Herzblut. Zwölf halbwegs lyrische Variationen

1 03 2009

Thema

Ich öffne nachts den Kühlschrank, um mir ein Bier zu holen, wobei ich mir die Tür an den Zeh haue.

I. Andreas Gryphius: Des Seeligkeits-Durstigen Tränen-Fluß

Wie eises-kalt der Schranck / und heiß doch Höllen-Schmertzen
Wie finster wird die Nacht / wenn sich die Pforte schleußt
Und Eis / so bald gefror / sich nicht mehr niedergeußt
Und wär doch Linderung / dem Fuß / und auch dem Hertzen.

II. Friedrich von Schiller: Distichon

Achte, Mensch, zur Nachtzeit Deines tückischen Weges.
Reißt Du rasch an der Tür, stößt Du Dir schmerzvoll den Zeh.

III. Friedrich Hölderlin: Schwermut der Erden

Genien! dürstende Herzen! Ihr wandelt,
  Frei und voll Hoffnung zu ewiger Klarheit,
    Daß eins nicht Nacht sei, das sich verschlöße,
      Blindlings sich stieße und peinvoller gehet.

IV. Eduard Mörike: Auf einen Kühlschrank

Warum nur, spricht der Schrank,
Warum bist Du gestoßen
Mit Deinem Fuß, dem bloßen,
An mich? Wo ist Dein Dank?

Kühlt ich nicht immerdar,
Zur Nachtzeit und an Tagen?
’s ist wahr, ach ja, ’s ist wahr.
Drum hör jetzt auf zu fragen.

V. Heinrich Heine: Deutschland. Ein Nachtmährchen

Die Deutschen, sie haben erfunden nichts
Bis auf die gezipfelten Mützen;
Und tragen sie Mützen, was brauchen sie Lichts,
Es würde ja ihnen nichts nützen.

Viel lieber im Dunkeln, zum Mitternachtsmahl,
So sieht man die Geister gehen.
Von Geist sprach man nicht, und es sind ideal
Die preußisch blauen Zehen.

VI. August Stramm: Nachtwache

Tür gähnt jäh
Dürstend Flüche
Schleichen
Schläge prallen
Prellend
Fuß verzeht
Kreischen
Aua!

VII. Rainer Maria Rilke: Sonette an Bacchus

Und wie sich die Verhüllung
in Innenraum und Gänze
als Tanz von Licht und Grenze
der sehnenden Erfüllung
eröffnet, meint mein Bleiben
im Fuß-Sein, dass die Leuchte
das Tränende: das Feuchte
im Auge will beschreiben.

VIII. Stefan George: Der Kelch des Bundes

Es schreitet in die nacht der lasse dichter
Auf marmor erz und holz zum trank von hopfen
Wo er kein feind der früh gelöschten lichter
Am zehe fand des kalten blutes tropfen.

IX. Gottfried Benn: Statische Erinnerungen

Und wenn ich heute zurückdenke
denn wir hatten damals keinen Kühlschrank
mein Vater erzählte von Eiskästen
von Eiskellern da unten
Landhäuser, brandenburgische Erde
heute alles ein einziger Friedhof
woran soll man sich da die Füße stoßen.

X. Peter Handke: Publikumsentnervung

Ich habe mir den Fuß gestoßen. Ich habe mir den Fuß am Kühlschrank gestoßen. In meiner Küche habe ich mir am Kühlschrank den Fuß gestoßen. An meinem Kühlschrank habe ich mir meinen Fuß in meiner Küche gestoßen. Ich habe mir in meiner Küche den Zeh gestoßen von meinem Fuß. Meinen Zeh habe ich mir in meiner Küche gestoßen. An meinem Kühlschrank habe ich mir meinen Zeh gestoßen. Ich habe am Kühlschrank, in meiner Küche, wo der Kühlschrank steht, mein Kühlschrank, mir den Zeh gestoßen, der an meinem Fuß ist, der in der Küche steht, in dem auch mein Kühlschrank…

XI. Kristiane Allert-Wybranietz: Verrenktexte

„Nee Du, lass mal! Ist schon okay so!“
sagte ich,
als ich die Blutlache
vor dem Kühlschrank
auffeudelte.

Dabei hast Du
gar nicht verinnerlicht,
dass ich mich dabei
irgendwie auch ein Stück weit
für meine Verletzlichkeit
sensibilisierte.

XII. Robert Gernhardt: Folgen der Schwanksucht

Seht ihn an, das bee.
Trinkt es, ach herrje!
Nicht ganz dicht. Im Dauerlauf.
Nur sein Kühlschrank, der hat’s drauf!