Pippifax

10 11 2014

„Wir sind da ganz Ihrer Meinung. Frau Nahles hat das auch ganz klar irgendwie so verstanden, worum es ging. Deshalb wollten wir jetzt mal sehen, ob wir nicht eine gemeinsame Linie unserer Ministerien finden könnten.

Wenn wir schon in einer Koalition sind, dann sollten wir doch auch zusammenarbeiten, nicht wahr? Das erspart uns viel – Arbeit, wollte ich sagen, aber Sie verstehen schon. Ja, wir haben verstanden, und gerade wir als SPD-geführtes Ressort sind uns dieser besonderen Verantwortung sehr wohl bewusst. Wir müssen uns um die Gewerkschaften kümmern. Sonst tanzen uns diese Schmarotzer ständig auf der Nase herum.

Der Genosse Sarrazin hat ja schon gute Dienste geleistet, das muss man ihm lassen. Das sozialdemokratische Profil für die kommenden Jahrzehnte derart zu schärfen, auch mit der ganzen dazugehörigen Einbettung in die deutsche Geschichte, das war eine echte Pionierarbeit. Wirklich eine großartige Leistung. Was meinen Sie, was das für uns für ein Schock war, als es hieß, er würde zur AfD gehen – jahrelange Aufbauarbeit zunichte, eine Protestpartei kassiert den Lohn und schlachtet ihn für die eigenen Stimmenanteile aus! Gut, nach unserem Leitbild muss halt jeder selbst sehen, wie er aus dem Quark kommt, und wer es nicht schafft, ist halt irgendwie auch ein Stück weit schuld. Aber das gilt doch nicht für uns selbst!

Es war ja auch nicht alles schlecht damals. Den Brüdern und Schwestern, die gerne republikflüchtig geworden wären, denen konnte man sagen: wartet noch ein Weilchen, bald kommt der Kapitalismus auch zu Euch, und den Sozialistenschweinen, die für jeden Scheißdreck streiken wollten, den hat man gesagt: geht doch nach drüben, wenn’s Euch in der Demokratie nicht passt. Deshalb ist das ja auch so verlogen, wenn die sich heute hinstellen und ganz einfach behaupten, die DDR sei ein Unrechtsstaat gewesen. Das gilt doch aber nur für eine Seite der Mauer, haben die das denn immer noch nicht kapiert?

Was ist denn so schlimm an einer einheitlichen Gewerkschaft? Wenn die alle Glück haben, handeln die auch einen schönen Einheitstarif für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer aus. Na gut, zwei. Einen Ost und einen West. Aber das kann doch nicht so tragisch sein, die Angela Merkel war auch mal im FDGB. Und heute ist sie Kanzlerin.

Einheitsgewerkschaft, wenn ich das schon höre. Unsinn ist das. Eine Einheitsgewerkschaft ist in diesem Land vollkommen unmöglich. Und genau deshalb brauchen wir eben auch ein Gesetz, das die Tarifeinheit erlaubt. Das ist viel effizienter, das ist endlich mal eine Reform, die sich auch auf die Lebensbedingungen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer konkret auswirken wird.

Also wenn Sie zu einer interdisziplinierenden… disziplinären, wollte ich sagen, interdisziplinären Maßnahme über die Ministeriumsgrenzen hinweg bereit wären, würden wir uns bemühen, auch mal ein Gesetz mit juristischem Sachverstand zu liefern. Das kennt man ja von uns. Also dass wir das bisher auch schon immer versprochen hatten.

Im Grundgesetz steht erstmal nur das mit der Koalitionsfreiheit. Wir nehmen das als SPD auch hin, weil wir davon ja profitieren – wir haben die Freiheit, eine Koalition einzugehen, die die Opposition hier und da einschränkt, und wir nehmen das hin, ohne dagegen zu protestieren. Ich finde, die Lokführer könnten sich von unserer demokratischen Grundhaltung ruhig mal eine Scheibe abschneiden.

Schließlich leben wir in einer Demokratie, das müssen die Gewerkschaften zur Kenntnis nehmen, ob sie nun wollen oder nicht. Und die ist nun mal marktkonform. Das beruht auf der Entscheidung der Kanzlerin, die wurde von der Mehrheit des Bundestages gewählt, und der wurde gewählt von einer – Nichtwähler? weiß ich nicht, aber auf jeden Fall war das nach dem alten Wahlrecht, oder nach dem neuen, also auf jeden Fall demokratisch, und deshalb ist auch unser Parlament ein Rechtsstaat, und den kann keine Gewerkschaft beseitigen.

