Schutzausrüstung

15 03 2018

„Vorsicht!“ Unter heftigem Geklapper stieß ein Blecheimer an die Tür. „Da ist frisch gewischt!“ Ich trat einen Schritt zurück. Schnaufend trat Herr Breschke aus der Küche. „Immerhin kann man den Rest der Wohnung saugen. Sonst würde ich diesen Hausputz nicht aushalten.“

Ein intensiver Duft von Zitrone, Ammoniak und brennenden Autoreifen durchwehte den frühlingshaften Morgen. Der Hausherr wienerte mit dem Spülschwamm, immerhin noch mit der glatten Seite, die Türzarge. „Meine Frau lässt sich neue Dauerwellen drehen“, informierte er mich. „Und wir machen den Hausputz immer in dieser Woche, das heißt: in dieser Kalenderwoche. Da muss ich eben ran.“ Er wrang das Schwämmchen über dem Putzeimer aus; viel tropfte nicht herunter, das meiste auch noch daneben, aber das war nicht so erheblich. Der Küchenfußboden glänzte wie nach einem Wasserrohrbruch. „Das meiste lässt sich mit dieser grünen Flasche erledigen“, erklärte er, „nur für manche Anwendungen braucht es halt einen speziellen Reiniger.“ Ich guckte skeptisch, und er verstand sogleich. Die ganze Batterie stand auf der Anrichte aufgereiht, ein Mittelchen neben dem anderen, und voller Zufriedenheit sah ich, dass es handelsübliche Reiniger waren, alles aus dem Verbrauchermarkt besorgt und keine Tinkturen von fragwürdiger Rezeptur und Herkunft. „Besonders mit dem Flächenreiniger kann man sehr gut die Scheiben putzen.“ „Ich hatte auch schon einmal den Gedanken gehabt“, bekannte ich. „Leider besitze ich kein Auto, sonst hätte ich es längst einmal ausprobiert.“

Er rieb noch immer an der Tür herum, die sich langsam von ihrem eierschalenfarbig gemusterten Edelfurnier in eine weißlichgraue Fläche wandelte. „Ich würde es nicht übertreiben“, riet ich dem Alten. „Wie Sie vielleicht schon geahnt haben, die Maserung ist hier lediglich aufgedruckt und hält dem kraftvollen Einsatz von Lösungsmitteln nur begrenzt Stand.“ Irritiert ließ er das Schwämmchen sinken; tatsächlich war dort, wo Horst Breschke geputzt hatte, ein heller Streifen sichtbar, der in aufreizendem Kontrast zum restlichen Ensemble stand. „Kriegt man das wieder hin?“ Verzweifelt besah er das Ergebnis seiner heftigen Reinlichkeit. „Natürlich“, tröstete ich ihn. „Aber ich würde dazu kein chlorhaltiges Präparat mehr nehmen, es ist einfach zu scharf.“

Herr Breschke rieb sich die Finger, vielmehr: er knetete die Hände, die bis fast zu den Ellenbogen in langstulpigen Gummihandschuhen steckten. „Mit der Küche werde ich heute sicher noch fertig.“ Er griff nach einem Geschirrhandtuch, um sich die schweißnasse Stirn abzutupfen. „Sollte ich bis Donnerstag das Bad im ersten Stock nicht geschafft haben, kann ich wenigstens mit Hilfe rechnen, weil meine Frau in der Zwischenzeit sicher Apfelkuchen backt.“ Er legte das Handtuch sorgfältig zusammen drapierte es über der Lehne des Küchenstuhls und griff wieder nach dem Reiniger. „Herr Doktor Klengel würde mir zu Hand gehen.“

Vor meinem geistigen Auge erschien der pensionierte Finanzbeamte in einer Kittelschürze von geblümter Scheußlichkeit, ein Tuch über dem schütteren Haarkranz zusammengebunden, hinter ihm der langjährige Hausarzt, Schwammtücher und Bürsten anreichend. Hinterher war das Haus der Breschkes klinisch rein, hatte aber einen Nachteil: niemand würde es mehr betreten dürfen. Aber auch dafür würde dem Senior eine Lösung einfallen.

„Die Arbeitsplatte habe ich bereits zweimal gründlich geschrubbt“, berichtete er, „meinen Sie, dass das reicht?“ „Das kommt darauf an“, überlegte ich, „ob Sie zwischendurch frisch geschlachtete Hasen zerlegen und den Abwasch danach mehrere Tage lang stehenlassen.“ Er grübelte; schließlich gab er mir Antwort. „Nein, ich kann mich nicht erinnern. Meine Frau würde mir das ganz sicher sagen, aber sie ist sowieso nicht für Wild.“ Und wieder knetete er seine Hände. Offenbar juckte es in den Stulpen. „Haben Sie vielleicht irgendetwas zusammengepanscht?“ Ich roch an dem Eimer; eine strenge Kopfnote von Essig und ein erheblicher Anteil an alkoholischen Bestandteilen ließ sich ausmachen, aber gefährlich war das sicher noch nicht. Außerdem hatte Herr Breschke seine gummierte Schutzausrüstung zwischendurch auch nicht abgelegt. Es musste also einen anderen Grund dafür geben.

