Heimwerken. Ein Sonett

28 01 2018

für Robert Gernhardt

Man sollte viel mehr sägen, dübeln, bohren.
Das ist ein Beitrag, alles zu verbessern,
was sich mit Winkelschleifern und mit Messern
nicht lösen lässt, denn es ist bald verloren.

Uns kommt voll Wehmut je um je zu Ohren,
das Werken ist ein Werk schon von Vergessern,
die sich mit Wissen an dem Ding professern,
statt heiter murksen wie die reinen Toren.

Hier wird der Span genagelt an die Wände,
hier ist mit holder Anmut bald ein Ende.
Doch hält es für und für und bleibt ein Graus,

beleidigt die ästhetischen Gemüter,
Beständigkeit der allerersten Güter,
Hauptsache ist: es sieht recht scheiße aus.





Gernulf Olzheimer kommentiert (CCCLIV): Die Bastelsendung

25 11 2016
Gernulf Olzheimer

Gernulf Olzheimer

Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.

Nicht nur die Turnstunde, eherner Grundsatz der teutonischen Bildung und früheste Anleitung zum Sadomasochismus in charakterbildender Form, der Werkunterricht prägt ebenso das zarte Ich des noch unschuldigen Schülers, der sich nur mit Mühe an Laubsäge und Holzleim gewöhnt, Schraubzwinge und Schmirgelklotz, und unmissverständlich ist die Botschaft, die aus dem Geklöppel mit Spanplatte und Buntmetallabfällen tief in die Seele dringt: das Flickwerk ist reiner Selbstzweck. Allein der Homo fabricans, der sich aus Zeugs im engeren Sinne eine ganze Welt zusammenschwartet, kann es mit dem Philosophen aufnehmen, der Universen schafft nur aus Ideen. Was repräsentiert besser die Bereitschaft, in faustischer Manie stets das Neue aus Sperrholz und Klarlack zusammenzuschwiemeln, als die im Fernsehen tief verwurzelte Bastelsendung.

Das Programm für den Urgrund der Generation aus Kriegsheimkehrern, die sich lieber die Ohren abgeflext hätten, als ein erst dreimal gerissenes Gummiband zu entsorgen, lehrt die hohe Kunst, das Vorhandene in etwas Praktisches zu wandeln, völlig gleichgültig, ob man es auch gebrauchen kann. Der geübte Simpel stanzt aus Buchenspänen ein kleines Vogelhäuschen, erst danach wird ihm klar, dass er im elften Stock seines Wohnturms ohne Balkon das Gezumpel ausschließlich unter dem Küchentisch wird aufbewahren müssen. Aber darum ging’s ihm gar nicht. Der schnauzbärtige Onkel im gefährlich sauberen Arbeitskittel lötet und flanscht zu dödelig orgelnder Hintergrundmusik Fußbänkchen und spätgotische Türschilder, vergoldet Schmuckständer und Thermometerhäuschen aus der Sprühdose, und kaum hat er mundgelutschte Briefständer aus rein naturbelassenem Zement gefertigt, lässt er zur Obstschale aus einem Block Eiche die Axt kreisen. Auch hier bleibt eine weit gehend glaubensisolierte Botschaft, die man leider nicht mit blinkend auf die Mattscheibe gesupertem Achtung: Bitte nicht nachmachen! zumindest ideell aus dem Verkehr zieht, bevor sich fanatische Knalldeppen en masse mit Schlagbohrhämmern bewaffnet auf jedes noch so unschuldig aussehende Stück Pressspan stürzen und es bis zum Verlust der Muttersprache in Briefkästen zermeißeln.

