Eigenverantwortlich

18 05 2022

„Natürlich ist das beschissen, aber wer hat das denn kommen sehen?“ „Alle?“ „Es war zumindest nicht auszuschließen.“ „Aber war das wirklich in der Form erwartbar?“ „Es gab Warnungen, dass alle, die uns wählen, Arschlöcher sind.“ „Leider wählen nicht alle Arschlöcher FDP.“

„Wir haben uns doch vor den Wahlen intensiv mit den wirklich wichtigen Dingen beschäftigt.“ „Also mit uns selbst?“ „Was gehört denn für Sie zu den wichtigen Dingen?“ „Der Champagnerpreis halt, es wird doch alles immer teurer.“ „Porsche fahren!“ „Was?“ „Porsche fahren!“ „Lassen Sie ihn, jeder hat etwas, das ihn antreibt.“ „Aber das muss ja nicht unbedingt…“ „Wir sind eine liberale Partei, bei uns kann jeder seinen Neigungen nachgehen, solange es nicht unser Vermögen schmälert.“ „Das ist dieser mitfühlende Liberalismus?“ „Ich denke, das hat er sich damit gedacht.“

„Hatten wir vielleicht ein schichtenspezifisches Problem?“ „Die Mittelschicht hat es uns nicht gedankt, dass wir uns so für sie eingesetzt haben.“ „Haben wir das?“ „Flugzeugbenzin zum Beispiel ist überhaupt nicht teurer geworden.“ „Ich glaube, Sie verwechseln da etwas.“ „Weil manche einfach kein Flugzeug haben wollen?“ „Wenn sie kein Flugzeug kaufen können, sollen sie doch Yacht fahren.“ „Das haben wir den Leute immer versprochen.“ „Als Chancengleichheit.“ „Wieso, stimmt doch auch.“ „Aber wir müssen immer noch Steuern zahlen, obwohl wir gar nicht arbeiten.“ „Sie können doch deswegen keine Revolution anzetteln.“ „Eben, wer weiß, wer da wieder mitmachen würde.“ „Dabei haben wir das mit der Chancengleichheit doch ernst gemeint.“ „Wir sind da wie die SPD: die wollen auch den Sozialismus, und tun dann alles, um ihn zu verhindern.“

„Als Partei der Eigenverantwortung haben wir den Menschen aber doch genau das gegeben, was sie wirklich wollten.“ „Sie haben es uns nur nicht gedankt.“ „Aber was wollten denn die Menschen?“ „Porsche fahren!“ „Naja, nicht alle.“ „Aber es ist immerhin möglich.“ „Wir als Partei können in der Politik ohnehin nur die Rahmenbedingungen dafür schaffen, dass jeder eigenverantwortlich handelt.“ „Das hieße dann aber auch, dass wir selbst nicht so haben handeln können, wie wir wollen, weil es auch andere gab, die eigenverantwortlich gehandelt haben.“ „Das muss man dann eben abstellen.“ „Zur Not durch Verbote.“ „Notwehr ist ja legal, wissen auch viele nicht.“ „Man muss das eben verstehen, sonst wird es auch irgendwann Anarchie.“ „Und dafür sind dann nicht mehr wir verantwortlich.“

„Letztlich hätten uns doch alle wählen müssen, denen das Handeln der anderen Parteien zu weit ging.“ „Das ist die falsche Perspektive.“ „Wenn ich mich als Standpunkt begreife, wozu brauche ich da noch eine Perspektive?“ „Wir haben beispielsweise den Auftrag gehabt, Schaden vom deutschen Volk abzuwenden.“ „Das muss man dann aber schon im Einzelfall betrachten.“ „Also was mich betrifft, ich habe immer Schaden von mir abgewendet.“ „Ich auch.“ „Bei mir nicht anders.“ „Dann ist es auch ein Stück weit Eigenverantwortung, wenn wir das dem Volk selbst überlassen.“ „Wir hätten vielleicht als Verbotspartei den Menschen klarmachen können, dass sie bestraft werden, wenn sie gegen ihre eigenen Interessen verstoßen.“ „Das trifft auf einen Großteil unserer Wähler ja auch zu.“

„Nur weil diese Grünen plötzlich Wähler wie erwachsene Menschen behandeln, muss man das doch nicht unbedingt nachmachen.“ „Das sind ja auch deren Wähler.“ „Die Frage ist, ob unsere das überhaupt wollen.“ „Was wollen denn unsere?“ „Porsche fahren!“ „Wir können ja auch nicht jedem einen Porsche vor die Tür stellen.“ „Unsere Wähler erkennt man eben daran, dass sie das nicht nötig haben.“ „Aber sie wollen das Ding nicht nur vor der Tür stehen haben, sie wollen damit auch fahren.“ „Genau, Porsche fahren!“ „Wir müssten das mit der Eigenverantwortung für andere noch mal genau unter die Lupe nehmen.“ „Vielleicht ist ja Regieren für uns auch gar nicht so gut für uns.“ „Man ist da auch immer sehr abgelenkt.“ „Also ich komme ja zu rein gar nichts mehr.“ „Man könnte so schön auf Sylt golfen.“ „Und Porsche fahren!“ „Ja, nun lassen Sie es mal gut sein.“ „Können wir nicht wie sonst die Verantwortung für unser politisches Handeln auf die anderen abwälzen?“ „Weil wir sonst keine Wahlen mehr gewinnen?“ „Müssen wir denn noch Wahlen gewinnen, wenn man dann zu gar nichts mehr kommt?“ „Wahlen politisch überleben wäre ja schon mal ein erster Schritt.“ „Man ist ja als Partner für gute Geschäfte oder für einen arbeitsarmen Job im Vorstand ganz schnell aus dem Gespräch.“ „Und dann wird man bald auch nicht mehr zum Golfen auf Sylt eingeladen.“ „Sehen Sie, wir tragen doch nun genug Eigenverantwortung.“

„Und das mit der Bildung?“ „Irgendwer muss den Müll sortieren, den wir hinterlassen.“ „Es kann nun mal nicht jeder reich werden.“ „Also wenn wir jetzt auch noch anfangen, uns für Naturgesetze zu rechtfertigen, dann hört’s aber auf!“ „Ich frage mich nur, was machen wir, wenn wir tatsächlich mit der Ampelkoalition auf die Nase fallen.“ „Dann gibt es Neuwahlen.“ „Furchtbar!“ „Wir können doch nicht ein neues Wohlstandsmodell entwickeln wie die Grünen!“ „Oder kommunizieren wie die!“ „Oder tatsächlich das machen, was im Koalitionsvertrag steht!“ „Was passiert, wenn diese Entwicklung sich fortsetzt?“ „Was sollen wir denn dann machen?“ „Genau, was können wir dann…“ „Nein, bitte – sagen Sie jetzt nichts…“





Brauchtumszonen

16 03 2022

„… Freiheiten gewähren müsse, da die Bürger schon durch viele unnötige Vorschriften belastet würden. Wissing werde mit sofortiger Wirkung das Anlegen der Sicherheitsgurte beim Führen von Kraftfahrzeugen zu einem freiwilligen…“

„… sofort zu erheblichen Protesten geführt habe. Allein in den Unfallkliniken in Nordrhein-Westfalen seien innerhalb der ersten Stunden die befürchteten Zahlen noch weitaus…“

„… allerdings nicht verstanden habe. Wissing widerspreche den Kritikern entschieden, wenn diese ihm vorwerfen würden, ohne Not ein wichtiges Element der Unfallverhütung im Straßenverkehr abgeschafft zu haben. Die Liberalen hätten nur die Bürger endlich von einem Zwang befreit, der aus der sozialistischen…“

„… sich auch wieder einpendeln werde. Zwar würden derzeit noch viele Fahrer von ihrem neuen Recht Gebrauch machen, wovon andererseits auch viele unbeteiligte Verkehrsteilnehmer betroffen seien, dies sei aber als Konsequenz der Freiheit eine ganz normale Folge der Eigenverantwortung und dürfe nicht mit einem…“

„… argumentiere das Verkehrsministerium, dass jedes Kraftfahrzeug generell in der Lage sei, sich mit Schrittgeschwindigkeit zu bewegen, wozu das Anlegen eines Rückhaltesystems nicht notwendig oder gesetzlich vorgeschrieben sei. Da aber auch beim Rückwärtsfahren auf einem Parkplatz oder in der Garage teilweise erhebliche Personenschäden durch derartige Fahrmanöver verursacht werden könnten, sei eine verpflichtende Verwendung des Gurtes nicht mehr im Rahmen des…“

