
Gernulf Olzheimer
Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.
Es gab sie immer schon, diese Menschen, die das Illusorische gefordert haben, weil sie es denken konnten. Die Abschaffung der Kinderarbeit, das Ende der Sklaverei, Frauenwahlrecht, nichts war ihnen zu abgedreht, um es nicht wenigstens einmal in einer fernen Utopie für möglich zu halten, selbst wenn sie sich sicher waren, es nicht mehr erleben zu dürfen. In der Zwischenzeit lernte der Mensch zu fliegen, zettelte unzählige Kriege an, verseuchte und verstrahlte Erde, Luft und Gewässer, brachte Millionen seiner Artgenossen um für die hirnrissige Idee, es würden mehr- und minderwertige Rassen von ihnen existieren, beutete aus ebendiesem Grund ganze Völker aus und rechtfertigte den ganzen Mist auch noch mit der Wahnvorstellung, ein männliches Ding mit Eigenschaften wie Unsichtbarkeit und Unsterblichkeit, dem der ganze Schmodder hier auf dem Planeten nämlich gehöre, habe ihm befohlen, alles zu seinem höheren Ruhme in die Scheiße zu reiten. Wer bei diesen Knalldeppen spontan die mittelalterliche Lebensanschauung vor Augen hat, liegt nicht verkehrt. Sie vertreten noch heute das Weltbild von gestern.
Zumindest dinglich sind wir im 21. Jahrhundert angekommen: Wissenschaftsleugnung und wirres Verschwörungsgefasel betreibt der gemeine Nappel auf einem internetfähigen Taschencomputer, dessen Ortungssystem ohne Relativitätstheorie gar nicht hätte entwickelt werden können. Aber es sind noch mehr Zerebraldilettanten aus dem Gruselzoo der Evolution ausgerückt, die wir als Gewaltmarsch in die intellektuelle Sackgasse ertragen müssen, weil sie mit ihrer Selbstwahrnehmung immer gegen die Wände der Wirklichkeit bollern. Für sie besteht die christlich-heteronormative Familie aus Vater (geht zur Arbeit), Mutter (kocht, betet, hält die Fresse) und Kind (lässt sich indoktrinieren), die Welt aus Arbeitern (arbeiten, beten, halten die Fresse) und Leistungsträgern (werden von linken Schmarotzern ständig dafür angepöbelt, dass sie lediglich geerbt haben und deshalb nicht arbeiten müssen). Früher einmal war das ganz normal, da drehte sich auch die Sonne um die Erde. Da war die Gesellschaft noch ordentlich in Stände gegliedert, wie sowieso alles ordentlich war, zumindest äußerlich, und es gab nicht so schreckliche Erfindungen wie Klima und Gender, mit denen unordentliche Linke die einfachen Wahrheiten stellen konnten, mit denen sich der geistig beschränkte Hirnschrott aus der Chefetage die Bequemlichkeit seiner irrelevanten Existenz tapezieren konnte. Der Strom kam aus der Steckdose, die Ananas aus der Dose, Dienstboten wuchsen nach. Schon verständlich, dass man als Opferrollenspieler Sehnsucht nach der Vorzeit hat.
Dabei bezeichnet der Begriff Nostalgie eine Art von Schmerz in Bezug auf etwas Vergangenes, da Vergängliches – hier erinnert es streckenweise an das theatralische Selbstmitleid, das beim Tode einer Autoritätsperson hervorgeschwiemelt wird, von der man nicht lassen kann. Dass die gute alte Zeit vor allem alt ist und nicht unbedingt nur gut war, wird passend dazu ausgeblendet. Gut war sie für einen selbst, nicht unbedingt für die anderen, und darauf beruht das Wehgeheul: die Privilegien sind fort, sie kommen nicht mehr wieder, aber wenn man ganz fest daran glaubt, kriegt man die Realität sicher wegignoriert. Und so geben diese Jammerlappen beim Anblick der Mauer noch einmal ordentlich Vollstoff, denn wenn sie es nicht überleben, warum sollten dann andere es dürfen?
Das Raster verrutscht, wenn die Steinzeitler von traditioneller Moral plärren, obwohl sie wissen oder wenigstens wissen sollten, dass die meisten heute geläufigen Wertvorstellungen gegen diese Moral durchgesetzt wurden, teils mit dem Fallbeil, dann mit den Verfassungen. Das Leben ist nicht ganz so behaglich, wenn man nicht mehr privilegiert ist, zwar noch die materiellen Früchte einer Historie genießt, aber die Strukturen nicht mehr zementiert kriegt, damit diese Sonderrechte erhalten bleiben, auch wenn man Recht und Gesetz ausleiert, bis es unangenehm auffällt. Schreibmaschinen wurden irgendwann obsolet, Fabrikanten gewöhnten sich an neue Erzeugnisse, Büros wurden irgendwann von der elektronischen Datenverarbeitung erfasst, und wer sich nicht umstellen wollte, machte noch ein bisschen unglückliche Figur, bevor er ausgemustert wurde. Die Fetischisten des Verbrennungsmotors werden als verknöcherte Spuren der Geschichte enden – „Fossilzeitalter“ bekommt dabei eine ganz neue Bedeutung – und die verzweifelten Anhänger des Turbokapitalismus mit in den Abgrund reißen. Sie werden als Angstbeißer noch ein bisschen die Zähne fletschen und herumheulen.
Selbstverständlich werden die Egomanen, die heute mit schnellen Gewinnen reich geworden sind, ihre Rolle übernehmen, aber sie werden sich mit neuen Utopien konfrontiert sehen: Nachhaltigkeit, Grundeinkommen, Klimaneutralität, Gleichheit. Sie werden ebenso selbstverständlich ihre Privilegien gegen die Gesellschaft verteidigen, und sie werden wie die jetzigen Reaktionäre verschwinden, wenn sie sich der Evolution entgegenstellen. Der Prozess wird dauern, aber jeder Prozess hat ein Ende. Und zur Not gibt es halt das Fallbeil.
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