Hitler-TV

18 01 2022

„Blitzkrieg machen Sie mal in je zwei Folgen von Donnerstag bis Samstag. Als Event-Dreiteiler. Den Einmarsch der Alliierten senden wir aber am Stück, und verkaufen Sie bloß keine Werbung. Da schaltet unsere Zielgruppe eh ab.

Man muss ja sein Publikum im Auge behalten, sonst kriegt man das nie finanziert. Stalingrad ist gerade noch so an der Grenze, wenn Sie da zu früh sagen, dass die Planung schon scheiße war, dann sind Sie die Zuschauer sofort los. Kann man nicht machen. Das hat nichts mit historischer Bildung zu tun, Gott bewahre – denen können Sie erzählen, dass der Führer bei der Erledigung der Tschechei mit kleinen grünen Männchen gekämpft hat, das interessiert keine Sau – sondern ausschließlich mit dem Zeug, das die anderen Sender rausgehauen haben. Jahrzehntelang. Das prägt sich ein. Wenn Sie das nutzen wollen, viel Spaß in der Kurve.

Das sind schöne Aufnahmen, haben Sie davon auch längere Sequenzen? Natürlich kann man das immer wieder neu zusammenschneiden, aber davon wird eben die Geschichte nicht besser. Blondi ist nun mal ein schönes Motiv, da schaut man gern hin, aber immer diese Schnipsel – lassen Sie sich da mal etwas einfallen, und dann machen wir eine eigene Sendung, okay?

Deshalb ja Hitler-TV, da weiß man sofort, was einen erwartet. Markenkern und so. Und man kann das politisch verstehen, muss es aber nicht. Da sind wir in jeder Hinsicht offen. Man muss ja auch mal in die Zukunft denken, da keiner weiß, wie sich die Parteienkonstellationen hier in Deutschland verschieben werden. Am Ende kommt die große Erinnerungswende, dann muss man den Führer gar nicht mehr als das Böse betrachten, und wir können dann mit einem sehr differenzierten und nach allen Seiten hin relativistisch abgepufferten Programm unsere Jobs behalten. Oder überleben.

Natürlich kann man eine differenzierte Sicht auf die Dinge bieten, wieso? Schauen Sie mal, wir sind uns der gesellschaftlichen Verantwortung durchaus bewusst. Wir zeigen eine kritische Einordnung der Schulmedizin, auf der anderen Seite aber auch die Impfaktionen der SS. Daraus kann sich dann jeder Interessierte sei eigenes Weltbild zusammenbauen, mit dem er gut lebt. Vor Eigenverantwortung kann man sich nicht schützen, und das gilt nicht nur im historischen Kontext. Dafür leben wir ja derzeit in einer pluralistischen, toleranten Gesellschaft.

Übrigens ist dieses Konzept sehr entlastend für die internationalen Beziehungen. Das hören wir von den ausländischen Partnern immer wieder. Wenn Sie die Nachgeburten, ich meine: Nachgeborene fragen, die haben bei der Schuldfrage eine klare Linie. Das war alles Hitler. Und zum Schluss, so ab 1939, war das alles so kompliziert, da hat auch der Führer nicht mehr den Durchblick gehabt, darum musste man ihn auch mit wesentlichen Nachrichten von der Front verschonen. Wenn man der größte Feldherr aller Zeiten ist, kann das schon mal sehr kritisch werden, aber auf der anderen Seite weiß man dann auch, dass Hitler vom Krieg gar nichts mitbekommen hat. Er musste ja ständig Pläne von der architektonischen Umgestaltung der neuen Welthauptstadt Germania entwerfen. Wie kann man bei dem Arbeitspensum einen Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion führen? Genau. Und mit dem Argument sind wir sehr erfolgreich, wenn wir den Russen erklären wollen, dass Hitler gar nicht so schlimm war. Er hat ja quasi nur die Befehle der Industrie ausgeführt, und das machen so gut wie alle kriegführenden Nationen. Hitler war eigentlich ein klassisches Opfer. Da trifft es sich auch klasse, wenn man ihn heute in dieser Opferrolle kennen lernt oder auch interpretiert.

Ja, wir nehmen das über die Reichsflugscheibe ins Feiertagsprogramm, aber nur sehr spät abends. Das ist ja nüchtern gar nicht zu ertragen, und wenn Sie das auf den Nachmittag schieben, kriegen wir wieder Beschwerden von Wissenschaftlern. Aber Sie recherchieren das bitte ordentlich durch, ich habe keine Lust, dass wir wieder irgendwelche Bilder aus Norwegen zeigen und dann behaupten, das sei Neuschwabenland, verstanden?