Rein zufällig blickte ich in die Mülltüte, die auf dem Küchenstuhl lag. Asiatische Schriftzeichen ließen mich instinktiv zugreifen, doch hatte ein mutiger Zeitgenosse seine letzten Brocken Deutsch in den Ring geworfen und ein Kauderwelsch zu Beschaffenheit und Benutzung hinterlassen. „Wenn ich das richtig verstehe“, entzifferte ich die blassen Buchstaben, „dann warnt der Hersteller vor der Berührung der Innenseiten.“ Breschke riss die Augen auf. „Das hatte ich doch nicht ahnen können“, keuchte er, „das muss man doch deutlich auf die Verpackung schreiben!“ Flugs waren die aus Taiwan importieren Fingerdinger – seine Tochter musste wieder einmal in der Region zu tun gehabt haben, ich fragte gar nicht mehr nach – ausgezogen und entsorgt. Seine Finger waren stark gerötet und geschwollen, nur mit Mühe ließ sich der Hausherr überreden, eine Pause zu machen. „Danach“, riet ich ihm, „versuchen Sie es einfach mal mit den Haushaltshandschuhen, die Ihre Frau auch nimmt.“ Er kratzte sich die gereizten Finger. „Ich mische mich nicht mehr ein, sie putzt viel besser.“ Schon tauchte er wieder das Schwämmchen in den Eimer. „Nur noch diese eine Stelle. Versprochen!“





Herrin der Fliegen

12 07 2016

Sie waren überall. Einige wanderten ziellos an der Scheibe entlang, die auf den Innenhof hinausging, andere wanderten zielstrebig auf die Scheibe zu, die auf dem Teller lag, gutes Graubrot, darauf Butter und Mortadella. Hildegard schien das zu stören. Dabei war es doch meine Küche, in der sich das Getier häuslich niedergelassen hatte.

„Sie stören mich seit Tagen“, klagte sie. „Ich wollte sie ja wegmachen, aber Du findest dieses Spray immer so penetrant.“ Ich sah sie aus meinen verquollenen Augen an. Stunden zuvor war ich ins Bett gefallen, nach einer mehrtägigen, vergeblichen Reise an der Seite des TV-Produzenten Siebels. „Jetzt mach doch mal etwas, diese Fliegen werden noch den Haushalt übernehmen!“ „Dann können sie ja wenigstens mal abwaschen“, murmelte ich und griff in die Richtung meiner Kaffeetasse. Immerhin hatten sie sich dort noch nicht angesammelt, es war ihnen vermutlich zu heiß. Hildegard fuchtelt vor dem Gesicht herum. „Um alles muss man sich hier selbst kümmern“, knurrte sie. „Der Herr hält es ja nicht für nötig.“

Fünf volle Tage hatten wir in einem müffeligen Hotel gewohnt und einen Landwirtschaftsbetrieb nach dem anderen aufgesucht. Die Ergebnisse der Reportage waren so gut wie nicht verwertbar. Ich hatte auf der Couch geschlafen. Mein Rücken war eine einzige Sollbruchstelle. Anders als erwartet war Hildegard nicht einmal am Tag gekommen, um den Briefkasten zu leeren, sie war gleich geblieben. Es gab keine Milch mehr. Die Post lag auf dem Stutzflügel. Und die Anzahl der Bewohner in dieser Etage hatte sich unversehens potenziert. „Das wirst Du wahrscheinlich aus diesem komischen Hotel mitgebracht haben“, moserte sie. „Das kriecht in die Koffer, und dann sind sie heute Nacht geschlüpft.“ „Weil sie so klein sind“, antwortete ich, „sicher, die anderen, die sich letzte Woche vermehrt haben, die sind ja schon erwachsen.“ Sie guckte mich grimmig an. Ich war viel zu müde, um mich zu streiten, und genau das regte Hildegard maßlos auf.

Eine nervöse Stubenfliege sirrte gegen das Fenster im Arbeitszimmer. Ich drehte den Griff herum und kippte es, mit etwas Mühe gelang es mir, das Insekt hinauszubugsieren. Bis auf eine Rechnung war wenig Interessantes in der Post; sie half mir, den Gast am erneuten Eintritt ins Zimmer zu hindern. Ich stellte die Kaffeetasse auf den Schreibtisch und öffnete eine Schublade. Nur ein paar Handgriffe, ein paar Notizen, dann würde ich mich wieder hinlegen und den restlichen Schlaf nachholen. „Sie sind sogar im Bad“, hörte ich es jammern. „Mach doch endlich was, oder muss ich das alleine in die Hand nehmen?“ Es schepperte. Sie musste mit der Hand auf den Tisch gehauen haben, um eine Fliege aus dem Dasein zu entfernen. Oder gleich deren komplette Sippe.

Eine knappe Stunde später erwachte ich aus unruhigem Schlaf. Es hatte nichts genützt, ich war immer noch ich, aber die Fliegen waren nach wie vor da. „Sekt soll ja helfen“, teilte mir Hildegard mit, während sie ungerührt mit dem Staubsauger durchs Schlafzimmer fuhr. „Wir haben übrigens gar keinen da, nur diesen trockenen aus Frankreich, aber den werden sie wohl nicht mögen.“ Ich verbiss mich ins Kopfkissen. Vielleicht war das alles nur ein wirrer Traum, gleich würde ich im Zug wieder zu mir kommen, schlaftrunken aussteigen und mich in ein Taxi werfen, das mich nach Hause brächte. Vielleicht war das alles aber auch Wirklichkeit, eine besonders grausame dazu, und Hildegard war als Herrin der Fliegen dazu ausersehen, mir die Sünden meines möglicherweise nicht mehr lange dauernden Lebens auszutreiben. Ich stand auf, griff nach einer Zeitung, rollte das Papier und drückte es ihr in die Hand. „Du bezahlst, was Du kaputt machst.“ „Hier steht ein Glas mit Orangensaft“, hörte ich es mit deutlichem Vorwurf aus der Küche. „Und hier ist noch eine Kaffeetasse.“ „Es ist meine“, murmelte ich und ließ mich in einen Sessel fallen. Hildegard rümpfte die Nase. „Wenn Du ständig Kaffee trinkst, dann kannst Du ja nicht schlafen.“ „Umgekehrt“, stöhnte ich. „Wenn ich schlafe, kann ich keinen Orangensaft trinken. Je mehr Gläser Du in der Wohnung herumstehen lässt, desto mehr verteilt sich auch dieser Fliegenschwarm.“

Den Ritzen zwischen den Dielenbrettern entquoll ein Wispern. Es mussten inzwischen so viele sein, dass der Haushalt nicht mehr das Problem war. Sie planten längst, die Menschheit zu unterjochen. Meine Sprachkenntnisse würden nicht ausreichen, um mich mit ihnen zu verständigen. Ob sie mich am Leben lassen würden? Und wenn ja, in welcher Funktion?

