Männer können nichts wegschmeißen. Wann immer ich meine Einkommenssteuererklärung von 1996 noch einmal benötigen sollte oder mir in den Kopf setzte, einen Weinalmanach aus dem vergangenen Jahrtausend in Augenschein zu nehmen, ich wüsste nach kurzer Suche, wo sie sich befänden. Hildegard ist da anders. Sie bewahrt gesprungene Tassen und abgebrochene Löffel nur deshalb auf, um gegen den herrschenden Konsumterror zu protestieren, der Wegwerfen und Neukaufen gebietet, statt das Alte liebevoll zu bewahren. So weigerte sie sich standhaft, meinen hinfälligen Messbecher auf die letzte Reise zu schicken und dafür einen neuen anzuschaffen. Das Gefäß hatte seinem irdischen Verwendungszweck gemäß etliches zu verkraften, mitunter auch heiße Brühe, so dass die Unterseite von einem sich verbreiternden Riss durchzogen wird, der für Pfützenbildung sorgt. Oben aber, beharrt Hildegard, sei er doch noch sehr schön.
Tief in ihrem Herzen ist sie wohl doch eine Ästhetin. Noch tiefer darin verbirgt sich, ich weiß es aus jahrelanger Erfahrung, ein untherapierbarer Dachschaden. Sie hat in ihr Auto den dreifachen Neuwert an Reparaturkosten gesteckt – Sitze, Türen und Motor sind erheblich jünger als das Fahrgestell – und ich war inzwischen geneigt, die Karre mit der halbwegs blinden Frontscheibe Cher zu taufen und Überlegungen anzustellen, ob nach dem letzten Transplantationsvorgang nicht doch eine Neuzulassung dieses kosmetisch aufgehübschten Schrottsammelsuriums angebracht wäre. Doch all das kümmerte Hildegard nicht. Sie fuhr weiter.
Ausgerechnet da, wo das rotgoldene Schild Autoparadies am Stadtpark prangt, verreckte der Blechhaufen. Gemeinsam schoben wir ihn auf den Stellplatz – ich schob, während Hildegard aus dem Wageninneren zu erkennen gab, dass ich für diese Tätigkeit intellektuell ungeeignet wäre – und ich beschloss, die Volkswirtschaft zu retten. Einer muss es ja machen.
Mit einem tiefen Diener empfing mich Klönzke, Juniorchef der Autohalde, und geleitete mich in den Showroom. „Hatten Sie etwas Bestimmtes im Auge?“ Ich ließ ihn wissen, dass ich um einen Neuwagen gekommen sei. „Schauen Sie sich um – jedes dieser Schmuckstücke wartet nur auf Sie.“ Benzinkutschen en masse, eine hässlicher als die andere. Gut, dass es um Hildegard ging.
Vor einer asiatischen Miniatur blieb ich stehen. „Gute Wahl, wird sehr gern genommen.“ Allerdings sagte mir der Preis weniger zu. „Haben Sie nicht etwas, wie soll ich sagen…“ „Ah, verstehe“, und er lächelte gewinnend, „Sie sind Kenner. Für den anspruchsvollen Kunden haben wir natürlich einige ausgesuchte Extras im Sortiment.“ Klönzke hüpfte wie eine Heuschrecke um mich herum und wedelte den Zubehörkatalog um meine Ohren. „Wenn Sie mal schauen möchten, wir haben da die einige kleine Annehmlichkeiten für Ihren Bedarf.“ So blätterte ich das Buch durch, das vorwiegend überflüssigen Stuss abbildete, vom beheizbaren Aschenbecher bis zur Vollverspoilerung in Pink. Schon schielte ich nach rechts, wo die Metallic-Mittelklasse gleißte. Klönzke kapierte. „Da kommt nur unser Spitzenmodell in Frage“, säuselte er, „mit dem Märserati XXXGLT sind Sie absolut up to date, was Technik und Komfort betrifft, und die Werte, die Werte!“ Das Ding sagte mir durchaus zu. Optisch entsprach es dem Eichensarg Modell Adenauers Rache: wertbeständige Klobigkeit gepaart mit dem sicheren Gefühl, die Nachbarn in besinnungslosen Neid zu versetzen.
„Wie gesagt“, gab mir Klönzke zu verstehen, „die Werte: trotz sportlicher Fahreigenschaften nur anderthalb Liter, dazu rundum sicher – Sie möchten probesitzen?“ Die Ledersitze des Flugzeugträgers auf Rädern waren bequem, ebenso konnte ich dem griffigen Sportlenkrad Sympathie abgewinnen. Ich befand mich in transportablem Schnickschnack-Ambiente, das ein Innenarchitekt offensichtlich als Strafarbeit absolviert hatte.
„Ich komme Ihnen noch ein bisschen entgegen: wenn Sie auf den Einbau der beiden Zusatzairbags verzichten, erlasse ich Ihnen 1.500 Euro. Na?“ Ich stutzte. „Moment, Sie wollen mir gerade zwei Prallkissen zu je 750 Euro verkaufen.“ „Nein, das haben Sie falsch verstanden“, korrigierte Klönzke, „Sie bekommen eine Ermäßigung, wenn Sie darauf verzichten. Ist das zu kompliziert?“ „Für Sie anscheinend ja“, erwiderte ich ungerührt, „der Wagen kostet 1.500 Euro weniger ohne die Beutel. Die sind der Aufpreis, den Sie verlangen, kapiert?“ Klönzke begriff, dass ich Recht hatte, und ich führte den Gedanken zu Ende. „Wir könnten doch dieses luxuriöse Gefährt“, meinte ich, während ich auf die Firlefanzaufzählung tippte, „um ein paar unnötige Zusatzleistungen erleichtern.“ Denn wer legt schon Wert auf Alusportpedale, ein kabelloses Rückfahrvideosystem, Computer-Diagnoseeinheit, heizbare 5.1-Lautsprecherboxen, platinbeschichtete Felgen und Fußmatten im Ed-Hardy-Design.
Klönzke kalkulierte. „Wenn wir alles abziehen und die Abwrackprämie mitrechnen, kriegen Sie noch 6.500 Euro raus.“ Ich bin nun mal ein Mann der schnellen Entschlüsse, und so besiegelten wir das Geschäft per Handschlag.
Als ich anderntags den wenigstens äußerlich feudalen Straßenkreuzer abholte, wartete Klönzke mit einer kleinen Freundlichkeit auf. „Ich erlaube mir“, wobei er einen monströsen Schlüsselring in Blattgold mit Hildegards Monogramm überreichte, „dies als kleines Präsent des Hauses anzunehmen.“ Alles in allem also ein fairer Handel. Vom Wechselgeld steckte ich ihm einen Hunderter in die Brusttasche. „Für die Bank“, sagte ich jovial, „Sie sollen ja auch nicht leben wie ein Hund.“
Übrigens nahm Hildegard mir die Sache übel. Die Nackenheizung Polar III sei doch das Mindeste, was man in dieser Karre verlangen könne. Sie teilte mir mit, dass sie auch weiterhin auf getrennte Schlafzimmer bestehe. Was soll man da machen. Männer können nichts wegschmeißen.
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