Gernulf Olzheimer kommentiert (CLI): Exotische Heimtiere

18 05 2012
Gernulf Olzheimer

Gernulf Olzheimer

Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.

Das sanfte, großäugige Rind war eine der ersten Kreaturen, die sich in die Obhut des allmählich sesshaft werdenden Jungsteinzeitlers begaben. Es versorgte ihn mit Milch, Horn und Dung, weckte erstmals den Wunsch nach materiellem Besitz und Tauschwirtschaft – pecus, das Vieh, steckt schließlich in pecunia – und blieb ihm, ob es nun wollte oder nicht, treu. Schaf und Ziege, Huhn und Schwein folgten der Kuh, größtenteils als Proteinlieferanten, die nebenbei Wolle, Federn und Leder gaben, Gestank und Getöse. Mit Hund und Katze überschritt der Hominide eine Schwelle vom Haus- und Hof- zum Heimtier. Hielt er sich die Kleintiere doch nicht mehr ausschließlich als Schnitzelreservoir, sondern wegen ihrer körperlichen und geistigen Fähigkeiten, dem Dieb die Gräten zu zermalmen, ob nun Mann oder Maus. Zum Dank beschenkten die Carnivoren ihn mit der Möglichkeit zur sozialen Symbiose, verteilten Haar auf Tisch und Bett und wurden unzertrennliche Gefährten. Doch der beste Freund des Menschen, sekundiert vom Stubentiger, er hat Konkurrenz jenseits von Kaninchen und Guppy. Das exotische Heimtier ist auf dem Vormarsch.

Zunächst ist der Exot auch nur ein ordinäres Statussymbol wie Goldkettchen und schräg in die Genetik gezüchtete Kampftölen. Der elitäre Pseudo lässt Warane in der Wanne paddeln, wer sich hart gibt, tut’s nicht unter einem Beutelteufel, Alligator oder einer Batterie Skorpione. Alle diese Arten haben eins gemeinsam, sie sind nicht für das fragile Ökosystem einer Einzimmerbutze im Obergeschoss eines Plattenbaus geeignet. Dass illegale Importe, die zum größten Teil auf dem Transportweg in die Biomasse wechseln, den Bestand im natürlichen Habitat dezimieren und unter handelsüblichen Bedingungen in Castrop-Rauxel nur wenige Wochen brauchen, um kompostierfertig zu werden, macht die Sache nicht angenehmer. Ein Tier aus den Tropen, so farbenfroh und bizarr es aussehen mag, ist vor allem als eines gut: als Tier in den Tropen. Weniger geeignet ist es für den Bekloppten, der nach einem Satz Springmäusen, einem Terrier und diversen Sittichen eine Tüte Taranteln kaputt spielt, wie er es schon als Arschlochkind krachend unter Beweis gestellt hatte. Artgerechte Tierhaltung ist ihm Schnickschnack, und er passt sich nahtlos in die Verdeppung der anderen ein, die aus Tradition den nachtaktivem Hamster im Laufrad in den Myokardinfarkt jagen. Hauptsache, ihr Spielzeug wummert von innen an die Gitterstäbe, da schmeckt die Freiheit für den Beknackten gleich doppelt süß.

Von einer Symbiose kann keine Rede sein. Schildkröten verbringen ihre teilweise erheblich lange Lebenszeit in aller Ruhe, sondern Faulgase ab und stoffwechseln reglos vor sich hin – was den Erlebnisfaktor angeht, wären Geranien für den Hobbyhohlrabi der schmerzfreiere Weg. Dumpf döst die Bartagame dem Nichts entgegen, reglos harrt das Chamäleon in seinem Glasknast, murkst sich ab und an zur Eigenbelustigung eine Mimese aus den Schuppen und rechnet nicht mehr mit dem Reptilienhimmel. Während verhandlungsfähige Kalkhirne den Absprung ins Bierdeckelsammeln schaffen, schwiemelt sich der Heimzoopopler seine eigene Rationalität zurecht. Hätte man nicht einen von den zehntausend zentralafrikanischen Nagern aus dem Container in die gute Stube gerettet, er wäre bei den Artgenossen in der Müllverbrennung gelandet. Welches fühlende Herz könnte das schon wollen? Andererseits, welcher Depp hielte sich einen potenziell depressiven Python in der Etagenwohnung, der sich bei normal arbeitenden Reflexen flugs über die Balkonbrüstung ins Straßenbegleitgrün abseilen würde, weil ihm der Besenginster-Beton-Mischmasch letztlich mehr Kuschelerlebnisse böte als glotzende Zweibeiner?