Ich musste kurz eingenickt sein, jedenfalls verteilte Hildegard vorsichtig kleine Schälchen im Zimmer. „Essig“, presste sie hervor, während sie die Fliegenfallen balancierte. „Das soll helfen.“ Wem auch immer und wobei, das interessierte mich schon nicht mehr. Seufzend ging ich in die Küche. Wenn ich schon keinen Schlaf fand, dann würde ich wenigstens Kaffee finden. Ich klammerte mich an der Tischkante fest. Ein stechender Geruch wehte mich an. Unwillkürlich öffnete ich die Klappe unter der Küchenspüle. Mehrere angebissene Äpfel lagen dort im Verpackungsmüllsack, gut drei Tage alt. Schiller hätte seine Freude an ihnen gehabt, aber in seinem Pult hatte auch kein Fliegenkongress stattgefunden. Hildegard sah mir zu, wie ich die Tüte zuschnürte und zur Tür trug. „Das habe ich gerne“, rief sie. „Verreisen, aber den Müll nicht rausbringen!“





Mein wunderbarer Waschsalon

21 05 2014

Ich konnte den Joghurtbecher nicht einmal in den Abfalleimer werfen. „Dass Du immer alles wegschmeißen musst“, ereiferte sich Hildegard. „Nie denkst Du nach, das macht mich noch ganz krank. Den kann man doch noch verwenden!“ Ich seufzte und stellte mir vor, wie arme Chinesen mit dankbarem Staunen um einen auslöffelten Kunststoffbecher herumsaßen, der ihnen Licht und eine warme Mahlzeit verschafft hatte, wahrscheinlich sogar immerwährende Gesundheit und die Lottozahlen der kommenden Woche. „Sei nicht albern.“ Hildegards Mundwinkel klemmten sich gefährlich zusammen. „Den kann man doch noch sehr gut verwenden, wenn man beispielsweise Waschpulver abmessen will.“

Ich will kein Waschpulver abmessen. Ich benutze, Hildegard hätte es auf dem Küchentisch unschwer entdecken können, flüssiges Waschmittel. „Wie ich das abmessen soll, zeigst Du mir bitte.“ Sie fingerte ein bisschen am Becher herum. Offensichtlich hatte sie Abstraktionsprobleme. Vielleicht wunderte sie sich aber auch, dass Joghurt hierzulande nicht in Bechern mit geeichter Skala an der Innenseite verkauft werden. Wer hätte das schon ahnen können. „Jedenfalls haben die uns auf dem Lehrgang gesagt, dass – “

Wieder einer dieser beknackten Lehrgänge. Seminare, Wochenend- und Ferienkurse, in denen das Personal von Hildegards Schule von frei umhervegetierenden Deppen auf deren Niveau herabgezerrt wurde. Sie lernte von Homöopathie über alternative Einparkmethoden bis zum Häkeln für den Weltfrieden alles, was einen ganz normalen Menschen – mich nämlich, bis zu diesem Zeitpunkt wenigstens – in den geistigen Ruin zu treiben geeignet war. Diesmal also Sparen. Im Haushalt.

„Sie ist unsere Mentorin“, erklärte Hildegard. Die etwas graubraun angezogene Dame im Mantel stand starr auf der Türschwelle und wartete, dass ich sie hereinbat. Nichts dergleichen geschah, und Hildegard hätte das lange vorher wissen können. „Es ist der Praxisteil“, erklärte sie weiter, „ich will ja das Zeugnis haben, und da dachte ich mir – “

„Schalten Sie nur Licht an, wo Sie es brauchen“, ließ sich die Sparbeauftragte vernehmen. Instinktiv drehte ich das Licht im Flur ab. Sie war ja nicht eingeladen, und mir den letzten Nerv rauben konnte sie auch im Dunklen. „Heizen Sie hier etwa?“ „Nicht doch“, gab ich seelenruhig zurück. „Wir hatten Sie erwartet und schon mal einen Scheiterhaufen für Sie vorbereitet.“

Schon hatte sie die Küche betreten. Der Wäschekorb hatte ihre Aufmerksamkeit erregt, vermutlich, da er völlig leer war und zu allem Überfluss auch noch unter dem Küchentisch stand. „Sie erledigen Ihre Wäsche zu Hause?“ „Ich bin so frei“, gab ich zurück, „weil man ja weiß, dass selbst gemachte Wäsche erheblich preiswerter ist.“ „Aber denken Sie doch nur an die Stromkosten“, fuhr sie dazwischen. „Wenn Sie das aus Ihrem Haushalt rausrechnen, wird es erheblich preiswerter.“ Die Kosten, die eine Automatenmaschine verursachte, schienen für diese Finanzakrobatin offenbar gar nicht zu zählen. „Lenken Sie nicht ab“, sagte sie schnippisch, „oder wollen Sie mir erzählen, dass Sie mehr Energie sparen als ein Industriegerät?“ Ich stellte den Korb auf die Küchenspüle. „Mein wunderbarer Waschsalon“, antwortete ich lakonisch. Eine Flasche Spülmittel, ein Bimsstein, alles war da. Im Nu wurden die Hosen sauber. „Und wie trocknen Sie?“ „Wie Sie gesehen haben, ich laufe…“ Sie schüttelte nun selbst energisch den Kopf. „Nein, ich meine die Kleider. Man braucht doch mindestens 1400 Umdrehungen in der Minute in der Schleuder, um die Trockenzeit zu reduzieren.“ „Sie irren sich.“ Ich lächelte milde. „Nach dem Duschen habe ich früher die nassen Klamotten angezogen und bin in ihren um den Tisch gerannt. Das erspart natürlich gleichzeitig das Bügeln.“ „Und heute?“ Atemlos lauschte sie meinen Worten. Ich winkte ab. „Eine ungeheure Wasserverschwendung brachte mich zu Umkehr und Buße. Ich behalte jetzt die schmutzigen Kleider zum Duschen gleich an.“ Sie jauchzte vor Freude.

