Alles auf Zucker

13 11 2019

„Einundzwanzig, zweiundzwanzig, dreiund… heiliger Bimbam, jetzt kann ich mit dem ganzen Mist noch mal von vorne anfangen! Wie oft habe ich der Klinikleitung gesagt, bei Lungenentzündung nur bis zu zehn mal C20, sonst muss ich meine Brille aufsetzen!

Sie müssen gar nicht so gucken, wir sind eine ordentliche Klinik, mal abgesehen von meinem Schreibtisch, aber sonst ja. Die Landesregierung hat uns die Zulassung gegeben, und jetzt machen wir hier einen Langzeitversuch. Ursprünglich sollten die homöopathischen Mittel nur als Alternative zu Antibiotika getestet werden, jetzt haben wir uns entschlossen, grundsätzlich auf schulmedizinische Medikamente zu verzichten. Das ist nicht ganz so einfach, wie es sich kompliziert anhört.

Zunächst finden Sie mal die richtigen Ärzte dafür. Also nicht, weil es nicht genügend Ärzte geben würde, die an Homöopathie glauben. Es gibt ja auch Leute, die haben einen Schulabschluss und können sich die Schuhe zubinden und wählen dann trotzdem Nazis. Aber wenn Sie im Studium gelernt haben, dass man einem Patienten in der Klinik die richtigen Tabletten gibt mit Wirkstoffen und so weiter, und dann müssen die hier auf Globuli umsteigen, dann wird das schon schwierig. Wir sind hier nicht beim Allgemeinarzt, wo man den Leuten gegen 11.000 Symptome Schwefel geben kann und dann einfach nur warten muss, ob sie es halbwegs überleben oder gleich zum richtigen Mediziner gehen. Wenn hier ein Patient mit Herzinfarkt eingeliefert wird, müssen Sie erst mal überlegen, ob Sie den adäquat versorgen können. Vor allem bei akuten Schmerzen wird das schon mal komplex. Da kommt nicht nur der Patient an seine Grenzen. Und wenn Sie den hinterher noch operieren sollen, dann haben Sie ein Problem. Nicht, was Sie jetzt denken, OP-Säle haben wir hier, genug Personal vorhanden, alles gut. Aber wie kriegen Sie so eine Narkose mit Zuckerkügelchen hin?

Noch eine Schwierigkeit haben wir bei der Anamnese. Um das richtige Mittel und die korrekte Dosierung zu finden, müssen Sie ein paar Fragen an den Patienten stellen, also Senkfüße, Nachtschweiß, Ernährungsgewohnheiten. Und dann kriegen Sie einen Notfall rein, der sich beide Beine an der Kettensäge abgetrennt hat. Senkfüße können Sie da schon mal ausschließen, aber dann wird es richtig kompliziert. Sie müssen den ja irgendwie richtig therapieren. Dass er garantiert nicht zwischendurch zum richtigen Mediziner läuft und sich eine zweite Meinung einholt, ist auch nur ein schwacher Trost. Irgendwas müssen Sie da machen, also geben Sie nach Möglichkeit eins von diesen Allheilmitteln. Schwefel, Sepia, Kochsalz. Brechnuss ist auch sehr beliebt, Faustregel: wer kotzt, ist noch nicht tot. Also alles auf Zucker.

Was die Theorie angeht, wir sind da heute schon viel weiter als noch vor ein paar Jahrhunderten. Die haben damals noch geglaubt, dass man sich eine Infektion holt, wenn man an sich herumspielt. Das ist natürlich Unsinn. Wir wissen heute aus der anthroposophischen Literatur, dass man nach einer Impfung die Lebensenergie schädigt und dann ein paar Inkarnationen später hinkt. Oder zum Lispeln neigt. Oder Schwindsucht bekommt.

Das nächste Problem sind die Beschriftungen. Wir hatten neulich den Fall, dass wir dem Patienten mit chronischem Magengeschwür die Globuli von seinem Zimmernachbarn gegeben haben. Der war wegen eingewachsener Fußnägel hier. Gut, gewirkt hat beides nicht, also kann es ja so schlimm nicht gewesen sein, und die Fußnägel sind ihm auch nicht spontan eingewachsen. Aber was soll’s, wir hatten die Unterschrift, und das war’s.

Wenn es schief läuft, können wir das mit der richtigen Dosierung von Brechnuss auch wieder rückgängig machen. Dabei wird eine fehlerhafte Gabe von Schwefel oder Kochsalz einfach aus dem Körper entfernt. Da war zwar vorher auch nichts drin, aber sicher ist sicher. Wenn so ein Patient vom richtigen Arzt wiederkommt und aus Versehen die richtigen schulmedizinischen Medikamente in der richtigen Dosierung eingenommen hat, dann wird der hier kurz geblitzdingst, und dann machen wir da weiter, wo wir vorher aufgehört haben. Falls wir den wiederkriegen.

Das macht ja auch unsere Studie so schwierig, wir können nicht genug Fälle zu Ende behandeln. Die meisten gehen uns zwischendurch verloren, ein paar haben irgendwann eine Fehldosierung oder wir kriegen die Globuli durcheinander und dann wissen wir am Ende nicht, ob die Ergebnisse stimmen. Dass die Patienten dabei zufällig überleben, das ist ja ganz schön, aber das wussten wir vorher halt auch schon.

Sagen Sie es nicht weiter, aber wir arbeiten hier heimlich an neuen Wirkstoffen. Es werden ja immer mal wieder Krankheiten entdeckt, die sich nicht mit den alten Mitteln kurieren lassen, deshalb müssen wir uns neue Wirkstoffe überlegen und probieren die dann an unseren Patienten aus. Das darf aber natürlich niemand wissen, weil die Medikamente noch nicht zugelassen sind. Offiziell sind in den Globuli Quecksilber oder Petroleum, also nur ganz harmlose Sachen, aber manchmal fällt aus Versehen schon mal eine Kopfschmerztablette in den Tiegel. Also nur, wenn es passen könnte. Zum Beispiel bei Patienten mit Kopfschmerztablettenvergiftung. Ein paar Antibiotika haben wir auch im Kühlschrank, falls es mal zu Zwischenfällen kommen sollte. Aber das haben Sie nicht von mir!

Oh, ein Notfall. Entschuldigen Sie mich bitte, ich muss den Würfelzucker suchen.“





Patentrezept

28 09 2016

Er sah wirklich bemitleidenswert aus, wie er sich am Gartenzaun festhielt. Horst Breschke schniefte und keuchte. „Das ist der kühle Sommer dieses Jahr“, jammerte er, „würde er nicht so lange dauern, ich hätte mich nie erkältet.“ Ein gewaltiger Nieser schüttelte den Alten durch. Keine Frage, hier war medizinische Hilfe vonnöten.

