Gernulf Olzheimer kommentiert (CXCVIII): Die Kantine

31 05 2013
Gernulf Olzheimer

Gernulf Olzheimer

Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.

Schon seit Jahren regnete es, und die kurz vor dem Erscheinen des Hominiden auf der Erdkruste einsetzenden Temperaturmessungen wiesen klar nach unten. Eiszeit. Scheißwetter. Wie angenehm, dass Nggr und seine Brüder, seine Söhne und der Rest der Sippe, von dem niemand so recht wusste, wer da von wem abstammte, bei Einbruch der Dunkelheit die Höhle erreichten, in denen die Frauen brutzelten und brieten: Stachelschwein am Spieß, Säbelzahntiger im Speckmantel, Mammut auf Toast. Schon am Eingang der Kaverne setzte bei den Jägern und Sammlern Speichelfluss ein, der Pawlow in Ekstase gebracht hätte. Angesichts der Tatsache, dass es sich um Protein mit Brandspuren handelte, war doch die Auswahlmöglichkeit von ungleich größerer Bedeutung, verbunden mit der Aussicht auf ein kulinarisches Erlebnis im Kreise der Lieben. Kein Zweifel, das gibt es heute nicht mehr. Fast nicht. Höchstens in der Kantine.

Die gemeine Kantine – dem Wortsinn nach ein Flaschenkeller, und damit wäre auch geklärt, wer in diesem Betrieb arbeitet – begrüßt den eintretenden Gast mit einem ästhetischen Potpourri aus brackig angestauter Warmluft mit Kopfnoten aus porösem Schuhwerk und ungepflegter Epidermis sowie den Kreationen des Tages: frittierte Fauna mit Grün aus Grufthaltung und auferstehungsunwilligen Knollenresten, gesottener Ex-Säuger mit Zombievegetation und mehligem Matsch, koagulierte tierische Eiweiße mit rottender Feldfrucht und krustig verkochtem Stärkekonvolut. Eine Mixtur, die ansonsten nur als Rausschmeißer für die Geisterbahn taugt, soll hier den Atzung suchenden Bekloppten seelisch auf sein letztes Gefecht vorbereiten. Lasciate ogni speranza, voi ch’entrate. Hat er sich dann ins Unvermeidliche geschickt, reiht er sich ein in die Schlange, die geradewegs zum Jüngsten Gericht führt – heute wird’s Schalter B sein, wo ihn für Dreifuffzich Kohlfischpamps erwartet, leicht von in Bratfett gebratenem Bratfett (Schalter A) und der Knoblauchapokalypse am Reisrand (Schalter C) gestört, schwerstens jedoch von der Resterampe an Schalter D gekontert, deren staubiges Aroma in Schleiern durch den Raum wabert, als hätte der Koch gut abgehangene Mumien aus dem Alten Reich über die Sättigungsbeilage geraspelt. Voll selbstquälerischer Inbrunst wandert der Blick auf die in kühler Perfektion exekutierte Mechanik, auf die Materialschlacht an der Tablettausgabe, wo mit einem wesenlosen Blick ein geschlechtsloses Ding in fleckiger Kittelschürze einen Klotz warmweichen Schmadders aufs Speisefach spachtelt, das ohne nennenswerte mechanische Reaktionen auch ein ansatzfrei eingesprungenes Kippen der Unterlage um 90 Grad hinnimmt; der Kenner weiß, es handelt sich nicht um experimentelle Festkörperphysik, sondern um die als Bandnudeln angeschlagene Kohlenhydratkomponente, die neben einem in Schiffsdiesel marinierten Neunauge die Belegschaft an die schicksalhafte Sterblichkeit der Kreatur gemahnen soll. In diesem Fall übernimmt es die frappant an Fäulnis erinnernde Konsistenz der über einem intermittierend funktionsfähigen Heizlüfter gelagerten Meerestiere; Fernweh kommt auf nach dem Mittelmeer, nach der Sardinenlagerhalle eines gottverlassenen Kaffs, die versehentlich eine Woche im August lang nicht geputzt wurde und aus zwei Grüntönen besteht, der eine läuft an der Wand herunter, der andere läuft schon wieder hoch. Dazu reicht die Servicekraft Gurkensalat.

Das Ambiente tut ein Übriges. Nach beißender Lauge duftende Tischkolonnen erwecken fälschlich den Eindruck, die sanitären Einrichtungen seien in identischem Status. Tatsächlich gibt es, je nach Verhältnis zur örtlichen Gesundheitsbehörde, entweder nur einen Reiniger oder nur einen Lappen, und es wäre noch zu fragen, was besser ist. Das Besteck ist den Utensilien des Maurerhandwerks nicht unähnlich, das für Teller- und Terrinengerichte verwendete Geschirr entstammt der Serie Herbstdepression und hinterlässt bei unsachgemäßer Verwendung unangenehme Dellen im Betonboden, kurz: der Grobmotoriker fühlt sich spontan wohl, die übrigen Mehlmützen fallen auch nicht weiter auf. Das Personal besteht aus Brezelbiegern, die im dritten Anlauf ein Praktikum im Wasserkochen nicht nachweislich versemmelt haben, billige Kräfte, die mit billigen Zutaten Substanzen anfertigen, für die ein Endlagergesetz längst zu spät käme.

