 2015
Gernulf Olzheimer

Gernulf Olzheimer

Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.

Möglicherweise handelt es sich um einen Test, wenn Kandidaten beim Geheimdienst anheuern: leb einen Monat lang vegan. Die angehenden Spione krallen sich bereits Tage später zitternd in die Kleider ihrer Mitlebenden, um ihnen Predigten zu halten vom Unterfangen, ab jetzt auf Mortadella und Quark zu verzichten. Das sichere Geheimnis ist von dem Augenblick keines mehr, sobald sich ein argloser Mensch nähert. Die Flüstertüte wird ausgepackt, die Botschaft brüllt sich in alle Gehörgänge und hinterlässt ihre Schleifspuren auf jedem Nervenrasen. Offenbar ist es niemandem aus dieser Trockennasenaffenart möglich, ohne den Verzehr von Würmern und Schnaps zu lesen, ohne eine Fernsehsendung daraus zu machen. Wer Fernsehsendungen kennt, wir auch wissen, wie die meisten entstehen. Und welche Rolle Schnaps und Würmer bei ihrer Entstehung gespielt haben dürften.

Nichts schafft so nachhaltig Aufmerksamkeit wie die lauthals ausposaunte Nachricht, sich hinfort ohne Fleisch (Käse, Eier, Blumenkohl, künstliche Farbstoffe, you name it) ernähren, sich ohne totes Tier kleiden, sich ohne Zuhilfenahme größerer Geschnacksverstärker mitteilen zu wollen. Die Nachbarschaft schreckt empfindlich getroffen hoch, womit das Hauptziel schon erreicht sein dürfte, und stimmt emphatisches Geheul an ob der verlorenen Seele. Als sei ein Mensch verloren, der künftig sein Frühstück ohne Kaffee in arabesker Goldfixröstung hinters Zäpfchen schwiemelte – Generationen von Japanern und Sozialisten, Amis und Dresdnern haben sich ohne jenes Geplörr durch die nackte Existenz geschlagen, sie wurden alt, blieben aber trotz aller Wirrnis im Kopf leistungsfähig und laufen noch ein paar Jahre solide auf Teebeuteln. Der Prozentsatz von ihnen, der eifrei übersteht, auf Weißmehl verzichtet oder in den Dschihad zieht gegen den gebleichten Industriezucker, sie alle sind nicht erheblich. Keiner von ihnen nimmt ein Wagnis auf sich, das Wehklagen rechtfertigte, keinem sollte man vorab schon Kränze flechten, nicht einmal solche von Lorbeer.

Nicht einmal Fleischverzicht ist der Erwähnung wert. Was leistet der Faster, der auf dem eigenen Luftkissenantrieb über den Dingen schwebt, was nicht auch Millionen von Indern leisteten, Buddhisten, Jainas, vor allem Völker, die sich noch nicht die Segnungen des Turbokapitalismus auf die Fahne geschrieben haben, damit sie regelmäßig gegen die eigenen Interessen andemonstrieren können? Gibt es in Bangladesch Autokorsos gegen europäische Drittwagen? Protestieren chinesische Wanderarbeiter gegen den Smartphone-Verbrauch in der EU? Fordern Gauchos die Steakhausbetreiber auf, ihre Fleischfeudel wenigstens dünner zuschneiden, damit die Anden eine Spur langsamer in den Ozean erodieren?

Störend daran ist nicht die an sich tolerierbare Haltung, sich nicht täglich ein halbes Schwein in die Figur zu pfropfen; störend daran ist jenes larmoyante Gewese, das noch den zufälligen Passanten einer Wurstbude zum Zeugen eines Völkermords macht und von ihm solidarisches Geplärr fordert mit den armen Tibetern, die nicht schon zum Frühstück Schokoladenhörnchen und Aluminiumkapselkaffee haben. An einer Stelle den Konsumverzicht zu beginnen ist nicht falsch; das bisschen Heiligkeit von der Stange schon für das richtige Leben im Falschen zu halten ist geballte Eitelkeit und damit eine Beule der Ichlingspest, wie sie Dünkel hervorbringt auf dem Jahrmarkt der Selbstgefälligkeiten.