Willig ließ sich Breschke die Kastanienallee entlangführen, zwischendurch mehrmals kräftig ins Taschentuch schnaubend. Einmal musste er sich noch am Zaun abstützen, die übrige Zeit hatte ich ihn am Arm. „Meine Frau hatte es vergangene Woche“, teilte er mir mit heiserer Stimme mit. „Aber bei ihr ist es schneller abgeklungen, sie ist ja gerade bei unserer Tochter zu Besuch.“ Die Vermutung lag nahe, dass vor allem seine aktuelle Lage als Strohwitwer zwar nicht zum Ausbruch der Krankheit geführt, ihr wohl aber den Weg geebnet hatte. Im vorigen Jahr hatte der pensionierte Finanzbeamte volle zehn Tage lang auf der Couch geschlafen, lauwarmen Tee getrunken, kaum den Garten aufgesucht, obwohl es im Haus nicht eben kühl war dank der Julitemperaturen, und er hatte nur jeweils einmal einen kurzen Gang vor die Tür gewagt, wenn Bismarck ihn lange genug vom Flur aus angeschaut hatte, weil er einen ganzen Tag lang warten musste. Die Krankheit fühlte sich offenbar recht wohl in Breschke, und es schien mir, als wäre es umgekehrt wohl halbwegs auch der Fall.

„Da ist es“, befand er, und ich kam nicht umhin, ihm sofort zu widersprechen. „Doktor Klengel ist doch schon seit Jahren nicht mehr hier“, erklärte ich mit Blick auf das neue Türschild. Die Kinderärztin im ersten Stock würde ihn sicher nicht behandeln, und im zweiten Stock saß die Nachfolgerin unseres aus Altersgründen nicht mehr praktizierenden Allgemeinmediziners. „Sie wollen doch wohl nicht…?“ „Aber es ist doch seine Praxis“, beharrte Breschke, „und wahrscheinlich werden sie alle Akten behalten haben, da kann ich doch nicht so einfach zu einem anderen Arzt gehen.“ Ich seufzte auf. Dann eben zur Heilpraktikerin.

Das Wartezimmer war angenehm leer, wir mussten nur knapp eine halbe Stunde warten, bis Frau Trummschneider uns hineinbat, das heißt: Breschke bat sie, mich nahm sie mit knirschenden Zähnen hin, weil der Alte darauf bestand. Bestimmt hatte sie sich noch einmal ordentlich auf den neuen Patienten vorbereiten müssen – die Klangschalen mit linksgerührtem Mondwasser desinfizieren, die Fichtennadeln in konzentrischen Kreisen rund um die Badewanne auslegen, alle Globuli nach Größe und Geschmack sortieren – und schien jetzt für jede lebensgefährliche Krankheit gerüstet. „Schlafen Sie nachts manchmal schlecht“, fragte sie. „Und ob“, hüstelte Breschke. „Ich lutsche vor dem Einschlafen noch mal ein Halsbonbon, aber…“ „Ich meine“, unterbrach sie ihn gereizt, „ob Sie generell schlecht schlafen?“ Unser Patient schien die Anamnese nicht so recht zu begreifen. „Da müssen Sie meine Frau fragen“, antwortete er, „sie kriegt davon mehr mit – ich schlafe ja meistens die ganze Nacht.“ Ich sah mich im Zimmer der Wunderheilerin um; auch hier war der vertraute Pillenschrank, und ich meinte, es hätte sich sogar um das von Klengel nachgelassene Möbel gehandelt. „Geben Sie ihm doch einfach etwas zur Linderung“, regte ich an, „dann sind Sie uns schnell wieder los. Und ich sorge auch dafür, dass er sie nie wieder aufsuchen wird.“ Sie rümpfte die Nase. „Wie stellen Sie sich das vor“, murrte sie. „Es gibt doch kein Patentrezept gegen Krankheit, ich muss zuerst seine spezifische Situation in Erfahrung bringen, ob es derzeit Faktoren gibt, also nicht seine Frau, die…“ „Wir haben einen Hund“, unterbrach Breschke schüchtern.

Trummschneider konsultierte vorerst ein dickes Nachschlagewerk, in dem mutmaßlich sämtliche grob nach einem grippalen Infekt aussehenden Erkrankungen aufgeführt waren. „Wir könnten eine Gemüsesaft-Therapie beginnen“, empfahl sie, doch der Kränkelnde blieb skeptisch. „Das kann sogar bei manchen Krebsarten positiv auf die…“ Schon hob er abwehrend die Hände. „Nein“, stammelte er, „das will ich nicht! Am Ende bekomme ich noch etwas viel Schlimmeres bei Ihrem Gemüsezeug!“ „Vielleicht haben Sie Ihre Gemüseextrakte ja als Tabletten“, empfahl ich. „Dann würde wenigstens die Dosierung stimmen.“ „Ich behandle in so einem Fall ausschließlich homöopathisch“, gab sie zurück, deutliche Herablassung in der Stimme. „Sie wissen wohl nicht, wie das funktioniert?“ „Wenn Sie eine niedrige Dosierung bevorzugen“, überlegte ich, „warum geben Sie ihm dann nicht einfach ein Gramm Sellerie?“ Verärgert schlug sie das Buch zu. Schon war sie beim Entscheidenden Teil angelangt. „Ich berechne für die zweiwöchige Behandlung mit Bio-Pflanzenanwendungen einen Betrag von…“ Erkältung hin oder her, der Pensionär sprang auf und griff nach seinem Hut. „Ich bin versichert“, schrie er aufgebracht, „und jetzt soll ich für Ihren Hokuspokus noch einmal zahlen? Das werde ich nicht! Kommen Sie, wir gehen!“ Ein gewaltiger Hustenanfall schüttelte ihn noch im Vorzimmer durch. „Ich werde Ihnen das Handwerk legen!“

Das kleine Mädchen mit dem deutlich geröteten Ohren sah Breschke aufmerksam an. Irgendwo im Hintergrund quengelte ein Säugling. „So“, sagte die resolute Ärztin, „ich habe Ihnen das Rezept dafür ausgedruckt. Sie kümmern sich um ihn, ja?“ Sie reichte mir ein gefaltetes Blatt und drückte meinem hüstelnden Schützling kräftig die Hand. „Wir kriegen Sie schon wieder auf die Beine. Und meine Hühnersuppe hat garantiert keine unerwünschten Nebenwirkungen.“





Heile, heile Gänschen

30 08 2016

„… trotzdem die gesetzlichen Bestimmungen für Heilpraktiker nicht verändern wolle. Durch die Deregulierung der Gesundheitsdienstleistungen erhoffe sich die Bundesregierung einen großen Aufschwung und mehr Arbeitsplätze im…“

„… sich mehrere Berufsverbände gemeldet hätten, die wegen mangelnder medizinischer Kompetenz ebenfalls Interesse besäßen, sich in den nichtärztliche Heilberufen…“

