Teufels Küche

8 05 2014

Er konnte miserable Laune haben und mit den Zähnen knirschen, er konnte kochen – manchmal sogar vor Wut – und bekam dies charakteristische Zittern in seinen Schnurrbartspitzen, wenn er sich aufregte. Bruno Bückler, langjähriger Meister des gleichnamigen Landgasthofs, da er Aal in Gelee servierte und Schwarzsauer, von Freunden und Kritikern ehrfürchtig Fürst Bückler genannt, Bruno war außer sich. Und das von hochkarätigem Publikum.

„Ich lasse diese dahergelaufenen Clowns nicht in meine Küche“, schrie er. „Keiner von denen hat eine Gesundheitsprüfung!“ Der Aufnahmeleiter wedelte mit dem Vertrag. „Herr Dingens“, näselte er, „wir können auch gerne mit unseren Anwälten wiederkommen, aber wir würden doch lieber mit dem Dreh anfangen, ja?“ Hansi drückte sich an der Wand entlang und war schon fast im Trockenlager, als ich ihn am Kragen packte. „Das hast doch wieder Du eingefädelt“, zischte ich. Er wand sich. „Sie zahlen doch gut“, stammelte er, „und dann die Werbung – das ist die Auftaktsendung.“ „Und dafür verkaufst Du mal wieder Deinen eigenen Bruder?“ Er ließ den Kopf hängen. Wie oft hatte Hansi mit seinen Schnapsideen alles auf den Kopf gestellt, statt sich auf den Service zu konzentrieren. Es war ein Wunder, dass der Laden noch nicht drei Dutzend Male pleite gegangen, abgebrannt, in die Luft geflogen oder in Grund und Boden geklagt worden war. „Wir bräuchten einen neuen Spüler, und dann der Weinkeller, und wenn wir uns das neue Besteck kaufen wollen…“ Ich ließ ihn gehen. Würde er Bruno jetzt unter die Augen geraten, die Sache ginge auf keinen Fall gut aus.

„Hier ausleuchten“, kommandierte der Typ mit der Schirmmütze. Die Kabelschlepper schleppten Kabel, die Beleuchter warfen Schein, und schon strahlte es sonnenhell in die Küchenecke. „Mein Gemüse“, klagte Petermann. Der Entremetier, die rechte Hand des Chefs, blickte kummervoll auf Spargel und Blattsalate. „Wenn die Scheinwerfer nicht bald verschwinden, welkt mir die Hälfte unter den Händen weg!“ „Mir doch egal“, raunzte der TV-Macher, „dann kaufen Sie den Scheiß doch neu. Ich brauche mehr Licht. Für meine Süße.“ Keine Geringere als Heidemarie Weißlurch, notorisch in jedem mittelmäßigen Fernsehfilm sichtbar – die meisten Filme waren schon vorher mittelmäßig, bei den anderen wurden sie es durch ihre Präsenz – und nicht begabt fürs Gemüseputzen, stellte sich etwas an mit der Kartoffel. „Das ist ein Schinkenmesser“, stöhnte Petermann. Heidemarie kümmerte es nicht.

„Wenn ich es richtig verstanden habe, werden ein Dutzend Schauspieler und sonstige Pappnasen hier Kochen spielen.“ Bruno nickte. Sein Bart vibrierte. Im Hintergrund kippte Mick Schnickers, der Untalentierteste unter den schlechteren Schlagersängern, eine ganze Flasche Balsamico über dem Kopfsalat aus. Bruno ballte die Fäuste. Ich konnte ihn gerade noch zurückhalten. „Ich werde fragen, welche Rolle Du als Küchenmeister hier spielst.“

„Gar keine“, schmatzte der Aufnahmeleiter, während er mit den Fingern auf der Platte mit dem frischen Kalbsbraten herumwühlte. „Die Vorspeise für dreißig Personen“, sagte Petermann tonlos. „Kann ich alles in die Tonne treten.“ Hansi rang die Hände. „Wir kommen nicht aus dem Vertrag raus“, jammerte er. „Was fangen wir nur an?“ Unterdessen zerlegte die Truppe Vorräte und Gerätschaften. Bruno fauchte jeden von ihnen an. „Macht er toll“, höhnte der Glotzenbonze. „So ohne Drehbuch, also echt Respekt. Den Mist schneiden wir dann rein, so zwischendurch.“ Der Nachwuchsrapper mit dem nicht aussprechbaren Namen hatte gerade die Gewürze entdeckt. Zumindest das Salz hatte es ihm angetan. Fassungslos sah Petermann zu, wie der Hampelmann auch noch die Kalbsbouillon zugrunde richtete.

„Das Format heißt Teufels Küche“, berichtete Hansi. „D-Promis verwandeln ein Spitzenrestaurant in eine Irrenanstalt, und danach zeigen sie, wie die Ergebnisse von Feinschmeckern verkostet werden.“ Ich kratzte mich am Kinn. „Mir ist nicht bekannt, dass ein renommierter Kritiker sich das antun würde, wenigstens nicht freiwillig.“ „Vielleicht hat einer von ihnen so hohe Schulden, dass – “ Petermann winkte ab. Wie Heidemarie eine Karotte nach der anderen in die Raspelmaschine stopfte, hätte jeden Fresspapst vom Stuhl gejagt.

Wieder langte der Fernsehfritze zu, diesmal mit ungewaschenen Fingern in den geräucherten Lachs. Die Beiköchin griff instinktiv zum Beil. „Schade“, mampfte er, „dass wir diese Folge gar nicht senden können. Dabei hätte ich Ihnen das Honorar so gegönnt.“ Bruno klappte der Kiefer nach unten. „Normalerweise haben wir immer ein paar Gäste, denen wir den ganzen Müll hier vorsetzen, aber Sie müssen ja heute unbedingt Ruhetag haben. Und wir können schlecht die Weißlurch mit Trüffelresten filmen. Nehmen Sie’s sportlich, Herr Dings. Dafür kommt Ihre Bude hier auch nicht in unsere Sendung.“

„Moment mal.“ Der Aufnahmeleiter sah mich fragend an, dann etwas weniger fragend, schließlich mit einer Spur von Panik in seinem Blick. „Sie sind doch auch noch da. Und wir könnten schnell einen Ecktisch im Gastraum ausleuchten, nicht wahr?“ Die Beleuchter waren schon zu lange im Geschäft, um sich irgendeinem Befehl zu widersetzen. Rasch sengte grelles Wüstenlicht über dem blütenweißen Damast, und Hansi tischte auf. „Möhrenrohkost auf Essigsalat“, annoncierte er, den Teller mit dem unangenehm gesprenkelten Blattwerk vor den Gast hievend. Der stocherte etwas lustlos in der Sache umher, wobei ihm der Schweiß um so heftiger von der Stirn rann. „Und ein Teller Kalbsbrühe extra.“ Bruno stand hinter der Kamera, die Kelle schlagbereit in der Rechten. „Und das wird jetzt gelöffelt. Bis zum letzten Tropfen.“

Der ungebetene Gast war auf dem Weg zur Kanalisation ein paar Mal mit der Wand kollidiert, hatte dann aber den Hinterausgang erreicht. Man hörte nur sehr gedämpft, wie er sich brüllend in den Ausguss erbrach. Die bebeilte Beiköchin stellte sicher, dass alles gefilmt wurde. Bruno tupfte sich mit dem Halstuch das Gesicht ab. „Und wenn er Glück hat“, knurrte er, „kommt er damit nicht ins Fernsehen.“





Danke für den Fisch

14 11 2012

Bruno schnitt Grimassen. Seine Schnurrbartspitzen, kunstvoll in die Höhe gezwirbelt, vibrierten wie die Fühler eines Hummers, sein wallender Kinnbart jedoch hing ihm auf die Brust; was wohl daran lag, dass letzterer genau so angeklebt war wie meine blonden Locken. „Es rutscht“, keuchte er, „wir werden noch aufkippen!“ „Halt durch“, gab ich zurück. „Nicht schlappmachen – so kurz vor dem großen Fang!“

Emsig zupfte ich Salatblätter. „Vite, vite!“ Ein Koch trieb uns zur Arbeit an, mich, den Laien, und jenen seltsamen Mann mit dem Kinnflokati, in Wirklichkeit einer der großen Chefs der Region, den man ehrfurchtsvoll Fürst Bückler nannte, wenn er Schwarzsauer und Aal in Gelee auftischte in seinem Landgasthof. „Und nicht sortieren aus die schlechte Blatt, hein? nur zupfen klein-klein, damit sieht groß aus auf die Platte!“ Wir sahen uns verschwörerisch an. Alles lief nach Plan. Bruno schnitt in einem gehörigen Tempo Karotten und Sellerie zu winzigen Würfelchen. „Sie haben uns nicht erkannt“, knurrte er beleidigt, „mich, den großen Bruno Bückler, haben diese Banausen nicht erkannt! Diese Tütensuppenkasper sind degoutant!“ „Lass nur“, tröstete ich ihn. „wenn sie einen Schimmer gehabt hätten, wären wir nie so schnell als Küchenhilfe angestellt worden, oder?“

Wir befanden uns in der Höhle des Löwen, mitten in der Küche von Schlanzens Poisson d’Or. Gerüchte kamen auf, als der gefürchtete Gastrokritiker Erdmann Konopka nach dem Verzehr von Lammschulter eine heftige Fischvergiftung erlitt. Auch wechselte er mitunter verdächtig schnell das Angebot, ohne dass man Lieferwagen hätte vorfahren sehen (die Wettbewerber hatten sich zusammengetan, aber trotz mehrwöchiger Observation nichts entdeckt). Wer oder was steckt hinter Hartmut Schlanz, dem konkurrenzlos preiswerten Stern am kulinarischen Himmel? Wir ermittelten verdeckt.

