Falsch verbunden

3 08 2010

„Bleiben Sie bitte dran, wir müssen Ihr Gespräch noch einen kleinen Augenblick – ja, es geht gleich weiter, ja doch! Lieber Herr, Sie hören doch, ich kann es doch auch nicht ändern, Sie müssen sich noch einen Augenblick gedulden, und dann – hallo? Sind Sie noch in der Leitung? Aufgelegt. So geht das nun den ganzen Tag, es wird einfach nicht besser. Schlimm, sage ich Ihnen! Und da hatte sich das Justizministerium das so schön ausgemalt.

Das sind dann diese 0900er-Rufnummern, da quäkt Sie eine Stimme von der Konserve voll, dass Sie wer weiß was gewonnen haben, wenn Sie nur wieder anrufen – ich finde das ja auch dreist, aber Sie würden da doch auch nicht anrufen, oder? Na sehen Sie. Das ist wie… Also passen Sie auf, Sie bekommen eine E-Mail von jemandem, den Sie gar nicht kennen, mit einem merkwürdigen Anhang, und den müssen Sie öffnen und – zu neumodisch, war ja klar, mit solchen Sachen kennt man sich als Bundesjustizministerin nicht aus, da hat man jemanden, der jemanden kennt, der mal einem Staatssekretär über den Weg gelaufen ist, und der war mal in diesem Internet. Dann so: Sie wissen nicht genau, was das für ein Preisausschreiben ist, Sie haben nämlich gar keins mitgemacht, und dann steht in dem Brief, Sie müssten ganz schnell mit dem Zug nach Hintertupfingen fahren, um sich eine Luxuslimousine abzuholen. Da würden Sie doch auch nicht misstrauisch werden, oder? Sehen Sie, genau das denkt Frau Leutheusser-Schnarrenberger über Sie. Dass Sie unter der Nummer auch keinen Anschluss mehr haben.

Moment, ich muss mal eben – bleiben Sie bitte in der Leitung, meine Dame, der kostenpflichtige Service der Wasserwerke Bad Hückingen wird Ihnen sofort… ja, das kostet Sie, taram-tam-tatam, äääh… hallo? Sie haben doch jetzt nicht… Schon wieder aufgelegt! Es ist aber auch schwierig. Die Fernsprechteilnehmer sind so verunsichert, seitdem das Ministerium sagt: nicht mehr mit Unbekannten telefonieren. Da hat doch neulich die Caritas bei der Schröder angerufen – Sozialabbauministerium, Sie kennen die vielleicht – die war so überrascht, den ganzen Tag auch viel geweint. Ja, das ist schlimm.

Aber ich frage Sie, wenn Sie da jemanden ausfindig machen können, und diese Trickbetrüger, die sitzen ja meist im Ausland. Wenn Sie da einen an den Kanthaken kriegen, was wollen Sie dem denn nachweisen? Dass er ein überteuertes und nutzloses Angebot hat? Was meinen Sie, wie die jetzt alle herumtönen – einen Staatsanwalt mit Sonderbefugnissen will die Klöckner, wissen Sie, dieses Nachwuchshäschen, die die nächste Wahl für die CDU verlieren wird, aber sie muss schon mal zeigen, dass sie falsch verbunden ist. Und natürlich schnellstmögliche Bestandsaufnahme über die Häufigkeit der Verfahren, nicht wahr, das heißt: die Dame ist zwar als Bundesministerin gar nicht zuständig, aber dafür zeigt sie auch mal eben, dass sie nicht weiß, worum es geht. Hatten wir doch alles schon, erinnern Sie sich noch, das mit den Kindern, einfach unbelehrbar. Aber da können Sie reden und reden – Leitung tot.