„… es keine Evaluation der Heilpraktiker in der Bundesrepublik gebe, weil die Zulassung nur einen Hauptschulabschluss erfordere. Die meisten der Absolventen seien intellektuell nicht in der Lage, den doppelseitigen Fragebogen vollständig zu…“

„… einen Gesetzesentwurf vorlege, der den Einsatz standardisierter Globuli verlange. Nur so könne sich der Verbraucher vor Scharlatanen…“

„… die Friseurinnung nicht in ihrer traditionell hergebrachten Rolle als Bader und Kurpfuscher unterstützen wolle. Vor allem ihr Wunsch, nicht aus reiner Gewinnerzielungsabsicht, sondern aus einem sozial motivierten Idealismus heraus zu handeln, sei in den vielen Heilpraktikerverbindungen nur sehr schwer inhaltlich zu…“

„… man nur suchen müsse, um entsprechende Parallelen zu finden. Der Beruf des Fliesenlegers weise große Ähnlichkeit zu den Verfahren in der Kinderheilkunde, in Tropenmedizin und Augenheilkunde auf, weshalb die Innung auf die standardisierte Verleihung eines Dr. med. nach der erfolgreich abgeschlossenen Lehre für…“

„… keinesfalls geeignet sei, herzchirurgische Eingriffe wie Bypass-Operationen zu übernehmen. Das Fleisch verarbeitende Gewerbe poche auf die Beschränkung der Fachkräfte einschließlich des Fleischfachverkäufers für derartige Maßnahmen, die nicht durch den Einsatz von Saisonkräften oder fachfremden…“

„… sich das Bundesgesundheitsministerium vehement gegen den Import von Homöopathika aus Drittstaaten wehre. Ohne eine strenge Kontrolle der Wirkstoffe könne es in Deutschland keine…“

„… der Fischereiausschuss im EU-Parlament zu Leistungsschutzrecht und Netzneutralität befragt worden sei. Daher müsse er sich auch mit einer einheitlichen Regelung zur Krebsbehandlung im…“

„… auf den Prüfstand stellen müsse. So sei der tatsächliche Nutzen von Wirkstoffen wie Graphit oder Holzkohle noch nicht nachgewiesen, obwohl er für kostenintensive…“

„… rechtliche Schritte angedroht habe. Kein Elektriker dürfe die Galvanotherapie ausüben, ohne vorher eine Ausbildung zum Metallbauer Fachrichtung Konstruktionstechnik zu…“

„… internationale Studien über den Einsatz homöopathischer Mittel nicht erfolgreich seien. Die französischen Kollegen hätten dieselbe Medikation bei Fersenschmerz in Verbindung mit schizoiden Schüben verabreicht, der in Deutschland für Patienten mit chronischem Nasenjucken und schwerer sexueller…“

„… fordere der Verband der Homöopathen, die Krankenkassen sollten nur noch da für eine schulmedizinische Therapie zahlen, wo noch keine Todesfälle…“

„… stets davor gewarnt habe, dass es zu einer Zweiklassenmedizin des nichtberuflichen Hilfspersonals kommen werde. So sei die Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie derzeit von verbandsinternen Auseinandersetzungen zwischen den Kfz-Mechatronikern und dem…“

„… könne RTL den gesamten psychiatrischen Fachbereich in eigener Regie…“

„… die Prüfungsordnung viel zu rigide gehandhabt werde. So sei es für viele Interessenten immer noch möglich, ohne vorherige Ausbildung die Prüfung zum Heilpraktiker zu bestehen, während andererseits zahlreiche Absolventen privater Kurse die Prüfung nicht…“

„… viel besser geeignet seien, Substanzen ohne Wirkung und Geschmack zu produzieren. Die Herstellung von Placebos in vielen Konsistenzen sei für die Konditoren eine der leichteren…“

„… bleibe bei seiner Aussage, dass eine Doppelmitgliedschaft im Bundesverband Deutscher Bühnenmagier sowie einem Heilpraktikerverband auf keinen Fall…“

„… angemahnt habe, dass das Lied Heile, heile Gänschen weder von Tierzüchtern noch von der Geflügelindustrie als…“

„… werde die Innung der Maler und Lackierer sich erst nach einem verbandsinternen Votum an kosmetische Operationen wagen. Vorerst werde man sich mit Körperenergetisierung und Fern-Ops sowie homöopathischen…“

„… dass die Floristen bis vor das Bundesverfassungsgericht zu ziehen bereit seien. Es sei unstrittig, dass Misteltherapien bisher auch von nicht zugelassenen…“

„… sich zunehmend die Handwerksverbände zusammenschlössen, um ihren Mitgliedern das Führen des Titels Heilpraktiker zu untersagen. Dieses könne selbst bei Meistern für eine empfindliche Einbuße an Reputation und…“

„… es auch um Arbeitnehmerrechte und Verbraucherschutz vor nicht ausreichend qualifizierten Anbietern gehe. Die Bundesregierung folge dem Wunsch des Berufsverbands der Fußpfleger dahin gehend, dass erst durch eine vor der Fachkommission abgelegte Prüfung die Erlaubnis, sich in Deutschland als…“





Alternativlosmedizin

18 06 2013

„… sich die Grünen im Falle eines Wahlsieges dafür einsetzen würden, Homöopathie und andere alterativmedizinische Verfahren …“

„… endlich einen Beweis für die Wirksamkeit von Homöopathie, denn eine Regierungspartei würde sich bestimmt nicht für einen Zweig der Medizin einsetzen, wenn dessen Effizienz nicht…“

„… habe Künast betont, dass homöopathische Medikamente auch für gesetzlich Versicherte mit niedrigem Einkommen verfügbar sein sollten. Sie plane einen Gesetzesentwurf zur Herstellung von Globuli mit herabgesetzter Wirkstoffkonzentration, die an Patienten mit…“

„… wolle Trittin die Kirlianfotografie nur als diagnostisches Verfahren zulassen, wenn sie zur Visualisierung von mit Ökostrom erzeugten Spannungen…“

„… eine diskriminierungsfreie Neue Deutsche Heilkunde gefordert. Özdemir habe gefordert, dass auch Personen mit Migrationshintergrund Kurse im…“

„… die Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung mit einem Forschungsauftrag zum Informationsgehalt in belebtem Wasser zu…“

„… setze die Fraktion der Bündnisgrünen auf therapeutische Vielfalt. Kuhn habe betont, er verstehe selbst nichts von dem Thema, wolle es aber im Bundestagswahlkampf vor allem als Verhandlungsmasse für eine schwarz-grüne Koalition…“

„… habe Claudia Roth zugegeben, dass sie einen Großteil ihrer Warzen durch Reiki…“

„… dafür Sorge zu tragen, dass Heilsteine nicht durch Kinderarbeit…“

„… müsse mit weiteren Einschränkungen bei der zahnmedizinischen Versorgung gerechnet werden, um holotrope Atemarbeit für breitere Bevölkerungsschichten …“