Das Geheimnis, warum sich Millionen geistig zurechnungsfähiger Steuerzahler einen Wauwau ins Wohnzimmer stellen, ist jenes Beziehungsgeflecht, das aus Spieltrieb und Freude auf beiden Seiten entsteht und nicht selten in der Vermenschlichung endet, an der Tierfutter- und Zubehörkonzerne eine Menge Kohle verdienen, ein frommer Betrug, der weder dem instinktgesteuerten Fressmechanismus schadet noch den Geschöpfen, die er sich hält. Nur, wie baut man eine persönliche Beziehung zu hüpfenden Insekten auf, die von ihrer Behausung nicht viel mehr als den Kalorienzugriff bemerken und einander anknabbern, wenn es sonst nichts zu tun gibt? Was tut man mit solchem Geziefer, als ihm beim Betreten und Verlassen dieses zweifelhaft beleumundeten Rotationsellipsoiden am Rande der Galaxie zuzusehen? Und was macht man, wenn die ganze Population simultan über die Wupper geht? Schabe fertig?

Trends bestimmen das Halten und Verhalten, war noch im letzten Sommer eine Strauchratte hip, so wird heute der Leasingleguan stracks auf dem Flohmarkt umgerubelt und in den Kaiman auf Kredit gepumpt. Wenn sich die Jüngste ein Pony wünscht, überlegte der Bekloppte früher kurz, wie man den Gaul im Garderobenschränkchen unterbringen könnte, und probiert es dann lieber mit einer Fußhupe. Zu normal, zu ordinär, der Proll aus dem Bausparerghetto kommt heute nicht mehr an und geht mit der Zeit. Wahrscheinlich wird er schon nächste Saison Quallenzucht in der Duschtasse betreiben. Hoffen wir, dass es die Reinkarnation tatsächlich gibt. Und wünschen wir ihm, dass er als Meerschweinchen wiederkommt. Immer wieder.





Des Menschen treue Freunde

14 07 2010

Sie warf sich quiekend auf dem Rücken hin und her, während die Hand sie am Bauch streichelte. Die Finger wanderten auf und ab, sie ließ ein lautes und inbrünstiges Schnurren ertönen. Anne konnte gar nicht aufhören, die Katze forderte immer mehr.

„Wenn ich es mir recht überlege, dann sollte ich mir auch eine Katze anschaffen.“ Ich blickte sie verständnislos an. „Ich will Dir ja nicht zu nahe treten“, begann ich vorsichtig, „aber hast Du noch in Erinnerung, wie das mit dem Alpenveilchen ausgegangen ist?“ Anne runzelte die Stirn. Offenbar war ihr nicht entfallen, wie sie es geschafft hatte, eine Topfpflanze, die als Raumschmuck für ihr Wohnzimmer dienen sollte, konsequent so lange zu ignorieren, bis das Ding, das immerhin auf dem fast leeren Couchtisch stand, braun und krustig in seine Bestandteile zerbröselte. „Ich habe doch gar nichts gemacht!“ „Eben“, replizierte ich trocken, „was erwartest Du denn? Dass der Bewuchs mit den Blättern wedelt, sobald Du Dich in der Nähe einer Gießkanne aufhältst?“ „Ein Haustier wäre eben einfacher“, murmelte sie kleinlaut. „Das würde irgendwann schon sein Recht einfordern.“