„Heilbuttschnitte mit Couscous, Lammkoteletts, zweimal Lachssteak!“ Erleichtert atmeten wir auf. Hansi, Brunos Bruder und der Mann für den Service, hatte es tatsächlich in die Küche geschafft, wenngleich mit einem Schnurrbart, um den ihn Groucho Marx beneidet hätte. „Und einmal extra grüne Bohnen“, schrie er. Abrupt drehte Hansi sich um „Achtung“, flüsterte uns zu, „gleich kommt die Seezunge. Ich gehe jetzt raus, dann komme ich noch einmal rein, und dann gebt gut acht, was da in der Pfanne landet.“ So geschah es. Die Tür schwang zu, die Tür schwang auf, dann kam Hansi.

Atemlos sahen wir, wie der Küchenchef selbst in den Kühlschrank griff und ein Filet hervorzog, es blitzschnell in den Mehlbottich klatschte und sofort in die Pfanne warf. Bruno knirschte vor Wut mit den Zähnen. „Was für ein elender Stümper“, stieß er hervor, „den eiskalten Fisch in dieses billige Öl – ekelhaft!“ „Geduld“, mahnte ich. „Wir bekommen schon noch eine Chance. Dann werden wir ja sehen, was sich hinter dieser Seezunge für zwölf Euro verbirgt.“

Schon wieder war der Koch zur Stelle. Hektisch fuchtelte er mit den Armen vor meiner Nase herum. „Vite alors, der Salat ist sie fertig? Nur jetzt noch ein Schnittlauch für die Kartoffel, ja!“ Unbemerkt hatte ich die Schüssel mit den Tomatenschnitzen an den Rand des Tisches geschoben. Ich rempelte Bruno ein wenig an, er fuhr empor, der Koch drehte sich zu ihm, noch immer wild gestikulierend – schon rollte das Gemüse am Boden. „Verdammte“, schrie er, „Sie jetzt sofort neue Tomate, vite! Ich will kein Sekunde hier warten!“ „Los jetzt“, zischte ich Bruno an, „wir haben keine Zeit zu verlieren – jetzt oder nie!“ Einmal um die Ecke, schon waren wir endlich am Ziel.

„Plan A.“ Hansi kontrollierte den Sitz seines monströsen Schnäuzers. „Wie verabredet.“ Bruno nickte. „Wir ziehen die Tür hinter uns zu. Wenn wir nach zwei Minuten nicht wieder aus dem Kühlraum zurück sind, holst Du uns raus. Und lass Dich nicht erwischen!“ „Auf keinen Fall!“ Es ploppte dumpf, und wir standen im Dunklen.

Kühle umgab uns. Ich zog eine Taschenlampe hervor. „Da“, rief Bruno. „Die Fischpäckchen – das ist doch keine Seezunge?“ „Tiefgefrorene Scholle“, konstatierte ich, „leider nicht verdächtig. Die steht auf der Karte, Couscous mit Fisch.“ „Aber wenn das hier die Scholle ist, wo sind dann…“ Ich pfiff durch die Zähne. „Na schau mal einer an!“ Tief unter der Gemüsestellage lag ein Aktenordner. Ich zog ihn hervor; gemeinsam schlugen wir das Ding auf. „Nicht zu fassen“, murmelte Bruno. „Das ist ja alles nicht zu fassen – hier ist ja nichts echt!“ „Die Scholle ist nicht die Scholle?“ Bruno war wütend. Seine Schnurrbartspitzen zitterten schneller als er selbst in dieser Kälte. „Die Scholle kommt als Seezunge auf den Teller, und was verkauft er als Scholle? geplätteten Seelachs!“ Heftig schlug er die Seiten hin und her. „Da – Couscous? Milchreis, in kaltem Tee eingeweicht! Und die Lammschulter ist…“ Er wandte sich ab und würgte.

„Es hat Ihnen gemundet?“ Konopka legte zierlich die Serviette neben den Teller und nickte. „Ganz ausgezeichnet!“ Der Rezensent prostete mir zu. „Wir wollen mal sehen, dass wir Sie auf die Titelseite bekommen, mein lieber Bückler. Was doch die gute Leitung eines Hauses wie des Ihrigen so alles vermag.“ Bruno lächelte. „Freut mich, dass Sie die Seezunge an Couscous mit Kaiserschoten so schmackhaft fanden. Wir probieren gerne mal etwas Neues aus. Ein Rezept übrigens, das wir einem ambitionierten Amateur verdanken.“ „Oh, ein Jungkoch in Ihren Diensten, mein lieber Bückler?“ „Aber nein!“ Bruno lächelte. „Lediglich eine Spülhilfe.“





Mailschwitze

27 09 2012

Ssssit. Die Sahne war da. Ssssit. Ein Ei. Ssssit. Noch eins. Bruno Bückler runzelte die Stirn. „Ich hatte einen Esslöffel Mehl bestellt.“ Petermann kratzte sich im Nacken. „Tja“, seufzte er, „Sie hätten es per E-Mehl bestellen müssen, Chef.“

„Ich kann so nicht arbeiten!“ Heftig vibrierten seine Schnurrbartspitzen; Bruno Bückler, Herr der Herde im eigenen Landgasthof und legendär, wenn es um Schwarzsauer und Spargel ging, von Verehrern wie von Konkurrenten als Fürst Bückler gepriesener Koch, quirlte erregt mit dem Schneebesen die stickige Küchenluft. „Ich möchte es einmal erleben, dass Hansi einen von diesen depperten Vertretern vor die Tür setzt, ohne ihnen vorher den Jahresumsatz in den Rachen zu schieben!“ Zwischen den beiden Brüdern herrschte seit jeher ein angespannter Waffenstillstand, den man keinesfalls leichtfertig hätte mit Frieden verwechseln sollen. Es fiepte aus der Ecke. „Die Eier.“ Petermann, Entremetier und Brunos rechte Hand, wies auf den Kühlschrank. „Offensichtlich haben wir sie nicht rechtzeitig verbraucht.“ Von irgendwo schnarrte es monoton. „Der Sellerie“, murmelte Bruno.

„Kinderleicht!“ Hansi jubelte geradezu. Ich war mir nicht sicher, ob er verstanden hatte, was er da anrichtet. „Diese kleinen Endgeräte kommunizieren mit den Kühlschränken, die Küche ist nämlich jetzt komplett vernetzt. Hier einmal auf das Rezept drücken, und zack! kommen zwei Eier aus dem Kühlschrank. Man muss nur abwarten, bis die anderen fertig sind.“ „Fertig?“ Er beschwichtigte mich. „Diese Verbindung per Mail ist immer noch ein bisschen holperig, aber mit der Zeit wird sich das schon einpendeln. Die Hauptsache ist doch, dass wir der Küche Arbeit abnehmen.“

„Genau das ist der Punkt“, jammerte Bruno. „Genau das versuchen wir ihm doch die ganze Zeit beizubringen. Wir können in der Küche nicht stillstehen – während die Reismütze im Ofen ist, dekoriert der Commis die Salate. Wir können nicht auf ein kleines Kästchen gucken und warten, bis die Gäste mit den Hufen scharren.“ „Warum hat er das überhaupt angeschafft?“ „Es gab Rabatte für Cognac und Champagner“, grummelte Petermann. „Ihm untersteht der Service, er muss das wissen.“ „Aber er regiert immer in die Küche hinein“, schrie Bruno. „Er regiert immer in meine…“ „Gut jetzt“, beschloss ich. „Die ersten Gäste sind da, wir sollten es versuchen.“