Inzwischen lief ich zur Hochform auf. „Wussten Sie eigentlich, dass Reif im Kühlschrank den Energieverbrauch erhöht?“ Sie schaute mich ungläubig an. Sofort drückte ich ihr einen Topfschwamm in die Hand. „Sie sollten täglich die Dicke der Eisschicht kontrollieren“, riet ich der Gästin. „Ab einem Zentimeter kann es sein, dass Sie bares Geld vergeuden!“ Wie eine Furie stürzte sie sich ins Eisfach – nicht, ohne dass ich schnell den Aquavit in Sicherheit gebracht hatte – und begann wie besessen zu wienern. „Das ist unser Kühlschrank“, sagte Hildegard betreten. „Meiner“, korrigierte ich sie. „Mein Kühlschrank, der sich, der Zufall will’s, in meiner Wohnung befindet. Und ja, ich hätte ihn heute sowieso abgetaut, aber Deine Bekannte ist so freundlich.“

Sie ging. Hildegard hatte einen ausgezeichneten Eindruck hinterlassen. „Und ich möchte nie wieder hören, dass ich Dich nicht ausreichend unterstütze“, ermahnte ich sie. „Schließlich habe ich Deine Dozentin mit einem Insider-Tipp ausgestattet, der echtes Geld wert ist.“ Hildegard war verstört. „Sie hat meinen Joghurtbecher. Beschwer Dich nicht, wenn Du das Patent anmelden wolltest, kommst Du zu spät.“





Der perfekte Haushalt

24 09 2013

„Sie hat die Stockflecken aus meinen Gardinen gekriegt“, informierte Anne mich. Ohne jeden Gruß stürmte Frau Gulbrandt-Apfelkern an mir vorbei, suchte und fand die Küche und nahm das Mobiliar in Augenschein. „Man kann die Schrankfronten einfach und preiswert mit bunter Klebefolie verschönern“, krähte sie. „Lila würde hier sehr hübsch hineinpassen, meinen Sie nicht?“ Anne blickte etwas hilflos. Vielleicht hatte sie bloß vergessen, dass die Küche gänzlich in schwarzem Schleiflack war.

Rasch wurde ich darüber in Kenntnis gesetzt, dass Frau Gulbrandt-Apfelkern eine eigene Kolumne in der hiesigen Tageszeitung hatte, genauer: sie stellt einmal im Quartal die besten Haushaltstipps zusammen und pflastert eine halbe Seite damit voll. „Du weiß doch, Kacheln mit Essig putzen, verstopfte Rohre mit Backpulver freispülen und so.“ Vor meinem inneren Auge erschien eine mittelalte, mittelmäßig gepflegte Dame, die mit dem Spaten Backpulver in ein verstopftes Klo schaufelte. „Wenn man ein Schnitzel brät, kann man gegen die Fettspritzer ein Spritzschutzgitter auf die Pfanne legen.“ Faszinierend. „Und wenn es zu stark raucht, legt man einfach ein Stück Papier auf das Spritzschutzgitter.“ Diese Haushaltseule schien es voll drauf zu haben. Ich griff nach einem Pfannendeckel. „Meinen Sie“, fragte ich skeptisch, „die Wissenschaft wird jemals herausfinden, was man mit diesen Dingern macht?“ Anne verkniff sich einen Kommentar.

Die Haushaltshexe steuerte bereits aufs Wohnzimmer zu und juchzte begeistert beim Anblick der Fensterbank. „Kunstblumen“, jubelte sie, „Kunstblumen! Die verstauben ja so schnell – man muss sie regelmäßig sauber halten, deshalb kann man sie auch in den Geschirrspüler – “ Ich zog die Stirn in gefährliche Falten. „Dies ist ein Ficus, und sollten Sie ihn auch nur zufällig berühren, werden Sie ihm in der Waschmaschine Gesellschaft leisten!“ „Aber wenn man ihn nicht regelmäßig säubert, kommen die Fliegen, und dann hat man das ganze Zimmer voll mit denen!“ „Mir egal“, gab ich ungerührt zurück. „Ich stelle immer zwei Untertassen auf, eine mit Whisky und eine mit Sand.“ Sie blickte mich ungläubig an. „Und das hilft?“ „Sicher“, antwortete ich. „Die Fliegen nippen am Whisky, dann werden sie betrunken, nehmen sich Sandkörner, spielen mit ihnen herum, bewerfen sich gegenseitig damit, und wenn sie richtig blau sind, merken sie gar nicht, dass ich mit der Fliegenklatsche hinter ihnen stehe.“

Irgendwie musste Anne erraten haben, dass die Sympathie zwischen mir und der Haushälterin nicht ganz ungetrübt war. „Du magst Sie nicht“, stellte sie fest. „Wie gut“, gab ich zurück, „dass Du es auf diese Art erfährst.“ Ich hatte schon ihren Friseur, ihre Putzfrau, mehrere Innenarchitekten, einen Stylingcoach und diverse Automechaniker über mich ergehen lassen, doch gab so schnell nicht auf. Würde ich ein Schloss tapezieren oder meine Fingernägel in extravaganten Violetttönen lackieren wollen, ich wäre ihres teilnehmenden Rates sicher. Günstig, dass ich kein Schloss besitze.

