Ungünstige Prognose

15 12 2022

„… eine Reihe von Maßnahmen beschlossen habe, um die Bevölkerung während der Weihnachtstage vor den schlimmsten Entwicklungen zu schützen. Die akute Unterversorgung der Bundesrepublik mit präklinischer Notfallmedizin sei eine echte…“

„… rate das Bundesgesundheitsministerium den Bürger, in diesem Jahr auf Weihnachtskerzen zu verzichten. Es seien nicht genug Notfallsanitäter in den Ballungsgebieten verfügbar, um im Brandfall eine schnelle Rettung zu…“

„… der Berliner Senat sich nach dem jüngsten Zwischenfall entschieden habe, flexiblere Lösungen für den Rettungsdienst auf den Weg zu bringen. So sei es ab sofort möglich, auch ohne Notarzt oder geschultes Personal Einsätze zu fahren, da ein Notfall als erfolgreich gelöst gelte, wenn allein das Fahrzeug an den Einsatzort…“

„… es nicht zielführend sei, präventiv sämtliche Klimaaktivisten zu einer lebenslangen Haftstrafe zu verurteilen. Für die Berichterstattung könne es viel einfacher sein, eine weit entfernte Demonstration als Begründung für den Ausfall des gesamten…“

„… rate das Bundesgesundheitsministerium nun auch dazu, mit elektrischen Lichterketten vorsichtig zu verfahren. Neben den üblichen Gefahren eines kurzschlussbedingten Brandes oder Herzstillstand durch Stromschlag müsse man besonders Kinder, die sich eine Strangulation zuziehen könnten, mit deutlichen Warnhinweisen auf dem…“

„… die Hauptstadtverwaltung sich mit der Deutschen Bahn AG verständigt habe, um ihre Statistik wieder in den grünen Bereich zu drehen. Es sei nun geplant, alle Einsätze, bei denen ein Rettungsfahrzeug überhaupt den Unfallort erreiche, als pünktlich zu kategorisieren, was als wesentliche Entlastung vor allem für den Senat und seine…“

„… Löschversuche an brennenden Bäumen oder Adventskränzen nicht selten der Auslöser schwerer Erkältungskrankheiten bis zu Bronchitis oder Lungenentzündung würden. Lauterbach rate daher in diesem Jahr, jede Art von Beleuchtung in den Privatwohnungen zu vermeiden, da dies eine der einfachsten und auch sparsamsten Lösungen für den Schutz der Bevölkerung vor einem…“

„… nun auch Rettungssanitäter fahren lassen werde, die sich zuvor nicht mit der Bedienung eines Einsatzfahrzeuges befasst hätten. Die Berliner Innensenatorin sehe im Fall eines Verkehrsunfalls den Vorteil, dass sich dann ein Rettungsteam sofort vor Ort befinde und lebensrettende Maßnahmen für die Einsatzkräfte im…“

„… es Überlegungen in den Krankenkassen gebe, vor der Alarmierung der Rettungsleitstelle zunächst eine Zweitmeinung eines niedergelassenen Arztes einzuholen. Sollten etwaige Wartezeiten den Notfall erledigen, so würde auch dies zu einer sehr viel besseren Versorgungslage für andere…“

„… die Einweisung in eine Klinik im Radius von fünfzig Kilometern nun der Normalfall werden müsse. Die Hamburger Sozialbehörde wolle damit eine Entzerrung des Krankenhausbetriebs erreichen, der nur geringe Erweiterungen der Fahrleistung bei Feuerwehren und anderen…“

„… zu Einschränkungen in der Freizügigkeit führen könne. Da sich während der Weihnachtstage viele Bewohner ländlicher Regionen in den Städten aufhalten würden, könne es dort auch zu einer viel größeren Häufung an Notfällen kommen, was durch ein generelles Besuchsverbot in den kreisfreien …“

„… die Flexibilisierung müsse weiter führen und auch in umgekehrter Richtung funktionieren. Für die Berliner Verwaltung liege es nun nahe, dass auch Kraftfahrer, die man auf dem angespannten Arbeitsmarkt viel leichter als nebenberufliche oder in Teilzeit tätige Helfer finde, mit medizinischer Versorgung am Unfallort beauftragt werden könnten, um eine Entlastung der Politik im…“

„… sich die medizinischen Kenntnisse in der Normalbevölkerung nutzen lassen würden, wenn vor dem Notruf mindestens eine Recherche der Leitsymptome im Internet verpflichtend werde. Im Bundesgesundheitsministerium begrüße man den Vorschlag der Rettungsdienste und werde sich mit ihm wohlwollend und vorurteilsfrei…“

„… dass Patienten auch im Umkreis von etwa hundert Kilometern eingeliefert werden könnten. Zur Kooperation mit niedersächsischen Kliniken werde man von Hamburg aus auch Notfälle in den Gängen und Kellern diverser Krankenhäuser…“

„… bei kritischen Fällen, bei denen nur eine sehr ungünstige Prognose gestellt werden könne, eine spezielle Rufnummer helfen werde. Von den Rettungsdiensten werde diese Leistung als Letzte Hilfe angeboten, die üblicherweise erst nach dem Ende einer regulären Schicht in den…“

„… auch im Sinne eines Schnupperpraktikums besetzt werden könne. Dabei sei es für den Berliner Senat unwichtig, ob es vor den Einsätzen eine fachliche Unterweisung in medizinische oder…“

„… zur Teamwork aufgefordert habe. Bei nicht erfolgreich verlaufenden Einsätzen bestünden die Krankenkassen darauf, dass die Rettungsdienste ihre Fahrten entweder zu einem deutlich reduzierten Kostensatz oder aber vollkommen ohne eine…“

„… in Bezug auf die Gesamtzahl der Einsätze betrachtet werden müsse. Zwar könne auch durch pandemiebedingte Ausfälle, spontane Kündigungen zum Jahresende oder eine allgemeine Unlust in den Rettungsdiensten eine Überlastung konstatiert werden, ein gesetzliches Verbot des Entzündens von Feuerwerkskörpern zu Silvester bedeute jedoch für Buschmann eine viel zu starke Einschränkung der Freiheitsrechte, die keinesfalls gegen die gemeinhin eigenverantwortlich handelnden…“





Konsistente Therapieangebote

24 01 2022

„Die 417 hat aufgehört zu schreien? Das ist okay, Hauptsache, sie hört nicht auf zu atmen. Dann wäre die Behandlung beendet, und wir könnten ihr keine therapeutischen Maßnahmen mehr in Rechnung stellen. Bereiten Sie schon mal den Aderlass vor.

Natürlich sind wir hier alle approbierte Ärzte, wir haben hoch qualifiziertes Pflegepersonal und einen exzellenten Ruf, was intensivmedizinische Versorgung angeht. Drüben haben wir die normale Station, da werden Sie auch nach allen Regeln der Kunst behandelt. Das mag für Fälle wie Herzinfarkt oder Schlaganfall selbstverständlich klingen, ich würde Ihnen das auch empfehlen, aber wir leben in einem freien Land, es gilt Eigenverantwortung, den Rest können Sie sich ja denken.

Ein Teil der medizinischen Versorgung wird ja bereits erfolgreich an die Bevölkerung delegiert. Sie tragen Sehhilfe, also sind Sie bereits betroffen. Und da wir Versorgung nicht mehr ohne unsere eigene betriebswirtschaftliche Kalkulation betreiben, muss man ja im Sinne der Dienstleistungsgesellschaft, die uns laut Hartz-Reformen zu einem erfolgreichen Staat gemacht hat, durchaus die Kernfrage stellen: wie viel Kohle können wir Menschen, die sich in Lebensgefahr befinden, aus den Rippen leiern?

Hat der 429 die perorale Gabe von Chlorbleiche schon geholfen? Dann räumen Sie das Zimmer frei, wir haben gleich den nächsten Patienten. In dem Fall können Sie auf der Todesbescheinigung gerne vermerken, dass er nicht an, sondern mit Corona verstorben ist. Sie sind jetzt vielleicht ein bisschen überrascht, aber wir nehmen Patientenwünsche sehr ernst. Wir stehen alternativen Therapieformen auch aufgeschlossen gegenüber, und wenn jemand auf die Art auf unserer Station versterben will, dann machen wir das gerne. Dazu ist die Medizin nach Ansicht dieser skeptischen Minderheit ja da.

