Wagniskapital

18 01 2016

„Haben Sie ein paar Unterlagen für mich dabei?“ „Hier, wie besprochen.“ „Vielen Dank. Und Sie haben ein eigenes kleines Familienunternehmen?“ „Ich leite eine eigenständige Zelle, aber wir wollen jetzt expandieren.“ „Eigenes Ausbildungscamp?“ „Mittelfristig. Momentan mieten wir uns im Jemen wochenweise ein.“ „Gut, dann wollen wir mal sehen. Haben Sie schon über ein Anlagemodell nachgedacht?“ „Kann man sich das aussuchen?“ „Klar. Als Finanzdienstleister sind wir immer auf der Seite unserer Kunden.“ „Toll!“

„Wie kamen Sie auf Terrorismus?“ „Wir hatten alle schon Erfahrung im Drogengeschäft, aber das ist politisch zu unsicher. Die Staaten werden alle zu normal, die Hysterie ist weg.“ „Ja, traurig. Und wie ist es mit Menschenhandel? Schlepperei?“ „Der logistische Aufwand ist hoch, man ist ständig in Südeuropa unterwegs.“ „Immerhin an der frischen Luft.“ „Aber man wird ja auch nicht jünger.“ „Da haben Sie auch wieder recht.“ „Wir suchen jetzt eine Finanzierung, die uns Sicherheit gibt.“ „Da sind Sie bei uns absolut richtig.“ „Danke, das bedeutet mir sehr viel. Man muss sich auf seine Partner ja verlassen können.“

„Unsere Basisleistungen gehen los bei einfachen Schwarzmarktbeschickungen mit unverzollter Ware.“ „Zigaretten?“ „Die Kundenzufriedenheit ist in dem Segment am höchsten. Marlboro lässt sich nicht so gut fälschen wie Adidas.“ „Das wäre jetzt beispielsweise etwas mit Eigenleistung?“ „Je mehr Sie an eigener Arbeit reinstecken, desto mehr können Sie sparen. Das Bauherrenmodell, wenn Sie so wollen.“ „Aber reicht das? ich meine, noch sind wir ja ein übersichtliches Unternehmen, aber bei geopolitisch nicht erwartbaren Entwicklungen muss man immer flexibel sein für Veränderung und Wachstum.“ „Sie können ja jederzeit langfristige Anlagen mit in Ihren Mix nehmen. Streuen Sie Ihr Portfolio. Antike Kunst beispielsweise.“ „Aber die wird gerade überall zerstört.“ „Nur die Bauwerke, die müssen natürlich weg, weil sie den Preis niedrig halten. Bewegliche Gegenstände haben immer noch einen sehr guten Markt.“ „Und das lässt sich dann gut steuern?“ „Bei Sachwerten schon. Die Märkte sind da weitaus weniger volatil als der DAX oder irgendwelche Wahlprognosen.“ „Gut zu wissen.“

„Was auch gerne genommen wird, ist ein Modell mit Franchise-Unternehmern.“ „Haben Sie da mal etwas Material?“ „Freilich. Hier sind die Routen, eine kleine Fahrzeugflotte, man kann die Wagen wie ein Taxi über eine App ordern.“ „Und die blauen Linien?“ „Der Global Service. Flüge, Schiffspassagen. Alles drin bei Call-a-Bomb.“ „Wo kommen wir da ins Spiel?“ „Sie leisten eine Art Vorfinanzierung durch den Kauf der Fahrzeuge, und dann…“ „Wenn ich mal unterbrechen darf: was für Fahrzeuge?“ „Oh, gute Ware. Regierungswagen, teilweise von Geheimdiensten, manchmal beides. Scheckheftgepflegt aus Steuergeldern.“ „Toll!“ „Dafür können Sie natürlich auch einen guten Preis verlangen.“ „Und unsere eigenen Lieferungen?“ „Setzen Sie natürlich als Betriebskosten von der Steuer ab.“

„Hätten auch eine Möglichkeit, regional zu investieren?“ „Natürlich, wir empfehlen krisenfeste Krisenregionen. Saudi Plus wäre da so ein Fonds.“ „Saudi Plus?“ „Exakt. Wir kombinieren Aktien aus den Bereichen militärisches Großgerät mit den klassischen Erdölspekulationen.“ „Und das bringt Gewinn?“ „Sogar doppelt. Je mehr Sie an den Waffenlieferungen an Saudi-Arabien verdienen…“ „Deutsche Waffen?“ „Nur die besten.“ „Toll!“ „Wie gesagt, je mehr Sie verdienen, desto mehr haben Sie auch von den Börsenspekulationen.“ „Und wenn der Ölpreis weiter fällt?“ „Dann investieren die Saudis natürlich weiter in Rüstungsgüter. Eine echte Win-Win-Anlage.“

„Aber da muss ich doch noch mal nachhaken.“ „Bitte.“ „Die USA zerstören eine Menge Ölfelder.“ „Das ist richtig, warum?“ „Gilt Ihr Fonds da nicht als Risikokapitalanlage?“ „Sehen Sie, deshalb haben wir unsere Aktien ja auf die Stabilitätsanker in der Region konzentriert. Wenn Sie trotzdem eine Investition in Wagniskapital in Erwägung ziehen sollten, könnten Sie beispielsweise kleine Beträge an die Beamten im Irak und in Afghanistan leisten. Das rentiert sich langfristig. Immer vorausgesetzt, die Beamten leben dann noch.“

„Verzeihen Sie, wenn ich so direkt frage…“ „Aber bitte, nur zu.“ „Existieren möglicherweise auch staatliche Fördermittel für uns?“ „Ich nehme an, Sie wollen eine Direktförderung beantragen?“ „Gibt es denn da noch andere?“ „Sie könnten beispielsweise einen privaten Geheimdienst gründen und mit einer westlichen Regierung eine Art Exklusivvertrag abschließen, aber das ist eine komplizierte Sache. Zumindest in Bezug auf die Finanzierung.“ „Dann lieber direkt.“ „Sie können in den Aufbaugebieten, in denen Blauhelme so tun, als würden sie die Demokratie verteidigen, mit den Verwaltungsposten kooperieren.“ „Das geht?“ „Die Übergänge von staatlichen zu privaten Stellen sind dort ungefähr so durchlässig wie in der deutschen Baubranche.“ „Verstehe, da wird dann über die Aufbauhilfe entschieden.“ „So ist es. Sie können als öffentlich-private Partnerschaft dafür sorgen, dass eine Hand ganz legal die andere wäscht.“ „Und welche Auftragsvolumina wären da zu erwarten?“ „Konjunkturabhängig. Brunnen, Krankenhäuser, vor dem Besuch der deutschen Verteidigungsministerin auch oft mal ein Dutzend Mädchenschulen.“ „Ist das nicht eine unsichere Sache? Irgendwann ist doch das letzte Wüstenloch mit einem Brunnen ausgestattet.“ „Na und? Je mehr Mädchenschulen Sie bauen, desto mehr können Sie hinterher auch wieder platt bomben.“ „Toll!“ „Bei den Krankenhäusern helfen Ihnen sogar die USA aus.“ „Sie denken aber auch an alles!“ „Als international agierender Konzern ist das doch selbstverständlich. Oder was meinen Sie, warum wir uns so toll verstehen?“





Ebola GmbH & Co. KG

1 12 2014

„Nehmen Sie noch Schnittchen, ich nehm auch noch Schnittchen, ist ja Zeit zum Feiern heute, wir gehen an die Börse, mit dem Gewinn muss man ja an die Börse, und ich will Ihnen noch nicht zu viel verraten, aber nächstes Jahr wird’s noch besser, da halten wir uns gar nicht mehr mit Ebola auf.