Vor meinem inneren Auge tat sich das Grauen auf. Mumifizierte Fische klebten am Boden eines ausgetrockneten Aquariums, an der Terrassentür haftete ein versteinerter Gecko, wie zufällig lag hier und da das Skelett einer Springmaus, ausgeblichen von jahrelanger Sonne, auf dem Perserteppich, während als letztes Anzeichen von Leben eine Myriade Schmeißfliegen im Sturzflug auf die Reste einer Dogge niedergeht. Selbst Sukkulenten kann diese Frau, da eine begabte Juristin, nur mit Hilfe einer Gebrauchsanweisung sowie strikt nach einem ausgeklügelten Bewässerungsplan versorgen. Das einzige Getier, mit dem sie fertig würde, wäre wohl ein ausgestopfter Saurus, für den es keinerlei Vorschriften zur artgerechten Haltung mehr gibt.

„Wenn Du wirklich der Meinung bist, dass Du ein Tier versorgen könntest, warum muss es dann ausgerechnet eine Katze sein?“ Es hatte fast den Anschein, als habe meine vierpfotige Gefährtin die Frage verstanden; mit runden Augen blickte sie Anne an, während ihr Schwanz unschlüssig hin und her peitschte. „Auf Katzen muss man nicht so viel aufpassen, einmal am Tag füttert man sie, und das reicht dann aus.“ Idigniert rümpfte die Katze ihr feines Näschen – sie musste tatsächlich jedes Wort begriffen haben – und sprang vom Sofa. Anne rasselte mit einer kleinen Dose voller Leckerchen, doch nicht einmal das schien die Empörte noch zu interessieren; mit stolz erhobenem Schweif schnürte sie davon.

Herr Breschke war zuvorkommend wie immer. „Da sagen Sie einen schönen Gruß von mir, und dass ich Sie als Hundehalter wärmstens empfehle.“ Bismarck, der mit Abstand dümmste Dackel im weiten Umkreis, hechelte mit heraushängender Zunge um Anne und wickelte dabei seine Leine mehrmals um die Stuhlbeine, so dass Anne beim Versuch, sich von Breschkes Küchentisch zu erheben, fast vornüber in die Teetasse gekippt wäre. „Ja, wo ist denn mein Kleiner“, flötete der pensionierte Finanzbeamte. „Momentan sitzt er unter meinem Rock und macht Männchen“, zischte Anne. Es hatte nicht den Anschein, als ob der Besuch bei einem Hundezüchter sonderlich großen Erfolg würde zeitigen können.

Shakira und Shalila kläfften ohrenbetäubend. „Die sind sehr zäh und viel widerstandsfähiger, als Sie denken“, schrie Konoppke. Die beiden Westies machten keine Anstalten, ihr lautstarkes Gebell zu unterbrechen; wütend schnappten sie nach Annes Hand, die sie ängstlich wieder zurückzog. „Die halten was aus, die können Sie auch bei jedem Wetter mit rausnehmen. Lieben die Tiere wirklich, kommen ja schließlich aus dem Hochland. Raues Klima, das mögen die. Deshalb auch Vorsicht mit zu viel Sonne. Können die ja gar nicht ab.“ „Und wenn ich im Sommer wieder in die Toskana – Du weißt, Staatsanwalt Husenkirchen hat doch dieses entzückende kleine Sommerhaus…“ Ich blockte ab. „Wenn Du meinst, ich hüte Deine töffeligen Terrier, während Du Dich in Italien sonnst, dann hast Du Dich gewaltig geirrt.“ „Aber ich bitte Dich, die sind doch klein und niedlich und schauen so süß aus!“ Die beiden niedlich bis süß ausschauenden Hunde geiferten gerade mein Hosenbein an und blafften sich heiser. Shalila, oder war’s Shakira? jedenfalls belferte das weiße Haarbüschel mit Spitzohren aus Leibeskräften, so dass ich einen knurrenden Laut ausstieß. Schlagartig verstummten die Welpen. „Und die sind doch so klein – schau mal, die sind so klein, dass Du mit denen nur einmal am Tag ganz kurz rausgehen musst.“ Konoppkes Kiefer klappte auf. Nein, es würde keinen West Highland White Terrier bei ihr geben, so viel war sicher.