Hallo? Das ist ein kostenpflichtiger Rückruf, wollen Sie das Gespräch wirklich annehmen? Dann werde ich Sie durchstellen. – Und wir müssen jetzt hier als Stoppschilder im Telefon arbeiten, das ist doch wirklich unsinnig. Ja, wirklich! Und dann die Höhn von den Grünen, wissen Sie? diese Claudia Roth für Antialkoholiker, die will natürlich auch sofort den Datenschutz aushebeln. Man soll jetzt ein polizeiliches Führungszeugnis vorlegen, wenn man eine Mehrwertnummer schaltet. Bei der Frau steht doch auch einer auf der Leitung. Muss ich demnächst auch einen Ariernachweis mitbringen, wenn ich einen Faxabruf anbiete? Sie haben den Verantwortlichen im Inland und können dagegen einschreiten, sobald eine Strafanzeige vorliegt? Das macht Ihnen jeder normale Staatsanwalt, es braucht keinen Sonderermittler für das bisschen Zeugs. Und wenn Sie nicht dagegen einschreiten können, weil der Anbieter nicht im Inland sitzt? Schicken Sie dann die Bundesnetzagentur mit einem Schrieb zur Grenze und lassen Sie sie mit 50.000 Euro Bußgeld drohen?

Das ist wirklich ein vollkommen überflüssiger Job hier. Wenn Sie etwas geregelt kriegen wollen, dann läuft das außerhalb dieser Stoppschildpolitik sowieso viel effektiver. Stellen Sie sich mal vor, wir hatten letzte Woche den Wallraff hier. Der kannte das ja, Callcenter und so. Was meinen Sie, der war völlig von den Socken, was wir hier für einen Unsinn machen. Ist doch auch so. Bringt nichts.

Aber jetzt ist auch ein neues Bundesgesetz da und der Telefonterror mit Werbeanrufen und Marketing wird nicht besser. Aber wenn die Frau Bundesjustizministerin die Diskussion über Vorschläge zur Nachbesserung nicht ausschließt, dann wird wohl alles gut. Sie wissen doch, warum Politiker so einen Stuss von sich geben, sobald man in Gefahr gerät, sich profilieren zu müssen: sie fürchtet die Taste mit der Wahl-Wiederholung.

Ja guten Tag, ich würde gerne kurz mit Ihnen über Ihren Telefonkontakt zu… nein, ich will Ihnen ja auch gar nichts verkaufen, ich bin von der Bundesregierung und… aua! Au, auweh – wenn man sagt, dass man von der Regierung ist, holen Sie immer gleich die Trillerpfeifen raus. Es ist doch zum Kotzen, mal ehrlich! Diese Bundesregierung installiert eine Vorratsdatenspeicherung und will von Ihnen am liebsten bei jedem Anruf die Schuhgröße wissen, falls Sie Terrorist sind, und dann kriegen die es nicht gebacken, ein paar billigen Trickbetrügern das Handwerk zu legen?“





Spur der Scheine

26 11 2009

Bradlee atmete auf. Endlich hatte er in Erfahrung gebracht, woher die Heckdiffusoren im neuen Konkurrenzmodell kamen. Der Verwendungszweck auf dem Zahlbeleg deutete darauf hin, dass auch andere Karosserieteile aus der Fertigungsstätte bei Magdeburg stammen mussten; völlig überstürzt begab sich ein Spezialkommando der US-amerikanischen Wirtschaftsförderung nach Sachsen-Anhalt. Ein Flüchtigkeitsfehler ließ sie die Seiten auf der Umgebungskarte verwechseln, so dass sie sich an den ungeraden Hausnummern orientierten. Bundesinnenminister Thomas de Maizière sprach von einem feigen, unmenschlichen Akt der Barbarei, der das gesamte, teilweise recht, teilweise rechts denkende Volk zutiefst empörte; ein Jugendzentrum mit Napalm zu beschießen grenze schon fast an Unhöflichkeit.

Drei Tage lang betonte Sabine Leutheusser-Schnarrenberger in Interviews, Talkshow-Auftritten und Hearings zur Vorratsdatenspeicherung, sie wolle ihr politisches Schicksal von der SWIFT-Gesetzgebung der Europäischen Union abhängig machen. Danach rückten Sportberichte und die Wettervorhersage wieder in den Mittelpunkt der Berichterstattung. Die Freidemokraten bemühten sich indes um Disziplin; während sie öffentlich dem Verhalten de Maizières attestierten, zu einer Störung des Koalitionsklimas beizutragen, schossen sie sich hinter den Kulissen darauf ein, Mieter- und Kündigungsschutz schnell und unbürokratisch zum Wohle des deutschen Volkes auszuhebeln.