„… Verkehrskontrollen im ganzen Bundesgebiet vorerst ausgesetzt werden müssten. Da das Fahren ohne Sicherheitsgurt noch als Ordnungswidrigkeit eingestuft werde, könnten sich die Statistiken in eine nicht vorhersehbare Richtung und einen…“

„… zu den zahlreichen Sonderregelungen noch keine Stellungnahme vorliege. In der Probezeit sei das Tragen des Gurts selbstverständlich Pflicht des Fahrers sowie aller Beifahrer ab der Vollendung des 12. Lebensjahres, was auch bei polizeilicher…“

„… auch immer mehr zu Diskussionen komme, da sich Organisationen wie der ADAC für die Beibehaltung der Gurtpflicht aussprächen. Wissing habe darauf hingewiesen, dass es sich bei den privatwirtschaftlichen Interessenverbänden um Lobbyisten handele, die nicht die Meinung der Bundesregierung oder ihrer politischen…“

„… als juristische Analogie ansehe. Kubicki sehe es als Grundrecht, das direkt aus Artikel 1 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland abgeleitet werden könne, und wolle das Fahren ohne Fahrerlaubnis und Anschnallgurt im Vollrausch auch in Karlsruhe für die…“

„… gegen die Gleichbehandlung der Autofahrer eklatant verstoße. Das von Springer-Journalisten vor dem Verwaltungsgericht Berlin angestrengte Verfahren sehe Fußgänger in unzulässiger Weise bevorzugt, da diese nicht durch Gurtsysteme oder anderweitige Sicherheitsmaßnahmen am…“

„… noch lange dauere, wegen der monatelangen Vorlaufzeit aber bereits jetzt genau geplant werden müsse. So werde die Union spätestens im Herbst einen Gesetzesentwurf vorlegen, der das Fahren ohne Anschnallgurt während beim Tragen von Karnevalskostümen in den Brauchtumszonen des nordrhein-westfälischen und hessischen…“

„… dass nur eine Gurtpflicht für alle Teilnehmer am motorisierten Straßenverkehr die notwendige Sicherheit gewährleiste. Vor diesem Hintergrund sei das Bundesverkehrsministerium jedoch nicht bereit, die einmal eingeführten Lockerungen wieder zu kassieren, da sie eine einseitige Beschneidung der bürgerlichen Freiheit bedeuten würden, für die man unbeteiligte Autofahrer nicht zur…“

„… in Niedersachsen und Berlin zahlreiche Kommunen gebe, in denen die Gurtpflicht nach wie vor gelte, so dass eine Überwachung des Verkehrs die anschnallunwilligen Fahrer empfindlich…“

„… nicht weit genug gehe. Der sächsischen CDU-Landesverband fordere ein umgehendes Verbot aller Anschnallgurte in deutschen Autos, um die Rechtssicherheit, die vor dem Erlass der Gesetze zur Zerstörung der Demokratie durch Gurte und gurtähnliche Gegenstände durch das Merkel-Regime geherrscht hatte, endlich wieder für alle deutschen Mitglieder der Volksgemeinschaft zu…“

„… nur aus Schikane geschehe. Wissing wisse zwar genau, dass die Durchsetzung in den einzelnen Landkreisen und kreisfreien Städten nicht vom Bundesrecht gebrochen werde, er sehe aber die von der Polizei durchgeführten Blitzerkontrollen als den durchaus böswilligen Versuch, sich durch die Höhe der Bußgelder mehrere Millionen Euro in die…“

„… auch das Krankenhauspersonal direkt von den Gurtpflichtregelungen betroffen sei. Die Zahl der Verkehrsunfälle mit schweren Personenschäden sei erheblich angestiegen und könne durch die aktuelle Überbelegung der deutschen Kliniken in wenigen Wochen zu einer ausweglosen…“

„… während eines Ausweichmanövers mit unangepasster Geschwindigkeit beschädigt habe. Lindners Wagen habe durch die seitliche Kollision jetzt nur noch Schrottwert. Der FDP-Vorsitzende sei durch den Fahrer, der zum Tatzeitpunkt nicht angeschnallt gewesen sei, zutiefst getroffen und habe bekräftigt, dass nur durch eine erhebliche Strafverschärfung die menschenverachtende Art, mit der die Werte unserer Gesellschaft durch vorsätzliches, eigenmächtiges Handeln in der…“





Cancel Culture

19 08 2020

„Es muss ein klares Feindbild geben!“ „Ganz meine Meinung.“ „Entschuldigen Sie, aber wozu?“ „Da fragen Sie noch?“ „Da fragt er noch!“ „Wie wollen Sie denn eine Wahl gewinnen ohne Feindbild?“ „Mit Inhalten.“ „Sagen Sie mal, sind Sie so doof oder tun Sie nur so?“

„Die bürgerliche Gesellschaft würde sich gerade anbieten.“ „Alles linksversifft!“ „Sozialismus!“ „Sie reden hier wie die AfD, fällt Ihnen das nicht selbst auf?“ „Doch, warum?“ „Es ist ja auch nicht alles schlecht.“ „Ganz meine Meinung.“ „Und wir grenzen uns schon ab.“ „Zumindest inhaltlich.“ „Für das Verhalten unserer Mitglieder können wir natürlich nicht immer etwas, aber auch das sollte man dann doch eher locker sehen.“ „Und deshalb brauchen Sie die bürgerliche Gesellschaft als Feindbild.“ „Sie hören auch nur, was Sie hören wollen.“ „Sie haben doch eben gerade selbst…“ „Weil das alles ein linksversiffter Mainstream ist.“ „Und warum wollen Sie dann die bürgerliche Gesellschaft angreifen, der Sie angeblich auch angehören?“ „Selbstkritik. Im Wahlkampf kann man das noch ganz gut verkaufen.“

„Aber warum dann nicht Inhalte?“ „Merken Sie überhaupt noch irgendwas?“ „Der merkt gar nichts mehr.“ „Ihrer Partei fehlt schlicht die Idee, und das führt dann zwangsläufig zu einer inhaltlichen…“ „Wenn Sie der Meinung sind, Sie seien der bessere Vorsitzende, warum kandidieren Sie dann nicht?“ „Würde der Vorsitzende denn zurücktreten, wenn er die Wahl verliert?“ „Jetzt werden Sie mal nicht komisch, Freundchen!“ „Das ist mal wieder so typisch für diese linken Spinner!“ „Keine Ahnung, worum es geht, aber erst mal persönlich werden!“ „Ganz meine Meinung.“ „Und welche Idee hat Ihr Vorsitzender?“ „Es kommt doch nicht auf den Vorsitzenden an, der kann doch auch nur auf die Krise reagieren.“ „Welche Krise meinen Sie denn, die Wirtschaftskrise, die Pandemie oder die…“ „Meine Güte, unsere Partei halt.“ „Ach so, Ihre Partei ist eine Krise. Das hatte ich nicht gewusst.“

„Wir brauchen halt mehr Freiheit und nicht diese ständigen Verbote.“ „Wo wird denn etwas verboten?“ „Überall, und jetzt tun Sie nicht so, als ob Sie das nicht genau wüssten.“ „Und wie wollen Sie das bewältigen?“ „Was?“ „Naja, die Krise. Sie sehen doch eine Krise, die Sie mit mehr Freiheit bewältigen wollen.“ „Das habe ich so nicht gesagt, das legen Sie mir wieder in den Mund!“ „Und wie genau würde mehr Freiheit sich auswirken?“ „Das habe ich so nicht gesagt!“ „Aber doch bestimmt der Vorsitzende.“ „Der weiß ja auch, was er sagt, und plappert nicht immer das nach, was der bürgerliche Mainstream sagt.“ „Deshalb hat er ja Sie.“ „Wie soll ich das denn jetzt verstehen?“ „Also zum Nachplappern natürlich.“ „Ganz meine…“ „Sie dreckige Linkszwecke werden mich nicht dazu bringen, mich auf Ihr Niveau begeben!“ „Das wäre auch etwas schwierig.“ „Sie nicht!“