Denn daran liegt es, dass der Bescheuerte sich auf Geheiß ökonomisch hysterisierter Knalltüten Gewölle hinters Zäpfchen schwiemelt, statt in der Pause eine Mahlzeit zu verzehren. Längst wird das Pockenpüree in der globalen Großküche produziert, in untotem Zustand verlastet und in der Werksküche wieder hochgejazzt. Längst sind die chinesischen Erdbeeren als Dessert zu Darmkeim Hausfrauenart billiger als die frischen Früchte der Region, längst läuft das wienerartige Schnitzel unter Thaifood, da in Bangkok von der Sau gesäbelt, längst kann der Kinderarzt bei drohender Grippe die Extraportion Antibiotika verschreiben in Form von Seelachs mit Spinatimitat. Hauptsache, der Rotz an Schalter B kostet eben nur Dreifuffzich, begeht vor Selbsthass keinen Suizid unter der Gabel und hinterlässt den nässenden Hautausschlag erst nach dem Verlassen der Kantine. Wir regen uns nicht auf, dass diese Kollateralschäden vom Löffel herunterweinen, wir regen uns erst auf, wenn das Wolpertingerfilet auf gedünsteter Laubsägearbeit plötzlich zehn Cent mehr kostet, nicht, weil die prekär beschäftigten Pfannenschwenker uns dauerten, sondern nur, wenn der mehrfach wegen Blasenwurf im Gammelfleisch aufgekippte Futtermittelerzeuger seine Geldbußen nicht mehr einpreisen kann. Wir wundern uns nur über Hufspuren in der Lasagne, aber nicht, wie man mit Minijobbern und Kitt in einer osteuropäischen Kaschemme Wildgulasch herstellt zu einem Preis, für den man in zivilisierten Ländern nicht einmal die Rohware bekäme.

Immerhin hockt der Bekloppte im Trockenen und muss nicht übers Wetter reden. Gemeinsam verarbeitet er den täglichen Ekelschock besser und entlastet den Betriebsarzt. Das stiftet Gemeinschaft. Das und die Schirmchen, wenn es Aas Hawaii gibt.





Nouvelle cuisine

27 02 2013

„… dass die Hacksteaks einen erheblichen Anteil an Hundefleisch aufgewiesen hätten. Keine der Kontrollen habe verhindern können, dass die Kantine des Deutschen Bundestages die tiefgekühlten…“

„… es nun ernst sei mit den Kontrollen. Gefordert sei ein striktes Durchgreifen, um die Gesetzesverstöße zu ahnden, zumindest aber, um sie aufzudecken und möglichst genau darüber zu spekulieren, wer die…“

„… zu einem Rückgang des Fleischverzehrs gekommen sei. Die Abgeordneten hätten stattdessen überbackenen Blumenkohl und Tofu-Bratlinge…“

„… habe Aigner versprochen, noch vor Beginn des Wahlkampfs einen Schuldigen zu…“

„… habe Niebel in der Bundespressekonferenz verlautbaren lassen, die im Bundestag gefundene Maultier-Bolognese dürfe nicht weggeworfen werden, solange es Schmarotzer und arbeitsscheues Gesindel gebe, das kein Recht auf normale…“

„… aus Österreich gemeldet worden sei, dass in der Bauernwurst tatsächlich Spuren von…“

„… sich zwar um Flüssigeidotter gehandelt haben, das für die Mayonnaise angekauft worden sein solle, jedoch weder vom Huhn noch in einem Zustand, der für den menschlichen Genuss…“

„… die Speisenauswahl verteidigt. Schröder habe die verbilligten Tiefkühlmenüs nie als schwer durchsetzungsfähig betrachtet, da auch die Nouvelle cuisine anfangs auf erhebliche Widerstände gestoßen sei. Man müsse, so die Kohl-Anhängerin, bis heute Männern beibringen, dass Brokkoli nicht gefährlich…“

„… verteidige der Gastronom das Speisenangebot als exotisch, aber nicht als ungenießbar. Meerschweinchen seien zwar in Europa noch nicht als Fleischlieferanten…“

„… den Entwicklungsminister dahin gehend missverstanden zu haben, dass die verunreinigten Fleischprodukte nun ausschließlich für Mitglieder der FDP-Bundestagsfraktion…“

„… sich die isländische Delegation auf dem Berliner Finanzgipfel mit feinstem Gammelfleisch für die Einladung bedankt…“

„… Sarrazin erklärt habe, er würde sofort eine Portion Maulwurf-Ravioli verzehren. Die bei ihm diagnostizierte Vergiftung mit Pflanzenschutzmitteln habe durch eine sofortige Magenspülung…“

„… laut Aussage des Veterinäramtes um DNA-Bestandteile einer Hauskatze gehandelt haben müsse. Die im Bundesfinanzministerium angebotenen Speisen seien zunächst nicht mehr…“

„… habe Aigner ihren 10-Punkte-Plan spontan um zwei weitere Positionen…“

„… glimpflich ausgegangen, da ein Übersetzungsfehler vorgelegen habe. Es habe in der Lasagne kein Hundefleisch, sondern Hundefutter…“

„… es sich bei den Bestandteilen des Desserts im Konrad-Adenauer-Haus nicht um einen Beitrag zur Insektenküche gehandelt habe, sondern um den üblichen Schabenbefall in der…“

„… sei die Verwendung von Robben in der Spitzengastronomie weiterhin unmöglich. Als mögliche Alternative, da die Wale ohnehin schon erlegt worden seien, biete sich daher…“

„… die chinesische Botschaft von den Kontrollen nicht ausgenommen sei. Merkel habe angekündigt, die Einhaltung des Lebensmittelrechts genauso streng überwachen zu lassen wie Produktpiraterie, Menschenrechte und…“

„… kein Vertrauen mehr bei der Bundestagsverwaltung genieße. Die als Bio-Froschschenkel deklarierten Fleischstücke seien nicht verwendet worden, da sie ebenso aus konventioneller Aufzucht…“

„… das nunmehr als 14-Punkte-Papier veröffentlichte Memorandum vorgestellt habe. Die Eckdaten entsprächen ungefähr dem Stand der 1898 in Chile beschlossenen…“