Dass wir hin und wieder auch abseitige Themen integrieren, heißt noch nicht, dass wir beliebigen Verschwörungserzählungen Raum geben. Wenn wir die Untersuchung von Hitlers Schädel in Moskau in einem liebevoll gestalteten Mehrteiler zeigen, dann heißt das nicht, dass wir auch behaupten würden, er sei nach Argentinien geflohen. Wobei der Film schon ein paar Jahre alt ist, deshalb könnte man den durchaus auch im Nachtprogramm bringen.

Lesen Sie das mal auf den großen Stapel, ich sehe mir das nachher an. Wir kriegen ja eine Menge Fremdproduktionen rein, nicht nur diese älteren Filme, zum Teil ganz interessante Sachen. Das ist eine gewisse Erleichterung für unsere Arbeit, dass wir nicht immer nur dieselben Beiträge in Dauerschleife zeigen müssen, aber wir müssen da genau unterscheiden, was unseren Ansprüchen an Qualität und Zuverlässigkeit genügt. Antisemitische Hetze können wir selbstverständlich nicht dulden, das würde die finanziellen Mittel unseres Senders übersteigen. So eine Rechtsabteilung kostet auch. Aber man kann ja auch mal kontroverse Fragen aufgreifen, ob zum Beispiel Mikrowellenangriffe auf deutsches Erbgut real existieren oder ob ein Chemtrail-Angriff durch eine Geheimregierung rein technisch möglich wäre. Wir lassen das aber immer vorher juristisch absegnen, sonst wirft man uns am Ende noch vor, wir gehören zur Lügenpresse. Und seien wir mal ehrlich, könnte sich Springer das angesichts seiner aktuellen Auflagen leisten?“





Gernulf Olzheimer kommentiert (CDVIII): Irgendwas mit Hitler

6 04 2018
Gernulf Olzheimer

Gernulf Olzheimer

Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.

In Mosambik kann man abends die Glotze anknipsen und bekommt eine astreine Telenovela. In Litauen wird’s nicht anders sein, es hängt halt vom Anbieter ab. Auch in Österreich besteht noch Hoffnung, beschränkt, aber Hoffnung. In der BRD hockt man vor der Mattscheibe und drischt sich unmittelbar die schönsten Bilder aus dem Bunker in die Birne. Ohne Gnade wird jede Sendelücke mit dem Bettnässer aus Braunau verfüllt. Ob als Sand- oder Gasmännchen, Architekt und Kanzelredner, bis zum weißen Rauschen in der Rinde wird der Deutsche zu einer seltenen Form von Selbstverletzung angehalten, sieben Tage in der Woche, ständig, es gibt ja genügend Sender für den ganzen Müll. Wenn gar nichts mehr geht, geht immer noch irgendwas mit Hitler.

Vermutlich werden um den Gruselclown mit der Zahnbürste im Gesicht ganze Kulturlandschaften in die Geschichte gefräst. Anders ist nicht zu erklären, dass der Diktator sich zum Protagonisten eines ganzen Genres gemausert hat – die Wunderwaffe aus Archivdreck und pseudomoralischem Klarlack über den dialektischen Rissen treibt noch immer die Deppen auf die Couch. Religion und Sport müssen schweigen, wo das Geschwiemel über den Gröfaz jede Dino-Doku plättet. Sie haben die Zuschauer im Blitzkrieg um Marktanteile erobert, jetzt bauen sie eine Festung gegen den angeblich linken Zeitgeist, der sich auch nur noch mit Adolf abgibt, aber von der Unterseite.

Da Hollywood vor dem schreienden Scheitel nicht Halt macht, wurden wir langsam, dafür umso nachhaltiger konditioniert, auf die Wiederkehr des Braunen zu achten in vielerlei Gestalt. Manche Apokalypse des miserablen Geschmacks hätte man durch frühzeitiges Wegbomben noch verhindern können, doch die Brut hat im kortikalen Flokati die ersten Muster eingescheuert. Ein Volk, ein Reich, ein Guckreiz für die Schimmelhirne, die ihre tägliche Gleichschaltung nicht einmal merken.

Dabei ist die Sache doch ein ganz hübscher Wirtschaftsfaktor geworden, dem die Nation blendende Umsätze verdankt, immer neu verpackter Braunbrei in der alten Geschmacksrichtung für nachwachsende Generationen, deren Rezeptoren immer weiter gerundet werden, abgestumpft, ausgelaugt, so dass nur höhere Dosen helfen, mehr Brei, mehr Hitler in allen Variationen. Aus jedem Buch ein neuer Film, aus jedem Film ein neues Buch, das dann, ganz im Sinne einer historisch-unkritischen Aufarbeitung, wieder neu analysiert und eingeordnet und diesmal aber wirklich ganz und gar abschließend beschieden, wie der Führer seinen Pudding aß. Gäbe es für die Abhandlungen über bayerischen Brückenbau, die Schwanzlurche auf der Nordhalbkugel und die Geschichte der deutschen Damenmoden kein Marktpotenzial, mit Hitler und… wächst zack! dem Ding ein Barscheck aus den Rippen, Stoff für drei neue Folgen auf dem Spezialsender oder mindestens eine spektakuläre Headline in der Zeitung mit den dicken Buchstaben.