Schröpfköpfe sind immer gut, das ist für das Gesundheitssystem geradezu sprichwörtlich. Wir weisen in den Behandlungsverträgen natürlich auf die wissenschaftlich nicht bewiesen Wirksamkeit der Methode hin, geben aber zu bedenken, dass die unangenehmen Empfindungen durchaus eine Art Placebo-Effekt hervorrufen. Das ist wie mit dem Rauchen, man fühlt sich ja auch nur entspannt, weil bei Nikotinzufuhr die Entzugserscheinungen kurz nachlassen. Für Skeptiker, beispielsweise Menschen mit abgeschlossener Berufsausbildung oder einem anderweitig funktionierendem Verstand, gibt es den Hinweis, dass die mesopotamische, die ägyptische und die chinesische Medizin diese Therapie auch schon als Standard bei allerlei Gebrechen wie Diabetes, Rheuma, Kurzsichtigkeit oder Schnupfen empfohlen haben. Wir befinden uns durchaus in einer Tradition, die schon viele überlebt haben.

Die 428 hatte einen kurzfristigen Herzstillstand, deshalb haben wir ihr nach dem Wissensstand des Behandlungsvertrags Tabakrauch in den Enddarm geblasen. Zur Wiederbelebung. Wie zu erwarten haben wir jetzt einen langfristigen Herzstillstand.

In einer Gesellschaft, in der man den Patienten die Grundregeln der Humanmedizin vortanzen kann und meist zurückbekommt, dass sie alles besser wissen, müssen Sie irgendwann ein konsistentes Therapieangebot machen. Wir haben uns für die allgemein bekannten Verfahren des Mittelalters entschieden, und das war nicht ganz leicht. Ich als Fachmann weiß zum Beispiel, dass die arabische Welt pharmakologisch erheblich weiter war als der Westen, aber erzählen Sie mal einem besorgten Bürger. Die erste endotracheale Intubation wurde 1543 angewandt, das lassen wir natürlich weg, da es sonst als Lügenmedizin gebrandmarkt würde. Die Kunden finden es authentischer, dass wir ihnen bei Irrsinn den Schädel aufmeißeln.

Der Hausmeister ist schon wieder zu früh dran, wie oft soll ich das noch sagen? Wenn der Kerl wieder den ganzen Flur ausräuchert, kann er sich auf ein Donnerwetter gefasst machen! Ich will auf der Station keine verkohlten Ginsterzweige mehr gegen unruhige Säfte, und er soll seine Pestmaske aufsetzen! Wenn er sich diesmal nicht an die Regeln hält, wird er ab morgen zur Vokalatmung versetzt oder zur Klangschalentherapie!

441 ist ja schon länger hirntot, da half auch kein Detox. Der war eigentlich schon bei Einlieferung vegetativ auf Null, weil er uns gesagt hat, dass die Erkrankung, wegen derer er dann gestorben ist, gar nicht existieren kann, da sein Sternzeichen das nicht zulässt. Interessant. Wir könnten ihn jetzt in die Kühlung verlagern, aber er ist Privatpatient, und da nutzen wir jede Möglichkeit, wenn Sie verstehen, was ich meine.

Wir wenden gerne experimentelle Verfahren an, wenn wir vorher rausgefunden haben, was wir an Wirkung erwarten können. Reinkarnation ist okay, mit Reiki haben wir im Internet gute Erfahrungen gemacht, und Heilsteine dürfen wir nur nach der üblichen Desinfektion anwenden. Das ist immer noch besser als Geistheilung, weil man da nicht genau weiß, wessen Geist eigentlich geheilt werden sollte. Immerhin haben wir eine Zusammenfassung der Eigenurintherapie mit klassischer Harnschau geschafft: erst guckt sich das die Pflegekraft an, dann können die Patienten mit dem Zeug machen, was sie wollen. Falls das irgendwie biodynamisch wirkt, sagen Sie Bescheid, wir integrieren das in die üblichen Behandlungsmethoden.

Heilhüpfen können Sie haben, gerne auch in konzentrischen Kreisen, mit oder ohne Ohrkerzen, und wir machen dazu anthroposophisches Kratzen auf der naturbelassenen Schiefertafel. Alles kein Problem. Globuli? Entschuldigung, hatten Sie das nicht kapiert? Wir sind Ärzte!“





Schwester Tupfer

20 04 2020

„Also die Lage ist hoffnungslos, aber dafür auch echt beschissen. Und Sie wissen ja, wie das ist: wenn der Deutsche in der Tinte sitzt, wählt er die, die ihm das eingebrockt haben. Denn sehen Sie mal, die, die ihm das eingebrockt haben, die sollen doch auch in der Verantwortung bleiben, das zu beseitigen, oder nicht?

Deshalb hat das Bundesgesundheitsministerium jetzt auch beschlossen, eine gute konservative Idee wieder aus dem Keller zu holen: den Zivildienst. Es ist noch gar nicht lange her, da hatten wir jede Menge junger, engagierter Männer in den Kliniken, die jeden Dreck weggeputzt haben, weil wir sie sonst zum Bund geschickt hätten. Das ist eine argumentative Basis, die Sie nur mit Lohnzahlung gar nicht haben, und in der Zwischenzeit haben die Leute sich sowieso dank der Hartz-Gesetze daran gewöhnt, dass man alles grundlos sanktioniert, was einem nicht in den Kram passt. Vorausgesetzt, Sie sind auf der Arbeitgeberseite.

Und wenn Sie sich die aktuelle Situation in der Pflege anschauen, dann ist da dasselbe. Noch sind wir nicht am Limit, das heißt: noch steht der Feind nicht an der Grenze und fragt, ob er uns eventuell platt machen dürfte, aber das kann sich jederzeit ändern. Da brauchen wir einen Nachschub. Und da die jetzige Schülergeneration auch nicht weiß, ob sie nach dem Abschluss irgendeine Lehrstelle oder einen Studienplatz kriegt, können wir die jungen Leute erst mal für ein Jahr aus dem Verkehr ziehen. Inzwischen ist die Gleichstellung überall in der Gesellschaft angekommen, auch in der Bundeswehr und erst recht in der Pflege, und deshalb kann man jetzt mit vielen jungen weiblichen Menschinnen, also auf Deutsch: Schwester Tupfer ist auch dabei.

Sie können das gerne direkt mit der Wehrpflicht vergleichen. Das waren ja in dem Sinne so richtig keine Streitkräfte, das waren Soldaten, die den Feind an der Grenze so lange beschäftigen sollten, bis richtiges Militär eintraf. Für richtige Aufgaben, die eine richtige Ausbildung erforderten, da gab es dann auch richtiges Militär. Wenn zum Beispiel ein Starfighter auf den Acker musste, das übernahm der richtige Soldat. Die Wehrpflichtigen wurden nur da eingesetzt, wo sie eine gewisse unterstützende Tätigkeit für die Volkswirtschaft ausüben konnten. Wenn es mal Manöverschäden gab, für die dann die Ausgleichszahlungen an Landwirte ausgeschüttet wurden, die sowieso gerade eine neue Zugmaschine bestellt hatten, die mussten dann ja von irgendwem hergestellt werden. Die Schäden natürlich. Und so war allen gedient, der Traktorfabrik, dem Soldaten und der deutschen Landwirtschaft. Und jetzt sehen Sie sich mal ein Krankenhaus an vor zwanzig oder dreißig Jahren, da wurde ganz ähnlich gearbeitet. Also nicht so sehr auf Verschleiß – die Patienten fielen zwar auch an, aber nachbestellen konnte man die ja nicht direkt. Das ging halt nur bei den Zivis, und da haben wir jetzt ja wieder ordentlich viel Humankapital zum sinnlosen Verschleudern, wie man das aus der Marktwirtschaft so kennt.

Sie müssen jetzt nicht denken, dass es uns um die Rettung von Menschenleben geht, das ist in den Klinken nicht vorgesehen, jedenfalls nicht als das vorrangige Geschäftsziel. Zur Sicherung unserer Rendite reichen genügend Fallpauschalen und nicht zu hohe Personalkosten schon aus. So kann man experimentell Geschäfte, Schulen oder Restaurants wieder öffnen, je nachdem, wie viel nachwachsende Ressourcen sich im Dienst infizieren, und dann schauen wir mal, wie wir diese Situation überleben. Also wir im Sinne von: wir, weil auf die kommt es ja nicht so an.

