Gernulf Olzheimer kommentiert (CCCLXXXIV): Mittelaltermärkte

1 09 2017
Gernulf Olzheimer

Gernulf Olzheimer

Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.

Kunigunde schmollte. Da war sie nun mal vom Kurhessischen Kurtisanenverband als anerkannte Kemenatenputze in die Fläche geschickte Fachkraft für Eventgedöns, und dann sagte ihr der Büttel im Amt für Mühsal und Plage, dass ihre Dienstleistung für die nächsten Jahre nicht gebraucht würde. Oder vielleicht Jahrhunderte, keiner weiß das so genau. Sie fand sich nach wirrem Traum erweckt zwischen Dosenbier und Bockwurst, im Hintergrund dödelte ein Elektrozeugs nach alter Minneweise, und sonst hatten alle die Medikamentenausgabe verpennt. Es war in einer Kleinstadt im Spätfrühling, und es war Mittelaltermarkt.

Egal, soll sich die Industrie doch irgendwas aus den Synapsen quetschen, um Separatorenfleisch und billige Alkoholika unter die Masse zu jubeln, es wird nur nicht weniger langweilig, wenn man es im Gewand des historischen Reenactments in wehrlos zuckende Innenstädte quarkt, die ansonsten jedem Konsum willig die Beutel weiten. Auch Menschen haben ihren Stolz, wenigstens meinen verschüttete Sprichwörter derlei. Wie alle pseudotraditionellen Verkaufsaufmärsche schwiemelt das Gaukel- und Schaukelgerülps nicht mehr in den Waschbeton als drittklassige Stilbruchrechnung, die unterm Strich wenigstens die geplättete Meute anlockt und auf die großen Kalorien- und Stromverbrauchsfestspiele trainiert, vulgo: den Jahrmarkt zu Plundersweilern.

Was sich mit Wikingerpelz, fein venezianischem Zwirn oder Gugel in der City tummelt, ist dumpf riechender Abklatsch der TV-Umnachtung, die mit nachhaltigem Klebeeffekt das Bild der Scifi-Wilden zur Game-of-Klons-Ausscheidung gerinnen lässt. Einträchtig saufen Erik der Schädelspalter und Ratsherr Dummbold von Spackbacke ihre Limo am Ich-muss-noch-die-Kutsche-ausparken-Stand, denn lächerlicher geht’s einfach nicht. Schaube und Schamkapsel, Knebelbart und Kyriss aus rostfreiem PVC ballert sich das intellektuell gut belüftete Volk in die Birne, weil ihnen das Versandhaus für jeglich derley Schamott nur im Kleingedruckten verriet, dass es sich um Zubehör aus dem 15. Jahrhundert handelt. Weiter geht’s dann beim elenden Sprachgepansch, linguistischen Blödkolben mit Mustererkennungsschwäche, die vor zugegeben ottonischer Kulisse spätlutherisches Kanzleisprech vom Stapel lassen. Sey ein holdes Frauenzimmer in der Harrenden Schlange, so löhne sie zween Taler, dass sie der Gaukeley Freude rasch werde gewahr. In zünftigem Schwung den Schwatzbold mit der schlichten Axt seiner Beißer zu entledigen möge des Schergen Werk sein, sagt darob der Schwulst. Der Rest ist Lautverschiebung. Oder Kieferbruch.

Vor diesem Setting ergießt sich das Hauptwerk, der Zuber der Quellkörper, wie er dreist dem gemeinen Volke sagt: damals haben sie alle noch, Männlein und Weiblein, in einem Pool gelegen. Die dem rein körperlichen Gewerbe zuzuordnenden Abbildungen der Zeit übersieht man leicht, und noch heute verklärt sich die Epoche als ständiger Vollsiff im Vollsuff, sinnbildlich sichtbar im Zuber, der als Fettabscheider der bürgerlichen Gesellschaft physische Verhältnisse stolpern lässt. Schmiede und Bäcker, beide feuerbewehrte Gewerke, schwingen ihr Gerät in der kaufmännischen Sphäre, wo auch Töpfer ihr unehrliches Gewerbe treiben. Städtisches Gemäuer schwurbelt optisch, sozial und rechtlich in einer Erzählung herum, die von Maiden in Haube und Drachenschmalz zu tun hat, edlen Rittern mit Langschwert, Turnier auf den Tod und Bänkelsang, letzterer eine Erfindung des Spätbarock.