Umgekehrt kann das nämlich schon ganz anders aussehen. Wir sind uns doch wohl einig, dass der Aufschwung das Wichtigste für Deutschland ist, oder? Meinetwegen, dann eben das Wachstum, ich habe keine Ahnung davon. Ich sitze hier im Arbeitsministerium, wir beschäftigen uns mit Wirtschaft nur ganz am Rande. Wenn überhaupt. Und sozialdemokratisch ist, was Arbeit schafft.

Mit uns bleibt dieser Staat form- und lenkbar. Und wir werden auch nichts unversucht lassen, dass dieser Zustand so bleibt, Herr Kollege. Dafür haben wir lange genug darauf hingearbeitet, wir als Sozialdemokraten. Unsere Bildungsreform: Chaos in Schulen und Hochschulen, das massiven Bildungsabbau zur Folge hat. Unsere Reform des Arbeitsmarktes: Hartz IV. Finanzmarktreform: ein paar korrupte Zocker lachen sich tot, weil wir ihnen hinter vorgehaltener Hand den Mittelfinger zeigen. Fragen Sie doch mal Ihren Chef, den Innenminister, ob er sich eine Zusammenarbeit vorstellen könnte. So eine Grundrechtsreform braucht viele gute Ideen.“





Vertrauen gegen Vertrauen

5 03 2009

Zwei Pfandbons. Nur 1,30 Euro hatten die ganze Öffentlichkeit in Aufruhr versetzt. Dass so was von so was käme, sagten die einen. Die anderen sagten das auch, meinten es aber ein bisschen anders.

Die nationale Vertrauenskrise drohte. Denn uneingeschränktes Vertrauen sei einer Supermarkt-Kette nicht mehr zuzumuten, wenn der Verdacht bestünde, dass es sich bei der Verdächtigung um einen Verdacht handelte; dies sah das Gericht als erwiesen an, und um mehr ginge es auch nicht, ließ es verlauten. Eine strafrechtliche Würdigung wäre ohnedies nicht zu erwarten, da der Streitwert zu vernachlässigen sei angesichts des 30-jährigen Arbeitsverhältnisses.

So begann die öffentliche Debatte zunächst auch durchaus moderat in justizinternen Kreisen. Nach einem Essay, den Franz Josef Wagner, das moralische Gewissen der Bundesrepublik, publiziert hatte, wurde allerdings die Frage laut, ob dies einen im Rechtsdenken nicht erlaubten Analogieschluss darstelle. Die Juristen verwahrten sich: die Formel Wer lügt, stiehlt auch sei in keiner Sache zum Tragen gekommen. Im Gegenteil sei erwiesen, dass, wer zwar nicht gelogen habe, doch verdächtig sei, des Stehlens verdächtigt werden zu können.

Der neue Straftatbestand wurde demnach als Vertrauensbruch bezeichnet. Nach allgemeiner Lehre war der Versuch dann gegeben, wenn die Vornahme des Vertrauensbruchs unmittelbar einseitig angesetzt wurde. Einen Aspekt der Strafrechtslehre beleuchtete der international bekannte Jurist Franz Josef Wagner mit seiner Arbeit über die moralische Würdigung des Betruges. Sie sei nicht gegeben, gleich doppelt nicht, wenn ein Betrug gar nicht nachgewiesen werden könne.

Keine drei Tage später schwoll die Diskussion an. Der Auslöser waren Ermittlungen gegen zahlreiche Banken, darunter auch Landesbanken, deren Management vorgeworfen wurde, Gelder veruntreut zu haben. Ein zähes Ringen begann. Der verhältnismäßig hohe Streitwert ließ strafrechtliche Schritte erwarten – arbeitsrechtliche Konsequenzen stellte die Rechtsprechung ins Ermessen der Bankvorstände, denen aus bisher nicht geklärten Umständen Beweisstücke für einen Verdacht wegen Vertrauensbruchs abhanden kamen. Ein weiterer Schritt zu Ordnung und Frieden im gesunden Rechtsempfinden war damit unternommen.