Das war ja ein Glücksfall, natürlich war das ein Glücksfall, die Presse hat ja total überreagiert, das war uns teilweise schon wieder zu viel, man muss ja bei solchen Erwartungshaltungen auch mal eine realistische Perspektive, und das ist ja bei diesen Krankheiten immer schwierig, die meisten an der Börse wissen auch nicht, Ebola, HIV, SAP, wo ist da der Kurs und wo fängt die Krankheit an? Wir sind als Unternehmen auf neuem Wachstumskurs, das heißt, wir gehen einen innovativen Weg der Marktbeschaffung mit unseren Produkten, wir schaffen für die vorhandenen Märkte keine Produkte mehr, für die wir dann neue Märkte erobern müssten und neue Käuferschichten und Segmente und Preisdifferenzen und Kartelle und Produktschienen und was weiß ich, wir sehen ein Produkt, und wir schaffen einen Markt, und wenn der Markt noch nicht weiß, dass er unser Produkt braucht, werden wir es den Leuten schon zeigen.

Man muss sich neue Märkte erschließen, das fordert schon die Globalisierung, oder die, oder sonst fordern das die Märkte auch schon mal selbst, aber da müssen wir halt ran, und dann bietet sich so ein Thema wie der Klimawandel eben an. Das klingt jetzt für Sie bedrohlich, ist ja auch nicht ganz verkehrt, als flankierende Maßnahme müssen wir schon dafür sorgen, dass das alles bedrohlich klingt, aber dann müssen wir vor allem dafür sorgen, dass das wirklich bedrohlich aussieht, und wenn Sie es bis dahin immer noch nicht kapiert haben, dann sorgen wir dafür, dass es auch bedrohlich ist. Dann säuft Ihr Haus ab, oder Ihr Stadtteil, oder wenn wir Pech haben, säuft dann Ihre Insel ab, weil wir haben dann Pech, einen Stadtteil kann man retten, ein Haus kann man sanieren, oder man kann es versuchen, oder man lässt sich erstmal sehr, sehr, sehr, sehr, sehr viel Geld dafür bezahlen, dass man verspricht, sich zu überlegen, ob man sich etwas ausdenkt, wie man das versucht, und wenn es nicht funktioniert, dann ist es doch auch egal, aber die Börsenkurse steigen, und was wollen Sie mehr?

Denn gucken Sie mal, Wachstum – was ist denn Wachstum? Ich frage Sie, was ist denn bitte dieses Wachstum für die Wirtschaft? Eben! Irgendwann hat jeder Niedriglöhner seine Waschmaschine und seinen Fernseher, bei den Fernsehern haben Sie dann auch noch eine intellektuelle Oberschicht, die gar keinen mehr haben will, ein paar Leute schafft die Waschmaschine ab, weil der Wasserzähler die Daten direkt an die NSA rüberfunkt, nach Afrika können Sie das Zeug sowieso nicht mehr verkaufen, die Chinesen haben ihre eigene Wirtschaft, vermutlich bauen die sich längst bessere Fernseher als die für uns, die funken dann die Daten auch direkt an die NSA, und dann kommt die EU und sagt, dass wir neue Toaster mit nur einem Schlitz bauen dürfen, aber leider sind die meisten Toaster so alt, die Modelle, die zwanzig Jahre alt sind, die überleben auch die nächsten hundert, und dann kommen Sie mir mit Wachstum? Lächerlich!

Natürlich brauchen wir neue Industriezweige, und da bietet sich Ebola eben an, das lässt sich prima vermitteln, da stecken neue Produkte drin, neue Märkte, und die Investition ist alternativlos, und die Industrienationen zahlen den ganzen Mist eh selbst, weil die selbst, und das ist der springende Punkt, weil wer will schon Infektionen auf seinem eigenen Staatsgebiet haben, die man nicht so einfach wieder wegkriegt wie Malaria oder Hunger? Da brauchen wir eine generalstabsmäßige Planung, eine Marketingoffensive, eine Armee für den Außendienst, und wenn es nicht anders geht, dann lassen wir das auch ruhig die Armee machen, und dann die Zelte und die Schutzanzüge und die Handschuhe und die Schutzmasken und die Tücher zur Reinigung und Sprühflaschen und die Liegen und den Kalk für die Gruben und Verpflegung für die Sanitäter. Impfstoffe sind teuer, wissen Sie? Für eine Impfdosis kriegen Sie schon fast drei von diesen Schutzanzügen, nach der neuen Preisliste nur noch zwei, und wissen Sie, wie lange das dauern würde, Ebola GmbH & Co. KG an die Börse zu kriegen? Wachstum ist ein fragiles Gebilde, und da müssen wir vorsichtig sein, dass wir alle Marktbewegungen auch mitnehmen, vielleicht ist ja bald in Spanien was los, oder die Amis drehen alle wieder durch, weil da ein Verdachtsfall alle Leute hysterisch macht, und dann müssen wir so schnell wie möglich hundert Millionen Schutzhandschuhe liefern, bevor sie begriffen haben, dass man das nicht aus dem Fernsehen kriegt, aber da warten wir noch ab, was unsere Fernsehsender sagen.

Wir stoßen auch an unsere Grenzen, das ist wohl wahr, weil sich so ein Wirbelsturm auch nicht von alleine machen lässt, oder Erdbeben, das ist ja das Schlimme, immer sind die so weit weg, und dann sind das Regionen, die wir bisher gar nicht industriell erschlossen haben, nicht mal der Irak oder wo wir sonst so in friedlicher Mission, und dann haben wir wieder hohe Investitionskosten, die schaffen Arbeitsplätze, und das ist ja nur ein kleines Übel, aber wir haben auch unsere Anweisungen, und wenn wir wettbewerbsfähig bleiben wollen, müssen wir neue Ideen für die Märkte haben.