Der vorwissenschaftliche Aberglaube, durch intermitterenden Verzicht auf Bratwurst und Schlagermusik würden die Ablagerungen im Gedärm herausgemeißelt, hat sich noch immer nicht erledigt in einer Welt, in der die Verdübelten Impfen für Teufelswerk halten und Zuckerkügelchen für Medikamente, mit denen man Nachtschweiß und Arbeitslosigkeit heilen kann. Das mechanistische Weltbild feiert Volksfeste, und hilft das ganze Gewese nicht, dann hat der vermeintlich Erkrankte nur nicht heftig genug gebetet. Als Abspeckritual ist die drei- bis siebenwöchige Hysterie nicht nur nicht geeignet, sie bringt nach etwas Flüssigkeitsverlust die verlorenen Pfunde auch mit Verstärkung zurück. Neben Nierengrieß und Herzrhythmusstörungen bringt die organische Geißelung vor allem solide Kreislaufstörungen und Schwindelanfälle, letztere gerne auch bei Nachfrage nach dem Erfolg der Kasteiung.

Am eitelsten noch wirkt die Abstinenz von Alkohol und Drogen. Was der vernünftige Hominide am wenigsten braucht, daraus macht er den größten Aufriss. Als hinge seine ganze lächerliche Inkarnation davon ab, ob er sich einmal am Tag Schnaps reinpfeift, mit oder ohne Würmer. Im Gegenteil ist sein Drogenkonsum wie die institutionalisierte Beichte: ein Jahr lang baut er Mist und bembelt sich die Birne dicht, dafür sucht er einmal für wenige Tage Vergebung in klarem Wasser und kaltem Haferschleim, weil es die auf Spiritualität getrimmte Mechanistik seinem Denken so vorschreibt. Alles wird gut, denn ihm ist das Heilsversprechen, ein flacherer Bauch, weniger Dellen im Hintern und endlich keine Luftlöcher mehr im Großhirn, in großen Lettern in den Himmel gemeißelt. Hauptsache, jeder kann es lesen. Denn seit wann praktizierte der Bekloppte seinen Kinderglauben nur für sich allein.





Natürlich gesund

1 03 2012

Die Stimme kam mir doch bekannt vor? „Zwei Stück, das werde ich mir merken!“ Sekunden später prallte Herr Breschke auf mich, eine Schale mit gelblichen Pastillen in der Hand. Das allein hätte mich nicht gestört, wäre es nicht gerade in Doktor Klengels Praxis passiert.

Der Hausarzt druckste herum. „Dieses Fischöl ist an sich ja nicht schädlich“, ächzte er. „Man kann es also durchaus einsetzen, wenn der Patient es sich wünscht.“ „Irgendwer wird es sich wünschen“, gab ich zurück, „und irgendjemand wird auch dafür sorgen, dass es sich irgendwer wünscht.“ Klengel knetete seine Hände. „Sie wissen doch, was wir zu berücksichtigen haben. Nahrungsergänzungsmittel dürfen keinen therapeutischen Nutzen erfüllen. Wir müssen diese Testreihe durchführen, sonst müsste die Forschung ins Ausland abwandern. Wollen Sie das etwa?“ „Wenn die ihre Gelatinekapseln schluckten“, antwortete ich, „wäre ich nicht besonders traurig. Warum bieten Sie das Zeug überhaupt an? War ihr Ausflug in die Homöopathie Ihnen nicht schon eine Lehre genug?“ Er seufzte tief auf. „Sie hatten ja Recht – ich hätte es nicht einfach so machen sollen. Die Patienten haben sich bitter beklagt, ich hätte fast di Praxis zumachen müssen. Die meisten waren der Ansicht, Globuli seien einfach zu klein. Das wirkt nicht.“

„Geht es jetzt gleich los?“ Der pensionierte Finanzbeamte saß im Nebenzimmerchen und wartete auf die Befragung. „Klengel“, zischte ich, „wenn Sie wirklich ein vernünftiges Testergebnis wollen, dann lassen Sie mich das Interview machen.“ Seine Brille passte mir nicht, verwandelte mich aber im Handumdrehen in einen Uhu. Der weiße Kittel aus der Abstellkammer tat ein Übriges. „Wir werden den Probanden schon schaffen“, näselte ich, „und das auch noch im Dienste der Volksgesundheit.“