Die Presse griff begierig den Fall des Hassan F. (22) auf. Der Student wurde von BILD beschuldigt, regelmäßige Geldzahlungen aus dem Ausland zu erhalten. Die verdachtsunabhängige Kontrolle seines Telefonanschlusses ergab, dass F. einen Telefonanschluss besaß – damit war alles möglich. BILD handelte umgehend.

Natürlich hob die FDP erneut hervor, dass sämtliche Bestrebungen, die Bürgerrechte in Deutschland zu verteidigen, auch und gerade unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten diskutiert werden müssten. Der Bundesaußenminister sah hier noch unerledigte Konten. Die Bundestagsfraktion sprach sich in einer nicht öffentlichen Sitzung für effektiven Rechtsschutz und klare Regeln zur Datenweitergabe an Drittstaaten aus; die Arbeiter und Angestellten müssten effektiver als je zuvor vor dem Recht geschützt werden, eine klare Regelung sei bereits erzielt: eine Datenweitergabe erfolge ab sofort ausschließlich an Drittstaaten.

Wie das Bundeskriminalamt ermittelte, erhielt F. seine Halbwaisenrente nach wie vor aus Österreich. Er schloss just das Grundstudium der evangelischen Theologie mit dem Graecum ab. Eine in seinem Wohnheimzimmer konfiszierte Grammatik des Hebräischen sowie die Seminararbeit über den Status constructus in den semitischen Sprachen führte dazu, dass die Boulevardzeitungen erneut das ungesunde Volksempfinden aufwiegelten. Es war Schlimmeres zu befürchten.

Das Gespräch zwischen Bradlee und Weissenburgh war geprägt vom Geist konstruktiver Zusammenarbeit. Die Wirtschaftsnation USA, so pragmatisch sie sich auch den Freunden im Nahen Osten schon gezeigt hatte, sah keinen anderen Ausweg, als die ganze Welt zu demokratischen Idealen zu befreien, notfalls mit Gewalt. Der hessische Landesverband der CDU stand unter Schock. Gleich ein Dutzend hochrangiger Politiker hatte man bei Fulda aus dem Gleisbett gekratzt. Die aus Wiesbaden, Pullach und Neugier herbeigeeilten Beamten analysierten die in englischer Sprache abgefassten Abschiedsbriefe und gaben bekannt, es müsse sich um islamistische Terroristen gehandelt haben, die bereits sehr lange als Schläfer gelebt haben dürften, da ihre Sprache gewisse Einflüsse des Amerikanischen zeigte. Das Briefpapier einer Hotelkette aus Colorado sei eine nicht geschickt genug inszenierte Täuschung gewesen.

Eine Resolution des EU-Parlaments stellte fest, dass die notwendigen Datenschutzgarantien im Zusammenhang mit der gemeinsamen Nutzung und Weitergabe von Daten zur Terrorismusbekämpfung nur noch auf dem Papier bestünden. Der Gesandte der USA beglückwünschte die Abgeordneten; er freute sich, dass die Volksvertreter so schnell ein Gespür für die Wirklichkeit entwickelt hätten.

Dessen ungeachtet titelte BILD bereits einen Tag später: Wovon zahlt so ein Mordgeselle eigentlich seine Luxusmiete? F.s Auto wurde in Brand gesetzt. Noch am selben Tag wurde er, trotz seines aus Kärnten stammenden Vaters deutscher Staatsangehöriger, als Risiko für die innere Sicherheit verhaftet. Der Brandanschlag hätte fast eine Litfaßsäule beschädigt.

Leutheusser-Schnarrenberger widersprach drei Tage lang heftig den Anschuldigungen, die Liberalen seien kurz nach der Bundestagswahl wieder umgefallen. In mehreren Interviews und Fernseherscheinungen pochte sie darauf, dass die FDP nie zuvor gerade gestanden habe.

Doch als am folgenden Tag ein Dutzend hochrangiger Bankvorstände erhängt in ihren Arbeitszimmern aufgefunden wurden, war sogar Washington nachhaltig verstört. Er habe das nicht in Auftrag gegeben, teilte Präsident Obama mit. Noch nicht.