„Und Ihre einzige Antwort ist es jetzt also, eine bürgerliche Gesellschaft wegen ihrer moralischen Überzeugungen zu hassen.“ „Wieso denn Moral?“ „Wovon hat der eigentlich Ahnung?“ „Ahnung hat er jedenfalls keine.“ „Wovon auch.“ „Ganz meine Meinung.“ „Weil Sie Meinung haben, aber auch keine Ahnung?“ „Was hat das denn mit Moral zu tun?“ „Da Sie offenbar die bürgerliche Gesellschaft für freiheitsfeindlich halten, wollen Sie ihr moralisches Grundgerüst zerstören, damit Sie den Begriff der Freiheit endlich umdrehen können in eine Freiheit für privilegierte Versager.“ „Wie reden Sie mit mir!?“ „So gut sollten Sie Ihren Vorsitzenden doch kennen.“ „Was erlauben Sie sich!“ „Ein Vorsitzender, der ein überflüssiges Unternehmen mit einer hirnrissigen Geschäftsidee in die Scheiße geritten und jede Menge Steuergelder verpulvert hat, erzählt etwas von Wirtschaftskompetenz?“ „Sie sind also einer dieser Linksnazis, die uns am liebsten verbieten würden, unserem Vorsitzenden zu folgen?“ „Aber selbstverständlich dürfen Sie Ihrem Führer folgen.“ „Das will ich aber auch gemeint haben!“

„Und jetzt erklären Sie mir doch noch bitte, was genau Sie unter Freiheit verstehen.“ „Naja, keine linksextremistische Verbotskultur.“ „Damit alle, die sich als rechts der Mitte verstehen, tun und lassen können, was sie wollen, ohne sich um etwaige Konsequenzen kümmern zu müssen?“ „Das ist doch nicht verkehrt?“ „Naja, wenn Sie das sagen?“ „In einer Krise hilft es nicht, wenn man ständig diese stalinistischen Hassgesänge hört, dass der Morgenthau-Plan mit Biorübenzucht die einzig legitime Wirtschaftsordnung ist, um das Land für immer zu zerstören.“ „Das wusste ich noch nicht, aber für ein Feindbild wird’s wohl reichen.“ „Also ich meine, wir brauchen weniger Regeln, weniger Kontrolle, mehr Chancen und…“ „Mit anderen Worten, Sie wollen die Steuerfahndung abschaffen, bevor der Rest Ihrer Bande sich in der Knastdusche nach der Seife bückt.“ „Jetzt würde ich fast sagen, er hat irgendwo auch recht.“ „Ganz…“ „Schnauze!“ „Das kann man so und so sehen.“ „Also unter den rechtsstaatlichen Voraussetzungen, und wir müssen das insbesondere verfassungsrechtlich…“ „Sie sind ein linkes Dreckschwein!“ „… aber auch unter dem Gesichtspunkt der Zumutbarkeit, die bei den Kritikern des völkischen…“ „Scheißnazis wie Sie gehören sowieso ins Arbeitslager!“ „Ah, jetzt habe ich die Lösung!“ „Welche Lösung?“ „Na, für Ihr Feindbild.“ „Ach so, ja.“ „Ist ja bald wieder Wahl.“ „Wiederwahl?“ „Halten Sie doch mal den…“ „Und? was empfehlen Sie?“ „Ja, was sollen wir denn abschaffen wollen.“ „Den Liberalismus. Das glaubt Ihnen jeder.“





Restschutzmittel

2 07 2014

„Oder doch irgendwie liberal und so?“ „Das macht mich jetzt aber echt betroffen, Du.“ „Leute, könntet Ihr vielleicht freundlicherweise mal kurz das Ziel vor Augen behalten?“ „Erneuern, oder?“ „Ja, aber die liberale Marke!“ „Ach so.“ „Hm.“ „Und ich dachte schon, die FDP.“ „Oder uns.“ „Oder so.“

„Es gibt keine Denkverbote, Ihr müsst einfach nur…“ „Was müssen wir?“ „Und wieso eigentlich: müssen?“ „Pff.“ „Sollen wir uns jetzt erneuern oder nicht?“ „Wir brauchen einen neuen Markennamen, das ist nach der letzten Bundestagswahl doch wohl klar ersichtlich.“ „So klar ist das gar nicht.“ „Was wir bräuchten, wäre ein neuer Markenkern.“ „Und eine neue Markendefinition.“ „Oder überhaupt mal die Frage, warum wir uns überhaupt als Marke aufstellen müssen, wenn wir noch nicht einmal einen einzigen Inhalt haben.“ „Soll ich Euch alle an die frische Luft setzen!?“ „Typisch.“ „Die übliche Tour, die Parteiführung besteht aus nach oben durchgereichten Versagern, und wir dürfen deren bekloppte Ideen zur Weltrettung umsetzen.“ „Habt Ihr schon Westerwelle gefragt?“ „Nee, der war ja schwer damit beschäftigt, ein paar Hundert Presseleute einzuladen und ihnen mitzuteilen, dass sie seine Angelegenheiten nichts angehen.“ „Der Markenkern der FDP, würde ich sagen.“

„Wie hieß noch mal dieser Profilneurotiker mit der Polyesterfrise?“ „Berlusconi?“ „Nee, Lindner.“ „Richtig. Der wollte vernünftige Wirtschaftspolitik in der deutschen…“ „Dann sollte er seinen Laden nicht umbenennen, sondern abwickeln.“ „Oder an die Grünen verkaufen.“ „Das macht mich aber total betroffen jetzt.“ „Nicht ernst nehmen. Vorsitzende kommen, Vorsitzende gehen. Solange sie Niebel noch nicht aus dem Bombenkrater gekratzt haben.“ „Bitte! Wir brauchen einen…“ „Den hätten wir schon vor Jahrzehnten gebraucht, aber dann kam leider der Falsche.“

„Irgendwas mit Politik.“ „Klingt nicht schlecht, ist aber zu sperrig.“ „Finde ich auch.“ „Moment, das war jetzt nicht als…“ „Wobei das mit der Politik ja eher Nebenkriegsschauplatz war.“ „Die sind auch eher für irgendwas mit Politikern zu gebrauchen.“ „Irgendwas mit Wirtschaft?“ „Jedenfalls nichts mit Menschen.“ „Wir sollten uns vielleicht auf die Kernkompetenzen der…“ „Irgendwas mit Propaganda.“ „Das tendiert ja sogar wieder in Richtung Markenbewusstsein, sehr gut!“ „Klasse!“ „Hauptsache, wir haben endlich dieses blöde D draußen.“ „Deutschland?“ „Wieso Deutschland?“ „Weil Deutschland in dieser Partei keine… nee, Moment mal.“ „Ist doch besser andersrum.“ „Dass die Partei nicht mehr in Deutschland ist?“

„Wie wär’s mit Konzertierte Lobbyisten Organisation?“ „Korrupt?“ „Geht auch.“ „Merkt man ja kaum.“ „Vor allem die Abkürzung ist gut.“ „Genau!“ „Da weiß man auf dem Wahlzettel wenigstens sofort, wo man seine Stimme rein schmeißt.“

„Leute, es geht nicht darum, dass Ihr das Rad neu erfindet.“ „Das wäre ja noch verhältnismäßig leicht.“ „Und ausnahmsweise mal eine sinnvolle Aufgabe für die Zukunft.“ „Wir müssen…“ „Wir?“ „Er meint uns.“ „Also einer schwingt die Reden und die anderen baden es aus.“ „Typisch.“ „Nein, ich meine nur, dass wir…“ „Die Partei braucht einen neuen Anstrich.“ „Bei dem Zustand auch nicht verwunderlich.“ „Eine Art Rostschutzmittel.“ „Hier wohl eher Restschutzmittel.“ „Wie ist das mit Mövenpick?“ „Wollen wir jetzt als Discounter-Ware auftreten?“ „Nein, aber dann hätten wir wenigstens mal eine Dachmarke mit renommiertem Namen.“ „Stimmt.“ „Hatten wir ja länger nicht.“

„Und wenn man das ganzen Personal…“ „Statt der Namensänderung?“ „Er meint bestimmt zusätzlich.“ „Dann wär’s ja überhaupt nicht mehr die FDP.“ „Also Mission erfüllt.“ „Warum sollen wir das eigentlich machen?“ „Wüsste ich auch gerne.“ „Na, wir wollen glaubwürdig bleiben.“ „Also ist eine Partei dann besonders glaubwürdig, wenn sie ihren Namen wegschmeißt?“ „Wohl eher dann, wenn sie ihre Herkunft verleugnet.“ „Diese Kritik an den Linken ist durchaus…“ „Wissen wir, macht es aber nicht besser.“ „Oder hat die Partei jetzt vor, den Linken alles nachzumachen?“ „Ja, aber viel erfolgreicher.“ „Na dann Prost.“

„So, keine Müdigkeit vorschützen! Liberal! Eine neue Marke in der Parteienlandschaft!“ „Und das sollen wir jetzt auf die Schneller erledigen?“ „Bis zur nächsten Bundestagswahl ist ja nicht mehr viel Zeit.“ „Bis zur nächsten Bundestagswahl ist auch nicht mehr viel Luft.“ „Nach oben schon.“ „Und wenn wir dann auch scheitern?“ „Dann sind wenigstens zwei Namen verbrannt.“ „Klingt auch nicht besser.“ „Ist es auch nicht.“ „Was darf das überhaupt kosten?“ „Frag lieber, was das wen kosten wird.“ „Den Vorstand sicherlich nichts.“ „Und was haben wir für Mittel?“ „Nicht viel.“ „Also irgendwas Junges.“ „Möglichst preiswert.“ „Und hip.“ „Oder so.“ „Ich glaube, ich hab da was.“ „Und das wäre?“ „Moment noch. – Hallo, Ikea? Ich hätte gerne den Mitarbeiter gesprochen, der die Klappstühle benennt.“





Kahlschlag

29 09 2011

„Wie soll’s denn werden, Herr Rösler? Wie immer? Flachdachschnitt? Das Primanermodell? Gerne. Mache ich Ihnen so zurecht, dass man denkt, Sie seien gar nicht beim Frisör gewesen. Ein Schnitt, so langweilig wie Ihr Gesicht.