„… sich das auf dem Kanzlerfest als Straußensteak deklarierte Fleisch bei einer überraschenden Kontrolle als Krokodillende entpuppt habe. Der Beamte sei sofort vom Dienst suspendiert und…“

„… eine noch genauere Analyse, wenngleich diese die Kosten erhöhen würde. Das Ministerium für Verbraucherschutz habe bereits die Anschaffung von Gummihandschuhen als professionell, aber überflüssig bezeichnet, da die überwiegende Anzahl der Kontrollen weiterhin fernmündlich aus dem Ministerium…“

„… dass die von Steinbrück als Wahlkampf-Geschenk georderte einzeln eingeschweißte Bärchenwurst tatsächlich Bestandteile von…“

„… kompromissbereit. Nach intensiven Gesprächen mit den Interessenverbänden der Fleischerzeuger habe man sich auf eine drei Punkte umfassende…“

„… der Rücktritt Seehofers nur noch eine Formfrage sein könne. Der CSU-Vorsitzende habe die Weißwurst verteidigt, obgleich sie nach dem Laborbefund auch für Veganer geeignet…“

„… werde der Abgeordnete Hartwig Fischer (CDU) seit mehreren Tagen vermisst. Auf Anfrage des Fertiggerichtherstellers werde nach wie vor gemeldet, Fischer halte sich in der Produktion auf und werde bald wieder an die Öffentlichkeit…“





Geschenkter Gaul

19 02 2013

„… ein nationales Kontrollprogramm für alle Fertiggerichte, die möglicherweise durch Pferdefleisch…“

„… wolle die Tatsachen nicht leugnen, aber von einer größer dimensionierten Tat könne doch eigentlich erst die Rede sein, wenn Nudelgerichte mit ganzen Pferden…“

„… habe Aigner angekündigt, in den kommenden Tagen, Wochen oder Monaten, spätestens aber bis nach der Bundestagswahl…“

„… nur deshalb ausgenommen, weil Lasagne wegen der langen Zubereitungszeit nicht als Schnellgericht zu werten…“

„… lehne das Ministerium den Vorschlag strikt ab. Ein Aufkleber mit der Aufschrift ‚Mit Pferdefleisch aus kontrollierter Schlachtung‘ sei nicht geeignet, die Verbraucher mit der nötigen…“

„… auf entschiedenen Widerstand. Einerseits sei die Verwendung von Pferden als Lebensmittel eine in Europa kaum tolerierbare Handlung, auf der anderen Seite könne die Seifenindustrie nicht…“

„… dürfe man den Produktionsweg der Zutaten nicht übermäßig transparent gestalten oder gar durch eine online veröffentlichte Liste unterstützen. Das Internet, so Seehofer, sei immerhin ausschließlich dazu da, Ausländer und andere potenzielle Straftäter an den Pranger zu…“

„… dass auch in Finnland Rückstände von Pferd in Gulasch und Ravioli gefunden worden seien. Der EU-Kommissar habe dies einen Sieg des europäischen Gedankens genannt, da durch die Union die Angleichung der Lebensumstände…“

„… müsse man strengere Vorgaben für die Eigenkontrollen der Unternehmen prüfen, die dann durch die eigenen Kontrollen innerhalb der Unternehmen strengstens…“

„… bleibe dennoch weiterhin verboten. Die Hähnchensnacks dürften keinesfalls als ‚mit Pferd verfeinert‘ im Discounterregal zu…“

„… sei die Vorsitzende der Länderverbraucherministerkonferenz Puttrich klar für eine Erhöhung des Strafmaßes, falls weiterhin ein stillschweigendes Einverständnis mit der Justiz herrsche, dass verdiente Wirtschaftsführer nicht durch langjährige Haftstrafen aus dem…“

„… fordere Aigner, der Gesetzgeber müsse jetzt mit einer Ankündigung sofort und ohne jede…“

„… lasse sich nicht mehr feststellen. Zwei rumänische Geldgeber hätten darauf bestanden, den Werbespot mit der Musik ‚Old McDonald’s had a horse‘ zu…“

„… sich die Bevölkerung, durch eine immer größere Dekadenz und Undankbarkeit auszeichne. Von der Leyen habe dem Gremium empfohlen, Arbeitslosen und sozial schwachen Personen gar kein Fleisch mehr auszuhändigen, da diese dem fast geschenkten Gaul doch nur…“

„… sei die schlechte Nachricht, die gute jedoch, dass in den Fleischgerichten überhaupt tierische Eiweiße in solchen Mengen…“

„… da es ohne externe Kontrollen nicht mehr funktionieren könne. Die Kommission habe vorgeschlagen, die externen Kotrollen mit internen Fachkräften zu besetzen, da diese die zu kontrollierenden Betriebe bereits so gut kenne, dass sich keine zufälligen Fehler bei den Überprüfungen…“

„… habe Aigner betont, sie wolle sofort ankündigen, dass die Ankündigung des bereits angekündigten…“

„… sich zu einer differenzialdiagnostischen Unmöglichkeit auszuweiten. Berechnungen zufolge seien bereits derart große Mengen identifiziert, dass ungefähr dreimal so viele Pferde in ganz Europa leben müssten, um tatsächlich…“

„… durchaus richtig, dass Gelatine aus Knorpelmasse in veganen Fertiggerichten Verwendung gefunden hätten. Allerdings könne zur Entlastung gemutmaßt werden, dass diese möglicherweise nicht vollständig vom Pferd…“

„… habe einen Eid geleistet, keine Fleischfälschung begangen zu haben. Trotz eindeutiger Laborbefunde beteuere der Fabrikant, in seinen türkischen Spezialitäten nur Schweinebauch und gepökelte…“

