
Gernulf Olzheimer
Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.
Die Welt tickte noch sauber, als Mütter und Väter noch das waren, als was sie von der Natur und den Ansätzen diverser gründlich missratener Zivilisationsversuche vorgesehen sind: Mütter. Und Väter. Teils Laktationsautomat und Maschine zum Windelwechseln, teils der bärtige Teilnehmer am ordnungsgemäß absolvierten Ödipuskonflikt, der in letzter Sekunde vor dem Abtanzball demonstrieren darf, wie man sich einen Strick unter den Kragen nudelt. Andere Kulturtechniken wie Bierflaschen öffnen, Bierflaschen leeren, Bierflaschen in der Landschaft verstreuen eignet sich der Jungspund lieber durch teilnehmende Beobachtung im Kreise der Gleichaltrigen an. Gehen die ersten Versuche von Komasaufen, erotischer Annäherung oder akrobatischen Übungen auf dem Zweirad gründlich in die Hose, so ist es dem Adoleszenten immer noch lieber, sich in Anwesenheit der Klassenkameraden schlagartig bewusst zu werden, dass ein Abgrund gähnt zwischen dem Realen und dem unter der Schädeldecke köchelnden Schwachfug, der sich nach und nach an den Tatsachen abschmirgelt. Er zieht sich gerne zurück ins Elternhaus, wo ihm die dumpfe Heile-Welt-Spießigkeit zwar voll auf die Plomben geht, doch weiß er, dass er aus dieser Zwangslage spätestens am nächsten Wochenende wieder entwischen wird und dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis er als Volljähriger den Ort seiner Gefangenschaft endgültig verlassen kann.
Nicht so der progressiv gehegte Halbwüchsige. Wo prügelnde Megären und dauerbesoffene Nulpen mit ihrem Latein am Ende sind, die folgende Generation für das eigene sinnlose Dasein büßen zu lassen, da fallen die Behämmerten par excellence ins weite Feld der Bevormundung ein, marodierend und verbrannte Erde hinter sich lassend. Es sind progressive Eltern, die sich an den Stammhalter ungefragt heranwanzen, als hätte der noch nicht genug Katastrophen am Hals. Mama und Papa als Kumpeltypen – ein Weltuntergangsszenario aus dem Bilderbuch für Grenzdebile.
Zunächst haben die Erziehungsberechtigten einen solchen Vorrat an Verständnisinnigkeit, dass es dem Sprössling graut. Er sucht sich mühsam seine Chancen zur Rebellion zusammen, vergiftet ein Rudel Kois in Daddys Gartenteich und nagelt Mammis Prada-Sammlung zwölfzöllig ans Cabrio. Die Altvorderen analysieren es kritisch und sehen, dass der Bankert durchaus nachvollziehbar handelt. Väterchen findet auch gar nichts dabei, er wollte den Sportwagen ohnehin abwracken, weil er denkt, dass ein Motorrad zu einem modernen Mann mit Kind ohnedies besser passt. Dass die Chrommühle nur angeschafft wird, damit er seinen Erben damit entspannt zur Engtanzfete kutschieren kann, steht auf einem anderen Blatt. Dass der Knabe vor dem anwesenden Damenflor lieber erektile Dysfunktion zugäbe als die Anwesenheit seines Erzeugers, steht für letzteren gar nicht zur Debatte. Er meint es gut, und genau das ist das Problem.
Mehr noch, die Erziehungsberechtigten maßen sich an, jedes noch so intime Detail ihrer Brut in sämtlichen Erscheinungsweisen mit dem klebrigen Überzug ihres Einfühlungsvermögens zu beschmieren. Wer weiß, wie Pubertierende ticken und dass eine Auseinandersetzung unter kleinen Mädchen – Chantal mag nicht mehr neben Jacqueline sitzen – die klassische Vorstellung von Harmageddon dagegen in ein minder schweres Kaffeekränzchen verwandelt, kann sich ausmalen, wie es die Blagen empfinden, wenn Mutti ihren eigenen missratenen Reifungsprozess als Parallele zu Töchterleins ersten zarten Erfahrungen auf dem Rücksitz eines Personenkraftwagens heranzieht. Sie hätte vielleicht gleich eine tiefenpsychologische Interpretation des Tagebuchs anfertigen sollen, um aus dem Mädel eine Portion Leibesfruchtsalat zu basteln. Die Hauptsache ist, es geht den Alten gut. Sie genießen nicht das Leiden ihrer Abkömmlinge, sie bemerken es nicht einmal.
Peinlichkeit ist ihre zweite Natur. Subfontanell unmöbliert wie sie sind, treiben sie glühende Krampen unter die Nägel ihrer kleinen Schatzis, indem sie sich als deren beste Freunde bezeichnen, öffentlich und ungefragt. Hatte der Rebellionsdrang schon keine Chance, so wird das Seelenleben der Jugendlichen hiermit endgültig in die Grütze geritten, denn die Gruftis kapieren nicht, dass man sich Freunde im Gegensatz zur Familie aussucht – jede Sozialisation der gesellschaftlichen Debütanten ist damit ausgeschlossen, die Bande wächst zu einem Haufen Psychoarschlöcher heran, die sich nur durch grobe Gewalteinwirkung von den Tentakeln der Mutterliebe und des Vaterstolzes lösen können.
Nach schweren Träumen kommt es dem Sohn mal wieder so vor, als hockte Pappi auf der Bettkante und gäbe seinen Sermon von sich. Die Sicherung brennt durch, und während die Nachbarn schon auf das Sondereinsatzkommando warten, verarbeitet das Kind seinen Schnödipus mit Hilfe der Laubsäge in handliche Päckchen. Alle sind fassungslos. Wo doch seine Eltern immer so viel Verständnis für ihn gezeigt hatten.
Satzspiegel