Die ästhetische Sollbruchstelle fügt sich bestens in die ohnehin vorhandene Neigung einer durchaus selbstbewussten Bevölkerungsschicht, die den Wert einer Motorjacht in Nut- und Oberfräsen, Feilen, Spachtel und Druckluftschrauber ausgibt, um das Foto von Tante Trudi beim Fischerfest 1969 lotrecht an die Wohnzimmerwand zu dengeln. Jene Spezies an Bescheuerten hat sich längst vom pädagogischen Diktat der TV-Bricoleure emanzipiert, führt den Krieg mit Bordmitteln fort und verklinkert freihändig das Klo bis unter die Decke – sieht scheiße aus, überdauert aber einen Bombenabwurf. Längst ist die Industrialisierung dieses Zwangs fortgeschritten, die Heimwerkermärkte bejubeln, wie sich Do-it-yourself-Helden quasi in Planck-Zeit ganze Eigenheime versaubeuteln, und freuen sich an der ins Service-Gesende integrierten Bastelecke.

Hier treffen sich alte Bekannte wieder, und ein weiteres Nationaltrauma aus der analen Phase, die pathologische Beschäftigung mit dem Müll, wirft sich schnell das Trendmäntelchen des Upcycling über. Eine in bunte Latzhosen gepfropfte Trulla mit Säbelsäge und Bolzenschussgerät erklärt, wie man ein ausgedientes Nachtschränkchen mit einfachen Mitteln in einen Fusionsreaktor umarbeitet – der durchschnittlich behämmerte Zuschauer hat ja stets ein oder mehrere Truhen bei sich herumstehen, und rein gar nichts zu tun haben damit die Horden von Schwingschleiferschwingern, die im Halbdunkel marodierend über Sperrmüllhalden ziehen, um an einen Nachtkasten zu kommen. Vermutlich bietet der Fachhandel schon ein Set von Altmöbeln aus der Haushaltsauflösung und Elektrowerkzeug, Lack plus Schrottcontainer an, wenn der Tackermacker nach zwei bis zehn Tagen in die posttraumatische Belastungsstörung torkelt und den ganzen Driss en bloc in die Tonne treten will. Ein mühsam als Dialektik verkleideter Hirnschaden namens Shabby Chic, der abgeranzten Kruscht seiner Altersspuren halber für voll total angesagt erklärt, gaukelt dem Praktikus vor, sein windschief zusammengehauener Ramsch mit Farbnasen und Rost sei so peinlicher Bockmist, dass er allein um der Nachhaltigkeit willen schon wieder stylish und daher wertvoll werde. Aber auch hier geht es nicht um Vorbild und Nachahmung; hatte das weiland aus Kartoffelkisten gebollerte Teebrettchen noch einen Nutzen, die auf dekorative Selbstbespiegelung getrimmten Objekte im modernen Ratgeberschlonz sind lediglich Besitz und markieren die Grenze zur Sinnlosigkeit. Man könnte in den Schubladen vielleicht die erst dreimal gerissenen Gummibänder aufbewahren, bis im Dummfunk die Anleitung zur Schlafzimmerlampe aus silbernen Dichtungsringen droht, aber wen interessiert das schon. Zum Schluss kommt sowieso immer der Klempner.





Vernagelt und verbohrt

5 10 2010

„Mie müppen ba bie omere Kampe meppen!“ Es entzog sich meiner Kenntnis, warum Herr Breschke in der Küche seines Bungalows auf die unterste Stufe der Klappleiter geklettert war, um mit dem Zimmermannsbleistift einen einzigen Punkt auf den Putz zu setzen – einen Punkt, denn der reichte auch aus, Wasserwaage hin oder her, um dieses kleine Ölbildchen vom Speicher ungefähr in Augenhöhe an der Wand zu befestigen. Warum er den Bleistift zwischen den Zähnen balancierte, konnte ich nur ahnen. Vielleicht half es ihm, das Gleichgewicht zu halten, eine Handbreit über dem Boden.