„… habe sich die nordrhein-westfälische Gesundheitsministerin Barbara Steffens dafür ausgesprochen, sämtliche Heilmethoden, die den Bedürfnissen der Patienten entsprechen, aus den Mitteln der Krankenversicherung…“

„… die tiergestützte Therapie auch in neuen gesellschaftlichen Zusammenhängen irgendwie ein Stück weit zuzulassen. Antje Vollmer wolle für Delfine, die beim Schwimmen mit verhaltensauffälligen Kindern besserverdienender Familien psychische Schäden davontrügen, ein kostenloses Angebot mit Katzenbildern und…“

„… seien jedoch bei der Cranio-Sacral-Therapie entstandene Schäden nur durch Vokalatmung zu heilen, worauf der Bundesverband Deutscher Handaufleger seinen Austritt aus der…“

„… vor dem Bundesverwaltungsgericht wie zu erwarten eine Niederlage kassiert habe. Der Versicherungsträger müsse daher auch die von der Klägerin entwickelte Watumba-Schreitanz-Therapie erstatten, bei der die Heilerin fehlsichtige Säuglinge und Asthmatiker mit gekauten Karotten und Streusand…“

„… dürfe rhythmische Massage nur dann angewandt werden, wenn die Rhythmik unterhalb der schulmedizinischen Nachweisgrenze…“

„… fordere Höhn eine völlige Freigabe der Drogen. So sollen Bach-Blütentherapeutika wie die Heckenrose nicht nur bei krankhafter Schicksalsergebenheit verschrieben werden dürfen, sondern auch bei leichten Fällen von…“

„… bundesweit einheitliche Qualitätsstandards einzufordern. Beck habe daher eine verbindliche Leistungsprüfung für Warzenbesprecher und…“

„… sich herausstellen werde, ob Kretschmann mit einer Volksabstimmung die Ausrichtung des Stuttgarter Bahnhofsneubaus nach Feng Shui…“

„… setze die Verkehrspolitik der Grünen vornehmlich auf die Anschaffung und Lagerung großer Mengen von Schüßler-Streusalz, da sich…“

„… nach einer Übergangsfrist ausschließlich Ohrkerzen nach der EU-Norm zu…“

„… gehöre es zum Konsens, dass die Wirkung zum größten Teil auf der Wunschvorstellung von Wirksamkeit beruhe. Trittin wolle daher mit homöopathischen Mitteln auch die Finanzkrise…“

„… nur bei anthroposophisch begründeten Indikationen zu verabreichen. Die Mehrheit der niedergelassenen Allgemeinärzte hätte sich allerdings dafür ausgesprochen, Aspirin auch weiterhin als Schmerzmittel zu…“

„… schwierige Fragestellung der forensischen Medizin. So müsse man nach homöopathischem Recht Autofahrern, die Rescue-Tropfen eingenommen hätten, die Fahrtauglichkeit absprechen, da diese hochwirksam alkoholisiert…“

„… die Ausrichtung grüner Finanzpolitik viel mehr auf das feministische Tarot zu…“

„… dass Heilpraktikern, die mit nicht in der EU zugelassenen Ohrkerzen arbeiteten, der sofortige Entzug der Zulassung…“

„… ob bei Personen, die von Lichtnahrung lebten, die ALG-II-Regelsätze automatisch um die Lebensmittelkosten vermindert…“

„… zu einem Kompromiss, dass auch importierte Ohrkerzen verwendet werden dürften, falls es nicht gleichzeitig zum Einsatz von Klangschalen…“

„… obwohl Göring-Eckardt angekündigt habe, auch Gesundbeten als anerkannte Therapieform in den Kanon der Pflichtleistungen aufzunehmen. Der Bundesvorstand von Bündnis 90/Die Grünen habe dies vehement abgelehnt, da in einem säkularen Staat nicht einfach Hokuspokus mit staatlichen Subventionen…“





Gernulf Olzheimer kommentiert (CXXXIII): Heilpraktiker

6 01 2012

Gernulf Olzheimer

Gernulf Olzheimer


Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.

Es zeichnet den Hominiden zweierlei aus. Zum einen begreift er die Endlichkeit des Seins und weiß sie in logische Zusammenhänge zu bringen – Vollkontakt mit dem frustrierten Mammut, Verzehr giftiger Pflanzen, intermittierendes Eindellen des Frontschädels, alles setzt der aktuellen Inkarnation ein mehr oder weniger rasches Ende. Der stets wache Erfindergeist ist das andere, die Neigung, gegen das Ableben allerhand Mittel und Wege zu sehen und von einer Generation zur nächsten zu kommunizieren. Der Mensch akzeptiert nicht die Geworfenheit, er lehnt sich kreativ dagegen auf, ihm mangelt es nicht an Ehrgeiz, im Experiment die Welt in ihre Schranken zu weisen. Als höchste, als letzte Instanz entwickelt er sich zum Arzt, der dem Tod die Stirn bietet. Immense Hürden auf dem Weg zum Mediziner nimmt, wer neben einer fundierten naturwissenschaftlichen Begabung eine umfassende Allgemeinbildung sein Eigen nennen darf. Der Rest wird dann eben Klempner. Oder Heilpraktiker.

Die Heizdeckenverkäufer des Medizinbetriebs – ein idealer Beruf für alles, was bereits als Spülhilfe oder Anwalt versagt und dreimal den Taxischein nicht gerissen hat. Denn jedes Schimmelhirn darf sich in diese parasitären Dehnungsfuge zwischen Bademeister und Abdecker klemmen, da lediglich zwei Griffe zur Ausübung nötig sind: Handauflegen und Handaufhalten. Um die gröbsten Schäden am Material abzuwehren, stellt die Prüfung sicher, dass der angehende Quacksalber deutlich weniger an Kenntnissen besitzt als eine durchschnittliche Sprechstundenhilfe, um dem zurechnungsfähigen Teil der Population im letzten Augenblick die Flucht zu ermöglichen. Immerhin, zu seiner eigenen Sicherheit popelt er am Patienten unter der Auflage, die gravierenden Fälle zu erkennen – mit der Konsequenz, dass der Kurpfuscher nach gründlich versaubeutelter Kur alles leicht von der Backe kriegt, damit der richtige Arzt die gröbsten Schäden auf dem Weg zum Exitus ausputzen darf.