Also kurz und gut: den Katastrophentourismus nach Sierra Leone, kriegen Sie den jetzt hin? Ja oder nein?“





Das Prinzip EU

29 04 2014

„Jetzt machen Sie sich doch nicht lächerlich! Krümmungsgrad von Ölkännchen – das ist doch der typische populistische Unsinn, den Sie regelmäßig bei der Wahl schreiben, damit Sie bei der Wahl überhaupt irgendwas schreiben können! Wenn Ihnen sonst zur EU nichts einfällt, dann schreiben Sie doch lieber gar nichts!

Sie sind doch wieder nur so ein billiger Populist, der mit seinem billigen populistischen Geschreibsel gegen die europäische Idee Stimmung machen will, oder? Dachte ich mir doch. Wir bringen ein gemeinsames Papier heraus für eine europäische Friedenspolitik, und Sie schreien sofort: Glühbirnenverbot! Wir arbeiten an einer Außenpolitik aller EU-Länder, und Sie schreiben in Ihren Käseblättchen: Staubsaugerverbot! Die Kaffeemaschine wird abgeschafft! Halten Sie sich etwa für witzig? Meine Güte, lassen Sie sich doch mal etwas Neues einfallen, dabei schläft einem ja langsam das Gesicht ein!

Wir machen das doch nur, weil wir an den mündigen Konsumenten glauben. Verstehen Sie nicht? Ein Beispiel: Sie kaufen eine Schachtel Zigaretten mit Schockbildern, wie Ihre Lunge nach zwanzig Jahren Kettenrauchen aussieht. Das wussten Sie schon vorher? Sehen Sie, das wussten wir schon vorher, dass Sie das schon vorher wussten. Also machen wir das gar nicht, um Sie als Verbraucher zu schocken, wir demonstrieren Ihren doch nur, dass Sie hier in einem Land der Freiheit leben. Haben Sie schon mal auf einer Flasche gelesen, dass Alkohol zum langsamen sozialen Abstieg führt und Sie zum debilen Deppen macht? Eben, wir vertrauen auf Ihr Urteil als mündiger Verbraucher. Darauf und auf den Umstand, dass das auf einem fünfzig Jahre alten Armagnac ziemlich scheiße aussieht.

Oder der goldene Osterhase, der ist keine eigene Marke. Wir könnten uns vorstellen, dass wir den Osterhasen als Geschmacksmuster schützen, und wenn Sie das mit dem Freihandelsabkommen noch rechtzeitig umgesetzt kriegen, dann ist wahrscheinlich die Farbe Gold früher oder später eh vom Markt. Aber bis dahin dürfen Sie goldene Osterhasen kaufen. Ungeschützt.

Oder das Wiener Schnitzel. Das ist doch ein Symbol der Freizügigkeit! Wussten Sie nicht? Klar, Sie müssen unbedingt Kalbfleisch dafür verwenden. Ob das minderwertiges Fleisch ist, das muss uns nicht interessieren. Sie interessieren sich ja auch nicht, was in Ihrer Wurst steckt. Und Sie müssen das in Butter braten. Unbedingt. Das ist auch viel gesundheitsschädlicher, aber das muss halt so, von wegen: mündiger Verbraucher. Nein ernsthaft, das ist jetzt ganz im Sinne der Freizügigkeit. Sie dürfen das immer noch überall essen, und es darf auch überall Wiener Schnitzel heißen. Bis jetzt noch.

Die EU ist demokratisch, merken Sie sich das. Das ist so, und so bleibt das auch. Und wenn Sie nicht mitmachen, dann werden wir es Ihnen schon zeigen. Dass das hier eine Demokratie ist.

Denken Sie an die Letten. Ein vorbildliches Volk, muss ich schon sagen. Die haben abgestimmt über den Eintritt in die Eurozone, und was soll ich Ihnen sagen? Der Euro hat gewonnen. Das nenne ich Demokratie!

Bitte verschonen Sie mich mit Ihren Horrormeldungen, das ist alles nur künstlich hochgequirlter Populismus. Wir werden keine Bücher mit Erzählungen verbieten, die Kindern veraltete Rollenklischees beibringen. Und vor allem, stellen Sie sich das mal vor – so viele Bibeln kann man gar nicht gleichzeitig aus dem Verkehr ziehen.

Sagen Sie, haben Sie das Prinzip EU eigentlich verstanden? Ich habe nicht den Eindruck. Ja, es gibt eine Regelung für den Gebrauch von Schnullerketten. Schnul-ler, ja? Das sind die Ketten, die man – Sie wollen mich wohl veralbern, wie? Nein, ich Sie auch nicht. Doch, es gibt diese Schnullerkettenverordnung, und sie besagt, dass einheitlich in der EU zur Sicherung vor etwaigen – jetzt unterbrechen Sie mich nicht! – dass der Gebrauch von Ketten an Schnullern einer Regelung bedarf, die… – Es geht dabei um eine Regelung, die man macht, weil man doch den unmündigen, also den Säuglingen, oder wenn man so will, das sind die Bürger, und die muss man eben, weil sie noch nicht selbst entscheiden dürfen, muss man denen… – Also soll ich Ihnen jetzt das Prinzip der EU-Gesetzgebung erklären oder nicht!?

Das können Sie überhaupt nicht vergleichen. Mayotte ist eine außerordentlich reizvolle Insel. Gut, bei Madagaskar. Also fast schon irgendwie beinahe Europa. Klingt auch schon französisch, oder? Sehen Sie, deshalb ist das jetzt auch Teil der EU. Damit wir in diesem Zonenrandgebiet auch ein bisschen die Folgen der Globalisierung gutmachen können. Für die Franzosen natürlich.

Was dachten denn Sie, für die Bimbos? Nur, weil die zufällig da wohnten, kurz bevor die Grundstückspreise um ein paar zehntausend Prozent stiegen? Wenn die mitspielen wollen, können sie es ja versuchen. Falls sie Lampedusa je erreichen.