Bruno sautierte Muscheln und äugte kritisch, wie Trüffel über die Pasta gehobelt wurden. „In die Sauce noch ein paar Pilze, und die Bohnen werden diagonal ausgerichtet“, befahl er. Da schnurrt ein Döschen Tomatenmark über den Küchentisch. „Wer hat das bestellt?“ Ich guckte auf dem kleinen Kästchen, das achtlos neben dem Besteckkorb gelandet war. „Vermutlich ist nur ein Kellner auf die Taste gekommen, also kein Grund zur…“ Doch da spuckte der automatische Kühlschrank bereits die zweite Dose aus. „Wo bleibt die Mehlbutter“, fauchte Petermann. „Die steht doch rechts oben, warum bekomme ich stattdessen Tomatenmark?“ „Offenbar ist das System überfordert“, mutmaßte ich. „Sie können zwar per Mail eine Schwitze ordern, aber das Gerät erkennt nicht, wo was steht.“ Petermann grollte. „Vermutlich ist dieses ganze Ding nur erfunden worden, um einem Faulpelz die Pizza in die Hängematte zu liefern.“

Plötzlich begann der Mixer zu röhren. Das Display der handlichen Nervensäge verriet Kürbis al forno. „Wird normalerweise mit Pesto serviert“, informierte mich Bruno. „Aber ich habe keine Ahnung, warum das Ding jetzt rotiert.“ „Vermutlich hat ein Gast Kürbis bestellt?“ Petermann schüttelte den Kopf. „Haben wir erst morgen auf der Karte.“ Unbemerkt hatte sich Hansi hinter uns geschlichen und starrte verlegen auf den Boden. „Das liegt an den Geräten“, stotterte er. „Der Mixer ist von Sumsang und die Mikrowelle von Pionarr, die verstehen sich nicht besonders.“ „Jetzt wird mir einiges klar“, befand ich. „Unter anderem, warum der Geschirrspüler anspringt, sobald man den Pürierstab benutzt.“ Bruno stöhnte. „Ich kann so nicht arbeiten!“ Ssssit. Kam ein Ei.

Kaum hatte ich nach einem Lappen für das Ei gesucht, wie es sich unangenehm auf dem Boden verteilte, da strömte gemächlich Wasser aus dem Hahn neben dem Herd. „Offensichtlich ein venezianisches Modell“, bemerkte ich und zog mich zurück. Innerhalb weniger Augenblicke sauste der batteriebetriebene Saugroboter, den Hansi in einem Anfall von Wahnsinn gekauft hatte, durch die sich mählich vergrößernden Pfützen. „Den Hahn zu“, befahl Bruno. Doch nichts half. Hansi blieb wie vom Erdboden verschwunden. Und der See breitete sich aus. „Zweimal Bachsaibling“, rief es von der Küchentür. Bruno knurrte.

Der Kühlschrank ließ sich überlisten, soviel hatte Petermann in Erfahrung gebracht: bei saurer Sahne bekam man Meerrettich, für Meerrettich gehackten Dill und anstelle eines Eis deren zwo. Der Wasserstand stieg dennoch. „Den Fisch aus der Pfanne“, schrie Bruno, „und dreh mir doch endlich einer diesen verfluchten Hahn zu!“ Ich putzte den Tellern rasch den Rand ab und hieb auf die Glocke. Keine Bedienung. Ssssit. Die Remoulade musste vermutlich eh weg. Ich schnappte mir die Teller und schwang mich durch die Tür. Da stand Hansi, bis zu den Knöcheln in der Brühe. „Saibling“, klärte ich ihn auf. „Nebst Bach.“





Ratatouille

12 07 2012

Außergewöhnlich sanft stellte Hildegard die Kaffeetasse auf den Tisch. „Übrigens kommt heute Abend Rüdiger zum Essen“, säuselte sie, „nicht, dass Du es vergessen hast?“ „Keinesfalls“, gab ich zur Antwort. „Ich hätte es ganz bestimmt längst verdrängt, wenn Du es mir nur ein- oder zweimal mitgeteilt hättest, aber da ich es eben jetzt gerade zum ersten Mal höre, hatte ich noch gar nicht ausreichend Zeit, es zu vergessen.“ „Versuch nicht, witzig sein“, knurrte sie. „Ich bin nicht witzig“, knurrte ich zurück, „allerdings wüsste ich eins noch gerne, wenn es Dir nicht zu viel ausmacht: wer, verflucht noch mal, ist Rüdiger!?“

Wir haben in Bezug auf die Küche vereinbart, die Lasten ganz gerecht zu teilen; an geraden Tagen koche ich, während Hildegard isst, an ungeraden lässt sie sich von mir bekochen und überlässt mir den Abwasch. Selten greift sie in meine Gestaltung ein, indem sie beispielsweise ein Menü mit Spargel und Erdbeeren vorschlägt, vornehmlich im Advent. Ansonsten habe ich völlig freie Hand, kann nach Herzenslust kochen und habe jeden Tag aufs Neue die Chance, ihren kritischen Blicken zu entkommen und den nächsten Gang zu servieren – in meiner Küche, die sich in meiner Wohnung befindet, in der Hildegard weder offiziell wohnt noch dort gemeldet wäre, sie hält sich nur zum größten Teil dort auf.

Rüdiger, verkündete sie, sei ein neuer Kollege, und ihrem Tonfall entnahm ich, dass der Mann nicht ganz schussecht sein konnte. „Er ist Veganer oder Vegetarier oder so etwas“, teilte Hildegard mir mit. „Gib Dir also ein bisschen Mühe, ich möchte nicht, dass Du ihn gleich bei der ersten Einladung enttäuschst.“ „Vorerst wirst Du freundlicherweise herausfinden, was dieser Rüdiger nun ist, und dann wirst Du die Güte haben, mir einen sehr guten Grund zu liefern, warum ich für ihn kochen sollte.“ Sie rümpfte die Nase. „Das klingt ja wirklich nach Gastfreundschaft.“ Hildegard ballte die Fäuste auf dem Frühstückstisch. „Du kennst ihn nicht, bis vor ein paar Minuten wusstest Du überhaupt nicht einmal, dass es ihn gibt, aber Du bist Dir natürlich viel zu fein, ihn einzuladen. Großartig!“ Sie hieb mit der flachen Hand auf den Tisch, dass die Tassen klirrten. „Ich frage mich ernsthaft, was ich mit einem Ekel wie Dir überhaupt soll – meine Mutter hat mich immer vor Dir gewarnt!“ „Solltest Du gehen“, informierte ich sie, „zieh die Tür bitte leise hinter Dir ins Schloss. Den Schlüssel kannst Du mir auch in den Briefkasten werfen.“

Muspelmanns Gemüsemanufaktur war eben eingeräumt. „Die Gurken sind ganz frisch“, strahlte die Chefin, „hiesige Ware – und probieren Sie auf jeden Fall unsere Gemüsezwiebeln, die sind heuer sehr schön aromatisch.“ Ich entschied mich für drei Kilo gemischtes Gemüse, ließ mir ein paar frische Kräuter einpacken und betrachtete die Birnen. Ein Dessert schwebte mir vor; wenn ich schon zum Kochen gezwungen würde, sollte es wenigstens Spaß machen.

Hildegard war anderer Ansicht. „Das ganze Zeug ist doch sicher nicht bio oder öko oder so.“ „Die Auberginen sind natürlich aus maschineller Produktion“, gab ich ungerührt zurück. „Was genau ist der Unterschied zwischen einer Ökotomate und einer normalen aus Muspelmanns Gemüseladen?“ „Rüdiger ist doch Ökologe oder so etwas, dem kann ich doch nicht einfach irgendein Supermarktgemüse vorsetzen!“ Ich hieb den Korb auf die Anrichte. „Erstens“, fauchte ich, „setzt Du ihm gar nichts vor, und zweitens ist ein Gemüsefachgeschäft mit regionaler Ware kein Supermarkt!“ Sie schmollte. „Ich meine ja nur. Wenn Du ein paar biologisch-dynamische Tomaten kaufen könntest, dann würde ich mich vielleicht um den Salat kümmern.“

Rüdigers Händedruck erinnerte entfernt an rohen Hefeteig, feucht, warm und schwammig. „Ich bin nämlich der Rüdiger, Du!“ Dabei wiegte er seine in einen mehrfach gestopften Häkelpullover gehüllte Figur mehlsackartig in den Hüften und ließ sich auf dem Küchenstuhl nieder. Hätte ich nicht gewusst, dass er Sozialkunde unterrichtet, es wäre mir spätestens jetzt an seinem charakteristischen Körpergeruch aufgefallen und an seinen Schuhen; allein die konnten auch aus der Beschäftigung mit alttestamentarischen Gebräuchen entsprungen sein. Hildegard rieb nervös ihre Nase. „Sie hat mir nämlich auch erzählt, dass Du voll gut kochst.“ Das konnte ich nur bestätigen. „Ich habe meine Spezialität zubereitet“, verkündete ich, „den Klassiker der provenzalischen Küche: Ratatouille.“ Schon fiel er ausgehungert über seinen Teller her. Hildegard kaute indes andächtig. Ihr Blick fiel auf den Gemüsekorb, in dem eine schrumpelige Zwiebel nebst matschigen Tomaten lagen. „Du hast also tatsächlich noch Bio-Gemüse besorgt?“ „Aber ja doch“, sagte ich leise und mit der friedlichsten Miene. „Sie hatten fast alles. Da war so viel, ich musste regelrecht suchen.“ „Und woher hast Du diese Tomaten?“ „Ach“, schmunzelte ich, „von ganz rechts. Du weißt doch, die Tonnen hinter dem Bio-Supermarkt.“