Das Geheimnis ist es, das Beste aus seinem Typ zu machen, Herr Rösler. Und bei Ihnen ist das nicht ganz einfach – Sie sind kein Typ. Sie sind die personifizierte Ersatzflüssigkeit. Sie könnten sich ein Brikett in die Schädeldecke dübeln, es würde keinem auffallen. Deshalb macht es ja auch so viel Spaß, Ihnen die Haare zu schneiden. Es ist doch eigentlich egal, was dabei rauskommt.

Vorne etwas fransig? Was wollen Sie damit sagen, Denkverbote? Wer macht denn alle paar Wochen, wenn wieder mal eine Wahl für Ihren komischen Verein in die Hose gegangen ist, einen Riesenaufstand und verkündet, dass jetzt alles anders wird? Also alles wie immer, und dann haben Sie verstanden, und dann wird es sofort anders, weil alles bleibt, wie es war? Stufig schneiden oder gerade herunter? Ja, entscheiden müssen Sie sich schon, Herr Rösler. Peppiger? Dann sollten wir hier am Pony eine kleine… also jetzt doch klare Kante? und vorher noch mal die Mitglieder befragen, damit Sie wissen, was Ihre Meinung ist?

Na, das sieht ja hübsch aus hier. Haben Sie da in Ihrer Freizeit selbst mal herumgeschnippelt? Ach, und warum ist das hier schief? Sie meinen also, wenn das schief aussieht, dann sind die anderen schuld. Klar, das sieht man sofort ein. Und wenn Sie jetzt auch noch behaupten, die anderen seien alle viel zu dumm, um Sie zu wählen –

Die Tolle ist natürlich auch sehr hübsch. Hier vorne nicht so viel von der Pomade reinkleistern, Herr Rösler. Das ist für echte politische Hoffnungen und solche, die es noch werden wollen. Also lassen Sie besser die Finger davon. Hier könnten wir den Ansatz noch etwas kräftiger auftoupieren, das verleiht dem Schopf mehr Stand. Brauchen Sie nicht? Na, Sie müssen es ja wissen. Bitte, lasse ich das Spray halt weg. Dann kippt es halt, Sie sind es ja gewohnt.

Seien Sie vorsichtig mit den Seiten, Herr Rösler. Das wächst schnell, wenn Sie nicht aufpassen. Vor allem hier unten. Das gibt unangenehme Ränder. Der Möllemann, der hätte Ihnen da was erzählen können – der wurde da regelrecht braun. Und dann hat man da auch immer so viel Last mit dem Ungeziefer, was sich da ansiedelt. Also doch? Gut, dann würde ich Ihnen zu einer ordentlichen Lösung raten. Haider-Schnitt. Kurz, aber wirkungsvoll.

Achten Sie bitte auf das richtige Shampoo, Herr Rösler. Wenn das Zeug teuer ist, in einer hübschen Verpackung steckt oder penetrant riecht, muss es noch nicht gut sein. Trennen Sie sich davon. Sonst liegt bei Ihnen alles voller Flaschen. Schmierig ist es in Ihrem Laden schon genug. Und beim Styling bitte darauf achten, dass Sie auch genug von Ihrer eigenen Heißluft abkriegen, Herr Rösler. Wäre doch wirklich schade, wenn Sie versehentlich die halbe FDP umpusten.

Eine Windstoßfrisur könnte ich Ihnen machen. Wird auch gerne genommen. Durchgestufter Schnitt mit etwas längerer Frontpartie. Asymmetrisch, tendiert vor allem im sichtbaren Bereich nach rechts. Hält was aus. Zumal Sie in nächster Zeit vorwiegend Wind von vorne bekommen dürften, Herr Rösler. Und ich wäre an Ihrer Stelle nicht einmal sicher, dass es sich nur um Luft handelt. Da braucht’s dann etwas, das sich pflegeleicht wieder auswaschen lässt.

Sie werden hier schon etwas grau, Herr Rösler. Das ließe sich jetzt auf mehrere Arten behandeln. Sie könnten einfach dazu stehen, aber das würde von Ihnen Ehrlichkeit verlangen. Oder einfach weniger Realitätsverleugnung. Wir könnten das auch einfach kurz rasieren. Dann fällt es nicht so auf, aber wir müssen das Problem selbst nicht angehen – oberflächliche Symptombekämpfung, damit sollten Sie doch in zwei Ministerien und in Ihrer Partei genügend Erfahrung gesammelt haben, Herr Rösler. Alt? Ach wo, Sie sehen doch nicht alt aus. Eher altersgerecht. Sie haben Ihre Biografie vorgestellt, jetzt können Sie den Löffel abgeben.

Nein, hier nur Tönen. Nicht Färben. Mit Herumgetöne kennen Sie sich doch aus, Herr Rösler? Dann also Tönen. Passt auch viel besser zu Ihnen. Etwas schnell aufgetragener Effekt, an der Substanz ändert sich nichts, und wenn man’s nicht mehr braucht, wird es einfach abgewaschen. Sie haben ja noch die eine oder andere Landtagswahl vor sich, richtig?

Na klar, wir machen hier ein paar Westerwellen rein. Überhaupt nichts für Ihren Typ, wenn Sie mich fragen. Steht Ihnen nicht. Nicht besonders haltbar. Aber dieses leicht ins Vulgäre hinüberspielende populistische Styling – das müsste man integrieren können in Ihren Schnitt. Sie brauchen einen echten Hingucker. Strähnchen, Extensions bis an die Fünf-Prozent-Hürde und vielleicht einen neuen Basis-Schnitt, den Sie dann nach Lust und Laune verändern können. Mal liberal, mal demütig, mal rechtspopulistisch. Was Sie so an Facetten brauchen, Herr Rösler. Bürgerlich. Und seriös, wenn man nicht zu genau hinschaut. Ein Geert-Wilders-Gedächtnisfeudel. Ordentlich Festiger drauf, am besten Drei-Prozent-Taft, den können Sie auch für Ihre Koalition verwenden, und dann lassen Sie sich ordentlich abbürsten. So – wenn Sie da hinten mal schauen wollen? Sie haben da nämlich immer noch jemanden im Nacken sitzen, und das, Herr Rösler, ist nicht mein Problem.“





Einsatz unter vier Prozent

14 09 2011

„Meine Güte, wie sieht das denn hier aus! Kinder, jetzt nehmt doch mal den ganzen Müll da weg, das geht doch nicht, und was sollen eigentlich diese Fähnchen da, ist ja fürchterlich, und was liegt da bloß für ein braunes Zeugs herum? Ach so, Filz. Hätte ich mir ja denken können, hier bei der FDP.

Was soll das denn da sein? Sie haben hier einen Whirlpool in eine Etagenwohnung gestellt? Ach so, es ist das Arbeitszimmer. Und das sehen Sie jetzt als Problem. Ja, kann ich mir denken. Wenn ich zu einem großen politischen Verein käme und da wäre ein Whirlpool im Großraumbüro direkt gegenüber des Guido-Westerwelle-Altars, dann würde ich mich auch fragen, was das soll. Dafür hatte ich mir auch etwas ausgedacht – wir werden für ein gutes Teamwork einen runden Schreibtisch aufbauen mit einer modernen und total flexiblen – wollen Sie nicht? Was dann? Wir können doch hier unterhalb der Tischplatte auch die Kabel entlangführen, und die Sitzmöbel sind alle total ergonomisch und rückenschonend und aus skandinavischem Bast geklöppelt, und das passt dann farblich total toll zu den… Der Whirlpool ist Ihnen nicht mehr groß genug? Klar, kann ich verstehen.