Wenn wir Glück haben, bleibt ja einer von den Zivis bei uns hängen. Nicht in der Pflege, das ist vom Personalschlüssel gar nicht gut, wenn da auf einmal zu viele Leute im Schichtplan herumturnen, da müsste man am Ende die älteren Kräfte noch entlassen, damit man Platz für die jüngeren hat, aber wenn wir den einen oder anderen mit schweren Komplikationen noch als beatmungspflichtigen Fall auf der Intensivstation hätten, das wäre schon sehr cool. Die kennen sich ja bestens aus im Klinikum, sobald die wieder auf den Beinen sind, können sie sich selbst versorgen, dann haben wir wieder ein bisschen mehr Luft. Vielleicht machen wir für die auch eine eigene Station auf, dann können die ein bisschen aneinander herumdoktern, der eine oder andere möchte danach Medizin studieren, das ist doch mal eine Perspektive. Ich meine, zivilen Ungehorsam haben wir doch in der Geschichte oft genug gehabt, warum versuchen wir es nicht mal mit zivilem Gehorsam?

Und Sie müssen sich überlegen, die meisten, die jetzt noch zur Bundeswehr gehen, die wollen das richtige Abenteuer. Der ganze Laden ist voll im Eimer, Sie können froh sein, wenn Ihnen da nicht das Kasernendach überm Kopf zusammenbricht – aber wenn Sie so richtig Action haben wollen, dann machen Sie ein Jahr lang Pflege. Was wir bieten, dagegen ist die Fremdenlegion doch mittlerweile eine Freizeitveranstaltung. Und es spart natürlich doppelt, weil wir mit weniger Militär auch sehr viel geringere Wehrausgaben haben. Wenn dadurch unsere Rüstungskonzerne die übliche Produktion in Krisengebiete verschachern kann, dann haben wir als Exportnation an der Sache sogar noch etwas verdient. Da stellt sich doch für den Standort Deutschland die Frage: müssen wir eigentlich immer so lange warten, bis die Chinesen fertig sind mit einem Virus? Oder kriegen wir das nicht auch alleine hin?“





Selfie

4 02 2020

„Ja, das könnte Krebs sein, mindestens aber eine Bindehautreizung. So genau möchte ich mich da jetzt noch nicht festlegen, weil wir sonst genau nachschauen müssten, ob Sie einen Termin beim Facharzt bekommen. Und Augenarzt ist gerade ganz schlecht.

Uns erleichtert dieses Verfahren ja enorm die Arbeit. Diese Bildtelefone sind jetzt nicht so gut, aber dafür können wir nichts. Entscheidend ist, ob die Patienten genügend diagnostisches Vorwissen haben, um beispielsweise einen Herzinfarkt von einem Darmverschluss zu unterscheiden – wenn sie das bei einem Darmverschluss überhaupt noch von irgendwas unterscheiden können, aber dafür sind es auch nur Patienten, und dafür können ja wir nichts. Und auf der anderen Seite haben wir dann weniger Patienten mit Herzinfarkt in der Notaufnahme sitzen. Patienten ohne Herzinfarkt auch, also eine Win-Win-Situation für alle.

Halten Sie die Kamera bitte noch mal direkt ans Ohr, ist das da geschwollen? Haben Sie Schmerzen oder Schwindelanfälle? Das hätten Sie gleich beim Eingangsfragebogen auswählen müssen, jetzt kann man die Diagnose nur noch von vorne beginnen. Oder warten Sie mal, vielleicht kann ich das hier im Menü noch ergänzen. Ja, es funktioniert. Wusste ich auch nicht, bisher haben die Patienten es noch nie so weit geschafft. Das wären dann Anzeichen für eine Entzündung, und bei den Krankheitsbild müssten Sie auch unter Atemnot leiden. Nicht? auch keine Rückenschmerzen? Schultern? Nacken? Das ist jetzt blöd, dann kann ich bei Ihnen keine Entzündung eintragen. Entweder Sie haben wirklich keine Entzündung, dann müsste ich Sie jetzt zur Differentialdiagnose ins Klinikum einbestellen, oder Sie haben eine Entzündung, dann kann ich das aber nicht eintragen und kann Sie auch nicht ins Klinikum… –

Das ist schon kompliziert, wir sind hier ja auch keine Ärzte, das ist eine Krankenkasse und wir haben vorher in der Mahnabteilung gearbeitet. Es geht hier halt ums Geld, man kann nicht jeden Anspruch der Versicherten befriedigen. Klar, wir wollen alle gesund bleiben oder gesund werden, und manche von uns wollen auch unbedingt immer länger leben als der gesetzliche Durchschnitt, aber das ist eine betriebswirtschaftliche Frage. Also ich meine, dafür müssen wir den Service schon sehr straffen, damit unsere Kunden ihre Ziele besser verfolgen können. Nicht, dass Sie mich hier falsch verstehen. Sonst wird ja stets und ständig über Alternativmedizin gehetzt, Globuli, Energiesteine, schamanisches Heilhopsen, aber das hier ist doch wirklich einmal ein Ansatz, der sich als Alternative bietet. Das ist wie eine Alternative im politischen Sinn: Sie haben keine Ahnung, machen alles selbst, und wenn’s in die Hose geht, sind die anderen schuld. Kein perfektes Modell, aber ich würde es als ausbaufähig bezeichnen.

Wenn Sie bessere Diagnosen wollen, müssen Sie mehr Geld in die Hand nehmen. Wir haben auch elektronische Automaten, die kann man in der zentralen Notaufnahme aufstellen und dann per Touchscreen eine Diagnose erfassen. Das Problem ist nur, durch den Touchscreen haben Sie wieder mehr Infektionen, und dann müssen Sie auch eine Servicekraft beschäftigen, wenn zum Beispiel ein Patient nicht mehr in der Lage ist, das Gerät zu bedienen. Außerdem haben Sie dann auch wieder eine volle Notaufnahme, aber das nur am Rande.

Sind Sie sich sicher, dass Sie die Tabletten rechtzeitig eingenommen haben? Ach, die gab es gar nicht in der Apotheke? Das hätten Sie natürlich ganz am Anfang sagen müssen, dass Sie keine Medikamente einnehmen. Sie wurden das gar nicht gefragt? Das kann sein, aber Sie haben ja im hinteren Teil der Anamnese noch ein paar Fragen, die sich auf die aktuelle Medikation beziehen. So weit waren Sie noch nicht? Das kann ich mir nicht vorstellen. Andererseits hatte ich auch noch keinen Fall von Lungenödem. Da müsste ich mal die Fachärztin fragen, die ist nur gerade in der Pause. Wie schätzen Sie Ihre Symptomatik ein, könnten Sie eventuell in zwei bis drei Stunden noch einmal anrufen? Nicht, dass Sie jetzt eine voll ausgeprägte Symptomatik haben und dann ist kein Arzt für Sie da. Also beobachten Sie das erst mal, okay?

Sie sehen, wir beziehen den Patienten in den Behandlungsprozess mit ein. Wenn es wirklich einmal zu Komplikationen kommt, dann haben wir schon eine kommunikative Basis zu ihm geschaffen und können viel leichter mit ihm umgehen. Immer vorausgesetzt, dass er dann immer noch wach und ansprechbar ist. Aber genau dafür haben wir ein Rescue-Team, ganz besonders geschulte Kräfte, die wir auch nach Möglichkeit nur zweimal, dreimal in der Woche einschalten, weil die sonst zu teuer sind. Die werden pro Einsatz bezahlt, aber dann natürlich Fallpauschale, klar. Nein, keine Notärzte. Das sind speziell ausgebildete Callcenter-Agents, die haben früher die angerufen, die ihre Mobilfunkverträge kündigen wollten. Echte Krisenkommunikation, Sie verstehen. Denen macht keiner etwas vor. Wenn Sie denen einen Schlaganfall vorspielen wollen oder ein gebrochenes Bein – null Chance. Absolut null.

Husten Sie mal. Ja, husten Sie ruhig, ist ja Ihr Telefon. Haben Sie Gleichgewichtsstörungen? Das tut mir jetzt leid, aber hier müssen wir das Gespräch leider abbrechen. Ich kann aber Ihre Daten mit Ihrer Versichertennummer speichern, und wenn wir dann Corona im Programm haben, rufen wir Sie sofort zurück. Ist das in Ordnung für Sie?“





Holotropes Atmen

2 07 2019

„Wenn Sie den richtigen Tarif wählen, zahlen wir Ihnen sogar eine Sehhilfe, die Voraussetzung ist nur, dass die Ihnen vom Cranio-Sakral-Therapeuten angepasst wird. Wir könne da ja nicht einfach irgendwelche Schulmediziner ranlassen, wenn Sie auf konventionelle Mittel setzen.