Hildegard erreichte gerade noch das Bad; ich hörte, wie sie sich brüllend ins Klosett erbrach. Den Körnerfresser schien das nicht weiter zu stören, er war mit dem Gemüse beschäftigt. „Nehmen Sie noch ein bisschen Salat“, ermunterte ich ihn, „die gute Hildegard hat ihn selbst gemacht.“ Rüdiger starrte entsetzt auf die Schüssel, auf meine Beste, die zitternd in der Küchentür erschien, und warf das Besteck von sich. „Mozzarella!“ Angewidert schob er das Schüsselchen beiseite. „Ihr Tierschänder! Das ist ja ekelhaft, nie hätte ich das von Euch gedacht!“ Hildegard wollte gerade antworten, doch ich hatte schon die Plastikschlaube aus dem Eimer gefischt. „Sie hat den preiswerten Analogkäse aus dem Supikauf genommen“, verkündete ich. „Der ist aus modifiziertem Pflanzenfett, Salz, Wasser sowie jeder Menge Chemikalien zusammengepappt und hat garantiert nie eine Kuh von innen gesehen. Den können Sie unbesorgt essen.“ Er starrte Hildegard an, die erschöpft zu mir blickte. Rüdigers Züge glätteten sich. Mit neuem Appetit löffelte er seinen Teller leer. „Ich muss schon sagen“, tadelte ich. „Wenn ich gewusst hätte, dass Dein Kollege so ein guter Esser ist, hätten wir ihn schon viel früher einladen können!“





Eigener Herd ist Goldes wert

9 01 2012

„Chef, den Jungschweinrücken? Und wir hätten dann auch noch den Saibling, genauer: zwölf Kilo Saiblingsfilet.“ Bruno starrte mich aus waidwunden Augen an. Die aufgezwirbelten Schnurrbartspitzen zitterten bedenklich vor seinem hektisch geröteten Gesicht. „Ich werde noch wahnsinnig! Was habe ich verbrochen, dass ich in dieser Kaschemme landen muss?“ Er knüllte die Mütze zwischen den Fingern zusammen. Bruno kochte. Leider vor Wut.

„Vorsicht!“ Da war es schon zu spät, heftig stieß ich mir den Ellenbogen an dem Servierwägelchen, das Petermann, der Entremetier und Brunos rechte Hand, klirrend und klingelnd über die Schwelle wuchtete. Der Meister schäumte vor Zorn. „Wie soll ich in diesem Loch kochen“, schrie er, den sie respektvoll Fürst Bückler nannten, „ich kann mich nicht einmal um meine eigene Achse drehen! Das ist doch eine Telefonzelle hier!“ Der Küchenfürst, der ansonsten in seinem Landgasthof Aal in Gelee und Schwarzsauer zubereitete, hieb mit der flachen Hand auf das schmale Tischchen mit der brüchig verleimten Arbeitsplatte. Halb saß ich unter der Servierkarre, halb schon dem Wirt auf dem Schoß, wie er müde durch die Tür guckte. „Ist doch kein Problem nicht“, grummelte Suhrbeer, „können wir doch die Fische hier auch in den Flur legen. Da sind ja oben noch zwei Klappstühle zu stehen.“ Bruno schnappte zurück. „Und wie halte ich den Fisch frisch?“ Suhrbeer kratzte sich unter dem speckigen Unterhemd. „Ach so, ja. Den Kühlschrank könnte man auch anschalten. Müsste nur vorher einer auswischen. Wegen die Hygiene.“

Ich tätschelte Bruno die Schulter. „Nicht aufgeben, das bekommen wir schon irgendwie hin. Was hat Dich bloß geritten, in dieser Pinte einen Abend lang als Event-Koch zu gastieren?“ Er schluckte trocken und sog heftig den kühlen Wind im Hinterhof ein. „Hansi“, ächzte er. „wie immer mein missratener Bruder, der sich nicht um seinen Service kümmert, sondern mir bei jeder sich bietenden Gelegenheit ins Handwerk pfuscht.“ „Ich dachte, Du solltest als Coach kleinere Restaurants beraten?“ Er nickte. „Schon, aber dann wollte er unbedingt einen Sponsor und einen TV-Sender.“ Wer Bruno kannte, der wusste, wie zuwider ihm die ganze Sache schon ohne Kameras war. Es nieselte. Wir mussten wieder in Suhrbeers Etablissement. „Sieh mal“, sagte Bruno und hielt mich am Arm zurück. Im trüben Nachmittagslicht zeichneten sich die Buchstaben spiegelverkehrt von der schmutzigen Frontscheibe ab. Kochen mit Induktion klebte da. Das grüne Ladenschild mit der Aufschrift Gardinenboutique hatte der Wirt zur Vorsicht gar nicht erst abgehängt. „Na großartig“, zischte Bruno. „Ich fühle mich hier wie zu Hause.“

Der Gastsaal gähnte vor Leere. Zwölf Tische, allesamt neues Mobiliar, standen auf schiefen, schlecht verlegten Dielen. Das Farbspiel der Tapete ließ erahnen, dass hier bereits Damenwäsche und Versicherungen verkauft worden waren. „Hansi sagte, der Vormieter sei schnell pleite gewesen, und da habe er die Bude an seinen Vetter untervermietet. Suhrbeer war wohl mal Küchenjunge.“ Ein Gang führte zur Küche, einem kleinen Verschlag mit zwei Spülbecken, Gasherd, Kühlschrank und diversen Hängeschränken, vollgestopft mit Konservendosen. Was wäre erst passiert, wenn nach Hansis Wunsch die komplette Brigade angerückt wäre. „Was soll ich hier bloß machen“, murmelte Bruno. „Ich kann mich in dieser Kombüse nicht richtig bewegen, geschweige denn professionell kochen.“ Sein Bart vibrierte wie die Fühler eines Hummers. „Neunzig Portionen Jungschweinrücken, Saibling, die Rüben, dann die Kartoffeln, wir haben die Maronen für die Suppe, und wo ist eigentlich der Speck für die Klößchen? Hat die der Commis nicht…“ Er tastete nach dem Zettel in seiner Brusttasche.

„Chef?“ Petermann stand ächzend in der Tür, einen Stapel Kupfertöpfe unters Kinn geklemmt. „Das ist dann aber auch alles…“ Bruno wollte schon aufatmen. „… bis auf die Pfannen und die Saladière, den fahrbaren Salamander und das…“ „Halt!“ Der Maître drehte sich um. „Ich mache das Theater nicht mehr mit! Soll doch der Trottel sehen, wie er seinen Laden voll kriegt, ich mache hier nicht mehr mit!“ Petermann drehte sich und kam fast ins Stolpern mit dem scheppernden Geschirr, da steckte Suhrbeer den Kopf in die Küche. Er sah angenehm besäuselt aus, was an dem Senfglas lag, das er in der Linken trug, ebenfalls an der Flasche in der rechten Hand. „Dufte“, schmatzte der Alte. „Der geht ja runter wie Öl. Habt Ihr noch paar von denen?“ „Der Wein!“ Petermann ließ die Töpfe auf den Küchentisch fallen. „Feines Tröpfchen“, sprach Suhrbeer und schnalzte mit der schweren Zunge. „Tafelwein weiß, das ist mein liebstes…“ „Sind Sie von allen guten Geistern verlassen!?“ Wie ein Berserker fuhr Bruno auf den Wirt zu. Er packte ihn am fleckigen Feinripp und entwand ihm die halb geleerte Flasche. „Mein 1997-er Plörtzheimer Hundefleck“, heulte er. „Spätlese trocken! Verdammt, womit soll ich denn jetzt die Sauce für den Saibling ablöschen?“ „Brühwürfel“, stammelte Suhrbeer. „Ich mach das immer mit so Brühwürfel nämlich.“

„Wir gehen“, entschied Bruno. „Dieses Dreckloch hier ist unerträglich, ich bleibe keine Sekunde länger!“ „Chef“, murmelte Petermann, „es gibt nur ein Problem. Die Zeitungsanzeige. Sie stehen da drin, und wenn wir jetzt nicht für die Gäste kochen, das spricht sich schnell herum.“ „Wie soll ich in diesem Winzding kochen“, ereiferte sich Bruno, „den Gasherd muss man treten, bis er überhaupt anspringt, und der Kühlschrank ist ein Witz! Und für diese Blamage haben wir alle Gerätschaften mitgeschleppt, Salamander und Grill und…“ „Genau“, fiel ich ein. „Petermann, diese ausrangierte Kuchentheke!“ „Stammt sicher aus der Zeit, als das hier für vier Wochen ein Café war.“ „Genau, und dann haben wir doch diesen neuen Kochaufsatz im Wagen, richtig?“ Bruno strahlte. „Kochen mit Induktion! Geniale Idee, an die Arbeit!“