„… dass die Bestandteile der Fleischklopse durchaus nicht zu beanstanden seien, die Brötchen jedoch teilweise…“

„… zunächst bei einer Ankündigung belassen. Aigner habe demgegenüber angekündigt, in der Ankündigung der angekündigten Ankündigung einen angekündigten…“

„… sei nach Aussage des Fabrikanten schon deshalb so wenig wahrscheinlich, weil in den Gulaschkonserven bisher noch kein einziges Hufeisen…“

„… dass Aigner kriminelle Energie hinter den Machenschaften der Pferdefleischmafia vermute. Die Ministerin werde voraussichtlich mit dem Goldenen Ehren-Krückstock des Einäugigenvereins Bayern…“

„… könne man in einer freiheitlichen Demokratie selbstverständlich nur dem Unbedenklichkeitssiegel vertrauen, das der Hersteller bereits vor der stichprobenartigen Kontrolle durch das europäische Institut für…“

„… habe Aigner den Gesetzgeber aufgefordert, sofort ein Gesetz anzukündigen, das ohne jede vorherige Ankündigung ankündigt, dass die…“

„… wettbewerbsschädigend. Außerdem seien Pferdemetzgereien wegen des ständig steigenden Bedarfs an Analogfleisch schon nicht mehr in der Lage, auf legalem Wege genug…“

„… habe Aigner wie angekündigt angekündigt, dass sie die Gründung eines eigenen Ministeriums für Verbraucherschutz noch in dieser, in der übernächsten Legislaturperiode oder aber, falls es durch unangekündigte…“





Gernulf Olzheimer kommentiert (CXLIII): Bio-Wahn

23 03 2012
Gernulf Olzheimer

Gernulf Olzheimer

Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.

Früher – als die Gummistiefel noch aus Holz waren und die Kinder zu Kaisers Geburtstag eine weniger auf die Nase kriegten – war grundsätzlich alles besser. Natürlicher. Gesünder. Die Kartoffeln waren dicker (und es gab noch Kartoffelkäfer), die Hühner konnten noch richtige Eier legen (und zehn Prozent der Bevölkerung konnten sie sich leisten) und die Welt war ganz einfach sauberer, vor allem der Dreck im Schweinestall und die Erde zwischen den Rüben. Damals. Jene ferne Zeit, die wir uns so verzweifelt nicht zurückwünschen, weil mit ihr Pocken, Zichorie und Zwickel wiederkämen. Und doch bräuchten wir sie eigentlich, weil es sonst die Nostalgie nicht gäbe und den unerfüllten Wunsch nach Reinheit, Unverdorbenheit, kurz: alles, was uns der kreative Umgang mit der Realität vorgaukelt. Man muss nicht fürs Wilhelm Zwo auf die Straße gehen, der Bio-Wahn tut’s auch.

Er grassiert, wo immer der Deutsche sich mit verdauungsfähigem Material aus dem Bereich des Organischen befasst. Bio-Ei, Bio-Möhre, Bio-Huhn und ähnliches Gepopel bietet der Handel feil, klar fasslich dank zweier untrüglicher Kennzeichen: einmal schreit das Schild biologisch-dynamisch und auch ansonsten quarkig in die Landschaft, und dann sieht man’s am Preis, der den Distinktionsgewinn der emissionsarmen Erbse eindrucksvoll ins Auge des Betrachters tackert. Wer zur ganzheitlich gedüngten Gurke greift, tut dies nicht zufällig, sondern für die Galerie. Bioware ist bewusstes Genießen. Wenn gleich auch meist nur den Neid der Betrachter an der Kasse.

Längst gerinnt das Biogezumpel zum sozialen Gegenbild, denn was sollte es auch sonst sein? Allein der Blick, was der Brauchtumsterrorismus dem Premium-Kunden in die Einkaufskörbe kippt, zeigt den intellektuell degenerierten Vollhonk in vollem Effekt. Brühwürfel und Boulette sind bio (unter Vernachlässigung anorganischer Komponenten wäre das nicht von der Hand zu weisen, aber woraus sollten sie auch sonst sein, wenn nicht aus Input für die Schleimhäute), Chips und Mineralwasser. Der Stammhirnverfall der Beknackten scheint an Fahrt aufgenommen zu haben, so die geistig nicht gesegneten Günstlinge ihre Barschaft für derlei Sülzwarenfabrikation hergeben. Ist nicht demnächst die Butter auch schon bio, weil sie auf natürlichem Wege ranzig wird?

Geschenkt, es geht ja um den Gesundheits-, um den Lebensaspekt, warum der Hobbyöko lieber die natürliche Milch mit babylonisch sprechendem Dreckrand als den ultrahocherhitzten Kuhsaft kauft. „Du bist“, greint uns die verdeppte Esoteriktrulla aus der Volkshochschule entgegen, „was Du isst!“ Sobald wir den Mitochondrien beigebracht haben, die Eiweiße aus Tütennudeln und Sojaklops zu unterscheiden, holen wir uns den Nobelpreis von der Käsetheke. Sicher haben bis dahin Kohlrabi und Koriander die Kunst- und Naturdüngersorten auf niedermolekularer Ebene am Geschmack erkannt. Denn welcher Schnittsalat würde sich schon von Bescheuerten pflanzen lassen. Beim Schlangestehen um eine Hirnspende geht die wissenschaftliche Grundausstattung gerne zu Blut und Boden, denn wer würde sich schon an Tatsachen halten, wenn er sich sein Weltbild aus Wunschvorstellungen leichter zurechtschwiemeln könnte.