Natürlich waren die linkspopulistischen Kräfte nicht zufrieden und strengten eine Untersuchung der Tatumstände an. Der Streitwert, der immerhin der gesamten Weltbevölkerung gehöre, auf mehrere zukünftige Generationen hochgerechnet, sei doch eher gering, urteilte die Justiz. Der international bekannte Wirtschaftswissenschaftler Franz Josef Wagner kommentierte dies als ethisch vertretbare Lösung. Immerhin, so Wagner, sei Besitzwahrung kein Privileg der Privatwirtschaft; auch die unter staatlicher Kontrolle stehenden Banken besäßen das Recht, die Fehler des Kapitalismus zu begehen.

Ein launiges Intermezzo lieferten sich Peer Steinbrück und die Linke. Die Beschuldigung gegen den Bundesfinanzminister lautete, dieser habe weite Teile des Etats veruntreut und durch unvorhergesehene Kreditaufnahmen das Vertrauen missbraucht. Noch am selben Tag sprang die Kanzlerin ihrem Minister in die Seite, indem sie ihm vor aller Welt das Vertrauen entzog – da ein nunmehr nicht mehr vorhandenes Vertrauen auch nicht gebrochen werden konnte, war Steinbrück aus dem Schneider. Die Koalition rieb sich die Hände. Und verfuhr weiter wie bisher.

Doch auch vom rechten Rand kam Kritik. Das Geld sei nicht Eigentum der Banken, sondern Volksvermögen. Die Expertenkommission arbeitete den Fall noch einmal durch und befand, dies sei vor dem Emmely-Präzedenzfall eine klare und verlässliche Aussage. Da auch die Pfandbons nicht der Kassiererin gehört hatten – und nicht einmal dem Einzelhandelskonzern selbst, sondern dem unbekannten Pfandgeldeigner – könne man hier die strafrechtliche Verfolgung ausschließen.

Die Wogen glätteten sich, als feststand, dass den Bankmanagern eine Nähe zur Gewerkschaft nicht nachgewiesen werden konnte. Keiner von ihnen hatte einem Betriebsrat angehört. Zur Beruhigung bezahlten die Bankhäuser sie mehr und mehr mit Pfandboni.

Der international bekannte Ontologe Franz Josef Wagner unterstrich in seinem Vortrag, den er anlässlich der Gründung der von Tengelmann ins Leben gerufenen Stiftung für Menschenrechte hielt, die Unterschiede von Pfandbons und Bankkrediten. Als materielles Gut sei ein Bon nicht mehr in der Zuhandenheit, das Geld aber mitnichten weg. Es sei nur umverteilt worden. Schlüssiger hatte bislang kein international bekannter Paläobiologe Heidegger erleuchtet. Sogar Klaus Zumwinkel bekannte, sein Vertrauen in die rechte Hälfte des Staates sei nun wiederhergestellt.

Allein die Zweifel blieben in Kaiser’s neuen Kleidern hängen. Man zögerte. Vor allem von Umverteilung sprach man nicht gern. Einen sozialistischen Anstrich wollte man sich nur ungern geben. Der international bekannte Fußballexperte rehabilitierte sich angesichts eines Urteils, das einen arbeitslosen Schwarzfahrer mit einer empfindlichen Strafe belegte. Dies sei kein Sonderfall, so der international bekannte Kirchenhistoriker, sondern nur eine juristische Fußnote; dennoch sei ein Beförderungserschleicher kräftig anzupacken – wer auf Volkes Kosten Omnibus fahre, schädige im Gegensatz zu den Banken die Allgemeinheit und könne gar nicht genug Härte zu spüren bekommen. Der Vertrauensverlust war überwunden. Unbedingte Ehrlichkeit hatte einmal mehr gesiegt über die moralischen Konstruktionen einer Öffentlichkeit, die sich nur auf Kontrolle verlassen wollte.

Wäre da nicht der Bon über acht Cent gewesen, den Wagner im Flaschenrückgabeautomaten gefunden und in die Tasche gesteckt hatte. Das Überwachungsvideo dokumentierte es lückenlos. Der Vertrauensbruch ließ sich nicht mehr kitten, denn es blieb nicht bei einem Versuch – von der Kasse weg wurde der international bekannte Menschenrechtsaktivist abgeführt.

Noch schwelt der Rechtsstreit. Der Staatsanwalt forderte bereits, das Opfer in die Schlagzeilen zu bringen. Lebenslänglich. Auf Bewährung.