Die Gäste tafelten vergnügt, während an der Stirnseite der Küchenfürst virtuos Möhren und Kohlrabi schnitt, Zuckerschoten sautierte und beim Saibling die Sauce angoss. Petermann schwenkte hingebungsvoll die Kartoffeln. „Das machen wir mal wieder“, sagte Bruno zufrieden. „Eigener Herd ist doch Goldes wert!“





Alles in Butter

25 04 2011

„Ein Viertelliter Milch, fünfzig Gramm Zucker, etwas Zitronenschale. Und dreißig Gramm Butter.“ Max Hülsenbeck rümpfte die Nase. „Das braucht er mir nicht zu sagen. Schließlich koche ich nicht zum ersten Mal.“ „Sie meinen: backen“, mischte sich Frau Lottermoser ein. Brunos Schnurrbartspitzen vibrierten bedenklich. Was hatte er sich da für ein Ei gelegt. Und das an Ostern.

„Und dann auch noch in so netter Begleitung!“ Frau Lottermoser, Doktor Klengels angeheiratete Schwippnichte, genoss den Kochkurs sichtlich. In Bücklers Landgasthof war das auch nicht schwer, gab sich doch Bruno Bückler, der als Fürst Bückler im Umland bekannte Küchenfürst, alle Mühe, es den Teilnehmern angenehm zu machen. Nicht Aal in Gelee und Schwarzsauer bereitete die Küche unter seinem strengen Blick zu, sie sahen, wie zwanzig Eleven über den großen Teig gingen; manche offensichtlich zum ersten Mal. „Dass Sie auch gleich zwei so charmante Männer mitgebracht haben!“ Anne hatte nämlich nicht nur mich, sondern auch besagten Max eingeladen – während er die Renovierung ihrer Küche durch die Explosion des Toasters ermöglicht hatte, fiel mir die Instandsetzung zu, ein Grund, sich bei uns beiden zu bedanken. So standen wir in Bücklers Küche.

„Man kann über Anne vieles sagen, aber nicht, dass sie Talent zum Kochen hätte.“ Hansi, Brunos jüngerer Bruder, der sich um den Service kümmert, schaute fasziniert zu, wie sie verzweifelt versuchte, einen Nudelteig auszuwalken. „Sie ist nun mal eine begnadete Juristin“, bemerkte ich, „man muss ihr alles, was komplizierter ist, als Briefumschläge zuzukleben, in einzelne kleine Schritte zerlegen: vorwärts, rückwärts, vorwärts, rückwärts, etwas Mehl unters Nudelholz…“ Glücklicherweise half ihr der Herr zur Linken. „Geben Sie nicht alles Ei gleich ins Mehl hinein“, riet er Anne, „und lassen Sie sich Zeit mit dem Verkneten. Er braucht schon sieben, acht Minuten, da ist er noch ein bisschen krümelig, aber dann geben Sie den Rest vom Ei nach – voilà, jetzt klumpt er und ist richtig!“ Max blickte ihn geringschätzig an. „Was will denn dieser Opa hier?“ Hansi zupfte mich leicht am Ärmel. „Das ist der, von dem ich Dir erzählt hatte. Du musst ihn kennen lernen.“ „Ah, der Herr aus der Schweiz?“ Hansi nickte. „Genau. Er kommt uns regelmäßig besuchen, obwohl ich nicht begreife, warum.“ Ich war verwundert. „Aber er macht doch gar keinen so unbegabten Eindruck wie Hülsenbeck?“ „Ach was“, antwortete Petersen, Entremetier des Hauses und Brunos rechte Hand. „Wir fragen uns, warum er nicht selbst unterrichtet. Schau ihm über die Schulter, es lohnt sich.“

In der Tat formte er unter den prüfenden Blicken der Bücklerbrüder eine Pastete, füllte sie mit dem Schinken aus Brunos eiserner Reserve und einer Masse aus Kalbfleisch und Pilzen, worauf er eine Rolle Mullverband fältelte. „Da haben wir uns wohl verhauen“, höhnte Hülsenbeck, „wenn wir den Rest aus dem Erste-Hilfe-Kasten nehmen müssen.“ „Meine Güte!“ Bruno knirschte mit den Zähnen. „Dieser Idiot beleidigt mir die besten Gäste! Was bildet der Mann sich eigentlich ein?“ „Wenn wir das Ende der Binde aus dem Kaminloch zupfen, haben wir einen Zwischenraum, und den werden wir dann morgen mit Gelee ausfüllen.“

„Einen guten Koch erkennt man daran, dass er sich nicht die Manschetten schmutzig macht.“ Bruno war aufmerksam durch die Reihen geschritten, hatte hier ein bisschen Mehl gestreut, dort beim Kneten assistiert, schließlich stand er hinter mir und sah verächtlich auf Hülsenbeck. „Dieser Schnodderlumpen“. zischte er. „Was Anne nur an dem Typen findet? Taucht hier auf im anthrazitfarbenen Nadelstreifenanzug – lachhaft!“ „Damit man das Mehl besser sieht“, gab ich trocken zurück. Er grinste. „Vielleicht lassen wir ihn dann besser Schwarzbrot backen?“

Unterdessen zeigte der Schweizer Gast Frau Lottermoser, wie man kleine Teigkreise mit einer Spinatfülle zu Trecce piacentine faltet. „Von links, rechts, links, rechts, und dann zusammenschieben.“ Frau Lottermoser war begeistert. „Kleine Zöpfchen, wie entzückend! Ach, Sie sind ja noch viel netter als der Herr Hülsenbeck.“ Hochnäsig sah Max auf die Teigtaschen. „Das könnte ich ja auch, wenn ich wollte.“ Petersen knurrte. „Jetzt reicht’s! Los, lenk ihn ab.“ „Aus Kärnten kennt man diese Täschchen doch“, schwafelte ich, „sie werden gekrendelt – und eine Frau wird sich nicht verheiraten, wenn sie nicht krendeln kann.“ Frau Lottermoser errötete deutlich; aber sie hatte ihren siebzigsten Geburtstag schon hinter sich und musste sich darum nicht mehr sorgen. „Einen Bleistift“, flüsterte Hansi. „Da liegt der Schreibblock.“ Der Pastetenbäcker verstand und kringelte einzweimal, bevor er ganz interessiert einen Rührlöffel begutachtete. „Jetzt aber keine Müdigkeit vorgeschützt“, rief Bruno und klatschte in die Hände. „Sie haben ja noch gar nichts getan, Herr Hülsenbeck. Lesen Sie mir doch das Rezept noch einmal vor.“ Der Staatsanwalt griff zum Zettel. „Fünfzig Gramm Zucker, Zitronenschale, achthundert Gramm Butter.“ Bruno nickte. „Und kneten Sie ihn am besten von Hand. Der Teig mag das. Er verbindet sich schneller.“

„Ich werde mir eine Nudelmaschine kaufen“, beschloss Anne. „Wenn Du mal zum Kochen kommst“, ließ sie mich wissen, „musst Du nicht immer Deine mitbringen.“ Schon fischte Frau Lottermoser die erste Pasta aus dem Topf. Hülsenbeck steckte bis zu den Ärmeln in verquirlter Butter. „Schön machen Sie das“, lobte ihn Bruno mit beißendem Spott und legte ihm eine Zitrone auf den Tisch. „Jetzt noch etwas Schale abreiben, dann ein Ei hinein, und dann messen Sie die Milch ab. Aber was muss ich das Ihnen sagen. Sie kochen ja nicht zum ersten Mal.“





Wischiwaschi

23 03 2010

Der Frühling zog langsam ein, bald würde man nicht mehr Schnee fegen, sondern Pollen. Ein Blick auf den Kalender bestätigte mir meine Vorahnung: es würde knapp, jetzt noch alle Freunde für ein Festtagsmenü zusammenzubekommen. Ich stellte die Kaffeetasse auf den Schreibtisch, schritt in die Küche und fand Hildegard über einem Stapel von Aufsatzheften. „Was hältst Du davon“, schlug ich leichthin vor, „wenn wir Ostermontag…“ Sie hob nicht einmal den Kopf. „Du wäschst ab.“

Aus baustatischen Gründen verträgt die Küche keine Geschirrspülmaschine. Da es sich um meine Küche handelt, kann ich, wenn überhaupt, auch nur leisen Protest anmelden, und selbst hier muss ich zur Kenntnis nehmen, dass die Betonung meist auf dem Anmeldevorgang liegt. Allerdings hält das Hildegard nicht davon ab, für ihre Ess- und Trinkgewohnheiten Besteck und Geschirr in rauen Mengen zu verschmutzen. Kaffeetassen pflastern ihren Weg, wenn sie am Wochenende zwecks Marktbesuch, Briefkastengang und mehrmaliger Ausflüge auf den Balkon die Wohnung verlässt und hinterher eine neue Tasse aus dem Küchenschrank nehmen muss, Löffel inbegriffen, denn sie trinkt ihren Kaffee schwarz. Sonnige Nachmittage, deren Geräuschpegel sie manchmal unentwegt zwischen Arbeitszimmer und Altan pendeln machen, führen rasch zu dem Gedanken, dass auch eine kurzfristig angeheuerte Spülhilfe mit dem 24-teiligen Service nicht mehr rechtzeitig fertig würde, wenn meine Beste einen Anfall von Porzellanmangelsyndrom erlitte. Böse Zungen behaupten, ich hätte nicht alle Tassen im Schrank. Aber was soll ich tun, wenn sie nicht den Löffel abgeben will.