„Diesen Ledersessel hier“, erscholl es aus der Ferne, „könnte man mit Melkfett wieder wie neu hinkriegen.“ Ich war mit einem gewaltigen Satz im Arbeitszimmer und griff die Tipptrulla am Kragen. „Das ist Antikleder“, zischte ich, „und Sie werden innerhalb kürzester Zeit auch so aussehen, wenn Sie nicht auf der Stelle meine Wohnung verlassen!“ Sie putzte sich ein Stäubchen vom Ärmel. „Aber Ihre Bekannte hatte mir gesagt, dass Sie die Möbel nicht selbst putzen.“ Dies entspricht den Tatsachen; es entspricht ihnen auch, dass ich dazu zweimal im Jahr einen gelernten Polsterer kommen lasse. Sie ist eben Juristin und merkt sich eher unbedeutende Feinheiten als die Wirklichkeit.

Sicher würde sie mir gleich beibringen, dass Pflaumenmus noch besser schmeckt, wenn man die Pflaumen durch Erdbeeren ersetzt. „Mit einer ausrangierten Zahnbürste kann man noch sehr gut das Bad putzen“, sprudelte Gulbrandt-Apfelkern hervor, was mich sofort von einem Praxistest überzeugte. Die Zahnbürste war ohnehin fällig. Doch sie nahm mein Angebot nicht an und rannte kreuz und quer durch die Räume. „Stülpen Sie im Winter abends eine alte Socken über die Außenspiegel, dann müssen Sie morgens nicht das Eis vom Auto abkratzen!“ „Er meint Dich“, mutmaßte ich, „ich habe ja kein Auto.“ „Aber meine Rückspiegel sind beheizbar“, begehrte Anne auf. Es half nichts. „Damit die Fingernägel nicht brüchig werden, reiben Sie sie täglich mit kalt gepresstem Olivenöl ein.“ „Und wenn ich zwischendurch Klavier spiele, muss ich sie dann vorher einreiben oder hinterher? oder kann ich auch Fausthandschuhe verwenden?“ Frau Gulbrandt-Apfelkern blieb mir diese Antwort schuldig. Schlimm, wie unprofessionell diese Haushaltstypen heutzutage geworden waren. „Übrigens würde ich auch mal auf meine Hände achten“, riet ich ihr mit einem kritischen Seitenblick. „Bei strapazierten Händen hilft eine Packung aus vier bis fünf gehäuften Löffeln Haferflocken, mit kochendem Wasser übergießen und abkühlen lassen.“ „Das kannte ich ja noch gar nicht“, antwortete sie bewundernd. Ich drückte ihr die Zahnbürste in die Hand. „Wenn Sie gut sind – ich habe noch ein paar Tipps auf Lager.“





Am Boden zerstört

18 04 2013

Breschkes Finger deutete auf das schwerlich Übersehbare. „Das ist ein Fleck“, erläuterte er. Ich hätte die Verfärbung auf dem Teppichboden mit einem schwarzen Loch verwechseln können, aber nun herrschten Frieden, Sicherheit und allgemeines Einverständnis. Es handelte sich um einen Fleck. Das erforderte sofortiges Handeln.

Horst Breschke strich sich bedächtig durch den Schnurrbart. „Da in der Ecke sind sowieso noch zwei so kleine Stellen, aber das waren die Flecken von dem Holzleim.“ Sein Gedächtnis mochte ihm wohl einen kleinen Streich gespielt haben, denn die ominösen Stellen stammten vom vorletzten Winter, als der Pensionär den Versuch unternommen hatte, seine maroden Cocktailsessel wieder in Schuss zu bringen. Pummke & Bröhrmeyer hatten ihm darauf ein reizendes Sitzensemble zum Vorzugspreis geliefert, bordeauxfarbener Breitcord, wie geschaffen für ein Arbeitszimmer im zweiten Stock. „Jedenfalls kriegt man die nicht mehr raus“, erläuterte er. „Ich habe ja schon gerieben, aber das war nichts.“

Bismarck, der dümmste Dackel im weiten Umkreis, lagerte schläfrig auf dem weinroten Sessel und beäugte uns kritisch. Kein Grund zum Einschreiten, doch wachte er mit äußerster Genauigkeit über den Teppich. Schließlich kannte er die Auslegeware aus direktem Kontakt, und wer weiß, was er alles hätte erzählen können. Man soll Hunde nie unterschätzen.

„Wir haben es mit Kernseife versucht, mit Erfrischungstüchern, und schließlich hat meine Frau reinen Alkohol besorgt aus der Apotheke.“ Ich besah die Verfärbungen. „Und Sie haben es sicher zuvor gründlich abgesaugt?“ Er schüttelte heftig den Kopf. „Aber nein! Man weiß doch, dass diese modernen Geräte viel zu stark sind für die glatten Teppiche. Man ruiniert sich doch den Boden damit.“ Ich schüttelte den Kopf, doch er musste es gesehen haben. „Natürlich werden wir mit den neuesten technologischen Mitteln vorgehen, aber immer im Rahmen der Verhältnismäßigkeit.“

Den Teppich im Flur, ehemals altweiß mit luftiger Schlinge in reiner Schafschurwolle, hatte bereits die Gelegenheit, sich auf die neuesten technologischen Mittel einzustellen. „Meine Frau war ja erst dagegen.“ Bismarck rümpfte erkennbar die Nase, so weit ging seine Erinnerung doch noch. „Wir haben ihn mit zwanzig Pfund Sauerkraut abgerieben. Nicht ganz einfach, aber dafür war er hinterher weißer als zuvor.“ Die kleinen braunen Verfärbungen waren sicher der Tatsache geschuldet, dass es sich um Weinsauerkraut gehandelt haben musste. Oder hatten sie es mit Kernseife kombiniert? Ich wagte nicht zu fragen.