Sie raschelte und schüttelte und machte jede Menge verdächtiger Geräusche: Anne hatte eine große Tüte voller Leckerlis besorgt und suchte in der ganzen Wohnung nach der Katze. Ich ließ sie gewähren, schließlich hatte sie eine Entschuldigung mehr als verdient. Drei volle Tage begegnete sie mir mit äußerster Distanz und ließ mich deutlich spüren, dass sie es als Zumutung empfand, den Inhalt der von mir geöffneten Dose zu verspeisen. (Einige Stunden später sah sie die Sache weniger dogmatisch und fraß die Entenpastete vollständig auf.) Da lag sie auf dem Sessel und tat unbeteiligt. „Ich dachte“, druckste Anne, „vielleicht kann ich ja an ihr ein bisschen üben. Einmal in der Woche, das würde mir dann schon reichen.“ „Wenn sie nichts dagegen hat“, antwortete ich lakonisch. „Wie wär’s denn sonst mit einem Alpenveilchen?“





Flohmarkt

8 07 2010

Er rüttelte sich, er schüttelte sich, er warf sein Jäckchen hinter sich – Herr Breschke zeigte an diesem Sommermorgen vollen Körpereinsatz bei seiner mobilen Morgengymnastik. Oben ruckte er den Schultergürtel und zuckte dazu mit der sichtlich angespannten Nackenmuskulatur, unten war er um Ausgleich bemüht, denn der Sinn und Zweck des Spaziergangs lief einen Schritt vor ihm, dann einen Schritt hinter ihm, meistens aber direkt zwischen seinen Beinen, so dass Breschke gar nicht anders konnte, als hin und wieder zu stolpern und über die Leine zu steigen, die er ihm immer wieder um die Füße wickelte: Bismarck, der bis dato dümmste Dackel, den die Stadt je gesehen hatte.

„Es ist fürchterlich“, jammerte der pensionierte Finanzbeamte. „Sie können sich nicht vorstellen, wie ich leide.“ Mitleidig fragte ich ihn, was denn geschehen sei. „Es muss eine neue Art von Flöhen sein, die sich Bismarck da eingefangen hat. Sie sind hinterlistig, denn ihn fallen sie gar nicht an.“ In der Tat schaute das Tier aus treuherzigen Augen zu mir auf, kläffte einmal heiser zu meiner Begrüßung und vollführte danach drei komplette Rundgänge um Breschkes linkes Bein. „Ich habe ja schon alles versucht, aber Sie wissen ja, man ist machtlos gegenüber diesem Ungeziefer.“ Zur Bekräftigung kratzte er sich aufgeregt unter der Achsel. „Haben Sie denn die Tiere schon einmal gesehen?“ Er schüttelte den Kopf. „Die sind doch viel zu klein. Außerdem weiß man ja, dass Flöhe so unheimlich weit springen können – bevor ich nach ihnen suche, hüpfen diese Biester natürlich von mir weg, setzen sich in die Ecke und kichern schadenfroh, wie ich die roten Blasen auf der Haut besehe. Hinterher kehren sie dann zurück, als sei nichts geschehen. So ein freches Pack!“ Drohend schüttelte er die Fäuste.