Nun wäre es nicht halb so problematisch, lüde ich mir eigene Gäste ein. Das Verhältnis zwischen meinem Freundeskreis und Hildegard ist einerseits von Befremden, milder Ironie und leiser Furcht geprägt, andererseits von kalter Ablehnung. Jonas treffe ich nur aushäusig, Reinmar hält sie nervlich nicht aus. Ich koche für ihre Kolleginnen, deren Männer vormittags absagen – hartnäckig vermute ich, sie sitzen bei einer guten Flasche Wein um den Tisch und ziehen Streichhölzer; der Gewinner darf anrufen.

„Wir könnten diesen chilenischen Feuertopf machen oder ein Hammelragout“, schlug ich vor. Hildegard war verärgert. „Ich kann nichts dafür, dass Du Deine Suppentassen immer auf den Boden schmeißt!“ Sie hatte Recht; als ich vor einiger Zeit einen großen Topf mit Kartoffel-Lauch-Suppe gekocht hatte, aß sie am Nachmittag und bis in den späten Abend hinein immer noch ein bisschen vom allmählich erkaltenden Eintopf, genauer: sie füllte sich ungefähr einen Esslöffel voll davon in eine der siebzehn Suppentassen ab, die von den dreimal sechs übrig geblieben waren – es war der letzte Geburtstag gewesen, den Hildegard noch unter Nennung des wahren Alters gefeiert hatte, und zwar in meiner Wohnung, wobei sie es sich nicht hatte nehmen lassen, mir die verbleibende Tasse aus der Hand zu schlagen, so dass sie (die Tasse, nicht Hildegard) auf dem Küchenboden zersplitterte. Die Spüle stand voller Suppentassen, so dass ich noch nachts den Abwasch machen musste. Hildegard hatte es abgelehnt, für nur einen Löffel Suppe gleich einen tiefen Teller zu verschmutzen.

Die Krise weitete sich aus. Kaum hatten wir uns auf einen einzigen Hauptgang geeinigt, ließ sie ihre Abneigung gegen Suppen spüren. Als sei nur Suppe geeignet für einen einzigen Gang, weil man sie in einem einzigen Topf kochen und in einer Tasse servieren könne, wobei sie auch nur ein einziges Teil an Besteck forderte. Zur Auflockerung erfand ich aus dem Stegreif das Patchwork-Essen, eine Weiterentwicklung der Bottle-Party mit anderen Mitteln: der Gastgeber bereitet die Speisen zu, Geschirr und Besteck jedoch bringen die Gäste nach Lust und Laune mit. Hildegard stichelte, ich sei zu geizig, ihren Gästen Pappteller zu kaufen. Einen kurzen Augenblick lang hielt ich es für einen passablen Scherz, ich fand mich jedoch in die raue Wirklichkeit zurückkatapultiert, als sie zunächst aus Teegläsern Kaffee trank (die Küchenspüle stand schon wieder voll), dann aber ein Großgebinde an Einwegtassen aus geschmacksneutralem Kunststoff – die Geschmacksneutralität bezog sich offenbar nur auf das Design – in die Küchenecke stellte.

Als ich vor ihren Augen eine Porzellantasse umspülte, abtrocknete und auf den Küchentisch stellte, verlor Hildegard die Contenance. „Das wirst Du bereuen“, presste sie wutentbrannt hervor. Da sie unmittelbar danach anfing, ihre Kolleginnen zum Essen einzuladen, wurde mir klar, dass es sich um keine leere Drohung gehandelt haben sollte. Eine weitere Verhandlungsrunde über Essen auf Rädern, im Karton gelieferte Pizza und Salatboxen aus dem Schnellrestaurant endete in ihrer Ansage, nie wieder meinen Kaffee aus meinen Tassen in meiner Wohnung zu trinken; eine Sekunde lang freundete ich mich mit diesem Gedanken an. Auch die Tatsache, dass Hildegard einen immensen Sack voller Umrührstäbchen durch die Wohnung trug, so dass ich schon nach einer knappen Stunde wieder die Dielenbretter unter den aus dem Riss in der Folie quellenden Plastestäben entdeckte, machte mich seltsam entschlossen, der Sache ein Ende zu bereiten. Schon hielt ich zwei Tassen in der Hand, zögerte jedoch, sie auf die Fliesen zu pfeffern.

Die Stimmung in Bücklers Landgasthof war gelöst, bis Hildegard den von mir geladenen Gästen die Augen öffnete. Ich sei mir nicht zu fein, für sie zu kochen; ich sei mir zu fein, für meine Gäste abzuwaschen.





Oh, Sole mio

26 01 2010

„Nicht jetzt, hier!“ Der Glatzkopf schnaufte mir ins Gesicht. Langsam wurde es mir zu bunt – nicht einmal das Schildchen um meinen Hals überzeugte ihn. Dabei schien die halbe Stadt in der Küche versammelt, wenn man diesem Gewirr von Lieferwagen, Kleinbussen und dem roten Cabrio folgte, das quer über drei Parkplätze stand. „Sie nicht!“ „Aus dem Weg“, scholl die Stentorstimme aus dem Hintergrund, „das hier ist mein Haus!“

Bruno Bückler, dessen gewaltig aufgezwirbelte Schnurrbartspitzen nervös durch den Wintertag vibrierten, er, den Gourmets, Kritiker und Neider als Fürst Bückler anredeten, war sauer. „Dass diese dumme Nuss sich einmal fotografieren lässt – geschenkt! Meinetwegen kann sie auch ein Filmchen drehen. Aber was dies Weib anstellt, ist zu viel für mich!“ Er atmete schwer und stoßweise. Vorsichtig tastete ich nach seinem Arm. „Hansi hat sie hergeholt?“ „Richtig. Und ich hatte noch nicht einmal etwas dagegen – Hannah Linzer in Bücklers Landgasthof, das ist doch eine gute Schlagzeile. Aber selbst mein Bruder wünscht diese falsche Natter schon zum Mond.“ Vermutlich hatte sein Bruder, der sich sonst um den Service kümmerte, einfach nur Werbung mit dem Fernsehstar machen wollen. „Aber da wusste er ja noch nicht, was für eine Nummer das ist.“ „Sie stellt die Küche auf den Kopf?“ Bruno sah mich verzweifelt an. „Komm mit. Du glaubst es erst, wenn Du es gesehen hast.“

„Und – Action!“ Die Klappe klappte, eine Gabel kratzte durch eine unschuldige Schüssel. „Cut!“ „Dieser verdammte Eischnee wird nicht fest!“ Die Köchin drückte Petersen, dem Entremetier des Hauses, das Gefäß in die Hand. Der Produzent trieb ihn zur Eile. „Was für eine Niete“, wunderte sich Petersen. „Das halbe Eigelb ist drin, weil sie zu blöd zum Trennen war, die Schüssel ist seichwarm, kein Salz, und dann erwartet sie nach einer halben Minute schnittfesten Eischnee?“ Ich wunderte mich. „Wer hat ihr das Kochen beigebracht?“ „Keiner“, gab Bruno zurück. „Sie denkt, im Fernsehen könne es jeder, weil es so leicht aussehe, und darum könne sie es auch.“

Petersen drosch trotz allem verbissen auf das Eiklar ein. Unterdessen drehte der Kameramann aus allen Winkeln immer wieder aufs Neue, wie die Küchenfee Salz in einen Topf rieseln ließ. „Und Cut! Wir haben kein Salz mehr!“ Ein Helfer schob ein Tiegelchen herüber. Die Löffelschwingerin bediente sich reichlich. Ich bemerkte, dass Hansi neben mir stand; er biss sich auf die Lippe. „Bitte sag Bruno nichts davon.“ Ein fragender Blick traf den Chefkellner. „Diese Frau versenkt gerade ein gutes Pfund Fleur de Sel im Topf. Wenn das mein Bruder erfährt, bringt er mich um.“ „Aber sie bezahlt das doch?“ „Nein“, antwortete er heiser, „das ist das Problem: sie bedient sich an unseren Vorräten. Sie spielt Kochen.“ Unermüdlich pfefferte sie Salz nach. Schauer liefen über meinen Rücken.