Im Prinzip kriegen Sie bei unserer Kasse jetzt alles, was die anderen nicht zahlen. Also Reiki bei schwerem Schielen, da müssen Sie eine Ersatzkasse schon erpressen, bevor die sich rührt. Ihre EsoKK übernimmt das alles. Der linksgrüne Mainstream, Sie verstehen das. Jede Knalltüte kann sich heute privat versichern, aber was das kostet! Da ist es doch besser, man baut an der richtigen Stelle ab und bringt nur noch die Leistung, die der Kunde auch nachfragt. Und genau das machen wir von der EsoKK. Sie sollten mal Ihre Chakren testen lassen, kostenloses Einführungsangebot!

Für die meisten hört Alternativmedizin ziemlich schnell auf nach Globuli und solchem Zeugs. Wir verkaufen das natürlich auch, die Salze und diese Blüten und was die Leute halt haben wollen, aber das ist es ja noch nicht. Um sich einen nachhaltigen Markt zu erschließen, brauchen wir mehr Auswahl. Die menschliche Vorstellungskraft ist bekanntlich nur sehr unscharf begrenzt und franst am Rand aus. Wir nutzen diese weichen Strukturen, um die Interessen unserer Versicherten immer neu zu wecken. Im Gegensatz zur Schulmedizin, da gibt es ja immer Diagnose und Therapie, Blinddarm, zack! OP, fertig – wir sind da viel flexibler. Wenn Sie bei uns mit Kopfschmerzen zum Arzt kommen, liegt das entweder an permanenter Überarbeitung oder einem gestörten Verhältnis zu Ihren verstorbenen Ahnen, von denen einer vielleicht eine psychisch bedingte Halswirbelfehlstellung gehabt haben könnte. Jetzt müssen Sie sich nur noch entscheiden, ob Sie das durch Handauflegen oder Geistheilung beseitigen wollen, und schon haben wir Sie auf einen selbstbestimmten Weg in Richtung allseitige Gesundheit begleitet. Also ein Stück weit.

Holotropes Atmen gegen eingewachsene Fußnägel kann ich Ihnen sehr empfehlen, da hat bis jetzt auch keiner gemeckert. Wir würden dem auch gar nichts antworten, wer der ganzen Wissenschaft sowieso schon so skeptisch gegenübersteht, der liest braucht ja auch keine Erklärung. Wenn es nicht hilft, machen wir mit biografieorientiertem Turnen weiter oder es gibt Kräutertee für Geburtstraumata und transpersonale Hautmuster – nee, das war jetzt alles umgekehrt, ich kenne mich damit auch nicht aus. Ist ja auch egal, die Leute bezahlen das.

Problematisch wird es aber nicht, wenn Sie jetzt plötzlich irgendeine ganz normale Krankheit haben, sagen wir mal: Herzinfarkt. Oder Krebs. Hat ja heutzutage eigentlich jeder irgendwann. Das kann man so oder so behandeln. Problematisch wird es immer dann, wenn Sie plötzlich der Ansicht sind, so eine ganz normale Herztransplantation sei doch besser als Eigenurintherapie. Das haben wir von den anderen Krankenkassen gelernt. Da können Sie auch regelmäßig zum EKG und zur Kur, etwas Salsa im Sauerland, regelmäßig Rückenschule. Zur Belohnung hoch potenzierte Tropfen gegen den nächtlichen Fußschweiß, und dann, bäm! jodelt die Bauchspeicheldrüse das Lied vom Tod. Dann ist die ganze betriebswirtschaftliche Rechung total im Eimer. Jetzt stellen Sie sich das mal bei unseren alternativmedizinischen Ansätzen vor. Da rennt einer zwei, drei Jahre lang mit eigentlich klar zu erkennenden Symptomen zum Heilpraktiker, der guckt sich das an und sagt: daran stirbt man nicht, zumindest nicht so schnell, dass man nicht vorher noch ein paar Runden biodynamisches Schröpfen machen könnte oder Klangschalenmassage im Quantenfußbad, was weiß ich, da wird ja alle paar Tage irgendwas erfunden, damit sich die ganzen Krankheiten nicht so langweilen, und dann ist es ein ganz ordinärer Leberschaden. Meinen Sie, das können wir uns noch leisten?

Also Sie dürfen sich bei uns noch ganz normal das Bein brechen, aber den Gips bezahlen Sie dann halt selbst. Solche schulmedizinischen Sachen sind bei uns nicht als Kassenleistung definiert, und das muss auch ganz klar sein. Sonst könnte ja jeder in die EsoKK eintreten und sich nach Belieben mit schulmedizinischen Heilverfahren kurieren lassen und nur bei Bedarf auf die kostenlosen Globuli zurückgreifen, die uns die Marktstellung sichern. Ein bisschen Gemeinschaftsgeist muss auch in einer weniger solidarischen Solidargemeinschaft sein, wenn Sie mich fragen.

Der nächste Schritt wird dann die Pflege auf alternativmedizinischer Basis sein. Handauflegen ist okay, aber mehr als energetische Impulse dürfen Sie da nicht mehr erwarten. Ab und zu noch etwas Aromatherapie mit dem guten Fichtennadelöl von Großmütterchen, das hat damals nicht geschadet. Man spart ja auch eine Menge an Materialeinsatz, und mal ehrlich, merken Sie, ob da ein Profi vor Ihnen steht und die Energieströme fließen lässt, oder reicht Ihnen Hildegard, die Ihnen die Flossen auf die Schultern legt? Sehen Sie, das ist dann auch betriebswirtschaftlich wieder eine vernünftige Entscheidung und rechnet sich auch für den kleinen Geldbeutel. Etwas Homöopathie, ein bisschen Tape bei Zipperlein, perfekte Bedingungen. Wie meinen Sie das, eine Krankenkasse, deren Wirkung nicht über den üblichen Placeboeffekt hinausgeht? Und was bitte haben wir jetzt!?“





Bis der Arzt kommt

16 08 2012

„Oh, sehr gut, sehr gut.“ Ich knöpfte das Hemd wieder zu. Hildegard sollte damit vollständig befriedigt sein. „Sehr gut“, befand Doktor Klengel und setzte das Stethoskop ab. „Es war ja nur ein kleiner Reizhusten. Etwas frische Luft, ein paar Lutschpastillen, Salbeitee, dann geht’s schon.“ Er setzte sich an seinen Schreibtisch und notierte ein paar Zeilen auf dem Pappkärtchen. Plötzlich riss der Hausarzt die Augen auf und stöhnte. „Das ist mein Ende.“ Mutlos ließ er den Kugelschreiber sinken. „Jetzt muss ich diesen Mann wieder eine ganze Stunde lang ertragen.“ „Ihr Steuerberater?“ „Schlimmer“, seufzte Klengel, „der Medizinbetrieb hat wieder einen von seinen Heizdeckenverkäufern für heute Vormittag angekündigt.“

„Nehmen Sie Platz“, wies ich den jungen Mann mit der adretten Frisur an. „Wie sind Sie denn auf meine Praxis gekommen?“ „Der hohe Anteil an Privatpatienten ist in diesem Viertel angenehm“, bekannte er, „außerdem bekommt man hier einen Parkplatz, weil das Haus in der Seitenstraße liegt.“ Ich rümpfte die Nase. „Zunächst einmal bedeuten Privatpatienten, dass man als Arzt den Honoraren nachlaufen muss, und dann überlegen sich die Leute auch immer mehr, welche Zusatzleistungen sie überhaupt noch brauchen. Wenn ich mir ein Auto kaufe, will ich ja auch nicht den ganzen Schnickschnack mit Rallyestreifen, Außenventilator und blinkenden Sportfelgen.“ „Und genau da“, tönte er, indem er eingeübt lässig seine Mappe aufschlug, „genau da setzt unser Unternehmen an – zielgenau, passgenau, auf den Punkt.“

