R.M.R. (Remix)

17 11 2019

Voller Apfel, Birne und Banane,
tanzt die Orange. Wer kann sie vergessen,
wider ihr Süßsein. Ihr habt sie besessen.
Tod und Leben in den Mund… Ich ahne…

Blumenmuskel, der der Anemone,
wenn sie den Morgen erproben, allein,
später, fällt nur ein Widerschein
bis in ihren Schoß, das Polyphone.

Seit Jahrhunderten ruft uns dein Duft,
plötzlich liegt er wie Ruhm in der Luft.
Tänzerin: o du Verlegung,

der unerschöpflich Eines, Reines, spricht, –
du, vor des Wassers fließendem Gesicht,
und der Wirbel am Schluss, dieser Baum aus Bewegung.





Gernulf Olzheimer kommentiert (CDLIV): Das Skandalbuch

8 03 2019
Gernulf Olzheimer

Gernulf Olzheimer

Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.

Es war ja nichts in Stein gemeißelt, denn das musste für länger halten. Das Papier war unsagbar teuer, weil es noch niemand erfunden hatte. Die wichtigen Dinge merkte man sich, was irgendwie heilig war, wurde in weiches Wachs geritzt oder in Ton gestichelt, und ganz ab und zu ließen sich durchgeknallte Herrscher mit ihren Heldentaten – zehn Völker ausgerottet, Hunderten von Frauen die Hasenscharte beim Nachwuchs angedreht, das halbe Land versklavt und die Bevölkerung beim Bau sinnloser Prachtbauten systematisch zu Tode geschunden – in Metallguss bringen. Den Klatsch aller Generationen aber hat keiner auch nur auf Palmblätter gekritzelt, auf Pappe gestempelt, in Runen gekerbt. Erst mit der Erfindung des Buchs als Verbrauchsmedium für die soziale Couture schälte sich aus der holzigen Rinde heraus, was man zu tragen hatte, in Dünndruck oder unter dem Arm; was es nicht ins Feuilleton schaffte, in den pseudoelitären Schwafelbla, über den man reden musste, weil es alle taten, wurde kurz zerkaut und wieder ausgespieen, aber nicht bis in die Kultur durchgereicht, schon gar nicht in die Bizarrerie der Literatur. Je mehr das Totholz zum Leitbesitz der Hochglanzgrobiane wurde, war das Skandalbuch ein Distinktion stiftendes Must-have.

Der zweifelhafte Ruf des Machwerks für das hirnentkernte Unterschichtengeklump beruht auf der in die müde Luft posaunten Schockwirkung, die ungefähr so nachhaltig schockiert wie ein Sandkorn am Badestrand. Uh, Marsmenschen essen keine Marmelade! Ah, Hitler hat echt geatmet! Jene stammelnde Hängefresse muss nur Deutsche, tötet alle Ausländer, weil alle Ausländer nur leben, um Deutsche zu töten! auf den Bierschiss in Halbleinen kleben, und mit einem IQ unterhalb von Fußpilz kauft das jede Fehlinkarnation. Der aus grobem Schmodder geschwiemelte Plan, mit etwas Sex, Empörung oder Ekel – die Übergänge sind fließend, meistens hebt sich das geistige Niveau sowieso nicht vom Boden ab – die niedersten Instinkte der offenporigen Kriechschicht am Rande der Gesellschaft zu tangieren, er verfängt meist nur da, wo mit intellektueller Auseinandersetzung eh nichts zu holen ist, das größer als null wäre. Etwas Theaterblut und Tütenkotze, Readymades aus dem Effektendiscounter, schon pufft die Provokation in sich zusammen wie ein fiependes Gummischwein mit Bisslöchern. Für Hunde mag das reichen.

Die Entstehung ist ja selten ein Geheimnis, da sich keiner der Brüllanten je literarischer Leistung verdächtig gezeigt hat, zuvor und hernach. An der Zastertanke herrscht Vollflaute, Taxifahren ist auch keine Alternative, und das Sein lässt sich vom Sendungsbewusstsein nicht groß beeindrucken, also greift der Klötenkönig tief in den Eimer mit dem verbalen Bauschaum, aus dem sich jedes Gedöns schnitzen lässt, Hohlraum sei Dank. Wer, wenn nicht die in kalkuliertem Tabugebrösel geschulten Deppen sollte diese Verquastheit aus Igitt und streng nach Vertrag geliefertem, lektoriertem und in betriebswirtschaftlicher Hyperkorrektur geplantem Stillstand der Dinge noch eine zäh angehobene Wimper schenken, wenn nicht die reizhysterischen Rumpelköppe, die jeden Tinneff aus der Lieferung für Heckenpenner hochjagen zum Ereignis, wenn auch nur für negative Euphorie? Schreibt nicht das gemeine Müllbeutelimitat in Strumpfhosen einen Erlebnisbericht nach dem anderen aus der komplett verquarkten Biografie, mit verkorksten Ehen und finanziellem Desaster, lustigen Szenen aus der Knastdusche und ähnlich dünn angerührtem Dreck, um sich bei den publizistischen Wurmfortsätzen der national führenden Primatenpostillen tief in die Ausgangsschleimhaut zu fräsen? Der Schmerz ist geduldig, kommt es doch nur darauf an, ihn möglichst schnell zu versilbern.