Meinen Sie nicht auch, wir sollten die Lage in der Ukraine völlig neu bewerten?“





Ad ACTA

15 02 2012

„Warum gehen diese Leute auf die Straße, wenn sie wissen, dass alles, was in diesem Vertrag steht, längst Bestandteil deutscher Gesetze ist?“ „Wenn das alles Bestandteil deutscher Gesetze wäre, wozu bedürfte es dieses Vertrags?“ „Um klarzustellen, dass Urheberrechte eingehalten werden müssen.“ „Wenn es nur um Urheberrechte ginge, meinen Sie nicht, es hätte sich wenigstens ein einziger Urheber dafür einsetzen sollen?“

„Es ist doch ein Urheberrechtsabkommen.“ „Sagt wer?“ „Die Abendnachrichten.“ „Schön, dass es wirkt. Nur hat dieser Pakt mir Urheberrechten nicht einmal am Rande zu tun.“ „Und worum geht es dann?“ „Um Schutzrechte.“ „Schutz?“ „Sie wissen, was Schutzgeld ist?“ „Sie wollen doch wohl den Rechteverwertern nicht vorwerfen, sie erpressten die Konsumenten.“ „Nein, keinesfalls. Sie erpressen ja schließlich auch die Urheber.“

„Was stört Sie eigentlich daran, dass Verwerter ihre Ansprüche durchsetzen?“ „Ich will es Ihnen erklären.“ „Danke, aber ich habe es verstanden. Es geht um Eigentum – legales Eigentum, das von Straftätern gestohlen wird.“ „Ich werde es Ihnen erklären, am besten an einem Eigentumsdelikt. Denken Sie an Einbruch.“ „Der ist verboten, und das ist auch gut so.“ „Richtig. Was machen Sie, wenn Sie einen Einbrecher erwischen?“ „Ich rufe die Polizei.“ „Sie meinen also, Sie fangen ihn nicht selbst?“ „Warum sollte ich? Schließlich lebe ich in einem Rechtsstaat.“ „Gut, und wenn Sie nun einen Sicherheitsdienst engagiert hätten?“ „Dann würde der die Polizei rufen.“ „Und wenn der nun den Einbrecher selbst krumm und lahm prügelt, statt die Polizei zu rufen?“ „Das wäre doch Lynchjustiz!“ „Warum, die Sache geht doch viel schneller? Außerdem können sich die Ermittlungsbehörden ja auch irren.“ „Aber wir leben in einem Rechtsstaat, da habe ich immer noch die Möglichkeit, mich gegen Polizei, Staatsanwalt und Richter zur Wehr zu setzen!“ „Ich sehe, Sie haben das Prinzip der Störerhaftung verstanden.“

„Überhaupt, das würde doch nie funktionieren. Stellen Sie sich einmal vor, wir müssten ständig eine Sicherheitstruppe patrouillieren lassen – was das kostet!“ „Das werden Sie selbstverständlich gerne bezahlen. Aber noch etwas anderes, worauf soll sich die Schutztruppe denn berufen?“ „Auf das Strafgesetzbuch natürlich.“ „Wozu, sind Ihre privaten Sheriffs etwa staatliche Hilfskräfte?“ „Aber der Paragraf sagt doch eindeutig, was ein Einbruchdiebstahl ist.“ „So genau ist das in diesem Abkommen leider nicht geregelt. Stellen Sie sich ein Verzeichnis vor, in dem letztlich nur steht: ‚Verbotene Dinge werden bestraft.‘“ „Wo ist das Problem damit?“ „Was verboten ist, regeln eine Menge Zusatzprotokolle.“ „Das heißt, wer über diesen Vertrag abstimmt, kann die Folgen noch nicht einmal absehen?“ „Einige Verhandlungsführer wussten es.“ „Warum erfährt es die Öffentlichkeit dann nicht?“ „Es geht schließlich nur darum, dass die Dinge, die verboten sind, auch bestraft werden.“ „Wer regelt denn überhaupt, was verboten ist?“ „Das ist nicht so wichtig. Wir haben doch mit der Rechtsfindung durch das gesunde Volksempfinden schon die besten Erfahrungen gemacht.“ „Wie soll man sich denn da überhaupt noch verteidigen?“ „Brauchen Sie nicht mehr. Diese Konstruktion setzt erstmals auf Beweislastumkehr.“ „Damit gerät der Rechtsstaat ad absurdum!“ „Nein, aber ad acta.“

„Warum versuchen die etwas im Internet, was da draußen keine Chance hätte?“ „Sie sind naiv. Sehr naiv. Dieses Abkommen ist Teil einer Strategie und hat mit dem Internet nur am Rande zu tun.“ „Warum richten sich die Proteste dann ausgerechnet gegen die Verfolgung von freien Medien?“ „Weil der Vertrag die Freiheit im Netz in den Mittelpunkt stellt, eine von vielen Facetten der Globalisierung – es ist dieselbe neoliberale Ideologie, die Sie in allen anderen Formen der Schutzgelderpressung finden.“ „Muss nicht die Verteidigung des geistigen Eigentums sich zwangsläufig an den Verursacher halten?“ „Abgesehen von einem Kampfbegriff, der keine vernünftige juristische Entsprechung hat, erklären Sie mir doch bitte, was Sie unter dem Begriff Piraterie verstehen.“ „Eine gewerbsmäßige Verletzung von Eigentumsrechten.“ „Wenn also eine Organisation es für rechtens hält, Petersilie für ihr geistiges Eigentum zu halten, dann darf sie Sie kriminalisieren, weil Sie Petersilie im Blumentopf in Ihrer Küche züchten?“ „Das ist lachhaft.“ „So lachhaft wie Pharmakonzerne, die in Südamerika seit Jahrhunderten kultivierte Heilpflanzen finden und den Urwaldbewohnern verbieten, sie weiter anzubauen – sie lassen sie für einen Hungerlohn als Erntehelfer auf ihren eigenen Feldern arbeiten.“ „Das entbehrt doch jeder Grundlage. Wie kann man Rechte an etwas einfordern, was man nicht selbst erschaffen hat?“ „Damit haben Sie Schlachtruf vom geistigen Eigentum sehr hübsch erklärt.“ „Es kann also jeder sein Eigentum an etwas erklären, was er findet? Man kann Eigentum erfinden?“ „Warum nicht? Kapitalistische Banken funktionieren ja auch nur, indem sie Geld einfach erfinden.“

„Das ändert jedoch nichts daran, dass wir gegen Produktpiraterie vorgehen müssen.“ „Und wen soll man da bestrafen?“ „Die Verantwortlichen.“ „Gute Idee, wer ist denn verantwortlich?“ „Die Chinesen.“ „Die Millionen Fabrikarbeiter, die nachgemachte Markenschuhe nähen?“ „Die können doch nichts dafür.“ „Die Aufseher in der Schuhfabrik?“ „Die Hintermänner natürlich, die den ganzen Handel organisieren.“ „Also die Auftraggeber?“ „Richtig. Diese Chinesenmafia, die uns mit den Fälschungen überschwemmt.“ „Sie haben die Globalisierung noch nicht ganz kapiert. Die Auftraggeber sind westliche Konzerne.“ „Aber die Chinesen stellen das Zeug doch her.“ „Die Chinesen würde es nicht herstellen ohne den europäischen Handel, der die Produktfälschungen in großem Stil importiert, den Zoll besticht und die Ware in den Handel bringt. Nur, dass nicht sie die Zeche zahlen. Und Eigentum vortäuschen, wo keines ist.“ „Die Chinesen werden völlig umsonst kriminalisiert und sind gar nicht die Schuldigen?“ „Sie werden ausgebeutet wie das europäische Prekariat – wie China auch die Zensur- und Militärdiktatur an der eigenen Bevölkerung testet.“ „Alles eine Folge der Globalisierung.“ „Lassen Sie es mich so ausdrücken: Globalisierung ist eine Form der wirtschaftlichen Zusammenarbeit, die sich auf Dauer nicht ohne Überwachung und Unterdrückung aufrecht erhalten lässt.“