Es fehlen an dem Murks die Zahnlosen und deutlich Unterernährten, die verlausten Kinder und der Abdecker, der die Pestkranken in die Grube fährt. Es fehlen die warmen Jahre, in denen das Volk in kollektiver Hysterie religiösen Dummfug für bare Münze nahm und die überschüssige Kraft auf nationalbesoffene Plumpschlümpfe projizierte, deren einzig zukunftsgewandte Perspektive darin bestand, dass sie die Beklopptheit ihres Gefolges zur Errichtung eines Verwaltungsmolochs nutzten, der in seinen Ausläufern bis heute in der westlich dominierten Welt seine Zähne zeigt. Die anderen, die in Erwartung von Buchdruck und Reformation ihr kärgliches Vollkornbrot fristeten, wurden sicher im deutschen Sprachraum – wo man sich Bibelbla abgewöhnt hat – auf dumpfes Mittelmaß sozialisiert und gut abgerichtet, aber wer kann das schon sagen. Die Verklärung hatte ihre Lücken, und das muss die Geschichte tragen. Wie sonst würde das Zeitalter, das sich einer regelmäßigen Besichtigung stellt, mit den Realitätsallergikern genügend Gewinn machen. Vermutlich hat das Abendland aus aufkeimender Panik bereits eine betriebliche Altersvorsorge als allgemein verbildlichen Konsens ins Auge gefasst, schon aus einer Vorstellung von Solidarität, die dem kapitalistischen Scheißdreck der Neuzeit gründlich widersprach. Die neuen Rebellen wissen immerhin, wie sich wehren können. Sie sind sprachlich anders und stehen dazu, außerdem tragen sie Waffen. Tandaradei.





Gernulf Olzheimer kommentiert (CCXX): Eventkultur

22 11 2013
Gernulf Olzheimer

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Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.

Es muss auf einem abgewirtschafteten Acker gewesen sein, als der Abdecker des Dorfes, der Priester und der Steuereintreiber – der Bodensatz, der von den Hinterlassenschaften der Gesellschaft lebt, und das auch nicht schlecht – sich stritten, welcher der beiden ortsansässigen Spielleute den Mai anfiedeln sollte. Auch war der hiesige Bratspießbetrieb am Wirtschaftswachstum interessiert, und so entbrannte der heftigste Kampf, womit man die Massen zu bespaßen hatte. Ein Wort gab das andere, zum Schluss war die Katastrophe perfekt. Sie warfen alles zusammen, weil viel auch viel zu helfen versprach, und hinterließen der wehrlosen Menschheit die Plage der Eventkultur.

Sie hat sich bis auf den heutigen Tag nicht davon erholt. Sie hat es nicht einmal ernsthaft versucht, denn die Folge jener durchgeknallten Hurratüten hat einen ganzen Wirtschaftszweig aus dem Acker gestampft, deren Beschäftigte sonst ein halbwegs sozialverträgliches Dasein als Schiffschaukelbremser herumbrächten. Noch immer und jetzt erst recht werden minimale Ereignisse, das Röcheln der Mona Lisa oder Goethes Banjo, mit Wagenladungen an Flitter und Firlefanz hochgepopelt, bis sie vor lauter Hülle ihre Substanz komplett einbüßen. Das Volk aber, genauer: jene Rotte vorverblödeter Konsumenten, die sich von Automatenfutter und Serienmusicals ernähren, sie schlucken auch diesen Schmadder und nehmen als Original, was nicht einmal eine ernsthafte Vorlage hatte, um zur Kopie zu werden.

In Scharen torkelt ein komplett gleichgeschalteter Gesichtsschnitzelverein in die Beschallungsbuden der Kulturnation, um sich ein unrasiertes Geigenbrötchen anzutun, das auf einer mit Bumsfallera ausgestatteten Bühne Notzucht an Vivaldi verübt. Da die intellektuelle Ausschussware im Parkett selten mehr als Allgemeinhalbbildung ihr Eigen nennt, muss sie sich den Murks bis zum bitteren Ende antun, einschließlich Wurstbude, großflächigem Merchandising sowie dem sicheren Bewusstsein, dass es nicht mehr besser wird – egal, wann und wo man sich die Entwicklung ansieht, der Niedergang ist beschlossene Sache. Das tumbe Klatschvieh aber, es darf in Frieden dahinfahren, denn hat es nicht wenigstens Kultur erlebt?