„Das ist die Kirche von dem Dorf, in dem die Großmutter meiner Frau geboren wurde.“ Herr Breschke wusste es ganz genau. „Das muss gegen 1850 gewesen sein“, mutmaßte er. „In der Gegend um Liegnitz bauen sie oft solche Kirchen.“ Ich schaute auf das Bild, während Breschke schon wieder am Küchentisch zugange war. Rasselnd wühlte er den Grund des Werkzeugkastens auf. „Hier muss doch irgendwo ein Nagel zu finden sein?“ „Ihre Frau selbst stammte doch auch daher“, fragte ich des Interesses halber, „hatten Sie nicht einmal so etwas erwähnt?“ „Aus Ostpreußen“, strahlte er. „Deshalb treffen die sich ja jedes Jahr mit der Landsmannschaft der Karpatendeutschen. Früher sind wir zu Pfingsten immer mit den Niederschlesiern, aber der Streuselkuchen ließ mit der Zeit doch ein bisschen nach.“

Immerhin hatte er den nötigen Nagel gefunden. Den dünnen Stift zwischen die Zähne geklemmt klomm er wieder die Leiter empor. Leicht war es nicht, doch er schaffte es schließlich, an den Holmen vorbei die Linke mit dem Nagel und die rechte Hand mit dem unförmig großen Hammer an die Wand zu bringen; einfacher wäre es gewesen, er hätte sich auf eine Fußbank gestellt, noch einfacher, er wäre nur auf die Zehenspitzen gegangen. Allerdings hätte er gut auch aus dem Stand das postkartengroße Bildnis aufhängen können. Breschke widersprach heftig. „Das muss alles seine Ordnung haben!“ Er balancierte den viel zu schweren Hammer und wollte schon ausholen, als er noch einen letzten, prüfenden Blick auf den Stahl zwischen den Fingern sandte. „Wenn man das mit Geduld und Spucke und streng nach Vorschrift…“

Die Delle, die der stürzende Hammer in der Fußleiste verursachte, war nur bei sehr genauem Hinsehen noch auszumachen. Breschke schrie wie am Spieß. Ich hatte alle Mühe, ihm die krampfhaft an die Brust gepresste Hand zu entwinden und den lädierten Daumen unter den Wasserstrahl zu halten. „Jetzt wird es ja gleich besser“, tröstete ich ihn. „Sie sollten auch wirklich ein bisschen besser auf sich aufpassen, mein Gutester!“ „Bafür if per Mabel frumm“, jammerte er. Tatsächlich hatte er die Spitze mit einem gezielten Schlag zu einem ansehnlichen Haken geformt. „Wenn Sie noch etwas nachhelfen, schaffen Sie vielleicht einen rechten Winkel, dann bräuchten Sie gar keinen Aufhänger mehr.“

Allein, es war der letzte Nagel gewesen. Woher nun am Sonntagnachmittag einen neuen nehmen? Schon sah ich mich aufbrechen, da sah ich jenes gefährliche Flackern in Breschkes Augen. „Dann werde ich dieses verdammte Ding in die Wand dübeln“, presste der pensionierte Finanzbeamte zwischen den Zähnen hervor. Und schnurstracks stapfte er auf die Kellertür zu, riss sie auf und stolperte die Treppe hinunter. „Ich werde das Ding in die Wand dübeln“, keuchte er. Ein rhythmisches Quietschen setzte ein und quiekte sich polternd die Treppe empor. Ich kratzte mich am Kopf. „Meinen Sie nicht“, fragte ich ihn verwundert, „dass die Steckdose in der Küche ausgereicht hätte?“ „Das ist alles genau nach Plan“, japste der Alte. Und er zog die letzten Meter über die Dielenbretter das Ding in die Küche hinein, eine monströse Kabeltrommel mit fünfzig Meter Spiel. Ich hätte es mir denken können, das seltsame Gerät unter seinem Arm war jene Bohrmaschine, die Breschkes Tochter mitsamt anderem Elektrogerät für kleines Geld aus obskurer Quelle zu besorgen pflegte. Legendär blieb der Haartrockner, der sich bereits beim Öffnen der Packung in Kleinteile zerlegte, doch auch dies Ding sah nicht viel vertrauenerweckender aus. Breschke stöpselte den Stromanschluss in die Dose. „Jetzt muss ich sehen, wie ich ein Achter-Loch bohre, vielleicht erst mit dem Dreier und danach mit dem Fünfer?“ „Nehmen Sie doch zwei Vierer“, riet ich ihm, „dann müssen Sie nicht umspannen.“