Sicher, ich würde mich auch beschweren. Aber klar. Schauen Sie mal, das hier ist nicht Ihr Haus, Sie sind hier nur Mieter, ja? Das ist egal, ob Sie die wichtigsten Mieter in der ganzen Straße sind – Sie sind Mieter. Das hier gehört Ihnen nicht. Nein, auch nicht, wenn Sie die Fenster von innen zuhängen. Und damit wären wir beim nächsten Punkt. Die anderen Anwohner beschweren sich über den Lärm. Es gibt zwei Möglichkeiten. Die eine wäre, dass Sie sich vielleicht mal etwas am Riemen reißen, nicht ständig herumschreien, man muss ja auch nicht den ganzen Tag lang am Küchenfenster stehen und wie am Spieß schreien, und wenn Sie auch nicht jeden Tag dieses bräsige Stühlerücken auf dem Boden – gut, dann kleben wir eben alles mit Eierkartons aus.

Und das hier ist wohl nicht Ihr Ernst? Da ist wohl seit dem Einzug keiner mehr drin gewesen? Sie hatten das bereits mit Spinnweben gemietet? Und dass der Boden klebt, ist anscheinend auch normal? Rösler, haben Sie hier die Löcher in die Wände geschlagen? Nee, glaube ich Ihnen. Sie und auf den Putz hauen – lächerlich. Und was soll das hier darstellen, wenn ich fragen darf? Türschild? Ach so, an der Innenseite. Sozialraum? Darauf hätte ich aber auch kommen können.

Und an Wärmedämmung haben Sie gar kein Interesse? Ich meine nur, dass Sie hier alle nicht ganz dicht sind, merkt man ja nun deutlich, und bei der Heißluft, die hier produziert wird – nicht? Man könnte bares Geld sparen, wissen Sie, und bei der Gelegenheit gleich noch etwas Gutes tun. Auch für die Klimaschutzziele, Ihre Kanzlerin wäre sicher begeistert. Wirklich nicht? Und warum nicht? Dabei wäre für Sie doch alles noch bequemer als sonst. Gut, dann lassen wir’s. Aber mal im Ernst, warum wollen Sie nicht? Weil Sie nicht gerne jemandem etwas Gutes tun, wenn es sich für Sie nicht sofort auszahlt? Ach, richtig. Sie sind ja schon total isoliert.

Nein, ich habe nichts gegen Feng Shui. Absolut nicht. Muss ja schließlich jeder selbst wissen, an welchen Hokuspokus er glaubt. Und wenn Sie meinen, wir sollten das hier am Parteiprogramm ausrichten, bitte. Machen wir alles. Aber wollen Sie sich nicht lieber ein Schlafzimmer einrichten? Ein hübsches Wolkenkuckucksheim zum Relaxen? Wo die Märkte sich selbstständig regulieren und die Arbeitslosen für dreißig Cent pro Stunde Schnee schippen? So ein richtig toller Westerwellness-Raum mit allen Schikanen gegen den normalen Bundesbürger? Na? Hatte ich mir gedacht, dass Sie das gut finden. Ist durchaus möglich, wir müssen nur ein paar technische Vorkehrungen treffen: der Raum muss hermetisch abgeriegelt werden, da darf kein bisschen Außenwelt rein, sonst funktioniert es nicht.

Wollen Sie nicht mal ein bisschen umbauen? Schauen Sie mal, wir haben hier so hübsche Sachen aus dem Haider-Katalog. Gucken Sie sich bloß mal diese entzückende Sitzlandschaft an. Genau wie im Europäischen Parlament, da möchte man am liebsten gar nicht mehr aufstehen. Hier haben wir das auch modular, das ist mit beweglicher Lehne – da können Sie dann in jede Richtung kippen, ganz wie im richtigen Leben – und dann hier der Dauerkomfortsitz Silvana. Einmal reinsetzen, nie wieder aufstehen. Haben wir auch mit integriertem Klo, das ist das Modell Chatzimarkakis. Den kriegen Sie garantiert nie wieder vom Arsch.

Schrankwand mit Barfach, das wird Brüderle freuen, hier hätten wir Platz für den Müllschlucker, wenn sich Ihr Laden zwischendurch mal in seine Bestandteile zerlegen sollte, und das hier? Alles nach rechts? Gute Idee. Und hier hätten wir auch Platz für einen Sportbereich – alles gefliest, die Fußbodenheizung ist ideal für Wahlabende, wenn Sie alle kalte Füße kriegen, und schön glatt. Da können Sie wunderbar Kriechen üben. Oder trainieren Sie Ihren Aufschlag. Tennis? Ich dachte mehr so an Fallschirmspringen.

Gut, dann also einmal das Komplettprogramm: renovieren, bis alles wieder aussieht wie vorher. Wir frischen die Flecken auf der Tapete auf, frischer Holzwurm für die Möbel, die Wasserhähne kriegen eine Kalkschicht aus der Sprühdose, die Klingel wird abgeklemmt, und dann brechen wir den Schlüssel im Schloss ab. Von außen. Und Sie werden sehen, dann sind alle zufrieden. Nicht nur vier Prozent.“





Schmiere

12 05 2011

„Hier, kennen Sie? Kennen Sie die? Liberale? FDP? Kennen Sie? Müssen Sie sehen – müssen Sie! Müssen Sie! Das ist ja der Irrsinn. Der Irrsinn! Das müssen Sie gesehen haben! Also wenn Sie das nicht gesehen haben, dann kennen Sie aber gar nichts. Das ist ein Zirkus – sa-gen-haft!

Ach was, kommen Sie mir nicht mit dieser Bayernpartei oder mit den Anarchistischen Joghurt-Fliegern, oder wie die alle heißen. So richtig lustig ist doch nur die FDP. Die haben ja auch wirklich unterhaltsames Personal. Kennen Sie den Dicken? Nein, nicht den Säufer, diesen hessischen da. Der sagt doch glatt, die FDP hat alles richtig gemacht. Alles richtig! weil, wenn sie nicht alles richtig gemacht hätten, dann hätten sie auch nie 14 Prozent bekommen. Gut, war jetzt nicht so die Pointe. Aber dann meint er doch: wir haben eben nur nicht geliefert – Sie, das Publikum aber, die haben da gelacht, also wirklich sa-gen-haft!

Na, ich dachte mir anfangs, ist wohl auch etwas einseitig, immer bloß Clowns. Aber wenn man sich erstmal daran gewöhnt hat, ist es auch gar nicht so schlecht. Die von der Togo-Partei, oder wie die heißen, die sagen ja auch: Rückverdummung der Menschheit, nie mehr Arbeit, der Bürger ist ein Parasit und soll am Volkskörper – Sie, das kam mir aber alles bekannt vor. Wenn man sich diese Partei so ansieht, die haben alle noch nie gearbeitet, und die da mit ihrer Doktorarbeit, die erst recht nicht, und die anderen Schmarotzer, also mir kam das alles sehr bekannt vor. Und Rückverdummung? Gucken Sie sich die Wähler an, das hat gewirkt!

Also rein, erstmal ins Programm geschaut von dieser FDP, erster Punkt: Rösler. Sie, der ist ja so – hat mir sehr gut gefallen, der Mann, wahnsinnig lustige Nummer. Sagen alle erst über den, der ist Arzt, der soll Gesundheitsminister machen, das kann er am besten – will er nicht. Gut, macht er doch. Dann soll er Parteichef werden, Westerwelle raus, Rösler rein, Rösler hier, Rösler da – will er auch nicht. Sagen sie wieder alle über den, der kann das nicht, der hat ja keine Ahnung, der soll das lassen. Gut, da war die Pointe schon im Eimer, aber er macht’s doch. Sie, hier fängt das dann schon an, sich etwas in die Länge zu ziehen. Also was die Dramaturgie anbetrifft, man muss da doch noch mal ein bisschen – jetzt soll er Wirtschaftsminister werden. Muss ich weiter erzählen?

Dann kamen die Jüngelchen, Bahr und Lindner, und haben irgendwas aufgeführt. Das war jetzt auch nicht so besonders – eigentlich war das überhaupt nicht witzig. Einer hat immer nur über den anderen gesagt, der versteht das nicht, der weiß gar nicht, was Liberalismus ist, und dann haben sie beide abwechselnd auf mitfühlend und liberal gemacht. Ja, das kennt man von diesen fundamentalistischen Splitterparteien, Bibeltreue Biertrinker oder Trotzkistischer Landjunkerbund, die müssen auch immer allen erzählen, dass sie allein das Schnittbrot erfunden haben. Aber dann musste der Lindner noch etwas aufsagen, von Hume, und die in der FDP können doch so schlecht Englisch, und da wurde es auch peinlich, und dann habe ich mir eine Tasse Kaffee geholt und bin ins Foyer gegangen. So eine Schmiere, ich frage Sie, diese Schmiere hätten Sie sich doch auch nicht länger angesehen?