Oft und gerne genommen bei gut und gläubigen Deppen ist die sanfte Medizin, derart sanft, dass jeder Nachweis schreiend vor der Messbarkeit wegrennt. Offenbar besteht die wissenschaftliche Medizin ausschließlich aus Amputation, Exzision, Vivisektion und wird auch bei Schnupfen oder Schlafstörungen angewandt. Ein komplementärer Therapieansatz – Komplementärmedizin ist im reinen Wortsinn zu verstehen als das Gegenteil aller Vorstellungen von Zivilisationsteilnehmern, die noch alle Tassen im Schrank haben – wie etwa Pendeln, Irisdiagnostik, Kinesiologie, Homöopathie jedoch, ähnlich effektiv wie der Versuch, ein aus verleimtem Würfelzucker gebasteltes Modell des Petersdoms mit Hilfe böhmischer Ukulelenmusik in Rotation zu versetzen, hat die gewünschte Nebenwirkungslosigkeit. Und schadet er nicht der Krankheit, dann ist alles gut. Stoßen traditionelle Methoden auch oft an ihre Grenzen – es mag sich seit der Steinzeit bewährt haben, bei Migräne in Säbelzahntigerauswurf zu baden, authentisch ist die Angelegenheit jedoch nicht mehr zu lösen – so ist doch die Sanftheit der Heilmethode ein noch viel schöneres Placebo.

Es ist tatsächlich nicht viel mehr als der uralte Wunderglaube, dass der Schamane mit seinem Gesundgebete, der mittelalterliche Medicus in der verschwiemelten Irrationalität ein Mana festschraubt, das jenes höhere Wesen, das wir verehren, zwischenzeitlich leicht gelockert hatte, weil der Bekloppte sich im Raum-Zeit-Kontinuum verdödelt. Oder weil in der Apothekerzeitung die richtige Symptomatik abgedruckt war, die dem durchschnittlichen Masochisten für ein Selbstbau-Syndrom ausreicht. Der Beknackte geht im Schutz der eigenen finanziellen Möglichkeiten zur Hexe in den Hinterhof, denn wer nur lautstark behauptet, dass er heilt, wird schon Recht haben. Dass die Sache grotesk teuer ist, scheint den Deppen nicht zu stören, schließlich ist skrupellose Preisgestaltung im Medizinbetrieb als Qualitätsnachweis längst etabliert genug, dass sich auch Kurpfuscher an den Zug hängen dürfen.

Kraniosakrales Eigenuringurgeln, ayurvedisches Farbträumen, Geistheilung durch Therapiehamster, keine noch so beknackte Methode, die sich nicht als Elixier gegen Gebrechen jeglicher Art verscherbeln ließe. Das öffnet Raum für immer neue Geschäfte, in denen jeder seine Nische findet, wahlweise als transzendental-ganzheitliches Mysterium, exotisch angehauchter Ethnokitsch für Freizeitrassisten oder pseudowissenschaftliche Weichstapler, deren Aura-Kristall-Analyse-Spektral-Ohrkerzen-Gymnastik schon seit 5000 Jahren in Afrika praktiziert und demnächst durch atomare Frequenzspektrometrie bewiesen wird. Notfalls hält eine alternde TV-Matrone ihre Gesichtslederhaut in die Linse und bekennt sich dazu, mit Halbedelstein-Drainage und Voodoo-Transfusion das Bindegewebe rund um den Schließmuskel wieder in Form gebracht zu haben. Auch hier ist alles sanft, zauberisch, kurz: die Alternativmedizin ist nie mit Wundbrand und vereiterten Backenzähnen konfrontiert und jagt jede Krankheit en passant vom Hof. Der Bescheuerte fragt sich nicht, wozu es Heerscharen an Fachärzten gibt, festmeterweise Fachliteratur zur urologischen Diagnostik oder den Nobelpreis, er ist konditioniert, dem absurdesten Versprechen zu glauben.

Längst haben sich die Scharlatane die seelische Gesundheit der Bekloppten vorgenommen und jubeln ihnen Urschrei und Rebirthing als Pflaster gegen paranoide Schizophrenie unter. Ein Heer selbst ernannter Spezialisten bosselt wirr mit Zwölfzollnägeln und Gottvertrauen an den Dachschäden wehrloser Nachtjacken herum, ohne auch nur eine Stunde medizinisches Fachwissen in die trübe Birne geträufelt bekommen zu haben. Die Hälfte jener Geistheiler könnte selbst einen gebrauchen, die andere Hälfte wäre in den Fingern des Staatsanwaltes deutlich besser aufgehoben. Es bleibt nur zu hoffen, dass die Mischpoke, so sie sich nicht vorher an energetisiertem Wasser die Ruhr einfängt, der eigenen Branche in die Hände gerät, wo sie Bioresonanz-Haaranalyse, Darmpilz-Channeling oder Feng-Shui-Koniotomie gepflegt in die Biomasse überführen. Alle Zellen schwingen. Die kosmische Harmonie hat sie wieder. Deckel zu.





Globulisierungskritik

21 09 2011

„G-g-g-guten T-t-t-t-tag!“ Der Laborant griff nach meiner Hand, offenbar, um sie zu schütteln – dabei schüttelte er sich gerade selbst durch. Eine große Glasflasche trug er in der Linken, die er rüttelte und wild durch die Luft schwenkte. „D-d-d-da k-k-k-kommt d-d-d-der…“ Professor Semmelrink winkte vom anderen Ende des Saales herüber. Hier also nahm sich die Behörde für Alternativmedizin ihrer Überreste an.

Wir schritten durch eine weite Halle, angefüllt mit Glaskolben und Wasserbecken, Bunsenbrennern und Retorten. Es plätscherte und klirrte, rasselte und prasselte. Laboranten in blütenweißen Kitteln eilten umher. „Das alles hier ist eine schwierige Angelegenheit“, teilte Professor Semmelrink mit. „Die abgelaufenen Medikamente müssen zunächst eingesammelt und klassifiziert werden, und das verursacht ja bei normalen Tabletten schon einen enormen Aufwand. Haben Sie eine Ahnung, wie viele unterschiedliche Kopfwehpillen es gibt? Und wenn Sie an andere Staaten denken, dort werden sie mit Ohrensalbe und Zahnpasta vermischt und kommen später wieder als Hustensaft – was haben Sie denn, Knittke?“ „Trocken“, strahlte der Gehilfe und wies auf eine lange Reihe gläserner Kolben. Semmelrink tätschelte ihm begütigend die Schulter. „Gut gemacht“, lobte er, „dann können Sie sie gleich wieder mit Wasser füllen.“ Knittke nickte und griff zu dem Plastikeimer; mit einem gezielten Schwung kippte er den Tisch voll.