Steifbeinig betrat ich die Kabine; sonst hatten die Patienten immer nur durch eine kleine Klappe in der Wand Becher gereicht, jetzt aber saß ich selbst auf einem Drehschemel und kritzelte auf einem Klemmbrett vor mich hin. „Herr Breschke“, fistelte ich, „Sie haben sich dankenswerterweise für unsere Untersuchung zur Verfügung gestellt. Wenn Sie mir einmal berichten würden, welche Heilmittel Sie im Laufe der Woche so zu sich nehmen?“ „Wir schlucken ja als erstes diese Knoblauchpillen“, hub er an, „aber wir sind von den russischen Dragees abgekommen. Die waren von Sergej Zarewitschin, aber auf dem Etikett stand, dass der Hersteller in Bad Salzschlirf sitzt – das ist doch Schwindel!“ „Gut“, bemerkte ich und kritzelte ein paar Männerchen auf den Schreibblock, „das ist schon mal sehr hilfreich. Was haben Sie dann als Ersatz eingenommen?“ „Meine Frau und ich schlucken jetzt drei Kapseln von Juri Moskwitsch. Die Firma sitzt in Thüringen, das ist ja wenigstens im Osten.“

Klengel hatte wohl versehentlich einen Prospekt in die Schreibmappe eingeklemmt. „Sie nehmen auch Vitapolin 2000?“ „Nur Vitapolin 500“, korrigierte Breschke, „wegen der Dosierung. Es besteht aus hochreinen Blütenpollen zur Ergänzung der täglichen Nährstoffzufuhr, aber die Beutelchen der Großpackung waren für uns nicht so gut geeignet.“ Ich stutzte, aber er erklärte es mir sofort. „Meine Frau ist Pollenallergikerin.“ Das verwirrte mich. „Warum nehmen Sie dann noch zusätzlich Blütenpollen?“ „Da die in der täglichen Ernährung nun mal überhaupt nicht mehr vorkommen – wir Städter kommen doch kaum noch in Berührung mit einer richtigen Blumenwiese, nicht wahr?“ „Aber Ihre Frau ist doch allergisch, oder? Warum nimmt sie diesen Krempel zu sich?“ „Man kann sie pur oder im Müsli oder in Süßspeisen zu sich nehmen“, erklärte er. „Und auf der Verpackung stand nicht, dass Pollenallergiker sich damit nicht schützen können.“ „Schützen?“ Ich riss die Augen auf. „Wogegen denn schützen?“ „Gegen Pollen“, lächelte Breschke.

Der Rest lief einigermaßen schnell. Ich stellte fest, dass er täglich eine Obst- und Gemüseauslese an Vitaminen und Ballaststoffen zu sich nahm (drei Pillen), indische Flohsamenschale (reinste Qualität, anderthalb Esslöffel), Aloe vera (ein Viertelliter als Joghurt, Shampoo und Lutschpastillen) sowie Ginkgo-Extrakt (zwei Kautabletten) zur Stärkung der Gehirnzellen. „Bald werden wir uns die Omega-Säuren in Reinform besorgen“, berichtete er.

„Ich kann ihn doch nicht komplett ohne ein Heilmittel aus der Praxis schicken“, zischte Klengel mir aus dem Türrahmen zu. „Wenn Sie nicht ihm irgendetwas verordnen, habe ich ihn dreimal pro Woche hier sitzen.“ „Lassen Sie mich nur machen“, wisperte ich zurück. „Schicken Sie Ihre Helferin in den Supermarkt. Mit einem großen Korb.“ Damit wandte ich mich wieder dem Versuchskaninchen zu. „Wir müssen uns jetzt einmal sehr genau über den Vorgang der Einnahme unterhalten. Da ist jede Einzelheit von größter Bedeutung. Herr Breschke, wie lange brauchen Sie denn so im Schnitt, bis Sie eine Vitamintablette gelutscht haben?“

Doktor Klengel wusch sich gründlich die Hände. „Gut, dass wir noch ein paar Schraubgläser von der homöopathischen Werbeveranstaltung hier stehen hatten.“ Ich nickte. „Sie sollten die Aufkleber genau beschriften. Die Wirkstoffe sind zu beachten – man sollte damit nicht spaßen.“ Er kicherte. „Richtig, richtig. Und gut, dass sie den Kunsthonig gerade im Angebot hatten.“





Gernulf Olzheimer kommentiert (XCIII): Krankheiten als Gesprächsthema

18 02 2011
Gernulf Olzheimer

Gernulf Olzheimer

Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.