Sie hatten offenbar gerade ihr Sortiment neu bestückt; bunte Bilder fröhlicher Senioren beim Besteigen von Ultraschall- und ähnlichen Röhren wechselten sich ab mit sinnlosen Leistungstests für olympische Wettbewerbe, wahlweise an werdenden Müttern oder frisch geschlüpften Säuglingen zu verrichten. „Sie machen bei den Zusatzleistungen einen hübschen Schnitt“, säuselte der Vertreter. „Sie können das als Paket anbieten, als individuelle…“ „Moment“, unterbrach ich, „nicht so schnell. Erst einmal wüsste ich gerne, worüber wir hier reden. Was biete ich den Patienten an, und vor allem, was bekomme ich dafür von Ihnen?“ Er lachte. „Sie haben das Prinzip verstanden. Keine Leistung ohne Gegenleistung.“ Ich wiegte mich genüsslich in meinem gepolsterten Ledersessel. „Sehen Sie es als Unterstützung für Ihre Bemühungen. Gegenleistung muss sich wieder lohnen.“ Tatsächlich verfügte die Firma über einige Kleinigkeiten. „Als Basisprämie haben wir diese hübsche Gesamtausgabe von Sigmund Freuds in Leder mit Goldschnitt. Als kleine Anerkennung, dass Sie sich an unserem Programm beteiligen. Und dann müssten wir mal sehen, wie wir das abrechnen.“

Wir begannen mit dem Lungenfunktionstest für Sportler, Ohrakupunktur und einer unspezifischen Hyposensibilisierung. „Einfach zu machen“, klärte der Verkäufer mich auf, „Sie testen am Patienten einfach etwas herum, bis Sie gefunden haben, wonach Sie eigentlich hatten suchen wollen.“ „Und das bringt?“ Er suchte angestrengt in einer Liste. „Für zehn Ohrakupunkturen wäre das eine formschöne…“ „Nichts da“, fiel ich ein. „Ich arbeite doch nicht für Kleckerbeträge!“ „Sie können das anrechnen lassen. Zehnmal Akupunktur sind dann einmal Ultraschall.“ „Und das macht in Doppler-Sonographie wie viel?“ Er begann zu schwitzen. „Sie müssten entweder einmal im Monat eine fehlenden Hirndurchblutung haben oder aber dreizehn, nein: fünfzehn Ganzkörperakupunkturen.“ „Zu viel Aufwand.“ Ich verschränkte die Arme vor der Brust und blickte ihn finster an. Es ist auch manchmal direkt unverschämt, was man sich mit uns Ärzten erlaubt.

„Selbstverständlich haben wir auch ein ganz ausgeklügeltes Bonus-System“, beeilte sich der Referent. „Ab drei Belastungs-EKGs am Tag plus je einer Ohrakupunktur und Hormonstatus können Sie für jede Untersuchung zehn Punkte extra anrechnen lassen, das sind dann dreizehn…“ „Sagen wir fünfzehn?“ „… meinetwegen fünfzehn, und je eine Akupunktur, macht dreihundert Punkte, das sind dann pro Quartal…“ Langsam ärgerte mich seine zögerliche Art; hatte der Mann nie gelernt, beherzt im rechten Augenblick zuzupacken? „Rechnen Sie es doch bitte gleich auf das ganze Geschäftsjahr aus, ich muss auch langfristig kalkulieren können.“

Es sollte sich gelohnt haben. Nach endlosen Rechenoperationen verkündete er mir, das ich bei einer zusätzlichen Brustkrebsfrüherkennung pro Woche – Einführungsangebot für Jugendliche, männliche Patienten und Notfälle mit sieben Prozent Preisnachlass – bereits die sechswöchige Karibik-Kreuzfahrt für zwei Personen sicher hatte. „Plus Thrombophilieprofil, das ist unser neues Produkt, und wir geben besondere Anreize, deshalb verschreiben es unsere Partnerpraxen besonders gerne. Fünfzig Punkte extra, das macht dann in Ohrakupunkturen fünfzehn, nein – “

„Widerlich!“ Doktor Klengel kroch unter der Liege hervor und klopfte sich den Staub von den Hosenbeinen. „Was für ein widerlicher Mensch – sich auf so ein Geschacher mit Ihnen einzulassen!“ Ich reichte ihm seinen Kittel. „Sie sehen, das System verlangt von uns einige Opfer. Wir müssen alle ein bisschen mehr leisten, um über die Runden zu kommen.“ „Sie wissen genau, dass ich seekrank werde!“ Der Arzt zog sich umständlich den weißen Kittel wieder an. „Und ich wüsste auch gar nicht, mit wem ich die Kreuzfahrt unternehmen sollte. Mit meiner Schwester? Das hätten wir uns genauso gut sparen können!“ Ich klopfte ihm auf die Schulter. „Ach was“, gab ich zurück, „sehen Sie es mal positiv. Den ganzen Sigmund Freud in Goldschnitt, ist das nichts? Vorausgesetzt…“ Er runzelte die Stirn. „Vorausgesetzt, was?“ „Vorausgesetzt, Sie lassen Ihre Patienten hübsch in Ruhe.“





Zucker für die Affen

12 01 2011

Zwei Tag lang hüstelte ich. Zwei Tage lang konnte ich vor Husten nicht einschlafen. Dann beschwerte sich die Nachbarin über meine Erkältung, und ich wusste, dass ich einem Arztbesuch langfristig nicht würde ausweichen können; schließlich wohnt sie seit Jahren schon im Erdgeschoss, und zwar im Nebenhaus.

Die Praxis war ungewöhnlich voll. Nicht nur die älteren Herrschaften mit Knochenreißen und Gicht, auch das zahlungskräftige jüngere Publikum aus den Privatkassen war zur Vorstellung erschienen. „Das klingt wie ein recht normaler Reizhusten“, konstatierte Doktor Klengel. „Sie hatten einen ganz herkömmlichen grippalen Infekt, eine knappe Woche Halsweh und Schnupfen, vielleicht etwas Fieber, möglicherweise auch Heiserkeit und leichte Kopfschmerzen, und Sie haben die Heizung aufgedreht. Dadurch sind Ihre Atemwege trocken und gereizt, und jetzt husten Sie eben.“ „Es ist wegen der Nachbarn“, bat ich den Hausarzt, „sie leiden unter der Leichtbauweise dieser Häuser – wenn ich abends im Bett einen Krimi lese, müssen sie hinterher Ohrstöpsel gegen das Herklopfen nehmen.“ Klengel wiegte den Kopf. „Ich würde Ihnen Tee verordnen, vielleicht eine dünne Suppe vor dem Einschlafen, oder auch Zwiebelsud mit Kandis. Wenn diese Regierung so weitermacht, werden Zwiebeln vermutlich bald rezeptpflichtig.“ Er blätterte in seinem Almanach. „So eine richtige Bombe mag ich Ihnen nicht geben – den Tussolini lässt sich meist nur unser Amtsarzt zwischen den Entziehungskuren verschrieben, der wurde früher auch gerne von Schlagersängern und Filmstars geschluckt – aber das hier könnte etwas für Sie sein. Bronchiflux forte, Spitzwegerich und Eibisch, ein neues Präparat. Wenn Sie mir mal die kleine grüne Flasche vom Regal herunterreichen mögen?“

Die Packung stand auf dem obersten Bord, ich musste mich recken. Fast hatte ich den Hustensaft in der Hand, da streifte ich das Tablett mit einigen Dutzend Schälchen, die auf mich draufkippten und unter Geräuschentwicklung zu Boden fielen. Kleine weiße Kügelchen sprangen umher. Ich war entsetzt Klengel lief schamrot an. „Das müssen Sie doch verstehen“, stammelte er. „Das dürfen Sie jetzt nicht in den falschen Hals bekommen, das ist alles gar nicht so, wie es aussieht.“ „Das hatte ich mir gedacht“, antwortete ich lakonisch und schnippte mir eine der Milchzuckerperlen vom Ärmel. „Das ist alles ganz anders.“ Die Tür öffnete sich einen Spalt. Fräulein Dickmann schon den Kopf hinein und zischte: „Achtung! Die Schmedecke, sie sagt wieder, es sei ein Notfall! Sie ist in zehn Sekunden hier!“ Die Tür schloss sich; Klengel packte mich an der Schulter. „Hinter den Paravent“, entschied er.