„Unser Personal muss gewisse geistige Voraussetzungen mitbringen. Der eine jagt in seiner Freizeit Ufos in seinem Vorgarten, der andere hält sich für ein Auto…“ „Rotes Auto“, johlte der Mann. „… und der hier war bei der FDP.“ Schmerzhaft verzog ich das Gesicht. „Wie Sie hier sehen, haben wir es größtenteils mit Spezialisten zu tun, denn wir beschäftigen uns mit homöopathischen Präparaten.“ „Und was ist daran anders?“ Semmelrink lächelte überlegen. „Was würden Sie mit einem normalen Medikament machen, das Sie entsorgen wollen?“ Ich überlegte nicht lange. „Auseinandernehmen, verdünnen und wegkippen.“ Er nickte. „Sehen Sie, und genau das hätte bei unseren Medizinen eine verheerende Wirkung. Stellen Sie sich einmal vor, wir würden eine hoch potenzierte Lösung einfach verdünnen.“ Ich wusste nicht, worauf er hinaus wollte. „Je mehr man es verdünnte, desto stärker würde die Wirkung – es könnten teuflische Gifte entstehen!“ „Und was unternehmen Sie dagegen?“ Er fasste mich am Ärmel. „Kommen Sie mal mit.“

Wie die Hühner auf der Stange, so saßen die Laborassistenten und schüttelten sich – vielmehr schüttelten sie Reagenzgläser mit Wasser. „Wir sind hier in der Verwirrungsabteilung. Bevor das Wasser mit den homöopathischen Wirkstoffen entsorgt werden kann, müssen wir es durcheinanderbringen. Dazu schütteln wir es.“ „Sie meinen, Sie stellen eine möglichst homogene Mischung her?“ Er runzelte die Stirn. „Aber nicht doch – was verstehen Sie eigentlich von Homöopathie?“ „Es reicht aus, um mich darüber lustig zu machen“, gab ich trocken zurück. „Das Wasser hat ein Gedächtnis, es erinnert sich an die Stoffe, die wir eingebracht haben, also müssen wir dieses Gedächtnis effektiv durcheinanderbringen.“ „Durch Schütteln?“ Er nickte. „Wenn man oft genug schüttelt, wird so ein Wassermolekül bestimmt genau so oft nach links geschleudert, wie es beim Potenzieren nach rechts gewirbelt wurde. Wir heben das Gedächtnis auf.“

Unterdessen hatte Knittke sich an eine Reihe von Klosettbecken begeben. „Sie spülen das Zeug ja doch einfach runter“, befand ich. „Aber nein“, widersprach Knittke. „Es landet nach dem Spülen wieder im Wassertank. Wir verwirbeln es nur, denn wie Sie wissen, strudelt es wegen der Corioliskraft immer in eine Richtung. Und damit irritieren wir das Wasser nachhaltig.“ Er krempelte sich den Ärml seines Kittels hoch, betätigte die Spülung und griff in den gurgelnden Wasserschwall. „Sie sehen“, rief er, „das Wasser ist vollkommen verwirrt!“

An einem anderen Tisch rührten und schüttelten die Laboranten Wasser in flachen Wannen. „Es wird behutsam wieder in den Stoffkreislauf eingebracht“, erläuterte Semmelrink. Ich runzelte die Stirn. „Wäre es nicht einfacher, das Zeug aufzukochen und einfach verdampfen zu lassen?“ „Um Himmels Willen!“ Er schlug die Hände zusammen. „Dabei würden doch die aufgelösten Wirkstoffe ebenfalls verdunsten und sich in der Luft anreichern – wollen Sie etwa riskieren, dass die ganze Stadt mit einer Überdosis an…“ „Wäre das denn schlimm?“ Semmelrink blickte mich fassungslos an. „Wenn Sie die Stoffe bewusst anreichern, heben Sie doch deren Wirksamkeit auf?“ „Sie sind ein Skeptiker“, knurrte Semmelrink. „Nicht doch“, antwortete ich. „Nur ein Globulisierungskritiker.“

Im Untergeschoss verlief ein langer Gang, der in einem gekachelten Laborraum endete. „Hier sehen Sie einen unserer spektakulärsten Erfolge – das Herzstück unserer Forschungen, der große Durchbruch.“ Er wies auf den gewaltigen Ball, wie man ihn zum Fuße eines Schneemanns verwenden würde, ein rundes und weißes Gebilde, zusammengerollt aus leichter Hand. „Aber nein“, lachte Semmelrink, „sehen Sie genauer hin. Das ist kein Schnee, nicht einmal nachgemachter!“ Ich beugte mich über das seltsame Objekt und roch. „Zucker“, sagte ich aufs Geratewohl, „Milchzucker möglicherweise – sind das etwa…?“ „Globuli“, bestätigte er. „Wir haben in langer Arbeit alle bei uns abgelieferten Globuli aneinander geklebt – Stück für Stück. Dieser Globulone hat eine derart hohe Wirkstoffdosis, dass er als homöopathisches Mittel nicht mehr zu gebrauchen ist. Wir können ihn dann – hoppla!“ Versehentlich war er im Reden gegen den Klops gestoßen, der, einmal aus dem Gleichgewicht, durch den Raum rollte und gegen einen Schrank prallte. Kügelchen sprangen durch die Gegend, der Globus zerbrach und zerbröselte. „Was habe ich nur getan“, jammerte er. „Was habe ich bloß da nur angerichtet – was soll ich denn jetzt bloß tun!“ „So schlimm?“ „Das war eine große Dosis Schwefelblüte mit Austernschalenkalk gegen Kopfschmerzen, Akne und Halsentzündung. Wenn nun bloß nicht passiert!“ „Seien Sie unbesorgt“, tröstete ich ihn, „Sie sagten doch selbst, in dieser Dosis sei das Ding homöopathisch wertlos?“ Er nickte. „Dann kann man es ja wie ein ganz normales Medikament behandeln und ins Abwasser spülen. Kommen Sie, fassen Sie mit an.“

Innerhalb einer Viertelstunde hatten wir die erklecklichen Überreste des Milchzuckerknödels aufgefegt und durch den Ausguss gestopft. Noch immer war Semmelrink skeptisch. „Und wenn doch die ganze Stadt morgen Migräne hat?“ Ich griff in meine Jackentasche und drückte ihm eine Kopfschmerztablette in die Hand. „Dann spülen Sie die hinterher. Die Verdünnung dürfte so groß sein, dass sie dagegen hilft – homöopathisch.“





Zucker für die Affen

12 01 2011

Zwei Tag lang hüstelte ich. Zwei Tage lang konnte ich vor Husten nicht einschlafen. Dann beschwerte sich die Nachbarin über meine Erkältung, und ich wusste, dass ich einem Arztbesuch langfristig nicht würde ausweichen können; schließlich wohnt sie seit Jahren schon im Erdgeschoss, und zwar im Nebenhaus.