Am Arsch. Um dem durchschnittlich verkalkten Trivialo noch ein Lebenszeichen zu entlocken, muss man ihn in Ekstase versetzen: Heiterkeit, Frohsinn, Bluthochdruck. Man impft ihn mit Kitsch, stellt ihm vorgekaute Surrogathäppchen und die Anleitung zum Mitmachen aufs Tischchen, und schon fühlt sich der Mitmacher regelrecht zum Alles-dufte-Finden verpflichtet, weil: es ist ja Kultur, wenn es irgendwie den Anschein erweckt, auf dem Plakat steht oder, schlimmer, aus den dafür vorgesehenen Fördertöpfen bezahlt wird. So sehen sie sich Beethovens Klo an und begreifen plötzlich, wie die späten Streichquartette entstanden sein müssen. Nichts davon ist wahr, aber dafür ist es nicht einmal gut erfunden.

Längst hat der Beknackte akzeptiert, dass er den gesamten Zinnober nur noch im XXXL-Format bekommt, als Riesensuperspielothek mit Megadisco und der größten Frittenbude westlich des Rio Pecos, verschwiemelt zu einer Phantasmagorie aus Thema- und Traumatisierung, und wo immer er den Versuch, seine Zeit totzuschlagen, bevor er von ihr totgeschlagen werden könnte, mit realen Personen verbringt, greift der allgegenwärtige Starrummel, der sich auf mindere Sternchen kapriziert oder sie zum Zweck der allgemeinen Verdübelung in die Höhe jubelt. Der Schmadder wird im Fernsehen schon orgiastisch umjuchzt, bevor er überhaupt hat stattfinden können. Dies aber hinterlässt zwei eng verzahnte Dinge, die schon einzeln das Leben zur Qual machen, Angst und Sucht. Die Angst, nicht jeden Hirnplüsch sich anzuschauen, am Ende die Nebensächlichkeit des Jahrhunderts als einziger zu verpassen, führt zur Sucht, sich den Rest um so intensiver in den Schädel zu kleistern.

Der Bescheuerte thematisiert sein Erleben, weil es ihm ohne die Stelzen der Eventisierung längst zu banal geworden ist. Irgendwo unter Tausenden hocken, um sich ein Fußballspiel reinzuziehen, von dem er vor der Glotze mehr mitbekommen hätte? Die Werbung wird es ihm schon einflößen, dass nur mit dem Gesamtpaket aus Sonderzug ins Stadion und der multimedialen Aufbereitung für Vor- bzw. Nachher zwei Halbzeiten mit müdem Gekicke zu einer erträglichen Vergeudung von Lebenszeit werden. Es wird zum Spektakel, was so gar nichts Spektakuläres an sich hat, und die Schraube wird sich weiter drehen. Noch wenige Jahre, dann drehen sie dem arglosen Käufer einen Wirbelsturm als dramaturgisch hochgezwiebelte Entscheidungsshow an, bei dem Überleben und Sterben vom Zonk ausgewürfelt werden. Es wird der Tag kommen, an dem die Bekloppten bemerken, dass der Sinn nicht verloren gegangen ist, um ihn besser suchen zu können. Sie werden endlich begreifen, dass sie verpasst haben, die Sinnlosigkeit wiederzufinden.





Gernulf Olzheimer kommentiert (CXIX): Volkstümelei

2 09 2011
Gernulf Olzheimer

Gernulf Olzheimer

Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.

Das Leben ist so verschieden hienieden. Was das Individuelle einer größeren Einheit ausmacht – nennen wir es Volk, der aufgeklärte Hominide hat ganz andere Sorgen – zeigt sich ohnehin meist in den zivilisatorischen Spuren. Nummernschild und Amtssprache, Vorwahl und Wurstsorte macht den Unterschied über die Landesgrenzen hinweg, während sich der durchschnittliche Verbraucher seinem Nachbarn normalerweise in vielem doch verbunden fühlt. Der Japaner nimmt gerne größere Mengen Wasserspinat zu sich, während der Geigerzähler beim Verzehr anheimelnd brummt, der Isländer verbuddelt tote Haie, deren Harnstoff vor dem Servieren gemächlich durchs Muskelgewebe dümpelt und auf dem Teller nach Bedürfnisanstalt im Spätsommer stinkt – ob Uran oder Urin, die kulturelle Identität hinterlässt ihre Spuren. Nicht jeder hat den nötigen Glibber unterm Schädeldach, um derlei relativierend zu schätzen. Der durchschnittlich Verdeppte schwiemelt sich rasch eine Lebenseinstellung aus dem Analogkäse der ethnologischen Differenzierung. Und tümelt volk.