„Das war ja alles ganz wunderbar“, jubelte Frau Schmedecke und knipste erregt ihre Handtasche auf und zu. „Dies Ziehen in der Schulter ist seitdem fast verschwunden, und die Schwindelanfälle sind seit über einer Woche gar nicht mehr aufgetreten. Und was der Hans, also mein Mann ist, dem sein Ischias ist ja auch so viel besser geworden, der spürt den schon gar nicht mehr – Hans, sage ich gestern Vormittag zu ihm, Hans, wenn Du die Pillen immer ordentlich einnimmst, dann hast Du auch bald nicht mehr diese Last mit den Nieren und…“ „Schön“, unterbrach Doktor Klengel ihren Redefluss. „Sehr schön, nur hatte ich Ihnen das Präparat ja vor allem wegen Ihrer allgemeinen Abgespanntheit verordnet. Haben Sie denn seitdem irgendwelche Änderungen festgestellt?“ Frau Schmedecke holte gewaltig aus und zählte einiges auf, von den fettigen Haaren bis zum langsam nachlassenden Hautausschlag in der Steißregion. Ich fühlte meine Hinterpartie ebenfalls kaum noch, zusammengekrümmt zwischen einem Rollschränkchen und einer Klappliege. „Gut, dann nehmen Sie diese hier regelmäßig alle zwei Stunden ein.“ „Auch nachts?“ Klengel nickte entschieden, wie ich durch einen Spalt in der Spanischen Wand sah. „Auch nachts. Bis die Dose leer ist. Danach sollte Ihre Müdigkeit auch weg sein.“

„Ich glaube es einfach nicht!“ Fassungslos hielt ich dem Medizinmann ein Tütchen mit Globuli unter die Nase. „Klengel, Sie sind ja mit der Muffe gebufft! Das kann doch alles nicht wahr sein!“ Er stützte seinen Kopf in die Hände. „Sie haben ja Recht“, murmelte er. „Das hat mir die Höppelmann eingebrockt.“ „Doktor Friedegund Höppelmann-Reisberger?“ Da hörte sich doch nun alles auf. Die Frau kurierte mit Heilsteinen und Ohrkerzen, blies Pflanzenasche in den Wind und verschrieb Dörrobst gegen Bandscheibenschäden. „Sie hat doch in den Weihnachtsferien meine Praxis übernommen. Ich hatte keine Ahnung, dass sie diesen Alternativkram macht – aber sehen Sie es sich an, das Wartezimmer ist voll. Und es kommen auch die Bionadetrinker mit dem Volvo-Kombi, die Homöopathie gegen ihre eingebildeten psychosomatischen Wehwehchen wollen. Also gebe ich es ihnen. Zucker für die Affen. Milchzucker, um genau zu sein.“ „Aber Sie verstehen doch gar nichts von Homöopathie?“

Klengel stand wortlos von seinem Stuhl auf und zog die unterste Schublade des Schranks heraus. Ein Karton stand darin, bis oben gefüllt mit kleinen Tütchen. „Globuli“, stellte er fest. „Dreitausend mal fünfzehn Globuli. Milchzucker. Keine Hundehaare und kein Nieswurz. Reiner Milchzucker. Wenn schon Placebo, dann richtig.“ Er schob die Lade mit einem Ruck wieder zu und kehrte zu seinem Stuhl zurück. „Die Homöopathie ist ein Bombengeschäft für Idioten, die lieber Schüßler-Salze, Bach-Blüten und Schlangenöl nehmen, als das Gehirn zum Denken zu verwenden. Es ist auf eigene Rechnung, auf eigene Gefahr und meist auf gut Glück. Aber was soll’s, sie verlangen danach.“ Er seufzte tief befriedigt auf. „Seit die Höppelmann-Reisberger mir diese ganzen Spinner in die Praxis geschleppt hat, steigen die Heilerfolge stetig an.“ „Und was war mit der Diagnose für die Schmedecke?“ Klengel grinste. „Vierzig Globuli im Abstand von je zwei Stunden, so lange hält keiner durch. Sie wird irgendwann so kaputt sein, dass sie ins Bett fällt und einfach wegpennt. Und dann sollten sich auch ihre Schlafstörungen erledigt haben. Man muss dies homöopathische Zeugs eben nur richtig anwenden.“





Zückerchen

29 09 2010

„He, Sie können da nicht rein!“ Das Männchen mit der Butterbrottüte auf dem Kopf turnte aufgeregt auf und ab und versuchte, mich am Betreten der Werkshalle zu hindern. „Lassen Sie es gut sein“, beschwichtigte Direktor Kortzfleisch den Kollegen von der Sicherheitsabteilung. „Der Herr ist nur zu Besuch.“ Damit öffnete er mir die Tür. Das also war die Produktionsstätte der Tablettenfabrik.

Aus einem großen Trichter rasselte die Flut von kleinen, roten Pillen in einen kleinen Trichter, der sie in ein noch kleineres Rohr wieder verschwinden ließ. Einige Meter daneben knatterten blaue, daneben zartgelbe Tabletten in die metallenen Schlünde der Verpackungsmaschinen. „Dreihundert Filmtabletten pro Sekunde“, schrie Kortzfleisch mir ins Ohr, denn die Apparatur rauschte und ratterte gewaltig laut durch die hallende Halle. „Normale Dragees mit Lacküberzug kommen auf vier- und die einfachen Pillen auf fünfhundert Stück, das macht dann 1,8 Millionen in der Stunde!“ Stolz schwenkte er den Arm über sein kleines Reich. „Die Produktion im Inland lohnt sich wieder, wir haben dank der Auftragslage letzte Woche zwei Mann neu angestellt, die uns bei den neuen Produkten helfen.“ „Es ist ja nicht ganz einfach heutzutage“, brüllte ich zurück. „Gute Pharmazeuten muss man wohl suchen, und dann sollte man auch Erfahrung in der Forschung haben, wenn man bei Ihnen arbeitet.“ Er blickte mich verständnislos an; dann drehte er sich um und schritt zur nächsten Maschine.

„Retardkapseln“, belehrte mich Kortzfleisch, „sind eine der großen Herausforderungen, vor allem diese Fertigung, die mit einer speziellen Mischung angefüllt ist.“ Mit der hohlen Hand fischte er eines der länglichen Gelatinedinger aus dem Strom, der sich das Fertigungsband hinab wand. Er drehte die Kapsel, die aus einem durchsichtigen Ende sowie einem weißlichen bestand, mit den Fingern auf und schüttete den Inhalt in seine Handfläche: rote, gelbe und grüne Kügelchen, ganz klein und zierlich. „Je nach Sorte müssen wir entweder die roten Kugeln im Verhältnis eins zu drei zu den grünen mischen, oder wir haben doppelt so viel grüne wie gelbe. Oder die gelben sind halb so viele wie die roten. Das steht hier irgendwo auf dem Zettel.“ Er fischte nach einem Stück Papier, das an der Seite der Anlage klebte. „Hier steht es ja, Clodimex forte, Dormoluna, Ribomukicalzin Globuli.“ „Globuli?“ Er runzelte erneut die Stirn. Weiter.

Träge und ölig plätscherte der Saft in den Kessel und blubberte vor sich hin. Es roch süßlich. „Sie können es variieren“, teilte Kortzfleisch mir mit. „Ein Teil der Produktion wird mit dem typischen Lakritzaroma versehen, wie man es aus Hustensaft oder Halsmedizin kennt, aber Sie können es auch mit Orangen- oder Zitronengeschmack herstellen, für einen Stärkungstrunk beispielsweise oder in einer Arznei speziell für die Kinderheilkunde. Desgleichen haben wir auch eine kleine Partie mit Eukalyptus und seit einigen Tagen“, hier öffnete er einen kleinen Hahn und ließ etwas von der wasserklaren Flüssigkeit in ein Reagenzglas laufen, „stellen wir es auch mit Wildkirschgeschmack her.“ Er reichte mir das Probiergläschen herüber; der Saft schmeckte süßlich nach geschmolzenen Bonbons, fürchterlich künstlich und nicht einmal ansatzweise nach Kirschen. „Was haben Sie denn in dieses Zeug bloß hineingetan“, keuchte ich, „das ist ekelhaft!“ „Wasser und Zucker“, verteidigte sich Kortzfleisch. „Ein ganz normaler Zuckersirup mit dem Aroma, das Sie auch aus den Drops kennen, die man Ihnen in der Apotheke verkauft.“ „Und wogegen ist dieses Kirschzeugs?“ „Das wissen wir noch nicht, daran arbeiten ja die beiden Neuen.“ „Ihre Pharmazeuten müssen erst noch herausfinden, wogegen diese Plörre hilft?“ „Es sind keine Pharmazeuten. Es sind ein Marketing-Experte und ein Chemiker.“ „Ein Chemiker?“ „Ein Lebensmittelchemiker, um es genau zu sagen.“