Genau an dem kleinen Kreuz sollte der Dübel in die Wand – ein asthmatisches Sirren ertönte, dann knirschte sich die Bohrspitze durch die Tapete in den Putz hinein, Millimeter für Millimeter immer weiter vor, langsam und beharrlich, bis Breschke mit jähem Ruck vornüber in den Hohlraum drillte, bis sich die rotierende Spitze in eine anderes, nicht vorhergesehenes Hindernis fräste. Der Wasserstrahl traf ihn unvermittelt ins Gesicht. Breschke schrie wie am Spieß. „Das Wasserrohr“, brüllte er und schwenkte den Bohrer, „das Rohr ist angebohrt – was mache ich bloß?“ „Wo ist der Haupthahn“, fragte ich kurz entschlossen. „Im Keller“, gurgelte Breschke. „Im Heizungskeller neben der Schütte mit den…“ Das reichte mir schon aus. Im Nu war ich die Treppe herunter gehastet, schob die Stellage zur Seite und versuchte, das völlig eingerostete Rad zu bewegen. Plötzlich fiel es mir wie Schuppen von den Augen. „Breschke“, schrie ich, „legen Sie die Bohrmaschine auf gar keinen Fall in die…“

Schon drei Minuten später hatte ich mich durch das Dunkel der Kellertreppe wieder nach oben getastet. Herr Breschke kauerte auf der Leiter. „In der Küchenschublade muss die Taschenlampe sein“, wimmerte er. „Setzen Sie sich eine Stufe höher auf die Leiter“, wies ich ihn an, „dann wird’s für Sie ein bisschen bequemer, während ich einen Klempner organisiere.“ Er hielt noch immer das Rohr zu, fast wie der kleine Holländer, der mit seinem Finger das Loch im Staudamm stopfte. „Und wenn das Wasser jetzt mit solchem Druck herausschießt, dass es mich an der Hand verletzt?“ Besorgt schaute er mich an; wie ein begossener Pudel sah er ohnehin aus. „Da es sich um klares Wasser handelt, dürfte es kein Fallrohr sein. Und Ihr Haus liegt ja auch nicht unter dem Meeresspiegel.“ Das leuchtete ihm ein. Ich stellte die Taschenlampe auf den Boden und wandte mich zum Gehen. „Halten Sie den angehauenen Daumen dran, das kühlt.“





Gernulf Olzheimer kommentiert (LXIII): Hobbybastler

25 06 2010
Gernulf Olzheimer

Gernulf Olzheimer

Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.

Überall im Bereich des Lebendigen gibt es soziale Verbände, die ihr bisweilen hochkomplexes Durch- und Miteinander als Herde, Rotte, Rudel organisieren, bis hinauf zu den Primaten, erkennbar an einer charakteristischen Fertigkeit, die dem also Begabten die Pole Position verschafft dank eines evolutionären Vorteils: Nüsse knacken, Schlangen fangen, dem Endgegner unter den Fressfeinden mit geschicktem Einsatz intelligenter Verhaltensweisen derart in die Kauwerkzeuge grätschen, dass er seine Präferenz auf Moos und Butterblumen umpolt. Das sichert das Fortbestehen der Art, imponiert es doch dem Weibchen maßlos, wenn sich der maskuline Affe freihändig an den Darmausgang fassen kann.