Das Skandalbuch ist eigentlich keins. Es wird nur von hysterischen Behämmerten aus panischer Angst vor der grauen Vorstellung, jeder könnte den Schmodder aus Vernunft ignorieren, zum Geschrei gemacht, bar jeder sozialen Indikation, die von außen auf den Papierstapel einwirkte. Eine krude Werbeindustrie verjuxt unbarmherzig Lebenszeit von Idioten, die sich zur Lektüre herablassen, kurz feststellen, dass ihnen beim Durchblättern bereits das Gesicht eingeschlafen ist, und dann doch nicht zugeben können, dass sie sich mit des Kaisers neuen Kleidern die Schuhe abgeputzt haben. Uh, Marsmenschen! Hitler, ah! Wie viel besser wäre die Welt, und wir würden diesen zusammengekehrten Hirnschorf einfach ignorieren, wie wir dieses größenwahnsinnige Pack ausgeblendet haben, als es uns noch nicht mit derartigem Geschreibsel auf die Plomben ging. Das Fallobst, das die Zeitungen füllt, reicht für soliden Ekel schon aus, man muss nicht auch noch so tun, als kümmerte einen die rüde Ruhmsucht dusseliger Blähboys. Weg mit dem Mist. Der Container reizt zur deutschesten aller Heldentaten, und ist der Müll einmal getrennt, ließe sich aus dem Brei allerlei machen. Auch auf Rollen. Es wäre dem Elaborat endlich, endlich gerecht.





Schwierigkeiten der Gedichtinterpretation

25 03 2018

Das lyrische ist nicht dasselbe Ich,
das ich in meinen kargen Räumen fand.
Als Dichter sieht man sicher allerhand,
was ich mit meinen Zuständen verglich.

Und wie mein so beschränktes Ich entwich,
hat es in der Beschränkung gleich erkannt:
was mich mit jenem Lyriker verband,
war brüchig und verzieht sich sicherlich.

So sitzen täglich Leute auf den Bänken,
um sich und ihren Dichtern nichts zu schenken,
um Dinge zu erfinden, die im Licht

von pädagogischen Versuchen hocken.
Soll man dem Dichter seinen Sinn entlocken:
wenn er das wollte, warum schrieb er’s nicht!?





Gernulf Olzheimer kommentiert (CCCLXXX): Das Mittelalter als Folie und Wunschvorstellung

21 07 2017
Gernulf Olzheimer

Gernulf Olzheimer

Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.

Ein Zeitalter wird besichtigt: Sightseeing in einer dunklen Epoche ohne Wasserspülung. Herr Hallmackenreuther kann gerade nicht kommen, er hat die Pest. Das aufreizende Fehlen bunt bemalter Knalltüten mit elektrischer Gitarre wird allerwärts als Kollateralschaden für das touristische Potenzial bemängelt. Kunibert der Ersetzbare bringt noch eben schnell seine Brüder um und erobert dann die Grafschaft Ziegenhain von seinem Schwager Botho von Sponberg, wobei letzterer unglücklich mit der Axt in der Birne von der Zugbrücke segelt. Gattin Irmintrudis sorgt für sein Spontanableben nach der Rückkehr, übernimmt die Burg, schenkt dem zukünftigen Ex-Bischof Alduin von Hinten sein neuntes bis dreizehntes Kind und wird dann zur Lokalheiligen. Das sollte normalerweise für eine Vorabendserie reichen, grausame Bilder, nackte Haut, Grillfleisch galore, Ströme von Schnaps und Blut, und irgendwo hinter der Säule saß sicher Karl der Große. Wie es halt im Mittelalter so war.

Die schlechte Nachricht zuerst: es gab keinen Schnaps, denn die Destillation wurde erst später auf eine vernünftige technologische Ebene gehoben. Das Volk stillte seinen Durst an Minderprozentigem und lutschte zermatschte Rüben aus dem Kessel, weil die Kartoffel erst ein halbes Jahrtausend später kommen sollte. Diese konservative Vorstellung von der guten alten Zeit, sie zeigt einen Abschnitt, der weder alt noch gut war.