Kortzfleisch lehnte an der Maschine und steckte die Hände in die Kitteltaschen. „Schauen Sie mal“, begann er schuldbewusst, „wir machen doch nichts Schlechtes. Wir nutzen auch niemanden aus. Aber um heute noch wirtschaftlich fertigen zu können, muss man sich schon eine Menge einfallen lassen.“ „Und da haben Sie das wirkungslose Medikament erfunden?“ „Nicht wir“, korrigierte er mich. „Nicht wir haben das in die Welt gesetzt, daran war der Gesundheitsminister ebenso beteiligt.“ Ich nahm eine der Schachteln aus der Verpackungsstraße. „Aha, Röslerol complex. Daher weht der Wind.“

„Sie müssen das begreifen. Die Branche ist nicht mehr so einfach wie vor ein paar Jahren, jetzt sind unsere Gewinne ernsthaft in Gefahr.“ „Sie wollen damit sagen“, forschte ich nach, „dass Sie Medikamente ohne Wirkstoff produzieren?“ „Es ist legal“, beharrte Kortzfleisch. „Nach der Regelung mit dem Gemeinsamen Bundesausschuss müssen wir nicht mehr nachweisen, dass die Medikamente zweckmäßig sind. Vielmehr muss man uns das Gegenteil beweisen.“ „Was bei etwas Zucker und Wasser nicht so einfach sein dürfte.“ Er nickte. „Was nicht wirkt, hat ja auch keine schädlichen Nebenwirkungen, oder? Sehen Sie es einmal von dieser Seite.“ Ich packte ihn am Kragen. „Dafür überschwemmen Sie den Medikamentenmarkt mit Ihren sinnlosen Zückerchen und können für den Krempel auch noch die Preise diktieren – und den Ärzten befehlen, was sie zu verschreiben haben.“ Er wand sich, doch ich ließ nicht locker. „Und wieso eigentlich: Ribomukicalzin Globuli?“ „Wir müssen doch auch den homöopathischen Markt bedienen. Gäbe es nicht genug Dumme, glauben Sie, dieser Rösler wäre je an sein Amt geraten?“





Gernulf Olzheimer kommentiert (LXVI): Homöopathie

16 07 2010
Gernulf Olzheimer

Gernulf Olzheimer

Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.

Die Geschichte des Menschengeschlechts ist eine Geschichte der körperlichen Gebrechen. Hätte der erste Hominide, dem die Wohnhöhle auf seine inzwischen doch recht stabile Kalotte klömperte, schon die Wahlfreiheit der Krankenkasse gehabt, wie mochte er sich wohl entschieden haben? In der gesetzlichen Cro-Magnon-Versicherung hätte er sechs Wochen stramm gelegen, dafür erstklassige Verpflegung mit Mammut vom Grill und schnieke Schwestern aus dem Neandertal; die Orang-Utan-Gesellschaft hätte ihn mit Trepanation gequält, die Prähominiden-Ersatzkasse mit Gürteltierspucke in Flusswasser abgefertigt, und gerade dies Modell hat sich durchgesetzt – keiner kapierte, was da genau passierte, der Arzt hatte nicht viel zu tun, und der Heilungserfolg glich einer kurzweiligen Lotterie.

Geändert hat sich seither, dass die Bekloppten mangels Gelegenheit Mammut essen und öfter an kardiologischen Notfällen abschrammen als an Flugsaurierkollisionen. Dafür bleibt die Hirnschale so leer wie in der ersten Modellreihe, während das Nachtmützengeschwader fleißig Zuckerkügelchen müffelt und es für wirksame Medizin hält, weil das Zeug außer Nachgeschmack nichts als Zahnbelag hinterlässt. Die Idee ist es, Symptome erzeugendes Zeugs in möglichst geringer Dosis zuzuführen – gegen blaue Fußnägel einen Hammer in kleinste Partikelgröße gefeilt – und zwar alles, was sich an Substanz oberhalb der Erdkruste zusammenfegen lässt. Zu sehen wäre, was derlei Scharlatanerie zu kurieren sucht, womit und wie.

Die von der Wissenschaft nicht zu Unrecht vors Tor beförderten Schmutzwassergurgler schmeißen fröhlich alles durcheinander, Fieber und Syphilis, Husten und Ertrinkung, Noxe, Krankheit und Symptom. Pickel, Pneumonie und Pilzbefall schert der Pillendreher über einen Kamm, denn: stimmen die äußerlichen Anzeichen, dann ist die Droge in Ordnung. Die von der Werbung heraufsalbaderten 37 Arten von Kopfschmerz sind demnach piepe, der Quacksalber kann den Schnaps gesoffen oder mit der Flasche kollidiert sein, die Kur bleibt gleich. Und selbst da, wo der studierte Mediziner die Symptome verschwinden lässt, etwa das Fieber durch Penicillin, kaspern die Hahnemännchen herum und meinen, nur ihr ausschließlicher Kampf gegen die Symptome behebe auch die Krankheit. Wie krank auch immer das sein mag.

Doch nicht immer ist es so einfach, weil die verhaltensoriginelle Verfassung der Windbeutel sich im Aufschmieren übler Argumentationsmarmelade sorgfältig präpariert. Um noch die letzte Hohlwurst in die Praxis zu locken, werden auch komplizierte Vaterbindung oder Arbeitslosigkeit als Krankheiten anerkannt, als wären sie wie Schweißfüße heilbar. Kein Wunder, dass in Deutschlands großer Zeit, als wirres Denken Pflicht war, die Faschingsprinzen, voran der schlampig gescheitelte Schlappschwanz mit dem Nasenhaarbärtchen, der Homöopathologie frönten. Gegen Arbeitslosigkeit wäre beispielsweise getrocknete Hundekacke gedacht, die als geistiges Miasma die Schadwirkung auf die Lebenskraft zu neutralisieren versucht. Allerlei Firlefanz, Opium und Brechnuss und, Abbild des Kosmos, jedes verfügbare Element. Wobei der Kosmos sich ein paar neue Bestandteile reingepfiffen haben muss, weil seit der Erfindung des Kurpfuscherwesens noch ein paar neue Sachen entdeckt wurden.

Und haben die Homöopatzer auch mittlerweile ein Grundgesetz ihrer als Heilkunst aufgerüschten Pseudoreligion verletzt, nämlich das Gebot, nur unvermischten Müll zu verabreichen, so panschen sie allerlei zusammen, immer wieder zehn- und hundertfach in Wässerchen verdünnt und wieder verdünnt, so dass zum Schluss auf Dilutionen kommt von einem Molekül auf den Rest des Universums – statistisch ist in der Plempe sowieso keine Substanz mehr vorhanden, auch wenn die Heilkunstgewerbler sich als Überdosis zu Mixturen hinreißen lassen von einer Schmerztablette auf den kompletten Atlantischen Ozean. Um das wackelige Luftschiff auf Stelzen zu stabilisieren, schwiemelt man gleich noch das Märchen vom Gedächtnis des Wassers rein – die Suppe kann sich also an ein Salzmolekül erinnern, auch wenn es gar nicht mehr darin herumschwimmt. Nach derlei Theorie dürfte man mit einer einzigen Tollkirsche eine ganze Großstadt in den Sekundentod treiben, da die ausreichende Verdünnung gegeben ist, und über die Abwässer erinnern sich vermutlich Milliarden jeden Tag an das Siechtum ihrer Vorfahren. Dass nach dieser Theorie jedoch jedes Wasser im Weltall für weitere Medikamentenherstellung unbrauchbar würde, darf man ebenso wenig fragen, wie man überlegen könnte, warum bei den Globuli eigentlich immer nur die minimalen Wirkstoffe tätig werden und nicht die unvermeidlichen Verunreinigen in ähnlicher Konzentration.

Man darf das aber nicht kritisieren. Man sollte tolerant sein, als handele es sich bei diesen ins Hirn gepflockten Synapsenschäden um Rundtanz zu schamanischem Nasenflötenpusten, Heilsteinboccia oder ähnliche Karnevalsveranstaltungen, die die kranken Kassen natürlich auch brav zahlen sollen, weil wir ja sonst nichts vom Leben haben – nicht nur den billigen Placeboeffekt tragen wir mit, auch die vielen Fälle, in denen sich Homöopathieopfer nach erfolglosem Herumdoktern im Spätstadium einer Krankheit zu einem ordentlichen Mediziner schleppen, der die Grütze einer systematischen Verdummung ausbaden muss, die sich Wissenschaft nennt und allen Ernstes verspricht, mit Taubendreck und Mörtelstaub Krebs und Aids heilen zu können. Toleranz? Sicher, wir lallen im Chor der Blöden mit, die die böse Schulmedizin mit ihren teuren Apparaten verdammt und kleistern uns beim nächsten Knochenbruch lieber lauwarmen Spinat auf die Gräten, denn das spart Kosten. Aber wer will das eigentlich außer der Klientel dieses Schweinepriestervereins, Körnerkauer, Alternative und alte Naive, Sozialpädagogen und ähnliche Abraumverfüllungen in den geistigen Zahnlücken des postdiluvialen Portfolios, kurz: hoch potenzierte Dummheit, bei der auch der Hominide mit Dachschaden die Verwandtschaft strikt leugnete. Aus Gründen.