Ob die handverkratzten Äpfel, das manuell eingekotete Freilandei tatsächlich besser sind? Klar, denn im Gegensatz zur Fließbandproduktion konventioneller Vollwertkekse ist die Biotomate natürlich im Beisein der Bezugsperson in feuchter Watte gezüchtet worden, keinesfalls in der Grünzeugmanufaktur, sondern ebenso in halb automatischer, maschinengestützter Fertigung, bis zum Grenzwert der Industrienorm mit Herbiziden eingenebelt, genmanipuliert, aber eben bio, da nur mit natürlichen Schadstoffen belastet. Als ob die Güllephosphatjauche besser für die keuchenden Fließgewässer wären, als ob der Monokultur mit Ökomais die Artenvielfalt an der Krume nicht genauso scheißegal wäre. Aber Hauptsache, der appetitlich verschrumpelte Mangold in frühlingshaftem Braun passt zum Stickoxid-Profil des grün-alternativlosen Geltungsfressers, der in seinem paternalistischen Besserwisserwahn gleich noch die andere Hälfte der Bescheuerten umerzöge, bekäme er Rabattmarken für nachhaltig gammelnde Hass-Avocados.

Der Bio-Wahn inszeniert, wie eine brüllend doofe Soziokaste sich im eigenen Geschwurbel aus Pseudobetroffenheit und elitärem Konsumismus verrennt, immer mit dem hehren Gefühl, die ganze Menschheit gegen ihren Willen durch runzeligen Rucola zu retten. Gäbe es Bundesverdienstkreuze für die stoische Penetranz, mit der sich Vorzeige-Körnerfresser Welkwirsing in die Gemüsekiste kippen, Wasserrüben aus mehr Wasser als Rübe und Reste undefinierter Knollen zum Endverkaufspreis von Feingold, sie würden sich das Zeug gegenseitig in die Schlichtvisage knoten. Keinem fällt auf, dass selbst die Discounter der mittleren Unterklasse längst ihr eigenes Bio-Sortiment haben (Fertigmüsli mit natürlichem Industriezucker, Sellerie mit unbehandelter Schale, Fleischwurst von glücklichen Mastsauen), marketingtechnisch auf Strom- und Fluchtlinienform gefönt, dabei so niederpreisig, dass nur die Nachhut auf Niedrighirnniveau die Provenienz des Brathuhns aus dem Geflügelgulag leugnen könnte. Erst wenn der letzte mit Felsquellwasser aus den Anden gezogene Spargel biologisch-dynamisch per Flieger nach Nordhessen verlastet wurde, werden sie feststellen, dass man so viel Müll gar nicht trennen kann, um den Hirnplüsch auszugleichen, den sie da verzapfen. Aber wir werden uns daran gewöhnen. Solange das Zeug noch nicht als chinesischen Produktpiraterie aufgekippt ist, das seine Bio-Bömmel in Beijing im Hinterhof angepappt kriegt. Oder wenn auch integrierter Blumenkohl nachts im Kühlschrank wieder anheimelnd brummt und leuchtet. Hoffentlich grün.





Nach Rezept

12 01 2012

„Und das wirkt auch garantiert?“ „Aber klar – Sie können es völlig unbesorgt verwenden.“ „Und ohne Nebenwirkungen?“ „Aber ja, ohne unerwünschte Nebenwirkungen. Wie versprochen. Bei Husten, Schnupfen, Heiserkeit ist Brathuhn das Mittel Ihrer Wahl. Essen Sie sich gesund!“

„Wie sind Sie eigentlich auf den Gedanken gekommen, Nahrungsmittel als Medikamente auf den Markt zu bringen?“ „Nun, es gab da seinerzeit zwei Entwicklungen. Einerseits wollten wir mit der Anreicherung der Lebensmittel mit Antibiotika und Hormonen eine neue Qualität der pharmazeutischen Versorgung der Bundesbürger erreichen, so dass wir flächendeckende Standards in der Bundesrepublik erreichen konnten. Die Sicherstellung einer gewissen Stoffkonzentration sollte die Gesundheit der Bundesbürger auf einer für alle Beteiligten nützlichen Stufe halten.“ „Nützliche Stufe?“ „Naja, wenn Sie Krebsmedikamente verkaufen, müssen Sie zunächst mal genug Krebserkrankungen haben, richtig?“ „Sie wollen doch jetzt nicht andeuten, dass Sie die Antibiotika nur wegen der Krebsfälle ins Hühnerfleisch…“ „Keineswegs. Abstrus, so was. Wirklich abstrus. Natürlich nur die Hormone im Kalbfleisch, ja?“ „Und das andere?“ „Welches andere?“ „Sie hatten doch gerade von zwei Entwicklungen gesprochen.“ „Hatte ich? Kann mich nicht erinnern.“

„Ist es richtig, dass Sie heute vor allem in funktionale Lebensmittel investieren?“ „Das ist korrekt. Wir haben diese Entwicklung auf eine neue Stufe gehoben.“ „Das ist die zweite Entwicklung, von der Sie sprachen?“ „Unterbrechen Sie mich nicht. Üblicherweise werden irgendwelche Fruchtsäfte oder Milchprodukte mit Vitaminen, Mineralien, Bakterien oder ungesättigten Fettsäuren versehen. Und hier haben wir unsere Marktlücke gesehen.“ „Die Vitamine für das Immunsystem?“ „Quatsch, die Bakterien.“ „Aber die arbeiten doch gegen das Immunsystem?“ „Gegen Ihres vielleicht, nicht gegen meins. Ich muss den Dreck ja nicht fressen.“