Stolz hielt er mir eine grellbunte Sprühdose ins Gesicht. „Meine Tochter hat da etwas gefunden.“ So fingen die meisten unheimlichen Geschichten an. Sicher würde seine Tochter bei einer ominösen Quelle aus dem Morgenland, bei den sieben Zwergen oder im Internet ein Bernsteinzimmer in Pulverform finden – bis dato hatte sie noch immer Dinge aufgestöbert, mit denen sich ein durchschnittlicher Haushalt innerhalb weniger Augenblicke in rauchende Trümmer verwandeln ließ. Bis auf die Veilchenpaste aus Gibraltar, die aber aus Zollgründen einen arabischen Aufdruck hatte, weil sie über Marokko aus Taiwan importiert wurde. Die Waschmaschine roch schon einen Waschgang später nicht mehr nach alten Handtüchern. Allerdings mochte dies auch daran liegen, dass es sich schon einen Waschgang später um eine neue Waschmaschine handelte.

„Dem Sprüehen isst gleichmäsig“, buchstabierte der pensionierte Finanzbeamte, während Bismarck bereits die Ohren spitzte. „Wenn die gleich Mässig, dann Flasche ist waagerecht und Presse auf kleines Knopff.“ Zur Vorsicht schüttelte er die Pulle ordentlich. Sicher ist sicher. Man will nicht ausschließen, dass sich die Flecklöser sonst in den Ecken der Flasche verkrochen hätten. „Und jetzt werde ich die Sprühspitze mit den roten Ventil – haben Sie ein rotes Ventil an der Flasche gesehen?“ Doch dafür war es schon zu spät. Wie aus einem Schaumlöscher quoll eine dickliche Masse auf den Boden. Bismarck schoss wie ein Berserker vom Sessel und verschwand durch den Türspalt. Er hatte recht, denn er hätte nicht unter dem Sprühschwall sein sollen, wie sich herausstellte.

„Es zieht verhältnismäßig schnell ein in den Teppich“, befand Breschke. „Dies Zischeln stört etwas“, antwortete ich, „allerdings stört mich dieser stechende Geruch doch noch etwas mehr.“ Er schüttelte den Kopf. „Wir sollten einmal kräftig durchlüften“, beschloss er und hakte die Fensterflügel auf. Unter dem Schaum, der sich langsam verzog, sah es bräunlich aus. „Keine Sorge“, beruhigte mich der Alte. „Ich hole nur rasch den Staubsauger. Das ist im Nu erledigt.“

Ein paar Bahnen mit dem Sauger, und die Schlinge löste sich schnell und spurlos. „Aber ich habe doch gleichmäßig gesprüht“, stöhnte Breschke, „woher kommen denn jetzt diese Löcher?“ „Sehen Sie es positiv“, ermunterte ich ihn, „nichts stört mehr den Blick – endlich sieht man das naturbelassene Gummi. Noch drei bis vier Dosen, und Sie haben hier oben einen hervorragend rutschfesten Bodenbelag.“ Breschke blickte mich an wie ein waidwundes Reh. Aber schließlich hatte er nicht einmal verkehrt gelegen, es war im Nu erledigt. Dieser moderne Staubsager leisten eben ganze Arbeit.





Gernulf Olzheimer kommentiert (CXL): Haushaltsschrott

24 02 2012
Gernulf Olzheimer

Gernulf Olzheimer

Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.

Ein sicheres Zeichen von Intelligenz ist der Gebrauch unbelebter Objekte. Der Elefant rüsselt sich mit Zweigen die Parasiten aus dem Dickfell, der Otter knackt seine Meeresfrüchte mit dem Stein auf dem Bauch. Der männliche Gelbnacken-Laubenvogel gar pinselt mit dem Blätterbusch seine Brutlaube in modischen Farben an – die Ergebnisse im Inneren des Plattenbaus sind selten besser. Vom Primaten, der in allem herumstochert, lernt der Mensch die ersten Waffen zu bauen, das, was ihn objektiv nicht zum wertvolleren Teil der Fauna macht, ihm aber das Überleben sichert samt Ansätzen der Zivilisation, zwanghafter Ausbreitung in lebensfeindlichen Breitengraden, Aufbau einer Kulturindustrie von zweifelhaftem Wert sowie Innenraumgestaltung seiner Wohnstatt mit Bett, Tisch, Auslegeware und, wie sollte es anders sein, Werkzeug, insbesondere das, was als gemeiner Haushaltsschrott seine Herkunft nur oberflächlich zu verleugnen in der Lage ist.

Nicht mit dem Stein knackt die Mehlmütze ihre Muscheln, der häuslich Eingerichtete nimmt das Messer, das zu diesem Behufe in vielerlei Form und Farbe greifbar ist: Austernmesser, Buttermesser, Obst-, Käse- und Buntmesser, Tisch-, Tranchier- und Ausbeinmesser, Taschen-, Klappmesser oder Tiefkühlkostsäge. Instinktiv vergreift er sich dabei in der vollgeschaufelten Schublade und bekommt nur das Lachsmesser mit rostrotem Kunststoffgriff in die Flossen, ein vorzügliches Instrument, um sich aus jedem beliebigen Winkel die Pulsadern der Länge nach zu öffnen, rutschig, angelaufen und immer kurz vor dem Durchbiegen der Klinge. Der Bekloppte hatte eigens zwei Dutzend Becher einer glitschigen Separatorenfleischzubereitung aus dem Kühlregal in seinen Verdauungstrakt gepfriemelt, um für die Treuepunkte auf dem Deckel einen aufblasbaren Kölner Dom zu erhalten; Dom war aus, Messer gab’s noch, und schon war der Schrank noch ein bisschen voller geworden. Wie die meisten Pfeffermühlen, Flaschenöffner, Ausgussstopfen und Dosierspender für Schnaps und Seife, so war auch dies Utensil der Ausfluss einer nie versiegenden Quelle für drittklassigen Industrieabfall, der als Werbegeschenk und Dreingabe unbescholtene Konsumenten in die Hirnembolie treibt.