Ich schaute auf Breschkes Handrücken. Kleine Pusteln waren darauf zu sehen. Keine schwarzen Pünktchen, die Haut kaum aufgekratzt. „Das sieht mir aber nicht nach einem Floh aus, der hätte Sie da viel mehr malträtiert.“ „Es ist ja ein Hundefloh“, belehrte er mich, „der hätte mich nicht angefallen, wenn er nicht den armen Bismarck gleichzeitig als Opfer hätte – ich bin ja nur sein Ausweichquartier, sozusagen.“ Schon wollte ich mich am Kopf kratzen, unterließ es aber aus Vorsicht, denn sonst hätte mich Breschke am Ende noch für einen laufenden Flohmarkt gehalten. „Sie müssen aber unterscheiden“, gab ich ihm zu bedenken, „dass Menschenflöhe auch Hunde und Hundeflöhe auch Menschen anfallen, und das beim Hundefloh sogar recht wahllos – umgekehrt werden die meisten Hunde vom Katzenfloh gepiesackt.“ Er runzelte die Stirn. Vielleicht hätte ich, der sich von einer Katze halten ließ, auch das besser nicht sagen sollen.

„Da ist er ja“, stieß Horst Breschke durch die Nase hervor. Auf der anderen Straßenseite flanierte Doktor Hielscher mit seinem Cocker Spaniel vorbei. Das Tier schnoberte auf dem Gehsteig und ließ seine Ohren fast auf dem Boden schleifen. Der Medizinalrat a. D. lüpfte freundlich lächelnd seinen Strohhut. „Sein blöder Pinscher hat neulich an unserem Zaun geschnüffelt, der muss das Getier eingeschleppt haben!“ „Und Sie sind wirklich der Ansicht, dass das ausreicht, um sich mit Flöhen zu infizieren?“ „Aber sicher“, brauste Breschke auf. „Es ist doch der natürliche Zweck des Flohs, einen Hund zu finden – die Biester haben Bismarck sofort gewittert und sind über den Zaun gehüpft!“ Vor meinem geistigen Auge sprang ein Trupp Spähflöhe von Haus zu Haus, um bei Anwesenheit eines Dackels die Parole vom Gartenzaun herabzurufen. Die Fellreisenden, die auf dem Hund gekommen waren, hopsten vom Hund und stürmten die Bude.

Breschke rieb seine Schulterblätter im Janker hin und her. „Als wir noch öfter im Garten gesessen haben – da wohnte unsere Tochter noch bei uns – da haben wir immer einen Suppenteller auf den Boden gestellt mit Spülwasser und einer Kerze mittendrin. Die ganzen Insekten sind ins Licht gesprungen, und dann sind sie in dem Wasser ertrunken.“ Es musste seiner Erinnerung entfallen sein, dass er dies noch im vergangenen Jahr praktiziert hatte. Jedenfalls war Bismarck unbemerkt an den Teller geraten und hatte sich an dem kühlen Wasser, präsentiert wie in einem Nightclub, gütlich getan. Der in aller Eile herbeigerufene Tierarzt gab dem entkräfteten Hund, der hechelnd auf dem von Auswurf bedeckten Perserteppich in Breschkes Arbeitszimmer lag, einen ermunternden Klaps und schlug dem Halter vor, seinem Tier bei nächster Gelegenheit einmal Wasser ohne doppelte Fettlösekraft und frischen Limonenduft zu verabreichen. Ob sich das Getier in Breschkes Garten überhaupt darum gekümmert hatte, wusste ich nicht. „Ich bin seit Jahren Angler“, begann ich, „und da habe ich gegen die vielen Mücken ein gutes Rezept von einem alten Schotten. Soll ich es Ihnen verraten?“ Er nickte eifrig, und so fuhr ich fort. „Sie müssen die Arme ganz dünn mit schottischem Whisky einreiben. Dünn, verstehen Sie? Nicht übergießen! Dann nehmen Sie feinen Sand und streuen sich den auf die Oberseite“ – ich markierte, als hätte ich einen Salzstreuer zur Hand – „und jetzt kommen die Mücken, angelockt von dem Dunst, naschen von dem Whisky, worauf sie natürlich sofort besoffen werden, und beschmeißen sich gegenseitig mit den Sandkörnern, so dass man sie in aller Ruhe…“ Breschke hatte mir wohl doch nicht so aufmerksam gelauscht. Wie aus großer Tiefe kam seine Frage hervorgequollen. „Wer ist denn jetzt eigentlich dafür zuständig? Ein Internist oder ein Allergologe?“ „Am besten ist es“, gab ich zur Antwort und legte ihm beruhigend die Hand auf den Arm, „Sie gehen zu einem Entomologen.“