Wo Brauchtum auf banale Lebenswirklichkeit trifft, einigt sich der Plebs aufs niedermolekulare Angebot. Kultur ist dem kognitiv Naturbelassenen nichts aus Goethes Feder, sondern die Erzeugnisse deutscher Braukunst, wahlweise auch das, was ein Vollhonk mit zu viel Bier in der Birne hervorbringt: Jodeln jenseits der Schmerzgrenze, krachlederne Unterleibsverkleidung und wurzelholzbedruckte Klebefolie zur Verschalung des Plattenbau-WCs. In China gefertigte Acetatseide-Blousons, Damwild-Musterung inklusive, mit Plastehirschhornknöpfen und aufgestepptem Eichenblatt in naturidentischer Schießbaumwolle samt Originell-Hoffbraüraus-Einnäher vervollständigen das Ensemble, und der Tümler weiß, dass er der echt völkischen Kultur zu pflegen pflegt. Lustigerweise imitiert der Abnehmer industrieller Fertiglumpen nur in Versatzstücken den Sonntagsstaat einer höchst überflüssigen Schicht, die heutzutage derlei textile Debilitäten nur noch auf dem Weg zum Rotkreuzcontainer trüge, und selbst das nur in der blickdichten Tüte.

Ohnehin fragt man sich von der objektiven Warte, wer in der Klamotten-, Musizier- und Werbeindustrie dieses Land versehentlich mit seinem südlichen Wurmfortsatz verwechselt. Trägt die geistig gesunde Frau in der Lüneburger Heide Dirndl? Knotet der Hesse seine Hirnwindungen beim Schnadahüpferl zusammen? Pfropft sich der Ostseeanrainer permanent Würstchen mit Kraut hinters Zäpfchen? Vermutlich werden demnächst renitente Jugendliche die Überreste der Berliner S-Bahn mit bajuwarischer Lüftlmalerei vollsprayen, in hirschledernen Hoodies und Goiserern mit blinkender Luftpolstersohle. Mehr als die Folklore einer weiland aus dem Osten eingewanderten Fremdtruppe in germanischem Gebiet scheinen die Kulturlenker nicht auf dem Schirm zu haben.

Warum auch. Für das Ruhigstellungsprogramm von Mode, Glotze und Pseudokultur reicht der Schmadder anscheinend, drittklassige Brezelbieger bei Schnack und Spack lassen sich von jenem Nationalsurrogat wunderfein einfangen und hinterfragen aus Prinzip (sowie aus Dummheit) nichts. Man könnte ihnen auch goldbestickte Strampler in Bauchgröße mit Adolf-Hardy-Emblem in Enddarmnähe verpassen und derlei Tracht als spätmittelalterliche Sitte teutscher Art bepreisen, sie würden ihr welkes Fleisch ohne ernsthafte Gegenwehr in jene Polyesterlappen stopfen. Alle sind dabei zufrieden. Der Produzent produziert, wenngleich in schadstofflustigen Slums asiatischer Großstädte, die Händler verdienen ein hübsches Vermögen an der Steuer vorbei, und wer in den Seppelsäcken durch die Landschaft torkelt, hört eh keinen Schuss mehr. Dazu eine Vollversorgung mit Bauerntheater, Kuhduft aus der Sprühdose, Zwiefacher vom Zithersizer, Zenzi bringt eine Maß, und in Potsdam fragt sich der Durchschnittsbürger, welche Vollhonkkohorte sich eigentlich Multikulti hat einfallen lassen.