Reinigungsbälle aus Weichplastik, die Wolle in der Waschtrommel vor dem Verfilzen retten soll, der Gummiringspender in Eichhörnchenform, ein japanischer Rasierklingenschärfer aus China, alles das bedarf ästhetischer Erklärung und Gewöhnung, verspricht viel und hält wenig. Die Taschenlampe mit dem Schwungrad, die batteriefreies Licht zu geben gelobt, ist in Wahrheit ein klobig in der Hand klebender Brocken, der nach mehrmaligem Herumschwiemeln an der wackeligen Mechanik trübselige Photonen in die Gegend hüstelt und der majestätischen Ruhe des Vergänglichen harrt. In der Sonne aufladbare Christbaumkugeln lichtern irr durch die Weihnachtsnacht, die ausziehbare Wäscheleine für den Urlaub frisiert mit wenigen Handgriffen ein Hotelzimmer zur täuschend echten Vergrößerung eines Spinnennetzes. Gemeinsam ist dem ganzen Plunder, dass der Erfolg kaum messbar ist oder anderweitig wieder aufgefressen wird: der mechanische Hacker mit der sensationellen Kurbel zerkleinert feste Nahrung im Handumdrehen und beschleunigt die Küchenarbeit enorm – vorausgesetzt, man hat einen Putzsklaven, der die stundenlange Reinigung des aus drei Dutzend Einzelteilen verschraubten Apparillos in Eigenregie fortführt. Weil das Zeug vordergründig als Arbeitserleichterung erscheint, kommt sich der Verwender maßlos clever vor, ist es aber nicht.

Während die Tischdeckenbürste hochfein die Krümel von der Tafel fegt, dafür aber bröselnde Borsten auf dem Damast hinterlässt, killt die im Lufterfrischer ausgebrachte Essenz in Zeitlupe den Kollegen Ficus. Der hinterhältige Krimskrams macht die Bude in nachvollziehbarer Zeit zu einem Feld des Grauens. Die trainierte Hausfrau ist in der Lage, mit Hilfe eines Wunderputzschwamms eine komplette Hochhaussiedlung dem Erdboden gleichzumachen. Die Tücke des Objekts tut ein Übriges, dass Schäden selbst durch sachgemäße Anwendung erfolgen können – splitterndes Plastik, rostende Metallteile, billiges Pressglas sorgen dafür, dass in jedem Centartikel eine Todesfalle lauert.

Denn der Haushaltsschrott ist hinterhältig; er hat sich auf vorrationaler Ebene mit dem Bewusstsein des Bescheuerten verzahnt. Die Ausläufer des Stammhirns in Richtung Impulsknoten signalisieren dem Querkämmer eine Frühform von Intellekt, so er mit Tütenverschlussklammer und Tubenquetsche seine kärgliche Existenz aufzumotzen sucht: der Widerstand nähert sich ε, der Krempel assimiliert den Bekloppten schneller, als Fruchtfliegen aus einem Pfund Pflaumen hinter der Küchenbank das Heim übernehmen könnten. Der Dummgnom tut in Verachtung seiner selbst weiterhin tapfer, als sparte er Strom, Wasser oder Zeit, stopft den Quark in die Schublade zurück und zückt ihn höchstens noch ein zweites Mal, wenn die wirkliche Gefahr lauert – verbissen redet er sich ein, das Ding müsse doch wie von Bedienungsanleitung und platonischer Idee vorgesehen funktionieren, und also legt er nochmals Hand an. Manchmal geht das gut, die Kunst der Neurochirurgie hat in den vergangenen Jahren große Fortschritte gemacht, wenn jedoch nicht, so bleibt ein Erdenrest, Trost zu spenden. Es bleibt ein Erbe von hohem ideellem Wert. Denn auch die nächste Generation will ihre Herausforderungen.





Das bisschen Haushalt

14 04 2011

„Und im Uhrzeigersinn… ja, sehr schön machen Sie das, Herr Breschke! Und jetzt stellen wir unsere Tube wieder ins Glas zurück.“ Herr Breschke ließ die Zahnpastatube in sein Zahnputzglas gleiten und schaute befriedigt auf das Arrangement. Elsemarie Knickel konnte stolz sein auf ihn. Keiner schlug sich so gut beim Junggesellenkurs.

„Und bitte jeder an seinen Platz!“ Die zwanzig Herren, meist mittleren Alters – der pensionierte Finanzbeamte wich etwas vom Durchschnitt ab – stellten sich hinter den Tischen auf, wo bereits ein Häufchen Socken auf sie wartete. „Das ist nicht schwer“, flüsterte Breschke. „Das macht meine Frau immer mit meinen, und ich habe ihr oft genug dabei zugeguckt.“ Immerhin hatte er zur Vorsicht zwei Plätze in Frau Knickels Kurs gebucht; die Anwesenheit eines erfahrenen Hausmannes war wohl doch nicht ganz verzichtbar. „Jetzt legen wir die beiden Socken zusammen. Wir nehmen uns eine Socke“, verkündete die Lehrerin, „und die zweite dazu – Herr August, bitte immer nur zwei gleiche, das sieht doch sonst nicht aus!“ Schon war Horst Breschke damit beschäftigt, die Socken ineinander zu stopfen: an den Zehen zusammengehalten, vom unteren Ende her aufgerollt und schließlich, ganz am Ende, wie eine kleine gestopfte Wurst in ein umgeschlagenes Ende der einen Socke gestopft. Elsemarie Knickel rümpfte die Nase. „Also Herr Breschke, ich muss schon sagen – bei mir lernen Sie so etwas aber nicht!“ „Das macht meine Frau aber immer so“, verteidigte er sich. Die Hausdame fühlte sich offenbar in ihrer Ehre angetastet. „Wenn ich etwas für richtig und wichtig in der Haushaltsführung halte, dann bringe ich Ihnen das schon bei! Legen Sie einfach die Socken parallel übereinander, das genügt.“ Sie klatschte in die Hände. „So, und jetzt wollen wir alle unsere Socken schön zusammenfalten. Herr Hupenmöller, wollen Sie uns das einmal demonstrieren?“