Doppelkopf

12 07 2011

„Steuergeschenke? Wer soll denn das bezahlen?“ „Na, Sie natürlich.“ „Klar, ich natürlich. Ich bin ja auch so reich, dass ich die Spitzenverdiener mit durchfüttern könnte.“ „Nein, nicht Sie persönlich. Sie als Deutschland. Wir sind ja in der glücklichen Lage, dass wir über Stabilität verfügen, über eine prosperierende Wirtschaft – wir erleben einen ungeheuren Aufschwung, ist Ihnen das nicht klar?“

„Woran machen Sie denn diesen Aufschwung fest?“ „Wir haben eine fantastische Auslastung der Wirtschaft. Der Boom ist doch mit Händen zu greifen.“ „Nur nicht mit denen der Arbeitnehmer.“ „Aber was wollen Sie – die Arbeitslosenzahlen sinken?“ „Die Zahlen, ja. Nur sinken auch die Löhne.“ „Erwarten Sie nicht zu viel. Schließlich befinden wir uns in den Ausläufern einer der schwersten Krisen seit Menschengedenken.“ „Und warum haben wir dann diesen Aufschwung?“ „Irgendwie muss die Wirtschaft das kompensieren, oder nicht?“ „Hat denn die Wirtschaft auf einmal die richtigen Rahmenbedingungen für einen Aufschwung? In der Krise haben sie doch alle herumgejammert und geklagt, dass es uns so schlecht ginge.“ „Es geht uns ja auch schlecht. Zumindest den Arbeitnehmern, und das ist in einer Volkswirtschaft ja schließlich der entscheidende Faktor.“ „Plötzlich…“ „Ja selbstverständlich! Schauen Sie, alle reden von Mindestlohn oder von mehr Geld für die Arbeitslosen – wer soll denn das bezahlen?“ „Vielleicht die Wirtschaft?“ „Hören Sie auf damit, das ist doch Wahnsinn – Sie können doch in so einer Krisensituation nicht den Staat durch noch stärkere Belastungen zu Boden ziehen! Was wollen Sie Ihren Kindern sagen, wenn die Sie eines Tages fragen werden, woher die Schulden kommen?“ „Dann werde ich ihnen sagen, dass ein paar Generationen lang sämtliche Regierungen über meine Verhältnisse gelebt haben.“

„Sie sehen ein, dass wir jetzt keinen Spielraum für Geschenke haben?“ „Ja, durchaus.“ „Das ist gut, wir brauchen nämlich diese Solidarität auch von denen, die unsere Wirtschaft wieder stärken mit ihrem persönlichen Opfer gegen den totalen Zusammenbruch.“ „Zusammenbruch? Opfer? Wovon reden Sie da eigentlich?“ „Naja, man liest doch häufiger man, dass so viele chronisch Kranke oder Behinderte von Kürzungen betroffen sind. Ich meine, persönliche Opfer sollten wir durchaus mit Dankbarkeit entgegennehmen, das macht es für uns ein bisschen leichter, in der Krise zu…“ „Sie reden von persönlichen Opfern? Ich bitte Sie, diesen Menschen wird das letzten bisschen Geld unter dem Hintern weggezogen!“ „Ja, tragisch. Aber unser wirtschaftlicher Erfolg ist nun mal hart umkämpft, wir können stolz auf uns sein. Kein Land hat die Krise so gut überlebt und ist so stark wieder daraus hervorgekommen. Wir sind zutiefst dankbar.“

„Jetzt doch wieder Aufschwung?“ „Sicher, es ist doch alles in trockenen Tüchern. Wir werden auch 2011 wieder das Haushaltsdefizit unter die kritische Grenze bringen, also brauchen wir gar nichts zu fürchten.“ „Das heißt, wir können damit locker noch ein Jahr den Export bedienen?“ „Deutschland ist leistungsfähig, das halten wir schon aus.“ „Und die Erhöhung der Abgeordnetendiäten?“ „Peanuts. Das bisschen verrechnet sich doch.“ „Und dann fällt auch noch die Brennelementesteuer aus.“ „Dafür könnten wir, wenn es die Bundesregierung irgendwann mal schafft, Subventionen zu streichen, massenhaft neue Jobs für erneuerbare Energien aus dem Boden stampfen. Dann ist hier aber Wachstum angesagt!“ „Dann könnte man ja den Strom auch mal billiger machen.“ „Ich bitte Sie, das geht doch nicht – wir können doch hier keine Subventionen zahlen.“ „Dann könnten wir ja vielleicht mal die Krankenversicherungen auf ein gesundes Maß zurechtstutzen und diesen ganzen Kropf mit dem Gesundheitsfonds wieder abschaffen.“ „Aber wer soll das denn bezahlen? Woher sollen wir das Geld denn nehmen?“ „Haben Sie nicht eben etwas von der Leistungsfähigkeit der deutschen Wirtschaft erzählt?“ „Ja, aber was hat denn die Wirtschaft mit den Krankenkassen zu tun? Zahlen die Kassen etwa Einkommensteuer?“

„Jetzt überlegen Sie doch mal: die Top-Manager in den Vorständen bekommen schon 20 Prozent mehr als noch vor der Krise.“ „Das ist doch auch ein gutes Zeichen.“ „Finden Sie?“ „Aber ja doch! Das zeigt doch, dass der Aufschwung auch bei den Arbeitnehmern ankommt.“ „Und was halten Sie von einer Reichensteuer, um solche Spitzengehälter sozial abzufedern?“ „Unmöglich. Wir dürfen doch beim aktuellen Fachkräftemangel, der die prekäre Situation am Standort Deutschland noch verstärkt, nicht noch wissentlich diese Leistungsträger aus dem Land vertreiben. Das geht ja gar nicht!“ „Und demnächst kommen Sie sicher auch mit diesem Bockmist, dass die Griechenland-Rettung angeblich die Renten kaputt machen würde.“ „Immerhin denkbar, oder nicht?“ „Seit wann werden denn die Renten von der Bundesregierung ausgezahlt?“ „Wenn Sie jetzt den Euro so retten wollen, wie die Kanzlerin das gerade tut, dann wird das in einem wirtschaftlichen Zusammenbruch der EU enden. Und damit sind die Renten nicht mehr sicher. Ist doch logisch.“