Die Praxis war ungewöhnlich voll. Nicht nur die älteren Herrschaften mit Knochenreißen und Gicht, auch das zahlungskräftige jüngere Publikum aus den Privatkassen war zur Vorstellung erschienen. „Das klingt wie ein recht normaler Reizhusten“, konstatierte Doktor Klengel. „Sie hatten einen ganz herkömmlichen grippalen Infekt, eine knappe Woche Halsweh und Schnupfen, vielleicht etwas Fieber, möglicherweise auch Heiserkeit und leichte Kopfschmerzen, und Sie haben die Heizung aufgedreht. Dadurch sind Ihre Atemwege trocken und gereizt, und jetzt husten Sie eben.“ „Es ist wegen der Nachbarn“, bat ich den Hausarzt, „sie leiden unter der Leichtbauweise dieser Häuser – wenn ich abends im Bett einen Krimi lese, müssen sie hinterher Ohrstöpsel gegen das Herklopfen nehmen.“ Klengel wiegte den Kopf. „Ich würde Ihnen Tee verordnen, vielleicht eine dünne Suppe vor dem Einschlafen, oder auch Zwiebelsud mit Kandis. Wenn diese Regierung so weitermacht, werden Zwiebeln vermutlich bald rezeptpflichtig.“ Er blätterte in seinem Almanach. „So eine richtige Bombe mag ich Ihnen nicht geben – den Tussolini lässt sich meist nur unser Amtsarzt zwischen den Entziehungskuren verschrieben, der wurde früher auch gerne von Schlagersängern und Filmstars geschluckt – aber das hier könnte etwas für Sie sein. Bronchiflux forte, Spitzwegerich und Eibisch, ein neues Präparat. Wenn Sie mir mal die kleine grüne Flasche vom Regal herunterreichen mögen?“

Die Packung stand auf dem obersten Bord, ich musste mich recken. Fast hatte ich den Hustensaft in der Hand, da streifte ich das Tablett mit einigen Dutzend Schälchen, die auf mich draufkippten und unter Geräuschentwicklung zu Boden fielen. Kleine weiße Kügelchen sprangen umher. Ich war entsetzt Klengel lief schamrot an. „Das müssen Sie doch verstehen“, stammelte er. „Das dürfen Sie jetzt nicht in den falschen Hals bekommen, das ist alles gar nicht so, wie es aussieht.“ „Das hatte ich mir gedacht“, antwortete ich lakonisch und schnippte mir eine der Milchzuckerperlen vom Ärmel. „Das ist alles ganz anders.“ Die Tür öffnete sich einen Spalt. Fräulein Dickmann schon den Kopf hinein und zischte: „Achtung! Die Schmedecke, sie sagt wieder, es sei ein Notfall! Sie ist in zehn Sekunden hier!“ Die Tür schloss sich; Klengel packte mich an der Schulter. „Hinter den Paravent“, entschied er.

„Das war ja alles ganz wunderbar“, jubelte Frau Schmedecke und knipste erregt ihre Handtasche auf und zu. „Dies Ziehen in der Schulter ist seitdem fast verschwunden, und die Schwindelanfälle sind seit über einer Woche gar nicht mehr aufgetreten. Und was der Hans, also mein Mann ist, dem sein Ischias ist ja auch so viel besser geworden, der spürt den schon gar nicht mehr – Hans, sage ich gestern Vormittag zu ihm, Hans, wenn Du die Pillen immer ordentlich einnimmst, dann hast Du auch bald nicht mehr diese Last mit den Nieren und…“ „Schön“, unterbrach Doktor Klengel ihren Redefluss. „Sehr schön, nur hatte ich Ihnen das Präparat ja vor allem wegen Ihrer allgemeinen Abgespanntheit verordnet. Haben Sie denn seitdem irgendwelche Änderungen festgestellt?“ Frau Schmedecke holte gewaltig aus und zählte einiges auf, von den fettigen Haaren bis zum langsam nachlassenden Hautausschlag in der Steißregion. Ich fühlte meine Hinterpartie ebenfalls kaum noch, zusammengekrümmt zwischen einem Rollschränkchen und einer Klappliege. „Gut, dann nehmen Sie diese hier regelmäßig alle zwei Stunden ein.“ „Auch nachts?“ Klengel nickte entschieden, wie ich durch einen Spalt in der Spanischen Wand sah. „Auch nachts. Bis die Dose leer ist. Danach sollte Ihre Müdigkeit auch weg sein.“

„Ich glaube es einfach nicht!“ Fassungslos hielt ich dem Medizinmann ein Tütchen mit Globuli unter die Nase. „Klengel, Sie sind ja mit der Muffe gebufft! Das kann doch alles nicht wahr sein!“ Er stützte seinen Kopf in die Hände. „Sie haben ja Recht“, murmelte er. „Das hat mir die Höppelmann eingebrockt.“ „Doktor Friedegund Höppelmann-Reisberger?“ Da hörte sich doch nun alles auf. Die Frau kurierte mit Heilsteinen und Ohrkerzen, blies Pflanzenasche in den Wind und verschrieb Dörrobst gegen Bandscheibenschäden. „Sie hat doch in den Weihnachtsferien meine Praxis übernommen. Ich hatte keine Ahnung, dass sie diesen Alternativkram macht – aber sehen Sie es sich an, das Wartezimmer ist voll. Und es kommen auch die Bionadetrinker mit dem Volvo-Kombi, die Homöopathie gegen ihre eingebildeten psychosomatischen Wehwehchen wollen. Also gebe ich es ihnen. Zucker für die Affen. Milchzucker, um genau zu sein.“ „Aber Sie verstehen doch gar nichts von Homöopathie?“

Klengel stand wortlos von seinem Stuhl auf und zog die unterste Schublade des Schranks heraus. Ein Karton stand darin, bis oben gefüllt mit kleinen Tütchen. „Globuli“, stellte er fest. „Dreitausend mal fünfzehn Globuli. Milchzucker. Keine Hundehaare und kein Nieswurz. Reiner Milchzucker. Wenn schon Placebo, dann richtig.“ Er schob die Lade mit einem Ruck wieder zu und kehrte zu seinem Stuhl zurück. „Die Homöopathie ist ein Bombengeschäft für Idioten, die lieber Schüßler-Salze, Bach-Blüten und Schlangenöl nehmen, als das Gehirn zum Denken zu verwenden. Es ist auf eigene Rechnung, auf eigene Gefahr und meist auf gut Glück. Aber was soll’s, sie verlangen danach.“ Er seufzte tief befriedigt auf. „Seit die Höppelmann-Reisberger mir diese ganzen Spinner in die Praxis geschleppt hat, steigen die Heilerfolge stetig an.“ „Und was war mit der Diagnose für die Schmedecke?“ Klengel grinste. „Vierzig Globuli im Abstand von je zwei Stunden, so lange hält keiner durch. Sie wird irgendwann so kaputt sein, dass sie ins Bett fällt und einfach wegpennt. Und dann sollten sich auch ihre Schlafstörungen erledigt haben. Man muss dies homöopathische Zeugs eben nur richtig anwenden.“





Gernulf Olzheimer kommentiert (LXVI): Homöopathie

16 07 2010
Gernulf Olzheimer

Gernulf Olzheimer

Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.