Denn wie historische Romane – heute sind es die epischen TV-Narkotika – den Massen meist nur ein Bild der Entstehungszeit vermitteln, gespiegelt in den Ansichten des Autors, so ist ein Zeitalter der Haudegen nicht besonders repräsentativ für die Lebensentwürfe in einer Ständegesellschaft, die den meisten Menschen null soziale Mobilität, Freiheit oder Individualität bot, dafür aber genug bizarre Moralvorstellungen, Hilflosigkeit gegenüber der Fremdbestimmung, genug körperlichen Verfall sowie einen frühen Tod. Knechtschaft, religiöse Wahnvorstellungen und Dreck kommen in der metgeschwängerten Fieberfantasie nicht vor. Dafür aber waren alle in ihren Rückführungstherapien Päpste und keiner Bauer, Schmied, Knochenhauer. Der Pöbel vor den Flachbildschirmen weiß ja nichts von der Wirklichkeit, die hinter der Inszenierung lauert. Er war doch auch noch nie im Weltraum und guckt trotzdem die Filme mit dem Alienklops.

Am beliebtesten ist bis heute der Herbst des Mittelalters, jene Epoche, die mit dem Verfall der Kaiseridee und dem Niedergang der Gesellschaft die überschaubare Welt in ein unüberschaubares Chaos kippte. Beim modernen Ignoranten, der in einer geordneten Welt mit Zahnersatz und Rechtsschutzversicherung vor sich hin vegetiert, kommen nur die Heldentaten imaginärer Ritter an, die in Wirklichkeit schmarotzende Berufskriminelle mit locker sitzenden Hieb- und Stichwaffen waren, materiell eingestellte Söldner, mit denen sich jeder beliebige Bürger- und Nachbarschaftskrieg vom Zaun brechen ließ, als könne man mit Zeitarbeit seine Mordbuben aufstocken. Kriegerische Gewalt plus dürftige Quellenlage, dies ist nicht mehr als das Paradies der Romantiker, auch solcher, die im national verschwiemelten Delir hollywoodesken Monumentaltalmi aus dem Hirn häkeln. Feucht-völkisch wanzt sich eine brägenbewölkte Schicht an den historischen Befund, schreckt aber schon beim Menschenbild jäh zurück. Aus gutem Grund trug man seinerzeit nur Vornamen, damit der Exitus eines Sippenkaspers nicht die ganze Ordnung in Unordnung brachte. Natürlich gab es ein Leben vor dem Tod, es interessierte aber keinen.

Wer dem Minnegeträller folgt, kommt alsbald in der grausamen Realität an, wo Kinderehe samt Vergewaltigung Schutzbefohlener – für die Retter des christlichen Abendlandes bekanntlich nur im Nahen Osten als Exportschlager entwickelt – an der Tagesordnung waren, ebenso die regelmäßige Zerstörung abhängiger Landleute, wo man doch durch Zehnten und illegale Strafsteuern den Wirt viel besser am Leben hätte halten können. Die Leute klotzten sich Dome in den Vorgärten, aber keine Untertaneninitiativen demonstrierten wegen der anhaltenden Geräuschbelästigung durch Krane und Geläut. Aber die Welt war einfacher ohne diese ständig geforderte Individualität. Es gab keinen Staat, und wenn, war er bloß eine nette Idee ohne Konsequenzen. Jeden Moment konnte in der von Geister- und Dämonenglaube grundierten Welt doch ein Monster aus finsteren Gassen eines verwinkelt in den Wald wuchernden Metropölchens knurren und alle Albträume Wirklichkeit werden lassen. Wir wissen es heute besser, und es tut uns nicht mehr gut. Die tollkühnen Reiter in ihren scheppernden Blechbüchsen erledigten sich endgültig mit dem Feudalsystem, das bis heute seine Anwesenheit in den Raum stellt. Die Postmoderne hat da nicht viel zu bieten. Bis auf den Schnaps.





Literatur und Sozialpädagogik. Ein Vorschlag

7 09 2014

Man muss statt Prügeln nicht gleich Rosen schwingen,
statt Karzer keinen Schulausflug versprechen.
Die Mehrzahl der jugendlichen Verbrechen
entstehen fern doch von den Geistesdingen.

Man lese beispielsweise Stifters Schriften
zehn Stunden täglich, darin unerbittlich.
Vor allem wirkt derlei Lektüre sittlich
und ist geeignet, Hirne zu entgiften.