Vieles hat die Phylogenese seither erledigt; die flächendeckende Körperbehaarung ist größtenteils verschwunden, die Schwimmhäute haben sich nicht durchgesetzt, der aufrechte Gang lässt sich bis auf wenige Berufsgruppen nicht mehr wegdenken, doch mit richtigem Zubehör setzt flugs galoppierende Resthirnverdunkelung ein. Denen, die nicht weit genug entfernt sind vom Lebensmittelpunkt eines Bescheuerten, bleibt nichts erspart. Fällt dem Dummlurch durch unglücklichen Zufall Hammer, Säge oder elektrisches Getier in die motorisch unsteten Hände, so ist es mit der Regression nicht weit. Sie begreifen die Welt um sich herum als Ansammlung bearbeitungsbedürftiger Objekte, schlimmer noch: sie halten sich selbst für geeignet, ebendiese Bearbeitungen vorzunehmen.

Einmal nicht aufgepasst, da ist der Torfschädel schon ausgerückt und hat sich im Heimwerkermarkt einen Satz rüttelnder, bohrender, jedenfalls Krach und Staub produzierender Maschinen besorgt, mit denen er zunächst der arglosen Bausubstanz seines Eigenheims im wahrsten Sinne des Wortes auf die Bude rückt. Kein auf Putz gelegtes Elektrokabel, kein in der Wand laufendes Fallrohr ist sicher vor der Brummapparatur, mit der der Bekloppte sich an tragenden Wänden entlang in Trance fräst, bis je nach Einsatz britzelnde Funken für apokalyptische Dunkelheit sorgen oder eine aus Vorverdautem und Brauchwasser verschwiemelte Jauche auf die trittschallverbesserte Cordrippfliese suppt, so dass das Haus nur noch mit schwerem Gerät betreten werden darf. Professionelle Heimwerker, denen Sinn und Verstand frühzeitig abhanden gekommen sind, verfügen über die Fähigkeit, mit nichts als einem Kreuzschlitzschraubendreher ein Hochhaus in rauchende Trümmer zu verwandeln – beim reinen Versuch, Türbeschläge zu befestigen.

Wo jegliche Einsichtsfähigkeit fehlt, weil sich die Bohrmaschinen schwingenden Blödblunzen für die Antwort auf Michelangelo halten, entstehen bisweilen Konstrukte seltsam surrealer Art, etwa, wenn sich Verwaltungsbeamte, denen nichts so gründlich das Schulzeugnis versaute wie der Werkunterricht, mit Knochenleim, Stichsäge und einer Rolle doppelseitigem Klebeband anschicken, die bis dato noch eher braungrau gestaltete Zwei-Zimmer-Küche-Bad-Behausung in ein Wimmelbild interessant angeordneter Kacheldessins zu wandeln, das neue Klosettbecken aus organisatorischen Gründen escherhaft an der Seitenwand neben dem Wohnzimmerschrank befestigt, während kryptische Kratzspuren dem mangelhaft Eingeweihten von Kämpfen auf Leben und Tod berichten, während der Freizeitwerktätige ja nur versucht hat, die versehentlich ausgehängte Tür des Küchenschranks nicht wieder seitenverkehrt zu befestigen. Namhafte Psychoanalytiker vertreten die Ansicht, Kafka habe sein verstörendes Œuvre überhaupt nur schreiben können nach der erniedrigenden Erfahrung des mit Muffenzange und Gewindeschneider um sich schmeißenden Maniaken, der sein Vater war.

Sei es so oder anders, die Gesellschaft nutzt es natürlich aus, denn der zumeist mit Y-Chromosom ausgestattete Phänotyp ist behämmert genug, den Einflüsterungen einer kompletten Industrie zu folgen und Kleinkredite aufzunehmen, um sich einen Satz Ratschen aus vernickeltem Titanstahl zu kaufen samt Drehmomentschlüssel, die ab sofort das Festdrehen einer Schraube, das ein gesunder Hominide im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte in sieben Sekunden mit Hilfe eines Taschenmessers erledigt, zu einer mehrstündigen Operation entarten lässt, deren logistische Anforderungen allein eine dreiköpfige Mannschaft beschäftigt, während der Rest der Hausgemeinschaft Verbandmaterial sammelt, die Gültigkeit der Hausratversicherung sicherstellt und hernach sich anschickt, nach dem Wohnblock den restlichen Stadtteil zu evakuieren. Sollte angelegentlich ein psychotisch anmutender Mensch mit einem kreischenden Akkuschrauber allen sich in den Weg stellenden Dingen – die Klasse der Dinge ist ja bisweilen geneigt, auch das zeitweilig Belebte als Dinghaftes zu sehen – Lack und Lebenslicht zerschmirgeln, so ist er ein Opfer der skrupellos vorgehenden Heimwerkermafia, die doofe, aber unschuldige Mulmhirne mit allerlei Firlefanz lockt und ihrem destruktiven Schicksal überlässt. Obwohl er es mit Sicherheit nur tut, um der Blonden von schräg gegenüber zu imponieren. Die Arterhaltung schlägt eben manchmal skurrile Volten und bedient sich komischer Werkzeuge.