Breschke rollte seine Socken Paar für Paar wieder auf. „Wenn das meine Frau gewusst hätte, müsste ich diesen dämlichen Kurs nicht machen.“ „Es ist doch nur heute“, tröstete ich ihn. „Ihre Frau ist für zwei Wochen in Bad Lüngersheim an der Wippel, Sie schmeißen in der Zeit den Haushalt, und wenn sie von der Kur zurückkommt, können Sie ihr neu erworbenes Wissen gleich in die Praxis umsetzen und Ihrer Frau zur Hand gehen – wo sie es doch in letzter Zeit ständig im Rücken hat.“ Er murrte. „Wenn’s das mal wäre. Sie wird mich ja kaum lassen, schließlich traut sie mir das auch gar nicht zu.“ Ich wiegte bedächtig den Kopf. „Wollen sehen. Erstmal überstehen wir diesen Kurs, nicht wahr?“ Er lächelte, getröstet und ermuntert.

Vermutlich hätte es ihm den Haushaltskurs erspart, wenn seine Tochter nicht erst kürzlich beschlossen hätte, zeitgleich mit dem Kuraufenthalt ihre Küche zu renovieren; möglicherweise hing diese Koinzidenz allerdings auch damit zusammen, dass sie Breschkes aus einer Geschäftsauflösung fünfzig Liter eines patentierten Superdüngers besorgt hatte, den sie gleich an Ort und Stelle auf dem Rosenbeet aufbrachte. Der von Schwefelsäure verbrannte Boden ließ sich verhältnismäßig leicht ausbaggern, schon nach drei Tagen war der Garten wieder zu betreten. Die Nachbarn hatten ihre helle Freude an dem Schauspiel gehabt.

„Und bitte alle an die Bügeltische!“ Elsemarie Knickels Stimme durchschnitt die Luft wie ein stumpfes Messer einen klitschigen Kuchen. „Sie erkennen die Betriebstemperatur des Bügeleisens an der roten Lampe. Wenn die Lampe leuchtet, dann heize das Eisen auf. Sie nehmen nun das Eisen und…“ „Erlauben Sie bitte“, griff ich galant ein und nahm der Wäschefee das Eisen aus der Hand. „Sie sollten zuvor die Temperaturregelung erklären. Ihre armen Strohwitwer setzen ja das Haus in Brand, wenn Sie Kunstfaser auf höchster Stufe plätten.“

Die Herren bügelten, dass es seine Art hatte, vielmehr: sie legten die unschuldigen Oberhemden in allerlei kunstvollen Faltenwurf. Breschke kämpfte mit dem Glättautomaten. „Wie machen Sie das bloß“, jammerte er, „bei meiner Frau geht das so schnell, und ich habe noch nicht einmal einen einzigen Ärmel fertig.“ Ich zog ihn am Arm zu mir herüber. „Achtung, jetzt! Sie schaut gerade nicht hin, wir tauschen die Plätze!“ „Herr Breschke“, tadelte die Knickel, „Sie haben ja einfach schon mit den Geschirrhandtüchern weitergemacht – Sie warten ja gar nicht auf mein Kommando!“ „Ich bitte Sie“, tadelte ich. „So erledigen Sie also Ihre Bügelwäsche? Die muss umgehend erledigt werden, solange das Eisen noch heiß ist.“ Elsemarie Knickel hob den Zeigefinger, holte Luft und verstummte. Was sollte sie auch sagen. „Jetzt dranbleiben“, wisperte ich Breschke zu, „das Tischdecken machen Sie mit Links, und dann kommen die Kochübungen.“

„Wir nehmen für ein Spiegelei jeweils ein Hühnerei, ein wenig Margarine, Salz und Pfeffer.“ Frau Knickel hielt ein Ei in die Höhe. „Dazu zerlassen wir etwas Margarine in der Pfanne, sodann schlagen wir das Ei auf und…“ Ich stieß Breschke unauffällig an. „Da, macht Ihre Frau das etwa auch so?“ Er schüttelte den Kopf. „Dann los. Das ist unsere Chance!“ Der Alte räusperte sich, doch dann gewann er Oberwasser. „Frau Knickel, das geht so nicht. Sie müssen zuerst das Ei in eine Tasse…“ „Bitte was!?“ Er war entrüstet. „Ja soll ich denn Schale aus der Pfanne kratzen? Braten Sie zum ersten Mal im Leben ein Spiegelei!?“

„Perfekt“, lobte ich ihn. Sein Diplom als geprüfter Hausmann machte wirklich etwas her. Und es war auch gar nicht schade, dass wir nun gar nicht mehr die Unterrichtseinheiten Geschirrspülen und Staubsaugen genießen durften. „Eine Tasse Kaffee sollte uns guttun nach diesen Strapazen“, beschloss ich, „und dann machen wir es wie beschlossen: Wäsche samstags zu mir, bevor Ihre Frau kommt, wir einmal durchgesaugt und das Bad geputzt, und Sie laden mich dafür bei Bücklers zum Essen ein.“ Breschke nickte selig. „Genau! Männer müssen doch zusammenhalten.“