„Gut, wir sind also in der Krise.“ „Eher in den Ausläufern einer Krise, die wir noch nicht ganz überwunden haben, manche haben sich auch nicht wieder erholt – die Musikindustrie beispielsweise, die Verlage und die Postkutschenbauer – aber das heißt natürlich nicht, dass wir nicht jederzeit gleich wieder in eine neue Krise stolpern könnten.“ „Und die wird selbstverständlich unvorhersehbar sein.“ „Soweit ich das bis jetzt sagen kann: ja.“ „Und deshalb müssen wir die Banken retten, die uns das eingebrockt haben.“ „Genau. Denn stellen Sie sich das mal vor; wenn wir sie jetzt nicht retten, dann können wir ihnen bei der nächsten Krise gar nicht mehr helfen, und das wäre doch fürchterlich!“ „Verstehe, es ist also besser, wenn wir jetzt mit radikalem Sparkurs das Sozialsystem schleifen und die staatlichen Bruttoanlageinvestitionen weiter unterhalb der Abschreibungen lassen.“ „Richtig, denn nur so erhalten die fruchtbaren Impulse den Aufschwung.“ „Anders ausgedrückt, wir leben auch weiterhin von unserer Substanz.“ „Ja.“ „Was die Spielräume natürlich immer geringer werden lässt.“ „Und genau deshalb müssen wir den Gürtel auch enger schnallen. Das ist ganz normal in der Krise.“

„Also jetzt mal ernsthaft: Krise oder Wohlstand, Aufschwung oder Rezession? Was ist denn jetzt gerade Phase?“ „Beides.“ „Beides? das geht doch wohl schlecht.“ „Doch, das geht. Die Wirtschaft erlebt gerade einen Aufschwung – weil Sie in der Krise sind.“





Geld spielt keine Rolle

6 06 2011

„Der Strom? Klar, der ist nun mal teuer. Das wird sich auch so schnell nicht ändern. Schließlich muss zur Energieerzeugung auch einiges getan werden. Das ist nun mal alles nicht umsonst. Auch nicht mit staatlicher Hilfe, denn wir sind ja quasi in einer Art sozialistischer Marktwirtschaft angekommen, nicht wahr? Also die Wirtschaft, das sind ja im Grunde wir alle, und der Staat, der kann – noch nicht klar?

Das ist nämlich dieses Wirtschaftswachstum, welches uns das Leben so teuer macht. Der Aufschwung, der kurbelt die Konjunktur derart an, da werden die Preise, also mein lieber Scholli, die steigen aber bis zum – das muss so, denn der Staat wird sich da fein raushalten. Wir können doch nicht auf einmal ein Preisdiktat einführen. Das können Sie vielleicht in Nordkorea oder in einer Phase der Rezession, damit die systemwichtige Industrie nicht plötzlich völlig verarmt. Stellen Sie sich das vor, so ein Unternehmen hat sich mal ein bisschen an die Wand gefahren und müsste jetzt alle Manager auf einmal entlassen, das geht doch nicht in einem Land mit christlich-kapitalistischem Menschenbild?

Es sind Hilfen, für die keine konkrete Gegenleistung erwartet wird, verstehen Sie? Wie soll ich Ihnen das erklären? Passen Sie auf: Sie stiften Ihr ganzes Vermögen der FDP, und die reißt sich einfach das Geld unter den Nagel, ohne zu – naja, als Stütze würde ich es nicht bezeichnen, da erwartet man inzwischen mehr. Nein, von der FDP doch nicht. Da erwarte ich, dass bald gar nichts –

Nein, das müssen Sie sich so vorstellen: Sie sind, sagen wir mal, Rinderzüchter. Warum nicht? Ist doch ganz egal, es geht ja bloß um ein Beispiel! Also Rinderzüchter, und da haben Sie so Ihre Rinderzucht, wo Sie Zuchtrinder züchten. Aber das ist natürlich teuer, der Strom und der Unterhalt für den Stall, und das Futter, die Personalkosten vor allem, kurz und gut: Rinderzucht lohnt sich gar nicht mehr, weil Sie nicht mehr genug verdienen. Preise erhöhen? Dann haben Sie ein Problem mit der EU. Und der Markt ist hart, die Leute kaufen sowieso schon lieber Schweinefleisch. Sie brauchen unbedingt Subventionen. Beantragen Sie also diese Subventionen, damit Sie auch wieder eine – das Personal? Sie brauchen die Subventionen doch nicht fürs Personal, Sie Traumtänzer! Was kümmert Sie bitte das Personal? Wir sind hier in der globalen Marktwirtschaft, da muss halt jeder sehen, wie er sich durchsetzt. Kürzen Sie den Leute noch einmal ordentlich die Löhne, sagen Sie ihnen, wem es nicht passt, der wird durch einen Polacken ersetzt, und wenn Sie dann Subventionen kassieren, dann bleibt für Sie mehr übrig, kapiert?

Selbstverständlich wird der Strom auch ganz hübsch subventioniert. Vor allem, wenn es sich um Atomstrom handelt, denn sonst könnten die Atomkonzerne ja gar nicht mehr sagen, dass sie den Atomstrom so billig herstellen, dass sie den nur noch teuer an den Verbraucher – haben Sie es jetzt verstanden? Den Strom wegen der Subventionen an die Rinderzüchter billiger abgeben, dann müssten die nicht auch noch – was ist das denn für eine Konstruktion? Das sind ja Quersubventionen, das wäre ja ganz furchtbar intransparent! Das geht ja gar nicht! Ja gut, das geht schon, aber nur in Ausnahmefällen. Zum Beispiel, wenn man den Atomkonzernen die Transportkosten billiger macht und abgabenfrei und keine Brennelementesteuer erhebt, das geht natürlich. Aber doch nicht in der Rinderzucht, wo kämen wir denn da hin?

Klar, die Schweinezüchter haben dann ein Problem. Wir leben ja nun mal in einer sozialen Marktwirtschaft, das heißt, wenn die Rinderzüchter den Strom billig bekämen, bekämen ihn auch die Schweinezüchter billig – halt, umgekehrt. Bitte um Entschuldigung, dass ich – kriegen also nur den Strom, der – nein, ich fange noch mal ganz von vorne an: Der Rinderzüchter züchtet seine Rinder so billig, dass das Schweinefleisch zu teuer ist, die Personalkosten, das Futter, alles viel zu kostspielig und nicht mehr rentabel und letztlich auf dem Markt nicht mehr konkurrenzfähig, und dann müssen Sie bedenken, dass die Rinderzüchter auch nur so billig produzieren können, weil man ihnen mit den wettbewerbsverzerrenden Subventionen unter die Arme gegriffen hat. Ja, das ist richtig, das ist im Grunde ziemlich ungerecht. Und dass die nun auch keine Verbilligung beim Sprit bekommen oder bei der Lkw-Maut, das ist ja auch schlimm. Da wird der letzte Schweinezüchter bald vor die Hunde gehen, nicht wahr? Wirklich schlimm. Ausweglos, ich sag’s Ihnen. Nichts zu machen.