„Sie versetzen Hühnerfleisch mit Bakterien, um die Immunabwehr der Konsumenten zu stärken?“ „Nicht ganz richtig.“ „Dann geht es nicht um das Immunsystem? Hatte ich das eventuell falsch…“ „Ach was, es geht nicht um Hühnerfleisch. Es geht um Hühnerfleisch, Schwein, Rind, Kalb, Fisch, Hack, Wurst und Delikatessschlachtabfälle. Mit nur einem Produkt würde sich unser Konzern nicht zufriedengeben.“ „Und Ihr Konzern bringt diese Fleischwaren auf den Markt, um der Gesundheit der Verbraucher zu helfen?“ „Nein, das ist eine Sache der zweiten Entwicklung. Aber wie gesagt, wir reichern die Produkte mir nützlichen Zusätzen an und können so die Wirkung wesentlich erhöhen.“ „Die Wirkung auf die Volksgesundheit?“ „In erster Linie die Wirkung auf unseren Umsatz, warum?“ „Aber Sie sind …“ „Wir sind ein Mischkonzern. Genau kann ich Ihnen nicht sagen, wer da wie viel von wem besitzt, aber irgendwo muss es da einen Arzneimittelhersteller geben. Also werden wir über kurz oder lang doch reich.“

„Lassen sich Ihre Nahrungsmittel denn überhaupt genau genug dosieren? Ich meine, jeder reagiert da doch unterschiedlich.“ „Durch die breite Streuung der Zusatzstoffe lässt sich natürlich die Depotwirkung ganz exzellent bedienen. Das wirkt wie auf Rezept – nach Rezept, wollte ich sagen. Einmal in der Woche Fischstäbchen, zweimal im Monat Brathuhn, dann dürften saisonale Erkrankungen der Vergangenheit angehören.“ „Saisonal?“ „Raten Sie mal, warum es so gut wie keine Schweinegrippe in Deutschland gab.“ „Die Impfungen waren so gut?“ „Ach Quark, wir haben ganz einfach die üblichen Antiphlogistika gegen neue Wirkstoffe ersetzt.“ „Das war die andere Entwicklung?“ „Meine Güte, jetzt geben Sie aber mal Ruhe!“ „Aber was war denn die andere Entwicklung, weshalb Sie jetzt nur noch funktionale Lebensmittel herstellen?“ „Na gut, ich will es Ihnen verraten. Wir kriegen die ganze Scheiße sowieso nicht mehr aus dem Fleisch raus, da können wir sie genauso gut gleich vermarkten.“

„Und das ist jetzt aber wirklich so ungefährlich, wie es aussieht?“ „Ja, mit einer Ausnahme.“ „Sie meinen bestimmt Antibiotika-Resistenzen?“ „Ich meine Vegetarier, Veganer, diese ganzen Idioten. Die essen Gemüse, und das ist nicht gut.“ „Weil sich Gemüse nicht ausreichend kontrollieren lässt? Oder weil die Bestandteile im Gemüse mit Ihren Fleischprodukten nicht harmonieren?“ „Harmonie? haben Sie einen an der Birne? Das ist verdammtes Gen-Gemüse, kapieren Sie das!?“ „Aber ist das denn überhaupt so schlecht? oder ist das am Ende echt schädlicher als…“ „Mann, begreifen Sie doch – wir haben keine Patente für dieses Scheißgemüse! Die packen da einfach Sachen rein, die wir nicht kontrollieren können. Das ist die Konkurrenz!“ „Und jetzt gibt es ein Problem mit den resistenten Keimen, weil die nicht mehr anschlagen?“ „Meine Güte, sind Sie so blöd oder tun Sie nur so? Die Leute kaufen nicht mehr genug Fleisch, klar!?“

„Welche Unternehmensperspektiven können Sie heute ins Auge fassen?“ „Wir sind nicht vom Markt wegzukriegen.“ „Wegen Ihrer Größe?“ „Auch. Aber das ist nicht unser Alleinstellungsmerkmal.“ „Es ist Ihre Produktpalette vom Fertigschnitzel bis zur Grillwurst?“ „Nein, nicht einmal das. Es ist unsere Unternehmenstradition.“ „Tradition? Ich dachte, Sie seien erst mit der industriellen Tiermast… also in den letzten Jahren… also…“ „Kennen Sie das gute alte Hausmittel? Hühnerbrühe bei Erkältung? Dann raten Sie mal, woher das kommt.“





Restbratwurst

18 03 2010

Milde Akkordeonklänge säuselten durchs Foyer. Klootjohann stieß mich neckend in die Seite. „Na“, fragte er keck, „das ist doch der rechte Sound für unser Unternehmen, meinen Sie nicht auch?“ Ich wandte ganz langsam den Kopf. „Kein Wunder“, antwortete ich mit mildem Spott. „Ich hätte hier auch sofort etwas mit Quetschkommode assoziiert.“ Das hätte ich wohl besser gelassen, denn er war schon drauf und dran, das alte Lied mitzusingen. Wem Gott will rechte Gunst erweisen, trällerte ich innerlich, den schickt er in die Wurstfabrik.