Frau Breschke war besorgt. „Nur ein einziges Mal habe ich seine Strickjacke mit diesem neuen Weichspüler gewaschen, und Horst ist ja so sensibel an der Haut – gleich hat er sich jeden Tag gekratzt und gescheuert, und richtige Quaddeln hat er bekommen an den Armen und im Nacken. Das ist aber auch ein chemisches Teufelszeug, was die da verkaufen!“ Ich riet ihr, die Jacke, wie sie es vorhatte, kräftig in einem milden Reinigungsbad durchzuspülen, damit nichts Reizendes mehr in den Fasern hängen bliebe. Eifrig wühlte sie in den Flaschen unter dem Waschbecken, um das passende Mittel zu finden. „Ob das geht? Ich nehme es manchmal für Seidenschals.“ Ich begutachtete das Etikett. „Durchaus“, sagte ich lächelnd. „Das geht bestimmt. Es ist ja schließlich Hundeshampoo.“





Gernulf Olzheimer kommentiert (XV): Tierhalter

10 07 2009
Gernulf Olzheimer

Gernulf Olzheimer

Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.

Der Weg zur geistig-seelischen Reife ist mit reichlich Tücken versehen. Manchmal sind es breit ausgebaute Nebenstraßen, die den ab Werk mit verschaltungsfähigen Synapsen ausgestatteten Hominiden daran hindern, Ottomotoren zu warten oder anorganische Chemie zu betreiben und in der Freizeit Mannschaftssportarten in der Glotze zu betrachten, wie es sich für Stützen der Gesellschaft nun mal gehört. Nicht alle können sich nebenbei der Reproduktion widmen, manchmal verweigern sie es auch aus eigenem Antrieb, und nicht immer endet ein erfolgreich abgeschlossener Akt der Arterhaltung auch im Bewusstsein ungetrübten Glücks, dass die Blagen unter Kalorienzufuhr, Nestverteidigung und pädagogischen Experimenten zu rechtschaffenen Steuerzahlern heranwachsen, die ab einem gewissen Alter auf Rat und Tat von ihren Erzeugern pfeifen und sich ihrerseits ans Werk machen, diesen Planeten in die Halde aus Verpackungsmüll, volkstümlichem Schlagergedudel und Minigolfplätzen zu verwandeln, für die ihm kommende Generationen liebend gerne eins aufs Maul geben würden, wenn er dann nicht schon Kraftfutter für die Madensippe wäre. Das Objekt, an dem der Beknackte seinen Brutpflegetrieb abreagieren könnte, schreit nach wahrhaftiger Existenz, und sei es nur in den Zwischenräumen der Hirnareale, die ansonsten Grobmotorik, Brechreiz und Wortfindungsstörungen steuern.