Mit Subventionen, ja. Haben Sie’s also endlich geschnallt? Die Schweinezüchter kassieren jetzt die Subventionen, die sie brauchen, damit sie nicht mehr unter den Subventionen für die Rinderzüchter leiden müssen. Geld spielt da keine Rolle. Und es macht sich auch bemerkbar, zumindest bei den Rinderzüchtern. Die sind jetzt nämlich im Vergleich zu den Schweinezüchtern wieder so teuer, dass Rindfleisch im Grunde in einer freien Marktwirtschaft nur noch zu Preisen –

Genau. Ganz genau so. Und da die FDP bisher die Steuersenkungen nicht gebracht hat, muss man sich die Kohle eben von der Union holen. Ja, haben Sie auch wieder Recht – zahlen tut’s sowieso wieder das untere Drittel. Und da die auch keine Steuererleichterungen bekommen, sind sie doppelt bestraft. Beschweren Sie sich also nicht, wenn demnächst der Strom wieder mal teurer wird. Wir haben dafür tief in die Tasche gegriffen!“





Gernulf Olzheimer kommentiert (LXXIV): Ethno-Food

10 09 2010
Gernulf Olzheimer

Gernulf Olzheimer

Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.

Was der Mensch ist, scheint ein weites Feld zu sein, was er isst, sprengt hingegen alles, was man an Fantasie bisher aufzubringen geneigt war, die kranken inklusive. Vom prähistorischen Würmer- bis zum postkapitalistischen Körnerfresser ist alles dabei, west-östliche Reis- und Nudelschlucker treffen Fleischfresser und Veganer, Rohköstler, Fletscherer, Steinzeit und Low-Carb-Diäter. Die Kongruenz der Speisearten ist ungefähr so schnell herzustellen wie die Einheit aller Religionen und ihre Verträglichkeit untereinander entspricht dem Ergebnis von Hertha- und Schalke-Fans in einem abgeschlossenen Raum mit Schusswaffen. Was der Mensch nicht kennt, nicht kennen will oder nur auf dem Teller der anderen entdeckt, ist ihm ekelhaft. Dass es andersherum ebenso funktioniert, sichert ihm seine Nahrungszufuhr. Und nur eins kann den Verzehr von Insekten, Beutelsäugern und in Essig drapierten Schafscheißeknödeln für den europiden Allesfresser hip und angesagt machen: erklär es zu Ethno-Food, dann kaut der Bekloppte jede Spezies in beliebigem Verwesungsgrad.

Traditionell geht der kulinarische Horizont des durchschnittlichen Lohnsteuerzahlers knapp vor der Industriepizza am Seelachsbrikett vorbei, schrammt vom Döner ab und schliddert dann auf das zu, was die Kalorienhersteller ihm als asiatische Küche einreden. Seiner Ansicht nach knabbert der Chinese den ganzen Tag lang Lotosblüte und schlürft grünen Tee mit Reisgebäck aus dem Discounter-Sortiment. Nur gut, dass man davon in Jiangxi keinen blassen Schimmer hat und sich weiter von Dingen ernährt, die deutlich mehr als vier Extremitäten besitzen. Während sich der Vietnamese zum Frühstück frittierte Vogelspinnen in die Plauze panzert, lutscht man auf Java leckere Libellen, und der Japaner züngelt nach Zikaden. Schreit ein Thai aus der Kombüse „’schabe fertig!“, dann war es der Koch, kaum der Kammerjäger. So geht es zu mit Sushi und Nasi Goreng, selten werden die Opfer vom Originalschauplatz gebraten. Maki kommt maximal aus Magdeburg und ist damit exakt so exotisch wie Erbsensuppe aus dem Kantinenkanister.

Der Ethnotourist, der im Afrika-Urlaub eher den angenehm temperierten Hotelpool frequentiert, als außerhalb des Fünf-Sterne-Ghettos mit dem Volk konfrontiert zu werden, schmatzt in der Fremde mit Vorliebe Schnitzel und blökt nach Bratwurst, will aber in Bopfingen auf Biegen bis zum Brechen nur originalrestauriert werden mit Fufu aus dem Dritte-Welt-Luxusladen. Mehr kann man aus seinem mit Fischfutter angereicherten Hirn nicht holen, denn sein Überblick endet genau hier. Trotzdem – oder aber erst recht, weil seine verdübelte Konsumdenke es ihm gebietet – hält er Falafel für die einzige Form arabischer Küche, die die westliche Welt je zu Gesicht bekommen hat, wie ja auch die übrige Menschheit denken darf, dass sich Deutsche rund um die Uhr Sauerkraut in den Schlund pfropfen. Der Beknackte, der in kulturellen Konstrukten nur denken kann, wenn er mit seinem kleinen Kontinent im Mittelpunkt hockt, köchelt sich’s gerne einfach und reduziert ein, bis die Allgemeinbildung sauer wird. Fritten hält der Kriechkocher für Amerikas Erfindung, nicht aber Chop Suey, vom Fraßdesigner aus kleinteiligem Gewölle zurechtgeschwiemeltes Recycling-Zeug, geschichtslos gesichtslos wie ein Stück Pressspanplatte und meist auch in ähnlicher Preislage, was die aromatische Qualität angeht.

Um nicht wie neureiche Mampfer Tapirgemächt und Schneckeneier hinters Zäpfchen zu zwängen, was sich der Bescheuerte auch gar nicht leisten könnte, greift er in jeden Topf frisch aufgekochter Trends, die nach industrieller Vorverdauung aus Watteboden sprießen. Die Reis-mit-Sojasprossen-Fraktion ist über Korea inzwischen beim Mongolen angekommen, die mediterranen Suppenschmiede haben nach spanischen und portugiesischen jetzt die türkische Gewürzmischung entdeckt, der Inder zieht aus und lässt nach dem Mexikaner einen Libanesen in die Garküche, und alle veranstalten sie das perfekte Klischee von landestypischer Kost, die so authentisch ist wie Malen nach Zahlen kreativ, ästhetisch so differenziert wie eine Kühltheke mit elf verschiedenen TK-Mischgemüsedarstellern in Polyesterpfriemel mit Buntdruckapokalypse und zu allem Überfluss bereits so standardisiert, dass Phở Bò in Hameln, Hoyerswerda und Hockenheim eine hochsignifikant gleiche Plörre ist, die der Brühe aus Hanoi höchstens eine Namensähnlichkeit abtrotzen könnte. Das Widerlichste jedoch ist, dass sich die postkapitalistischen Äser am globalisierten Mahl die Figur aufpolstern, während im Billiglohnland die pauperisierten Massen längst mit Los Kotzos beim Pupsiburger aus totem Genunfall zugeschüttet werden, schwungvoll bis hastig zusammengefegter Separatorendreck mit naturidentischem Glutamat, Farbstoffen, Füllmasse und spontan verkrebsender Geschmacksverstärkungstruppe auf Abwasserbasis. Wenigstens ist das organisierte Erbrechen weltweit so monoton funktional, dass man in Saigon und Stuttgart dieselbe krude Pampe in sich schlingt. Da wächst die Menschheit brüderlich zusammen. So stimmt es letztlich wohl doch: der Mensch ist, was er isst. Wohl bekomm’s.