Aufruhr im Vorraum – Umberto Rinaldini, der große Tenor, war angekommen. „Er muss das essen, was sie hier verbricht“, informierte mich Petersen. „Der Ärmste“, entfuhr es mir. Bruno schaute noch einmal vorsichtig herein. Schon fummelte die Linzerschnitte mit dem Schälmesser an einem Fisch herum. „Das halte ich nicht aus“, keuchte Bruno, „meine Nerven!“ Wirklich verursachte der Anblick, wie die Hilfsküchenhilfe mit daumenlanger Klinge einen Bachsaibling filetieren wollte, körperliche Schmerzen. Ein Dutzend Saiblinge zerlegte sie zu Brei, bis Petersen ihr zeigte, wie man Fisch flach auf den Tisch legt. „Lassen Sie das“, pampte sie ihn an, „ich kann das alleine!“ „Und das alles von unseren Vorräten“, wimmerte Hansi. „Bruno bringt mich um!“ „Action!“ Instantbrühe und Fertigsaucen wurden in der Küche aufgebaut. Das Schaukochen war also bloß billiges Beiwerk, um Hannah-Linzer-Konserven zu preisen. Im Nu hatte ich eine weiße Jacke übergestreift, schlich mich in den Tross, der die Kulinärrin umschwirrte, und reichte ihr den Probierlöffel, doch sie hatte nur ein spöttisches Lachen übrig. „Ein Profi muss nicht abschmecken. Merken Sie sich das!“ Mehr musste ich nicht wissen. „Petersen“, zischte ich, „Töpfe! Schnell!!“

Leise, aber fieberhaft schöpften wir zu zweit in allerlei Kochgeschirr, schmissen frei nach Gusto original Linzersche Suppenwürfel in die Lauge und verteilten alles auf den Flammen. Minuten später waberte versalzener Wrasen durch den Raum, als wäre es eine Saline. „Oh, Sole mio“, witzelte Petersen, „der Fisch ertrinkt schon im Toten Meer.“

Und wahrlich, unbesehen warf Hannah Linzer Kartoffeln und Gnocchi, Tomaten und Sellerie in die Töpfe, löschte Bratensatz ab, rührte, quirlte und richtete an. Der Kameramann folgte ihr, wie sie mit Tellern und Schüsseln beladen dem italienischen Gast servierte. Bange Stille folgte. Petersen hielt die Luft an. Hansi und Bruno schwitzten brüderlich um die Wette. Plötzlich polterte der lyrische Tenor los. „Schifezza porcheria“, schrie der begnadete Belmonte, „rompicazzo porco dio! Troppo salato!“ Die Köchin zog einen Flunsch. „Unsinn, ich habe ja gar keinen Salat…“ Doch Rinaldini war längst nicht mehr zu halten, er brodelte wie der Stromboli zur Mittagszeit. „Wenn gezeigte diese Miste in TV, il mio avvocato machte Linzer ospedale!“ „Was Avocado“, schrie sie, „das ist Gurkensuppe!“

Fluchtartig verließ die Brigade den Gasthof, und fast wäre der Produzent entwischt. Drohend bauten sich die Bücklerbrüder vor ihm auf; Petersen spielte lässig mit dem Knochenbeil. „Sie haben sich nicht an den Vertrag gehalten“, knurrte Bruno. „Aber meine Herren“, stammelte der Fernsehmacher, „was soll ich denn machen? Was soll ich denn jetzt tun?“ „Sie werden zahlen“, antwortete ich milde. „Sie erhalten eine Rechnung. Und zwar eine gesalzene.“





Nachtschatten

3 12 2009

„Hallo? Ist da jemand?“ Ich tastete mich an den samtenen Vorhängen entlang. Da musste die Tür sein – doch meine Hand griff in etwas Warmes, das nach Bratensauce roch. „Pardon, ich bin nicht der Elektriker“, stammelte ich. „Dafür bin ich nicht der Weihnachtsmann“, brummelte das Weiche mit einer vertrauten Bassstimme zurück. „Bruno!“ „In der Tat“, bestätigte der Koch. „Komm mal mit.“

Das übliche Getümmel der Abendstunden tobte in der Küche. Bruno, von manchen ehrfurchtsvoll Fürst Bückler gerufen, filetierte ein Dutzend Felchen und scheuchte den Entremetier um Petersilienkartoffeln. Ich sah durch einen Spalt in den Gastraum. Angespannte Stille herrschte an den Tischen; kaum ein Besteck klapperte durch den stockfinsteren Landgasthof. „Habt Ihr etwa die Stromrechnung nicht bezahlt?“ Der gewaltige Schnurrbart mit den gezwirbelten Spitzen begann antennenartig zu erzittern. Bruno winkte ab. Ich wusste es, Hansi hatte wieder einmal eine seiner fragwürdigen Ideen gehabt. „Mein Bruder war bei einem dieser Psycho-Events. Im düsteren Keller. Jetzt hat er sich zur Verkaufsförderung in den Kopf gesetzt, ein gastronomisches Ereignis zu kreieren. Fünf Gänge für vier Sinne.“ Wütend schlug er in die Sahne. „Ich habe nichts gegen diesen ganzen Firlefanz. Sollen sie doch alle machen, bitte! Aber warum ausgerechnet in meinem Landgasthof?“

Moritz schwang die Tür auf. „Chef“, teilte der Kellner verschnupft mit, „der Herr an Tisch fünf ist der Ansicht, die Karotten seien zwei Sekunden zu lang blanchiert worden.“ „Das kann nur einer von sich geben“, sinnierte ich. „So ein geschniegelter Geck ohne Krawatte?“ „Woher kennst Du den“, wunderte sich Moritz. „Max Hülsenbeck“, schloss ich messerscharf. „Dass sich der Gauch überhaupt noch hierher traut!“ Er gab mir die Nachtsichtbrille. „Überzeug Dich selbst.“ Und wirklich, dort saß der Schmierlappen neben einer jungen Dame im tief dekolletierten Kleid und raspelte Süßholz. „Dafür wird er büßen.“ Moritz war ratlos. „Was willst Du machen? Ihm das Menü über die Hose kippen?“ „Warum sollte ich etwas tun“, antwortete ich maliziös, „was er doch so viel besser kann.“

Da saß er, der ölige Staatsanwalt, der fast Annes Herz gebrochen hätte, und schäkerte mit der Gräfin Chlumski – offenbar hatte sie keinen Schimmer, wer er war. Eine doppelt unangenehme Situation; einerseits wusste man nicht, was man hier aß, andererseits nicht, mit wem. Ich zupfte Moritz am Ärmel. „Schnell“, wisperte ich ihm zu, „einen tiefen Teller mit Bouillon.“ „Haben wir nicht. Geht auch Tomatensauce?“ „Noch besser“, jubelte ich und ging in Position. Irrungen, Wirrungen standen bevor. Vielleicht eine Komödie im Dunkeln. Max, der Gernegroß, schwafelte ungehemmt auf seine Tischdame ein, während er untenherum Erbsen mit den Fingern auf die Gabelzinken spießte. „Und – jetzt!“ Synchron tauschten wir die Teller aus; einer zog weg, einer legte auf. Mit beiden Händen griff Max in die Tunke. „Er wird sich kaum beschweren können“, kommentierte ich genüsslich, „schon gar nicht vor der Gräfin.“

Derart dunkle Absichten hatte ich Moritz gar nicht zugetraut; flink schob er den Saucenteller an Max’ Brust heran, so dass der mit einer linkischen Handbewegung das Behältnis mit der roten Pampe zum Kippen brachte. Die junge Dame stieß einen unterdrückten Schrei aus. „Darf ich noch etwas Wein nachschenken?“ Während Durchlaucht die Saucenspritzer nach Gehör zu entfernen suchte, beförderte ich mit einem Schlenker den Rest der verkochten Tomate auf Hülsenbecks Anzug. Im Schmutze der Dunkelheit bemerkte er es gar nicht.