Manches aus diesem Mustopf wird gar als investigativer Journalismus verkauft, der muffelnde Unterton fix sandgestrahlt und überlackiert, schon steht das komplette Elaborat als stundenlanger Dokuseifenschaum der Schmodderanstalten im Nachmittagsprogramm. Wer dann Zeit hat, sich den Krempel in die Hirnrinde zu drücken, hat diese nicht ohne Grund. Einher geht mit der intellektuell eher schlicht möblierten Dachkammer auch eine Nähe zu zerfahrenem Synapsengebrauch: hätte der Führer Fisch gefressen, vielleicht wäre der Russe an der Elbe stehen geblieben. Der arische Aluhut, das ist mal sicher, wusste immer schon, dass wir in Stalingrad eigentlich gewonnen haben. Aber das darf man ja nicht mehr sagen.

Zumindest nicht in diesem, unserem Lande. In anderen Staaten geht man mit dem Nazi noch scheulos um: sie zeigen, dass es Arschlöcher waren, Schicklgruber inklusive, und pusten sie nicht auf zu Dämonen, die vom Himmel fielen, uns alle in den Untergang gezwungen haben, unter denen nicht alles schlecht war und die wir demnächst dringend wieder brauchen. Zum Aufräumen. Kein lähmender Bannstrahl trifft das Publikum. Es herrscht kein Bildverbot, davon abgesehen wird keine aus reinem Riefenstahl geschmiedete Farbkulisse hinter der Ostfront vorbeigezogen, keine Aufmarschmusik schmettert sich das Zäpfchen wund – diese wohlige Angst, dass das, was wir alle so gern wieder hätten, tatsächlich noch mal alle Maschinen auf Todestrieb umstellen könnte, diese Gänsehautkrankheit kennt nur der Deutsche, der sich höchstens noch dagegen wehrt, dass man seine Hitlerverehrung gleich als nationalsozialistisch auslegt. Er will die intimen Momente, die alltäglichen, in denen er Krieg und KZ ausblenden kann, ewigen UFA-Eintopfsonntag, menschelnden Kitsch im Säurebad. Karies aus der Tube. Der nette Drecksack von nebenan. Man sollte mal etwas machen, um ihm als Individuum näher zu kommen. Vielleicht ein Tagebuch.





Wenn das der Führer wüsste

16 04 2015

Ich kam gerade ungelegen. Oder das Telefonat. Während das Gemurmel im Großraumbüro langsam zu einem konturlosen Einerlei zusammenschmolz, jodelte das Telefon der Chefredakteurin schrill in die elegante Sachlichkeit des Büros. Noch immer hatte sie sich nicht daran gewöhnt. „Hitler TV“, schnurrte sie in den Hörer, „Heil?“

„Lassen Sie mich raten“, fragte ich mit sanfter Ironie, „Ihre Anwälte sind die Kollegen Sturm, Stahl und Heer?“ Ärgerlich wischte sie es weg. „Ich hätte auch den Mädchennamen behalten können, ja. Aber das war eben vor diesem Karriereschritt.“ „Immerhin gutes Marketing“, fügte ich trocken an. „Ihre Corporate Identity geht bis in die Führer-, nein: Führungsetage.“ Beate Heil biss die Zähne zusammen, ihre Stirnader schwoll merklich. Aber was kümmerte mich das.

„Wir haben irgendwann einfach eine große Chance gesehen.“ Der Sendeplan gab ihr recht. Sieben Tage die Woche, rund um die Uhr flimmerte der Irre mit dem Zahnbürstenbärtchen über die Mattscheibe. „Das Gute ist ja, dass man diese alten Materialien ganz nach Belieben neu recyceln kann, in jeder Reihenfolge, in jedem Zusammenhang.“ Und manchmal ganz ohne einen solchen. Das zeigte ihr neues Exposé. Hitler mit zwei Damen der Halbgesellschaft, lachend, scherzend, ernst und in einer Studie für einen inszenierten Wutanfall. „Wir würden gerne eine dreiteilige Charakterstudie über ihn als Mann machen.“ Ich runzelte die Stirn. Sie musste es bemerkt haben. „Natürlich als Mann im Sinne von Männlichkeit aus der heute gültigen gesellschaftlichen Perspektive“, schob sie hastig nach. „Machen Sie einen Aufsteiger aus ihm“, riet ich ihr. „Vom Männerwohnheim direkt in den Olymp der politischen Verantwortung, wo seine Sorge um das Reich zunächst nur sehr exklusiv bemerkt wurde.“ „Das hatte ich auch schon erwogen“, antwortete Heil gedankenverloren. „Man müsste nur mal sehen, ob es das nicht schon gibt.“