Gernulf Olzheimer kommentiert (XLVI): Bürgerbevormundung

26 02 2010
Gernulf Olzheimer

Gernulf Olzheimer

Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.

Ja, das Leben stellt uns vor Herausforderungen. Man muss Bananen schälen, bevor man sie sich via Startpunkt des Verdauungstrakts – und genau hier beginnt schon eine Diskussion, die mehr Nerven kostet, als eine Horde Hasenhirne hat – in die Figur drischt. Der döschige Primat schafft’s unfallfrei, ab einem gewissen Bildungsgrad sollte man davon ausgehen können, dass Jetztzeitler sich eine Schlauchbeere ebenso reinpfeifen. Doch wir haben nicht mit den Bekloppten gerechnet, die aus allen Löchern kriechen, Maden in Germany und sonst wo, geschaffen einzig, uns zu bevormunden. Sie hocken in verschmalzten Hinterzimmern und brüten über den Bananenschalenentfernungsverordnungen, Kauvorschriften, Schluckbestimmungen, damit bloß kein Bürger mit dem Zeugs tut, was ein unmündiger Säugling täte: die Nummer, die auch der Affe hinkriegt, weil ihn der Beknackte mit seiner Dienstanweisung nicht kümmert.

Der Bürger, kurz: das doofe Subjekt, das sich einbildet, handelnder Souverän zu sein, muss vor sich selbst geschützt werden. Der Weg beginnt mit dem Einzelfall; wenn jährlich dreizehn Kinder beim Verzehr von Hotdogs in den Vereinigten Staaten von Amerika ihr Leben lassen (hier kann man leicht unterscheiden: schaffen diese Kinder es ohne fremde Hilfe, so kann man ihren Eltern wegen Vernachlässigung der Aufsichtspflicht eins auf die Birne möllern – sind die Eltern an der Erstickung ihrer Blagen beteiligt, sollte man ihnen noch extra die Nase tiefer legen), so muss es unbedingt eine nationale Initiative geben, um eine nicht lebensgefährliche Wurst im Brötchen zu entwerfen. Die Annahme, dass eventuell Dropouts im Genpool zu einer Grundblödheit führen, mit der für Pudel gedachte Aufgaben von Zweibeinern nicht gelöst werden können, ist für manche Aufsichtsführer kaum erträglich. Sie meinen es gut mit uns.

Und genau das ist das Problem. Längst haben die Kontrollfetischisten ihre Erfüllung gefunden und überziehen die Wehrlosen mit Instruktionen, Normen, Gesetzen zum Aufblasen von Luftballons, sie legen den Krümmungsgrad von Karotten fest und reglementieren den Glibbergehalt in Napfsülze, auf dass die Gallerte global gleich wabbelt und nicht in Albanien anders als in Nepal vom Teller suppt. Eine naturbelassene Banane ist dem Homo sapiens aus humanitären Gründen nicht mehr zuzumuten, und immer öfter munkelt man, eine derart massive Hirnverdübelung sei ein sicheres Zeichen dafür, dass es erstens eine Weltregierung gebe und dass sie zwotens aus den dämlichsten Arschlöchern dieses beknackten Planeten bestehe. Offenbar hat diese aus Illuminaten, EU-Schergen und Kindermädchen zusammengeschusterte Truppe sich dem Ziel verschrieben, den Bürger praxisnah in seine Komplettverdeppung zu überführen. Kein besserer Haushalt mehr, in dem nicht auf dem Heißluftgebläse stünde, dass es – so schröcklich kann’s gehen – Heißluft bliese. Kein Schuhlöffel mehr ohne Warnhinweis, dass das Verschlucken auf eigene Gefahr geschehe, generell aber nicht zum Standardprogramm gehöre. Nur noch wenige Jahre, dann haben wir den paradiesischen Zustand erreicht und erhalten grell blinkende Botschaften mit Sirene und Böllerschüssen, sobald wir dem Wasserhahn nahe kommen – damit wir bloß nicht vergessen, dass Wasser nass ist.

Die Weltregierung, oder wie auch immer diese Ansammlung intellektueller Lackschäden auch heißen mag, liebt uns. Genau das ist das Problem. Die Schimmelhirne schwiemeln sich ins Leben des geistig gesunden Bürgers hinein wie anstrengender Körpergeruch in ein Großraumbüro. Nachdem sie über die Luftverschmutzungsverordnung reguliert hat, welche Umweltgifte legal in den Standardapfel gelangen dürfen, klatscht sie aufgepumpte Balken in die Autowerbung, um kundzutun: Achtung, beim Erwerb eines Fahrzeugs mit Verbrennungsmotor entstehen Folgekosten wegen Benzinverbrauchs. Wer derlei Dünnsinn den flach gebauten Bratzen auf die Denkhaut schmaddert, kann nur von der Hoffnung getragen sein, dass der bevormundete Bürger im Schnelldurchgang verblödet oder aber sofort und unwiderruflich in Schockstarre verfällt, weil er sonst die Prozedur durchschaut und mit Waffengewalt jede Diskussion darüber abkürzt. Ob wir uns wehren, wenn das Internet Sendezeiten und die Tageszeitung verschiebbare Balken hat für Tittenbilder am Katholikenkiosk? Man müsste dazu ja den Rasen betreten.

Und da sind wir auch schon. Willkommen in einer Welt, in der Schnaps ab 21 verkauft wird und daher kindersichere Flaschen braucht. In einer Welt, deren letztes Abenteuer es sein wird, Wetten abzuschließen, wann Reißnägel nicht mehr lose in der Plasteschachtel, sondern einzeln in Anti-Pieks-Hüllen im Baumarkt lagern. In einer Welt, in der Zigarettenschachteln als großes Contra gelten und der Raucher als die Verkörperung des Asozialen schlechthin – und in der die letzten Freien einem quarzenden Altkanzler zusehen, wie er die Fluppen im Gesicht eines faselnden Moderatorenbübchens ausdrückt. Selbst Schuld. Keiner hat den Döskopp zum Passivrauchen gezwungen.