Gernulf Olzheimer kommentiert (LXI): Möbel zum Selbstaufbau

11 06 2010
Gernulf Olzheimer

Gernulf Olzheimer

Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.

Das Leben ist Sediment, Strandgut, Staubfänger – wo immer das Erbeutete mengenmäßig zunimmt, stellt sich rasch die Frage, wo man den Schmadder griffbereit verstaut respektive so sicher versteckt, dass auch einfallender Besuch das Zeugs nicht auf Anhieb entdeckt. Kisten und Kasten erfand der von Lehmhütte bis Plattenbau sozialisierte Hominide, in einem Anfall kosmischer Energieverdichtung pfiff ihm für Sitzmöbel, Couchtisch und Garderobe eine schier endlose Folge von Geistesblitzen um die Ohren. Ganze Gewerke gründete der organisierte Mensch, die kunstvoll geschnitzte Bauerntruhen schaffen und sorgfältig gedengelte Stahlrohrsofas mit eierschalenfarbenem Polsterbezug, auf dem ein Kalkhirn seinen Rotwein verkippt, bevor er das Zeitliche gewaltsam segnen darf.

Neues aber kostet, und bis eine zwölfköpfige Schlepperbande das containerförmige Mahagoni-mit-Drahtglas-Ensemble für Wohnen, Schlafen und anschließende Erdbestattung in den sechsten Stock eines denkmalgeschützten, ergo aufzugfreien Palais gewuchtet hat, könnte man von deren Fuhrlohn bereits eine Vollausstattung mit Empire-Mobiliar vornehmen. Gespart muss ja sein, und schließlich bricht sich die Mutter aller Katastrophen Bahn: was der Handwerker zum Broterwerb in jahrelanger Mühe lernt, Begabung vorausgesetzt und Übung in der Folge vorhanden, das versucht der Bekloppte mit falsch verstandener Leidenschaft, Gottvertrauen und zölligen Nägeln nachzuahmen. Das Verhängnis lauert im hartnäckig verfolgten Irrglauben, dass jeder drittklassige Grobmotoriker mit Sandpapier und Stichsäge zum Sperrholz-Michelangelo würde, während doch in der trüben Wirklichkeit derartige Splitter- und Splattermanöver meist bloß enden als untauglicher Versuch, aus Bananenkisten und Bastelkleber das Bernsteinzimmer im Maßstab 1:23 nachzuempfinden. Allein der Beschränkte ist nicht lernfähig; und flugs wittert eine ganze Industrie Morgenluft: Möbel zum Selbstaufbau für die kleine Apokalypse zwischendurch.

In den Hochglanzkatalogen warten Beistelltisch und Bücherregal, in Möbelhäusern hat man als Gipfel des Perfiden Vitrinenbett und Klappschrank gleich fertig in die Gegend gestellt, um dem Bescheuerten den Sprung in den Abgrund schmackhaft zu machen. Mit dem Erwerb eines einzigen Stücks ist sein Schicksal besiegelt. Bereits die Bauanleitung, ein dem Sammelsurium der Teile beigelegtes Blättchen, löst psychiatrisch relevante Auffälligkeiten aus; die aus dem Altportugiesischen nach Gehör ins Krimtatarische übersetzten Laute werden von Blinden in glagolitischer Schrift in schmelzenden Schnee gekratzt, mehrfach gedreht sowie unter Auslassung jedes dritten Buchstaben ins Japanische übertragen – zuvor sorgt ein Team international anerkannter Linguisten dafür, dass der verantwortliche Mitarbeiter Katakana nicht von Fliegendreck unterscheiden kann, und schaltet zur Sicherheit die Beleuchtung aus. Jetzt kann nichts mehr schiefgehen.