Wurst um Wurst fluppte aus der Maschine und sank plätschernd in den Brühkessel. „Das ist ja nur das Standardsortiment“, informierte Klootjohann mich. „Wir haben unsere Produktion jetzt ganz auf neue Wurstideen umgestellt. Der Kunde will das so. Das ist der Zug der Zeit.“ Ob der Zug aus Fischwurst bestand oder vielleicht aus Leberwurst, deren Zutaten nicht von unwissenden Blinden zusammengeschüttet wurden? „Keinesfalls!“ Mein Begleiter verwahrte sich heftig. „Die Erzeugnisse müssen sich ja auch nicht unbedingt komplett vom Gewohnten unterscheiden. Schauen Sie mal.“ Damit zupfte er ein kleines Säckchen aus der Maschine, das an einem Faden baumelte; am anderen Ende hing ein Papierschildchen. Es roch säuerlich. „Das ist doch das Zeug, das einem am Frühstücksbüfett angedreht wird.“ In Erinnerung an vertrocknete Schmierwurstportionen schüttelte ich mich. Klootjohann war verwundert. „Erkennen Sie denn nicht?“ Worauf wollte er bloß hinaus? „Tee-Beutelwurst – Sie können hier oben am Etikett zupfen und fetten sich nicht mehr die Finger ein!“

Weiter ging es durch die Fertigungshalle. „Der Kunde“, belehrte mich Klootjohann, „möchte heute eine differenzierte Auswahl haben. Das fängt bei den einfachsten Produkten an!“ Die Apparatur säbelte Scheiben von einem endlosen Wurststrang herunter. Er griff in eines der Behältnisse hinein und zog ein Stückchen Aufschnitt hervor. „Ein Huhn“, konstatierte ich. „Genau“, bestätigte der Metzger. „Diese Sorte beinhaltet – unter anderem – Hühnerfleisch. Genauer gesagt: wir haben hier vier Prozent Geflügel in der Mischung, von denen vier Prozent Huhn und Hühnernebenprodukte sind.“ „Das leuchtet mir ein.“ Tatsächlich konnte ich sofort etwas mit der Intarsienwurst anfangen; der stilisierte Gockel auf der Wurstscheibe sprach mich sofort an. „Sollte man aber nicht eher einen Hühnerfuß oder ein paar Hähnchenschnäbel in diesen Aufschnitt reinpacken?“ Klootjohann schüttelte den Kopf. „Das gäbe große Probleme mit dem Verbraucher. Lebensmittelrechtliche Probleme! Wir können das nicht machen.“ Warum denn nicht? „Man könnte es mit Putenaufschnitt verwechseln.“ Das war plausibel. „Lassen Sie uns weitergehen“, drängte ich, „bevor ich mir noch Ihre Bärchenwurst ansehen muss.“

Der braungraue Brät im Mischgerät sah aus wie verquollener Haferbrei mit Speckstückchen. „Das täuscht!“ Klootjohann triumphierte. „Das täuscht, weil in dieser Halle überhaupt kein Fleisch verarbeitet wird. Hier fertigen wir ausschließlich vegane Wurstspezialitäten, eine völlig neuartige fleischlose Fleischwurst. Toll, oder?“ „Das klingt gewöhnungsbedürftig“, bemängelte ich. „Aber wir erschließen der Wurst damit neue Konsumenten und sichern ihr neue Absatzmärkte.“ Sträubelmann zog Proben aus dem Wurstbrei. „Was ist denn das weißliche Zeug da“, fragte ich. „Feinbackware in Mineralwasser vorgeschwemmt“, gab der Fleischer zurück. „Hoch bindungsfähig ohne Fleischfaser und künstlichen Speckfettzusatz, wir haben darum die Mischung nicht nur im fleischlosen Bereich zum Einsatz gebracht, sondern bedienen uns ihrer auch in der Normalproduktion der Frikadelle in der…“ „Und jetzt wollen Sie sicherlich auch unsere anderen Produkte kennen lernen“, drängte sich Klootjohann dazwischen.

Direkt nebenan schossen Pflanzenschnitzel in einen Bottich. „Das fleischlose Sortiment hat ja noch mehr zu bieten.“ Ich schnupperte. „Weißkohl. Das also ist Ihre berühmte Kohlwurst?“ Er schüttelte den Kopf. „Bis letztes Jahr war das noch unsere Kohlwurst, jetzt haben wir sie in die neue Kombi-Palette überführt. Ein großartiges Ding!“ Ich blickt auf die Verpackungen, die das Laufband in langen Bahnen aus der Fertigungshalle schob. „Würstchen und Kraut“, las ich. „Genau“, stimmte Klootjohann zu, „beides in einem Produkt – das nenne ich mal eine gelungene Verbindung. Und es ist tatsächlich das, was draufsteht.“ Ich schnupperte. „Dann ist das, was da hinten so entsetzlich qualmt, die Rauchwurst?“

Der große Kasten stampfte. Chromblitzend führten Rohre hinaus, das eine gleich nach nebenan in die Bratstraße, das andere durch die Decke in einen anderen Saal. Drinnen quirlte und schleuderte es, die Masse klatschte in der Trommel hin und her. „Hier geht’s also um die Wurst“, mutmaßte ich. „Ganz recht“, bestätigte er. „Hier entscheidet sich die Zukunft der deutschen Qualitätswurst.“ Und was wird hier getrennt, was nicht zusammengehört? „Wir trennen hier die Rost-“ – er zeigte auf den einen Weg, der zur benachbarten Maschinerie führte, dann auf den anderen, der sich gegen den Plafond entfernte – „und die Restbratwurst.“ Wir schwiegen ergriffen. „Aber Sie müssen von der ganzen Wurst ordentlich Appetit bekommen haben. Wollen Sie nicht einen Happen essen? Ich lade Sie ein, drüben in die Kantine der Konservenfabrik. Empfehlenswert!“ Ich war etwas erstaunt. „Na, die würden nie etwas von uns verwenden.“





Gernulf Olzheimer kommentiert (XVI): Lebensmittelimitate

17 07 2009

Gernulf Olzheimer

Gernulf Olzheimer


Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.