Gernulf Olzheimer kommentiert (LXV): Rauchverbot

9 07 2010
Gernulf Olzheimer

Gernulf Olzheimer

Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.

Instinkt und Dressur, Zivilisation und Fernsehen haben es oft nicht leicht, den Menschen zu einem zielgerichtet handelnden Wesen zu machen, und es soll doch nicht verschwiegen werden, was man sich bisweilen nur hinter vorgehaltener Hand zuraunt: er neigt mitunter zur Vernunft. Zwar sind diese Phasen oberflächlich und lückenhaft, jedoch vergehen sie dafür auch schnell wieder. Lass den freilaufenden Bürger etwas Unsinniges erledigen, Fußball, den Besuch im Heimwerkermarkt oder einen Parteitag der FDP, er reguliert sich selbst auf Nullniveau. Es ist alles ganz einfach.

Aber wehe, die Mischpoke aus Besserwissern und Ramschjuristen mit gluteal eingewachsenem Parlamentssessel pfriemelt sich aus Unverstand und Populismus etwas zurecht, was bei einer einfach strukturierten Klientel als Vernunft durchgehen soll. Gewalt, sie erklären uns die Welt neu, und das auch noch so, wie sie es verstanden haben, nämlich gar nicht – das in der Verwaltung verklappte Prekariat mit Promotion ohne Portefeuille biegt sich die Welt mit der argumentativen Brechstange in Form und turnt dem Stimmvieh verantwortungsvolles Tun vor, während die Weichstapler nur ihr hirnweiches Gebrökel in die Menge kippen, die brav schluckt, weil sie es nie anders gelernt hat. Ökosteuer, Mülltrennung, Dosenpfand – alles, was grün, was gesund, was supi klimaneutral, allein dies Wort!, oder sonst wie prima gesund ist, wird in den Korb gekippt und auf Kredit gekauft. Wozu auch immer.

Die neue Nichtraucherschutzhysterie, denn das ist sie, zeigt trefflich, wie die Radikalisierung schon programmgerecht schnurrt: vorgekautes Volk plärrt Hurraparolen, denn die vielen Passivnichtraucher werden jetzt auch da geschützt, wo sie überhaupt nie wären, in Raucherkneipen oder Örtlichkeiten, in denen die Konsumenten sich Fluppen in die Lunge stopfen, unbemerkt vom Sauerstoffverbrauch der anderen, die auf Jaul- und Hauenseuche sind. Das alte Muster, wo der Untertan auf seiner Kriechspur das Glück findet, es zieht auch hier: weil ich nicht will, dürfen die anderen auch nicht. Gewiss, es ist töricht, Tabak zu rauchen, wie es auch ein Vorrecht der Bekloppten sein mag, aufgemotzte Kfz im Kreis herumrödeln zu lassen und sich diese Veranstaltung für Publikum mit IQ-Optimierungsbedarf von den Rängen eines Asphaltstadions reinzuziehen – dass weder Bonobos noch Bartmeisen sich derlei Unsinn in die To-do-Liste packen, spricht für ihre Priorität gegenüber plattfüßigen Stadtbewohnern in Plaste und Kleinkaro. Aber unter dem Deckmantel des allgemeinen Schutzbedürfnisses dem Nikotinjunkie zu verbieten, unter Ausschluss passiv rauchender Opponenten Zigarettenrauch zu inhalieren, ist das Gegenteil von Autonomie: Zwang wider besseres Wissen und jegliche Ansätze von Vernunft.

Die Dompteure hätten sicher noch jede Menge zu tun, um den Eseln zu bedeuten, dass sie von ihresgleichen regiert werden. Was lägen da für Felder weit und offen – den Bescheuerten, die ohne Schnaps und Bier nicht leben können, in die Birne hämmern, dass sie vom Ethanol matschig werden, im enthemmten Status widerliche Straftaten und unmoralisches Zeug begehen und als Schafe in der treuen Herde nicht mehr taugen, vorausgesetzt, dass nicht gleichzeitig die Arbeitsplätze von Brauereien, Weingütern und Brennereien eine Rolle in der Diskussion spielen. Freilich könnte der im Feuer des Biodieselanbaus gehärtete Edelgutmensch auch dem Fleischgenuss den Kampf ansagen, ist es doch die politisch unkorrekte Gasbefüllung des Darms, die das Wegklappen der Regenwälder für billige Steaks so pfui macht – freilich nur im alten Europa, die US of A dürfen weiter mit Gehacktem die Schleimhaut auspolstern, da sie offensichtlich auf einem anderen Planeten vegetieren. Nein, sie haben nichts Besseres zu tun, als Ernährungsampeln auf Fertigfutterpackungen zu schwiemeln, damit man übersalzene, vor Zucker quietschende Analogkäse-mit-Froschnasenhaar-Farbstoff-Knabbersnacks, die pro Häppchen das Ekeläquivalent einer elfstöckigen Marshmallowtorte transportieren, als angemessen fetthaltig unter die Fresserschar schleudern kann, auf dass die Beknackten keine Probleme haben, dermaleinst rein massemäßig den Rest der Nation von der Erdscheibe zu schubsen. Es wäre so leicht, es ist so leicht, und genau deshalb wird es so sein.

Dabei ist der Versuch der Zwangsbeglücker, das Gute auch als das Wahre erscheinen zu lassen, an Untauglichkeit nicht zu überbieten. Sie reden uns ein, dass in Acht und Bann geschlagene Raucher, denen man notfalls mit jeder Menge Kohle die Volksgesundheit einpustet, der Allgemeinheit die Bilanz verhageln, wo doch Grundschulmathematik ausreicht, um zu beweisen, dass Raucher so eklatant viel früher sterben, dass die Krankenversicherungen sich an ihnen gesundstoßen – würde man Kippen wie einst als Lifestylegenuss propagieren und mit der elenden Bevormundung aufhören, wir hätten ein Heer von Rauchern, die durch sozialverträgliches Verglimmen im großen Aschenbecher des Daseins die Boni der Versicherungsaktionäre durch die Decke krachen ließen, denn darauf kommt es ja an; wer das Märchen mit dem Versichertenschutz glaubt, wird sicher auch die Story mit dem Mann im roten Mantel und den Rentieren nicht ganz aus der Luft gegriffen finden. Die Argumentation der Lobbyisten ist ähnlich an den Zähnen schmerzend wie die Begleitmusik zum Glühlampenverbot, das simultan den Umwelt-GAU installierte. Es geht nicht um Vernunft, es geht darum, dass ein paar korrupte Drecksäcke ein dünnes Mäntelchen über ihre Raffgier zumpeln können.

Demnächst werden sie die Dicken auf der Straße verprügeln und ihnen die Arztkosten dafür in Rechnung stellen, damit der Laden wieder brummt. Sie werden den Grad der Hirnverdübelung langsam immer weiter vorantreiben und mit geschickt lanciertem Dünnsinn die Ausleierung der Grenzen testen. Jüngst warnen Ärzte vor dem Gebrauch von Vuvuzelas, die wegen ihres Dauerkontaktes mit bieriger Lungenabluft als Keimschleudern zu gelten hätten und, hier droht unmittelbar Weltuntergang, bei Dauergebrauch den Asthmatikern gefährlich werden können. Ob der Freistaat Bayern auch seine Blaskapellen als kriminelle Vereinigungen vor die Kassenärztliche Vereinigung als Schnellgericht zu zerren versucht, ist noch nicht entschieden. Die Zeit der letzten Posaune könnte aber bald anbrechen.

Denn letztlich gilt es nur der Konditionierung. Er soll nicht mehr rauchen, der Bescheuerte, nicht trinken, kein Fleisch essen. Er soll auf alles verzichten, damit er von dem bisschen Kohle, das er überhaupt hat, die nächste Gesundheitsreform bezahlen. Wenn er sein gesundes Leben bis dahin überhaupt ausgehalten hat.