Der Hominide ist nach landläufiger Meinung ein sprechendes Wesen; ob er zur Sprache auch befähigt sei, darüber streiten freilich die Geister, nichtsdestotrotz schwallt einer den anderen beim Platitüdenbingo voll, bis Blut aus dem Gehörgang sickert. Wo der durchschnittliche Knallkopf sich nicht über Jagdreviere austauscht oder zur Wahrung des sozialen Status ad hoc erfundene Geschichten über seine Potenz zum Besten gibt – heute meist in Form eines Fachgesprächs über Armeezeit und Automobile – sondert er intentionslos Heißluft ab, um den Horror Vacui in den Griff zu kriegen, denn nichts ist dem Gesellschaftstierchen mehr verhasst als die Vorstellung, trotz aller Nullinformation nun auch noch wahrhaftig er selbst sein zu müssen, ohne einen Schutzschild aus Sprache, hinter dem er sich und seine existenzielle Tristesse verbergen könnte. Es bleibt ihm im Zustand der Nacktheit nicht mehr als seine reine Physis, genauer: deren Fehlfunktionen, denn was wäre ein besserer Anknüpfungspunkt für sinnlose Gespräche als eine Konversation über Krankheiten.

Gewöhnlich dient die Krankheit des Dritten, bis auf wenige Ausnahmen in dessen Abwesenheit, als gelungener Einstieg in den Dialogprozess. Der Bruder des Hausmeisters, beiden nur flüchtig bekannt, hat offenbar seit längerer Zeit Probleme mit den Bandscheiben, es wird sich dabei um eine Herzgeschichte handeln, auf jeden Fall kommt das von den Nerven: innerhalb weniger Minuten sind Anamnese, diagnostische Möglichkeiten sowie Therapie und Prognose ausgeschöpft, sämtliche Teilnehmer des Kolloquiums haben sich als vulgärmedizinisch hinreichend gebildete Laien geoutet und schreiten nun zur zweiten Stufe, der Post-mortem-Betrachtung. Das Konsilium eiert in konzentrischer Bahn um die Feier des Lebens, denn dass eine horrende Zahl von Waschfrauen, Henkern und Schiffschaukelbremsern bereits an Lungen-, Leber-, Luftröhrenleiden verschieden ist, dient nur zur finalen Untermalung der Tatsache, dass logisch folgt, die Diskutanten seien noch am Leben. Ein Memento mori der dialektischen Art, wenngleich sinnleer, da unverbindlich: dermaleinst werden auch sie die Radieschen von unten besichtigen, wenn andere über ihr Ableben palavern.

Die nächste Stufe ist die rezente Erkrankung, akut, chronisch, selten wirklich lebensbedrohlich, auf jeden Fall aber von kaum steigerungsfähiger Widerlichkeit. Sei es mangelnde Distanz zum eigenen Körper oder Mangel an funktionstauglicher Grütze unterm Schädeldach, nässender Ausschlag an privaten Partien dient dem Bescheuerten allemal zur Gesprächseröffnung. Bereitwillig berichtet der Bescheuerte von Gasaustauschvorgängen in seinem Verdauungstrakt, als handle es sich um ein Vorgang von epochaler Bedeutung; noch die unappetitlichen Nuancen von Hämorrhoiden, täglich einsetzender Refluxösophagitis oder nichtverbaler Diarrhö weiß der Weichstapler geflissentlich in die Unterhaltung zu schwiemeln, als gälte es, sich mit derlei exhibitionistischen Ausfällen in die Schar der verhandlungsfähigen Zweibeiner zu schummeln. In Wahrheit jedoch trifft nichts davon zu, nur setzt, wie Freud vermutet, mit dem Schwinden der Scham schon der Schwachsinn ein, so nicht Kollege Nachtfrost schon deutlich früher eingeschlagen haben sollte. Dessen ungeachtet blökt der Nappel über eingewachsene Fußnägel und nächtlichen Harndrang, rekapituliert akribisch Menge, Farbton und Temperatur diverser Sekrete und gibt notfalls praktische Proben, um traumatische Erfahrungen mit dem letztjährigen Bröckelhusten abzuarbeiten.