Sternstunde Null – Dresden war reif für einen architektonischen Neustart, Nazis gab es, wenn überhaupt, allenfalls noch in Nürnberg, und Rest- wie Rostdeutsche wuppten ihre tägliche Existenz im ganzheitlichen Ansatz: keiner hungerte, ohne zu frieren. Der an sich bescheuerte Deutsche, der ja nie im Leben alzheimernden Postkartenmalern aus Braunau zugejuchzt hätte, setzte zum großen Sprung nach vorn an. Noch waren in der Trizone Formfleisch, orthogonale Eier und schockgefrostete Krokettensimulationen, noch plastiniertes Rotkraut, aufgepumpte Broileretten und Jägerschnitzel frisch aus dem Separator im freien Teil der stalinistischen Welt nicht entdeckt, da entwickelte der seit jeher mit eherner Schmecke ausgestattete Depp eine frühe Form von Molekularküche, das Trompe-l’œil in Mehlschwitze. Backware aus dem Kombinat Plaste und Elaste, Sahneersatz aus geschredderten Kartoffelresten, Leberwurst aus Holzrückständen ergänzten den kulinarischen Vollrausch als Flucht vor der kalorienreduzierten Wirklichkeit.

Seither hat der Bekloppte, der eher Care-Pakete als Vernunft annähme, zwei Lebensformen zur Hochblüte gedeihen lassen. Zum einen kann er nichts wegschmeißen – er, der Messi in „Messias“ entdeckt, hebt von der Werbedrucksache den Umschlag auf und hortet Gummiringe, bis von der drittobersten Schicht abwärts die Schublade mit Kautschukstaub gefüllt ist. Gleichfalls popelt er von der Schwarte die letzten Fettmoleküle und lagert im Geräteschuppen die Blumenkohlstrünke, damit der Russe ihn nicht nochmals aushungern kann, wenn die Sache mit dem Gasmonopol schief gehen sollte.

Zweitens ist er zutiefst davon überzeugt, dass er oben Knorpel, Tod und Restfett einwerfen und dann unten hochfeinen Gaumenkitzel hervorholen könne. Vorbei die Zeiten, in denen Brennnesselsud und Brathering aus Hefeextrakt, Bröckelgötzen und Beefsteak aus Brotrinde für einen stabilen BMI sorgten. Dennoch verzichtet die Knalltüte nicht auf das verbriefte Recht, Dreck fressen zu dürfen.

Und die Knalltüte bekommt ihn. Willfährig ist die Fertigfraßindustrie und schnell bei der Sache, wenn’s gilt, den Beschränkten eine Mixtur aus Brackwasser, Pflanzenfett, Milcheiweiß und Bleichmitteln als Käse anzudrehen. Ahnungslos schluckt der Trottel und hat seine Lebenserwartung wieder einmal höchst elegant minimiert. Auch mit dem Schinken, vor dem Krieg noch am Stück und aus quiekfreudigen Rüsselschnäuzlern geschnippelt, hat es so seine Bewandtnis. Schnittfester Wabbel aus Kartoffelstärke – Hallihallo, hier ist sie wieder, die Notstandsknolle – mit punktuell eingelagertem Gammelfleisch spiegelt Bissfreudigkeit vor, als hätte der Schöpfer selbst den Fake am Arsch der Sau wachsen lassen. Da ist Holland ganz abgesehen von den roten Wasserbomben, die nur an der Kistenaufschrift als Tomate zu identifizieren sind, mal richtig in Not, das haben sie alle nicht gewollt. Schon plärren die denkresistent Degenerierten nach Verbraucherschutz und machen es dann dem Motor ihrer Blechkiste nach: auf geht’s zur zünftigen Magenschmierung mit Vollsynthetik.

Zum Beispiel beim Fertigdressing, das den welken Blattsalat ersaufen lässt. Fröhlich schweben schrillbunte Kräuter im Schmierfettglibber herum und kümmern sich einen Scheißdreck um die Schwerkraft; das Zeug sieht aus, als hätte Timothy Leary Wackelpudding gekocht. Dass man derart surreale Effekte wohl nur unter Einsatz von Madenepithel und flambierten Krötengonaden hinschwiemelt, verdrängt der Dummkopf in der Kassenschlange. Andererseits gönnt er sich gerne ein teures Surrogatsüppchen, wenn nur die feiste Fratze eines von Sternen vollgehagelten Kochs auf der Dose pappt. Alles jenseits von Stalingrader Kesselgulasch scheint ihm sowieso als brodelnder Vaterlandsverrat, und so labt er sich verschämt an hochgezüchteten Pilzsüppchen, da ja die Autorität für Echtes und Wahres spricht. Pustekuchen – in der Aluretorte lauert der Beschiss in Gestalt von Edelfischfond aus totgeköcheltem Altmilchvieh, butterfreie Buttersauce oder Gewürzkombinationen aus chemisch reinem Geschmacksverstärker, unter dessen Sperrfeuer die Hochpreispampe zwar immer noch wie aus der Ökotonne schmeckt, das aber wenigstens mit Papillen zerschmirgelnder Wucht. Maggi pur auf altbackenem Graubrot wäre der ehrlichere Weg zum Selbstbetrug gewesen und im Zweifel schmerzfreier, da von adäquaterem Preis-Leistungs-Verhältnis.

Und so zieht er weiter seine Kreise durch die Speiseblasenkammer, knabbert Schokoladenkekse, auf denen kein Schild mehr Reste von Schokolade angeben muss, und lutscht auf Pressgarnelen aus Rotaugenmuskelfasereiweiß herum. Gourmets unter den Bescheuerten gehen inzwischen dazu über, Tütenpasta und Dosenpesto nur noch dann im Ensemble zu kredenzen, wenn beide mit Sägemehl aus der identischen Buchenschonung gestreckt worden sind. Vermutlich jubeln sie dem Behämmerten demnächst Kaninchenkotze mit Fliegenpilzmatsch als Sauerbraten in abgefeimter Karnevalsverkleidung als Sushi-Pizza unter. Unser Mitleid hielte sich in Grenzen. Selbst Schuld.