Das Gebinde enthält mehrere Pressspanplatten, windschief versägten Müll in Buche geflammt, aus braungrauem Kunststoff gefertigte ominöse Objekte ohne Sinn und Bezeichnung, schließlich eine Tüte voller Schrauben, Nägel, Dübel, Haken und Ösen samt eines Tübchens Holzleim, das nur brachiale Gewalt wird öffnen können, so dass die verwertbare Menge an Kleber nicht ausreichen wird, um die Seitenteile A-14 und A-18 an der Bodenplatte F-3/b zu befestigen. Während die in der kryptischen, an verschwiemelte Felszeichnungen gemahnenden Bauanleitung aufgeführten beiden Hinterpartien offensichtlich in doppelter Stückzahl vorhanden sind, fehlen die Regalböden H-5 bis H-8, komplett oder wurden beim Packen von dressierten Hamstern mit den Beinen eines Barhockers verwechselt, die den Funktionsumfang des Möbels nicht wirklich aufwerten. Müßig zu betonen, dass das Streugut, das zum Verschrauben der Platthölzer dienen sollte, mit Hilfe der Zentrifuge eher zufällig in die Beutel katapultiert wird – wer die zum Innensechskant passenden Nirostastifte erwartet, wird mit einem hübschen Sortiment an Magnetdruckknöpfen und Steckstiften überrascht, mit denen der Mobiliarsch der geistig-moralischen Zerrüttung wieder ein Stückchen näher kommt.

Auch körperlich verlangt die Prozedur dem Aufbauopfer einiges ab. Hält der Bekloppte die linke Regalwand gerade, so neigt sich das rechte Pendant majestätisch zur Seite, kippt nach innen und eröffnet den Reigen der jeweils seitenverkehrt in den Wahnsinn treibenden Fallversuche. Die optimale Besetzung für diese gymnastische Übung wäre eine achtarmige Gottheit, die in ihrer Freizeit nichts Besseres zu tun hat, als versägte Bretter zusammenzukloppen. Kaum halten sich die Seiten, muss der Krempel umgedreht werden, um die Rückwand zu fixieren – der Verstand verlangt hier einen groben Verstoß gegen die Aufbauanleitung, die mit der Anzahl der verfügbaren Dimensionen nicht zu versöhnen ist – und besticht schon in dieser frühen Baustufe durch aparte Schräge orthogonal angedachter Konstruktionselemente. Wenig später hat der mit Kratzhieben abrutschenden Werkzeugs verzierte Außenkubus die Gestalt eines ordentlichen Gesellenstücks – wenn man sich das gerne in die Wohnung stellt, was einen Sargtischler im ersten Lehrjahr beschäftigt. Quellende Leimspuren zieren die Fuge zwischen den Einzelteilen G-4 und G-6, und spätestens hier sollte klar sein, dass G-5 ganz am Anfang, vor dem Annageln der Rückwand, vor dem Aufsetzen der umlaufenden Zierleiste, vor dem Annageln der Seitenwand K-33 hätte eingeschraubt werden müssen.

Rhythmisches Hacken lässt das Haus erbeben, bevor aus dem knisternden Feuer beißender Rauch quillt – der Bekloppte hüpft in konzentrischen Kreisen um das Autodafé und schaut dabei zu, wie seine sinnlosen Vorstellungen inmitten fleißig kokelnder Massivholzmöbel in Flammen aufgehen. Was muss auch jeder Depp Kisten und Kasten bauen wollen.