Aber dann kam er endlich. Sie, in echt ist der ja noch schlimmer als im Fernsehen! Dabei war die Nummer noch gar nicht mal schlecht, wissen Sie, der spielte einen Politiker, der einen Politiker spielt, der Außenminister sein will. Die ersten zehn Minuten war’s ja nur Gehampel, er hat nur zwischendurch mal ‚Ich, ich!‘ gesagt, aber dann haben sie ihn einfach von der Bühne getragen, und dann kam einer nach vorne, und dann haben sie gesagt: er war sehr gut, er war unverzichtbar, er hat uns die größten Erfolge ermöglicht, weil wir auch voll hinter ihm gestanden haben, und wir stehen auch alle immer noch voll hinter ihm, und er ist auch völlig unverzichtbar und wir wollen ihn auch weiterhin, und deshalb muss er so schnell wie möglich in der Versenkung verschwinden, und er war ein Blödmann, und wir haben das ja auch immer schon gewusst, wir durften es nur nie sagen, und deshalb muss man ihn jetzt auf jeden Fall stärken in der Rolle des Außenministers, da er für eine so einfache Aufgabe wie das Parteipräsidium einfach zu dumm ist, und darum ist er auch völlig unverzichtbar – Sie, da war mir aber schwindlig!

Dann kam noch heiteres Zahlenraten – es kam irgendwie immer etwas unter fünf raus, ich weiß auch nicht, was das sollte, aber sie fanden es wohl selbst auch nicht so amüsant – und dann eine ganz merkwürdige Nummer, so eine Mischung aus Zaubertrick und Akrobatik. Viel Showeffekte. Alles voller Lärm und Glitzer, sie wollten alles neu machen, völlige Verwandlung, viel Getöse, und dann kam Rösler als Conférencier und verkündete, dass jetzt viel mehr Frauen in der FDP-Spitze sein sollen – es kamen dann aber gar keine, nur die Homburger wurde reingerollt, und dann haben sie die in einen Schrank gestellt, die Tür zugeklappt, Trommelwirbel, dann einmal umgedreht – ja, dann war die immer noch im Schrank. Der Trick? Ja, das muss er wohl gewesen sein. Den haben sie dann mit dem Brüderle noch mal wiederholt, dann ist Rösler auch in den Schrank gestiegen – aber dann waren schon fast alle weg.

Also so lustig war’s jetzt direkt nicht. Aber Sie sollten sich das doch mal ansehen, wissen Sie, jetzt sollte man sich das ansehen. Noch gibt es die, und wer weiß, wie lange noch?“





Kabbelgruppe

7 04 2011

„Jetzt leg das sofort wieder hin! Christian, wenn Du das nicht sofort wieder – Christian! Diese Blagen rauben mir noch den letzten Nerv, es ist nicht zu fassen! Christian, das sollst Du nicht anfassen, ich habe es Dir schon – Christian! Leg das sofort wieder in die Kiste mit den Wirtschaftssachen! Dafür bist Du noch viel zu klein, davon verstehst Du sowieso nichts.

Es ist nicht leicht, jetzt, wo die Firma so kurz vor der Pleite steht. Da können Sie einen vernünftigen Betriebskindergarten gar nicht mehr aufziehen. Nein, das bezahlt einem keiner mehr. Die notleidenden Besserverdienenden, die stehen ja alle kurz vor dem Hungertod. Die können ihrem Nachwuchs noch ein Auto kaufen oder einen Platz auf dem Eliteinternat, aber für Bildung ist nichts mehr vorgesehen.

Jetzt lass das doch mal, Philipp! Meine Güte, der Bursche ist aber auch unerträglich. Er hat ja dies Talent, das muss man ihm lassen. Der Bub kann lügen, das glauben Sie nicht! Also das glauben Sie dann doch, verstehen Sie, das ist es ja gerade. Der steht hier den ganzen Tag am Fenster und zuckt Löcher in die Luft, der will nicht mit den anderen spielen, und dann kommt er plötzlich an und erzählt Ihnen Märchen – sagenhaft! Christian, jetzt lass doch mal! Der Junge ist aber auch hyperaktiv. Die Eltern, schätze ich. Eindeutig die Eltern. Er will immer alles haben, was er sieht, und dann kann er damit nicht umgehen, und dann macht er es kaputt. Wissen Sie eigentlich, was uns das kostet?

Aber der Philipp. Der denkt sich Sachen aus, das halten Sie nicht für möglich. Neulich höre ich da Gepolter und dann klirrt etwas, dann kommt er die Treppe runter, da zupft er mich an der Schürze und sagt, Tante, sagt er, da haben die bösen Grünen die Scheibe eingeschmissen. So im Brustton der Überzeugung, verstehen Sie? Genau wie ein kleiner Erwachsener. Und dabei war es bloß das Fenster zum Hof, die Suppenkelle kam aus der Küche und die Scherben lagen alle draußen. Kommt die Frau Direktorin, nichts zu machen. Er bleibt dabei. Der Arzt sagt, das ist nur eine blühende Fantasie. Aber ich habe da so meine Zweifel.

Christian! Jetzt hör doch mal auf, die Birgit an den haaren zu ziehen! Ja, ich weiß ja selbst, dass die doof ist. Aber das ist doch kein Grund. Das Kind hat es auch nicht leicht, die kann sich nichts merken. Schlimm. Aber wir als Betriebskita können uns das eben leider nicht aussuchen. Und stellen Sie sich mal vor, wir hätten lauter solche – Christian! Leg das sofort wieder weg! Du sollst doch nicht immer alles aus dem Müll rausholen!

Wobei die Silvana noch schlimmer ist. So ein hübsches Kind, und so strunzdumm. Ehrlich, da mache ich mir manchmal direkt Sorgen, was die später mal werden soll. Hausfrau und Mutter? Wäre eine Alternative, aber dann möchte ich ja nicht ihr Kind sein. Scheußliche Vorstellung, das.

Der Philipp wieder! Jetzt hat er schon wieder seine Phase, wo er anderen Kindern alles erklärt. Sie, der hat neulich von jedem hier einen Euro haben wollen. Der hat die so lange beschwatzt, bis sie alle von zu Hause einen Euro mitgebracht haben, und dann hat er das Geld eingesammelt und sich davon Naschkram gekauft. Wissen Sie, was er den Kindern erzählt hat? Er würde nur selbst die ganzen Süßigkeiten essen, damit die anderen keine schlechten Zähne bekämen – ich frage Sie, woher hat denn der Bub das bloß? Können Sie sich das vorstellen? Ich bin da überfragt. Das müssen die Eltern – Christian! Du hörst jetzt sofort auf mit dem Unsinn, sonst musst Du später mal Außenminister werden und alle Leute finden Dich blöde! Jetzt lass doch den Daniel in Ruhe, der will nicht mit Dir spielen. Menschenskinder, nie vertragen die sich. Die reinste Kabbelgruppe!

Von außen sieht das vielleicht ganz hübsch aus, da haben Sie Recht. Alte Villa in angenehmer Lauflage, gepflegter Vorgarten, das ist für die Öffentlichkeit sicher sehr vorteilhaft. Aber sonst? Gucken Sie sich nicht zu genau um hier. In jeder Ecke liegt Dreck.