Gerne bespielt wird jene Bühne von der Armee der Simulanten, die endlich ein wehrloses Publikum finden, Kollateralschäden einer ästhetischen Wiederaufbereitung von Hinterwandinfarkt und Darmkrebs, täuschend echt nachempfunden mit dem Kenntnisstand von dreizehn Jahrgängen Bäckerblume und Frisörgespräch, up to date auchg bei neuen Modekrankheiten – der geschickte Hypochonder steigert sich mühelos selbst in pontozerebelläre Hypoplasie, Blepharospasmus und Ziegenpeter rein, und frenetischer Applaus wird das Gehampel begleiten, mit dem er seine Show schmückt.

Die letzte Stufe auf dem Weg zum Verfall ist die Anmaßung des Amateurmediziners, der Gebrechen anderer Bekloppter zielsicher erkennt und mit einfachen Hausmittelchen kurieren kann, wo nicht komplexe Therapie nach neuerer Forschung als Mittel der Wahl gilt. Unbeirrt hält er Kleine-Levin-Syndrom (feuchtwarme Umschläge, Würfelzucker mit Zitronensaft intravitreal) und Mundgeruch (Thoraxeröffnung, Zäpfchen, Einäschern der Leiche) auseinander, der Medikus eigener Gnaden, und weiß als getreuer Beichtvater die irrationalen Ängste der umgebungsvariablen Dummschlümpfe zu nähren, aufzuplustern und am Punkt der Panik durch Kompetenzvortäuschung zu beseitigen. Mehr Macht hat keiner als der, der mit den Mehlmützen zu spielen weiß, die bei jeder Gelegenheit, ob auf der Familienfeier, ob im Kinofoyer oder am kalten Büfett, ihre intimsten Geheimnisse offenbaren, Gallen- und Hüftleiden, genug Stoff für die zwischenmenschliche Kommunikation im Flug der Stunden, denn das erst macht den Beknackten zum vollgültigen Mitglied seiner Gesellschaft: das ewige Genörgel, die zwecklose Klage über seine beschissene Befindlichkeit. Wahrscheinlich würde er ohne die Symptome einer schleichend tödlichen Auszehrung sofort krank. Diesmal wirklich. Und was dann kommt, das will erst recht keiner hören.





Gernulf Olzheimer kommentiert (XLIII): Hypochonder

5 02 2010
Gernulf Olzheimer

Gernulf Olzheimer

Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.

Wenn die Tage langsam kürzer und die Nächte kühler werden, wenn der seit dem Spätsommer in den Kaufhallen angestaute Spekulatius zur Neige geht, wenn es fast weihnachtlich zu werden droht und langsam der November auf dem Kalender sich zu zeigen anschickt, kurz: wenn in europäischen Gefilden endlich wieder heimeliges Scheißwetter den Aufenthalt in geschlossenen, überdachten, beheizten Räumen zum erstrebenswerten Zustand macht, dann holt eine Armee zum grausamen Vergeltungsschlag an der restlichen Welt aus – das Heer der Hypochonder. Nur konsequente Inzucht, frühzeitiges Abtrainieren der Hirnzellenverwendung sowie monomanisches Herumvegetieren auf einer quasi punktförmigen Fläche dieser existenziellen Abschussrampe formerly known as Dasein kann den introspektiven Vollidioten zu diesen Höhen führen, die jeden anderen längst in die Regionen des großen Kopfaua geführt hätten.