Volkstümelei dient der nationalen Aufladung gegen den drohenden Minderwertigkeitskomplex – so wie fremde Ethnien nur von denen diffamiert werden müssen, die nicht an die regenerative Kraft der eigenen Kultur glauben, weil die konservativen Weichstapler kognitiv und ästhetisch ja nur bedingt belastbar sind. Sperrholzdeko im Eiche-mit-Scheuerspur-Stil, Fototapete von den schönsten Überresten der Industrialisierung und neudeutsches Altmetall im altdeutscher Rustikalmimikri, frisch vom Schrottplatz geerntet, das goutiert der Bekloppte, sozialisiert auf der kunsthistorischen Müllkippe und durchgeglüht im Handwerkermarkt auf dem Weg zum vollverzinkten Führerbunker. Die nationalen Symbole im Maßstab 1:23 wären das Ideal dieser Manie, und wie man die Wirtschaft kennt, sie hat bestimmt das Passende bereit. Noch träumt der Bescheuerte vom Kölner Dom aus Sandsteinimitat, doch mehr als Gundremmingen in Buche geflammt wird wohl nicht rauskommen. Man hat ja kaum mehr Platz für ein Minarett im Vorgarten.





Gernulf Olzheimer kommentiert (XXXIV): Dichterlesungen

20 11 2009
Gernulf Olzheimer

Gernulf Olzheimer

Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.

Diese unsere Schriftkultur zeigt mehrere Arten, das inhaltlich Fixierte dem unschuldigen Konsumenten zur Aneignung zu überlassen; ungebrochen in neutralem Druckbild, gebrochen in neueren Formen wie dem Hörbuch, brechend in allerlei theatröse Formgebilde inszeniert, bei denen lediglich herauskommt, dass die Beschäftigung mit dem Text für die Regiebirne zu schwierig war. Schlimm wird es, wenn alle Sicherheitsmaßnahmen versagen und die Mutter aller Katastrophen zuschlägt: der Autor lebt, ist noch nicht dement und hat sich – mit oder ohne Drogen, Bares oder die Aussicht auf ein baldiges, gewaltsames Ableben – herbeigelassen, die Erzeugnisse seines literarischen Getues in Anwesenheit mehrerer Bekloppter vernehmlich vorzutragen. Im Anfang war das Wort, und der Schrott, der daraus entstand, vernichtet alles, was nur halbwegs nach Hoffnung aussieht.

Die Dichterlesung räumt auf. Was gerade eben noch an ekstatischen Kunstgenuss gegrenzt hatte, läutet nun die banale Phase der Restexistenz ein, prickelnd vor Langeweile, bis sich der Rahmen verzieht – Literatur, egal ob halbwegs gelungenes Gedicht oder Erzählprosa von der Resterampe für Nichtleser, kleckert wie vorgekautes Verbalgemüse in den sauerstoffarmen Raum; nasse, zumindest nicht trockene Sozialpädagogenoberbekleidung schlurrt auf wackeligem Klappgestühl, das nur dem Einpferchen wehrloser Gelegenheitskonsumenten in heimtückisch zu Verhörzimmern umfunktionierten Buchhandlungen dient; Zwiebelmett, Rheumasalbe und krankhafter Fußschweiß amalgamieren sich zu einem Odeur von so unvergesslicher Intensität, dass selbst die Bücherregale osteuropäischer Provenienz dagegen fast erträglich anmuten. Doch alles das schafft auch ein billiges Vorstadtkino, alles das zwingt auch ein Elternabend in die trübe Realität. Den entscheidenden Unterschied macht der Autor.

Hatte die praktische Vernunft beim Lesen der verschwiemelten Adverbakrobatik noch die Stimme ihres Herrn imaginiert, so schrammt der Glaube an das Gute beim Auftritt des Urhebers unvermittelt ab. In graumäusigem Polyesterverschnitt hockt eine Patzfratze hinter dem Campingtisch und sondert erratische Wortspenden ab; was als Hörbuch noch einen gewissen Unterhaltungswert besessen hatte, wird in den Artikulationsversuchen des Satzbauers zur ganzheitlichen Folter. Bar jeglicher Kurzweil gniedelt sich die aufreizend monotone, jede Betonung einzeln versemmelnde Poetenstimme durch Absatzschwierigkeiten, wirft sich keuchend von einer Hypotaxe zur anderen und lässt den also Belesenen mit einem Gefühl jäh einsetzender Nüchternheit zurück: das ist ein Dichter, so sieht der Reimschmied aus, dessen Phänotyp noch vereinzelt Sympathiepunkte durch die optische Nähe zum Etagennachbarn – Balkan-Smoking mit Badeschlappletten – gutmachen konnte, der aber ansonsten spannend wie ein leerer Pappkarton ist und jeden Abend in den Gipfelpunkt des zweckfreien Wartens auf etwas anderes verwandelt. Dem Schriftsteller, eben noch Objekt höchster Verehrung, da er scheinbar absichtslos jede Menge Kohle einstreicht, Frauen abgreift und seine besonnte Physiognomie in den Klatschspalten der von Bescheuerten goutierten Totholzmedien breit macht, drischt die Spontanentzauberung das Dauerlächeln aus der Fresse und katapultiert ihn vom drohenden Nobelpreis augenblicklich ins gesellschaftliche Apogalaktikum. Wer nun vergeblich die vom Puschenkino gewohnte Stummtaste sucht, um das ganze Geplapper körperlich unversehrt zu überleben, statt zum frühestmöglichen Zeitpunkt ins Eigenheim oder wenigstens zur nächsten Bratwurstbude zu fliehen, der zeigt, dass er eine wesentliche Prämisse dieser raumgekrümmten Daseinsform nicht kapiert hat: die Hölle, das sind die anderen. Und sie sind es.