Das Logo des Senders bestand, verständlich, aus jenem bartförmigen Nasenauswuchs und der schräg hinabrinnenden Scheitelsträhne. Ein bisschen albern sah das schon aus, vor allem während der Nachrichtenmagazine. „Dabei berichten wir streng neutral“, betonte die Chefin. „Wenn irgendwo Flüchtlingsunterkünfte brennen, bringen wir das als erste Meldung, und wir finden es natürlich ganz schlimm.“ „Verstehe“, nickte ich. „Erst beim Reichtagsbrand wird’s dann patriotisch.“

„Aber vielleicht sind Sie ja doch interessiert, uns ein wenig kreativ unter die Arme zu greifen.“ Ich stellte mir gerade vor, sie bekäme den rechten nicht mehr schräg in die Höhe – eine leicht abgewinkelte Geste ad usum Adolfini wäre mit großer Mühe noch drin – und müsste sich stützen lassen. Aber es handelte sich dann doch nur um ein mehrteiliges Skript über die alltäglichen Gewohnheiten des Gröfatzke. „Sie kennen sich doch damit aus“, lockte sie. „Vegetarische Ernährung, Mehlspeisen, Pudding – ich möchte damit nicht etwa ein neues Feindbild aufbauen, aber es dürfte für zwei bis drei Folgen schon so aussehen.“ „Gandhi“, gab ich zurück, „war übrigens auch Vegetarier.“ Sie schüttelte es ab. „Aber das ist nun mal nicht unsere Zielgruppe. Hier will der deutsche Spießer seine Faszination für Hitler ausleben, notfalls auch unter Schmerzen.“

Die Tür quiekte. „Die Serie mit den Autos wäre dann fertig.“ „Vier Folgen“, informierte Heil. „Viermal fünfzig Minuten. Das wird natürlich kein Zuckerschlecken, denn welcher Autohersteller wird schon sein Fabrikat mit Adolf bewerben wollen?“ Ich kratzte mich am Kinn. „Da fiele mir spontan der eine oder andere ein.“ Sie winkte ab. „Keine Chance. Dazu sehen die uns als Spartensender.“ Die Auflistung der Geldgeber belehrte mich rasch eines Besseren. „Wir hängen es nicht so an die große Glocke, aber es gibt noch ein paar national gesinnte Konzerne in Deutschland.“ Sogar die vegetarischen Lebensmittel dürften für vier Folgen reichen.

„Wir sehen uns als Gesamtkunstwerk“, dozierte sie. „Hier mal ein bisschen Fernsehen, da das ehemalige Nachrichtenmagazin – die Deutschen wollen nicht immer nach den Inhalten suchen. Wir bieten den gebündelten Hitler, und ich möchte das nochmals in aller Deutlichkeit sagen, dass…“ „Ich weiß.“ Sie versuchte es gar nicht erst. Da sich der Sender größtenteils über den Devotionalienhandel finanzierte, erübrigte sich die Diskussion.

Doch sie ließ nicht locker. „Wir wollten ja eigentlich eine echte Vorabendserie“, begann sie schmeichlerisch. „Und da hatten wir an Sie gedacht. Fällt Ihnen nicht etwas ein?“ „Eine Telenovela über diesen Psychopathen?“ Sie hob abwehrend die Hände. „Wir wollten vielleicht vorerst nur die Tagebücher verfilmen, aber wir haben noch keinen gefunden, der die Sache finanziert.“ Ein Fleischproduzent schwebte mir vor, oder aber ein Rüstungskonzern.

Im Großraumbüro murmelte es weiter vor sich hin, ein endloser Strom des Vergessens. Vielleicht würde es sich versenden. Oder Guido Knopp könnte seine Rente ein bisschen aufbessern. Eine leicht hysterische Stimme fragte, wer denn den totalen Krieg wolle. Aber da kam auch schon der Fahrstuhl.





Hundpropaganda

27 03 2010

für Robert Gernhardt

Ferienbilder: viel, davon die
meisten zeigen ihn mit Blondi,
da der Führer, wo er schlurfte,
selbst der Führung oft bedurfte.

Dass das Tier jedoch Gewissen
hatte, glaubt man nicht notwendig,
denn sonst hätte Blondi ständig
Hitler in den Arsch gebissen.