Wann und wie die Hypochondrie ausbricht, ist bislang ungeklärt. Manche Beobachter gehen von naturbelassener Beknacktheit aus, die TV-Shows über die Schweinegrippe in die fatale Richtung triggern. Andere heben zwanghaftes Stöbern in Gesundheitslexika hervor, wobei eine Mehrheit den Konsum von Apothekenzeitschriften als Anfixe nicht vollkommen auszuschließen gewillt ist – Farbberichte über Ekzem, Reizblase und Gasbrand heben die verzweifelte Stimmung in der Krankheitsherde und füttern die imaginären Leider mit Hoffnung auf ekelhaftes Siechtum, Gebrechen im Endstadium, Auszehrung, Verfall und Schwund für die Galerie. Der professionelle Wahnkranke hakt im Laufe eines Tages routiniert ein komplett ausgebildetes Karpaltunnelsyndrom und ein besonders schönes Hirnödem ab, um dann, einer plötzlichen Eingebung folgend, kurzfristig an Milchschorf zu verscheiden. Flexibilität ist der zweite Vorname dieses Bescheuerten, er ist in der Lage, Spitzenleistungen der Symptomatik zu vollbringen: aus beliebigen Krankheitszeichen wie trockenem Husten, leichtem Ziehen in der Hüfte oder spontanen Schädelfehlbildungen schwiemelt er neue Seuchen, die fast immer wenigstens ein Opfer fordern – den Arzt, der sich das dünn angerührte Kasperletheater des Behämmerten antun muss.

Chronische Fälle sind sogar in der Lage, mit ihren darstellerischen Fähigkeiten einen Grand mit Viren auszuspielen und, obzwar gesund, ein ganzes Wartezimmer mit Schweinegrippe zu infizieren. Überhaupt liegt der Verdacht nahe, Hypochonder pflegten ein unnötig enges Verhältnis zu den Präparatproduzenten. Denn sind Krankheitskomiker ohnehin schon die geborenen Vollopfer, machen sie sich auch noch freiwillig zu Versuchskaninchen der Pillendreherkonzerne. Als wäre diese Form von Beklopptheit noch medikamentös zu bekämpfen.

Man könnte sie ja ignorieren, wenn sie nur geschwächt darniederlägen und verzweifelt ihr Lebensende abwarteten – doch sie tun uns den Gefallen leider nicht. Stattdessen toben Kompanien herzrhythmusgestörter Schlaganfallpatienten von einem unschuldigen Gesunden zum nächsten, um allen mit chirurgischer Präzision die Einzelheiten von Nachtschweiß, Blutzuckergehalt und neuropathologischen Ausfällen vorzuschwallen. Selten verstirbt einer der Wahrnehmungsgestörten, eher handelt sich die geplagte Umwelt ein Burnout-Syndrom mit einer Extraportion Ohrenkrebs ein.

Was einen richtig in die Nähe der Hirnembolie treibt, ist die egozentrische Selbstverständlichkeit, mit der die psychosomatischen Nervbeulen sich ihre Vorzugsbehandlung unter den Hohlpflöcken dieser kranken Gesellschaft herausnehmen. Denn wer ist dafür verantwortlich, dass der Hausarzt nach stundenlangem Geschwätz mit dem Jammerbeutel gepudert zusammenklappt und keine Luft mehr für andere Erkrankte hat? Wer organisiert Busreisen, um gleich als Hundertschaft den Verkaufsraum der Apotheken zu verstopfen, damit Rheumapflaster und Kopfschmerztabletten gegen Pest, Pocken und Plattfüße die Nasszellenschränkchen aufpolstern? Vielleicht erwarten sie, für die das Leben Schmerz und schlechte Verdauung, Masern und Juckreiz ist, Ziel und Zweck der ganzen Aktion sei, irgendwann gewaltig eins aufs Maul zu kriegen und endlich einen handfesten Grund zur Beschwerde zu haben.

Doch inzwischen haben sie die Heilpraktiker entdeckt; hoffen wir das Beste, dass sie sich mit den Hundertsassas unter den Scharlataneriefachkräften kurzschließen und den perfekten Deal aushandeln, eingebildete Therapeutika gegen eingebildete Krankheiten, um den anderen Mitgliedern der kranken Kassen nicht mehr auf den Senkel zu gehen. Bald werden die Homöopathen nachziehen, man ahnt schon, wie sie reinen Luftsauerstoff in destilliertem Wasser aufquirlen und Zuckerperlchen gegen geträumtes Rheuma drehen – die Hirnazubis sind wieder unter sich, die einen geben sich ihrer eingebildeten Krankheit hin, die anderen der kranken Einbildung, ihre Placebojonglage sei sinnvoller als Schmeißfliegendressur. Wer weiß, ob dies nicht eine der Geschmacklosigkeiten ist, mit denen uns die Evolution nachhaltig zeigen will, wie überbewertet doch die Vernunft ist.