Kaum tupft sich der zitternde Vertreter der Verlegenheitsprominenz nach stattgehabter Laberei den Angstschweiß von der Stelle, an der andere ihre unveränderlichen Merkmale aufbewahren, da schlägt das Heer der Beknackten zu. Gestählt im jahrelangen Training mit anatolischer Liebeslyrik zu Nasenflötenbegleitung wringt sich der literarisch unbedarfte Grützkopf Fragen aus dem Synapsenkonvolut, die selbst gelangweilte Gewebelose zu selbstzerstörerischer Aggression brächten. Wer noch rätselt, was der Dichter sagen wollte, legt seinen intellektuellen Offenbarungseid gleich an Ort und Stelle ab. Weder Geschmacks- noch Gefühlsbildung sind die Motivation des Behämmerten, sich in das Gemeinschaftserlebnis Literatur zu fügen; es ist das kollektive Ungewusste und damit das solidarische Fremdschämen, das die kognitiv Suboptimierten in die Stuhlkreise treibt: hier ist der Minderbemittelte unter seinesgleichen und braucht sich nicht zu verstellen. Damit der Bekloppte einmal ungestört seine Blödheit heraushängen lassen kann, ist er sogar dazu bereit, ein kulturelles Rahmenprogramm über sich ergehen zu lassen. Womit jetzt auch geklärt wäre, wozu Ärztekongresse abgehalten werden.





Gernulf Olzheimer kommentiert (VIII): Mehrzweckhallen

22 05 2009

Gernulf Olzheimer

Gernulf Olzheimer


Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.

Am Anfang menschlicher Nutzbauten befand sich das Plumpsklo, jener von einem Herzloch in der Tür veredelte Rückzugsraum für menschliche Geschäftigkeit, die aus ästhetischen Gründen nicht in unmittelbarer Nähe des Brotbackautomaten stattfinden sollte. Schnell kam der Hominide auf den Geschmack und schwiemelte sich funktionale Immobilien zurecht, die jeweils einer bestimmten Sinnhaftigkeit gewidmet waren: das Schlachthaus zur Erzeugung der beliebten Nackensteaks seit dem Beginn steinzeitlichen Grillwesens, Hallenbäder zur Ertüchtigung des Volks im wehrfähigen Alter sowie zur kontrollierten Nachzucht von Fußpilz und Filzläusen, schließlich Sakralbauten in diversen Formen, Farben und Höhen, um möglichst viele Mitglieder der Gesellschaft das Menschenopfer am Feierabend simultan erleben zu lassen, begleitet von frommem Singsang und güldenem Gerät. Die Völker in ihrer Mannigfaltigkeit waren’s zufrieden und widmeten sich fortan ihrem eingewurzelten Drang, die Einfamilienhütten am Kralrand durch Jägerzäune, Klinkerfassaden und Walmdächer in den Zustand ultimativer Widerlichkeit zu hieven. Ohne Sinn und Verstand hockten die Architekten in ihren Erdlöchern; da schuf einer von ihnen die grausame Rache des bauenden Menschen an der Zivilisation – die Mehrzweckhalle. Der Niedergang des Planeten beschleunigte sich zusehends.