Man lese, wie ein reines Nichts geschildert
und wortreich biedermeierlich betrachtet.
So fühlt der Leser sich zwar sanft umnachtet,
doch keinesfalls am Ende auch verwildert.

Zehn Stunden Stifter. Brav sind alle Schafe,
wie sie sich durchs Romanwerk beißend quälen,
um dann den dumpfen Muff nachzuerzählen.
Das ist dabei die allergrößte Strafe.





Mindestens haltbar

16 06 2013

Wozu schreibt man ein Zeitgedicht?
Es wird ja schnell verbraucht.
Meist merkt man sich den Dichter nicht
und das Gedicht verraucht.

Es ist sein Schicksal: jeder Witz
wird ganz allmählich alt.
Ist er erst Allgemeinbesitz,
lässt er die Leute kalt.

Doch steht er im Zusammenhang,
so trifft er. Sein Geschick,
der passende Zusammenklang,
ist für den Augenblick.





Warnung an den angehenden Dichter

10 03 2013

für Robert Gernhardt

Mein Kind, schreib keine Oden!
Wie schnell liegt man am Boden,
und dann hat einen keiner lieb,
weil man bisher nur Oden schrieb.

Auch meide die Sonette!
Noch auf dem Totenbette
bedauerst Du, was Du verfasst –
lass es, weil Du es später hasst!

Und bitte, keine Stanzen!
Das ist etwas für Wanzen,
die kriechen auf dem Dichtermarkt,
bis sie der Tod zusammenharkt.

Mein Kind, werd bloß nicht Dichter!
Das ist fürwahr Gelichter,
das sich das Leben selbst vermiest,
weil jeder schreibt und keiner liest.





Das musste jetzt aber mal gesagt werden

8 04 2012

Dies ist ein Poem in Prosa.
Hier herrscht Ordnung, Zucht und Sitte.
Gänse weiß und Ferkel rosa,
alles ist hier Maß und Mitte.

Warum wird bislang geschwiegen?
Reime rüttelt der Teutone,
bis sich Hirn und Balken biegen.
Meistens mit. Und selten ohne.

Selbstbetrug ist keine Finte.
Steht der Dichter auf der Kippe,
kleckert er mit letzter Tinte
und riskiert die flinke Lippe.

Wer verschweigt, der hat verschwiegen,
singt sich selbst sein Abschiedsständchen,
sieht sich zu beim Überfliegen:
Windhuhn im Novemberländchen.

Hundejahre später sieht man,
dass, wer unablässig bellt,
besser – die Erkenntnis zieht man –
seine Schnauze hält.





Idyll

20 11 2011

für Franz Josef Degenhardt

Schau, da steht schon unter Pflaumenbäumen
Tisch und Stuhl, und leis die Sonne scheint.
Hier ist alles milde. Vögel träumen.
Alles spricht und schweigt. Und keiner weint.

Mancher Trinkspruch geht, wenn sie erzählen,
Rudi Schulte, Klaus Springorum und
alle, die man einst betrog beim Wählen,
lächeln, und sie halten ihren Mund.

Manchmal mag der eine Tabak schnupfen,
wie er so an ihrem Tische sitzt,
und ein andrer die Gitarre zupfen,
schiebt die Ärmel auf dazu und schwitzt.

Heiterkeit teilt Wein und Schnaps und Braten
mit den Zöllnern, und zum Abendmahl
sogar mit sozialen Demokraten.
Hier ist alles eins. Wir sind egal.

Teilt das Tischtuch auch mit den Geschwistern,
hat an deren Anblick sich gewöhnt,
wenn die Gläser klingen, Pfeifen knistern,
hat mit dem Senator sich versöhnt.

Neigt die Sonne schließlich sich im Westen,
singen Rudi, Väterchen und Che
noch ein letztes Lied. So klingt’s am besten,
summt noch leise: Hemba – hemba hé!





Aus der Literaturproduktion

25 09 2011

für Robert Gernhardt

Soll man noch Gedichte schreiben?
Reime, Blatt für Blatt?
Sind’s Sonette, sind’s Terzinen,
das macht keinen satt.

Oder lieber gleich ein Drama?
List und Lug und Trug?
Selten man vernahm, dass solches
je zu Buche schlug.

Auch Romane, Kurzgeschichten,
Märchen und Novellen
lagern bleiern in Regalen,
keiner will’s bestellen.

Sei’s ein Drehbuch, ein Libretto,
das macht’s nur noch schlimmer.
Also schreibe ich ein Kochbuch.
Das verkauft sich immer.