Meine Güte, Christian! Jetzt lass das endlich, es hört Dir doch sowieso keiner mehr zu! Was dieser Junge einem an den Nerven zerrt, Sie möchten sich die Haare ausraufen! Dieses altkluge Geschwätz, ich möchte bloß mal wissen, woher er das bloß hat? Vor einer Woche fing das an, da erzählt er allen: Spinat ist pfui, Spinat ist bäh, wer Spinat isst, der wird grün im Gesicht – Sie konnten ihn gar nicht mehr beruhigen. Am dritten Tag, da drehte er schier durch! Spinat hier und Spinat da, dabei gibt’s hier weit und breit keinen Spinat. Auf was für Ideen er kommt, das ist nicht zu fassen. Und dann gestern, wie ausgewechselt – er kommt hier an bei mir und sagt, er sei bei Tante Angela gewesen, die habe ihm gesagt, Spinat sei so gesund und so lecker, er will jetzt jeden Tag Spinat haben. Und dann meint er noch, wenn er nicht jeden Tag Spinat kriegt, dann sorgt er dafür, dass wir alle rausgeworfen werden und dass der Kindergarten schließt und dass – Christian! Jetzt leg das doch mal weg! Der Junge ist nicht ganz richtig im Kopf, wenn Sie mich fragen. Jetzt hat er der Birgit schon wieder ihren Teddy weggenommen, und jetzt versucht er, dem Ding die Augen auszureißen. Christian, lass das gefälligst nach! Der macht mich noch ganz rammdösig, der Junge. Gestern hat er eine Puppe mit der Schere aufgeschlitzt, und dann hat er so getan, als ob ihm das alles Leid täte – wissen Sie, was er gesagt hat? Mitfühlende Grausamkeit. Ernsthaft, wo lernen die Kinder das? Das ist doch alles nicht mehr normal?“





Die Nacht der langen Messer

5 01 2011

„Selbstverständlich ist niemand direkt schuld an dem Zustand.“ „Das hätte auch keiner erwartet. Die FDP ist ja nie an irgendwas schuld.“ „Nur werden solche flapsigen Parolen diesmal nicht helfen. Die Partei ist am Ende. Guido Westerwelle ist nur einen Schritt vom Abgrund entfernt.“ „Richtig. Und das Präsidium steht geschlossen hinter ihm.“

„Was soll denn die Partei jetzt noch machen?“ „Aufgeben?“ „Das ist keine Option. Sie erwarten doch wohl nicht im Ernst, dass sich der Laden jetzt auflöst.“ „Von sofortigem Vollzug war ja nicht die Rede. Es ist alles eine Frage des Termins.“ „Das grenzt an Selbstzerstörung, was die jetzt betreiben. Das macht doch kein normaler Mensch.“ „Trösten Sie sich, seit Möllemann ist das gute Tradition in der FDP.“ „Es wird sich alles ändern müssen, man kann doch so nicht weitermachen.“ „Was schlagen Sie vor, die Nummer mit den Bürgerrechten? oder die große Bildungstour?“ „Das wäre doch schon mal ein Ansatz.“ „Ach Gott… für Bildung fehlt in diesem Juristenhaufen jemand, der wüsste, worum es sich handelt und wie man das schreibt. Und Bürgerrechte – ein kleiner Haufen Blindgänger biedert sich auf einmal beim Wähler an, dem er nicht einmal das Wasser reichen kann? Wie putzig!“ „Was sollen sie denn sonst machen?“ „Nichts.“ „Gar nichts.“ „In Schönheit sterben scheint aber auch nicht gerade die Lösung zu sein.“ „Es wird nur nicht anders gehen. Sie haben den Ausstieg verpasst. Sie waren Hasardeure, Zocker, die alten Waghälse, die immer noch warten mussten, dass die Aktien steigen. Jetzt sind sie nicht nur gefallen, sie haben den Boden durchschlagen, und sie hatten nichts Besseres zu tun, als sich einen neuen Mythos aus den Rippen zu schnitzen: dass ihr Wert irgendwann wieder steigen könnte.“

„Sie werden also Westerwelle absetzen.“ „Sie gestatten, dass ich lache?“ „Was ist daran lachhaft, wenn man mal von Westerwelle absieht?“ „Ein Hochflieger, der sich auf dem Tiefpunkt seiner Karriere aus dem Staub macht.“ „Es weiß jeder, dass er dem Ansehen der Partei schweren Schaden zugefügt hat.“ „Es weiß momentan nur jeder, dass sich Rösler, Niebel und Karnevalströte Homburger beim Speichellecken gegenseitig in die Hacken treten.“ „Das müssen die doch. Wenn man Sie vor die Wahl stellt, ob Sie ihren Job loswerden oder vor dem Chef in die Knie gehen wollen, wie würden Sie sich entscheiden?“ „Das klingt ja einigermaßen logisch – wo doch um Niebel herum eine Horde von Deppen im Präsidium hockt, die in anderen Parteien höchstens Hausmeister geworden wäre.“

„Aber mit billiger Kampfrhetorik wird die FDP auch nicht gerettet. Den Schneid kauft einem keiner mehr ab.“ „Deshalb wird es die Nacht der langen Messer geben.“ „Die Nacht der langen Messer? Sie meinen, es wird…“ „Möglicherweise. Für billige Dramen waren sie immer schon zu haben.“ „Wie wollen sie das jetzt machen? Sie haben sich doch schon alle loyal gezeigt und solidarisch und unbestechlich.“ „So viel Unbestechlichkeit kostet halt ein bisschen.“ „Sie meinen die Zukunft der Partei?“ „Natürlich. Wäre die FDP mit ihrem Steuersenkungsgefasel auch nur einmal erfolgreich, sie hätte nie wieder ein Thema für den Wahlkampf. Das muss man auf lange Sicht bedenken. Und eine Null-Themen-Partei ist selbst für diese seekranken Leichtmatrosen nicht steuerbar.“

„Also muss Westerwelle doch weg.“ „Das hat auch keiner bestritten.“ „Meinten Sie nicht, man könne ihn nicht absetzen?“ „Was hat das damit zu tun?“ „Es wäre doch Verrat.“ „Auch Verrat ist eine Frage des Termins. Man kann steht ja schon geschlossen hinter ihm.“ „Und das ist schon die Lösung?“ „Sie haben beschlossen, dass Westerwelle an den Ergebnissen der Landtagswahlen schuld ist.“ „Das ist doch Unsinn, wie soll das funktionieren?“ „Er wird eine großartige Rede halten, das Einfach-niedrig-und-gerecht-Gewölle auskotzen, bis der Dreikönigreichssaal sich zuckend windet, und dann wird er sein Fußvolk nachplappern lassen, dass nur die grandiosen Erfolge der Liberalen noch nicht laut genug im Volke widerhallen.“ „Es wird sich nichts ändern.“ „Richtig. Ein todsicherer Tipp, wenn man auf einen Totalzusammenbruch spekuliert.“ „Aber damit haben sie ein Argument in der Hand, ihn in die Wüste zu schicken.“ „Eben. Die Vorlage ist fertig, jetzt muss man nur noch warten, das eigene Gesicht zu wahren.“ „Warum das eigene Gesicht, warum nicht das von Westerwelle?“ „Wann hätte der je selbst Rücksicht genommen auf jemanden?“

„Gut, wir haben ein Opfer, wir haben einen Grund.“ „Nennen wir’s lieber einen Anlass, Gründe waren immer schon da.“ „Wer wird der Täter? Kubicki?“ „Ein alternder Gockel, der nur die Klappe aufreißt, weil er weiß, dass er nie wieder in eine verantwortungsvolle Position kommt.“ „Solms?“ „Jahrelang gedemütigt, weil er im Gegensatz zu Westerwelle etwas von Wirtschaft und Finanzen versteht und es den Schreihals auch wissen ließ. Jetzt ist er zu alt.“ „Homburger?“ „Die wird beim Dreikönigsschießen als erstes von der Stange geholt.“ „Brüderle?“ „Der wird höchstens Übergangs-Chef. Den Untergang besorgt Lindner.“ „Ein kleiner, farbloser Kläffer, der sich immer hinter seinem Chef versteckt hat? Dieser Versager, der außer zwei Firmenpleiten und etwas Haarausfall noch nichts geleistet hat, soll den Hampelmann der Eliten spielen?“ „Er ist die ideale Besetzung für einen Nachfolger: ein skrupelloser Feigling, der im letzten Augenblick kalte Füße kriegt, wenn man ihm den Dolch in die Hand drückt und ihn nach vorne schiebt.“ „Der soll gegen den Vorsitzenden rebellieren, wenn Westerwelle die FDP bei drei Prozent zementiert? Dieses Würstchen wird doch nicht einmal mit den Grünen fertig.“ „Eben. Sie werden sich einen halbgebildeten Schreihals leisten, das gehört in der FDP zum guten Ton, aber sie werden ihm von Anfang an klar machen, dass er nur zur Aufbauarbeit angestellt ist, nicht als Profilierungsneurotiker. Sie sind vorsichtig genug.“ „Und sie werden hinterher verbreiten, er sei ein ehrenwerter Mann gewesen, habe die Partei ja zu den größten Erfolgen geführt, er sei einer der ganz großen Staatsmänner gewesen, ein Vizekanzler, der sogar einmal ganz allein eine Kabinettssitzung hat leiten dürfen – wie passt das? Was werden sie daraus machen?“ „Was sie immer machen in Deutschland, wenn die Wahrheit zu unangenehm ist: eine Dolchstoßlegende.“