Die Geschichte des Menschengeschlechts ist eine Geschichte der körperlichen Gebrechen. Hätte der erste Hominide, dem die Wohnhöhle auf seine inzwischen doch recht stabile Kalotte klömperte, schon die Wahlfreiheit der Krankenkasse gehabt, wie mochte er sich wohl entschieden haben? In der gesetzlichen Cro-Magnon-Versicherung hätte er sechs Wochen stramm gelegen, dafür erstklassige Verpflegung mit Mammut vom Grill und schnieke Schwestern aus dem Neandertal; die Orang-Utan-Gesellschaft hätte ihn mit Trepanation gequält, die Prähominiden-Ersatzkasse mit Gürteltierspucke in Flusswasser abgefertigt, und gerade dies Modell hat sich durchgesetzt – keiner kapierte, was da genau passierte, der Arzt hatte nicht viel zu tun, und der Heilungserfolg glich einer kurzweiligen Lotterie.

Geändert hat sich seither, dass die Bekloppten mangels Gelegenheit Mammut essen und öfter an kardiologischen Notfällen abschrammen als an Flugsaurierkollisionen. Dafür bleibt die Hirnschale so leer wie in der ersten Modellreihe, während das Nachtmützengeschwader fleißig Zuckerkügelchen müffelt und es für wirksame Medizin hält, weil das Zeug außer Nachgeschmack nichts als Zahnbelag hinterlässt. Die Idee ist es, Symptome erzeugendes Zeugs in möglichst geringer Dosis zuzuführen – gegen blaue Fußnägel einen Hammer in kleinste Partikelgröße gefeilt – und zwar alles, was sich an Substanz oberhalb der Erdkruste zusammenfegen lässt. Zu sehen wäre, was derlei Scharlatanerie zu kurieren sucht, womit und wie.

Die von der Wissenschaft nicht zu Unrecht vors Tor beförderten Schmutzwassergurgler schmeißen fröhlich alles durcheinander, Fieber und Syphilis, Husten und Ertrinkung, Noxe, Krankheit und Symptom. Pickel, Pneumonie und Pilzbefall schert der Pillendreher über einen Kamm, denn: stimmen die äußerlichen Anzeichen, dann ist die Droge in Ordnung. Die von der Werbung heraufsalbaderten 37 Arten von Kopfschmerz sind demnach piepe, der Quacksalber kann den Schnaps gesoffen oder mit der Flasche kollidiert sein, die Kur bleibt gleich. Und selbst da, wo der studierte Mediziner die Symptome verschwinden lässt, etwa das Fieber durch Penicillin, kaspern die Hahnemännchen herum und meinen, nur ihr ausschließlicher Kampf gegen die Symptome behebe auch die Krankheit. Wie krank auch immer das sein mag.

Doch nicht immer ist es so einfach, weil die verhaltensoriginelle Verfassung der Windbeutel sich im Aufschmieren übler Argumentationsmarmelade sorgfältig präpariert. Um noch die letzte Hohlwurst in die Praxis zu locken, werden auch komplizierte Vaterbindung oder Arbeitslosigkeit als Krankheiten anerkannt, als wären sie wie Schweißfüße heilbar. Kein Wunder, dass in Deutschlands großer Zeit, als wirres Denken Pflicht war, die Faschingsprinzen, voran der schlampig gescheitelte Schlappschwanz mit dem Nasenhaarbärtchen, der Homöopathologie frönten. Gegen Arbeitslosigkeit wäre beispielsweise getrocknete Hundekacke gedacht, die als geistiges Miasma die Schadwirkung auf die Lebenskraft zu neutralisieren versucht. Allerlei Firlefanz, Opium und Brechnuss und, Abbild des Kosmos, jedes verfügbare Element. Wobei der Kosmos sich ein paar neue Bestandteile reingepfiffen haben muss, weil seit der Erfindung des Kurpfuscherwesens noch ein paar neue Sachen entdeckt wurden.

Und haben die Homöopatzer auch mittlerweile ein Grundgesetz ihrer als Heilkunst aufgerüschten Pseudoreligion verletzt, nämlich das Gebot, nur unvermischten Müll zu verabreichen, so panschen sie allerlei zusammen, immer wieder zehn- und hundertfach in Wässerchen verdünnt und wieder verdünnt, so dass zum Schluss auf Dilutionen kommt von einem Molekül auf den Rest des Universums – statistisch ist in der Plempe sowieso keine Substanz mehr vorhanden, auch wenn die Heilkunstgewerbler sich als Überdosis zu Mixturen hinreißen lassen von einer Schmerztablette auf den kompletten Atlantischen Ozean. Um das wackelige Luftschiff auf Stelzen zu stabilisieren, schwiemelt man gleich noch das Märchen vom Gedächtnis des Wassers rein – die Suppe kann sich also an ein Salzmolekül erinnern, auch wenn es gar nicht mehr darin herumschwimmt. Nach derlei Theorie dürfte man mit einer einzigen Tollkirsche eine ganze Großstadt in den Sekundentod treiben, da die ausreichende Verdünnung gegeben ist, und über die Abwässer erinnern sich vermutlich Milliarden jeden Tag an das Siechtum ihrer Vorfahren. Dass nach dieser Theorie jedoch jedes Wasser im Weltall für weitere Medikamentenherstellung unbrauchbar würde, darf man ebenso wenig fragen, wie man überlegen könnte, warum bei den Globuli eigentlich immer nur die minimalen Wirkstoffe tätig werden und nicht die unvermeidlichen Verunreinigen in ähnlicher Konzentration.

Man darf das aber nicht kritisieren. Man sollte tolerant sein, als handele es sich bei diesen ins Hirn gepflockten Synapsenschäden um Rundtanz zu schamanischem Nasenflötenpusten, Heilsteinboccia oder ähnliche Karnevalsveranstaltungen, die die kranken Kassen natürlich auch brav zahlen sollen, weil wir ja sonst nichts vom Leben haben – nicht nur den billigen Placeboeffekt tragen wir mit, auch die vielen Fälle, in denen sich Homöopathieopfer nach erfolglosem Herumdoktern im Spätstadium einer Krankheit zu einem ordentlichen Mediziner schleppen, der die Grütze einer systematischen Verdummung ausbaden muss, die sich Wissenschaft nennt und allen Ernstes verspricht, mit Taubendreck und Mörtelstaub Krebs und Aids heilen zu können. Toleranz? Sicher, wir lallen im Chor der Blöden mit, die die böse Schulmedizin mit ihren teuren Apparaten verdammt und kleistern uns beim nächsten Knochenbruch lieber lauwarmen Spinat auf die Gräten, denn das spart Kosten. Aber wer will das eigentlich außer der Klientel dieses Schweinepriestervereins, Körnerkauer, Alternative und alte Naive, Sozialpädagogen und ähnliche Abraumverfüllungen in den geistigen Zahnlücken des postdiluvialen Portfolios, kurz: hoch potenzierte Dummheit, bei der auch der Hominide mit Dachschaden die Verwandtschaft strikt leugnete. Aus Gründen.