Der Bekloppte legt sich ein Heimtier zu, und damit hebt sich der Vorhang zum Trauerspiel. Von großen, feuchten Pinscheraugen und putzigen Kuschelkätzchen angezogen erliegt er einer Überdosis Kindchenschema, die den Beschützer in ihm weckt wie Spinnenbisse im Vorderfußbereich. Er regrediert auf die Stufe des Brutpflegers, Amsel, Drossel, Fink und Star, und gluckt fortan der Töle auf den Eiern herum. Geschickt schwiemelt er sich die Vorstellung zurecht, der arme Wauwau könne ohne ihn gar nicht mehr überleben – dass der genau umgekehrte Fall vorliegt, kriegt er nicht in seinen Hohlschädel geklöppelt. Leichtere Fälle kommen mit Einstiegsdrogen wie Mangas zurecht, schwerer Infizierte schlagen die Siebenzimmerwohnung komplett mit Knut-Tapeten aus, dass unvorbereitet eintretenden Besuchern spontaner Flokatiwuchs aus der Netzhaut fusselt. Ein Punktsieg für den Schlüsselreiz. Hat der Wahnsinn einmal den Fuß in der Tür, so beginnt er unverzüglich, den Verstand in entsorgungsfreudige Kleinteile zu zermarmeln.

Hat sich die unschuldige, arglose Bestie erst einmal den Gepflogenheiten der Menschenwelt angepasst, indem Minka und Bello mit sämtlichen Pfoten im Rührei stehen und die Frühstücksreste großflächig in den altweißen Velours eintrampeln, nachdem sie zwecks Fellpflege das Wasserbett besucht haben, so steht der feindlichen Übernahme der Mietsache nichts mehr im Weg. Zielstrebig wie die Hausstaubmilbe erobert sich das Knuddeltier sein neues Revier und degradiert den Tierhalter zur Staffage. Während der Depp evolutionär bereits in Richtung Zellhaufen tendiert, behandelt er seine Fellhäufchen mit manischer Vermenschlichung. Nassfuttermittelnäpfchen mit Aloe vera, Shrimps und aussterbenden Beutelsäugerarten landen bei ihm genau so unreflektiert im Einkaufskorb wie mit Plastekunstfell überzogene Kleinnager, die brummend über das Laminat schubbern. Container voller Kauknochen und Agilitytunnel schafft die Hundesteuer zahlende Knalltüte heran, Laserpointer und sonnenschirmfußgroße Ganzkörpervibratoren für die Schleichjägerin. Hauptsache, der Simpel am anderen Ende hat seinen Spaß. Und so sitzt Kitty tödlich gelangweilt vor dem als Kratzbaum verkleideten Kölner Dom in Originalgröße, riecht einmal an der Fleischabfallpampe, studiert ihre Krallen und beschließt, es dürfe gelacht werden, bevor sie die Stichwaffen erneut ins Wasserbett vergräbt, diesmal in deutlich genervter Manier.

Hat der Irrsinn sich methodisch durchs Dasein gefressen, so dass der Servicebeauftragte des Yorkshire-Terriers seinen angebeten Köter nur mehr ungern beim Urinieren aufs Elefantenleder der Designersofas stört, knipst Freund Wahnwitz die letzten Lichter aus. Der Bekloppte ersteht aus Schafschurwolle mit Lama gewirkte Pullover im Hochlandzopfmuster, um seinen Kläffer vor der Spätherbstwitterung zu bewahren. Schmerzfrei führt er seinen Bratschlauch auf Stummelbeinen Gassi, ungeachtet der Tatsache, dass er damit das Zeitkontingent für Fellpflege maximiert und den Stressfaktor des Wolfsimitats bis an die Grenze der Embolie treibt – kein Thema, er widmet sich nur zu gerne dem angespannten Tierchen und scheut nicht, sich bei Ableben seines Teddy-Ersatzes alsbald einen Neuwelpen zu besorgen. Sollte der Vierbeiner die Schmuseattacken langfristig überleben, dankt er es seinem Futternapfausspüler und Kloreiniger mit einem voll ausgeprägten Dachschaden inklusive Stoffwechselsouvenirs im Schuhwerk und Verlust der Beißhemmung. Zwei Bescheuerte finden zur symbiotischen Psychose. Mit Goldfischen oder Vogelspinnen wäre das nicht passiert. Die Evolution muss das Wasserbett vorausgeahnt haben.