Unter dem Teppich

27 10 2010

„Ich kapiere das nicht. Erklären Sie es mir.“ „Die FDP? Was gibt’s da noch groß zu erklären?“ „Wie kann die Partei nur derart unter die Räder kommen? Das ist doch nicht mehr normal.“ „Allerdings nicht. Aber was ist denn da schon normal?“ „Diese Leute müssten doch Selbsterhaltungstrieb haben – oder wenigstens Angst davor, für immer im Orkus zu landen. Die müssen doch panische Angst haben, dass sie die Bodenhaftung verlieren!“ „Merken Sie sich das: Politiker fürchten keinen Realitätsverlust, sie haben nur Angst, dass man ihn bemerkt.“

„Dass Westerwelle überhaupt da auftritt – jeder andere hätte Angst,dass sie ihm den Teppich unter den Füßen wegziehen.“ „Ich sage Ihnen doch: der Mann ist komplett realitätsresistent. Sie werden den niemals beeindrucken können. Seine Ideologie ist zurechtgezimmert, Fakten bringen ihn nur aus dem Konzept.“ „Wahlumfragen?“ „Makulatur, er glaubt, jederzeit wieder 18 Prozent zu holen.“ „Und die Wahlergebnisse?“ „Sind sozialistische Propaganda aus dem Paralleluniversum. In NRW hat er ja auch nicht die sozialliberale Koalition versägt, Pinkwart wurde bloß daran gehindert, den Stimmenzuwachs für die FDP auch in die Regierung einzubringen.“ „Sie sind ja vollkommen durchgeknallt! Das nimmt Ihnen doch keiner ab, wenn Sie es der Parteibasis erzählen. Die Leute tragen ihren Vorsitzenden doch schon lange nicht mehr mit.“ „Müssen die das? Er braucht den Teppich nicht, solange er sich einbildet, er könne übers Wasser gehen.“

„Man hat inzwischen das Gefühl, dieser innere Zirkel, der um Westerwelle agiert, sei wichtiger als die ganze FDP.“ „Das ist richtig. Und es wird auch deutlich, wenn Sie sich die Verhältnisse ansehen.“ „Weil da oben nur Idioten hocken?“ „Das mag ja durchaus sein, aber…“ „Natürlich ist das so! Schauen Sie sich doch diese Mischpoke an – das da vertritt die bürgerlichen Interessen? Eine Herde von Dünnbrettbohrern, bar von Moral, prinzipienfrei, lauter Opportunisten, das Mäntelchen flattert frei im jeweils aktuellen Wind. Und der Nachwuchs steht bei Fuß, Jungspunde, die nichts geleistet haben und ihre Väter mit altklugem Gequase nerven.“ „Das ist nicht verkehrt. Aber ich meine etwas anderes. Sie merken es nicht.“ „Natürlich merken die es nicht. Die merken doch sowieso nichts mehr! Eine geschlossene Abteilung ist ein Kindergarten gegen diesen Deppenverein!“ „Ich meinte etwas anderes: sie sehen den fliegenden Teppich nur von oben.“ „Und das macht einen Unterschied?“ „Schauen Sie sich einen Teppich von unten an, dann werden Sie den schon bemerken. Von unten sehen Sie, ob es mit Sachverstand geknüpft wurde oder nur schnell hingehauene Ware ist.“ „Und die merken es nicht?“ „Es sind, so ist es, Opportunisten. Sie hocken an den Fleischtöpfen und werden einen Teufel tun, um etwas daran zu ändern.“ „Aber sehen Sie sich die Basis an – die sehen doch, wie inkompetent die Spitze ist. Sie nennen Westerwelle einen liberalen Grüßaugust.“ „Ist er denn mehr?“

„Jetzt frage ich Sie: wenn Westerwelle schon gar nichts anderes kann als Außenpolitik, warum beschränkt er sich nicht darauf?“ „Weil er das am wenigsten kann. Dieser Mann ist die größte Niete, die je für Deutschland durch die Welt gestolpert ist.“ „Weil er in Indien als Kritiker des deutschen Sozialstaats auftrumpfen musste?“ „Weil er allen Ernstes seinen Gastgebern erklärt hat, er, Guido Westerwelle, würde, sollte er in Indien arbeiten müssen, sofort anfangen, Englisch zu lernen.“ „Das ist verräterisch – wenn er angibt, es noch lernen zu müssen, ist er mit seinen Aufgaben überfordert.“ „Das ist es nicht einmal. Englisch – die Sprache der verhassten Besatzer. Das ist, als wollten Sie nach Dresden fahren, und verkündeten, Sie lernten schon einmal Russisch.“ „Das ist – wie kriegt man das raus? Ohrfeigen?“ „Sinnlos. Der hat Prallschutz.“

„Aber er sagt doch: ‚Raus aus der Defensive, rein in die Offensive!‘ Was heißt das?“ „Nichts. Es ist die Verbindung von Arroganz und Ignoranz, die ihn prägt.“ „Weil sogar sein Generalsekretär die Phase der kritischen Selbstbetrachtung für beendet erklärt?“ „Die da oben machen es wie ihr Chef. Sie glauben mittlerweile selbst, was sie sagen.“ „Und die Parteibasis?“ „Lassen Sie es mich so sagen: Westerwelle sollte Angst haben.“ „Vor der Basis?“ „Er hat sich mit der FDP einen Feind gezüchtet, der weder Skrupel noch Mitleid kennt. Er hat diese Leute verraten.“ „Indem er den Liberalismus vor ihren Augen zerstört hat?“ „Das nur am Rande; die meisten von denen waren auch nur Ehrgeizlinge, die für ein bisschen Geld so gut wie alles über Bord geschmissen hätten, was an Haltung noch blieb. Sie haben nicht geglaubt, dass Westerwelle das getan hätte.“ „Was getan hätte?“ „Was er jetzt tut. Den Abfall von jeglicher Gesittung. Die enthemmte und entfesselte Gier.“ „Jeder hat es doch vorher schon gewusst: er ist korrupt bis auf die Knochen. Er will nur nach oben, um nach unten treten zu können. Er ist eine Zumutung – er nimmt nichts zur Kenntnis, er trötet herum und lobt die Erfolge der Koalition. Er ist stolz auf das, was er in den letzten zwölf Monaten erreicht hat – ich frage Sie, worauf soll man da stolz sein? Dass die FDP noch nicht von der Bildfläche verschwunden ist?“ „Sehen Sie, das ist es. Er hat alles vorher angekündigt, Lobbyismus und Sozialabbau, die Umverteilung nach oben, jeder wusste das. Er hat nur den Fehler gemacht, dabei nicht umzufallen.“ „Aber sie haben doch fast nichts erreicht?“ „Natürlich haben sie das erreicht, sie haben es doch an die Wand gemalt. Die Leute hätten fast gemeint, es sei nur ein Bild und nicht der Teufel.“ „Sie meinen, Westerwelle wird von ihnen gehasst, weil er nicht programmgemäß wieder einmal umgekippt ist?“ „Jetzt begreifen Sie es. Er hätte einknicken müssen, zusammenschnurren wie ein Gummitigerentchen ohne Luft. Dann hätte man ein bisschen auf die Opposition geschimpft und die großen, epochalen Steuersenkungen…“ „Einfach, niedrig und gerecht, was?“ „… die hätte man dann in der nächsten Legislatur gemacht. Oder in der übernächsten. Oder danach. Aber so? Er hat alles das so gemacht, wie er es angekündigt hatte. Nur noch skrupelloser. Um zu zeigen, dass er der große Führer ist.“ „Wobei sich dann herausstellte, dass er es nicht kann.“ „Richtig. Sie haben gesehen, wie Westerwelle die Freiheitsstatue gegeben hat. Eine hohle Pappfigur, aus der ein bisschen Schlagermüll tönt, bevor das Ding im Nieselregen versuppt. Sie haben geprotzt und geprahlt, aber nicht geliefert. Und jetzt stellt sich dieser Vizebold hin, schluckt vor ihren Augen den Schlüssel, mit dem er sich im Elfenbeinturm verrammelt hat, und schwafelt von den Erfolgen der Partei.“

„Sie meinen also, Westerwelle ist in Gefahr?“ „Durchaus. Wenn er nicht freiwillig abtritt und im März ins nächste Loch fällt, dann sollten Sie auf die erbosten Sparkassendirektoren achten, die keine Freunde mehr haben, weil sie nicht rechtzeitig aus der Partei abgehauen sind. Manche von denen sind exzellente Schützen.“ „Und was macht die FDP, wenn sich die Sache nur mit einem Königsmord erledigen lässt?“ „Was sie immer tut, wenn es unappetitlich wird. Sie kehrt die Reste unter den Teppich.“