Seitdem der erste Mehrzweckbau den arglosen Benutzern zum Ausüben vielfältiger Bestimmungen übergeben wurde, hat sich nichts geändert. Seit der mittleren Eisenzeit reichen sich die Atmosphäre einer Klärgrube, der Geruch von Fleischproduktion und die Akustik einer Schwimmhalle lustig die Hände, was nicht weiter auffällt, wenn man sich zwischen Eingang und Ausgang verläuft, weil jene in die Hügellandschaft gehauenen Buden meist das Fassungsvermögen einer spätgotischen Kathedrale besitzen, was sich an vergleichbaren Temperaturen während der Heizperiode bemessen lässt.

In der Gegenwart hat der aufgeklärte Mensch den Priesterkönig, der neben Regenzauber und Wahrsagerei meist die Menschenopfer zu betreuen hatte, durch den gemeinen Bekloppten im Bauamt ersetzt. Das macht die Sache nicht besser, sofern der architektonisch arbeitende Behämmerte nur eine Tür weiter sitzt und weisungsgebunden den Beton in Brechreiz erregende Gestaltungen quält. Derart abhängig von Bauplan, Bezahlung und öffentlichem Druck greift die Grundrisshebamme ein ums andere Mal beherzt ins Klo, um sicherzugehen, dass die Steuergelder auch restlos darin verschwinden.

Bereits die frühe Planungsphase sieht eine Vollauslastung mit symphonischem Konzertbetrieb vor; dessen ungeachtet sind die Architekten auf der Klosetthäuschenstufe stehen geblieben und passen die Garderobengröße dem Rauminhalt eines WCs an, so dass hauptberuflich spielende Orchester Mehrzweckhallen auf dem Tourplan automatisch mit Totenkopfaufklebern markieren oder gleich von der Reiseroute eliminieren. Einen handelsüblichen Konzertflügel auf die Bühne zu verlasten scheitert daran, dass die Zugänge aus Holzfaserplatte in den Maßen zwei zu eins bestehen: zwei Meter hoch, ein Meter breit, Anschlag innen, damit man die Klinke dem Tuttigeiger in der letzten Reihe ergonomischer in den Hinterkopf rammen kann. Vermutlich war der Vollidiot, der der Bauaufsicht vorgesessen hatte, davon ausgegangen, dass der Saalbau mit derselben abnehmbaren Dachkonstruktion ausgerüstet sein würde wie das Balsa-Modell im Maßstab 1:150.

Doch auch der Bekloppte, der freiwillig seinen Fuß in die Arena setzt, kriegt sein Fett weg. Das einzige im Spannbeton verbaute Büfett ist an der Schmalseite – das zweite Drittel der zahlenden Gäste erhält zum Pausenende seichwarmen Schaumwein, die restlichen Alkoholiker müssen sich mit dem Orchesterpersonal solidarisieren, das meistens nicht einmal Kühlschränke zur rapiden Pegelangleichung vorfindet.

Nach zwei Jahren hat sich das erledigt. Die Kommune kürzt die Subventionen auf Null, weil sie festgestellt hat, dass die für den Kosten deckenden Betrieb erforderlichen elf Millionen Besucher pro Monat nicht mit legalen Mitteln zu schaffen sind. Ab dann werden drittklassige Liedermacher, Fußpflegerkongresse und Mannschaftssportturniere für die Einnahmen herangezogen, so dass noch Tage nach der Meisterschaft im Klötenrutschen das Parkett während Beethovens Tripelkonzert nach Altherrenausdünstung stinkt. Rockbands wären gerne gesehene Gäste, doch ist die Ausstattung mit Steckdosen in jeder Reihenhausgarage sinnvoller, von der Dachkonstruktion angesehen, die bereits bei einer Taschenlampe der Schwerkraft nachgeben und den fachgerechten Anbau kompletter Traversen zum Machtkampf mit der Versicherungsgesellschaft werden lassen. Kammermusik fällt weg, da die formschönen Schallsegel aus handgekauter Alufolie nicht höhenverstellbar sind. Startenöre stehen fortan dicht an der Rampe und kreischen wie krebsrote Vollversager auf dem NPD-Parteitag, um in der ersten Reihe gehört zu werden.

Und so wird früher oder später die Schutthalde ihrer eigentlichen Bestimmung übereignet und dient als Austragungsort obskurer Massenbespaßungen mit Thomas Gottschalk, bei denen im Schweißgeruch nicht weiter auffällt, wenn sich bei Johannes Heesters vor Ekel die Leichenstarre zu lösen beginnt.