„Das Ochsenfilet unter der Kräuterkruste“, verkündete Moritz salbungsvoll und schwang zwei neue Teller. „Der ist ja fast leer“, flüsterte ich, und Moritz kicherte: „Prahlhans ist gern Küchenmeister – wir haben das Filet weggelassen, er beschwert sich ja doch darüber.“ Wieder fingerte Hülsenspeck im Gemüse herum. „Herr Ober“, zwitscherte die Gräfin Chlumski glockenhell dazwischen, „wo sind denn die Schalotten? Haben Sie tatsächlich an die Schalotten gedacht?“ Ich stöhnte auf. „Das verdient einander.“ „Von Ihnen aus halb acht“, informierte Moritz die ungnädige Frau, „wie Sie sehen.“

„Vorsicht“, zischte es hinter uns. Bruno selbst war aus der Küche angerückt. Von dem dicken Grillhandschuh geschützt trug er den heißen Teller an den Tisch. Er tippte mir auf die Schulter. „Wenn Du den Teller wegziehst, dann…“

Was der Hülsengeck hier im Nachtschatten an sportlicher Einlage hinlegte, war beachtlich; mit beiden Pfoten hatte er auf das glühende Porzellan gefasst und brach nun in schrilles Gewimmer aus. Fieberhaft suchte er den gräflichen Riesling, um ihn zu einer Fingerschale umzufunktionieren, wobei der Wein teils auf der Robe landete, teils dort, wo die Schneiderin für die Auslage den Stoff weggelassen hatte. „Licht“, jammerte Hülsenschreck verzweifelt, „mehr Licht!“ „Wenn’s denn weiter nichts ist“, grinste Moritz und bediente den Schalter. Zwei Dutzend Gäste kniffen die Augen zu und blinzelten erschrocken in den Saal; inmitten der Gesellschaft saß der jetzt gar nicht mehr umnachtete Spitzbube, rotbraun befleckt auf seinem hellen Leinenanzug, und lutschte an zehn Fingern gleichzeitig. „Herr Hülsenbeck“, schnarrte ich deutlich vernehmbar, „hatten Sie noch einen Wunsch?“

Der Korken flog durch die Küche, der Champagner ergoss sich in ein Dutzend Kelche. „Den wären wir los“, freute sich Moritz und rieb sich die Hände. „Und er wird garantiert nicht mehr hier auftauchen“, bestätigte ich ihm. Bruno blickte skeptisch. „Was macht Dich da so sicher?“ Ich stieß mit meinem Glas an seines. „Hier herrscht Verdunkelungsgefahr.“





Stimmt so

4 11 2009

„Mein Name ist Lara Kroffsky und ich bin Ihre persönliche Service-Kraft!“ Abgesehen von ihrem Namensschild hätte ich das auch so bemerkt; schließlich hatte ich selbst die Kellnerin vor einem Jahr dem Landgasthof Bückler empfohlen. Anne schaute ratlos. Wir ließen uns zu Tisch geleiten.

„Kalbssteaks in Rosmarinbutter?“ Wir nippten am Aperitif und blätterten durch die Speisekarte. „Ich bin für Rotbarbe“, befand Anne. „Die ist sehr zu empfehlen“, ließ sich eine Stimme von unten vernehmen, „als Vorspeise passen dazu sautierte Jakobsmuscheln in Estragonsauce.“ Irritiert blickten wir uns an. Die Kroffskysche hakte ihr Kinn an der Tischkante fest. „Wir haben einen sehr schönen Riesling, Böckesheimer Rumpelkammer, 2004-er Kabinett, halbtrocken.“ Als sie sich mühevoll wieder aufrappelte, sah ich, dass sie auf quittegelben Plateaustiefeln stand. „Offensichtlich wird man hier als Gast auf Augenhöhe bedient“, spöttelte Anne. Wir bestellten. Mit einem geradezu manischen Grinsen stakste die Kellnerin ab. Erst jetzt fiel uns auf, dass um uns herum seltsam kostümierte Wesen Trank und Speise durch die Gegend trugen. Was hatte das zu bedeuten? Schon nahte sich unsere Aufwärterin. „Ich serviere Ihnen eine klare Tomatenessenz mit Kräuterklößchen“, deklamierte sie und servierte klare Tomatenessenz mit Kräuterklößchen.

Sichtlich verdrossen linste Bruno in den Gastraum, er, der Lenker von Töpfen und Pfannen, der als Fürst Bückler seinem Haus den tadellosen Ruf sicherte. Er hatte uns entdeckt und wollte schon in der Küche verschwinden, doch ich winkte ihn an unseren Tisch. „Es ist rein zum Weglaufen“, stöhnte er, „hier geht mal wieder alles drunter und drüber.“ Ich warf ihm einen forschenden Blick zu. „Hansi?“ „Hansi“, knurrte er. Seine Faust ballte sich „Dieser Trottel von meinem Bruder hat einen Verkaufstrainer engagiert, um das Servicepersonal zu schulen. Eine Schnapsidee!“ „Aber was soll das denn bringen? Es ist fast immer ausgebucht, Du brauchst Dir keine Sorgen zu machen.“ Bruno seufzte auf. „Die Trinkgelder.“ „Trinkgelder? Wo liegt denn das Problem?“ „Dieser Fatzke hat Hansi den Floh ins Ohr gesetzt, dass man aus den Gästen noch mehr rausholen könnte. Dann bräuchten wir die Gehälter nicht zu erhöhen.“ Ich lächelte. „Und darum laufen hier alle in bunter Karnevalsmontur herum und kauern am Tisch?“ „Das soll angeblich Individualität schaffen“, bestätigte er, „und Kundennähe – sie wiederholen deshalb auch die Bestellung. Manche verteilen Bonbons und malen bunte Bilder auf die Rechnung, weil die Gäste das lustig finden sollen. Das ging gestern in die Hose.“ „Nicht lustig?“ Bruno knirschte mit den Zähnen. „Wir hatten gestern die Beerdigung vom alten Pinschelmann, da hat dieser Möppel doch… Augenblick mal!“ Und schon war er wieder in der Küche.

Es klackerte auf dem Parkett. Der Ober im grün glitzernden Frack steppte einmal um den Tisch herum. „Hier kommt Fischchen auf Ihr Tischchen“, trällerte er, „die Baharbe von roter Faharbe!“ Anne verfolgte entgeistert, wie der Mann die Teller vor ihr absetzte und seinen Zylinder zog. „Mein Name ist Hubertus Möppel und ich wünsche Ihnen einen guten Appetit!“ Ein knatterndes Stakkato folgte ihm durch den Raum. Anne rang nach Luft. „Was war denn das?“ „Fred Astaire hat soeben den zweiten Gang aufgetragen“, replizierte ich trocken. „Er holt inzwischen die Salzkartoffeln – nein, er wird sie vermutlich bis an den Tisch jonglieren.“ „Lass den Quatsch“, fauchte sie zurück, „ich will in Ruhe essen!“ „Gönn ihnen doch das bisschen Spaß“, witzelte ich, „für sie ist das Erlebnisgastronomie.“

Ein Tumult unterbrach uns. „Herr Senator“, rief Hansi quer durch den Saal, „aber Herr Senator! So bleiben Sie doch!“ Anne glotzte. „Das ging in die Hose“, kicherte ich. „Was ist denn passiert?“ „Er hat vermutlich Order bekommen, alle Gäste mit Namen anzusprechen. Nur, dass dieses blutjunge Ding nicht Senator Plötzmeiers Frau ist – er kommt wochentags immer gerne inkognito her.“ Gleich nebenan begrub die Kroffsky sich selbst unter Tischwäsche, Blumenschale und zwei Portionen Filetsteak. „Diese Hocknummer will geübt sein“, kommentierte ich. „Sie sollte einen Melkschemel benutzen, meinst Du nicht auch?“

Inzwischen hatte sich Möppel von hinten angeschlichen und legte Anne seine Hand auf die Schulter. Sie zuckte zusammen. „Welch zarte Haut, unter der ein fühlend Herz doch pocht!“ Anne gefror; sie krächzte einige unverständliche Worte. Möppel beugte sich weit herab. „Wie meinen?“ „Sie will damit zum Ausdruck bringen“, half ich ein, „dass Sie besser jetzt sofort Ihre Pfoten von ihr nehmen, ansonsten wird sie ein bisschen böse.“ Er grinste überlegen. „Die Damen mögen das aber, wenn man ihnen…“ Weiter kam er nicht. Annes Ellenbogen war ein bisschen ausgerutscht. „Das Dessert“, sagte sie mit einem beunruhigend sanften Unterton in der Stimme.

Auf Rollerblades sauste Möppel heran und balancierte dabei die Mousse au chocolat. „Sühüßes zum Ahabschluhuss!“ Wie von Zauberhand rutschte Annes Handtasche von der Stuhllehne. Möppel bremste abrupt und flog mit einem weiten Satz in den Beistelltisch mit der gebratenen Gans. Geschirr splitterte. „Wenn der Kassenclown wieder stehen kann“, teilte sie mir ungerührt mit, „sag ihm doch bitte, er soll abziehen.“ Maliziös lächelnd zückte Anne ihre Kreditkarte. „Das stimmt so. Und dann lass uns gehen, bevor er Bonbons verteilt.“